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Die Mühle von Wranowitz

Erst war der Mond hinter den Bäumen gestanden. Ganz tief und schwach. Denn es wollte nicht völlig erdunkeln. Und in der Welt war eine große Abendhelle voller Ahnungen. Die stritten mit seinem Licht und umhingen die Himmelsräume mit einem geisternden Nachglanz.

Der schwand endlich, und der Mond schob sich sieghaft höher. Seine sehr schmale Sichel glomm, scharf umrissen, ganz im Blauen. Unter ihrer Rundung, vereinsamt, glühte mit grünlichem Schimmer ein allerhellster Stern. Das sah sich an wie ein wundersames und glitzerndes Geschmeide der Nacht.

Die sehr schwarzen Schatten wanderten. Sie rekelten sich mächtig und wollüstig über die Wiesen, durch deren hohes Gras weiße Blütensterne vorschimmerten. Die Wipfel wisperten den Gestirnen zu. Über die Bäume fuhr der Nachtwind. Er zupfte mit schmeichlerischer und spielender Hand an ihnen. In warmen und weichen Stößen wiegte er sie, bis jedes Blatt in sehnsüchtiger Schwingung erzitterte. Man ward müde und schwindelig, sah man lange darauf hin, so einschläfernd und so voll matter Süßigkeit waren dies Rauschen und diese Bewegung.

Eine Saalweide hauchte ihren schwülen und aufreizenden Duft durch die Schwüle. Das rührte an die Sinne. Ihr mattgraues Laubwerk glänzte wie übersilbert. Ihre langen und schwanken Zweige hoben und senkten sich in rhythmischer Bewegung, und ein wunderlicher Schattentanz taumelte über den Boden. Der Fluß, ganz überhangen von schattenden Haseln, daß man ihn nur erst im Fernen aufglitzern sah, rauschte vernehmlich durch die Stille und gluckte den Ufern entlang. Ein Rohrbrunnen sang. Mit surrenden Schwingen und torkelndem Zickzackflug huschten Fledermäuse und große Nachtschmetterlinge durch das Dunkel.

Um den Rohrbrunnen war ein Gekicher, das sich hell und jubelnd und voll junger Lebenslust aufschwang. Oder ein Kreischen erhob sich. Die Mägde holten Wasser, und eine hielt lachend die Hand so unter das vorschießende Wasser, daß die Nachbarin in der Reihe tüchtig bespritzt ward. Das gab endloses Gelächter. Und wenn sie sich mit den schweren Krügen entfernten, so sangen sie slawische Lieder in Moll und voll grundloser Trauer. Dies alles verwob sich in eines mit den Nachtgeräuschen zu einem Lied, dessen Worte unverständlich blieben, dessen Weise aber mächtig aufregte.

Eine schrille Stimme: »Hanka!«

»Gleich. Gleich. Gleich!« eintönig gesungen als Response Antwort..

Ein Fenster klang im Schließen. Und es war völlig still im Schloß, das schwarz und massig, von einem Uhrturm überhöht, in die Nacht trotzte, und im Park, darin nur noch die Glühwürmchen ihren gespenstigen Reigen tanzten. Denn das leise Wehen hob sie empor, und gleich verirrten Sternenfünkchen schwankten sie durch das sehr dunkle Laubwerk.

 

›Die Nachtluft könnte mir schaden‹, hatte der junge Baron Friedrich Branicky auf Wranow gedacht, als er das Fenster schloß. Denn sie war feucht und schlug sich ihm auf die empfindliche Brust. Feucht von den vielen Wassern, über die sie wehte, feucht und geschwängert vom Duft des Taues auf zitternden Gräsern.

Wie konnt er nur daran vergessen! Es war ihm doch oft genug und eindrücklich eingeschärft worden, wie sehr er sich in acht zu nehmen habe. Und er tat's doch sonst auch. Nun heute war ihm so gar weich ums Herz geworden. Und die Laute um ihn, die sich suchten, die zu ihm stammelten und sich einigen wollten zu einer Sprache, die ihm vertraut waren von Kindesbeinen, deren Sinn ihm aber entflogen war, hatten einmal die immer sorgende Stimme in ihm übertönt.

Und überhaupt: was war das für ein Leben, auf das man immer so achten mußte? War es nicht klüger, man genoß es einmal tüchtig und kümmerte sich den Teufel um das, was hinterher kam und doch nicht aufzuhalten war? Denn zu helfen war ihm nicht. Er wußt es, wie arg sich der Wurm schon in ihn verfressen hatte. Und sie alle, die ihm Hoffnungen machten, belogen ihn, und ganz ohne Sinn. Wie gemein das war! Wie niederträchtig gegen ihn, der doch am Ende seiner Eltern rechtes Kind war, so gut wie der dicke Wenzel, der Majoratsherr, und der Raufer Franz, der Oberleutnant bei den Windischgrätzdragonern. Und nur, damit er nicht vorm guten Ende noch dumme Streiche mache, spielten sie mit ihm diese nichtsnutzige Komödie, und er war durch das ewige Getue um ihn blödsinnig und versimpelt genug, um da mitzuspielen, statt ihnen allen einmal seine Meinung gründlich ins Gesicht zu speien. Speien, jawohl! Und daß sie zu wischen hätten danach!

Aber – sie heuchelten ja nicht einmal mehr, fiel es ihm plötzlich an. Sonst hätten sie ihn doch nicht hierhergeschickt, in ihren vernachlässigtsten Besitz, in dieses Schloß inmitten von Wäldern, das gerade für ihn sicherlich kein Aufenthalt war. Es lohnte nicht mehr, Geld an den Verlorenen zu wenden. Die anderen freilich, die durften springen lassen, soviel sie nur wollten. Mit Pferden und mit Mädeln. Die konnten reich heiraten. Bei ihm aber – schad um den Groschen, und sehen sollt er, wie wenig mehr an ihm gelegen war. Das hatt ihn bedrückt. Die ganze Fahrt, erst auf der Eisenbahn, dann auf der Britschka Leichter Reisewagen. durch das hügelige und sacht zu Höhen sich steigernde Land. Das ließ ihn der Heimat nicht froh werden, die er so lange nicht gesehen. Er betrat ihren Boden doch nur, damit ihn der bald und gütig bedecke.

Und was für ein Sterben mußte das werden! Ganz allein und ohne jede Gesellschaft. Tagsüber so recht ungestört in sich horchen können und vergleichen, um wieviel schwächer und sehnsüchtiger man geworden war seit der Nacht. Und zu Abend die endlosen Tarockpartien mit dem hochwürdigen Herrn, der so barmherzige Gesichter schnitt bei jedem Fehler, und dem Verwalter, der in Ehrfurcht erstarb äußerlich vor dem jungen Herrn und im Innern fluchte wie ein Fuhrknecht und dann zu Hause vor seiner dicken und dummen Baruschka mit jedem gewonnenen Kreuzer protzte: »Wer was kann, dem tragt's. Und ich kann's, und ich bin einer. Ein ganz Geriebener bin ich.« Er sah die groben, braunen Hände, die so gierig sich über jeden Gewinst krümmten, des einen; den großen Amethystring an der Hand des Pfarrers; hörte sie, schon pflichtschuldigst Duett lachen, heiser und grölend den und wohlgeölt diesen, bei jedem Scherz, den er etwa riskierte. Warum hatte ihm das vordem Spaß gemacht, wovor es ihn nun schauderte? – Ja, da mußte man sich nicht denken: Der wird dich versehen und der wird telegrafieren, wenn es einmal soweit ist ...

