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Dreizehntes Kapitel.

Der Reisewagen des Präsidenten war ein doppelsitziger Landauer, und auch auf dem Bock waren zwei Plätze. Nur einer von den Kutschern, derselbe, der die Staatskarosse zur Parade gefahren hatte, war in den Ställen verblieben, und da er den Weg nach Los Bocos kannte, befahl ihm Clay, auf den Bock zu steigen, während Mc Williams den Platz neben ihm einnahm, nachdem er drei Büchsen unter das Spritzleder gesteckt hatte.

Hope zog die Ledervorhänge des Wagens zurück und fand Madame Alvarez auf den Kissen, wie die Männer sie hingelegt hatten, schwach und krampfhaft erregt. Das junge Mädchen setzte sich an ihre Seite, nahm sie in die Arme und legte den Kopf der älteren Dame an ihre Schulter, um sie dann voll Zärtlichkeit und Teilnahme zu trösten und zu beruhigen.

Clay hielt mit dem Fuße im Steigbügel inne und sah besorgt zu Langham empor, der bereits im Sattel saß.

»Gibt es denn gar keine Möglichkeit, Hope nach der Palmenvilla zurückzuschaffen?« fragte er.

»Nein, es ist zu spät; dies ist jetzt der einzige Weg.«

Hope, die diese Worte gehört hatte, öffnete die Ledervorhänge, schaute aus dem Wagen und sah Clay mit einem ärgerlichen Kopfschütteln an.

»Und wenn es auch noch einen andern Weg gäbe,« sagte sie, »so würde ich ihn nicht gehen. Ich könnte doch die Frau in diesem Zustande nicht verlassen.«

»Sie halten uns nur auf, Clay,« rief Langham warnend, indem er seinem Pony die Sporen in die Weichen drückte.

Die Insassen des Reisewagens schwankten nach vorn, als die Pferde die Peitsche fühlten, sich ins Geschirr legten und dann ihren langen Rennlauf nach der See im Galopp antraten. Während sie durch den Garten fuhren, verbargen die Stallgebäude und die Bäume sie den Blicken der im Palaste tobenden Menge, und der Rasen, worauf der Kutscher der Sicherheit wegen die Pferde gelenkt hatte, dämpfte das Geräusch ihrer Flucht.

Die Thore des botanischen Gartens waren bereits geöffnet, und Clay, der in der Straße davor hielt, winkte dem Kutscher, weiter zu fahren. Ohne auf die andern zu warten, sprengten die beiden Reiter bis zur ersten Straßenkreuzung voraus, wo sie sich vorsichtig nach allen Seiten umsahen und dann, augenscheinlich durch das, was sie erblickt hatten, beunruhigt, dem Kutscher zuwinkten, rascher zu fahren und ihnen zu folgen. An der nächsten Ecke sprang Clay vom Pferde, warf Langham den Zügel zu und lief zu Fuße in eine Seitenstraße. Dort wies er nach einer kurzen Umschau die Straße hinunter, die aus der Stadt hinaus in die Berge zu führte.

Der Kutscher schlug die ihm von Clay angegebene Richtung ein, und als er fand, daß es kein Zurückweichen mehr gab, peitschte er rücksichtslos auf seine Pferde los und jagte durch die enge Straße, so daß das brausende Toben des Pöbels hinter den Flüchtigen bald merkbar schwächer wurde.

Das Geräusch der galoppierenden Pferde lockte Frauen und Kinder an die vergitterten Fenster der Häuser, aber keine Männer traten auf die Straße heraus, um die Reisenden aufzuhalten. Die wenigen, die ihnen begegneten, liefen in der Richtung nach dem Palaste und beeilten sich, dem Wagen auszuweichen und sich an die Häuser der engen Straße zu drücken, wo sie der Kutsche verwundert nachschauten.

Selbst diejenigen, welche ahnen mochten, was die rasche Fahrt bedeute, waren machtlos, sie aufzuhalten, denn noch ehe sie Lärm schlagen oder überlegen konnten, was sie thun sollten, war der Wagen an ihnen vorbei und verschwand, schaukelnd wie ein Schiff auf bewegter See, in der Ferne. Zwei Männer, die so kühn waren, zu folgen, hielten plötzlich an, als sie bemerkten, daß die beiden begleitenden Reiter ihre Pferde zügelten und sich im Sattel umwandten, als ob sie ihr Näherkommen abwarten wollten.

Schwere Bedenken erfüllten Clays Seele, und seine Nerven waren angespannt, wie die Saiten einer Geige. Persönliche Gefahr wirkt sonst anregend auf ihn, allein jetzt, wo andre in Gefahr waren, die ohne ihn hilflos gewesen wären, drückte ihn die Besorgnis nieder. In seinem Geiste machte er die ganze nervöse Angst durch, die ein Dieb fühlt, der in jedem ihm Begegnenden einen Diener der Gerechtigkeit erblickt, und bald ermahnte er den Kutscher, vorsichtiger zu fahren, damit ihre Eile keinen Verdacht errege, bald drängte er ihn zu noch größerer Schnelligkeit. In seiner Einbildung drohte ihnen bei jeder Straßenkreuzung ein Hinterhalt, und während er bald vor, bald hinter dem Wagen einhersprengte, wünschte er, er könne sich vervielfältigen und das Gefährt vollkommen umringen und verbergen.

Die geschlossenen Straßen machten bald solchen Platz, wo statt der großen Häuser vereinzelte niedrige Lehmhütten standen, wo die Hufe der Pferde auf hartem Makadam statt auf Steinpflaster klapperten, und die Bewohner in dem dämmernden Licht träge vor den Thüren saßen, ohne zu ahnen, welche Umwälzungen der Tag in der Stadt gebracht hatte, und ohne dem verdeckten Wagen und den ernsten Fremden mit den bleichen Gesichtern mehr als einen vorübergehenden Gedanken der Neugier zu schenken.

Clay ließ sein Pony an Langhams Seite in Schritt fallen. Sein Gesicht war blaß und starr.

Als sich die Gefahr unmittelbarer Verfolgung und Gefangennahme verminderte, mäßigte der Wagen seine Fahrt, und die beiden Reiter sprengten einige Zeit schweigend nebeneinander her. Derselbe Gedanke beschäftigte die Gemüter beider, und als Langham ihm endlich Worte lieh, war es, als ob er fortführe, wo er eben unterbrochen worden war.

Leise legte er seine Hand auf Clays Arm, ohne ihm das Gesicht zuzuwenden, und seine Augen suchten die vor ihm liegenden Schatten zu durchdringen.

»Erzählen Sie mir,« bat er.

»Er kam die Treppe herauf,« antwortete Clay so leise, daß sich Langham im Sattel zu ihm hinüberneigen mußte, wenn er ihn verstehen wollte. »Seine Leute waren dicht hinter ihm, aber als sie Madame Alvarez erblickten, blieben sie stehen und wollten nicht weiter gehen. Ich rief ihm zu, er solle mit uns kommen, allein er wollte mich nicht verstehen, und sie schossen ihn nieder, ehe er noch begriffen hatte, was sie beabsichtigten. Als ich ihn erreichte, war er fast tot, und in meinen Armen hauchte er seinen letzten Seufzer aus. – Ich möchte wohl wissen, ob ihm das jetzt bekannt ist?« schloß Clay nach einer längeren Pause.

