Hedwig Dohm
Ein Schuss in's Schwarze
Hedwig Dohm

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1. Scene

Marie

Beim Aufziehen des Vorhangs sitzt Marie in einem Armstuhl und hält ein schwarzgebundenes Buch in der Hand, in dem Sie liest.

Marie laut lesend.
"Zu tragen ist die Wunde, die
Von Feindes Hand geschlagen wird,
Doch nicht zu tragen ist das Leid,
Das unsichtbar am Herzen nagt."
Sie erhebt sich und geht langsam und melancholisch dem Fenster zu, indem sie die letzten Worte des Verses wiederholt.
"Das unsichtbar am Herzen nagt."
Sie zieht den Vorhang von Fenster zurück. Wie hell die Sonne scheint, die Vögel singen so lustig. Alles grünt und blüht und duftet. Die ganze Natur athmet in Lust. – Und ich? – Ich bin der Nachtvogel, der sich in den hellen Tag hinein verirrt hat. Das Licht thut meinen Augen weh, ich will den Vorhang wieder schließen. Indem sie am Vorhang beschäftigt ist, blickt sie hinaus und hält mit einer plötzlichen Bewegung inne. Da ist er wieder! traurig wie immer, die Augen zu Boden gesenkt. Ob er aufblicken wird? – Nein – er geht vorüber, wie gestern, wie vorgestern, wie an jedem Tage. Sein Gesicht ist edel, aber der Ausdruck düster. Seine jugendliche Stirn ist gefurcht, der Gram nistet darin. Ich kann mich des Mitleids nicht erwehren, wenn ich ihn sehe – eines tiefen, unaussprechlichen Mitleids. Armer, armer Mann, Du leidest wie ich.

2. Scene

Marie. Fanny.

Fanny hastig eintretend. Gnädige Frau! Marie hört sie nicht, Fanny tritt dicht zu ihr heran und sieht ihr über die Schulter. Gnädige Frau!

Marie erschreckend. Mein Gott – was giebt's?

Fanny Der Wagen Ihres Herrn Bruders, des Herrn von Walther, ist soeben in die Lindenallee eingefahren. Ich sollte Sie benachrichtigen.

Marie Ja wohl – ganz recht. Reich mir meinen Shawl. Habe ich es Dir schon gesagt? Mein Bruder und seine Gattin werden einige Wochen bei uns bleiben. Um unsere Einsamkeit ist es nun geschehen, liebes Kind.

Fanny Ach wie schade. Für sich Gott sei Dank! Sie tritt ans Fenster.

Marie Aber Fanny – was machst Du denn da?

Fanny Da geht er wieder gnädige Frau.

Marie Wer denn?

Fanny Sehen Sie – dort! Da spaziert er hin mit seinen schwarzen Augen, seinem schwarzen Rock und gewiß auch seiner schwarzen Seele! Für sich Neugierig soll ich sie machen, hat Franz gesagt.

Marie indem sie sich die Handschuhe anzieht Was schwatzest Du da für Unsinn?

Fanny Ja, gnädige Frau, es soll eine schreckliche Geschichte sein, die er auf seinem Gewissen hat. Die Leute sagen, es käme ein blutendes Herz darin vor – und ein Dolch, ein Lindenbaum und eine Nachtigall - ach mich gruselt's – wer weiß was unter dem Lindenbaum liegt. Nun sehen Sie einmal, gnädige Frau, wie er vor sich hinstarrt - und er könnte doch wenigstens heraufgrüßen. Thut er nicht gerade, als ob wir gar nicht auf der Welt wären?

Marie für sich Sie hat Recht, grüßen könnte er wenigstens. laut Und du meinst also, daß er eine Geliebte durch den Tod verlor?

Fanny Na – was man so Tod nennt. Wer weiß, vielleicht – Mord oder Selbstmord … Aber hören Sie nicht, gnädige Frau? Der Wagen hält schon vor dem Portal!

Marie Schon? aber was geht mich auch die Geschichte eines Fremden an, der mit vollkommen gleichgültig ist. Schnell ab.

3. Scene

Fanny

Fanny ihr nachsehend Vollkommen gleichgültig? Der Ton war etwas lebhaft, in dem man seine Gleichgültigkeit betheuerte. Nun – wenn Gott will und Fanny ein wenig nachhilft, so wird unsere Trauerzeit hier bald um sein. Noch einen Winter wie den vorigen mit meiner schwarzen Dame, und ichkriege im vollen Ernst die Melancholie – eine gräßliche Krankheit! Schon ertappe ich mich manchmal beim Absingen von Sterbewalzern und Trauerpolkas. Stäubt die Möbel ab. Wenn nicht der lustige Franz noch wäre – das ist doch ein lieber Mensch, ein bischen unverschämt, aber – nett. Es kommt jemand, meine Gnädige gewiß, stürzen wir uns wieder in Melancholie. Singt in langsamen, feierlichen Tempo: "Freut Euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht –"

4. Scene

Franz ist sehr beweglich. Fanny.

Franz fällt in lustiger Weise und im gewöhnlichen Tempo ein "Pflücket die Rose, eh sie verblüht." Will sie umfassen.

Fanny Herr Franz, was ist das für ein Betragen?

Franz Ein hervorragend verliebtes.

Fanny Sie müßten nun doch ein für alle Mal wissen…

Franz einfallend Daß Ihr ganzes Herz an mir hängt.

Fann Sie wollen mir etwas anhängen, wie es scheint. Übrigens habe ich gar kein Herz.

Franz Natürlich nicht, da Sie es mir vor längerer Zeit geschenkt haben.

Fanny Ich bin viel zu sparsam, um etwas zu verschenken.

Franz So sagen wir, daß wir unsere Herzen ausgetauscht haben.

Fanny Wer tauschen will, will betrügen. Übrigens, wenn Ihr Herr ein solcher Leichtfuß ist wie sein Diener, so bereue ich aufrichtig, seiner Liebe für meine gnädige Frau Vorschub geleistet zu haben.

Franz Ich und mein Herr Leichtfüße? Warum nicht gar? Die einzigen Füße, die wir im Dienste unserer Damen verwenden, sind Freiersfüße und Versfüße. Wir sind wahre Sinnbilder der Treue. Seit 2 Jahren 6 Monaten 24½ Tag lebt mein Herr nur noch als ein Schatten der Frau von Gersdorf. Nicht erröthend sondern erbleichend folgte er ihren Spuren von Berlin hierher in diese Einöde. Er verkleidete sich mit Melancholie, er, sonst so hervorragend übermüthig.

Fanny ihn unterbrechend Und wie sonderbar, daß sie ihn nicht einmal kennt, daß er sich nie bemerkbar gemacht hat, nie zu ihr von seiner Liebe gesprochen hat…

Franz Aber Fräulein Fanny, vergessen Sie nicht, daß Frau von Gersdorf damals noch verheirathet war…

Fanny Ach, nur unglücklich…

Franz Gleichviel – er hatte keine Hoffnung. Da starb der Tyrann, unsere Hoffnung lebte auf, und nun schmachten wir schon an die sechs Wochen…

Fanny Und mit Erfolg kann ich Ihnen sagen.

Franz Endlich ein hervorragendes Geständniß aus Deinem Munde, holde Fanny! Will sie umschlingen.

Fanny Von Ihrem Herrn ist die Rede. Anfangs war meine Gnädige neugierig – dann zerschmolz ihr Herz in Mitgefühl, und seit ungefähr 8 Tagen fühlt sie einen unwiderstehlichen Drang, Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr in gewählter kohlpechrabenschwarzer Toilette einen Spaziergang durch den Wald zu machen.

Franz Zwischen 4 und 5? Gerade die Zeit, wo mein Herr denselben unwiderstehlichen Drang spürt, und wo ich mir zuweilen die Freiheit nehme, meine kleine Fanny…

Fanny Fräulein Schmidt – bitte ich – Herr Kutzer! Und jetzt zum letzten Male, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches, mein Herr?

Franz Richtig – fast hätte ich die Hauptsache vergessen. Mein Herr – Herr von Dernburg – läßt Frau von Gersdorf in einer wichtigen, einer Geschäfts-Angelegenheit, um eine Unterredung unter vier Augen bitten.

Fanny Aha, merkst Du was?

