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VIII.

Die Männer und noch mehr die Frauen im Dorfe trieben mit dem Golddraht einen regen und lebhaften Tauschhandel. Da sie keinen Einheitswert und keine Münze kannten, hatten sie seit tausend Jahren, solange ihre Vorfahren an der Austernbank saßen, jedwede Ware durch Tausch umgesetzt. Aber die Zähne von Elch und Bär hatten plötzlich ihren hohen Wert verloren; kein Mensch im Dorfe gab noch ein gutes Fell, geschweige denn sechs Felle, wie früher, für einen Bärenzahn. Felle freilich wurden gern gekauft und gut bezahlt, sintemal so viele ihre Bett- und Kleiderfelle, die unentbehrlichen, für blanken Draht hingegeben hatten. Viele Männer gingen fleißig auf die Jagd, um für den bösen Winter die nötigen Felle zu bekommen, wenn sie aber mit Beute heimkehrten, machte ein schlauer Nachbar ein gutes Angebot, und die Gier nach Gold war so groß, daß sie sehr oft die Felle, bevor noch die Tiere enthäutet waren, für ein Stück Goldblech verkauft hatten. Alle im Dorfe handelten um Draht. Um ein kleines Endchen Goldblech schrien und zankten sie stundenlang, und die Weiber feilschten am heftigsten und rauften sich nicht selten die Haare, wenn es hieß: »Du hast mich betrogen, du Besenreiterin.« Zuletzt traten die Männer dazwischen, um mit ein paar kräftigen Maulschellen den Streit zu schlichten. –

Es war schon in der Steinzeit ein altes Gerede, daß die Hexen auf dem Strauchbesen ritten. Jedesmal, wenn Rista am Hause ihrer Nachbarin, die einst ihre Busenfreundin gewesen war, vorüberging, stellte diese den Besen vor die Tür und fragte mit freundlichem Gekicher: »Willst du ihn leihen, um einen kleinen Ritt zu machen?«

Ristas Quallenaugen traten aus dem Kopfe, und ihr Dorschmund spie eine Flut von Schimpfwörtern. Dreimal am Tage, wenn Rists Weib Wasser holte, trieb die Nachbarin den Schabernack mit dem Besen. Der Bosheit wurde zu viel. Rista nahm ihren eigenen Besen in die Faust, drang in die Nachbarhütte hinein und schlug die Nachbarin mit dem Eichenholzstiel windelweich. Heulend rannte diese zum Priester, der des Herrn Stellvertreter war, zeigte die Striemen an ihrem Leibe und klagte auf Buße. Fred wiegte weise sein Haupt.

»Ja, Buße muß sie zahlen ... das unselige Gold war die erste Ursache des Zankes, darum soll sie mit Gold büßen, die drei Stücke Blech, die Rista an ihrem Halse trägt, soll sie dir geben.«

Oh, das war ein Pflaster, ein Balsam, die Besenstriemen taten nicht mehr weh; die Nachbarin biß sich auf den Daumen, um nicht zu lachen.

Rista aber wollte vor Wut platzen und sich das Leben nehmen; sie ist aber nicht ins Wasser, sondern in die Nacht hinausgegangen, um ihren Verlust zu ersetzen und ihren leeren Hals zu schmücken. –

Seitdem Frod seine Fahrt angetreten, waren drei Tage verstrichen, ohne daß die Einbäume zurückgekehrt oder ein Bote gekommen wäre. Die Fördeleute aber vermißten nicht ihren Herrn und hatten alle ihre Gedanken und Sinne auf Goldschmuck und Goldschacher gerichtet. Zugleich mit dem Golde war auch viel Neid und Betrug, viel Zank und Streit ins Dorf gekommen. Nur Fred allein liebte nicht das rote Gestein, daß seines Volkes Gier und Unglück wurde, und war auch in Sorge um die Krieger und ihre tollkühne Fahrt. Leicht konnte die Verfolgung mit dem Untergang aller enden, denn die Einbäume waren klägliche Zwerge neben den riesigen Schiffen der Gater. Freilich würde ein so furchtbares Ende für ihn die Lösung aller Rätsel, das Ende aller Not bedeuten – dennoch grauste ihm vor dem entsetzlichen Ausgang, so daß er jeden Morgen einen Bitt-Gottesdienst hielt und den lichten Gott um glückliche Heimkehr der Krieger und des Kriegsherrn anflehte. Es schmerzte ihn, daß nur drei alte Frauen zum Gottesdienst gekommen waren. Alles Gute, auch die Gottesfurcht, verdrängt die Gier nach dem blitzenden Tand. Ruht nicht ein Fluch auf dem roten Gestein der Gater? Haben sie es zu uns gebracht als einen bösen Zauberbann, der uns verderben soll?

