Denis Diderot
Diderots Versuch über die Malerei
Denis Diderot

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Geständnis des Übersetzers

Woher kommt es wohl, daß man, obgleich dringend aufgefordert, sich doch so ungern entschließt, über eine Materie, die uns geläufig ist, eine zusammenhangende Abhandlung zu schreiben? eine Vorlesung zu entwerfen? Man hat alles wohl überlegt, den Stoff sich vergegenwärtigt, ihn so gut man nur konnte, geordnet, man hat sich aus allen Zerstreuungen zurückgezogen, man nimmt die Feder in die Hand, und noch zaudert man, anzufangen.

In demselbigen Augenblicke tritt ein Freund, vielleicht ein Fremder, unerwartet herein, wir glauben uns gestört, und von unserm Gegenstande hinweggeführt; aber, unvermutet lenkt sich das Gespräch auf denselben, der Ankömmling läßt entweder gleiche Gesinnungen merken, oder er drückt das Gegenteil unserer Überzeugung aus, vielleicht trägt er etwas nur halb und unvollständig vor, das wir besser zu übersehen glauben, oder erhöht unsere eigne Vorstellung, unser eignes Gefühl, durch tiefere Einsicht, durch Leidenschaft für die Sache. Schnell sind alle Stockungen gehoben, wir lassen uns lebhaft ein, wir vernehmen, wir erwidern. Bald gehen die Meinungen gleichen Schrittes, bald durchkreuzen sie sich, das Gespräch schwankt so lange hin und her, kehrt so lange in sich selbst zurück, bis der Kreis durchlaufen und vollendet ist. Man scheidet endlich von einander, mit dem Gefühl, daß man sich für diesmal nichts weiter zu sagen habe.

Aber dadurch wird die Abhandlung, die Vorlesung nicht gefördert. Die Stimmung ist erschöpft, man wünscht, daß ein Geschwindschreiber das vorüberrauschende Gespräch aufgefaßt haben möchte. Man erinnert sich mit Vergnügen der sonderbaren Wendungen des Dialogs, wie, durch Widerspruch und Einstimmung, durch Zweiseitigkeit und Vereinigung, durch Rückwege so wie durch Umwege, das Ganze zuletzt umschrieben und beschränkt worden, und jeder einseitige Vortrag, er sei noch so vollständig, noch so methodisch gefaßt, kommt uns traurig und steif vor.

Daher mag es kommen! Der Mensch ist kein lehrendes, er ist ein lebendes, handelndes und wirkendes Wesen. Nur in Wirkung und Gegenwirkung erfreuen wir uns! und so ist auch diese Übersetzung mit ihren fortdauernden Anmerkungen in guten Tagen entstanden.

Eben als ich in Begriff war, eine allgemeine Einleitung in die bildende Kunst, nach unserer Überzeugung, zu entwerfen, fällt mir Diderots Versuch über die Malerei, zufällig, wieder in die Hände. Ich unterhalte mich mit ihm aufs neue, ich tadle ihn, wenn er sich von dem Wege entfernt, den ich für den rechten halte, ich freue mich, wenn wir wieder zusammentreffen, ich eifre über seine Paradoxe, ich ergötze mich an der Lebhaftigkeit seiner Überblicke, sein Vortrag reißt mich hin, der Streit wird heftig, und ich behalte freilich das letzte Wort, da ich mit einem abgeschiednen Gegner zu tun habe.

Ich komme wieder zu mir selbst! Ich bemerke, daß diese Schrift schon vor dreißig Jahren geschrieben ist, daß die paradoxen Behauptungen vorsätzlich gegen pedantische Manieristen der französischen Schule gerichtet sind, daß ihr Zweck nicht mehr statt findet, und daß diese kleine Schrift mehr einen historischen Ausleger verlangt, als einen Gegner auffordert.

Werde ich aber bald darauf wieder gewahr, daß seine Grundsätze, die er mit eben so viel Geist als rhetorisch sophistischer Kühnheit und Gewandtheit gelten macht, mehr um die Inhaber und Freunde der alten Form zu beunruhigen, und eine Revolution zu veranlassen, als ein neues Kunstgebäude zu errichten; daß seine Gesinnungen, die nur zu einem Übergang vom Manierierten, Konventionellen, Habituellen, Pedantischen, zum Gefühlten, Begründeten, Wohlgeübten und Liberalen einladen sollten, in der neuern Zeit als theoretische Grundmaximen fortspuken, und sehr willkommen sind, indem sie eine leichtsinnige Praktik begünstigen; dann finde ich meinen Eifer wieder am Platz, ich habe nicht mehr mit dem abgeschiednen Diderot, nicht mit seiner, in gewissem Sinne, schon veralteten Schrift, sondern mit denen zu tun, die jene Revolution der Künste, welche er hauptsächlich mit bewirken half, an ihrem wahren Fortgange hindern, indem sie sich auf der breiten Fläche des Dilettantismus und der Pfuscherei, zwischen Kunst und Natur hinschleifen, und eben so wenig geneigt sind eine gründliche Kenntnis der Natur, als eine gegründete Tätigkeit der Kunst zu befördern.

Möge denn also dieses Gespräch, das auf der Grenze zwischen dem Reiche der Toten und Lebendigen geführt wird, auf seine Weise wirken! und die Gesinnungen und Grundsätze, denen wir ergeben sind, bei allen, denen es Ernst ist, befestigen helfen.


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