Franz Es scheint, man ist zu der Ansicht gelangt, daß die Belagerung lange genug gedauert hat, und der erste Sturmlauf wird gewagt.

Fanny Ich glaube aber, daß die Festung sich noch lange nicht ergeben wird.

Franz Das kommt nur auf das Feuer des Angriffs an- Nähert sich ihr.

Fanny Öffnet ihm die Thür. Mein Herr, ich empfehle mich Ihnen.

Franz Tausend Dank, theure Fanny, daß Sie mir eigenhändig die Pforte öffnen, durch welche wir gemeinsam in den Park, zu einem kleinen harmlosen Stelldichein verfügen wollen. Eine hervorragende Liebenswürigkeit in der That! Zieht die sich sträubende Fanny mit sich hinaus.

Fanny Aber Herr Kutzer. Beide ab.

5. Scene

Marie und Laura kommen Arm in Arm durch eine andere Thür

Laura Noch einmal laß Dich umarmen, liebe, liebliche Waldelfe.

Marie Und Du munteres Weltkind, sei bestens willkommen in meinem verzauberten Schlosse.

Laura Verzaubert? Gehen Gespenster darin um?

Marie Die Gespenster der Einsamkeit und des Trübsinns. Wirst Du Dich nicht vor Ihnen fürchten?

Laura Im Gegentheil – ich will sie bannen.

Marie Und das Zauberwort?

Laura Liebe! Marie schüttelt traurig den Kopf.

Marie Also mein Bruder muß durchaus noch einige Rebhühner schießen, und vor einer halben Stunde dürfen wir nicht auf ihn rechnen?

Laura Eher sicher nicht. Wie es scheint, Du Waldprinzeßchen, Du verzaubertes Dornröschen, schläfst Du noch immer, aber er kommt – er naht…

Marie Wer?

Laura Der Prinz, der Dich wecken soll, der Prinz, der nicht achten wird der Dornen Deines Trübsinns, der Mauer Deiner Abgeschlossenheit. Ich sage Dir, ein junger schöner Prinz mit feurigen Augen und schwarzem Bart, übrigens sieht er mir sprechend ähnlich,

Marie Ach so, Dein Bruder, der liebenswürdige Egon.

Laura Errathen. Ich habe Deinen Bruder geheirathet, so sehe ich nicht ein, warum Du nicht auch den lieben meinen heirathen solltest. Eine Hand wäscht die andre. Marie macht eine abwehrende Bewegung Ich komme nämlich als seine Gesandtin her – ich habe mich für Dich verbürgt –drum sage kein Wort mehr. Du hast auch wirklich nicht den geringsten Grund, meinen armen Bruder unglücklich zu machen. Ist er nicht hübsch und liebenswürdig?

Marie gleichgültig O ja!

Laura Liebes Kind. Sei vernünftig und mache Dir keine Illusionen. Früher oder später mußt Du ja doch wieder heirathen. Ein Gatte gehört zu einer Frau, die in der Gesellschaft leben will, wie der Handschuh zu ihrer Hand.

Marie Dein Bruder kennt mich ja kaum.

Laura Er kennt Dich durch mich. Ich habe ihm von Deiner Schönheit erzählt, von Deiner Liebenswürdigkeit, Deinem Vermögen…

Marie Aha!

Laura Von Deinem Vermögen, einen Mann zu beglücken, meine ich natürlich. Nun Mariechen, fort mit den Bedenklichkeiten, wann ist die Hochzeit?

Marie O schweig, Laura, wenn Du mich nicht kränken und betrüben willst. Ich liebe ja Deinen Bruder nicht, und wenn ich ihn auch liebte, ich würde ihn schwerlich heirathen.

Laura Und warum nicht? Du kannst doch nicht im Ernst lebenslang Wittwe bleiben wollen, weil Dein Seliger Dich unglücklich gemacht hat! Hast Du Dich vielleicht bei der Vorsehung auf schlechte Ehemänner abonnirt? Freilich, Du bist so unschuldig und unerfahren, Dir wäre es besser gewesen, Du hättest gleich mit dem zweiten Gatten anfangen können.

Marie Ich werde niemals eine zweite Ehe eingehen. Die Wunde, die ich davongetragen, ist zu tief gewesen, ich kann kein neues Glück auf Asche bauen.

Laura Aber Marie…

Marie Siehst Du Laura, mit so frohem Sinn und so zärtlichen Lippen wie ich mögen wenige Frauen in die Ehe getreten sein. Mit der ganzen freudigen Liebe meines jungen Herzens wollte ich den Gatten umfassen. Und wie rauh hat er mich zurückgestoßen, wie rauh und abstoßend selbst war seine Zärtlichkeit. Was war ich ihm? Nichts als ein dürftiges kleines Geschöpf zu seinem Dienst und seinem Zeitvertreib. O Laura, daß es solche Ehen giebt, wo wir rettungslos einem bösen Mann angehören und ihm gehorchen müssen, ohne Schutz bei Gott und den Menschen, das hat meinen Glauben zerstört an die Heiligkeit der Ehe, meinen Glauben an die Männer, ja an die Menschheit.

Laura Aber Mariechen, was hat denn die Menschheit mit Deinem seligen Major zu schaffen? Eine mußte ihn doch bekommen. Versicherungen gegen solche Unglücksfälle giebt es nicht. Du bist jung und schön, vergiß ihn, der Dich unglücklich gemacht hat.

Marie Ja wohl, ich kann ihn vergessen, ich habe ihn vergessen, Laura, aber was ich erduldet, hat mich zerstört für immer.

Laura Kürzen wir das "immer" und sagen wir auf zwei Jahre. Die zwei Jahre sind um, Du kehrst in die Gesellschaft zurück.

Marie Niemals. Wollte ich mich mit kaltem Herzen und erloschener Hoffnung unter die Lebenslustigen mischen, ich käme mir vor, wie jene todte Braut aus der Legende, die um Mitternacht aus ihrem Grabe steigt und sich mit den Lebendigen freut. Wenn der Hahn aber kräht, zerfällt sie in Staub.

Laura Du bist närrisch.

Marie sie scheint einen Augenblick mit sich zu kämpfen, dann ergreift sie Laura's Hand und zieht sie in den Vordergrund, als fürchte sie von jemand gehört zu werden. Ich habe Dir nicht Alles gesagt, Laura. Nie sollte es über meine Lippen kommen, ich hatte es mir gelobt. Aber ich will nicht, daß Du mich für einfältig oder närrisch halten solltest. Höre: Eines Tages – es war am dreizehnten Juni – kam er nach Hause, in bösester Laune – er reizte mich wie nie – und ich – zum ersten Male widersprach ich ihm, ich widersprach ihm heftig, da – da, Laura, schlug er mich! Er schlug mich – und dieser Schlag – ich trage ihn wie ein Brandmal, ein Brandmal der Schande. Seit dem Tage wage ich keinem Menschen mehr frei in's Antlitz zu sehen – seit diesem Tage gehe ich in Trauer – nicht um seinetwillen trage ich dieses schwarze Kleid, ich traure um mich, um mein verlornes Leben. Begreifst Du jetzt, daß ich schaudre, wenn man mit mir von einer zweiten Ehe spricht?

Laura Das war entschieden brutal von Deinem Seligen, ich hätte es dem Major, trotz seines Jähzorns, nicht zugetraut. Aber alle Männer schlagen nicht. Ich glaube kaum ein halbes Prozent unter den gebildeten Ständen. Daß der gerade Dich, Du Lilienherz und Aeolsharfe, zum Weibe bekommen mußte, war ein Mißgeschick. Der hätte mich kriegen sollen. In acht Tagen hätte ich diesen Berliner Blaubart gezähmt. Du hast die Ehe zu einfach genommen, liebes Kind. Die Liebe, siehst Du, das ist lauter Gnade Gottes, die Ehe aber ist eine Kunst, und eine arme Frau mit viel Gefühl und wenig Weltverstand wird kläglich darin scheitern, wenn die Vorsehung ihr nicht ein Prachtexemplar von Mann geschenkt hat. Die geborenen guten Ehemänner blühen wie die Blumen der Aloe nur alle 100 Jahr einmal. in den meisten Fällen sind die guten Ehemänner – Frauenfabrikat.

Marie Du magst Recht haben.

