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25. Nachwort

Ehe noch eine Woche um war, hatte man gegen Major Anthony Benson wegen des Mordes an seinem Bruder Anklage erhoben. Sein Prozeß, in dem Richter Rudolph Hansacker den Vorsitz führte, war eine Sensation für die ganze Nation. Wochenlang lieferte der Brudermord die Schlagzeilen selbst der kleinsten Provinzzeitungen. In allen Einzelheiten wurde geschildert, wie die Dienststelle des Staatsanwalts schließlich nach einem erbitterten Kampf gewann, wie, weil Beweise fehlten, nur ein Urteil wegen Totschlags ausgesprochen wurde, nicht wegen vorsätzlichen Mordes und wie schließlich, nachdem Anthony Benson in die Revision gegangen war, das Urteil auf zwanzig Jahre Zuchthaus festgelegt wurde. Jede dieser Tatsachen war und blieb für lange Zeit allgemeiner Gesprächsstoff.

Markham trat persönlich nicht als öffentlicher Ankläger auf. Da er ein langjähriger Freund des Angeklagten war, erhob sich kein Wort der Kritik gegen ihn, als er den Fall an Staatsanwalt Sullivan abgab. Er war sowieso nicht zu beneiden und in einer äußerst heiklen Lage. Major Benson umgab sich mit einem ganzen Stab von Anwälten. Unter ihnen waren Blashfield und Bauer, die jede gesetzliche Möglichkeit bis zum äußersten ausnützten. Allerdings mußten sie vor dem erdrückenden Beweismaterial schließlich doch kapitulieren.

Nachdem Markham von der Schuld des Majors überzeugt worden war, prüfte er die Geschäfte der beiden Brüder mit größter Sorgfalt nach. Er fand die Situation noch schlimmer, als Stitt sie in seinem kurzen Bericht skizziert hatte. Die Sicherheiten, die bei der Firma hinterlegt worden waren, hatten sich die beiden für private Spekulationen systematisch angeeignet. Alvin Benson hatte geschickt spekuliert und große Profite eingestrichen, aber der Major hatte so große Verluste erlitten, daß seine einzige Hoffnung im Tod des Bruders lag, um mit dessen Vermögen die Sicherheiten der Kunden wieder aufzufüllen und sich selbst vor dem Gefängnis zu retten.

Im Prozeß kam ferner zur Sprache, daß der Major am Mordtag ganz nachdrücklich die Rückzahlung der Sicherheiten versprochen hatte, und dieses Versprechen hätte er nur mit dem Geld seines Bruders halten können. Er hatte sich dabei sogar auf ganz bestimmte Summen bezogen, über die er nicht verfügen konnte, weil sie ausschließlich seinem Bruder gehörten. In einem Fall hatte er sogar einen Wechsel über achtundvierzig Stunden ausgestellt, der inzwischen eingeklagt worden war. Allein dieser Fall hätte ihn, wäre sein Bruder noch am Leben gewesen, ins Zuchthaus gebracht.

Miß Hoffman war als Zeugin geschickt und für den Staatsanwalt sehr wertvoll. Ihre Kenntnis der Geschäftsvorgänge in der Firma war eine wesentliche Stütze für den öffentlichen Ankläger.

Auch Mrs. Platz bestätigte, sehr heftige Auseinandersetzungen zwischen den beiden Brüdern miterlebt zu haben. Sie sagte aus, daß der Major etwa zwei Wochen vor dem Mord vergeblich versucht hatte, sich fünfzigtausend Dollar von seinem Bruder zu borgen. In seiner enttäuschten Wut habe er ihm dann gedroht: »Wenn ich je die Wahl habe zwischen deiner Haut und meiner, dann ist es nicht die meine, die gegerbt wird.«

Theodore Montague, der Mann, der nach der Aussage des Liftjungen in der Mordnacht um halb drei Uhr morgens nach Hause gekommen war, sagte aus, daß sein Taxi vor dem Haus wendete, und bei dieser Gelegenheit habe er im Licht der Scheinwerfer in einem Ladeneingang gegenüber einen Mann gesehen, der genau wie Major Benson ausgesehen habe. Diese Aussage wäre nur von geringem Wert gewesen, wäre nicht Pfyfe mit seiner Mitteilung gekommen, er habe gesehen, wie der Major an der Sechsundvierzigsten Straße die Sechste Avenue gekreuzt habe, als er zu Pietro ging, um einen Schluck aus seiner Flasche Whisky zu nehmen. Dazu erklärte er, daß er diesem Umstand kein Gewicht beigemessen habe, weil er annahm, der Major kehre aus einem Restaurant nach Hause zurück. Ihn selbst hatte der Major nicht gesehen.