Langham hatte sich wieder im Sattel aufgerichtet, und sein Atem ging kurz.

»Ich wäre froh, wenn er wüßte, wie sehr er mir geholfen hat,« flüsterte er, »wieviel mir schon allein das genützt hat, daß ich ihn gekannt habe.«

Clay neigte den Kopf vor dem jungen Manne, als ob er ihm danken wolle.

»Er war die weichste Seele, die ich je gekannt habe,« erwiderte er.

»Das war das, was ich sagen wollte,« entgegnete Langham. »Das sollte seine Grabschrift sein,« schloß er, und dann berührte er sein Pferd mit den Sporen, sprengte voraus und ließ Clay allein.

Langham war etwa eine Meile weiter geritten, als er bemerkte, daß sich ein Wald vor ihnen ausbreitete, und er stieß einen Ruf der Erleichterung aus, aber fast in demselben Augenblick hielt er sein Pferd scharf an, warf es herum und jagte mit einem Warnungsrufe nach dem Wagen zurück.

»Ich sehe Soldaten vor uns!« rief er. »Wußten Sie das?« fragte er den Kutscher. »Haben Sie mich belogen? Drehen Sie um!«

»Umdrehen kann er nicht,« antwortete Mc Williams, »sie haben uns schon gesehen, und es sind nur die Zollwächter an der Grenze des Weichbildes der Stadt. Die wissen noch von nichts. Fahren Sie nur zu.«

Bei diesen Worten beugte er sich vor, ergriff die Zügel und ließ die Pferde in Schritt fallen. Sodann gab er die Zügel dem Kutscher kopfschüttelnd wieder.

»Wenn Sie diese Straße so gut kennen, als Sie behaupten, so sollten Sie Begegnungen mit Soldaten zu vermeiden wissen,« sagte er. »Fallen wir in einen Hinterhalt, so sind Sie der erste von beiden Seiten, der erschossen wird.«

Sein Gewehr am Bajonett hinter sich herschleifend, schlenderte ein Posten langsam in die Mitte der Straße und erhob seine Hand zum Zeichen, daß der Wagen halten solle. Ein Offizier trat aus dem Wachthause hervor, warf seine Zigarette fort und grüßte den auf dem Bocke sitzenden Mc Williams und die beiden Reiter im Hintergrunde. In seiner Rechten hielt er einen langen Stab von Eisendraht, wie ihn die städtischen Zöllner brauchten, um Bündel und Packen, ja selbst die Sitzkissen der Wagen, die von der Küste her in das Weichbild der Stadt kommen, nach geschmuggelten Waren zu durchsuchen.

»Wessen Wagen ist dies und wohin fährt er?« fragte der Offizier.

Als sich die Geschwindigkeit der Fahrt verminderte, streckte Hope ihren Kopf unter den Ledervorhängen hervor, betrachtete den Soldaten mit anscheinender Ueberraschung und wandte sich sodann an ihren Bruder.

»Was hat denn das zu bedeuten?« fragte sie. »Worauf warten wir denn?«

»Wir fahren nach der Hacienda des Señor Palacio,« antwortete Mc Williams auf die Frage des Offiziers. »Der Kutscher meint, dies sei die Straße, aber ich behaupte, wir hätten vorhin rechts abbiegen müssen.«

»Nein, dies ist der richtige Weg nach Señor Palacios Besitzung,« entgegnete der Offizier, »aber Sie dürfen die Stadt nicht ohne einen von General Mendoza unterzeichneten Paß verlassen. So lautet der Befehl, den wir diesen Morgen erhalten haben. Sind Sie im Besitze eines solchen Passes?«

»Keineswegs,« erwiderte Clay ärgerlich. »Dies ist der Wagen eines Amerikaners, des Präsidenten der Bergwerksgesellschaft. Seine Töchter, die darin sitzen, sind auf dem Wege zu einem Besuche bei Señor Palacio. Sie sind Fremde – Amerikanerinnen. Wir alle sind Fremde und haben das Recht, die Stadt zu verlassen, wann es uns gefällt. Sie können uns nur anhalten, wenn wir in die Stadt wollen.«

Unsicher sah der Offizier bald Clay, bald Hope und dann wieder den Kutscher auf dem Bocke an. Auch auf die schweren Messingbeschläge der Geschirre, die das Wappen von Olancho trugen, fielen seine Blicke. Darauf drehte er sich scharf um und rief seinen Leuten im Wachthause etwas zu, worauf diese heraustraten und sich wie zufällig quer über die ganze Straße verteilten.

»Reiten Sie ihn über den Haufen!« murmelte Langham Clay leise zu. Der Offizier verstand zwar diese Worte nicht, aber er sah, wie Clay die Zügel fester in die Hand nahm. Rasch trat er auf die Veranda des Wachthauses zurück und sah von diesem sicheren Platze aus Clay freundlich lächelnd an.

»Verzeihung,« sagte er, »wenn man reich genug ist, zu bezahlen, liegt keine Veranlassung vor, sich zu schlagen. Eine Kleinigkeit für mich selbst, etwas zu trinken für meine braven Leute, und Sie können fahren, wohin Sie Lust haben.«

»Verfluchte Räuberbande!« knurrte Langham wütend.

»Gar nicht,« antwortete Clay. »Er ist Offizier und ein anständiger Herr. Ich habe kein Geld bei mir,« fuhr er spanisch fort, sich dem Offizier zuwendend, »aber unter Caballeros genügt das Ehrenwort. Morgen früh werde ich auf diesem Wege zurückkehren und ein paar hundert Sols für Sie und Ihre Leute mitbringen. Werden wir jedoch verfolgt, so erhalten Sie gar nichts, und Sie müssen inzwischen vergessen, daß Sie uns haben vorbeifahren sehen.«

Nach diesen Worten erhob sich im Innern des Wagens ein Murmeln, und Hopes Gesicht verschwand hinter den Vorhängen, um sogleich wieder zu erscheinen. Sie winkte dem Offizier mit der Hand, und die Herren sahen, daß sie einen großen Brillantring von wunderbarem Feuer zwischen Daumen und Zeigefinger hielt.

»Meine Schwester hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß Sie morgen früh diesen Ring erhalten sollen, wenn wir nicht verfolgt werden,« sagte Hope.

Des Mannes Augen funkelten vor Freude, und er schwenkte seinen Sombrero so tief, daß er die Erde berührte.