Da kam Rusta weinend angelaufen, raufte ihr struppiges Haar und rief: »Hoher Herr, hilf mir! Der Reif, den du selbst mir schenktest, um meinen Mund zu verschließen – der Reif – uh – uh, den ich auch nachts am Handgelenk trug, ist verschwunden – uh – ujeh – ich sterbe vor Gram – ist in der Nacht mir vom Arm gestohlen worden. Schaffe ihn mir und strafe den Dieb!«

Fred war tief erschüttert, ein Diebstahl war, so lange er lebte, viel seltener gewesen als ein Totschlag. In jener Zeit nämlich, wo man nichts fest verschließen konnte, galt jedes Eigentumsvergehen als ein schändliches, gemeines Verbrechen, das sehr hart und in schweren Fällen mit dem Tod am Galgen bestraft wurde. Der Priester blickte tiefernst. »Wenn ich den Dieb hätte, sollte er vor Abend sein Urteil empfangen.«

Die Klägerin rief: »Ich weiß, wer meinen Reif gestohlen hat. Rista, die ihren Schmuck als Buße zahlen mußte, hat meinen Ring gestohlen, hat ihn in drei Stücke gehauen, die sie frech an ihrem schmutzigen Halse trägt.«

Der Richter untersuchte die Sache gründlich, vernahm die Nachbarn, fragte hin und her und ließ die Beschuldigte kommen. Rista war unverfroren und beteuerte dreist, daß sie zwar ihren Schmuck einer gewissen Hexe habe geben müssen, daß sie aber, wie ihrem Manne und anderen bekannt sei, noch einen Goldreif besessen habe, den sie jetzt in drei Stücken am Halse trage. Die andern zuckten die Achseln und wußten nichts Genaues. Nur ihr Mann bestätigte es und wollte schwören. Aber der Richter wies den Schwur zurück und ließ einen Greis in den Ring treten. Dieser erklärte ruhig: Nach seinem Dafürhalten sei der Armring gar nicht gestohlen worden, sondern Rust, der den Reif mit Mißtrauen betrachtet und sein Weib der Buhlerei beschuldigt habe, werde ihn nachts vom Arm gestreift und in Verwahrung genommen haben. Rust und seine Rusta schrien dagegen und forderten mit Ungestüm ihr Recht. Aber der Richter sprach die Beschuldigte frei, weil zwingende Beweise fehlten.

Da das ganze Volk neugierig die Tingstätte umlagerte, hielt Fred eine sehr ernste und eindringliche Rede: »Ruhe im Ring und Ting! Horchet alle! Soll das verruchte Gold, das die Gater wie eine Seuche in unser Land brachten, unsere ganze Sippe verderben? Welchen wahren Wert hat das glänzende Blech? Kann es einen Menschen satt machen im Hungerwinter? Kann es wärmen im klingenden Frost? Ob einer vom Scheitel bis zur Sohle mit Gold bekleidet wäre, müßte er elend verhungern. Oh, ihr Narren! War nicht der goldklare Bernstein ein viel schönerer Schmuck? Hütet euch vor dem Gold der Gater, denn es ist ein Gift, das unstillbare Durstgier erzeugt. Und ein Fluch ruhet darauf. Unheil und Verderben haben uns die Fremdlinge gebracht ... oh, ich möchte allen Golddraht im Dorfe sammeln und draußen im Wasser, wo die Förde am tiefsten ist, versenken.«

Ach, er hatte tauben Ohren gepredigt. Diesen ganzen Tag nach seiner Rede wurde gehandelt, gefeilscht und geflucht, hitziger als je. Als am Abend die Wasserjäger heimkehrten, wurden die Otter- und Biberfelle verschachert, ehe sie vom Kadaver abgezogen waren. Sogar am Strande war oft Gezänk und Geschrei, wenn zwei sich um ein Stück Bernstein balgten, das jeder von beiden zuerst gesehen haben wollte. Männer und Frauen, die seit Jahren gutfreund gewesen, wurden sich spinnefeind in diesen Tagen und gingen grollend, ohne Gruß aneinander vorbei. Viel Zwist und Hader, ein stetes Mißtrauen und eine gräßliche Mißgunst fraß immer weiter um sich im Dorfe.

Fred war in schwerer Sorge um sein Volk und in Unruhe um die Kriegsrotten, die seit sieben Tagen auf dem Wikingerzuge waren. Die Einbäume waren dem Sturm- und Wogenprall des Meeres nicht gewachsen, mußten an der Küste entlang schleichen, bei starkem Wind aufs Lands gezogen werden und ruhiges Wetter abwarten.