Laura Du mußt nicht glauben, daß es z.B. so leicht ist, mit Deinem Bruder fertig zu werden. Er ist unter Anderem von eine räthselhaften Eifersucht. Denke Dir, letzten Winter reiste er mitten in der Saison von Berlin ab und schleppte mich auf sein Gut; warum? weil ein Herr, und dazu noch ein dicker Herr, mir etwas zu stark den Hof machte. Wenn er wüßte, daß ich schon einmal, ehe ich ihn heirathete, heimlich verlobt gewesen bin … Marie, Du wirst mich niemals verrathen?

Marie Wie kannst Du glauben…

Laura Er würde es mir nie vergeben. Er würde behaupten, eine Frau, die einmal ihr Wort gebrochen … sich unterbrechend mein Wort gebrochen, ich bitte Dich, Marie. – Du weißt ja, daß ich meinen Verlobten nur wegen pekuniärer Verhältnisse verließ.

Marie Ich erinnere mich, Du erzähltest mir damals auch, daß er acht Tage nach Deinem Absagebrief sich zur Heilung seines Kummers in den Orient begab.

Laura Ja wohl, und drei Monate später beerbte er einen Onkel. Daß die Menschen doch immer zu früh oder zu spät sterben müssen.

Marie Und Du hast nie wieder von ihm gehört?

Laura Nein. Sehr wahrscheinlich hat ihn entweder der Kummer oder das orientalische Klima hingerafft.

Marie Seinen Namen hast Du mir nie genannt.

Laura Ach, Nichts mehr davon. Und nun bitte ich Dich noch einmal, Marie, heirathe meinen Bruder, Du bekommst eine so nette Schwägerin in mir…

Marie Du bist ja schon meine Schwägerin.

Laura Das hatte ich vergessen.

Marie ist an's Fenster getreten und wird plötzlich sehr zerstreut. Du meinst also …

Laura Er ist wirklich ein vortrefflicher junger Mann.

Marie immer zerstreuter. Das freut mich sehr.

Laura Du bist ja mit einem Male so zerstreut, was hast Du denn? tritt zu ihr an's Fenster. Wer ist denn das? Da spaziert ein schwarzer, junger Herr auf und ab. Ein junger Mann in Deinem Gesichtskreis, Mariechen – ei! ei!

Marie Ein junger Mann? Wo denn? Ich sehe Niemand.

Laura So bist Du blind, oder Du willst ihn nicht sehen. Dort biegt er eben in die Seitenallee ein. – Wie? Du wirst roth? Wer ist es? Heraus mit der Sprache.

Marie Ja richtig, jetzt sehe ich ihn, aber Du beleidigst mich mit Deinen Hintergedanken. Ich kenne diesen Mann nicht.

Laura Du kennst ihn nicht?

Marie Warte einmal – ich erinnere mich, gehört zu haben, daß ein Herr beim Oberförster ein paar Zimmer gemiethet hat. Es soll ein Gemüthskranker sein, der beim Oberförster in Pflege ist.

Laura So – so sieht zum Fenster hinaus

Marie für sich Warum sage ich das nur – aber der Verdacht, den sie hatte, trieb mir alles Blut in's Gesicht – vor Ärger. Könnte ich nur die Lüge zurücknehmen. Laut. Laura, Dein Mann muß im Augenblick hier sein, wollen wir ihm nicht entgegengehen?

Laura Geh' nur immer voraus, ich komme bald nach.

Marie im Abgehen Ich bin voll Zorn gegen mich selbst. Ab

Laura am Fenster Also gemüthskrank ist er? Nicht unmöglich – nur glaube ich nicht daran. Diese Gemüthskrankheit scheint ihr sehr gelegen zu kommen.

6. Scene

Laura. Fanny

Fanny schnell hereinkommend Gnädige Frau, gnädige Frau, denken Sie, der melancholische Herr von Oberförsters läßt Sie dringend um eine Unterredung unter vier Augen ersuchen.

Laura sich umdrehend Was sagst Du da?

Fanny Ach, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, ich dachte, Sie wären gar nicht – Frau von Walther.

Laura hinauszeigend Siehst Du den Herrn dort?

Fanny Den schwarzen Mann? ja.

Laura Sage einmal, Fanny, nicht wahr, der Herrn von da drüben ist ein wenig gestört?

FannyIm Gegentheil, ganz ungestört. Wer sollte ihn auch wohl im stillen Haus des Oberförsters stören?

Laura Aber Fanny – ich meine – hier gestört. auf die Stirn zeigend.

Fanny Ach so, - nein – ich sage Ihnen, gnädige Frau, ganz hell im Kopf, so vernünftig und klug wie Sie oder ich.

Laura Es ist gut, Du kannst gehen, Du brauchst meiner Schwägerin nichts von der Bitte, des melancholischen Herrn zu sagen, ich möchte nicht, daß man sie ohne Noth belästigt. Führe den Herrn herein, sage ihm meinetwegen, daß Frau von Gersdorf nicht zu sprechen sei, und daß ich ihn an ihrer Statt empfangen würde.

Fanny Wie Sie wünschen. Ab.

7. Scene

Laura.

Laura Die Sache wird immer bedenklicher. Eine Unterredung unter vier Augen, Fanny's Verlegenheit, Marien's Erröthen … Das steht fest, dieser Herr, mit oder ohne Spleen, muß entfernt werden, und zwar so schnell als möglich. Wenn ich nur wüßte, wie? Ob ich ihm beiläufig mittheile, daß Marie verlobt ist, oder … ehe ich einen Entschluß fasse, will ich ihn sehen und darnach meinen Plan einrichten. In den Spiegel blickend. Aber wie verstaubt bin ich von der Reise. Schnell noch einen Augenblick Toilette. Ab ins Nebenzimmer.

8. Scene

Fanny. Dernburg.

Fanny singt draußen im lustigen Tempo "Morgenroth, Morgenroth, leuchtest mir zu frühem Tod." Die letzten Worte singt sie im Zimmer, in dem sie sich umsieht, dann spricht sie nach außen. Kommen Sie, Herr von Dernburg, sie ist einen Augenblick in's Nebenzimmer gegangen.

Dernburg hastig und aufgeregt eintretend. Zum ersten Male bei ihr – in ihrem Zimmer – Sofa und Stühle berührend. das sind die Polster, auf denen sie geruht – und da die Blumen, die Bilder, an denen ihre Augen, die süßen haften – und hier die Stickerei, die ihre zarten Finger berührt. Er küßt die Stickerei.

Fanny springt hinzu Um Gotteswillen, da ist ja noch die Sticknadel darin. Sie stechen sich. Nimmt die Nadel weg

Dernburg Und diese Schwägerin, die gerade im kritischsten Augenblick hier erscheinen muß. Ich hasse sie. Und mit ihrem Bruder, sagst Du, will sie des Geldes wegen meinen Engel verheirathen?

Fanny Jawohl, ich habe es deutlich an der Thür gehört – ich ging zufällig vorbei – gehorcht habe ich nicht – und daß er jetzt Rebhühner im Walde schießt und in einer halben Stunde hier sein wird, so etwas sagten sie auch.

Dernburg Familienbande – 's ist doch eine greuliche Bande mitunter. Diese Schwägerin muß entfernt werden, Fannchen, um jeden Preis!

Fanny Umsonst will ich es thun, wenn ich nur wüßte, wie? Sie hat durch das Schlüsselloch gesehen. Sie kommt! Schnell ab.

9. Scene

Laura. Dernburg.

Laura Mein Herr, Sie wünschten mich zu sprechen … Max sieht schnell auf, sie fahren beide erschreckt zurück. Max!

Dernburg Laura!

Laura Du… sich verbessernd. Sie hier! Entsetzlich!

Dernburg Dieser Schreck ist hoffentlich nur ein Aufschrei Ihres Gewissens – kein Urtheil über meine Person.

Laura Schon zurück aus dem Orient?

Dernburg spricht anfangs bitter und spöttisch Schon? nach fünf Jahren. Der eine Zug hatte den Anschluß verfehlt, sonst wäre ich sogar noch einen Tag früher gekommen. Pause der Verlegenheit.

Laura Schnell und im Conversationstone sprechend, um über das peinliche ihrer Lage hinwegzukommen. Ich weiß, Sie haben eine interessante Reise gemacht. Haben Sie schönes Wetter gehabt?