»Ihr ergebenster Diener, Señorita,« sagte er. »Meine Herren,« rief er vergnügt, sich an Clay wendend, »wenn Sie es wünschen, will ich Sie mit meinen Leuten begleiten. Ja, ich kann hier hinterlassen, daß ich mich zur Festnahme von Schmugglern auf den Weg gemacht habe, oder, wenn Sie es vorziehen, will ich hier bleiben und etwaige Verfolger zurückschicken.«

»Sie sind außerordentlich freundlich, mein Herr,« antwortete Clay. »Es ist stets angenehm, einem anständigen Manne mit philosophischen Anschauungen zu begegnen, allein wir ziehen es vor, ohne Bedeckung zu reisen. Vergessen Sie aber nicht, daß Sie nichts gehört und gesehen haben.« Dabei beugte er sich im Sattel vor und berührte den Offizier auf der Brust. »Der Ring könnte als Lösegeld eines Königs gelten.«

»Oder eines Präsidenten,« murmelte der Mann lächelnd.

Die Soldaten zerstreuten sich, als die Peitsche fiel, die Pferde sprangen wieder ins Geschirr, und als der Wagen in den Wald einfuhr, blickte Clay zurück und sah, wie der Offizier mit der Befriedigung eines Menschen, der sich eines reinen Gewissens und des Bewußtseins treuer Pflichterfüllung erfreut, den Rauch einer frischen Zigarette ausstieß.

Der durch den Wald führende Weg war schmal und rauh, und als die Pferde in Trab fielen, ritten die beiden Reiter zusammen hinter dem Wagen.

»Glauben Sie, daß dieser Straßenräuber Wort halten wird?« fragte Langham.

»Unbedingt, denn er hat nichts zu gewinnen, wenn er uns verrät,« antwortete Clay. »Er kann sagen, er habe eine Gesellschaft von Fremden, Amerikanern, nach Palacios Kaffeeplantage fahren sehen. Das deckt ihm den Rücken, und er weiß, daß er uns morgen früh Sperrgeld abnehmen kann. Eine Verfolgung macht mir weniger Sorge, als der Gedanke, daß sich King verspäten und nicht zur rechten Zeit in Bocos eintreffen könnte. Wenn der Wagen bei unsrer raschen Fahrt nicht in Stücke geht, müssen wir um Elf dort sein, und die Fahrt nach Truxillo dürfte der Jacht nicht mehr als drei Stunden kosten. Aber wir werden nicht im stande sein, vor fünf Uhr morgens die Stadt wieder zu erreichen, und ich fürchte, Ihre Angehörigen werden sich schwere Sorgen um Hope machen. Als wir den Reitknecht mit der Bestellung an King abschickten, wußten wir noch nicht, wo sie war.«

»Glauben Sie, daß der Kutscher den richtigen Weg fährt?« fragte Ted nach einer Pause.

»Das möchte ich ihm geraten haben. Er kennt ihn ganz genau, denn er hat die letzte Revolution mitgemacht und zwei Monate Botendienst zwischen Los Bocos und der Hauptstadt gethan. Er ist mit jedem Seitenpfade vertraut, und wenn er uns in die Irre führt, so weiß er, was ihm bevorsteht.«

»Und Los Bocos – ist ein Dorf, nicht wahr, dessen Landungsplatz in Sicht des Zollhauses liegt?«

»Das Dorf liegt etwas von der Küste entfernt, und das einzige Haus am Strande ist das Zollhaus, aber wenn wir dort anlangen, wird alle Welt schlafen, und Madame ins Boot zu bringen, kann höchstens eine Minute dauern. Sollte eine Wache dort sein, so wird King sie vor unsrer Ankunft auf die eine oder andre Weise unschädlich gemacht haben. Jedenfalls ist es nicht nötig, uns mit Sorgen zu quälen, die so weit entfernt sind. Wir haben vorher genug zu bedenken, denn wir sind noch lange nicht dort.«

Kurz darauf ging der Mond auf und übergoß den Wald mit einer Lichtfülle, die die Lichtungen taghell erscheinen ließ. Seltsame Schatten fielen auf die Straße und verwandelten die Felsen und die gefallenen Bäume in die Gestalten von Menschen, die sich niedergekauert hatten oder mit erhobenen Armen aufrecht standen. Die Aehnlichkeit war manchmal so täuschend, daß Clay und Langham wieder und wieder ihre Karabiner an die Schultern rissen und auf irgend einen schwarzen Gegenstand zielten, der sich beim Näherkommen als aus Holz oder Stein bestehend erwies. Oft hatten sie kleine Bäche oder breite, flache Ströme zu überschreiten, wo das Wasser in den Furten an den im Flußbett liegenden Felsblöcken zu weißem Schaum gepeitscht wurde und die Pferde Schauer von Tropfen in die Höhe warfen, während sie sich gleitend und stolpernd ihren Weg gegen den Strom erkämpften. Es war eine schweigsame Pilgerfahrt, und nicht einen Augenblick ließ die nervöse Spannung nach oder zügelten die Männer ihre Pferde. Manchmal, wenn sie über eine breite Hochfläche oder am Rande eines Abgrundes entlang fuhren, wo sie Hunderte von Metern auf das glänzende Wasser hinabsahen, das sie vor kurzem durchfurtet hatten, oder zu den felsigen Spitzen der Berge emporschauten, die vor ihnen lagen, überwältigte sie die Schönheit der Nacht und ließ sie den Zweck ihrer Reise vergessen.

Auch waren sie nicht immer allein, denn sie durchfuhren von Zeit zu Zeit schlafende Dörfer von Lehmhütten, wo die Hunde bellend aus den Höfen heranstürzten und wo die Pinienzapfen, die in den Thonöfen brannten, freundlich in die Mondnacht hinausleuchteten. In den tiefer gelegenen Strecken, wo das Fieber lauerte, erhob sich der Dunst über ihre Köpfe und umhüllte sie wie mit einem Nebelvorhange. Hier sank der Tau schwer auf sie herab, drang durch ihre Kleider, ihre erhitzten Körper kühlend, und die schwitzenden, mit Schaum bedeckten Pferde trabten von einer Dampfwolke umhüllt einher.

Jetzt waren sie in einen gleichmäßigen, ruhigen Jagdgalopp gefallen, und zehn bis fünfzehn Meilen lagen hinter den Flüchtlingen.

»Wir kommen ausgezeichnet vorwärts,« sagte Clay. »Hinter diesem Hügelrücken muß das Dorf San Lorenzo liegen. – Ist das nicht San Lorenzo?« fragte er, indem er dicht neben den Kutscher ritt und mit seiner Peitsche in die betreffende Richtung wies.

»Ja, Señor,« antwortete der Mann, »aber ich werde auf der alten Wagenstraße außen herumfahren. Es ist ein großer Ort, und es möchten Leute wach sein. Vom Gipfel der nächsten Anhöhe aus können Sie es sehen.«

Als sie auf der bezeichnten Anhöhe angekommen waren, hielt der Zug an, und die Männer schauten in das schweigende Dorf hinab. Wie alle andern, die sie durchfahren hatten, bestand es aus ein paar Häusern, die um einen mit Gras bewachsenen viereckigen Platz erbaut waren, der kaum als Plaza zu erkennen gewesen wäre, hätte nicht an einer Seite die Kirche und in der Mitte ein großes hölzernes Kreuz gestanden. Vom Gipfel der Anhöhe aus konnten sie sehen, daß der größte Teil der Häuser dunkel war, nur in einem ansehnlichen zweistöckigen Gebäude waren sämtliche Fenster erhellt.