Der Schwertfeger saß bei seiner Arbeit, aber seine Gedanken störten ihn. Das Schwert war stark, scharf und hart, wie das gekaufte, nur die Gravierung nicht so fein und vollendet. Auch ein zweites Schwert war geschmiedet und wurde geschärft – er hätte große Freude gehabt an seinem Werk, wenn nicht der unerfreuliche Gedanke, daß dieses lange, scharfe, spitze Bronzestück ein Mordgerät sei, ihn gestört hätte. Fast zuwider wurde ihm seine Schwertarbeit, die er fortlegte. Von den Gatern hatte er erfahren, daß auch das Gold im Feuer erweicht und dann mit Werkzeugen geformt werden könne. Ein neuer Gedanke blitzte durch sein Gehirn – sofort ging er nach seiner geheimen Schatzkammer, um den einen Goldbarren zu holen und neue Versuche zu machen. Lange betrachtete er die Goldstange, ehe er sie in die Glut legte. Ja, ein wunderbar leuchtendes, wunderschönes Gestein war dieses Gold, das die Menschen weit draußen in der Welt am höchsten bewerten von all ihrem Gut. Was soll ich schmieden? Eine Mordwaffe? Nein, nimmermehr! Oder Arm- und Halsringe? Damit das törichte Volk noch närrischer nach Goldschmuck giere? Nein, noch viel weniger! Oder ein goldenes Stirnband für Funda? ... Wie würde es strahlen auf ihrem Haar. Nein, nein! Zu sehr hängt ihr Herz an dem Tand ... zu oft und zu eitel betrachtet sie ihr Antlitz in der blanken Bronze. Ist nicht Gold das Höchste? So will ich es dem höchsten Gott weihen! Ja, aus dem strahlenden, glänzenden Gestein will ich von dem lichten, leuchtenden Gott ein Bild und Gleichnis machen. Ein großer Gedanke hatte plötzlich den Meister, der auch Priester des Sonnengotts war, erfüllt und erleuchtet. An die Stelle des Holzklotzes im Tempel mit seinen klotzigen Armen und der greulichen Fratze wollte er ein goldenes Bild der Sonne setzen. Eine große Idee war in seinem Geiste geboren, sein Auge sah, wie der Barren zum Sonnenball mit langen, funkelnden Strahlen wurde. Es war eine gewaltige Aufgabe, die er seinem sinnenden Haupt und seinen flinken Händen stellte, und eine lange, mühselige, vielleicht mißlingende Geduldsarbeit, die er aber sofort in Angriff nahm und bis in die Nacht hinein beim hellen Schein des starken Feuers fortsetzte.

In den nächsten Tagen beherrschte ihn sein Werk so völlig, daß er die Werkstatt nicht verließ, sondern seine Mutter brachte ihm täglich zweimal Fisch und Fleisch, und oft schob sie ihm die einzelnen Bissen in den Mund. In der Werkstatt schlief er auch einige Stunden, wenn sein Körper allzu müde wurde. Nur gegen Abend ging er auf die Höhe hinauf, um Auslug zu halten und die Förde zu überblicken. Aber kein Einbaum schwamm auf dem Wasser, kein Boot und keine Botschaft kam von seinem Bruder.

Neben seiner großen Arbeit schmiedete er einen feinen Bronzedolch für Funda, den er ihr als Ersatz für den Steindolch, den die Gater mitgenommen hatten, schenken wollte.

In einer Nacht fielen ihm plötzlich die Lider zu, der übermüde Mann glitt neben dem Feuer hin, und sein Haupt lag auf dem Arm. Nach einer Stunde schreckte er empor, von einem gräßlichen Traum gequält, durchnäßt von Schweiß. Funda rannte mit flatterndem Haar über den Abfallhaufen, über die Wiese und in das Röhricht der Förde hinein, und Frod mit dem Schwert in der Faust war hinter ihr. Das war sein Traum, aber noch nach dem Erwachen grauste ihm, denn er sah noch immer das tierisch wilde, wutverzerrte Gesicht seines Bruders. War es ein Vorspuk, eine Warnung gewesen?

In einer jähen Angst lief er, nachdem er den seinen Dolch unter dem Wams versteckt hatte, hin und pochte an Fundas Hüttenwand. Hellhörig war ihr Schlummer. Im Nu schlüpfte sie in ein Gewand und aus der Tür. Halb lachend und halb weinend hing sie an seinem Halse. »Du Treuloser! Drei Tage und drei Nächte hast du meiner vergessen ... du Böser!« Bald aber hieß es: »Du Bester, du Liebster, du Herrlichster von allen!« Als er ihr nämlich den zierlichen, nadelspitzen Bronzedolch zeigte und schenkte! Lange bewunderte sie ihn mit Kennermiene, dann sagte sie toternst: »Wer ist wohl der Erste, den diese feine Waffe töten wird? ... Es könnte geschehen, daß sie zuerst mein Herz durchbohren müßte ...«

Fred hielt ihr mit der Hand den Mund zu: »Spiele nicht mit dem Entsetzlichen! Schauerlich ist das Sterben ...«

»Oh, ich scherze nicht! Ich weiß genau, wo mein Herz hämmert ... hier ... wenn, wenn ... oh, ich folge dir im süßen Leben und im bittren Sterben ...«

Tausendmal wurde die urewige Frage: »Hast du mich lieb?« mit heißem Atem gestellt, und tausendmal die Antwort mit Küssen beschworen.

Zum Dank für den Dolch reichte sie ihm als Gabe einen kleinen Donnerstein, mit regelmäßigen Kreisen und Strichen, wie von Menschenhand gehauen. »Er ist vom Himmel gefallen und gestern von mir gefunden worden ... trage ihn stets an deiner Brust, denn er ist ein kräftiger Zauber, der gegen Siechtum und Seuche hilft, gegen Unglück und Übel, gegen Nachtgänger und Neidinge dich feit.«

Fred bat: »Behalte du den Stein, du wirst eines Beschirmers bedürfen ...«

»Mich beschützt mein Dolch.«

Beide verstummten und horchten. Was war da unten auf dem nachtstillen Wasser? Jetzt schlugen die Hunde an. »Ich höre das Stoßen der Ruderstangen, kehren die Boote zurück?«

»Oder kommen Feinde zu nächtlichem Überfall?« sagte Fred.

In Hast rannte er hin, um die Trommel zu schlagen, um das Dorf zu wecken. Dann eilte er zum Ufer hinunter.

