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Fünfundvierzigstes Kapitel.
Wemmick giebt guten Rath.

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Sowie ich die Warnung gelesen hatte, wandte ich dem Templethore den Rücken und meine Schritte der Fleet-Straße zu, wo ich einen Nachtfiacre miethete und mich nach den Hummums in Covent Garden fahren ließ. Es war dort zu jener Zeit in jeder Stunde der Nacht ein Bette zu haben, und der Zimmerkellner, welcher mich durch das gastlich geöffnete Pförtchen einließ, zündete das Licht an, welches auf seinem Leuchterbrete an der Reihe war, und führte mich dann sofort in das Schlafzimmer, das auf seiner Liste zunächst an die Reihe kam. Es war dies eine Art Gewölbe im Erdgeschosse auf der Hinterseite des Hauses, in dem ein mächtiges altes Ungeheuer von vierpfostiger Bettstelle stand, das sich über das ganze Gemach hinspreizte, indem es eines seiner plumpen Beine an den Kamin und ein anderes dicht an die Thür gestellt hatte und den beklagenswerthen kleinen Waschtisch einzwängte.

Da ich um ein Nachtlicht gebeten, hatte der Kellner, ehe er mich verlassen, mir das gute, alte constitutionelle Binsenlicht jener tugendsamen Tage hereingebracht – ein Ding, welches aussah, wie das Gespenst eines Spazierstockes, das sofort zusammengeknickt sein würde, wenn man es angerührt hätte; ein Ding, welches nicht leuchten konnte, weil es in einsamer Haft am Boden eines hohen zinnernen Thurmes stand, in dessen Wänden viele runde Löcher waren, die ein starres, hohläugiges Muster auf die Zimmerwände warfen. Als ich mich ins Bett gelegt hatte, fußwund, müde und elend, fand ich indessen, daß ich meine eigenen Augen ebensowenig wie die dieses lächerlichen Argus schließen konnte. Und so stierten wir uns einander unausgesetzt an in der Tiefe und Finsterniß der Nacht.

Welch eine traurige Nacht! Wie sorgenvoll, wie trübselig, wie lang! Es herrschte in dem Zimmer ein ungastlicher Duft nach kaltem Ruß und heißem Staube, und als ich zu den Winkeln des Betthimmels über meinem Haupte emporschaute, dachte ich, welch eine Menge von Schmeißfliegen vom Fleischer, von Ohrwürmern von dem Gemüsemarkt und Käfern vom Lande wohl dort oben eingenistet seien, um im nächsten Sommer wieder zum Vorschein zu kommen. Dies führte mich zu der Betrachtung, ob wohl je welche von ihnen herunter fielen, und dann schien es mir, als fühlte ich leichte Gegenstände auf mein Gesicht fallen – ein unangenehmer Gedankengang, der mich noch andere und unangenehmere Gesellschaft meinen Rücken hinauf ahnen ließ. Als ich eine Weile wachend dagelegen, begannen jene merkwürdigen Stimmen, an welchen die nächtliche Stille so reich ist, sich hörbar zu machen. Der Wandschrank flüsterte, der Kamin seufzte, der kleine Waschtisch knackte, und eine einzelne Guitarresaite spielte hin und wieder in der Kommode. Ungefähr um dieselbe Zeit nahmen die Augen an der Wand einen neuen Ausdruck an, und in jeder dieser stierenden Rundungen sah ich die Worte: » Gehen Sie nicht nach Hause« geschrieben.