»Das ist die Comandáncia,« erklärte der Kutscher kopfschüttelnd. »Da sind sie noch wach. Dort ist auch das Telegraphenamt.«

»Großer Gott!« rief Mc Williams ganz erregt. »Wir haben den Telegraphen vergessen! Vielleicht haben sie schon überallhin Nachricht von unserm Kommen geschickt.«

»Daß die Leute hier noch wach sind, hat möglicherweise gar nichts Besonderes zu bedeuten,« antwortete Clay, »denn neun Uhr ist doch noch nicht sehr spät.«

»Jedenfalls wäre es besser, wenn wir uns Gewißheit zu verschaffen suchten,« meinte Mc Williams, indem er vom Bock sprang. »Leihen Sie mir mal Ihr Pony, Ted, und setzen Sie sich an meinen Platz. Ich will hinreiten und sehen, was los ist. Auf der andern Seite des Ortes, wo ihr auf die Hauptstraße kommt, werde ich euch wieder treffen.«

»Warten Sie mal einen Augenblick,« rief Clay. »Was wollen Sie denn eigentlich thun?«

»Das kann ich Ihnen nicht eher sagen, als bis ich dort bin; aber ich will versuchen, zu ermitteln, was die Leute dort wissen. Seien Sie nur unbesorgt, falls ich Unrat wittere, werde ich mich schon schnell genug aus dem Staube machen. Und wenn Sie irgendwo auf einen Telegraphendraht stoßen, so schneiden Sie ihn durch; vielleicht ist die Nachricht noch nicht weiter gegangen.«

Die beiden Damen im Wagen hatten die Ledervorhänge geteilt und versuchten zu hören, was gesprochen wurde, allein sie konnten es nicht verstehen, und Langham erklärte ihnen, sie wären im Begriffe, einen kleinen Umweg zu machen, um San Lorenzo zu vermeiden, während Mc Williams in den Ort gehen wolle, um Erkundigungen einzuziehen. Sodann fragte er, ob sie sich behaglich fühlten, und versicherte ihnen, daß der größere Teil der Reise hinter ihnen liege und daß der Weg von San Lorenzo nach der See ganz gut sei.

Mc Williams ritt auf der Hauptstraße ins Dorf und warf die Zügel seines Pferdes über einen vor der Comandáncia stehenden Pfosten. Kühn stieg er bis in den zweiten Stock des Gebäudes hinauf und blieb hier an einer offenen Thür stehen. In dem Zimmer vor ihm hielten sich drei Männer auf, ein ältlicher Herr, der, wie er richtig vermutete, der Comandánte war, und zwei jüngere, die in einem durch ein niedriges Geländer vom Rest des Zimmers abgetrennten Raume standen und sich über einen auf einem Tische befestigten Telegraphenapparat beugten. Als er mit schweren Schritten in das Zimmer trat, schauten sie überrascht auf, und ihre Gesichter verrieten, daß er sie in einem Augenblick von ungewöhnlicher Spannung gestört hatte.

Mc Williams begrüßte die drei Männer höflich und bat der Landessitte gemäß um Entschuldigung, daß er mit Sporen vor ihnen erscheine. Er komme von Los Bocos und wolle nach der Hauptstadt, erklärte er, allein sein Pferd sei lahm geworden und er möchte gern ein Maultier mieten. Könnten sie ihm nicht sagen, wo er eins bekommen könne? Denn er müsse unbedingt die Hauptstadt noch in der Nacht erreichen.

Einen Augenblick musterte ihn der Comandánte, noch immer verdrießlich über die Störung, dann schüttelte er ungeduldig den Kopf.

»Ein Maultier können Sie wohl bei einem gewissen Pulido Paul an der Ecke der Plaza mieten,« sagte er, und als Mc Williams noch immer unentschlossen stehen blieb, fügte er hinzu: »Sie sagen, Sie kämen von Los Bocos. Ist Ihnen unterwegs jemand begegnet?«

Die beiden jüngeren Männer sahen gespannt auf, aber noch ehe Mc Williams antworten konnte, fing der Apparat von neuem zu klappern an. So wandten sie ihre Aufmerksamkeit diesem wieder zu, und der eine begann, die Depesche niederzuschreiben.

Auch für Mc Williams redete das Instrument eine verständliche Sprache, denn er war gewöhnt, täglich Botschaften vom Verwaltungsgebäude nach den Bergwerken zu schicken, und zwar nicht nur in englischer, sondern auch in spanischer Sprache. Bei seinem Bemühen, zu hören, was es jetzt sagte, fing er an zu stottern und sah unwillkürlich darauf hin. Ohne den Grund dieses seltsamen Benehmens zu argwöhnen, wandte sich auch der Comandánte um und schaute dem Manne, der die Depesche aufschrieb, über die Schultern. Abgesehen vom Klappern des Apparates, war das Zimmer vollkommen still. Die drei Herren beugten sich schweigend über den Tisch, während Mc Williams die Decke anstarrte und seinen Hut in den Händen hin und her drehte. Die Depesche, die er dem Instrument ablauschte, lautete folgendermaßen:

»Sie sollen die Stadt in südlicher Richtung verlassen haben, folglich gehen sie entweder nach Para, San Pedro oder Los Bocos. Unter allen Umständen muß sie angehalten werden – lassen Sie die Straßen durch Bewaffnete beobachten und das Frauenzimmer lebendig oder tot hierher zurückbringen. Sie hat in ihrem Wagen oder ihren Kleidern Wechsel für fünf Millionen Sols verborgen. Wiederholen Sie diese Anweisung zum Zeichen, daß Sie sie richtig verstanden haben, und schicken Sie sie nach Los Bocos weiter. Wenn Sie nicht ...«

Mc Williams durfte nicht länger warten, um noch mehr zu hören. Den Männern kurz zunickend, eilte er nach der Treppe.

»Warten Sie mal,« rief der Comandánte hinter ihm her.

Mit einer Hand auf das Treppengeländer gestützt, blieb Mc Williams stehen und hielt sich zu augenblicklicher Flucht bereit.