Ja, die Einbäume kamen zurück und stießen auf den Strand. Frod sprang zuerst vom Bug und aufs Land; seine Begrüßung war ein Schwall von mißtrauischen Fragen: »Warum wachst du? Woher kommst du so schnell? Wo ist Funda?«

»Ich arbeitete in meiner Werkstatt, wo noch das Feuer scheint ... Funda wird höchstwahrscheinlich auf ihrer Hirschhaut liegen. Haben die Götter gute Fahrt, Heil und Sieg euch gegeben?«

»Ja, den Räubern haben wir den Raub genommen, aber bessere Fahrt hätten wir haben können, und bessere Götter könnten wir gebrauchen.« Der Häuptling war offenbar unzufrieden und in übler Laune.

Fred begrüßte die Männer, die aus den Einbäumen stiegen.

»Wo sind Gerd...und Per...und Kan... und Jung-Run und?«...Ihm wurde ganz beklommen ...ihm schwante, warum sie fehlten.

Wig, der graubärtige Steuermann wischte sich über die Augen und sagte stockend: »Ja, zwölf Männer sind geblieben...und im Sande von Warnäs verscharrt ...auch mein Sohn Mir...der brave, bärenstarke Bursche...auch mein Jüngster...was sollte die wahnsinnige Fahrt, die der Sonnengott nicht gewollt hat? Die Gater hatten uns keinen Fischschwanz geraubt.« In seinem Schmerz und Zorn sprach der alte Steuermann immer lauter.

Der Häuptling schnurrte herum wie ein sausender Kreisel und stieß mit dem Schwertknauf hart gegen Wigs Brust. »Was die tolle Fahrt sollte? Haben wir nicht die Gater besiegt und Waffen und Waren, Gold und Bernstein erbeutet? Liegen nicht ihre nackten Leiber den Füchsen zum Fraß? Fin hätte dir für deine freche Rede die Zähne ins Maul geschlagen.« –

Frod sprach an den folgenden Tagen höchst ungern von dem Kriegszug, von dem nicht viel zu rühmen war. Aber man erfuhr nach und nach von den Leuten, wie unerfreulich die Fahrt gewesen. Draußen vor der Förde, wo das offene Meer wogt, hatten sie gen Abend die Flügel der Riesenvögel gesichtet und, im Schilf der kleinen Insel versteckt, beobachtet, wie die Gater an Land gingen und Feuer zündeten. Einen offenen Angriff jedoch hatte Frod nicht gewagt, sondern, wie Luchse den mächtigen Elch in sicherer Entfernung umwittern, schlichen seine flachen Boote gleich harmlosen Fischerkähnen hinter den hochbordigen Schiffen her, die sie Tag und Nacht im Auge behielten.

Zweimal gingen die Gater an Land, um zu rasten und Wasser zu holen, aber sie stellten Wachen aus, auch der riesige Hund war gelöst und umkreiste das Lager, so daß ein Überfall unmöglich war. Am fünften Tage erreichten sie die Landzunge Warnäs, die letzte Landmarke, welche die Fördeleute kannten. Dahinter lag das wilde unwegsame, das unbekannte, unheimliche Meer. Die Angst vor dem ungeheuren Gewässer, das kein Ende habe, ließ sie wagen zu murren und schleunige Heimkehr zu heischen. Der Häuptling Frod, der selbst unsicher war, fluchte unwirsch. »Wohlan, noch einen Sonnenlauf wollen wir ihnen nachrennen ...ich befehle die Heimkehr, wenn auch morgen, am sechsten Tage, der Finstre waltet.«

Aber am sechsten Tage half der Finstre. Das eine Gaterschiff blieb hinter dem andern zurück und wurde auf den Strand gesetzt. Frods Späher, die durchs Gebüsch auf dem Bauche krochen, kamen zurück und meldeten: Das Schiff sei leck gesprungen, die Gater seien mit Eifer dabei, das Leck zu dichten...kein Hund habe angeschlagen, so daß man auf Pfeilschußweite herangekommen sei.

Das hob den tief gesunkenen Mut; vor der Riesenbestie hatten sich Frods Krieger am meisten gefürchtet. Als es dunkelte, schritten sie leise durch den Wald, um die Gater im Schlaf zu morden. Sie hatten nicht mit der Vorsicht der vielgereisten Fremdlinge gerechnet. Zwei Wächter hockten im Buschwerk versteckt, machten rechtzeitig lauten Anschrei und weckten ihre Genossen, die mit den Waffen im Arm schlummerten und sofort kampfbereit vor dem Lager standen.

