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Fair play

Wehrlos

Wir flogen im April 1918 über Bapaume in einer Höhe von etwa 2500 Meter, als Schutz für ein Aufklärungsflugzeug, dessen Beobachter photographische Aufnahmen der gegnerischen Artilleriestellungen und Etappen zu machen hatte. Wir hielten uns etwa 200-300 Meter höher als das uns zum Schutz anvertraute Flugzeug. Ueber uns zogen einige Kumuluswolken, die nicht selten von Jagdfliegern als Deckung benutzt wurden, und es empfahl sich, ein besonders wachsames Auge auf diese gefährlichen Verstecke zu haben. So ein Ueberfall aus einer Wolke ging sehr schnell vor sich, und Brandmunition wurde hüben und drüben geschossen. Manches Flugzeug war schon vor unseren Augen brennend abgestürzt. Wir waren schon ziemlich weit nach Westen gekommen, die Front lag weit hinter uns, und rings um uns platzten die Geschosse der gegnerischen Fliegerabwehr. Wir stiegen höher.

Da – schon taucht aus dem Wolkenberg vor uns ein blau-weiß-rotes Riesenpfauenauge hervor, kippt, und deutlich steht die Garbe des Maschinengewehrfeuers mit den feinen Rauchspuren der Brandmunition in der klaren Luft. Sie liegt links. Mein Gewehr rattert, die Garbe liegt gut, der Feind macht eine Wendung, kommt tiefer und bleibt dann auf einer Höhe mit uns. Ich habe schlechtes Ziel, die rechte Tragfläche verbirgt den Engländer, der nun von rechts angreift. Ich lasse den Führer links wenden, um den Feind wieder ins Korn zu bekommen. Da – zwei, drei Schüsse – Ladehemmung.

Nun ist der Tommy hinter uns, jagt uns vor sich her. Sowie wir wagen, eine Wendung zu machen, prasseln die Schüsse dicht an uns vorbei. Die Ladehemmung ist beseitigt, der Gegner ist etwas höher gestiegen. Ich habe gutes Ziel. Ohne Unterbrechung knattert mein Maschinengewehr, aber auch der Gegner beginnt wieder zu feuern. Seine Garbe liegt nur eine Idee zu hoch. Bei mir erneute Ladehemmung. Sie läßt sich nicht beseitigen, das Schloß klemmt, ist wie angeschweißt.

Der Engländer zieht eine elegante Kurve, – fliegt parallel zu uns, und beobachtet interessiert meine vergeblichen Bemühungen, das Gewehr in Ordnung zu bringen. Nun macht er eine Bewegung, die deutlich zu verstehen gibt: »Mit Wehrlosen kämpfe ich nicht«, zuckt die Schultern, winkt herüber und sackt im Sturzflug ab. Fair play.

Bruno Gutensohn, München.

Der Reiter

Bei dem großen Durchbruchsversuch der Franzosen nördlich von Arras am 9. Mai 1915 wurde ich im vordersten Graben bei Notre Dame de Lorette schon zu Beginn der Schlacht verschüttet und geriet in französische Gefangenschaft. Mit schweren Quetschungen am ganzen Körper wurde ich von den Franzosen auf stundenlangem, qualvollem Marsch durch Sappen und Gräben hinter die französische Front zurückgeschleppt und hatte am Ende dieses merkwürdigen Tages ein seltsames Erlebnis, das ich hernach wie folgt in meinem Tagebuch verzeichnete:

Es war Nacht, als ich zwischen den beiden Franzosen auf der Dorfstraße dahinhumpelte. Sie hatten den Befehl, mich zum Quartier des Divisionsstabes zu bringen, wo über mein weiteres Verbleiben entschieden würde. Wir kamen auch bald zu einem einfachen Landhaus, wo die Franzosen Halt machten. Schon wieder zu Tod ermüdet, setzte ich mich auf die Treppe, die zur Haustür hinaufführte. Kaum hatte ich mich niedergelassen, als eine Schar Berittener im Dunkel heransprengte und ebenfalls anhielt. Die Leute sprangen ab; drei oder vier Mann, die ich in der Nähe als Stabsoffiziere erkannte, kamen raschen Schritts auf das Haus zu. Ich wollte mich erheben, sie winkten mir jedoch zu, ruhig sitzen zu bleiben und gingen dicht an mir vorbei ins Haus.