Welche Nachtgedanken und Nachtgeräusche mich auch umschwebten, sie vermochten nicht, dieses: » Gehen Sie nicht nach Hause« abzuwehren. Dasselbe flocht sich in Alles, was ich dachte, ein, wie irgend ein physischer Schmerz es gethan haben würde. Nicht lange vorher hatte ich in der Zeitung gelesen, wie ein unbekannter Herr in der Nacht in den Hummums angekommen, zu Bette gegangen sei und sich das Leben genommen, und man ihn am nächsten Morgen mit Blut bedeckt im Bette gefunden habe. Mir kam der Gedanke in den Kopf, daß es in diesem selbigen gewölbeartigen Zimmer, in dem ich mich befand, gewesen sein müsse, und ich stieg aus dem Bette, um nachzusehen, ob auch nicht noch rothe Flecke vorhanden seien; dann öffnete ich die Thür, welche in den Corridor hinausführte, um mich durch den Anblick eines fernen Lichtes zu erheitern, neben welchem, wie ich wußte, schlummernd der Kellner saß. Doch während all dieser Zeit waren die Fragen warum ich nicht nach Hause gehen solle, und was sich wohl zu Hause ereignet habe, und wann ich wohl nach Hause gehen dürfe, und ob wohl Provis zu Hause in Sicherheit sei, so geschäftig in meinem Geiste, daß man hätte annehmen können, es sei in demselben kein Platz mehr übrig für andere Gegenstände. Selbst als ich an Estella dachte, und wie wir an diesem Tage auf immer von einander geschieden, und wie ich mir alle die Nebenumstände unseres Scheidens zurückrief: ihre Mienen und den Klang ihrer Stimme und die Bewegung ihrer Finger beim Stricken – selbst dann verfolgte mich hier und dort und überall die Warnung: » Gehen Sie nicht nach Hause.« Als ich endlich aus reiner Erschöpfung, des Geistes und des Körpers einschlummerte, wurde diese Warnung zu einem ungeheuren schattenhaften Verbum, welches ich conjugiren mußte. Imperativ: Gehe Du nicht nach Hause, gehe Er nicht nach Hause; gehen Wir nicht nach Hause, geht Ihr nicht nach Hause, gehen Sie nicht nach Hause; dann Potentialmodus: Ich darf nicht und ich kann nicht nach Hause gehen, und ich dürfte nicht, könnte nicht, wollte nicht und sollte nicht nach Hause gehen; bis ich fühlte, daß ich im Begriffe sei, wahnsinnig zu werden, und mich auf dem Kissen herumlegte und wieder die stierenden Rundungen an der Wand betrachtete.

Ich hatte Befehl gegeben, mich um sieben Uhr zu wecken; denn es war klar, daß ich Wemmick sehen müsse, ehe ich sonst irgend Jemand sähe, und ebenso deutlich, daß dies ein Fall sei, in welchem ich nur seine Walworth-Ansichten würde hören können. Es war eine Erleichterung, das Zimmer zu verlassen, in welchem die Nacht mir so trübselig vergangen, und es bedurfte keines zweiten Anklopfens an meiner Thür, um mich zu bewegen, mein ungemüthliches Lager zu verlassen.

Um acht Uhr stiegen die Zinnen des Schlosses vor meinen Blicken auf. Da die kleine Magd gerade eben mit zwei warmen Semmeln in die Festung einging, ging ich in ihrer Begleitung durch das Hinterthor über die Zugbrücke, und erschien so ohne Meldung vor Wemmick, welcher im Begriff war, für sich und den Alten Thee zu machen. Eine offene Thür bot eine Perspectiv-Aussicht auf den Alten im Bett.

»Hollah, Mr. Pip!« sagte Wemmick, »Sie kamen also wirklich heim?«

»Ja,« erwiederte ich, »aber ich ging nicht nach Hause.«

»So ists recht,« sagte er, sich die Hände reibend. »Ich gab für den Fall an jedem der Templethore ein Billet für Sie ab. An welches Thor kamen Sie?«

Ich sagte es ihm.

»Ich will im Verlaufe des Tages die Runde bei den übrigen machen und die Billets vernichten,« sagte Wemmick; »es ist eine gute Regel, ein documentarisches Zeugniß nicht existiren zu lassen, wenn man es verhindern kann, denn man kann nicht wissen, wann dasselbe gegen Einen gebraucht werden könnte. Ich bin im Begriff, mir eine Freiheit mit Ihnen zu erlauben. Hätten Sie etwas dagegen, dieses Würstchen für den alten Papa vor dem Feuer zu rösten?«

Ich sagte ihm, es werde mir dies großes Vergnügen machen.