Eine kurze, mörderische Schlacht tobte. Das Bronzeschwert war dem Steinbeil im Handgemenge weit überlegen; ehe das schwerfällige Beil weit ausholen und niederschmettern konnte, hatte das blitzschnelle Schwert die Brust durchbohrt. Auch waren die hochgewachsenen Fremdlinge stärker als die kurzgedrungenen Fördeleute. Wohl war Frod ein Tapferer, der seinen Kriegern voranschritt, mit seinem Bronzeschwert den Steuermann durchbohrte und noch fünf andere Feinde niederstieß. Aber zu viele von seinen Kriegern fielen von den Stichen der Lanzen und Schwerter, ehe sie ihr Beil gebrauchen konnten. Fechtend zogen sich die Gater zurück, stießen ihr Schiff vom Strande, kletterten flink an Bord und gewannen das Wasser, von wo aus sie die Angreifer mit einem Hagel von Pfeilen, mit einem Schwall von Schimpfreden überschütteten. »Nachtgänger, stinkende Schakale, Eidbrüchige und Affen, Tiere und keine Menschen seid ihr! Unsere Sklaven und Hunde sollt ihr sein! Wartet nur ein Jahr!«

Auf der Walstatt lagen sieben Gater tot oder totsiech, aber zwölf von Frods Kriegern hatten in der Brust die Todeswunde, und ihre starre Faust umklammerte noch das Beil. Laute Wehklage heulte die ganze Nacht; der Häuptling brütete finster, bis die Sonne aufging. Die Leichen der Gater wurden nackt ausgezogen, die Waffen von Bronze aufgelesen – das war die ganze Beute, mit allzu hohem Blutpreis bezahlt. Was Frod von Gold und Gut gefabelt hatte, war eitel Prahlerei gewesen, die Frod-Leute nahmen die starren Leiber der gefallenen Genossen mit sich und ruderten nach dem Takt der dumpfen Totenklage heimwärts.

Die Frauen, die ihren Gatten oder Sohn verloren hatten, saßen neben dem Toten, ließen ihre gelösten Haare wild flattern, bestreuten sich mit Erde, schrien und heulten in schauerlich gellenden Tönen, so daß es Förde auf und ab eine Meile weit zu hören war, nach der Sitte und Regel der Steinzeitvölker; je lauter das Gekreisch, desto größer der Schmerz. Nur ein junges Weib, das seinen Mann innig lieb hatte, weinte bang und bitterlich, weinte leise und ohne Lärm. –

Der Priester brachte dem lichten Gott Dankopfer für die Überlebenden und forderte eindringlich die Heimgekehrten und alle, die ihnen anverwandt seien, auf: »Nehmet die Hände vom Rücken, tretet heran und bringet den Göttern das Beste, das ihr habt, Gold und Golddraht! Denn ich wollte, daß alles Gold der Gater Eigentum des lichten Gottes würde.«

Nur sehr wenige brachen ein winziges Stück von ihrem Ringe ab und gaben es unfreudig und zögernd. Fred blickte traurig zur Allgeberin, der Sonne, empor. –

Die toten Krieger wurden in dem mächtigen Steingrabe, in dem die Helden der Sippe seit Menschengedenken beigesetzt wurden, feierlich bestattet. Von dem Erdhügel wurde die Erde vor dem Eingang fortgeschaufelt und der schwere Türstein, der den niedrig schmalen Eingang zur Gruft verschloß, beiseite gewälzt. Jede Leiche war sauber gewaschen und in neue Felle gehüllt. Nur auf allen Vieren kriechend, konnten die Leichenträger in die lange Steinhöhle, die aus großen Findlingen errichtet und mit Findlingen gedeckt war, hineingelangen. Nachdem sie die Gebeine, die dort von den seit Jahrhunderten bestatteten Helden in Menge lagen, in den Hinterraum gekehrt und Platz gemacht hatten, schleiften sie die Toten in die Grabkammer hinein, wo alle Krieger hinter- und nebeneinander gebettet wurden. Jedem wurde ein Topf mit Speise zu Häupten hingestellt, damit er Nahrung habe auf der weiten Fahrt ins Totenreich, auch wurden ihm Waffen, Beil und Dolch, und ein Schmuckstück mitgegeben in die Gruft. Die Hinterbliebenen allerdings wählten aus Sparsamkeitsgründen sehr oft ein Beil, das verbraucht, eine Waffe, die voll von Scharten war; auch war es meistens nicht der beste Schmuck, den man dem Toten um den Hals hing, wieder wurde der Stein vor den Eingang geschoben und der Erdhügel zugeschüttet. Von Stund an verstummte die Totenklage. Die Leidtragenden und die Klageweiber setzten sich am Abfallhaufen hin und verzehrten ein reichliches Totenmahl, um ihren Leib zu stärken und ihre Seele zu trösten. Die Menschen der Steinzeit liebten das Leben und vergaßen die Toten.

Nach der Bestattung stellte Fred seinen Bruder freimütig zur Rede: »Was hat uns die unselige Fahrt gebracht?«

»Siehst du nicht die Bronzewaffen, die du selbst mir rühmst?«

»Ich sah und zählte auch die Toten im Steingrabe. Der Sonnengott hat die Fahrt nicht gesegnet, denn er haßt mutwillige Fehde, Trug und Treubruch, Hinterlist und Heimtücke.«

Frod schnitt ihm die Rede ab. »Ich habe den Fremdlingen Gastfreiheit gewährt und Freundschaft gehalten, zum Lohne hat der Gater durch Frauenraub das Gastrecht gebrochen und Todwürdiges getan ... oh, ich weiß wohl, warum du scheinheiliger Priester von Trug und Treubruch mir predigst, warum du mit den Göttern mich kuschen willst ... haha, hast fein ausgerechnet, daß Fundas Trauerjahr um ihren Vater nach dreißig Tagen beendet ist. Ich will sie freien, sobald sie frei ist vom Gelübde! Das wirst du durch fromme Schliche nicht verhindern noch verzögern.«