Der letzte von ihnen drehte sich noch in der Türe um und richtete an meine Begleiter eine kurze Frage, die anscheinend mich betraf. Dann rief er einen der Reiter, der sein Pferd am Zügel führend, herankam und erteilte ihm den Befehl, mich an einen Ort, dessen Namen ich nicht verstand, weiterzugeleiten. Der berittene Jäger schien über diese Weisung nicht sonderlich erbaut. Er trat zu seinen Kameraden zurück, und ich hörte, wie sie sich eingehend über die Angelegenheit berieten. Es war die Rede von vier Kilometern Weges, die noch zurückzulegen waren. Ich bedachte meinen Zustand und war innerlich verzweifelt. Wie sollte ich, der mit verschlagenem Körper und hochgeschwollenen, bei jeder Bewegung gräßlich schmerzenden Beinen jeden Augenblick ganz zusammenbrechen konnte, vor der drohenden Lanze eines Berittenen her noch kilometerweit zu Fuß marschieren!

Da kamen die Chasseure, alles prachtvoll stämmige Kerle, auf den nächstliegenden, aber unter diesen Kriegsverhältnissen doch ganz wunderbaren Einfall. »Du wirst ihn auf deinem Pferd transportieren«, hörte ich einen aus der Gruppe lachend rufen. Und gesagt, getan! Schon fühlte ich mich von vielen festen Fäusten gefaßt und auf das schlanke hochgesattelte Pferdchen gehoben. Sie gaben mir die Zügel in die Hand und steckten meine Stiefel in die Steigbügel. Obwohl mir dies fürchterliche Schmerzen verursachte, biß ich die Zähne zusammen und schwieg. Denn ich war bis aufs tiefste gerührt. Der Franzose, der den Gefangenen wie ein Stück Vieh vor seiner Lanze hätte hertreiben und schließlich niederstoßen können, faßte leicht an die Zügel seines Pferdes, ging zu Fuß neben mir her, und ich ritt schwankend hinein in das nächtliche Land ...

Wilhelm Stumpp, Kaufmann, Frankfurt a. M.

Feierliche Verneigung

Im Oktober 1916 wurde um Stellungen südlich von Kowel erbittert gekämpft. Gräben verwandelten sich zum Trichterfeld. Tote lagen überall. Verwundete vom letzten russischen Angriff starben im Vorgelände. Einen hörten wir, wenn es ein wenig ruhig war, nach zwei Tagen immer noch stöhnen. Er mußte in der Nähe unseres halbeingeschossenen Stollens liegen. Suchen konnte ihn keiner, Tag oder Nacht, immer fegten russische Maschinengewehrgarben dicht über unsere Trichterränder. Wir sollten diesmal so niedergehalten werden, daß der nächste Sturm zum Erfolg führen mußte.

»Raus, sie kommen.« Viele waren nicht mehr in unserem Stollen, denen diese Erlösung zugeschrien wurde. Jeder stürzte nach oben, warf sich ins nächste Granatloch, Totenstille herrschte in unserem Abschnitt. Nur zwei riesengroße russische Soldaten schritten langsam auf unsere Gewehrmündungen zu.

Jetzt, als alle Nerven Feuer verlangten, in einem Trichter- oder Leichenfeld, das seit Wochen nur Schießen und Handgranatenwerfen kannte, war es für uns nahezu unmöglich, nicht loszuknallen. Die beiden Russen, keine Sanitäter, umgingen prüfend Tote oder schritten vorsichtig über Gefallene. Sie suchten nach dem noch lebenden Verwundeten. Ungefähr vierzig Meter vor uns hielten sie neben einem Granattrichter, nahmen den Unglücklichen auf und dankten uns durch feierliche Verneigungen.