»Dann kannst Du Deiner Arbeit nachgehen, Anna Marie,« sagte Wemmick zu der kleinen Magd; »wodurch wir allein gelassen werden, sehen Sie, Mr. Pip,« fügte er mir mit dem Auge zublinzelnd hinzu, als sie hinausging.

Ich dankte ihm für seine Freundschaft und seine Warnung, und wir setzten dann unsere Unterhaltung mit leiser Stimme fort, während ich des Alten Würstchen röstete und er des Alten Semmel mit Butter bestrich.

»Nun, Mr. Pip, Sie wissen,« sagte Wemmick, »daß Sie und ich einander verstehen. Wir sind hier in unserm Privatcharakter zusammen und haben schon früher als heute vertraute Verhandlungen mit einander gehabt. Es giebt amtliche Gefühle. Wir aber sind außeramtlich.«

Ich stimmte ihm mit Herzlichkeit bei. Ich war so nervös aufgeregt, daß ich des Alten Würstchen bereits wie eine Fackel angezündet hatte, und es wieder auszublasen genöthigt gewesen war.

»Ich hörte gestern Morgen zufällig,« sagte Wemmick, »als ich an einem gewissen Orte war, wo ich Sie eines Tages einführte – selbst zwischen Ihnen und mir ist es ebenso gut, keinen Namen zu erwähnen, so lange dies zu vermeiden ist –«

»Weit besser,« sagte ich. »Ich verstehe Sie so vollkommen.«

»Ich hörte dort gestern Morgen durch Zufall,« sagte Wemmick, »daß eine gewisse Persönlichkeit, die nicht ganz unbekannt mit der Colonie ist und bewegliches Eigenthum besitzt – ich weiß nicht, wer es wirklich ist, wir wollen die Person nicht nennen –«

»Durchaus nicht nöthig,« sagte ich.

»In einem gewissen Theile der Welt, nach welchem viele Menschen hingehen, obgleich nicht immer zur Befriedigung ihrer eigenen Wünsche, und meistens auf Kosten der Regierung –«

Ich machte, indem ich sein Gesicht beobachtete, ein förmliches Feuerwerk mit des Alten Würstchen und störte dadurch sehr meine eigene Aufmerksamkeit sowohl, als diejenige Wemmicks; wofür ich ihm meine Entschuldigungen machte.

»Einiges Aufsehen gemacht hat, indem sie von dort verschwand und nichts mehr von sich sehen oder hören ließ; woraus«, setzte Wemmick hinzu, »man Schlüsse gezogen und Theorien gebildet hat. Auch hörte ich, daß Sie in Ihrer Wohnung in Gardencourt im Temple beobachtet worden seien und abermals belauert werden könnten.«

»Von wem?« sagte ich.

»Ich wollte mich darauf eigentlich nicht einlassen,« sagte Wemmick ausweichend, »es möchte sich dies nicht mit meiner amtlichen Verantwortlichkeit vertragen. Ich hörte es, wie ich gelegentlich noch manche andere merkwürdige Sachen an demselben Orte erfahren habe. Doch sage ich es Ihnen nicht als besonders empfangene Mitteilung. Ich habe es nur gehört.«

Er nahm mir, während er sprach, die Röstgabel und das Würstchen ab, und legte des Alten Frühstück sauber auf einem kleinen Theebrete zurecht. Ehe er ihm dasselbe jedoch vorsetzte, ging er mit einer weißen Serviette in des Alten Zimmer hinein, band dieselbe dem alten Herrn um den Hals, brachte ihn durch Kissen in eine aufrecht sitzende Stellung, rückte ihm seine Schlafmütze ein wenig auf eine Seite und gab ihm dadurch ein förmlich flottes Aussehen. Dann setzte er ihm mit großer Sorgfalt sein Frühstück vor und sagte: »Alles in Richtigkeit, wie, alter Papa?« Worauf der heitere Alte erwiederte: »Alles in Richtigkeit, John, mein Junge, Alles richtig!« Da eine schweigende Uebereinkunft zu herrschen schien, daß der Alte nicht in einer Verfassung sei, gezeigt zu werden, und deshalb als unsichtbar betrachtet werden müsse, that ich, als ob ich in vollkommenster Unwissenheit über diese Vorkehrungen sei.