»Und du wirst es durch Treubruch und Tücke nimmer erreichen, das sagt der Lichte, der alle Bosheit richtet. Durch Kaufrecht ist Funda mein Eigentum, mit deinem Schwert habe ich sie erworben ...«

»So nimm dein Schwert wieder, du Tropf!« Frod schleuderte es ihm vor die Füße und brüllte: »Von der Kriegsbeute gehört mir, dem Herrn, das beste Stück, kraft meines Rechts nahm ich das Weib ... es ist von mir eine große Gunst und Güte, daß ich nach einem Jahr die Schöne dir lassen will.«

»Ich begehre keine Blume, die ein anderer brach, ich fordere mein Recht!«

»Nimm dein Dreckschwert wieder!«

»Behalte es, du wirst es gebrauchen, mein Bruder, ja, du müßtest hunderte von Schwertern haben ...« Der Priester mit dem bleichen Antlitz blickte zur Sonne empor und redete düster und dumpf wie ein Prophet, der Zukünftiges schaut: »Sieben Gaterleichen liegen am Strande von Warnäs ... ihre Genossen werden auf zehn, zwölf Riesenvögeln kommen, werden ihre Gebeine bestatten und Blutrache nehmen an Frod und allen Frod-Leuten. Wehe uns! Ich sehe ein großes Gatervolk vom Süden her sich wälzen und am Bernsteinmeer entlang rudern, um allen Bernstein, den der Meerschaum bildet, zu raffen und zu rauben ... riesige Männer, hart und zahlreich wie die Steine am Strande, hohe Frauen mit hellen Haaren und seltsame Tiere ... wie Wölfe stürzen sie sich über unsere Dörfer ... wehe uns! Ihr Schwert wird an allen unseren Förden heeren und herrschen, alle unsere Sippen werden im eigenen Lande Sklaven der Fremdlinge sein. Behalte dein Schwert, du wirst es gebrauchen, mein Bruder, du müßtest hunderte haben.«

»Was soll dein Unken und Eulen und Heulen? Lasset uns alle Sippen der Förde aufrufen zum Kampf gegen den gemeinsamen Feind! Wir wollen die Gater mit tausend Beilen empfangen, die Frechsten erschlagen und die Feigen, die um Gnade flehen, zu Sklaven machen.« Frod redete sehr mutig, obgleich seine Seele sehr unruhig und von bösen Ahnungen bedrückt war.

»Wann sind die Sippen der Förde jemals einig gewesen? Immer haben sie sich in wahnsinnigen Fehden zerfleischt! Die Gater sind klüger als wir und sehr schlau, sie werden mit Goldblech die Näs-Leute kaufen und eine Sippe auf die andere hetzen. Lachende Zuschauer unserer Kämpfe werden sie sein und zuletzt Herren aller Bernsteingewässer, nachdem eine Sippe die andere erschlagen hat.«

Heftig erschrak der Häuptling, der die Völkchen der Förde mit ihrer kleinlichen Zwietracht und ihrem ewigen Kleinkrieg nur zu gut kannte. »Was sollen wir tun? Können wir nicht mit List ein Loch und Leck in ihre Schiffe schlagen? Dein erfindungsreicher Kopf muß Rettung finden.«

»Ich will tun, was ich vermag, ich will Tag und Nacht arbeiten und aus der Bronze, die ich habe, harte, scharfe Waffen schmieden ... aber es stehet in der Hand und Hilfe des Sonnengottes.« – – –

Fred stand in seiner Werkstatt vor der Feuerglut und hämmerte von Morgen bis Abend, daß der Schweiß von seinem Leibe strömte. Nach Feierabend rastete er nicht, sondern seine Erholung und Freude war die Arbeit an dem goldenen Sonnenbilde, das er aus seinem Geiste schuf.

Eines Morgens, als er zum Tempel kam und die Tür öffnete, prallte er zurück. Am Arm der Holzfigur schimmerte kein Gold – der fünfmal gewundene Ring war verschwunden, war gestohlen worden. Oh, ein Verbrechen, furchtbar wie Vatermord, ein Sakrileg ohne gleichen war begangen worden.

Fred klagte unter Tränen, daß Grausiges geschehen sei. Der Herr fluchte, fuchtelte mit seinem Stock und ließ das Ting zusammenrufen. Das Dorf war wie ein aufgestörter Ameisenhaufe.

Stundenlang saßen die Männer auf den Tingsteinen. Die schändliche Tat mußte geahndet, der Unhold gefaßt und am Halse aufgehängt werden. Viele wurden des Diebstahls verdächtigt, viele scharf verhört und mit dem Stock bedroht. Besonders die gute Rusta, die man für eine diebische Elster hielt, mußte trotz ihrer Unschuld in diesem Falle viel leiden. Alles war umsonst, der Tempelschänder wurde nicht entdeckt.