Dernburg Ich danke, mitunter 30 Grad im Schatten.

Laura Sie haben gewiß sehr viel Neues und Schönes gesehen. In Aegypten die Memnonssäule und den Nil, in Indien die Sanskritsprache und den Himalaya …

Dernburg Und in China den Thee und in Mekka den Kaffee …

Laura unwillkürlich vorwurfsvoll Und das heiße Klima, die Cholera, die Wilden und die Meeresstürme, das haben Sie Alles überwunden?

Dernburg Verzeihen Sie, wenn ich von meinem Recht zu leben, einen so ausgedehnten Gebrauch gemacht habe.

Laura Und in Indien werden da noch immer die Wittwen verbrannt?

Dernburg voll Bitterkeit und Zorn. Sie wagen es, meine Gnädigste, an jenen idealen Heroismus indischer Weiber zu erinnern, deren Treue selbst den Tod überwindet, Sie, die das heilige Wort der Treue gebrochen, ohne Gewissensbisse …

Laura Ich versichere Ihnen, es war nicht meine Schuld. Mein Vater, meine Mutter …

Dernburg Ihre Tante, Ihr Cousin – Ich weiß. Sie alle waren dagegen, und ihr Herz …

Laura Lief zur Vernunft über.

Dernburg Seit wann sind Herz und Vernunft Gegensätze?

Laura Wenn die, die wir lieben …

Dernburg sie unterbrechend. Kein Geld haben.

Laura O pfui! vergessen Sie, was geschehen; dem Gatten sollen wir Alles opfern …

Dernburg Selbst den Bräutigam.

Laura Jegliche Erinnerung. Bei Seite: Wie bringe ich ihn nur fort? Laut. Herr von Dernburg, mein Mann ist eifersüchtig, über jede Vorstellung hinaus. Reisen Sie ab.

Dernburg Ich? Nein. Für sich Sie soll abreisen.

Laura Ihre Beständigkeit ist sehr schätzenswerth – aber, Herr von Dernburg, daß Sie mir gefolgt sind bis hierher, daß Sie mich quälen mit Ihrer Liebe – das ist sehr, sehr Unrecht. Ich beschwöre Sie, reisen Sie ab.

Dernburg für sich Die herzlose Närrin glaubt, daß ich um ihretwillen hier bin.

Laura dringend. Sie können sich besinnen? Der Preis Ihrer Abreise ist – meine Hochachtung!

Dernburg Man sieht ihm an, daß er einen Entschluß faßt; mit völlig veränderten Ton. Was verlangen Sie von mir? In den wüsten Steppen Africas, am Ufer des Ganges, wo die Lotusblumen blühen, träumte ich nur von Ihnen, und nun, da mein Traum erfüllt ist, da Sie vor mir stehen, sollte ich abreisen? Nein, gnädige Frau, nicht von der Stelle. Ich bin und bleibe Ihr Schatten, denn niemals kann ich die Stunden himmlischen Glücks und höchster Seligkeit, die Sie zu spenden fähig sind, vergessen, niemals. Er geht auf die Thür zu, riegelt sie zu und bleibt davor stehen.

Laura Um Gotteswillen, was thun Sie, mein Herr, was erlauben Sie sich? Wollen Sie mich compromittiren?

Dernburg Möglich; aber was liegt daran? Wer fragt nach Rücksichten, wo es sich um die heftigsten und zartesten Gefühle des Herzens handelt? Wenn ich ein Weib liebe, so möchte ich es ausschreien in alle Winde blasen, möchte ich es von den Kirchtürmen, ja ich wünschte, mein Herz wäre eine Glocke, die in alle Welt hineinläutete: Ich liebe – Laura.

Laura Genug, mein Herr. Mein Gatte …

Dernburg Es giebt Duelle.

Laura Haben Sie den Verstand verloren? Plötzlich erschreckend für sich: Mein Gott, was fällt mir ein? Sein Wesen, seine unsinnigen Worte – wie sagte Marie? – Gemüthskrank! – So ist's – der Unglückliche! die Liebe zu mir hat ihm den Verstand geraubt.

Dernburg heftig Laura, wollen sie mich jetzt hören?

Laura erschrickt Gewiß. gewiß, mein Herr. für sich. Tiefsinnige bekommen leicht Wuthanfälle, ich muß ihm nachgeben – die Thür ist verriegelt – ich vergehe vor Angst.

Dernburg steht an der Thür, Laura am Fenster; im Laufe des Gesprächs wechseln sie allmählich die Plätze, so daß sie der Thür, er dem Fenster immer näher kommt.

Dernburg Sie hassen mich vielleicht?

Laura wie um ihn zu beschwichtigen. Glauben Sie das ja nicht – im Gegentheil.

Dernburg Sie lieben mich?

Laura mit Überwindung Ich … ich - liebe Sie.

Dernburg wischt sich die Stirne ab; für sich Herr des Himmels! Laut Sie lieben mich über alle Maßen?

Laura Ich liebe Sie über alle Maßen.

Dernburg sehr kalt Das ist ja ein grenzenloses Glück für mich, die Wonne faß ich kaum! Für sich Da sitz ich fest, sie liebt mich noch, hätte ich das ahnen können! aber fort muß sie – um jeden Preis. Laura hat unterdessen versucht, die Thür aufzuriegeln, es ist ihr aber nicht gelungen.

Laura sehr sanft Mein lieber Max – wollen wir nicht draußen ein wenig promeniren?

Dernburg Ja wohl – später. Arm in Arm, Aug' in Aug' wollen wir in den dunklen Alleen des Buchenwaldes wandeln, liebe Laura.

Laura Ja, Aug' in Aug' wollen wir wandeln, lieber Max.

Dernburg für sich entsetzliche Umwandlung! Vergrößern wir die Schrecken. Laut. Laura, Sie kennen mich noch nicht, erfahren Sie denn, daß ich keine sentimentale Grasmücke bin, sondern eine dämonische Natur. Diese einsamen, friedlichen Spaziergänge genügen mir nicht. Hören Sie, Nachts, wenn Alles schläft, werde ich unter Ihrem Fenster erscheinen, ich werde ein Lied singen.

Laura Ich werde auch ein Lied singen.

Dernburg Sie werden das Fenster öffnen.

Laura Ich werde das Fenster öffnen.

Dernburg Ich werde eine Leiter anlegen.

Laura Ich werde auch eine Leiter anlegen.

Dernburg heftig. Das brauchen Sie ja nicht, Sie sind ja schon oben.

Laura Richtig, ich bin ja schon oben. Für sich. Ich sterbe vor Angst! Beschäftigt sich an der Thür.

Dernburg für sich Empörend – kaum halte ich mich vor Entrüstung, das ist ja eine Corruption, die alle Grenzen übersteigt – ich wünschte, ich wäre hundert Meilen von mir – wie entgehe ich dieser Laura? Versuchen wir doch das Äußerste.

Laura für sich Gott sei Dank, der Riegel schiebt sich … Laut. Max, wollen wir nicht ein wenig Luft schöpfen – draußen?

Dernburg faßt ihre Hand und führt die Widerstrebende von der Thür fort. Noch einen Augenblick, Laura, Sie sollen mich ganz kennen lernen. Einer dämonischen Natur, wie ich es bin, ist auch mit diesem Rendezvous noch nicht Genüge geschehen. Sie müssen mein sein, mir gehören für alle Zeit. Wir müssen fliehen. Fliehen wir, Laura!

Laura Ja, fliehen wir, Max …

Dernburg Weit über das Weltmeer.

Laura Weit über das Weltmeer.

Dernburg Bis nach Australien.

Laura Bis nach Australien.

Dernburg drohend Oder ziehen Sie Californien vor?

LauraFliehen wir nach Californien. Sie versucht die Thür zu öffnen; sie giebt nach.

Dernburg für sich. Wie entkomme ich dieser schrecklichen Lage? Blickt zum Fenster hinaus. Heut' Nacht also, wenn der Vollmond scheint.

Laura Wenn der Vollmond scheint …

Dernburg Werden wir uns am Ausgang des Parkes treffen – unter dem Lindenbaum.

Laura Unter dem Lindenbaum.