Dann wird sich das alte Schloß füllen mit hochadligen Gästen samt der durchlauchtigsten Großmutter. Und viele Glocken werden läuten, und seine Partner werden wirklich traurig sein, weil die gute Würzen tot ist. Und darum wird der Herr Dechant seine Tugenden innerlich bewegt rühmen und wie echt christlich und ergeben er sein Schicksal trug. Hat sich was mit der Ergebung!

Er öffnete sämtliche Türen, damit er das Schrillen der Klingel höre, die er dann ungeduldig gezogen. Nun zeterte sie fern und zornig. Man brächte ihm Licht und fragte nach seinen Befehlen. Nein – er wünschte nichts für die Nacht, und Hunger hatte er durchaus nicht. Ob er nicht ins Stöckel Einstöckiges Haus. hinüber wolle? Die Herren würden sich's unendlich zur Ehre rechnen. Er mußte lachen. Nein – heute noch nicht. Aber was für stupide Gesichter die Leute hier allesamt hatten!

So dumm-devot und so eingebildet.

Und das Zimmer hätten sie ihm auch nicht herrichten müssen. Es war so schrecklich groß mit dünnen, spinnebeinigen Empiremöbeln, die es so gar nicht füllten. Aber freilich – es war das einzige zu ebener Erde, das nach Süden ging und das die Sonne recht durchwärmen konnte. Aber da hatte immer die vierte Parze gewohnt, wenn sie sich einmal zu Besuch bei ihnen herabließ, die hochfürstliche Großmutter, vor deren farblosen Augen, die rund und herrisch wie die einer Eule im runden, bleichen Gesicht standen, er sich immer gefürchtet hatte. Denn nur ihren Willen kannte das ganze Haus. In ihrem Strickbeutel, den sie nie von sich ließ, schlummerten die Lose, die da die Laufbahn der Enkel bestimmten und ihr Geschick. Er hatte etwas Unheimliches, Unergründliches an sich.

Und keiner wagte einen Widerspruch. Es gab das nicht, und sie hätte so was niemals verstanden, wenn sie erst so gütig gewesen war, ihre Absichten mitzuteilen. Hier hatte sie ihn zum Studium verurteilt. Er wußte wohl, er tauge keineswegs dazu. Und eine lange und bewegliche Rede voll Mannesmut und ehrfürchtiger Herzlichkeit hatt er sich zurechtgelegt, in Gedanken – kein Wort wüßt er davon, als er vor ihr stand, und es war diesmal nicht sein schlechtes Gedächtnis schuld daran. Sie war nun einmal die Durchlaucht, das höhere Wesen, und so unsinnig reich und völlig Herrin ihres Vermögens war sie, und davor und vor ihr hatte man ihm Respekt eingeprügelt von Kindesbeinen. Es war etwas Rebellisches in ihm gewesen. Und erst auf dem Gang, da er entlassen war, hatte ihn seine Wut übermannt. Er tat einen starken Hieb nach der hoffärtigen Türe, drückte die Fäuste an den schäumenden Mund und schlug hin in seiner Erregung ...

Er hörte noch ihr französisch näselndes: »Ein böser Bube, dieser Friedrich da« – so ganz von oben, zu niemandem gesprochen, da sie an ihm vorüberraschelte und ihr Kleid mit diesem unendlich vornehmen Griff, den ihr keiner nachmachen konnte, raffte, damit es ihn ja nicht berühre. Er hatte ihr nach wollen und blieb, wo er war, in einer Verzweiflung, über die kein gutes Wort der Eltern etwas vermochte. Und in solchen Gedanken stierte er in die Lampe. Die Erinnerungen hätte man ihm doch ersparen müssen, hätte man sich jemals darum gekümmert, was in ihm war.

Es war Schlafenszeit. Er ging zu Bette und löschte das Licht. Er sah lange verloren in die sehr helle Mittsommernacht. Ein Frost überkroch ihn.


Um den Mühlbach herum standen die Weiden zu beiden Ufern. Über den rauhen und borkigen Stämmen schwankten die sehr dünnen Gerten in der leisen Brise. Eine Eller ließ ihr Gezweig wie durstig nach Erquickung in die Flut niederhängen. Zitternd verweilt' es darin. Dann, mit einem schmatzenden Laut, schnellt' es empor.

Das Wasser ging hoch. Erst floß es sacht doch reißend. In starkem Schwalle drängte es zur Mühlwehr. Es überschoß sie, brauste niederwärts. Gleich langen Strähnen gesponnenen Glases auf schwarzem Glasgrund hing es zur Tiefe. Ein weißer Gischt hob sich, kräuselte sich, zerrann. Und der Mond warf seine bleichen und spukhaften Lichter hinein, und sie tanzten in der beweglichen Unrast.

Die Mühle war abgestellt und schwieg. Nur in einem Fenster, hart unter dem First, glomm Licht. Die Müllersleute saßen um den Bach und genossen der Kühle. Der Müller und die beiden Knappen rauchten stumm. Abseits von ihnen saß Hanka. Sie lehnte den Kopf mit den reichen und schwarzen Haaren an einen Weidenstamm und sah mit verlangenden und verschleierten Mädchenaugen in das Wallen. Alle tauchten sie die Füße in das Wasser.

»Er wird mir noch die Mühle anzünden, der verdonnerte Hynek«, murrte der Müller, deutete nach dem Licht und spie aus.

Das war an niemanden besonders gerichtet gewesen, und also kam keine Antwort. Der alte Dwořák zog mit Macht an seiner Pfeife, bis sie aufglühte wie ein Karfunkel. Er schüttelte den Kopf: »Wissen möcht ich doch, was er zu studieren hat, bei der Nacht. Er will doch nicht geistlich werden, was?«

Ein leise gurrendes Kichern Hankas.

»Was lachst? Dummes Mädel!« knurrte der Alte und rieb sich höchst vergnügt die Hände dabei.

Wieder dasselbe Kichern. Nur lauter und unbefangener.

»Das gickgackt wie die Gans, ehe ihr der Fuchs den Kragen umgedreht hat«, meinte der alte Dwořák philosophisch. »Also: was gibt's denn eigentlich zum Lustigsein? Ich wär's so gern auch.«

»Von mir aus kann er geistlich werden auch. Ich glaub nur nicht, daß er's wird, solang er noch solche Augen macht auf mich.« Das Mädchen veränderte seine Stellung nicht, während es mit seiner sehr hellen und lustigen Stimme so sprach.

»Und warum magst ihn so nicht, den Hynek?«

»Je, weil ich ihn nicht mag.«

»Und wenn er gar Dechant wird und nimmt dich zu sich?« Und der Alte blinzelte höchst verschmitzt zu seiner Tochter hinüber: »Sie haben ein gutes Leben.«

»Sollen sie's haben. Ich gönn's einer anderen. Beten mag ich nicht. Fasten mag ich nicht. Übrigens ist der Vater wie ein Kind. Wo kann er geistlich werden, der Hynek?«

»Man red't nur so, Hanka.«

»So. Man red't nur so.« Das kam sehr gedehnt.