Eine tiefe Trauer, eine große Furcht vor dem Zorn der Götter lastete auf allen Gemütern drei Tage lang. Am vierten Tage, als Fred an dem Schwert einen Holzgriff befestigte, kamen zwei Mägdlein und ein Knabe zu ihm in die Werkstatt und stotterten: »W–wir w–wissen, wer den Armring gestohlen und damit gespielt hat.«

Klein-Fin war der Dieb und Missetäter, dieses Früchtchen, das nicht weit vom Stamme fiel. Er hatte den blanken Reif geklaut und sein hübsches Spielzeug im Walde versteckt. Der Bengel rohrte wie ein Brunsthirsch, als er vor das Ting geschleppt wurde; er hoffte durch sein entsetzliches Geheul die Herzen zu rühren und die Strafe zu mildern.

Aber Frod war fuchswild über das ungeheuerliche Sakrileg und wollte den Knaben am Halse aufhängen. »Der diebische Balg soll zwanzig Stockschläge empfangen und dann am Halse erhöht werden.«

Klein-Finn warf sich hin, weinte und winselte: »U– u–uh–! Bitte, bitte, keine Hiebe – gleich hängen und erhöhen.«

Vor den Prügeln fürchtete er sich weit mehr als vor der Erhöhung am Galgen.

Die Ältesten des Dorfes dämpften Frods Jähzorn und sagten verständig, daß man ein unmündiges Kind nicht mit dem Tode, sondern mit Schlägen bestrafe. Nach langer Verhandlung lautete das Urteil: Der Schlingel soll fünf Tage lang fasten und nur eine Mahlzeit täglich bekommen, auch an jedem Tage zehn kräftige Hiebe empfangen ... dann aber solle er einem harten und scharfen Manne in Erziehung und Zucht gegeben werden.

Fred bat bescheiden, ob man ihm nicht Klein-Fin, seinen Stiefbruder, anvertrauen möge: worauf viele lachten und grinsten: »Behalte den Bengel, den keiner dir neiden wird! Soll er etwa zum Priester angelernt werden, weil er so fein zu klauen versteht? Hihi.«

Fred sprach sehr ernste Worte im Ting: »Es ist zum Weinen und nicht zum Lachen! Etwas Unerhörtes, Entsetzliches ist ein Diebstahl in unserem Dorfe ... solange ich erinnern kann, ist nur ein Dieb im Dorfe gewesen, aber das scheußlichste von allen Verbrechen, ein Tempelraub, ist seit Menschengedenken eine Unmöglichkeit gewesen. Oh, das blanke, böse Gold verdirbt, verseucht uns. In dem roten Gestein der Gater ist ein finstrer Zauberbann, der die Seele vergiftet und unstillbare Gier entzündet. Schon im unmündigen Kinde erzeuget das Gold den bösen Golddurst. Lug und Trug, Bosheit und Raub, Schändung der Götter und jedwede Scheußlichkeit gebar das unselige Gold. Lasset uns hinwegtun den roten Bann, der unserem Volke denn Untergang bereitet! Hinweg mit der neuen Goldpest! Frod, mein Bruder, du bist unser Herr ... als Herr und Herrscher gib schleunigen Befehl, daß alles Gold im Dorfe, jedes Stück Golddraht und Goldblech auf einen Haufen geworfen und den Göttern als Sühnopfer gegeben und ins tiefe Meer geschleudert werde. Ich habe weit mehr Gold als irgendeiner, und ich will alles opfern.«

Frod belächelte den kindischen Vorschlag. »Sollen wir etwa auch allen Bernstein, der im Gaterlande Goldwert hat, und den das Meer freigebig uns spendet, sammeln und in der tiefen Ostsee draußen versenken? Es wäre ein unsinniges Opfer und eine nutzlose Arbeit, sintemal das Meer alles wieder an unseren Strand spülen würde.« Alle, alle behielten ihr Gold. Ja, ein jeder suchte durch ehrlichen Tausch oder durch trügerische List noch mehr zu erlangen. So sehr stieg das blanke Metall im Preise, daß sechs weiche Biberfelle für ein Endchen dünnes Goldblech gegeben wurden. Gold und Bernstein waren die Wertgegenstände und die Wertmesser der Steinzeitmenschen geworden.

Aber der Reichste von allen verbarg seine Schätze, nicht wie der Geizhals, der heimlich seiner Gier frönt, sondern um Waffen und Fluchtpläne zu schmieden. Jeden Morgen schnitt er eine Kerbe in seinen Jahresstab, um genaue Zeitrechnung zu halten, Oh, ... nach zwanzig Tagen und Nächten war die Stunde da, vor der ihm grauste. Nur zwei Gedanken fanden Raum und machten große Unruhe in seinem Geiste, diese häßliche Rechnung und das holde Bild der Heißgeliebten. Aber, um die Grübeleien zu verjagen, arbeitete Fred vom ersten bis zum letzten Tageslicht. Bor war sein ständiger und tüchtiger Gehilfe, der die rohe Schwertform schmiedete. Der Meister selbst gab der Waffe Schärfe, Schliff und Schönheit.

Niemals sah er Funda. Nur aus dem Geschwätz der Weiber entnahm er, daß sie brav in ihrem Hause bleibe und an ihrem Spiegel und Tand sich ergötze. Dann seufzte seine Seele.