Dernburg ans Fenster tretend Dort im Park sehe ich rothe Rosen, warten Sie einen Augenblick auf mich, theure Laura, ich werde Ihnen eine rothe Blume holen, Sie sollen sie als Kennzeichen am Busen tragen – Vergessen Sie nicht, wenn die Glocke zwölf schlägt …

Laura mit schwacher Stimme Wenn die Glocke zwölf schlägt.

Dernburg will zum Fenster hinaus springen, in demselben Augenblick hat Laura die Thür geöffnet und stürzt fort.

Laura im Hinausgehen Gerettet!

Dernburg kommt vom Fenster zurück.

10. Scene

Dernburg. Fanny.

Dernburg Gott sei Dank, sie ist fort! Welch ein Weib! Welch eine Gesellschaft! Diese Verderbtheit könnte einem im vollen Ernst die Welt und die Menschheit verleiden. Hoffentlich war diese Lektion stark genug, um ihr den Aufenthalt hier unmöglich zu machen.

Fanny steckt den Kopf durch die Thür Sie kommt! ab

Dernburg Jetzt gilt es, die Geliebte zu gewinnen. An dieser Stunde hängt mein Geschick. Ich spiele den Sonderling, den Melancholiker. Auf dem Wege der Wahlverwandtschaft will ich mich in ihre Gunst stehlen. – Wäre es wahr, was Fanny sagt, daß ihr Herz mir schon gehört? Ich will nicht darauf bauen. Er nimmt ein Buch, und giebt sich den Anschein, als bemerkte er das Eintreten Mariens nicht.

11. Scene

Marie. Dernburg.

Marie nachdem sie Dernburg einen Augenblick stumm betrachtet hat Sie ließen mich um eine Unterredung bitten mein Herr, ich bin bereit, Sie zu hören.

Dernburg Er vermeidet während des ersten Theils dieser Scene Marien anzublicken, nur wenn er sicher ist, daß sie es nicht bemerkt, ruhen seine Augen auf ihr. Um Einförmigkeit zu vermeiden, muß er seine Blicke abwechselnd zu Boden senken, aufwärts richten, in's Leere schweifen lassen u.s.w. Ich habe eine Bitte vorzutragen.

Marie Wollen Sie nicht Platz nehmen?

Dernburg Ich danke Ihnen, ich ziehe vor, zu stehen. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist mit drei Worten abgethan.

Marie für sich Wie unhöflich – und er sieht nicht einmal auf. Laut Sprechen Sie, ich höre.

Dernburg Liegt Ihnen sehr viel daran, gerade hier, auf diesem Gute, Ihr Leben zu beschließen?

Marie Wie, mein Herr? Ich verstehe Sie wohl nicht recht – Sie wünschen …

Dernburg Daß Sie dieses Schloß verlassen. Sie haben das Recht, eine Erklärung dieser ungewöhnlichen Bitte zu fordern. Ich will sie Ihnen nicht vorenthalten. Sie sehen in mir einen unglücklichen, einen sehr unglücklichen Mann. Ein am Glück Schiffbrüchiger floh ich in diese Einsamkeit wie auf eine Oase, nicht um zu gesunden – nein –um zu vergessen. Das Geräusch aber, das laute Treiben, das Sie hier veranlassen …

Marie Mein Herr, Ihre Worte setzen mich in Erstaunen. Ich werde meinen Landsitz nicht verlassen.

Dernburg Auch um meinetwillen nicht?

Marie Um Ihretwillen am allerwenigsten.

Dernburg Ich war auf eine abschlägige Antwort gefaßt. Vielleicht giebt es ein anderes Auskunftsmittel. Sind Sie reich?

Marie Was kümmert Sie das?

Dernburg Ich bin reich Für sich Es kann nichts schaden, wenn sie es weiß. laut Ich werde Ihnen Ihr Gut abkaufen. Zieht eine Brieftasche heraus. Was kostet es?

Marie Mein Herr, Ihr Benehmen ist beleidigend. Sie tritt ziemlich nahe an ihn heran, um von ihm angesehen zu werden. Er tritt einige Schritt zurück. Ich habe bis jetzt nicht daran gedacht, mein Gut zu verkaufen, und ich werde es niemals verkaufen.

Dernburg Nach Ihrem Tode indessen …

Marie Wie – Sie spekuliren auf meinen Tod? Für sich Er hält mich für alt, der Thor! Laut Es thut mir leid, ich werde mich selbst auf Ihren Wunsch weder von diesem Landsitz, noch aus diesem Leben entfernen. Damit können wir wohl unsere Unterredung als beendet betrachten.

Dernburg Ich sehe wohl, die einfache Offenheit meiner Worte hat Sie verletzt, wie aber sollte der, dem das ganze Leben nichts ist, als ein Kriechen in's Grab, über anmuthige Rede gebieten? Kann eine Leier klingen, wenn die Saiten zerrissen sind? Und eine solche zerrissene Leier ist meine Brust. Sie freilich wissen nichts von jener tiefen Melancholie, von jener höchsten Verzweiflung, die des Menschen Herz zu einem Abgrund macht, der gierig jede Lebenslust verschlingt. Wenn ich recht berichtet bin, so sind Sie ein Weib. Frauen, sie mögen jung und schön, oder alt und häßlich sein …

Marie Bin ich auch alt und häßlich, mein Herr, so begreife ich doch vollkommen jenen unaussprechlichen Lebensüberdruß, an dem Sie leiden – ja noch mehr, ich theile ihn. Auch ich spreche mit dem Dichter: "Mein Inneres schaudert auf! – Was ist der Mensch?"

Dernburg Was ist der Mensch! Ja wohl. Aus Ihren Worten weht mich ein inniges Verständniß wahrer Melancholie an. Sie gehören sicher nicht zu jenen Närrinnen, die sich mit königlichen Purpur des Schmerzes drappiren, weil ein rauher Luftzug sie verletzt hat, die unglücklich sind, weil sie einmal Unglück gehabt haben.

Marie Urtheilen Sie nicht vorschnell, mein Herr, vergessen Sie nicht, daß es zarte Blüthen giebt, die ein einziger Sturm für immer knickt.

Dernburg Warum vergleichen Sie die unsterbliche Menschenseele mit einer schwachen Blüthe, warum nicht mit einem stolzen Baume? Fährt der Sturm durch seine Zweige, so kräftigen sich seine Wurzeln, und ist er vorüber, strebt der Wipfel um so stolzer empor. Selbst eine Aeolsharfe bleibt ohne Windstoß stumm. Sie werden es mir kaum glauben, aber ich habe Frauen gekannt, rothwangige Frauen mit dem besten Appetit, die, weil ein Schlag …

Marie auffahrend Wie?

Dernburg fortfahrend Ein Schlag des Schicksals sie getroffen, zeitlebens in langen, schwarzen Schleppgewändern auf Erden umher wandeln – allerdings standen sie ihnen auch gewöhnlich ganz gut; sie trugen schwarze Handschuhe.

Marie zieht wie in Gedanken ihre Handschuhe aus), sie verhüllen ihr Haupt mit Flor, anstatt es mit Rosen zu schmücken.

Marie Für sich Wie heiß es ist! Sie zupft erst an ihrer Florhaube und nimmt sie dann ganz ab. Ihr Haar quillt in reicher Lockenfülle daraus hervor.

Dernburg Das sind Frauen, die täglich einnehmen – zum Trauern, ein paar Löffel Erinnerungen. Sie fertigen sich selbst sieben Schwerter an, aber von Holz, heften sie an ihr Trauergewand, stellen sich auf ein Piedestal und schreiben darunter: Mater dolorosa. Sie machen ihrem Zimmer eine schwarze Toilette und nennen den chronischen Schnupfen, an dem ihre Seele leidet – Schwermuth. Diese Frauen trauern – auf Applaus.

Marie Sie hat aus einer Vase eine rothe Rose genommen und befestigt sie in ihrem Haar. Ihr Urtheil ist hart, mein Herr und trifft gewiß nur wenige Frauen, mich gewiß nicht. Sie tritt ihm abermals näher, er weicht zurück. Haben Sie ein böses Gewissen, daß Sie so krampfhaft die Augen in's Leere richten? Fürchten Sie sich vor einer alten häßlichen Frau?