Ein Weilchen des Schweigens. Dann: »Und den jungen Herrn, hast du ihn gesehn?«

»Gesehen schon«, und sie richtet sich im Respekt straffer.

»Und wie schaut er aus?«

»Wie soll er ausschaun? Halt schlecht, und wie wenn er keinen guten Bissen bekommen hätt zum essen weiß Gott seit wann.«

»Also meinst, man könnt ihn rausfüttern? Stallrast und fette Brocken?«

»Weiß ich nicht.«

»Und sieht er sonst was gleich?«

»Halt einem jungen Herrn, mein ich.«

»Also sehr fein?«

»Ja, sehr fein und blaß und schlank. Und wenn er grüßt, so ganz zerstreut, und hat Hände, wie sie ein kleines Kind hat. Daß es einem leid tut.«

»Hat er dich angesehen?«

»Gar niemanden hat er doch angesehen. Und zum Blumenstrauß von der Verwalterischen, einem richtigen, großmächtigen Buschen mit Gras herum, genug für eine Kuh, hat er nur so gerochen, damit's danach aussieht, und hat ihn gleich dem Kammerdiener gegeben. Und das dumme und eitle Ding hat noch einmal einen Knicks gemacht, wie wenn sie einer in die Knie geschlagen hätte, und ist ganz grün geworden vor Ärger. Denn sie meint doch, wer sie nur ansieht, ist ganz weg in sie, und Augen hat sie gemacht auf ihn, wie Kalbsaugen, und er sagt nicht ein Wort, wo sie sich eingebildet hat, er wird ihr wenigstens die Hand küssen dafür.«

»No?«

»No, und schöne Augen hat er. So hitzige Augen. Aber er geht schlecht. Er schleppt sich nur so und könnt einen Stecken brauchen.«

»Wird wohl nur müd gewesen sein. Ist keine Kleinigkeit, die Fahrt, von wo die Wälischen wohnen, bis daher zu uns ins Mährische. Dort wird er von Kräften gekommen sein. Weißt noch, wie sie bei uns gearbeitet haben im Steinbruch? Alle haben sie Augen gehabt, wie du sagst; er hat sie auch, und nichts haben sie sich vergönnt, nur kleine Vogerln, die Hungerleider, oder eine Katze, wenn sie eine gestohlen haben.«

Sie lachte: »Katzen wird er doch nicht gefressen haben, der junge Herr.«

»Kann man nicht wissen. No – und kommst ins Schloß?«

»Weiß ich nicht.«

»Und hast mit der Beschließerin gesprochen?«

»Hab ich.«

»No – und was hat sie gemeint?«

»Jede Stund eintreten könnt ich, hat sie gemeint. Noch ein starkes Mädel brauchen sie, hat sie gesagt. Na, und stark bin ich, und ehrlich bin ich, und sonst ist ja doch nichts wie Diebsvolk in dem Nest, hat sie gesagt.«

»Hast ihr's gegeben darauf? Tüchtig und auf das freche Maul?«

»Wo werd ich's ihr geben, wenn sie so recht hat? Nur daß sie uns die Mühlsteine liegenlassen, weil sie nicht zu brauchen sind und schwer zum Heben. Wer nicht eingesperrt war in Wranowitz, der glaubt doch an Wunder und lobt alle Heiligen und den heiligen Nikolaus.«

»Das macht, weil wir alle arm sind«, lenkte der Alte ein.

»No – und dann, hat sie gemeint, wird der junge Herr vielleicht lieber ein hübsches und frisches Gesicht sehen wollen, für die lauter alten Hexen, was jetzt im Schloß sind.«

Die Mühlknappen gähnten gewaltig und mißbilligend und stapften heimwärts. Der Alte aber neigte sich zur Tochter: »No – und fürchten tust du dich nicht, er könnt dir was tun?«

»Der?« Sie reckte ihre prächtigen Arme und lachte hell auf: »Der!«

»No – und wirst einstehn?«

»Weiß ich nicht.«

»Brauchen könnt man den guten und baren Groschen. Gott weiß! Wo man nie ein Geld sieht im guten von den Leuten, und mahnt man sie oder klagt sie, so gehen sie nach Zlin zu dem Erzdieb und beschreien einen noch, als hätt man ihre Säcke angezapft, wo doch so mehr Wicken drin sind wie ehrliches Korn.«

»Brauchen könnt man den guten Groschen.«

»Also wirst? Oder warum weißt du noch nichts? Fürchtest du vielleicht, es nimmt dich danach der Hynek nicht?«

»Hynek? Der muß froh sein, er kriegt mich, wie er mich kriegt. Fürchten?« Sie lachte ganz jauchzend. »Aber wie soll ich heute schon wissen, was ich morgen wollen werde? Beschlafen wir's.«

Sie zog ihr rotes Kopftuch übers Haar und ging mit schnellen und springenden Schritten heimwärts. Hinter ihr nachdenklich der Müller. Der Mühlenriegel klang, und das Schweigen ließ sich niederfallen über die ganz begrünte Erde. Nur das Nachtwächterhorn tutete melancholisch und wie aus weitester Ferne. Eine Eule wimmerte durch die Nacht. Der Igel trommelte sich im feuchten Gras seinen Jagdmarsch, zugleich die Retraite Rückzugssignal. für vieles Getier. Ein junges Häschen jammerte, und der Mühlbach sang lauter und mächtiger durch die Nacht.

Eine Reihe wunderbarer Tage war über das waldige Land aufgezogen. Gleich bekränzten Knaben im festlichen und unabsehlichen Reigen kamen sie, Sonnenglanz im Auge, und jeder eine neue und lockende Blume der Verheißung in der warmen Hand. Alles sah sich nach einer ungewöhnlich zeitigen und gesegneten Ernte an. So war gute Laune mit nachdenklichen Intervallen in Schloß wie Dorf. Und die Sensen rasselten gewaltig an den Schleifsteinen, und sie klirrten, wenn man sie für ihr ersehntes Werk dengelte, durch die Morgenstille und die Abendkühle.

Vor dem Schlosse auf steinigem Boden lag ein Äckerlein. Es war gänzlich verunkrautet, und nun leuchtete der rote Mohn so herrisch durch die schütteren Ähren, daß es ordentlich flammte wie in einem Brand, wenn die Sonne sich darein legte. Dahinter war ein Flachsfeld Hankas, und die seeblauen Blüten wallten auf den zarten und schwankenden Stenglein, wenn sie der Wind streichelte. Wieder daran schloß sich, bis zum Wald, der schwarz von Föhren dunkelte, ein roter Kleeacker. ›Blau und rot, Bauermod‹, mußte der junge Branicky denken, wenn er auf seinen täglichen, ängstlich nach seinen Kräften bemessenen Spaziergängen daran vorüberkam. Da hatte er nun die beiden Farben, daß man sich's prächtiger gar nicht denken konnte.