»Diese Beobachtung meiner in meiner Wohnung, die ich einmal zu argwöhnen Grund gehabt habe,« sagte ich zu Wemmick, als er zurückkehrte, »ist von der Person, deren Sie erwähnten, unzertrennlich, wie?«

Wemmick machte ein sehr ernstes Gesicht.

»Ich könnte mich nicht unterfangen, das nach meinem eigenen Wissen zu behaupten. Ich will damit sagen, daß ich nicht behaupten kann, daß dies gleich zu Anfang der Fall war. Aber entweder ist es jetzt der Fall, oder wird es sein, oder es ist große Gefahr vorhanden, daß es noch dahin kommt.«

Da ich sah, daß seine Pflichttreue gegen Little Britain ihn verhinderte, Alles zu sagen was er wußte, und da ich voll Dankbarkeit einsah, wie weit er sich Unannehmlichkeiten aussetzte, indem er sagte was er bereits gesagt, enthielt ich mich, in ihn zu dringen. Doch sagte ich ihm, nachdem ich eine Weile nachdenkend vor dem Feuer gesessen hatte, ich hätte ihm eine Frage vorzulegen, deren Beantwortung oder Nichtbeantwortung ich ihm anheimstellen wolle, indem ich überzeugt sei, daß das, was er wähle, jedenfalls das Rechte sein werde. Er hielt in seinem Frühstücken inne, verschränkte seine Arme über seiner Brust, kniff in seine Hemdärmel (seine Idee von häuslicher Gemüthlichkeit bestand darin, daß er ohne Rock saß), und nickte mir dann ein Mal zu, damit ich ihm meine Frage vorlegte.

»Haben Sie nicht von einem Manne von schlechtem Charakter gehört, dessen wahrer Name Compeyson ist?«

Er antwortete mit einem zweiten Kopfnicken.

»Ist er am Leben?«

Er nickte nochmals.

»Ist er in London?«

Er nickte mir nochmals zu, kniff den Briefkasten ganz außerordentlich fest zusammen, nickte mir noch ein Mal zum letzten Male zu und fuhr dann mit seinem Frühstücke fort.

»Nun«, sagte Wemmick, »ist das Ausfragen zu Ende«; er wiederholte dies zu meiner Leitung nochmals mit Nachdruck; »nun komme ich zu Dem, was ich that, nachdem ich hörte was ich gehört. Ich ging nach Gardencourt, um Sie zu suchen; da ich Sie nicht fand, ging ich nach Clarrikers Geschäftslocal, um Mr. Herbert zu suchen.«

»Und Sie fanden ihn?« sagte ich mit großer Besorgniß.

»Und ich fand ihn. Ohne irgend welche Namen zu erwähnen, oder sonst mich in Einzelheiten einzulassen, gab ich ihm zu verstehen, daß, falls er von Jemand – Tom, Jack oder Richard – wisse, der sich in Ihrer Wohnung, oder in der Nachbarschaft derselben aufhalte, er wohl daran thun werde, Tom, Jack oder Richard bei Seite zu schaffen, so lange Sie abwesend seien.«

»Er muß in großer Verlegenheit gewesen sein, was er thun sollte?«

»Er war allerdings in Verlegenheit, und zwar um nichts weniger deshalb weil ich ihm sagte, es sei meiner Ansicht nach nicht sicher, zu versuchen, Tom, Jack oder Richard augenblicklich zu weit fort zu schaffen. Ich will Ihnen was sagen, Mr. Pip. Unter den gegenwärtigen Umständen giebt es keinen bessern Ort, als eine große Stadt, wenn Sie einmal drin sind. Gehen Sie nicht zu früh ins Freie. Liegen Sie still. Warten Sie, bis die Sache ruhiger wird, ehe Sie es mit dem offenen Lande, ja selbst mit dem Auslande versuchen.«

Ich dankte ihm für seinen schätzbaren Rath und fragte ihn, was Herbert gethan habe.