Mit diesen beiden Aussagen war das sorgfältig aufgebaute Alibi des Majors zerpflückt. Obwohl die Verteidigung stur dabei blieb, die beiden Zeugen müßten sich in der Person geirrt haben, ließ sich die Jury von den Tatsachen sehr beeindrucken, besonders als Staatsanwalt Sullivan unter Vances Anleitung peinlich genau demonstrierte, wie der Major in jener Nacht das Haus verlassen und wieder zurückkehren konnte, ohne von dem diensttuenden Jungen gesehen zu werden.

Es wurde ferner bewiesen, daß der Schmuck vom Schauplatz des Verbrechens ausschließlich vom Mörder entfernt werden konnte. Zusammen mit Vance wurde ich als Zeuge dafür aufgerufen, daß dieses Schmuckkästchen in der Wohnung des Majors gefunden worden war. Es wurde auch demonstriert, wie Vance die Größe des Täters festgestellt hatte, doch erstaunlicherweise wurde dieser Demonstration nur wenig Gewicht beigemessen, da sehr gekünstelte wissenschaftliche Einwände ziemlich viel Verwirrung schufen. Der größte Schlag für die Verteidigung war Captain Hagedorns Gutachten über die Tatwaffe.

Der Prozeß dauerte drei Wochen. Selbstverständlich wird bei solchen Prozessen auch immer sehr viel schmutzige Wäsche gewaschen, aber Sullivan bemühte sich auf Markhams Vorschlag hin, private Angelegenheiten unschuldiger Personen, die durch irgendeinen Zufall in den Sog dieses Verbrechens geraten waren, dem Gerichtsaal fernzuhalten. Colonel Ostrander konnte jedoch Markham nie verzeihen, daß ihn dieser nicht als Zeugen benannt hatte.

Während der letzten Prozeßwoche trat Miß Muriel St. Clair als Star in einer Broadway-Inszenierung auf, die nahezu zwei Jahre lang sehr erfolgreich lief. Inzwischen hatte sie den ritterlichen Captain Leacock geheiratet, mit dem sie sehr glücklich zu sein scheint.

Pfyfe ist noch immer verheiratet und so elegant wie immer. Er riecht auch noch so gut wie damals. Er kommt regelmäßig nach New York, obwohl sein ›guter, alter Alvin‹ nicht mehr da ist. Ich habe ihn sogar einige Male zusammen mit Mrs. Banning gesehen. Diese Frau werde ich immer gernhaben. Pfyfe brachte irgendwie die zehntausend Dollar auf – wie ihm das gelang, kann ich nicht einmal ahnen – und verlangte die Rückgabe ihres Schmuckes. Über das Besitzrecht daran wurde im Prozeß nicht gestritten, worüber ich recht froh war.

Am Abend jenes Tages, an dem das Urteil gegen Major Benson verkündet wurde, saß ich mit Vance und Markham im Club. Wir hatten zusammen zu Abend gegessen, aber mit keinem Wort hatten wir die Ereignisse der letzten Wochen und Monate gestreift. Später bemerkte ich jedoch ein ironisches Lächeln um Vances Mund.

»Markham«, sagte er, »ich muß schon feststellen, daß dies ein groteskes Schauspiel war. Verstehst du, der richtige, der durchschlagende Beweis wurde überhaupt nicht erwähnt. Benson wurde verurteilt auf Grund von Indizien, Unterstellungen, Annahmen, Mutmaßungen und Schlüssen. Gott möge dem unschuldigen Mann helfen, der unabsichtlich in eine Grube juristischer Löwen fällt.«

Markham nickte ernst – sehr zu meiner Überraschung. »Ja. Hätte aber Sullivan versucht, eine Verurteilung auf Grund deiner sogenannten psychologischen Theorien zu erreichen, dann hätte man ihn als Irren in die Wüste geschickt.«

»Zweifellos«, seufzte Vance. »Ihr Erleuchteten der Gerichtsbarkeit hättet ja nichts zu tun, wenn ihr euer Geschäft auf intelligente Art wahrnehmen wolltet.«

»Theoretisch sind deine Theorien absolut klar«, erwiderte Markham nach einer langen Pause. »Ich fürchte nur, ich habe allzu lange mit materiellen Beweisen zu tun gehabt, als daß ich sie zugunsten von psychologischen und intelligenten Überlegungen aufgeben könnte. Aber ich würde mich recht gern um Hilfe an dich wenden, wenn mich in Zukunft meine gesetzlichen Beweise im Stich lassen sollten. Darf ich?«

»Na, weißt du, alter Knabe, ich stehe dir doch immer zur Verfügung«, versicherte ihm Vance. »Ich stelle mir allerdings vor, daß du meine Hilfe dann besonders dringend brauchst, wenn dich deine Beweise unwiderstehlich zu deinem Opfer ziehen. Stimmt's?«

Diese Bemerkung war als gutmütige Anspielung gedacht. Sie stellte sich nicht sehr viel später als Prophezeiung heraus.

 

Ende


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