In den Wald ging er niemals nach dem ersten Tag. Der beklemmte ihn, und in den Blättern rauschte für ein feines Ohr vernehmlich dies gleichtönige und ewige Lied vom Werden und Vergehen, und es war so dunstig darin. Aber da war eine aufgelassene Sandgrube, in der er sich gern verweilte. Schon überflog ein grauer Schein die jähen Wände, in denen sie niederstürzte. Eine schwärze Föhre, erste Vorhut des Waldes, überragte sie und stand so hart am schroffsten Abhang, daß es ängstlich war. Jeder Augenblick, jeder Windstoß mußte, so schien es, sie zur Tiefe niederwerfen. Hob sich aber die Sonne über die Sandgrube, dann glomm das Gewände in seinem warmen und roten Goldton auf, der weithin in die Ferne schimmerte. Ein Flirren ging davon aus. Dort saß er gerne und zog die Glut in sich, die allenthalben zurückgeworfen, eingefangen und ohne Ausweg, hier brütete und schwelte und sein immer fröstelndes Innere durchwärmte.

Dort liebte er lange zu sein. Kein Auge konnte ihn sehen, wenn er im tiefen Grunde saß. Er dachte nicht einmal. Er genoß nur die pralle Hitze, die von allenthalben her auf ihn einstürmte, atmete tiefer, und ein erhöhtes Gefühl der Lebenswärme flutete durch ihn. Ihm war, als müßt er hier genesen. Seine Hände spielten, wie es Kinder lieben, mit dem glühenden Sand. Er vergrub sich darein, so gut er's konnte, freute sich seines Knisterns, des Prickelns auf der Haut, das ihn so eigentümlich reizte und kitzelte, und horchte dann wieder gespannt dem Rieseln der sich lösenden und gleitenden Körner hinter sich und um sich. War das nicht wie in einer riesenhaften Sanduhr, die Gott selber geschaffen, um Ewigkeiten zu messen? Er wunderte sich, woher ihm solche Gedanken zuflögen, die sonst nicht seine Art waren. Aber das machte wohl die viele Einsamkeit, das Schweigen und die Stille um ihn, in die höchstens grell und abgehackt ein Vogelruf oder das Piepen einer Maus klang. Auch wohl die Entwöhnung von den Büchern. Er hatte deren allerhand, einschlägig in seine verhaßte Juristerei, mitgebracht, wie um sich selber einen Beruf und eine offene Zukunft vorzulügen. Er rührte an keines. Für seine Zwecke und Aussichten wußt er so ziemlich mehr als genug. Was er brauchen konnte, was ihm Heil und Heilung brachte, das stand doch nirgends zu lesen.

Denn in ihm war immer noch jene verzweifelte wahnsinnige Eigenliebe des hoffnungslos Siechenden. Für den nichts wichtig ist, nur sein eigenes Befinden. Der den Lauf der Sterne und den Gang der Welten gemodelt wissen möchte danach. Er sah nicht einmal, um wieviel heimeliger sein Zimmer geworden war seit einiger Zeit. Denn immer, und wo nur Platz dafür war, standen Blumen darin und brachten einen fröhlichen Duft darein. Es waren keine Feldblumen – die sind nicht fein genug für einen so hochgeborenen Herrn. Aus einem Bauerngärtlein waren sie gebrockt – Levkojen mußten steif und ehrbar darinnen sein – und nicht eben mit sonderlichem Geschmack geordnet. Aber sie wärmten doch. Und auch ein Kreuzschnabel war da, von dem das Volk meint, er zöge das böse Fieber an sich.

Hanka hatte das Zimmer des jungen Herrn übernommen. Der Kammerdiener war zurück nach Wien. Zu Morgen, wenn Baron Friedrich im fieberischen Halbschlaf lag, betrat sie es und sah nach dem Rechten. Es war ihr nur immer nicht eben munter dabei zu Sinn. Weil sie nicht singen konnte, wie sie es sonst bei der Arbeit gewohnt war. Stumm schaffen ist nur halb geschafft.

Gelegentlich warf sie einen flüchtigen und neugierigen Blick nach dem jungen Herrn. Es stand ihm der Schweiß auf der Stirne, daß es ein Jammer war, und die Arme waren so abgezehrt und mager wie ekelhafte Spinnenarme. Wie könnte ein vollgewachsener Mann, mit einem mächtigen Vollbart, nur gar so erbärmlich schwach sein? Doppelt freute sie sich dabei ihrer eigenen Gesundheit und Kraft. Manchmal schlug er die heißen Augen auf, um sie gleich wieder, wie geblendet, zu schließen. Den verwunderten Blick hinter sich fühlte sie wohl dabei, und er ergötzte sie.

Was ging sie der Herr Baron gar an? Er würde wieder für immer fortgehen oder würde sterben, und der Gedanke an beides ließ sie gleichgültig. Sie tat, wofür sie bezahlt ward, tat es ordentlich und etwas darüber, weil sie nun einmal die Hanka Dwořák war. Und die Blumen brachte sie nicht ihm zuliebe – wie konnte er ihr denn gefallen? –, sondern weil der Gärtner, der Dieb, nicht daran dachte, weil sie ihr herzugehören schienen und derlei genug bei ihnen wuchs. Und den Kreuzschnabel – ja, man kann doch niemals wissen, ob nichts an so etwas ist, obzwar der Vogel eigentlich nur gegen Rotlauf sicher hilft. Eine Krankheit ist wie die andere, und nur die Doktoren haben da Unterschiede, damit sie recht allerhand und Teures verschreiben dürfen, und das junge Blut erbarmt einen Christenmenschen doch.

Sie schlief nicht einmal im Schloß, obzwar ihr ein Bett bereitstand, wenn sie einmal über Nacht bleiben müßte. Denn die Gesindestube paßte ihr nicht, weil sie was Besseres war und es nicht einmal nötig hatte, zu dienen oder sich mit den Trampeln für die grobe Arbeit, wie sie sonst da waren, gemein zu machen. Es ist noch kein Müller arm gestorben, und so jammerig ihr Vater tat, der Geizdrachen, der seiner Frau niemals was Gutes außer der ewigen Seligkeit gegönnt, der für einen Gulden dem Teufel zulief, er hatte doch Geld, viel Geld, und mitnehmen könnt er es einmal nicht, und sie war doch sein einzig Kind und weit und breit das reichste Mädel.

Hochmütig und ungesellig aber war die Hanka nicht. Und mithetzen konnte man doch mit den Frauenzimmern? So zu Abend, wenn schon gar nichts mehr zu tun war, und man stand um den Röhrbrunnen, erzählte sich gruselige Geschichten, die immer »wahrhaftig wahr« waren, oder Träume und bemühte sich ernsthaft um ihre Auslegung und ihre Beziehungen zur Zahlenmystik des Lottos. Dann kamen nach Feierabend noch die Knechte, und sie waren eifrig bestrebt, die Angenehmen und die Liebenswürdigen zu spielen, und sie brachten, wenn sie in der Stadt gewesen waren, der Angebeteten sinnige Geschenke: Süßigkeiten, zu denen man gute Zähne braucht, oder ein einschmeichelndes Schnäpschen, das sich trinkt wie Öl und einheizt wie Feuer. Noch war eine kurze Weile der Ruhe vor der Ernte, in der man bis zum Umsinken schaffen mußte, noch konnte man tollen. Und so streifte man die Schuhe ab und haschte sich, rein um der Bewegung willen, auf der Wiese. Schreien und jauchzen durfte man nicht dabei, so gerne man's getan hätte vor Übermut und Lebensfreude. Hanka war die flinkste und kam immer unangetastet zur Mühle heim. Die anderen aber – ja, die wollten wohl nur recht in die Hitzen kommen und sich dann greifen lassen. Einzeln stürmte man hinaus ins Dunkle – gepaart verschwand man darin. Ja, das war nun einmal so. Was ging sie's an? Vielleicht machte sie's bald nicht anders.