»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet,« fuhr der Comandánte fort. »Sind Sie auf dem Wege von Los Bocos hierher irgend jemand begegnet?«

»Nur einigen Fußgängern, und eine Meile von der Küste habe ich den Postboten getroffen, und – ja, richtig! – an der Straßenkreuzung kam mir ein Wagen entgegen, dessen Kutscher sich bei mir nach dem Wege nach San Pedro Sula erkundigte.«

»Ein Wagen? So? Und was haben Sie ihm gesagt?«

»Ich sagte ihm, er sei auf dem Wege nach Los Bocos, worauf er umdrehte und ...«

»Sind Sie sicher, daß er umgedreht hat?«

»Vollkommen sicher, Herr Comandánte. Ich bin eine Zeit lang hinter ihm hergeritten, bis er schließlich rechts in die Straße nach San Pedro Sula einbog.«

Sich eifrig über das Geländer beugend, befahl der Comandánte: »Telegraphieren Sie schleunigst an Morales, den Comandánte von San Pedro Sula ...«

Dabei hatte er Mc Williams den Rücken gewandt, und als sich der jüngere Mann über den Apparat beugte, ging Mc Williams leise die Treppe hinab, bestieg sein Pferd und ritt langsam auf der Straße nach der Hauptstadt davon. Sowie er das Dorf hinter sich hatte, schlug er jedoch eine andre Richtung ein und galoppierte mit erhobenem Kopfe um den Ort herum, der Straße zu, wo er seine Freunde zu finden erwartete, wobei er fortwährend den Telegraphendraht im Auge behielt, der sich von Baum zu Baum schlang. An einem Punkte, wo er ohne Gefahr absteigen und den Draht abreißen zu können glaubte, fand er, daß dieser bereits zur Erde hing. Erleichtert aufatmend, ergriff er das lose Ende, zog sein Taschenmesser hervor, das mit seinen vielen Klingen, worunter sich auch eine feine Stahlsäge befand, eine kleine Werkstatt bildete, und sägte ein etwa fünfzig Schritt langes Stück Draht ab. Sodann ritt er, den Draht hinter sich herschleifend, davon. Als er Clay traf, hielt er seine Beute frohlockend in die Höhe.

»Diese Leitung wiederherzustellen, wird ihnen nicht ganz leicht sein,« sagte er dabei. »Sie, mein Lieber, haben nur halbe Arbeit gethan. Aber was würden wir darum geben, wenn uns dieses Stückchen Kupfer verraten könnte, was es weiß.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie der Ansicht sind, es sei bereits nach Los Bocos telegraphiert worden?«

»Daß sie nach San Pedro Sula und allen andern Küstenstädten telegraphierten, als ich wegritt, habe ich gesehen, aber ich möchte gar zu gerne wissen, ob Sie diesen Draht vorher oder nachher abgeschnitten haben.«

»Das werden wir schon noch erfahren,« meinte Clay grimmig. –

Die letzten drei Meilen führten über eine harte, ebene Straße, die breit genug war, daß Clay und Langham neben dem Wagen reiten konnten. Ihre Beschaffenheit stand in einem solchen Gegensatz zu den gewundenen und holperigen Wegen, denen sie bis jetzt gefolgt waren, daß die Pferde neuen Mut faßten und so frisch weiter galoppierten, als ob das Rennen eben erst begonnen habe.

Einmal ließ Madame Alvarez den Wagen halten und bat die Herren, das Verdeck zurückzuschlagen, damit sie etwas frische Luft schöpfen und sich umsehen könne, und als dies geschehen war, setzten sich die beiden Damen so, daß sie den Pferden den Rücken kehrten und die mondbeschienene Straße übersehen konnten, die sich wie ein Band hinter ihnen abrollte.

Hope war von einem Glücksgefühl erfüllt, das ihr in seiner Selbstsüchtigkeit fast sündhaft erschien. Ihre Aufregung hatte sie in bester Laune erhalten, und das Bewußtsein, daß Clay sie behütete und beschützte, war an sich schon eine Freude. Sich in die Kissen zurücklehnend, legte sie den Arm um Madame Alvarez und lauschte dem leichten Hufschlage der Ponies, die bald voraussprengten, bald an einer steilen Stelle in die Höhe kletterten oder halten blieben, wenn Mc Williams oder Langham ausriefen: »Seht einmal dort rechts hinter die Bäume!« oder »Paßt auf da vorn! Seht ihr nicht, was ich meine? Dort kriecht etwas herum!«

Ob sich diese eingebildeten Gefahren bald in wirkliche verwandeln würden, konnte sie nicht wissen, aber sie hatte das feste Vertrauen, daß, wenn der Augenblick käme, Clay schon für sie sorgen werde, und sie hieß die Gefahr willkommen, weil sie diese tröstliche Gewißheit in sich schloß.

Starr, schweigend und allen Trostgründen unzugänglich saß Madame Alvarez an ihrer Seite. Die Erinnerung an die ehrgeizigen Träume, die sie gehegt hatte und die an diesem Tage so grausam zu Schanden geworden waren, quälte sie, ebenso wie der Gedanke an die ritterliche Liebe, deren sie sich hatte erfreuen dürfen, und an das Leben, das ihr geweiht gewesen war und das so heldenhaft für sie dahingegeben worden. Wenn sie überhaupt sprach, so that sie es nur, um Hope ihr Bedauern zuzuflüstern, daß das junge Mädchen um ihres armseligen Selbst willen einer solchen Gefahr ausgesetzt werde, und daß ihr Leben, soweit ihr etwas daran liege, zu Ende sei. Nur einmal, als die Männer die Vorhänge zurückschlugen und sich mit ernster Besorgnis nach ihrem Befinden erkundigten, ließ sie ihren Thränen freien Lauf.

»Warum sind Sie so gütig gegen mich?« stöhnte sie. »Ich bin ein schlechtes, eitles Weib! Eine Nation habe ich in Bürgerkrieg gestürzt, und den einzigen Mann, dem ich jemals vertraut, habe ich in den Tod getrieben!«

Hope berührte sie zärtlich mit der Hand und sagte sich schuldbewußt, wie eigensüchtig sie selbst sein müsse, daß sie den Gram der Frau nicht nachfühlen könne, aber es war ihr unmöglich. Für sie war er weiter nichts als der Gegensatz zu ihrem eigenen Glück, ein schwarzer Hintergrund, wovon sich Clays Gestalt und seine Besorgnis um sie als die einzige Thatsache abhob, die in der Welt Wichtigkeit für sie hatte.

Eine verdächtige Bewegung der Männer und das plötzliche Anhalten des Wagens unterbrachen ihre Gedanken. Mc Williams war vom Bock gesprungen und nahm, in den Wagen steigend, die Plätze ein, die die Damen vorher verlassen hatten. Dabei hielt er einen Karabiner in der Hand, und als er sich gesetzt hatte, reichte ihm Langham einen zweiten, den Mc Williams über die Kniee legte.

»Sie meinten, ich sei auf dem Bock zu deutlich zu sehen, als daß ich dort von Nutzen sein könnte,« erklärte er in vertraulichem Flüstertone. »Im Falle es jetzt zum Schießen kommt, müssen sich die Damen hier zu meinen Füßen auf die Kniee niederlassen und die Köpfe in die Kissen stecken. Wir fahren nämlich gerade in Los Bocos ein.«

Sorgsam nach rechts und links spähend, ritten Langham und Clay weit voraus, indes der Wagen ihnen geräuschlos durch die menschenleeren Straßen folgte. Nicht ein Fenster war erleuchtet, nicht einmal das Bellen eines Hundes oder das Krähen eines Hahnes unterbrachen die tiefe Stille. Hoch aufgerichtet und auf das erste Zeichen eines Angriffs wartend, saßen die beiden Frauen Hand in Hand im Wagen und sahen Mc Williams an, der mit dem Finger am Drücker des Karabiners nach rechts und links schaute, während er kurz atmete. Seine Augen funkelten wie die eines Foxterriers. Jetzt hielten Langham und Clay an und ließen den Wagen herankommen.