Dann schleppten sie ihre Last zurück und verschwanden im russischen Graben. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als die beiden breiten erdbraunen Rücken nicht mehr zu sehen waren. Sprachlos staunten wir über den Mut der beiden Männer, die sich bei einer derartigen »Nix-pardon«-Stimmung vor die feindlichen Gewehre gestellt hatten, um ihrem Kameraden vielleicht noch das Leben zu retten. Wir waren aber auch stolz, daß in unserem ganzen Abschnitt keinem die bös zusammengetrommelten Nerven und das Gewehr durchgingen.

Kurt Pantlen, Kaufmann, Hornberg/Schwarzwald.

Seeleute

Nie im Leben werde ich den 12. Juli 1917 vergessen. Während der Reise die ganzen Tage balkendichter Nebel, die Orientierung auf See ist unmöglich, aber der Befehl muß ausgeführt werden. Wir müssen zu bestimmter Stunde an der Hafeneinfahrt die Minen legen. Es heißt immer: Morgenstund' hat Gold im Mund'. Mir brachte sie aber am erwähnten Tage die Strandung mit einem Unterseeboot, und zwar an der Ostseite der Shipwash-Bank. Und wie es der Deubel will, als wir festgeraten sind und der Steven des Bootes trocken liegt, das Wasser fiel, es war Ebbzeit, wird die Luft hell und klar, und die englischen Kriegsfahrzeuge fahren an der Westseite Shipwash -Bank. Natürlich sind wir sofort entdeckt, und für uns sieht die Sache nicht gemütlich aus; ca. fünfzehn Kriegsfahrzeuge gegen ein Unterseeboot, welches kampfunfähig ist. Allerdings wir hatten die Sonne im Rücken (Sonnenaufgang); andererseits konnte der Engländer die Sandbank nicht überqueren, da seine Fahrzeuge zu tief gingen. Bei uns wurde an Bord emsig gearbeitet, um das U-Boot wieder flott zu bekommen.

Inzwischen geht auf dem Führerschiff das Flaggensignal hoch: Zeigen Sie Ihre Nationalflagge! Ungefähr zwanzig Minuten wehte das Signal. Mit dem Leben hatten wir abgeschlossen, und Formalitäten waren uns in diesem Augenblick ein Buch mit sieben Siegeln; für uns hieß es: raus' aus den Maschinen, was raus' will, damit die Schrauben voll rückwärts arbeiten. Vorsichtsmaßregeln für Ueberlastung der Maschinen und elektrischen Anlagen wurden nicht beachtet; die Zeiger der Manometer lagen weit über dem roten Strich. Das Boot bewegte sich endlich.

Dies muß auch der Gegner bemerkt haben, denn jetzt erst gab das Führerschiff in Abständen von etwa fünf Minuten drei blinde Schüsse.

Nach einer Viertelstunde war unser Boot flott. Jetzt erst wurde vom Führerschiff mit drei Geschützen auf uns geschossen, aber die Granaten trafen uns nicht; wie erwähnt, lagen wir als sein Ziel im Sonnenlicht und somit ungünstig als Zielobjekt für den Engländer. Und erst als wir mit unserem Geschütz das Feuer erwiderten, ließ das Führerschiff seine vierzehn Begleitschiffe mit in den Kampf eingreifen. So waren die Engländer!