»Mr. Herbert«, sagte Wemmick, »fand, nachdem er eine halbe Stunde lang vollkommen verdutzt gewesen, ein Mittel. Er vertraute mir, als Geheimniß, daß er mit einer jungen Dame verlobt ist, welche, wie Sie ohne Zweifel wissen, einen bettlägerigen Papa hat; welcher Papa, nachdem er im Leben die Stellung eines Proviantmeisters eingenommen, in einem Bogenfenster im Bett liegt, wo er die Schiffe den Fluß hinauf und hinab segeln sehen kann. Sie sind mit der jungen Dame wahrscheinlich bekannt?«

»Nicht persönlich«, sagte ich.

Die Wahrheit war die, daß sie meinen Umgang mit Herbert, dem ich ein kostspieliger Gefährte sei und keinen Vortheil bringe, nicht gebilligt hatte, und daß sie, als Herbert ihr den Vorschlag machte, mich ihr vorzustellen, denselben mit so mäßiger Wärme aufnahm, daß Herbert sich dadurch veranlaßt fühlte, mich vorerst mit der Lage der Sache bekannt zu machen, in der Absicht, erst ein wenig Zeit verstreichen zu lassen, ehe ich ihre Bekanntschaft machte. Als ich angefangen, Herberts Aussichten im Geheimen zu fördern, war ich im Stande gewesen, dies mit froher philosophischer Ergebung zu ertragen. Ihm und seiner Verlobten hatte natürlich ihrerseits nicht besonders daran gelegen, eine dritte Person in ihre Zusammenkünfte mit einzuführen; und so kam es, daß, obgleich ich überzeugt war, in Claras Achtung gestiegen zu sein, und obgleich die junge Dame und ich seit geraumer Zeit regelmäßig durch Herbert kleine Botschaften und Grüße wechselten, ich sie selbst noch nie gesehen hatte. Indessen erwähnte ich von diesen Einzelheiten nichts gegen Wemmick.

»Da das Haus mit dem Bogenfenster«, sagte Wemmick, »unten beim Teiche zwischen Greenwich und Limehouse am Flusse liegt, und, wie es scheint, einer sehr gastfreundlichen Wittwe gehört, die eine neuetablirte obere Etage zu vermiethen hatte, so fragte mich Herbert, was ich davon denke, falls wir dort eine zeitweilige Unterkunft für Tom, Jack oder Richard suchten? Nun aber schien mir dies sehr vortheilhaft, und zwar aus drei Gründen, welche ich Ihnen nennen will. Das heißt erstens: Es liegt ganz und gar außerhalb Ihres gewöhnlichen Reviers, und weit von den besuchten großen und kleinen Straßen entfernt. Zweitens: Ohne selbst dorthin zu gehen, können Sie stets durch Mr. Herbert über Toms, Jacks oder Richards Sicherheit Kunde haben. Drittens: Nach einer Weile, wenn es gerathen sein mag und Sie Tom, Jack oder Richard an Bord eines ins Ausland gehenden Passagierschiffes zu bringen wünschen, so ist er da, – in naher Bereitschaft.«

Durch diese Betrachtungen um ein Bedeutendes beruhigt, drückte ich Wemmick wiederholt meinen Dank aus und bat ihn dann, fortzufahren.