»So weit wäre alles in Ordnung,« sagte Clay; »der Strand liegt hinter jener Baumreihe. – Was haben Sie denn?« fragte er plötzlich den Kutscher. »Haben Sie Angst?«

»Nein,« antwortete der Mann mit bebender Stimme, »aber es ist kalt.«

Langham war vorausgaloppiert und hatte, nachdem er zwischen den Bäumen hindurch geritten war, den Strand erreicht, wo er eine breite Fläche mondbeschienenen Wassers und die Lichter der etwa eine Viertelmeile entfernt liegenden Jacht vor sich sah. Zwischen den Steinen des Meeresufers lag das Langboot der »Vesta«, dessen Bemannung darin saß oder am Strande umherstand. Der Wagen hatte im schützenden Schatten der Bäume Halt gemacht, und Langham sprengte dahin zurück.

»Die Jacht ist da!« rief er. »Das Langboot wartet, und im Zollhause ist nicht der geringste Lichtschimmer zu sehen. Kommt schnell! Wir haben das Rennen doch noch gewonnen.«

Ein Matrose, der als Ausguck auf den Steinen gelegen hatte, richtete sich zu seiner vollen Länge auf und rief den beim Boote stehenden Leuten etwas zu, worauf King, schwerfällig durch den tiefen Sand watend, auf die Flüchtlinge zueilte.

Madame Alvarez stieg aus dem Wagen, und während Hope ihr schweigend den Beutel mit den Schmucksachen reichte, legten ihr die Herren ihren Mantel um die Schultern. Sie gab ihnen die Hand, und als Clay diese ergriff, beugte sie sich rasch herab und drückte einen Kuß auf seine Hand.

»Sie waren sein Freund!« murmelte sie dabei.

Dann schloß sie Hope einen Augenblick in die Arme, und endlich reichte sie auch Langham und Mc Williams die Hand.

»Ich weiß nicht, ob ich Sie je im Leben wiedersehen werde,« sagte sie, langsam von einem zum andern blickend, »aber ich werde jeden Tag für Sie beten, und Gott wird Ihnen lohnen, daß Sie ein nutzloses Leben gerettet haben.«

Als sie geendet hatte, trat King mit drei von seinen Leuten zu der Gruppe.

»Ist Hope bei euch – ist sie unversehrt?« fragte er.

»Ja, sie ist bei mir,« antwortete Madame Alvarez.

»Gott sei Dank!« rief King atemlos. »Dann wollen wir sofort absegeln, Madame. – Wo ist sie? Sie muß mit uns gehen.«

»Natürlich,« stimmte Clay eifrig zu, »auf der Jacht ist sie am sichersten.«

Allein das junge Mädchen erhob Einspruch.

»Ich muß so bald als möglich zu Vater zurückkehren,« sagte sie. »Die Jacht wird erst morgen nachmittag ankommen, während mich der Wagen fünf Stunden früher zu ihm bringen kann. Meine Familie hat sich so schon lange genug um mich geängstigt, und außerdem werde ich Ted nicht verlassen. Ich kehre ebenso zurück, wie ich gekommen bin.«

»Das ist aber höchst gefährlich,« wandte King ein.

»Im Gegenteil: es ist jetzt vollkommen ungefährlich,« erwiderte Hope. »Auf uns haben sie es nicht abgesehen.«

»Da mögen Sie recht haben,« entgegnete King. »Ihre Angehörigen wissen nicht, was aus Ihnen geworden ist, und vielleicht wäre es schließlich besser, wenn Sie auf dem Wege zurückführen, der Sie am raschesten nach Hause bringt.«

Bei diesen Worten reichte er Madame Alvarez den Arm und ging mit ihr dem Ufer zu. Als die Männer sie von allen Seiten umringten und sich ebenfalls in Bewegung setzten, schaute Clay nach Hope zurück und sah, wie sie aufrecht im Wagen stand und ihnen nachblickte.

»In einer Minute sind wir wieder bei Ihnen,« rief er, als ob er sich entschuldigen müsse, daß er sie selbst für so kurze Zeit allein lasse, und dann entzogen die Schatten der Bäume sie und den Wagen seinen Blicken, und außer dem Flüstern der Palmen und dem schläfrigen Plätschern der Wellen, die in regelmäßigen Zwischenräumen den kieseligen Strand bespülten, war der Ort so feierlich und still, wie eine einsame Insel, obgleich der Mond die Nacht zum Tage machte.

Das Langboot war mit dem Stern nach dem Lande zu auf den Strand gezogen und die Leute befanden sich an ihren Posten. Einige standen bereit, das Boot ins Wasser zu schieben, andre saßen auf den Bänken und hielten die Riemen in den Händen.

King hatte dem Kapitän der Jacht gesagt, er werde eine Rakete steigen lassen, wenn sie vom Lande abstießen. Das sollte das Zeichen für das Schiff sein, dem Boote entgegen zu kommen. Als er den Strand hinabeilte, erteilte er dem Bootsmann den Befehl, das verabredete Zeichen zu geben, und dieser beugte sich nieder, um eine Lunte anzuzünden. King war in den Stern des Bootes gesprungen und hob Madame Alvarez nach sich herein, während ihre bisherigen Begleiter unbedeckten Hauptes hinter ihr am Strande standen, als die Rakete zischend, und einen langen Feuerstreifen hinter sich herziehend in die ruhige Luft emporschoß. Als Antwort auf diese Herausforderung flammte in demselben Augenblick am Rande des hinter ihnen liegenden Waldes eine unregelmäßige Feuerlinie auf, eine knatternde Gewehrsalve erschütterte die Luft und ein paar Dutzend Kugeln klatschten ins Wasser und gegen die umherliegenden Steine.

Der Bootsmann im Langboot warf die Arme in die Höhe und stürzte vornüber zwischen die Ruderbänke.

»Vorwärts!« rief er im Zusammenbrechen.

»Vorwärts! Vorwärts!« schrie auch Clay. »Vorwärts mit aller Kraft!«

Bei diesem Ausruf warf er sich selbst gegen den Stern des Bootes, indes Langham und Mc Williams sich gegen die Seiten stemmten, wobei sie bis an den Leib ins Wasser kamen, und ihren vereinigten Anstrengungen gelang es rasch, das Boot flott zu machen.

Das Gewehrfeuer wurde inzwischen lebhaft fortgesetzt, und noch zwei von der Besatzung des Bootes schrieen auf und sanken auf die Ruder ihrer Hintermänner. Madame Alvarez sprang in die Höhe und stand schwankend im Boot, als dieses ins Wasser schoß.