Der junge Herr aber sah nieder auf ihre Spiele, und es war ein unbändiger Neid in ihm und fraß gierig an seinem Herzen. Wie das durcheinanderhuschte und sich vergnügte! Und er war doch in den Jahren, wo einem jede Jugendlust vergönnt sein sollte. Warum war sie ihm versagt? Hatte er wirklich in der Heimlichkeit und in der Hast, die ihm aufgezwungen waren, alles aufgebraucht, was für ein Leben hätte reichen sollen, und stand vor der trüben und bitteren Neige?

Einmal – es war eine gewitterhafte Schwüle und konnte sich nicht entladen – faßten sich die unten an den Händen und tanzten einen langsamen und feierlichen Ringelreihen. Und einer, verspätet und ausgeschlossen aus dem Kreis, schlich sich hinzu und warf eine Handvoll Glühwürmer über Hanka. Erst kreischte sie einen kleinen Schrei. Dann stand sie still. Flämmchen strebtet! von ihr und zu ihr. Sie krochen ihr durch das schwarze Haar, und eines glomm ihr just über der sehr niedrigen Stirn, und sie fühlte, wie schön sie jetzt sein mußte. Denn sonst und am Tage war sie's eigentlich nicht. Sie war eigentlich zu groß für ein Frauenzimmer und hatte eine stumpfe Nase, und Leberflecken, ähnlich wie man sie an den gesündesten und reifsten Äpfeln findet, hatte sie auf der Backe und einen ganz leisen Flaum auf der Lippe, der im Licht glänzte wie eitel Gold. Und ihr Gang und ihre Haltung waren trotzig.

Wieder, heftig zugeschlagen, klang das Fenster. Hanka streifte die Johanniskäferchen von sich und ging heimwärts. Einmal schüttelte sie sich; denn eines war ihr ins Gewand geschlüpft und kroch nun mit kitzelnden Füßchen ihr entlang. Zerdrücken aber mochte sie's nicht. Sie scheute die Befleckung, und es hatte doch hell geleuchtet und sie verschönert für ein Weilchen. So ertrug sie lieber den Kitzel.

Am Eingang zur Mühle stand der Hynek, wie jeden Abend, wenn man sie erwarten konnte. Er bot ihr die Hand, umklammerte wie immer mit einem herzhaften Griff die ihre, und sie ließ sich's gefallen. Nebeneinander standen sie, und sie überragte den ziemlich großen Burschen um Stirneshöhe. Er sah sie an, und sie blickte ins Leere. Dann begann er:

»No – wie ist's im Schloß?«

»Ganz schön ist's im Schloß.«

»Und hast viel zu tun?«

»Viel zu tun hab ich. Aber man kann's schon ermachen.«

»Und ist dir nicht bang nach zu Haus?«

Sie lachte hell: »Um wen? Und wo ich jeden Finger lang dasein kann!«

»Weißt wirklich nicht, um wen dir bang sein sollt?«

»Wirklich und mit keinem Gedanken nicht.«

Der Hynek seufzte: »Und hast mir was mitgebracht?«

»Was sollt ich dir mitgebracht haben?«

»Ja – ich mein, vielleicht einmal eine gute Zigarre, wie sie doch sicher dort nur so herumliegen, wie sie die Herrischen rauchen tun. Du – so was möcht ich einmal im Maul haben.«

»So wisch dir's, Hynek. Wirst schon noch warten müssen. Erstens nehm ich nichts, was nicht mein ist.«

»So bitt ihn einmal um eine. Mir zulieb.«

»Bitten tu ich zum zweiten auch nicht, dir zulieb erst recht nicht. Und es nützet nichts. Und es nützet nicht einmal was. Denn er tut doch nicht rauchen, wo er's mit der Brust hat.«

»So«, sehr gedehnt.

»Ja – so«, noch gedehnter. Und mit einem Gähnen: »Gute Nacht, Hynek.«

Sie ging schlafen. Der Hynek aber, kopfschüttelnd, was diese Hanka doch für ein sehr merkwürdiges und sonderbares Mädel war, kroch zu seiner Bodenkammer.

Er war ein unglaublicher Bursch, dieser Hynek. Nämlich, ein rechter Grübler war er. So einer, der die einfachsten Sachen von der Welt so argwöhnisch bestaunt und so lange hin und her dreht, bis er einen Haken darin gefunden hat, groß genug, um einen ganzen Berg von Bedenklichkeiten daran aufzuhängen.

Einen richtigen Advokatenkopf hatte er auf sich. Und allenthalben schnüffelte er herum und hatte seine kurzsichtigen und immer etwas entzündeten Augen überall, besonders dort, wo man sie nicht wünschte. Rot waren sie, wie bei einem weißen Kaninchen. Das machte, er las wirklich bis tief in die Nacht und jeden bedruckten Zettel. Hernach hob er sich ihn auf und hatte sich so einen ganzen Haufen von Packen, mit Spagat umbunden und nach einem geheimnisvollen System geordnet, zurechtgemacht. Denn was nicht wahr ist oder zu gar nichts nutz, das wird man doch nicht drucken lassen? Und was man hat, das hat man und nimmt einem keiner. Er war sparsam und bedacht für alle Fälle und für jede Zukunft. Denn das unterscheidet den Menschen vom Vieh.

In der Mühle hielt er's aus, wie's noch keiner ausgehalten hatte. Er war gekommen als ein magerer Bub, wie die Hanka noch kaum laufen konnte. Alle ihre Geschwister, deren viele gewesen waren, sah er sterben – jedes Jahr gab's Tauffest und Leichenschmaus. Endlich für die Müllerin den letzten. Er machte das alles mit durch, blieb, blieb um den mindesten Lohn und war dem Müller unentbehrlich. Denn gab der Hynek einmal mit einer Stimme, die von dem unendlichen Mehlstaub heiser war, den er geschluckt, einen Einschlag für ein Geschäft, so war es sicher gut und rundum überlegt, und es biß keine Maus einen Faden ab. Und er selber sparte mit Erfolg und hatte einen schönen Gulden beisammen. Denn er gönnte sich gar nichts. Sein Essen hatte er, und mehr verlangte er sich nicht. Einen guten Anzug hatte er immer, sonst lief er beständig in blauem Barchent herum, daß es im Winter aussah, als sei er blau gefroren. Sein Gewand zog er an, wenn er in die Stadt ging zur Sparkasse, Geld einlegen oder beheben, bot sich die Gelegenheit zu einem sehr vorteilhaften Handel. Denn die Leichtsinnigen, die waren doch ein rechter Segen Gottes für die Bedachten. Bei solchen Anlässen trank er sein gutes Glas Bier, nur eines, denn das zweite schmeckt lange nicht mehr so gut – saß auf dem Ringplatz, sah sich die geputzten Leute an, fühlte sich und tauschte mit keinem König.