Auch einen Lehrling hatte er in seiner Werkstatt. Der kleine Golddieb, den er in Erziehung genommen, war ein anstelliger und gar nicht übler Bursche, nachdem er durch einige Maulschellen den Ernst des Lebens erfahren, aber auch in vielen kleinen Dingen die Güte seines neuen Vaters gespürt hatte. Klein-Fin wurde ein nützliches Mitglied seiner Sippe und der steinzeitmenschlichen Gesellschaft. Bald hatte er an dem lustigen Feuer und den vielen Werkgeräten eine helle Freude, und nach einer Woche sprang der Lehrling flink hin und her, um die Glut anzublasen und schnelle Handreichung zu tun.

Leider nahmen bei so fleißiger Arbeit die Bronzebarren rasch ab, aber, als sie das letzte Stück schmiedeten, waren fünfzehn Schwerter und zehn Lanzen fertiggestellt. Der Waffenschmied war mit seinem Vorrat an Kupfer und Bronze zu Ende, und das bedrückte sein Herz, das von schweren Vorwürfen gequält wurde. »Warum habe ich nicht mehr Schwert-Bronze gekauft, statt der unnützen Goldbarren?« Nebenher zur Erholung und als Feiertagsarbeit hatte er das Bild und Gleichnis des Sonnengottes vollendet, und das tröstete sein Gewissen ein wenig.

Es war ein strahlender Morgen, als die Trommel zum Gottesdienst vor der Fischweid rief. Fred hatte das Sonnenbildnis auf einem Holzgestell draußen vor dem Tempel aufgestellt. Die ganze Sippe strömte herbei und stand in lautloser Stille, die Arme auf die Brust gepreßt, die Augen geblendet, in atemloser, tiefer Ergriffenheit. Das Gleichnis des Gottes war eine kreisrunde Scheibe von lautrem Gold mit vielen langen Goldstrahlen. Sie leuchtete, glänzte und funkelte, von der Morgensonne bestrahlt, wie das große Gestirn des Tages. Alle wähnten, daß sie den Sonnengott, den erhabenen Licht- und Lebensspender, leibhaftig in ihrer Mitte sähen. Die Vordersten vertrugen den feurigen Anblick nicht und schlossen die Augen. Viele Weiber zitterten und schluchzten. Eine so tiefe Andacht und Gottesahnung hatte noch nie zuvor die Herzen der armen Fördeleute erfüllt und erschüttert. Reichlicher fielen die Opfer als je. Aber ach, nur zwei Frauen brachten ein Stückchen Golddraht. »Ich habe meinen Goldbarren, der mehr wiegt und wertet als alles Dünngold und alle Drahtringe im Dorfe, dem Erhabenen, der Odem und alles schenkt, gegeben ... und ihr wollt nicht ein wenig Goldblech als Dankopfer ihm bringen? Soll er euch segnen und schirmen vor dem Verhängnis des Finstren, so müßt ihr all euer Gold ihm geben, der alles uns gab und gibt!«

Sehr wenige traten zögernd vor und opferten ein sehr kleines Endchen von ihrem Armreif. Andere gaben sich einen Ruck und griffen nach ihrem Ring, aber ihre Hand sank herab, hastig kehrten sie dem Bilde den Rücken zu. Vergebens wartete und winkte der Priester. Alle, alle blieben unter dem Bann des Goldes. Da verhüllte Fred sein Haupt mit den Händen, um seine Tränen zu verbergen.

Die Holzklötze der Götterbilder, die sie Jahrzehnte lang verehrt hatten und jetzt verachteten, warfen sie sofort aus dem Tempel heraus. Fortan wurde das leuchtende Sonnenbild von der ganzen Sippe angebetet.

Als Fred vom Tempel ging, gewahrte er, daß Funda mit dem Topfe, den er ihr bei der ersten Begegnung geschenkt hatte, Wasser schöpfte; er hemmte den Schritt, um einmal in ihren Augen zu lesen. Sie huschte an ihm vorüber, ein inniger Blick küßte ihn, und er hörte ihr hastiges, leises Geflüster: »Fliehen ... in der siebenten Nacht vor dem Tag!« Fundas Entschluß war gefaßt und unabänderlich, seitdem der Häuptling ihr gestern durch die alte Runa mitgeteilt hatte: Nach fünfzehn Tagen möge sie gerüstet sein für ihre Vermählung mit dem Herrn, alles, was sie wünsche, solle sie ihn wissen lassen. Aber Funda hatte keine Wünsche zu melden und betrachtete lange den scharfen, spitzen Bronzedolch, den ihr Fred gegeben. Der war ihr Schutz und ihre letzte Zuflucht. Lieber wollte sie sterben, als das Weib, nein, die Dirne des Unholds sein. Frod belästigte sie sonst nie, weder durch Besuche noch Botschaften, nein, er wartete ohne Ungeduld und Eile, gleichwie ein Schlemmer, der absichtlich den ganzen Tag fastet, um beim Abendschmaus um so gieriger schlemmen zu können.

Fred hatte die Flucht vorzubereiten, an einem geheimen Ort Lebensmittel und Waffen zu sammeln und seine Gold- und Bernsteinschätze so im Fellsack zu verpacken, daß sie schnell ergriffen und leicht getragen werden konnten. Waffen waren genug vorhanden; dieser Schwertfeger des Nordens suchte unter seinen fünfzehn Schwertern das beste sich aus. Um den Glanz und die Schönheit desselben zu erhöhen, putzte und punzte und feilte er an seinem Meisterwerk herum.


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