Inzwischen versuchten sie die Bank zu umfahren. In dieser Zeit waren wir auf tiefes Wasser gelangt und tauchten unter, denn unser Endziel, ein Minengürtel vor der Hafeneinfahrt, mußte erreicht werden. Als wir so auf dem Meeresgrund lagen, waren inzwischen die Engländer immer nähergekommen; dies konnte man gut hören, da Wasser ein guter Geräuschleiter ist. Sogar über uns hörten wir Schraubengeräusche, also waren die Engländer schon verdammt bei uns. In unserem Boot war alles mäuschenstill, so daß der Feind trotz seiner präzis arbeitenden Unterwasser-Horchapparate unseren Standort nicht einpeilen konnte, um uns entweder wie ein Fisch in einem Netz zu fangen oder mit Wasserbomben zu vernichten. Aber durch die Detonation der Bomben konnten wir feststellen, daß die Feinde immer weiter von uns manövrierten; somit war für uns die schlimmste Gefahr vorbei. Bei Dunkelwerden tauchten wir auf; zwar hatte die Maschinenanlage durch Ueberlastung gelitten und der elektrischen Maschinenanlage war die Puste ausgegangen, aber trotzdem erreichten wir den Heimathafen Brügge.

Selbst im Kriege ist wie in meinem Falle der Engländer wirklich Gentleman gewesen. Mein Boot war, solange es kampfunfähig war und die Nationalflagge nicht gesetzt hatte, für ihn kein Gegner, mit dem er den Kampf aufnehmen wollte. Denn hätte der Engländer uns gleich beim Insichtkommen angegriffen – es wäre von uns nichts übrig geblieben – vielleicht nur das Wort: »verschollen« – oder »U. C. 14 von Fernfahrt nicht zurückgekehrt«.

Rudolph Fischer, Kapitän, Hamburg.

Die Uhr

Winterschlacht in Masuren. Es war in der Nacht vom 4. zum 5. Februar 1915. Die Kompagnie hatte am Tage das zerstörte Schirwindt durcheilt. Auf der Verfolgung hinter den Russen. Tiefer Schnee bedeckte den Boden und hemmte den Marsch. Wir liefen mit durchfrorenen Gliedern, ohne Bagage und ohne Feldküche, die irgendwo im Schnee stecken geblieben war. Und deshalb ohne Verpflegung. Da wurde durch den Hunger der Marsch zur Höllenqual. Der Druck suchte ein Ventil: die Wut auf die fliehenden Russen.

Die Kompagnie marschierte in der dunklen Nacht. Die Spitze stieß auf ein Gehöft. Die Kompagnie stürzte auf die unversehrten Häuser. Sie luden ein zum Requirieren. Der Hunger war groß.

Am Eingang eines der Häuschen standen wir verdutzt stille. Denn die verdutzte Kompagnie überraschte einen gleichfalls verdutzten Regimentsstab mit Stabswache eines russischen Infanterieregiments. Sie glaubten sich hier im Schutze der russischen Gewehre. Es fiel kein Schuß. Die Russen streckten beim Eindringen der maroden und durchfrorenen Deutschen die Hände hoch. Dann begann das Requirieren. Es brachte wenig ein.

Der jüngste Kriegsfreiwillige der Kompagnie, ein noch nicht sechzehnjähriger stämmiger Bursche und ein böses Rauhbein setzte seine letzte Hoffnung auf die Taschen des russischen Obersten. Er fand ein wenig Schokolade. Sonst nichts. Und da fiel ihm ein: eine Uhr hatte er gefühlt. Und eine Uhr brauchte er.

Kameraden umstanden die Gruppe. Der Junge versuchte dem alten Offizier seine Forderung klarzumachen. Es gelang nicht. Schließlich riß er die Uhr aus der Tasche des Obersten. Es war eine gewöhnliche silberne Felduhr. Der Offizier protestierte erregt und forderte sein Eigentum. Und erhielt einen Schlag ins Gesicht als Antwort.

Das junge Rauhbein verschwand. Der Oberst stand niedergeschlagen, traurig fast, nicht empört in der Gruppe der verlegenen deutschen Soldaten. Denn alle schämten sie sich.