Er hatte sich's nun einmal in den Kopf gesetzt, zu bleiben. Und da könnt ihm der Zliner Müller immer das Doppelte bieten, was er nun an Liedlohn Dienstbotenlohn. hatte. Was der Hynek Potřemba wollte, das wollte er. Und was er tat, so wußt er sicherlich, warum.

Nämlich – da war doch die Hanka. Und die durft ihm nicht aus, und wenn er sich um einen höheren Lohn wegfoppen ließ, so kam sie ihm am Ende fort. Denn sie gefiel ihm sehr gut, und er mußte immer denken, was für prächtige Kinder die einmal haben würde. Denn es war doch, als sei die Gesundheit und die Kraft aller ihrer so jung gestorbenen Geschwister in ihr. Und sie war eine gute Partie. Kurz, es gab in der ganzen Welt keinen Ort, wo für den Hynek Potřemba so gut sein war, wie eben in der Mühle von Groß-Wranowitz für ihn sein war. Den Müller hatt er völlig am Bandel. Der konnte nicht mehr sein und nichts beginnen ohne ihn, und er könnt es nicht einmal wagen, den gefährlichen Burschen fortgehen zu lassen, der ihm so hinter alle seine Praktiken gekommen war. Wozu denn auch? Er forderte doch keine Mitgift und wollte ihm zur Zeit sein Geld lassen, das einzige, um das sich der alte Dwořák grimmig und auch gegen ihn gewehrt hätte.

Und die Hanka mochte ihn doch ganz gut. Weil sie grob mit ihm war? Je – mit wem war sie denn nicht grob, die Hanka? Das gibt sich nachher schon. Und sie kannte ihn durchaus, und sie wußte, er war gar nicht tückisch, wie man ihn ausgeschrien hat, nur verschlossen, für sich, und überhaupt als ein Waisenkind und ohne Geschwister ein stilles Wasser. Ihr hing er an wie ein Hund oder eine Klette, und er war zum leiden, er war sogar ein ganz hübscher Bursch, wenn sie ihn mit ihren gnädigen Augen ansah. Etwas schief vom Säcketragen war er freilich. Aber das kommt vom Geschäft und gehört dazu, und eine ordentliche Kraft, wie sie ein Mann haben soll, die hatte er in sich. Nur so feig und so sehr leicht geschreckt war er. Das war aber nicht, wie die anderen Knappen tuschelten, vom bösen Gewissen, sondern nur, weil er doch immer grübelte und spekulierte und in sich war. Solche Leute sind nun einmal geschreckt. Sein Geschäft verstand er wie ein Teufel. Und endlich, wer kam denn Besseres um sie? Und war der Vater erst im Ausgeding, so konnte man sich's ganz wohl geschehen lassen und sich prächtig einrichten auf der Mühle. Aber das hatte noch gute Zeit, wie überhaupt das Heiraten.

So hatten sich die Dinge in erfreulichster Weise für den Mühlknappen Hynek Potřemba entwickelt. Und es war ihm darum gar nicht recht, daß sie jetzt ins Schloß ging. Denn es konnte ihr da wer in die Augen stechen, von den Tagedieben, den Stallknechten aus dem großen und sehr berühmten Fohlenhof, den man unterhielt, diesen Hungerleidern, mager wie Windhunde und ebenso zudringlich, die da in Schäftenstiefeln und gestriegelt wie ihre Rösser herumliefen und sich nicht auskannten vor Hochmut und Nichtstun. Aber diese Gefahr glaubte er doch nicht recht. Und der junge Herr war so krank, und man konnte wieder nicht wissen, wie ihnen bei der Herrschaft, von der man mit der Pacht abhing, das einmal zugute kommen würde, daß die Hanka jetzt um ihn war. Und wenn schon etwas geschah – du lieber Gott, wer konnte vorbauen, wenn etwas geschehen sollte? So selten war's nicht, daß man Lärm schlagen müßte mehr, als um dem Mädel zu zeigen, daß man kein Trottel, sondern nur gut war. Hynek Potřemba fühlte die Fähigkeit in sich, alles zu vergeben ...

Er rieb sich, als er soweit gekommen war, die Hände, mit sich und seiner Klugheit zufrieden. Denn ein Mann ist doch nur, wer nach Möglichkeit sich's einrichtet und ausdenkt.

Wie das nur klang: Hynek, Hanka, Hanka, Hynek, Hanka. Als würden sie schon eingeläutet: Bim, Bam, Bam, Bim ... Ba-m ... Und die Unken im Mühlteiche huben eben an und sangen den Baß dazu.

 

Oben im Schlosse ging alles seinen gewohnten stillen Gang. Die Beschließerin war freundlich und lobte das Mädchen bei jedem Anlaß und mehr als genug. Die Verwalterische tat als Beamtentochter herablassend, wenn sie Hanka begegnete, spielte sich auf ihrem Klavier lauter Sehnsuchtslieder vor und schnitt schrecklich hämische Gesichter in ihren Spiegel, über den sie sich immer ärgerte, weil er sie grün zeigte. Aber sie war wirklich grün erschaffen. Mit den Mägden hielt die Hanka gute Gemeinschaft, soweit sie mochte, und war allgemein gelitten. Die Knechte aber kamen ihr durchaus nicht in die Nähe.

Es war aber dennoch eine gewisse und wachsende Unbefriedigung in ihr. Das machte, die Erntearbeiten waren draußen im vollen Gange. Da hatte sie sonst mitgeholfen, und ihre ganze Körperkraft hatte sie hineinlegen können in den Schwung der Sense, oder wenn es galt, eine recht mächtige Garbe, schwer vom Körnersegen, auf den Wagen hinaufzuheben. Und dann ganz oben, wie auf einem Berge sitzen und die Augen schweifen lassen über die gelben Stoppeln, zwischen denen ein kümmerliches und der Sense entronnenes Grün vorschielte aus dem grau gedörrten Erdreich und heimfahren auf dem schwankenden Leiterwagen, einen unmerklichen Windhauch um die glühenden Wangen und erfüllt von einer glückseligen Müdigkeit! Das fehlte ihr nun gar sehr, und sie konnte sich kaum denken, wie das so recht gehe ohne sie. So schweiften ihre verdrossenen Gedanken zwischen Schloß und Mühle, und es war ihr, als begänne eine Entfremdung zwischen ihr und ihrem Elternhause, seit sie seine Wichtigste Arbeit nicht mehr teilte.