»Laßt mich ans Land! Haltet an! Ich befehle es! Ich will diese Männer nicht verlassen!« rief sie. »Hört ihr wohl?«

Allein King faßte sie um die Hüfte und zog sie auf ihren Sitz zurück, obgleich sie sich heftig sträubte und sich freizumachen suchte.

»Ich kann sie nicht verlassen, daß sie gemordet werden!« rief sie. »Ihr Feiglinge! Bringt mich zurück!«

»Halten Sie sie fest, King!« rief Clay. »Wir sind nicht in Gefahr, denn sie schießen gar nicht auf uns.«

Seine Stimme wurde vom Klappern der in den Dollen arbeitenden Ruder und dem Knattern des Gewehrfeuers übertönt. Das Boot verschwand im aufspritzenden Schaum, und Clay schaute sich um. Langham und Mc Williams kauerten hinter einem Felsblock und feuerten nach dem Rande des Waldes, wo die Schüsse aufblitzten.

»Da könnt ihr nicht bleiben,« rief Clay ihnen zu. »Wir müssen zu Hope zurückkehren.«

Bei diesen Worten lief er in Zickzacklinien vor und feuerte im Laufen. Auch vom Wasser vernahm er das Knallen von Schüssen und zugleich sah er, daß die Leute im Boote zu rudern aufgehört hatten und das Feuer an der Küste erwiderten.

»Kommen Sie nur her; Hope ist nicht in Gefahr, ich habe keinen Schuß im Umkreis von hundert Schritt bei ihr einschlagen sehen,« rief Ted ihm zu. »Das Feuer kommt vom Zollhause und weiter unten, aber ich glaube, Mac hat was abgekriegt.«

»Ei was,« kam Williams' Stimme hinter einem Felsblock hervor, »aber wenn ich nur etwas sähe, worauf ich schießen könnte.«

Ein Schauer der Wut überlief Clay bei dem Gedanken an ein mögliches verhängnisvolles Ende des nächtlichen Abenteuers. Der Hohn des Geschicks, das ihn sein Leben hatte finden lassen, nur um es ihm in einer albernen Rauferei mit Halbwilden gleich wieder zu entreißen, entlockte ihm ein tiefes Stöhnen, und in ohnmächtiger Wut verfluchte er sich selbst als einen sinnlosen Thoren.

»So bleiben Sie doch hier, hören Sie denn nicht?« rief ihm Langham vom Ufer aus zu. »Sie lenken ja nur das Feuer auf Hope. Sie muß jetzt längst fort sein, denn sie hatte ja beide Pferde bei sich.«

Langham und Mc Williams eilten an Clays Seite, aber sowie sie den Schatten der Felsblöcke verlassen hatten, warfen einschlagende Kugeln den Sand zu ihren Füßen in die Höhe, und sie blieben unentschlossen stehen. Der Mondschein ließ die Umrisse der drei Männer auf dem weißen Sand des Strandes so deutlich erkennen, als ob ein elektrisches Spählicht seine Strahlen auf sie würfe, während ihre Angreifer im Schutze des Schattens blieben. Den Rückzug verlegte ihnen die See, und nach vorn versperrte ihnen das feindliche Feuer den Weg, so daß sie hilflos waren wie Schachfiguren auf dem Brette.

»Stehen zu bleiben und auf sich schießen zu lassen, ist ein schlechter Spaß,« rief Mc Williams. »Entweder müssen wir uns verkriechen, oder Fersengeld geben. Was wir jetzt thun, kann niemand was nützen!«

Aber keiner rührte sich vom Fleck. Sie konnten das Zischen der vorbeifliegenden Kugeln hören, das wie eine gezupfte Banjosaite klang, und dabei wußten sie, daß ihnen von dem Feuer der Bootsmannschaft die gleiche Gefahr drohte, wie von ihren Gegnern.

»Jetzt fangen sie an, besser zu schießen,« sagte Mc Williams, »und werden uns gleich treffen.«

»Mich haben sie, glaube ich, schon getroffen,« antwortete Langham, »an der Schulter, aber es hat nichts zu bedeuten.«

Seine Gleichgültigkeit war durchaus nicht gemacht, sondern ganz ungekünstelt, denn für einen jungen Mann, der ein Fußballwettspiel trotz einer Sehnenzerrung durchgeführt hat, ist eine kleine Verletzung an der Schulter weiter nichts als eine ungesuchte Ehre.

Für Mc Williams aber erschien sie von der größten Bedeutung. In ohnmächtiger Wut erhob er seine Stimme gegen die Leute im Walde.

»Kommt doch zum Vorschein, ihr feigen Hunde, daß wir euch sehen können!« schrie er. »Kommt heraus, daß ich euch eure schwarzen Köpfe abschießen kann!«

Clay, der seine letzte Gewehrpatrone verschossen hatte, warf die Büchse weg und zog seinen Revolver.

»Wir müssen entweder schwimmen, oder uns verstecken,« sagte er. »Duckt euch und lauft!«

Aber noch während er sprach, sahen sie, wie der Wagen aus dem Schatten des Waldes hervor und im Galopp über den Strand auf sie zukam, ein Anblick, der Mc Williams einen Freudenschrei entlockte.

»Hurra!« rief er, »das ist José, der uns abholen will. Ein braver Kerl! Gut gemacht, José!«

»José ist das nicht,« meinte Ted bedenklich, indem er sich bemühte, genauer zu sehen. »Großer Gott! Das ist ja Hope!« rief er und schwenkte seine Hände wie wahnsinnig über dem Kopfe. »Zurück, Hope,« schrie er, »zurück!«

Allein der Wagen fuhr schnurstracks auf sie los. Jetzt konnten sie alle das junge Mädchen deutlich sehen. Sie saß auf dem Bock, und zwar allein, sich vorbeugend und die Pferde mit Peitsche und Zügeln antreibend, wobei sie sich hin und her bog, um den Kugeln, die sie umschwirrten, auszuweichen. Als sie näher kam, richtete sie sich auf, sodaß sich ihre weibliche Gestalt in dem Reitkleide klar abzeichnete.