Dernburg Ich sollte mich fürchten? Er blickt sie an, und läßt eine Erregung wahrnehmen, die er aber sogleich wieder überwindet – gleichgültig. Sie sind ja gar nicht so alt und häßlich, wie Sie sagen.

Marie O, Sie sind sehr gütig. Sie spotten über das Unglück schwacher Frauen. Sie sind mitleidslos wie alle Männer. Auch Sie würden ein Tyrann sein.

Dernburg mit Feuer. Ich? ich? ein Tyrann? Ehe ich die Frau, die ich liebe, mit einem Wort, einem Blick verletzte, ehe sollte mein Mund auf ewig verstummen, meine Augen erblinden. Jede Thräne, die sie um mich weinte, würde wie ein Feuertropfen auf meine Seele fallen. Wenn ich höre, daß ein Mann seine Frau mißhandelt, so kann ich es kaum glauben. Sähe ich es – ich würde ihn tödten.

Marie ihm freudig erregt die Hand reichend. Sie sind ein guter, edler Mensch, ich danke Ihnen.

Dernburg behält Mariens Hand in der seinen. Möchten Sie doch wieder an die ganze Menschheit glauben. Und je länger ich Sie betrachte, je unnatürlicher erscheint mir Ihre Melancholie. Ihr heiterer Mund, Ihr glänzendes Auge …

Marie ihm die Hand entziehend Sie haben meine Hand vergessen. Sie täuschen sich – meine Melancholie ist unheilbar.

Dernburg Wirklich? Mir scheint, als gäbe es nur zwei Quellen, aus denen alle Melancholie entspringt: aus Liebe oder aus Haß. Die Melancholie aus Haß ist das Erbtheil jener engen Herzen und beschränkten Köpfe, von denen ich vorhin sprach, jener Schwächlinge, die, weil sie auf der Jagd nach dem Glück einmal gestürzt sind, den Menschen und den Sternen fluchen. – Ich verletze Sie doch nicht?

Marie O nein – ich bin bewegt – ich danke Ihnen, vielleicht haben Sie Recht. Und jene – jene andere Melancholie aus – Liebe?

Dernburg mit Pathos Das ist jener große Trübsinn, der uns ergreift um der Menschheit ganzen Jammers willen.

Marie Und an dieser Melancholie sind Sie erkrankt?

Dernburg mit tiefer Empfindung Nein – nicht an dieser Melancholie der Vernunft. Die Melancholie des Herzens, der ich verfallen bin, hat mit der Liebe für das ganze Menschengeschlecht nichts gemein, - im Gegentheil, sie weiß nichts von dem Menschengeschlecht, denn sie kennt auf der ganzen Erde nur ein Wesen. Das ist die Liebe – die hoffnungslose zu einem Weibe. Und an einer solchen Melancholie bin ich krank, denn ich liebe ein Weib, heiß, inbrünstig, hoffnungslos.

Marie erregt Seit kurzem erst?

Dernburg Seit zwei Jahren.

Marie traurig Das ist sehr lange. Und dieser Trübsinn ist ebenfalls unheilbar.

Dernburg O nein, zuweilen endet ihn – ein Pistolenschuß.

Marie für sich Armer junger Mann, wer ihm helfen könnte. Laut: Und hoffnungslos, sagen Sie, ist ihre Liebe? Warum hoffnungslos? Sind Sie nicht jung? Haben Sie nicht Herz und Geist? Sollte man Sie wirklich so wenig liebenswerth finden? Oder weilt sie fern von Ihnen, die Sie lieben?

Dernburg Fern? o nein. Für sich: Ob ich es wage? Laut: Sie weilt hier in diesem Schloß – wenn ich den Arm austrecke – ich könnte sie fast erreichen. Marie macht eine Bewegung des Erschreckens. Dernburg für sich: O weh, sie erschrickt. Laut: Aber ach, sie ist unerreichbar für mich.

Marie Vermählt?

Dernburg Gleichviel – ich habe nichts zu hoffen. Er wendet sich ab.

Marie für sich Seit zwei Jahren – und hier im Schloß – sollte Laura – unmöglich. sehr schnell und laut Nicht wahr, Herr von Dernburg, meine Schwägerin, Frau von Walther kennen Sie nicht?

Dernburg mit Bewegung Ich kenne sie.

Marie Lange?

Dernburg Sehr lange.

Marie Intim? Sie muß aus Dernburgs Worten seine innere Bewgung heraushören und sie mißverstehen

Dernburg Sehr intim. Für sich Sie weiß von meiner Verlobung. Laut Wenn Laura Ihnen gesagt haben sollte…

Marie tief erregt Laura?! Für sich Sie ist's also.

Dernburg Nicht ich trage die Schuld, gnädige Frau – Laura war es …

Marie Ihn schnell unterbrechend Wie – Sie wagen es eine Frau anzuschuldigen! Sind Sie denn ebenso feig wie gewissenlos? Dernburg will sprechen Kein Wort weiter. Sie haben gewagt, mir ein Geständniß zu machen, das mich auf's tiefste beleidigt. Entfernen Sie sich auf der Stelle, lassen Sie sich nie wieder vor meinen Augen sehen.

Dernburg Gnädige Frau, ich beschwöre Sie …

Marie energisch Entfernen Sie sich!

Dernburg mit einer Geberde schmerzlichen Erstaunens ab.

12. Scene

Marie.

Marie in großer Erregung Abscheulich – unerhört – noch faß ich's kaum. Bleibt plötzlich stehen Mein Gott – was ist denn abscheulich und unerhört? Wußte ich denn nicht längst, daß eine reine Liebe in dieser Welt des Truges nichts als ein leerer Begriff ist, ein Lichtstrahl, den der Sturmwind widriger Leidenschaften verweht. – Einen Augenblick kam es wie Hoffnung über mich! – Du armes Herz, noch immer hegst Du Illusionen – wann werden sie endlich todt sein – alle todt! auffahrend Und ich bebte unter seinen Worten wie eine Schuldige – ich steckte mir diese Blume ins Haar – um ihm zu gefallen that ich es. Fort mit Dir, Du Symbol der Freude, Du rothe Rose. Sie wirft die Rose zu Boden Ach – ich werde niemals wieder lieben. – Wie lange das Leben ist! Sie verbirgt weinend ihr Gesicht in den Händen.

13. Scene

Laura. Marie.

Laura noch in der Thür Ich suche Dich überall.

Marie aufschreckend Gut, daß Du kommst. Ich wollte eben Dich aufsuchen

Laura Willst Du etwas von mir?

MarieIch wollte Dir nur mittheilen, daß ich Deinen Bruder niemals heirathen werde. Mein Entschluß ist unwiderruflich. Ich sterbe als Wittwe.

Laura Woher mit einem Male diese leidenschaftliche Entschiedenheit?

Marie Ich habe mich von Neuem überzeugt, daß die Männer um der niedrigsten Leidenschaft willen Ehre und Pflicht verrathen.

Laura Und wie und wo hast Du Dich denn in solcher Geschwindigkeit von Neuem überzeugt?

Marie verwirrt Wie und wo? Ich habe nachgedacht.

Laura Eine volle Viertelstunde? Dein Verstand scheint heute seinen bon jour zu haben.

Marie Eine Minute genügt oft, eine Hoffnung aufzubauen und eine Hoffnung für immer zu zerstören. Und was ich Dir noch sagen wollte – der junge Mann – Du weißt – der beim Oberförster wohnt – ich habe mit ihm gesprochen; wie konntest Du ihn so gewissenlos umstricken! Du kennst ihn wohl schon sehr lange? Laura für sich Ob ich ihr vertraue? Nein. lieber nicht. Laut: O ja, wir sind gute alte Bekannte.

Marie mit unterdrückter Bewegung Und er hat mit Dir von seiner Neigung gesprochen?

Laura Und mit einer Leidenschaft sage ich Dir – empörend.

Marie Ja wohl – empörend ist Deine Koketterie. Du bist verheirathet …

Laura Ein Grund mehr kokett zu sein. Wenn mir andere Leute nicht die Cour machen, merkt mein Mann ja gar nicht, was für eine remarkable Frau ich bin.

Marie Ich aber werde dieses Leichtfertige Spiel nicht dulden. Dein Benehmen…

Laura Meine gute Marie, glaubst Du etwa, Dein Betragen errege keinen Anstoß? auch über Dich raunt man sich in den Salons allerhand zu.