»Nun, Sir! Mr. Herbert machte sich mit Eifer über die Sache her, und um neun Uhr gestern Abend brachte er Tom, Jack oder Richard – Sie und ich wollen gar nicht wissen, wen – glücklich unter. In der alten Wohnung wurde vorgegeben, daß er in Geschäften nach Dover abberufen sei, und in der That wurde er den Weg nach Dover hinunter und dann auf einem Nebenwege wieder von demselben abgeführt. Ein fernerer größer Vortheil von allem diesen ist nun der, daß es ohne Sie geschah, und zu einer Zeit, wo, falls sich irgend Jemand darum bekümmerte, wo Sie sich hinbegaben, man Sie viele Meilen weit entfernt und ganz anders beschäftigt gewußt haben muß. Dies zieht den Verdacht ab und macht Verwirrung; und aus demselben Grunde empfahl ich Ihnen, selbst falls Sie schon gestern Abend zurückkehrten, nicht nach Hause zu gehen. Es entsteht dadurch noch mehr Verwirrung, und Verwirrung ist das, was Sie brauchen.«

Wemmick sah hier, da er mit seinem Frühstücke zu Ende war, nach seiner Uhr, und begann seinen Rock anzuziehen.

»Und jetzt, Mr. Pip.« sagte er, indem er seine Hände noch in den Aermeln hatte, »habe ich wahrscheinlich das Meiste gethan, was in meiner Macht liegt; doch falls ich noch mehr thun kann – aus einem Walworth-Gesichtspunkte und im strengsten Privatcharakter – so soll es mit Vergnügen geschehen. Hier ist die Adresse. Es kann nicht schaden, wenn Sie heute Abend dorthin gehen und sich selbst überzeugen, ehe Sie nach Hause gehen, daß mit Tom, Jack oder Richard Alles richtig ist – und das ist noch ein Grund, weshalb Sie gestern Abend nicht nach Hause gehen durften. Aber kehren Sie, nachdem Sie nach Hause gegangen sind, nicht zurück. Es ist sehr gern geschehen. Mr. Pip, das versichere ich Sie«; seine Hände waren jetzt aus den Aermeln zum Vorschein gekommen, und ich drückte sie mit Herzlichkeit; »und lassen Sie mich Ihnen zum Schlusse noch einen wichtigen Punkt einprägen.« Er legte seine Hände auf meine Schultern und fügte mit feierlich flüsternder Stimme hinzu: »Benutzen Sie diesen Abend, um von seinem beweglichen Eigenthume Besitz zu nehmen. Sie wissen nicht, was ihm zustoßen kann. Lassen Sie wenigstens seinem beweglichen Eigenthume nichts zustoßen.«

Indem ich daran verzweifelte, Wemmick in Bezug auf diesen Punkt meine Ansicht klar zu machen, enthielt ich mich selbst des Versuches.

»Meine Zeit ist um,« sagte Wemmick,»und ich muß mich auf den Weg machen. Falls Sie nichts Dringenderes zu thun hätten, als den Tag über bis zum Dunkelwerden hier zu bleiben, so würde ich Ihnen rathen, dies zu thun. Sie sehen sehr angegriffen aus, und es würde Ihnen gut thun, einen vollkommen ruhigen Tag mit dem Alten zuzubringen – er wird sogleich aufstehen – und ein Stückchen – Sie erinnern sich des Schweins?«

»Natürlich,« sagte ich.

»Gut; also ein Stückchen von ihm zu genießen. Jenes Würstchen, das Sie rösteten, kam von ihm, und es war in jeder Beziehung ein Kapitalschwein. Bitte, kosten Sie etwas davon, und wärs auch nur um alter Bekanntschaft willen. Adieu, alter Papa!« rief er dann fröhlich dem Alten zu.

»Alles richtig, John, Alles richtig, mein Junge!« rief der alte Mann mit seiner dünnen, heisern Stimme von innen.

Ich schlief bald vor Wemmicks Feuer ein, und der Alte und ich leisteten einander Gesellschaft, indem wir mehr oder weniger den ganzen Tag vor demselben einschliefen. Wir hatten Schweinslende zu Mittag und Kohl, der auf dem Grundbesitze gewachsen, und ich nickte dem Alten oft in guter Absicht zu, wenn es nicht gerade zufällig geschah. Als es ganz dunkel geworden war, verließ ich den Alten, der im Begriff war, das Feuer zum Rösten der Semmelschnitte herzurichten; und ich schloß nach der Anzahl von Tassen und seinen häufigen Blicken nach den kleinen Fallthüren in der Wand, daß Miß Skiffins erwartet werde.

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