»Springt hinein, wenn ich wende,« rief sie. »Ich werde langsam umwenden, und den Augenblick müßt ihr benutzen, hineinzuspringen.«

Bei diesen Worten beugte sie sich wieder vor und lenkte die Pferde nach rechts, und als diese ihr gehorchten und ihre Gebisse faßten, als ob sie sich der Gefahr bewußt seien, worin sie waren, stürzten die Männer auf den Wagen zu. Clay erfaßte das Verdeck von hinten und kletterte über die inneren Sitze auf den Bock. Dort kauerte er sich hinter Hope und ergriff, indem er seine Arme um sie legte, mit einer Hand die Zügel, während er das Mädchen mit der andern nötigte, auf das Fußbrett zu knieen, so daß sie eine Stellung annahm, in der sie durch seinen Leib und seine Arme vor den ihnen nachgesandten Kugeln beschützt wurde. Langham folgte Clay und stolperte über das Hinterverdeck in den Wagen, während Mc Williams versuchte, vom Tritt aus über die Thür hineinzuspringen, allein er trat fehl und fiel unter das Hinterrad, so daß der schwere Wagen über ihn hinweg ging und sein Kopf einen Augenblick im Sande begraben war. Allein noch ehe die andern seinen Fall bemerkt hatten, stand er wieder auf den Füßen, und als er jetzt einen Satz that, um den Rand des Hinterverdecks zu erfassen, ergriff Langham ihn am Kragen seines Rockes und zog ihn in die Kutsche, wo er, atemlos keuchend und sich den Sand aus Mund und Nase reibend, auf den Sitz sank. Clay ließ den Wagen im tiefen Sande eine scharfe Wendung machen und fuhr, während er immer noch aufrecht stand und Hope zwischen seinen Knieen kauerte, in gestrecktem Galopp gerade dem Feuer entgegen auf den Wald los. Die jungen Männer hinter ihm bogen sich nach beiden Seiten aus dem Wagen und beantworteten das Feuer, so daß die Pferde erschreckt vorwärts flogen und in den ersten Weg einbogen, der sich ihnen zeigte.

Die Straße, die die Fliehenden eingeschlagen hatten, war schmal, aber eben, und führte durch einen Wald von Bananenpalmen, die sich über ihnen bogen und wiegten. Langham und Mc Williams knieten noch immer auf dem Hintersitz des Wagens und behielten die Straße im Auge, um zu sehen, ob sie verfolgt würden.

»Geben Sie mir ein paar Patronen; mein Gürtel ist leer,« sagte Langham. »Was für eine Straße ist denn dies?«

»Ein Privatweg durch irgend eine Bananenplantage, sollte ich denken, aber er muß irgendwo in die Hauptstraße münden. Es kommt nichts darauf an, denn wir sind wohl jetzt in Sicherheit und können uns die Zeit nehmen.«

Mc Williams legte sich auf den Rücken und streckte seine Beine so aus, daß seine Füße auf dem Vordersitze ruhten.

»Was meinen Sie, wo mögen diese Leute eigentlich hergekommen sein? Haben sie uns wohl die ganze Zeit verfolgt?«

»Vielleicht, oder möglicherweise ist doch noch eine Depesche hierher gelangt, ehe wir den Draht abgeschnitten hatten, und sie haben uns hier aufgelauert. Wahrscheinlich haben sie King und seine Jacht schon seit einer Stunde oder länger beobachtet, aber den wollten sie nicht haben, sondern Madame Alvarez und ihr Geld. Die Geschichte war hübsch aufregend, nicht wahr? Aber wie geht's denn mit Ihrer Schulter?«

»Danke bestens, nur etwas steif,« antwortete Langham, indem er aufstand. Wenn er über das Vorderverdeck schaute, konnte er gerade die Spitze von Clays Sombrero darüber hervorragen sehen.

»Wie geht's denn Hope und Ihnen da oben, Clay?« fragte er.

Die Spitze des Sombreros machte eine Bewegung, und Langham nahm das als ein Zeichen, daß alles in bester Ordnung sei, worauf er sich wieder auf seinen Platz neben Mc Williams fallen ließ und beide einen tiefen Seufzer der Erleichterung und Zufriedenheit ausstießen. Da Langhams verwundeter Arm an Mc Williams' Seite war, schnitt dieser jetzt den zerrissenen Aermel auf und besichtigte die Schramme auf der Schulter mit unverhohlenem Neid.

»Eine Narbe wird leider nicht zurückbleiben,« sagte er teilnahmevoll.

»Wirklich nicht?« fragte Langham besorgt.

Die Pferde waren mittlerweile in Schritt gefallen. Die Schönheit der Mondscheinnacht übte nun ihren Zauber auf die beiden Jünglinge aus, und das Rauschen der großen Blätter über ihren Köpfen hatte einen so beruhigenden und besänftigenden Einfluß auf sie, daß sie unwillkürlich nur im Flüstertone sprachen.

Clay hatte sich nicht gerührt, seit die Pferde aus eigenem Antriebe in das Palmenthal eingebogen waren. Verfolgung oder eine andre Unterbrechung ihrer Fahrt fürchtete er jetzt nicht mehr, und seine einzige Empfindung war die der tiefsten Dankbarkeit, daß sie unversehrt entronnen waren und daß gerade Hope es gewesen, die im Augenblick der höchsten Gefahr als rettender Engel erschienen war. Das war ihm der liebste Gedanke, daß er, sie mochte es anerkennen oder nicht, seine Rettung, vielleicht sein Leben ihr verdankte.

Mit vor der Brust gefalteten Händen kauerte sie immer noch zwischen seinen Knieen auf dem breiten Fußbrette und schaute vor sich hin in die geheimnisvollen Lichter und dunkeln Schatten, die der Mond auf die Straße zeichnete. Keins von beiden redete ein Wort, und als das Schweigen ununterbrochen andauerte, wurde es immer gewichtiger, und jeder Pulsschlag vergrößerte seine Bedeutsamkeit.

Die Pferde waren in einen müden Schritt verfallen und zogen ruhig die weiße Straße dahin, über das Verdeck kamen abgebrochene Sätze vom Gespräche der beiden jungen Männer, und über ihren Köpfen schwankten und wiegten sich die schweren Blätter der Palmen, als ob sie die Geretteten segnen wollten. Ein warmer Hauch, der vom Lande kam, erfüllte die Luft mit dem Dufte reifender Früchte und ringsum herrschte so tiefes Schweigen, daß unsre Freunde das Gefühl hatten, als seien sie die einzigen wachen Geschöpfe in der prachtvollen Tropennacht.

Langsam sank Hope zurück, und als dabei ihre Schulter einen Augenblick Clays Knie berührte, richtete sie sich auf und machte eine Bewegung, als ob sie sich erheben wolle. Ihre Nähe und etwas in ihrer Haltung, wie sie ihm da zu Füßen saß, hielt Clay wie in einem Zauber befangen. Leise beugte er sich vor und legte ihr schüchtern die Hand auf die Schulter, und diese Berührung schien das Blut in seinen Adern zum Stillstand zu bringen und die Worte von seinen Lippen zu scheuchen. Langsam, als ob es ihr große Mühe mache, richtete Hope den Kopf in die Höhe und sah Clay in die Augen. Ihm schien es, als ob er seit Jahrhunderten in diese Augen geschaut und sie und die Seele, die aus ihnen in die seine blickte, ewig gekannt habe. Tiefer beugte er seinen Kopf, streckte die Arme aus und zog sie zu sich empor, und ihre Augen wandten sich nicht ab. So erhob er sie denn und preßte sie an seine Brust, und nun erschien ein träumerischer Blick in ihren Augen und sie schlossen sich.

»Hope!« hauchte er, »Hope!«

Sich noch tiefer hinabbeugend küßte er sie und seine Lippen sagten ihr, was er mit Worten nicht aussprechen konnte.


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