Marie Über mich? Unmöglich.

Laura ihr in's Ohr flüsternd Man sagt, wie andere Leute von der Gelbsucht, so wärst Du von der Schwarzsucht befallen. Der Krepp, den Du trägst, sagt man – sei kein legitimer Krepp. Und Du hättest bereits aus Afrika schwarze Köchinnen und Stubenmädchen verschrieben – wegen der Trauer. Und Du tränkest nur schwarzen Kaffee – sagt man – wegen der Trauer – und Du färbtest Dir – sagt man …

Marie erschreckt Was?

Laura sehr laut Die Augenbrauen – wegen der Trauer.

Marie O über diese Bosheit – es wäre töricht, wollte ich mich darüber ärgern. Geh' doch in Dich, Laura! Ist es nicht abscheulich, Jemandem eine Liebe einflößen zu wollen, die man selber nicht empfindet?

Laura spöttisch Immer noch besser als eine Liebe empfinden, die Anderen einzuflößen man nicht im Stande ist.

Marie Du willst mich beleidigen.

Laura Wenn es Dich beleidigt, daß jener schwarze Mann mich liebt.

Marie Ja gewiß, es beleidigt mich. Du bist die Frau meines Bruders.

Laura Deine schwesterliche Liebe nimmt ja mit einem Male gewaltige Dimensionen an.

Marie O Laura – mein ganzes Herz empört sich – das ertrage ich nicht. Ich muß in's Freie, wieder einmal reine Luft athmen. Will fort.

Laura ruft ihr nach Du – Marie, er ist nicht mehr im Park.

Indem Marie zur Thür hinaus will, tritt ihr Friedrich entgegen.

14. Scene

Friedrich im Jagdanzug. Laura. Marie.

Marie ihn stürmisch umarmend O mein Bruder.

Laura stürzt ihm ebenfalls in die Arme O mein Friedrich. bist Du endlich da!

Friedrich sich losmachend Um Himmels Willen – Vorsicht! Es ist noch ein Schuß in der Flinte. Er nimmt die Flinte ab und stellt sie in eine Ecke. So – das steht sie sicher – nicht daran rühren. – Guten Morgen, liebe Kinder. Was bedeutet denn dieser Sturmlauf an mein Herz? Daran bin ich ja gar nicht gewöhnt. Blickt von Einer zur Anderen. Nun – was ist das? Düstere Blicke – finsteres Schweigen – was giebt es denn?

Laura Nichts Besonderes. wir haben uns gezankt.

Marie Ach Friedrich, ich bin sehr unglücklich.

Friedrich Das weiß ich schon lange, Schwesterchen, und mein Recept ist immer dasselbe: Heirathe!

Marie Ich will Deinen Spott nicht länger ertragen. Schnell ab.

Friedrich Ihr nachrufend, indem er bei seiner Jagdtasche beschäftigt ist. Mariechen – hier Rebhühner zum Souper – sie hört mich nicht – fort ist sie.

15. Scene

Friedrich. Laura.

Laura für sich Wir müssen abreisen – noch heut. Ich weiß das Mittel ihn fortzubringen.

Friedrich noch immer mit der Jagdtasche beschäftigt Nun Lauretta meiner Seele sprich Dich aus. Habt Ihr Euch wirklich darum gezankt, wer von Euch mich zuerst umarmen darf.

Laura Das war eigentlich nicht die nächste Ursache. Deine Schwester ist neidisch auf mich.

Friedrich Darauf, daß Du einen so vortrefflichen Gatten hast.

Laura Geck. Nein – es hat sich wieder einmal einer in mich verliebt und nicht in sie. Das ist es.

Friedrich Das muß ein merkwürdiger Mensch sein.

Laura Du bist wohl gar nicht eifersüchtig, mein Freund?

Friedrich gähnend Nein – aber müde. Für sich, indem er sich eine Cigarre ansteckt Dieser Verleibte existirt gar nicht, ich möchte darauf schwören. Warum sie mich nur eifersüchtig machen will?

Laura Der Mann, der mir huldigt, ist jung und feurig.

Friedrich I, das ist mir lieb. Da brauche ich ganz und gar nicht eifersüchtig zu sein. Aus jugendlichem Feuer machst Du Dir nichts, sonst hättest Du dich niemals in mich verliebt. Hat Dein Anbeter Geist?

Laura verlegen Geist? seufzend: Ich glaube, er hat viel Geist – gehabt.

Friedrich der nur halb hinhört Soso, er hat also Geist? Das freut mich, so wird seine Neigung zu Dir nicht von langer Dauer sein.

Laura Willst du damit sagen, daß ich einfältig bin?

Friedrich Im Gegentheil, ich meine nur, er müßte denn doch bald merken, daß Du die tugendhafteste Person von der Welt bist.

Laura Sehr schön, mein Freund, vergiß aber nicht, daß es eine Beredtsamkeit der Leidenschaft giebt, die Steine erweichen kann, einen Sirenenton der Liebe, der mit seinem Zauber …

Friedrich Das Herz schwacher Weiber umgarnt. Du aber bist ein starkes Weib.

Laura Natürlich, selbstverständlich, aber Du weißt ja gar nicht, wie nervös ich bin.

Friedrich Du sagst das in einem Ton – beleidigt es Dich etwa, daß ich Dich für tugendhaft halte?

Laura O nein, aber es ist kein gar zu großes Vergnügen, immer nur seine Tugend loben zu hören, man hat denn doch auch andere Eigenschaften … für sich Er denkt nicht an's Abreisen, ich vergehe vor Angst. Laut Glaube mir, mein Freund, es giebt im Leben der meisten Frauen Augenblicke…

Friedrich Ich habe gar keine Angst, meine kleine Laura – ich bin ein so netter Mensch – und so reich – Du läufst mir nicht davon.

Laura Jetzt wirst Du beleidigend.

Friedrich steht in einer Ecke des Zimmers, so daß er von dem eintretenden Dernburg nicht gleich gesehen werden kann.

16. Scene

Vorige. Dernburg.

Dernburg schnell eintretend, für sich Mein Benehmen war unwürdig, ich sage ihr die volle Wahrheit. Laut, ohne Friedrich zu sehen Frau von Walther, Verzeihung, wenn ich noch einmal wage …

Laura heftig erschreckend, leise Was wollen Sie hier? Entfernen Sie sich auf der Stelle Sie macht ihm Zeichen und deutet auf ihren Gatten.

Dernburg für sich Ah, - der Bruder – Marien's Bewerber. Er ist vielleicht der Großmuth fähig. Laut Mein Herr …

Friedrich Was steht zu Diensten? Mit wem habe ich die Ehre?

Laura für sich Gott, mein Gott, wie soll das enden? Schnell ab.

Dernburg Mein Herr, ungewöhnliche Lagen rechtfertigen ungewöhnliches Betragen. Gestatten Sie mir, daß ich unsere Bekanntschaft mit einer confidentiellen Mittheilung eröffne. Friedrich fordert ihn durch eine Geste auf, Platz zu nehmen. Ich lebe hier auf diesem Dorf um einer Frau willen…

Friedrich ihn unterbrechend In die Sie wahnsinnig verliebt sind.

Dernburg Errathen. Es ist dieselbe Frau, die Sie lieben, oder zu lieben glauben.

Friedrich bei Seite Der mir von Laura angedrohte Liebhaber – er existirt also. Laut Und Sie suchen mich auf, um mir zu sagen, daß Sie Ihre Zudringlichkeit bereuen und sich sofort zurückziehen werden.

Dernburg Keineswegs – um das letztere wollte ich Sie bitten!

Friedrich Bescheidener junger Mann!

Dernburg Mein Herr, ich wende mich an Ihr großmüthiges Herz, das Sie gewiß besitzen, an Ihr Ehrgefühl, das ich Ihnen zutraue. Sie beanspruchen eine Frau, die Sie nicht lieben …

Friedrich Oho!

Dernburg Widersprechen Sie nicht, sie paßt ganz und gar nicht für Sie.

Friedrich für sich Was der für einen Blick hat.

Dernburg Sie werden von ihr nicht geliebt.

Friedrich Hat sie Ihnen das anvertraut?