Das, was ihr hier oblag, das konnte am Ende eine andere auch. Es war überhaupt zum Staunen, wie leicht sie sich hier das Leben machten und wie sehr eine jede aufpaßte, damit sie sich mit der Arbeit ja nicht weh tue. Und alles ging so am Schnürchen, und es war gar keine Abwechslung darin. Den Tag dieses, den anderen Tag was anderes, wie man's ihr einmal vorgeschrieben hatte, aber im Grunde doch immer dasselbe und niemals etwas, wo man sich hineinlegen mußte, daß sich jeder Nerv anspannte und jede Muskel straffer ward. Sie fühlte sich schwach und laß und verdrossen werden dabei und war mürrisch gegen alle Welt. Auch kamen ihr vor lauter Überfülle des Blutes, das ihr so ungestüm durch die Adern rollte, der Jugend Beklemmungen, die sie ärgerten.

Mit dem jungen Herrn hatte sie eigentlich noch kein Wort gesprochen. Er aber sah sie oft verhohlen an und wunderte sich, daß dies unfreundliche Geschöpf, das auf jeden Wunsch nur das hochmütige: »Ja, gnädiger Herr« oder ein unwirsches »Gleich« hatte, das immer mit einer kaum verschleierten Hoffart auf ihn niederblickte, dasselbe Mädchen sein sollte, das ihm in Gedanken lebte, wie er es einmal im dunklen Garten gesehen hatte: umgaukelt von Leuchtkäferchen, als flögen sie ihrer Schönheit zu, im stolzen Antlitz mit den klaren Augen eine geisterhafte Blässe. Es war das ein Erinnern, das er nicht zu tilgen vermochte.

Und dennoch spann sich Faden um Faden zwischen ihnen, mit mannigfachen Verknotungen, aber so sacht, daß sie nicht drückten. Wie konnt es anders werden? Denn sie mußte viel um ihn sein. Bald kannte sie all seine Bedürfnisse und was ihm guttat; sie achtete darauf, damit er nur ja nicht zu reden brauche. Denn das strengte ihn manchmal an. Dabei aber lag etwas so Einschmeichelndes in seiner umflorten Stimme, daß sie sich gern von ihm gerufen hörte. Er sprach ihren Namen so weich und bittend aus! Schrecklich war ihr nur, wenn er seinen Hustenanfall bekam und danach so rot im Gesicht ward und die Lippen so zuckend zusammenpreßte. Das schnitt ihr ins Herz, und sie wäre dann am liebsten fortgelaufen, wohin immer, nur um dies Leiden nicht sehen zu müssen. Einmal sprang sie herzu, hielt ihn, und wie einem Kinde, das sich verschluckt hat, so klopfte sie ihm den Rücken. Er lächelte schwach und dankbar dabei. Und hatte er bessere Tage oder eine gute Nacht – und sie sah das sofort, sowie sie nur sein Zimmer betrat –, so war sie selber froher. Ihm aber ward allmählich, als strahle sie Genesung für ihn aus.

Den Sonntag ging er regelmäßig zur Kirche. Man sah das gerne, wenn die Herrschaft in der Frömmigkeit dem Volke voranleuchtete. Die Tarockpartien hatten begonnen. Sie waren ihm gräßlich, aber sonst wüßt er nichts mit sich anzufangen. Auch den Herren kam,er nicht gar gelegen. Die Bierkrüge, gefüllt vom Besten aus dem herrschaftlichen Brauhause, standen wohl auf dem Tisch. Aber der junge Herr trank nichts, nur sein Gleichenberger oder zur Abwechselung sein Emser Wasser. Die Pfeifen hielt man zwischen den Zähnen und mußte kalt rauchen, weil er den Qualm nicht vertrug. Gewisse Witze traute man sich nicht vor ihm zu erzählen. Wo sollte da die rechte Gemütlichkeit aufkommen? Und er war so grenzenlos zerstreut und paßte, nicht zum glauben, weil er sich immer nach des Forstmeisters Teckel umsah, der krummbeinig umschlich, sich im Kreise drehte oder mit einer grenzenlosen Erbitterung nach jeder Fliege schnappte, die durch den Raum surrte. Tarock aber kommt, was die Aufmerksamkeit anlangt, noch vor der Predigt. »Aufpassen muß man, Herr Baron, aufpassen, zählen und parieren!« Und so recht grob werden durfte man mit dem jungen Herrn auch nicht. Also – Rücksichten, nichts wie Rücksichten. Wo blieb da die Unterhaltung? Und immer gewinnen ist wohl ganz schön. Aber man will doch sein Vergnügen dabei haben und nicht mehr Galle schlucken als Bier.

Einmal, während sie so spielten, ging die Hanka vorüber. »War kein übler Bissen, das Mädel«, schmunzelte der Herr Forstmeister mit gerecktem Daumen. »Ein recht fetter Bissen«, kicherte der Verwalter, »mit Verlaub, Hochwürden, schon was man so sagt: ein Pfaffenstückel.«

»Aber meine Herren, wer wird so sprechen?« verwies der Pfarrer väterlich, und man sah dennoch, wie ihm dabei das Wasser im Maul zusammenlief. Der Herr Verwalter aber legte gar die Karten zusammen, fuhr sich mit der Hand über Haar und Bart und sagte erst nach einer Weile, in der die drei Männer ganz niederträchtige und schamlose Augen nach dem Frauenzimmer gemacht: »Also gehen wir weiter. Herr Baron – Sie haben die Vorhand.« Er aber war in einer rechten Empörung, deren Grund er nicht begriff, und mußte an sich halten, um nicht in heftigen Worten loszubrechen. So ekelhaft waren sie ihm, diese Männer mit ihrer dummen Rederei! Und daß sie sich gar nicht vor ihm genierten, verheiratet, Väter erwachsener Kinder oder gar geistlich, wie sie waren ...

Es war ihm, als sei er ihr gegenüber in einer großen Schuld dafür, daß er dazu geschwiegen hatte. Dennoch sah er genau, wie komisch es gewesen wäre, hätt er sich zum Ritter ihrer Unschuld aufgeworfen, von der er nichts wußte, die ihn nichts anging, an die nicht einmal jemand gerührt hatte. Solche Worte aber, wenn auch unwillig vernommen, haften; unbewußt dacht er Hankas anders als bisher, beschäftigte sich mehr mit ihr. Und als sie ihm am Abend seine Milch, frisch gemolken und noch mit dem eigentümlichen Geruch vom Tier, aufs Zimmer brachte, sprach er sie an: »Wie lang bist du nun auf dem Schloß, Hanka?«

»Einen Tag nach dem jungen Herrn bin ich eingestanden.«

»Und gefällt's dir hier oben?«

Sie hatte ihren ungnädigen Tag: »Ich weiß manches, was mir besser gefallen könnt.«

»Ja – und warum bleibst du dann?«

»Wenn's der junge Herr meint, so kann ich ja auch gehen.«

»Nein, nein!« er wurde ganz eifrig, »so mein ich's nicht.«

»Dann muß der junge Herr nicht so reden«, und sie lachte mit allen ihren Zähnen, die blank, regelmäßig und kräftig waren, wie die eines jungen Raubtieres, daß sich Baron Branicky denken mußte, wie die wohl in lebendiges Fleisch beißen möchten, und zwar mit einem dunklen Verlangen. Sie aber unterhielt sich plötzlich ausgezeichnet.