Da trat aus der Gruppe ein alter Reservist, Bergmann aus dem Ruhrgebiet, das Gewehr um den Hals gehängt, den einen Fuß im Russenstiefel, den anderen im deutschen Schnürschuh. Mit steifen Fingern riß er den patronenbeschwerten Mantel auf, nestelte seine Uhr aus der Tasche. Er stand stramm und drückte dem russischen Obersten mit einer radebrechenden Entschuldigung die Uhr in die Hand.

Dann machte er kehrt und sprang in die Nacht. Er suchte und fand unser junges Rauhbein. Die Schreie bewiesen es. Beide sind am 14. Februar 1915 bei Makaczie gegen die Russen gefallen.

Kurt Winkler, Barmen.

Es war nur ein Neger ...

Am 20. August 1918 drückten die Franzosen in der Nähe von Soissons einen hufeisenförmigen Bogen in die deutsche Front. Nachdem wir unsere Bomben und Minen auf eine in einem Wäldchen in Bereitschaft liegende Kolonne abgeworfen hatten, dachten wir ans Umkehren. Ueber uns zog eine feindliche Jagdstaffel, aus der sich bereits einige Maschinen loslösten, um auf uns herabzustoßen. Ein mörderisches Flak- und M. G.-Feuer empfing uns von unten. In tollen Kurven suchte ich meine Rettung.

Plötzlich ließ ein Ruck die Maschine erzittern. Wir flogen durch Feuer und Rauch. Der Motor kotzte einigemale und stand still. Ueber dem Wäldchen, das wir vor kurzem mit Bomben bewarfen, riß ich nochmal am Steuerknüppel. Maschine bäumte sich auf und setzte krachend mitten in einem Drahtverhau auf den Boden. Wir arbeiteten uns aus dem Trümmerhaufen, von den Fliegern noch dauernd beschossen.

In dem nahen Wald empfingen uns Franzosen und schwarze Soldaten. Trotz unserer Verletzungen trieben sie uns mit Kolbenstößen vorwärts. Wütend zeigten sie uns Tote von unseren Bomben. In einer Talmulde stießen wir auf einen Trupp deutscher Gefangener. Nach kurzem Verhör wurden wir an die Spitze gestellt und weiter ging es, der sinkenden Sonne zu.

Ein englischer Offizier, den Browning in der einen und den Stock in der anderen Hand, jagte die schwarzen Posten, die sich ängstlich bei jeder Detonation der nahe einschlagenden deutschen Granaten zu verkriechen suchten, wie Hunde um den in Unordnung geratenen Gefangenentransport. Im Laufschritt von Granatloch zu Granatloch strebte ich in der angegebenen Richtung einer mit Gestrüpp vertarnten Artilleriestellung zu. Hinter mir ein kleiner, untersetzter schwarzer Posten.

Ueber sein blauschwarz glänzendes Gesicht rann der Schweiß. Seine dicken Lippen schnaubten unverständliches Kauderwelsch. Vielleicht betete er. Wir lagen in einem Granatloch beisammen. Als ich eben heraus wollte, rief er mir zu: » Doucement!« Im gleichen Augenblick zischte und fauchte es heran; gewaltiger Luftdruck warf mich zu Boden. Ein Regen von Steinen und Erdbrocken ging auf uns nieder. Ich spürte einen dumpfen Schlag im Nacken und wußte nichts mehr von mir, für die nächsten Minuten wenigstens. Dann klang es wie aus weiter Ferne an mein Ohr: » Aller en avant! Vite, vite!« Der Schwarze kauerte neben mir, hielt mir seine Feldflasche an den Mund und ermunterte mich, aufzustehen. Er wollte mir mit allen möglichen französischen Brocken verständlich machen, daß wir weiter müßten, weil die Feuerwelle immer stärker würde. Ich erhob mich mühsam und sah weiter hinten die übrigen deutschen Gefangenen und meinen Beobachter wieder dem Hohlweg zulaufen.