Dernburg So etwas fühlt man. Mein Herr, wenn sie menschlicher Theilnahme fähig sind, so verzichten Sie auf diese Frau.

Friedrich Weiter verlangen Sie nichts?

Dernburg Ich weiß, was Sie an diese Frau fesselt. Ich will Ihnen Vertrauen schenken wie einem Freunde. Eine junge Anverwandte von mir, hübsch, jung und reich, ist mir zur Gattin bestimmt. Tauschen wir …

Friedrich Mein Herr, sind Sie verrückt, oder kommen Sie dírect aus Otahaiti?

Dernburg Das letztere – ungefähr. Warum aber sollte ich verrückt sein, weil ich nur mit dieser einen Frau glücklich werden kann?

Friedrich Mit meiner Frau will er glücklich werden.

Dernburg Ihre Frau!

Friedrich Mit Ihrer Erlaubniß – vorläufig noch meine Frau.

Dernburg Sie sind - mit ihr – verheirathet! entsetzlich. Ich glaube Ihnen nicht.

Friedrich drohend und ernst Wenn ich Sie bis jetzt angehört habe, so geschah es, weil ich in Zweifel war, ob Sie ein orgineller Hanswurst sind, oder – ein Schurke.

Dernburg aufspringend Zuviel, mein Herr, das habe ich nicht verdient. Wohlan – Sie haben es gewollt. Möge Gott mir verzeihen, wenn Ihr Blut der Kaufpreis wird für Marien's Besitz.

Friedrich erstaunt Marie sagen Sie? Von wem sprechen Sie?

Dernburg Von Ihrer Braut, der Frau von Gersdorf.

Friedrich Und mich halten Sie?

Dernburg Sind Sie nicht der Bruder von Frau von Walther?

Friedrich lacht laut auf Ein Bruder bin ich allerdings – aber, wenn Sie erlauben, der Bruder der Frau von Gersdorf. Das kommt davon, wenn die regelrechten Vorstellungen unterbleiben. Ich thue Ihnen nachträglich meine Schuldigkeit. Vorstellend von Walther.

Dernburg ebenso Mein Name ist Dernburg.

Friedrich Verwandt mit den Dernburgs auf Bruckenwalde?

Dernburg Mein Onkel ist augenblicklich Besitzer des Majorats. Ich bin sein Erbe.

Friedrich Eine vortreffliche Familie. Freue mich sehr, Sie kennen zu lernen. Schüttelt ihm die Hand

Dernburg Und Sie sind Marien's Bruder, Sie Glücklicher – lassen Sie sich noch einmal die Hand drücken. Mehrmaliges herzliches Händeschütteln.

Friedrich Also Sie lieben meine Schwester? Capitaler Einfall. Mein Schwager, der junge Lieutenant, für den Sie mich hielten – übrigens sehr schmeichelhaft für mich – ist ein Sausewind, vor dem ich meine Schwester in Sicherheit bringen möchte. Erwiedert Marie Ihre Neigung?

Dernburg Ich wagte es zu hoffen, seit einer halben Stunde indessen bin ich schwankend, ich fürchte…

Friedrich Ja, diese Weiber und ihre Launen, wer kennt sie jemals aus? – geht im Zimmer auf und ab. Was ist da zu machen? – Halt – ich habe einen Einfall – einen Einfall ersten Ranges – Ich liebe schnelle Entscheidungen. Wir wollen sogleich über die Herzensangelegenheiten der melancholischen jungen Dame in's Klare kommen. Spaziren sie einen Augenblick in's Nebenzimmer.

Dernburg Aber Herr von Walther, ich verstehe nicht.

Friedrich Ist auch nicht nöthig. Gehorchen Sie.

Dernburg Aber …

Friedrich Kein aber. schiebt ihn in's Nebenzimmer und macht die Thür hinter ihm zu. Empfehle mich Ihnen. Wenn Sie wollen, können Sie horchen.

17. Scene

Walther allein.

Friedrich Nun, wir wollen doch einmal sehen – er nimmt die Flinte und schießt sie zum Fenster hinaus ab. Der Knall darf nicht stark sein. So – der Knall wird sie hoffentlich in die Falle locken. Er legt ein Kissen und eine große Decke aufs Sofa und arrangiert beides dergestalt, daß es aussieht, als läge ein Mensch darunter. Ein Kissen, eine Decke, - hier noch ein wenig gestopft – da eine Falte. Nun soll mir einer sagen, daß da kein Erschossener darunter liegt. Und jetzt – der Mörder! Er sträubt sich sein Haar und rollt mit den Augen. Aha, sie kommen schon. Laura und Marie stürzen herein.

18. Scene

Walther. Laura. Marie. Später Dernburg

Laura Was ist geschehen? ein Schuß – um Gottes Willen Friedrich, wie siehst Du aus?

Friedrich Was geschehen ist? – ein Unglück ist geschehen. Er stellt sich vor das Sofa, als wolle er ihnen den Anblick desselben entziehen.

Laura Sprich – o sprich Laura und Marie werfen scheue und entsetzte blicke auf das Sofa.

Friedrich Der junge Mann – ich gerieth in Streit mit ihm, zu Marie um Deinetwillen, Marie, er hatte die Unverschämtheit, mich um Deine Hand zu bitten. – Ich hatte die Flinte ergriffen – um in's Freie zu gehen; in meinem Zorn handhabe ich sie etwas gewaltsam – die Flinte entladet sich – und –

Laura Er ist – ich schaudere – verwundet –todt? Friedrich macht ein bejahendes Zeichen.

Marie die bis dahin in dumpfer Erstarrung gestanden hat. Todt?! Es kann nicht sein – er soll nicht todt sein – es wäre gräßlich. – bin ich denn jemals unglücklich gewesen? – nein – erst jetzt bin ich es – ich habe mein eigenes Herz nicht verstanden. O Friedrich, wenn er todt ist, will ich nicht mehr leben. Sie sinkt an dem Sofa nieder, Dernburg, der bereits in der halb geöffneten Thür gestanden hat, tritt zu ihr heran.

Dernburg Marie!

Marie prallt zurück, zitternd in freudigster Erregung Sie sind nicht todt! sie leben – o mein Gott! Friedrich zeigt Laura, daß niemand unter der Decke ist.

Dernburg Ich lebe – und doch bin ich schwer verwundet. Seit zwei Jahren trank ich aus Ihren blicken und Ihren Worten süßes Gift und berauschte mich daran, bis ich erkrankte, tödtlich erkrankte. Ihre Blicke, Ihre Worte haben Zauberkraft – heile mich, Marie! – Denn Dir gehöre ich immer – ewig. Fällt ihr zu Füßen

Marie Und Sie lieben mich wirklich – wirklich?

Laura sehr schnell Herr von Dernburg, auf ein Wort. Zieht ihn bei Seite Sie spielen sehr gut, ich verstehe, was Sie für mich thun wollen, aber Sie treiben Ihre Aufopferung zu weit, ich will Ihnen helfen. Laut Meine Schwägerin, Herr von Dernburg, kann Ihre Bewerbung, so schmeichelhaft sie ihr auch ist, nicht annehmen. Sie ist im Begriff, sich zu verloben.

Marie sie unterbrechend Sie ist verlobt.

Dernburg Mein Gott -

Marie Mit Max von Dernburg…

Dernburg Marie!

Laura für sich Der Ärmste, er opfert sich für mich. Laut und spöttisch Wer wollte denn zeitlebens Wittwe bleiben?

Marie Wußte ich denn, wie süß es ist, geliebt zu werden! Dem Todten habe ich Alles vergeben, seitdem ich diesen sich an Dernburg schmiegend so herzlich liebe. zu Friedrich Dein Scherz aber, Friedrich, war grausam. Wir hörten den Schuß –

Friedrich Ich habe nur meine Flinte entladen. Was ich für einen Treffer habe. Ich schieße in's Blaue und treffe in's Schwarze.

Marie seine Hand drückend Du lieber trefflicher Schütze.

Dernburg halblaut zu Laura Ich liebe Marie seit zwei Jahren. Daß ich Sie jemals geliebt, diesen Irrthum des Herzens hatte ich längst vergessen.

Laura Abscheulich – der Treulose! So sind die Männer!

Vorhang fällt


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