Als wir einen Schützengraben und einen kleinen Unterstand erreicht hatten, in dem bereits zwei deutsche Gefangene saßen, verband ich ihm mit meinem Verbandspäckchen den Arm, an dem er eine kleine Splitterverletzung hatte. Dann teilte er den Rest seines Rotweins aus der Feldflasche, ein Stück Büffelfleisch und Brot unter uns aus. Er selbst aß keinen Bissen. Hin und wieder klapperte er mit den Zähnen und ward wie vom Frost geschüttelt. Ich versuchte mich mit ihm zu verständigen, und es stellte sich heraus, daß wir beide gleich schlecht und recht die französische Sprache beherrschten.

Er war zwanzig Jahre alt und aus Tamatave auf Madagaskar. Sein Vater habe große Viehherden. Die Schwarzen seien nicht gern in den Krieg gezogen. Man habe ihnen eine weiße Frau und vieles andere versprochen. Nach vierwöchentlicher Ausbildung seien sie in die vorderste Linie gesteckt worden. Dann fragte er, ob das wahr sei, daß alle gefangenen Schwarzen von den Deutschen getötet würden? Am meisten Angst habe er vor der deutschen Artillerie. Dann wollte er den andern Bewohnern unsers Unterstands erklären, wie er mich aus dem Dreck herausgegraben und mir damit das Leben gerettet habe.

Da kam aber der nächste Trupp mit dem Offizier in den Graben gesprungen. Sofort hielt der arme Neger im Reden inne und kroch wie ein Hund zu dem Offizier hin, ihm seine Meldung zu machen. Als wir in der Nacht in ein provisorisches Gefangenenlager eingeliefert wurden, drückte mir der Schwarze im Vorbeigehn stumm die Hand ... Er war nur ein Neger!

Jos. Fuchs, Buchdrucker, Kempten/Allgäu.

Rasche Freundschaft

Es war am 10. Oktober 1918, in der Gegend von Romagne, und ich gehörte zur 10. Kompagnie des 1. Badischen Leib-Grenadier-Regiments No. 109. Es wurde mit Sperrfeuer eingesetzt von unserer Artillerie, die dicht über unsere Köpfe hinwegschoß. Jeder Schuß saß, und das kleine Wäldchen drüben wurde zusehends weniger. Alle sagten: »Da kann kein Mensch mehr drin sein«. Pünktlich um halb sieben stürmten wir auf das Ziel: eine alte zerschossene Baggermaschine auf der Anhöhe. Aber trotz des Sperrfeuers erhielten wir aus dem Wäldchen gut gezieltes Maschinengewehr-Feuer. Von etwa sechzig erreichten nur sechszehn das Ziel. Der Graben war leer.

Bis halb zwölf geschah nichts. Plötzlich setzte ein Trommelfeuer von drüben ein, und wir wußten sofort: Jetzt kommt der Gegenangriff. Ich war mit meinem Kameraden Sattler in einem Loch, das gerade Platz für uns beide bot. Um 12 Uhr hörte das Feuer plötzlich auf, und in unserem Graben lief alles ratlos durcheinander. Von links kamen die 40er und riefen: »Sie kommen, sie kommen!« Man hörte sie von drüben anstürmen. Ein Zurück war gänzlich ausgeschlossen, sie hatten uns eingekreist – also was tun? Koppel abschnallen – ergeben!

Ein baumlanger amerikanischer Soldat springt über unsern Graben – dreht sich um – sieht Sattler und mich in dem Loch hocken – legt an – schießt und trifft Sattler in den Hals. Ich springe hervor – hebe die Hände hoch und rufe nur: »Kamerad! Kamerad!« Er läßt das Gewehr sinken und kommt in den Graben. In der einen Hand halte ich eine Parabellumpistole, die ich kurz vorher gefunden hatte und in der anderen Hand mein Koppel mit dem Brotbeutel. Der Amerikaner hatte wohl jetzt ebenso viel Angst wie ich und legte wieder langsam auf mich an. Ich streckte die Pistole vor – es war kein Schuß darin!

Er kommt näher, das Gewehr an der Backe. Ich lehne an der Grabenwand, und mit der vorgestreckten Pistole bedeute ich ihm, daß ich jeden Augenblick abdrücken kann. Ich rufe: »Kamerad«. Er bedeutet mir, daß ich die Pistole wegwerfen soll. Ich tue dies, und sofort läßt er das Gewehr sinken und wir gehen auf einander zu. Er reicht mir seine Hand und hält meine lange fest. Ich zeige ihm den Kameraden Sattler. Er gibt uns Zeit zum Verbinden der Wunde und hilft selbst mit. Dabei küßte er die Hand von Sattler.

Inzwischen war die Welle der Amerikaner über uns hinweg. Wir waren in Feindeshand. Der Amerikaner bedeutete uns, wir sollten mit nach hinten. Er machte Meldung bei seinem Kompagnieführer, drückte uns beiden die Hand, schenkte uns Zigaretten und bewirtete uns mit allem, was zu erreichen war. Besonders um Sattlers Wunde kümmerte er sich sehr. Er entschuldigte sich immer wieder bei Sattler, der große Schmerzen hatte und der ihn nicht verstand. Ebenso freundlich kam uns der Kompagnieführer entgegen. Er sagte gebrochen deutsch: »Haben Sie ein Bedenken for mich?« (Andenken). Ich gab ihm ein 25-Pfennig-Stück und einige andere Münzen; und meine Uhr wollte er so gerne haben. Für jedes einzelne Stück gab er uns jedesmal etwas anderes als Gegengeschenk.

Nun sahen wir erst, was wir mit unserem Sperrfeuer angerichtet hatten. Die Toten lagen dort drüben aufeinandergeschichtet, und kaum einer war unverwundet geblieben. Sie hätten alle Ursache gehabt, mit uns nicht allzu freundlich umzugehen.

Paul R. Henker, Regisseur, Bad Brückenau.

Der Gentleman von U 28

1915 fuhr ich auf einem kleinen Schiff, das von London nach Holland bestimmt war. Eines Abends feuerte ein deutsches U-Boot auf uns zum Zeichen, daß wir zu stoppen hätten. Unser Kapitän hoffte, durch schleunigste Flucht in die holländischen Gewässer der Gefahr entgehen zu können, doch das U-Boot war zu schnell für uns und kam bald längsseit.

In sehr gutem Englisch fragte der deutsche Offizier unseren Kapitän, warum er nicht gestoppt habe, als der Schuß gefeuert wurde.

Der Kapitän antwortete: »Weil ich Engländer bin.«

»Gut,« antwortete der deutsche Offizier, »Sie sind ein mutiger alter Knabe, ich werde Ihnen drei Minuten Zeit geben, das Schiff zu verlassen.« Dieser Befehl wurde schnellstens ausgeführt, und dann machten wir, daß wir in unseren zwei Rettungsbooten fortkamen, während die Deutschen unser Schiff versenkten. Wir ruderten mit äußerster Kraft, als das U-Boot herankam und sich folgende Unterhaltung entspann:

Der Deutsche: »Wohin?«

Unser Kapitän: »Holland.«

»Glauben Sie, daß Sie bei dieser Dunkelheit dorthin finden werden?«

»Ich will's versuchen, aber wenn Sie Sportsmann wären, würden Sie uns in's Schlepptau nehmen.«

»Gut, ich bin Sportsmann und werde Sie schleppen und Ihnen außerdem eine Zigarre geben, damit Ihnen der Weg nicht zu lang wird. Werft die Leine herüber, und wir werden Euch bald in Holland haben.«

Und wirklich – das U-Boot schleppte uns nach Holland. Als wir uns trennten, sagte der Deutsche: »Gute Nacht, Kapitän, Sie sind ein tapferer Mann, ich erweise Ihnen meine Ehrenbezeigung.«

Unser Kapitän antwortete: »Gute Nacht, mein Herr, Sie sind ein Gentleman.« Und das sagten wir alle.

E. F. Baß, Greenwich. Aus The Evening News.


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