›Reden möcht er mit mir‹, dachte sie. ›Was herauskriegen will er aus mir. Und was für ein Ungeschick ist doch der Mensch dazu!‹

»Ja, und wie alt bist du, Hanka?«

»Zu Maria Lichtmeß war ich siebzehn Jahre.«

»Nein! So jung?«

»Ja, so jung! Aber der junge Herr will's wahrscheinlich nicht glauben, weil ich so alt aussehe?« Und sie lachte wieder ihr Lachen, was ihn ganz verwirrte.

»Nein – wo wirst du oder wo werde ich so was meinen?« verteidigte er sich. »Und du bist dem Müller Dwořák sein Kind?«

»Ja. Dem Müller Dwořák gehör ich.«

»Und du mußt dienen? Das wundert mich doch.«

»Müssen müßt ich nicht. Aber – es sind schlechte Zeiten, und« – sie besann sich, daß sie vor einem von der Herrschaft stünde, daß man also jammern muß, und betete also ihre ganze Litanei herunter – »und der Pacht ist so schrecklich hoch, und aus Pest kaufen sie lieber das gegipste Mehl, statt bei uns mahlen zu lassen, und der Herr Verwalter ist wie ein Blutegel auf uns arme Leute und droht immer, er wird uns noch steigern. Aber da gehen wir lieber weg in die Welt.«

»Also so einer ist der Verwalter? Und weg dürftest du nicht, Hanka!«

»Ja, so einer ist der Herr Verwalter. Und weil sein Vater Kammerdiener war, so glaubt er schon, er ist dem Herrgott sein leiblicher Vetter, keinem Menschen läßt er seine Ehre. Schon darum möcht man fort. Wen geht's was an?« Sie sah ihm frank und voll in die Augen, begierig auf die Antwort, die nun kommen mußte. Er aber brach ab: »Gib mir meine Milch, Hanka.«

Sie mischte sie mit Selterswasser, reichte sie ihm. Er berührte ihre Hand dabei und ließ seine Finger ein Weilchen darauf ruhen. Sie litt es, aber ungern und mit zusammengezogenen Brauen. So kalt und so gewiß klebrig war seine Hand. Ein Frosch hat sie so. Und endlich, unfähig, sich länger zu bemeistern, trat sie ein Schrittchen zurück. Er trank. Dann mit einem sehr leisen und gütigen Lächeln – ›nur ein Herr hat's so, nur ein wirklicher und geborener Herr‹, mußte sie denken – sprach er: »Gefallen tu ich dir nicht, Hanka!«

»Wird dem jungen Herrn wenig daran liegen«, entgegnete sie schroff.

»Wenn mir aber daran läge, Hanka?«

Sie spielte mit ihrem Schürzenband. Durchaus aber nicht in Verlegenheit, denn sie ließ die Augen nicht sinken dabei. Aber keine Antwort gab sie, wenn sie nicht schon in diesem überlegenen Blicke lag. Er wurde sentimental: »Du mußt Geduld mit mir haben.« –

»Ich hab mich doch nicht beklagt, daß der junge Herr zuviel Bedienung braucht.«

»Geduld mußt du mit mir haben, Hanka!« Und in einem aufbrechenden Schmerz: »Oh! nicht mehr lange Geduld!«

»Es geht dem jungen Herrn viel besser, seit er hier ist. Er ißt täglich mehr, und der Husten kommt auch nicht mehr so schlimm wie im Anfang.«

»Ja, besser. Aber gut wird's mir niemals mehr gehen!« Und er schlug die Hände vors Gesicht, damit sie nicht sähe, wie der Schmerz es verzerrte.

Er saß, das Haupt zurückgelehnt, unendlich schmächtig, in seinem hochlehnigen Stuhl. Sie stand in ihrer ganzen stolzen Gesundheit vor ihm, näher zu ihm in Mitleid getreten. Er ergriff ihre Hand: »Wie stark und braun sie nur ist!«

»Sie schafft genug«, entgegnete sie und überließ sie ihm ein Weilchen. Finger für Finger zog er sie auseinander, wie mit einem Spielzeug. Und dann, so recht klagend, hub er wieder an: »Und wenn ich nur nicht immer allein wäre, Hanka! Was ich gern möcht, das darf ich nicht tun, und da hab ich Zeit, gar soviel Zeit für mich, Hanka! Und mit keiner Seele reden kann ich von mir. Denn die Herren hier – die haben ihr Geschäft und ihre Sachen, und dann: sind das überhaupt Menschen?«

»Ein Gesindel sind sie. Und sie spotten den jungen Herrn aus, wenn sie ihm sein Geld abgewinnen«, bestätigte sie.

»Und dann, weißt du, Hanka – die Nacht. Man schläft so schlecht. Und etwas liegt auf mir, und ich kann oft nicht atmen. Und das Schloß ist so still und wie tot, wie wenn keine Menschenseele leben möcht darin, und sperrt man das Tor zu, so ist das, als sollte man's gar nie mehr aufmachen. Und ich möcht oft Sturm läuten: Kommt zu mir, oder ich halt's nicht mehr aus. Ich werde verrückt. Und dann kommt eine, verdrießlich und verschlumpt und mit Augen wie eine Nachteule, wenn sie ins Licht sehen muß.«

»Da müßt sich der junge Herr eine Schwester nehmen zur Pflege ...«

»Mag ich nicht. Ich will nicht immer an die letzten Dinge Und an ein christliches Absterben erinnert sein von ihrer Haube und ihrem Beten und ihrem barmherzigen Gesicht«, greinte er eigenwillig.

»Der junge Herr muß sich nicht aufregen. Tut ihm kein gut. Wüßt nicht, was sonst zu machen war. Gute Nacht, junger Herr!«

»Gute Nacht, Hanka.« Und er sah ihr mit schwimmenden Augen nach.

In dieser Nacht geschah dem Mädchen etwas, das ihm noch niemals widerfahren war. Es wachte zu schlafender Zeit und bei völliger Dunkelheit auf. Und sie mußt an den jungen Herrn denken, der da allein war im toten Schloß, dessen Tor geschlossen ward, als sollt es für immer verriegelt bleiben. Und er läutete und mußte so lange warten und sich ängstigen, ehe man schlurfend und widerwillig zu ihm kam.

Ein Gefühl der Einsamkeit packte sie selber dabei. Aber sie scheuchte es von sich, reckte sich mächtig, bis ihr alle Gelenke knackten, und entschlummerte. Dummes Zeug! Was ging's die Hanka Dwořák an?

Von diesem Tage ab war es aber wirklich, als sei dem Zerstörungsprozeß Einhalt geboten worden, der im jungen Branicky gewütet. Seine Kräfte hoben sich merklich, und manchmal überfiel ihn ein ordentlicher Heißhunger. Er schlief gut; immer weitere Spaziergänge konnt er unternehmen, ohne jene tödliche Mattigkeit, die ihn sonst nach wenigen Schritten befallen und gelähmt. Und ihm ward, als entdeckte er sich nun seine Heimat wieder, mit allen ihren dürftigen, doch unentrinnlichen Reizen, als spräche ihre Sprache, die ihn zu Anbeginn nur verwirrt, nun ihm bestimmt und tröstlich zu Herzen.

Ein Unsinn war es gewesen, daß er sich so durch die Welt hatte schleppen lassen! Wo war er nicht alles schon hin verschickt worden! Dahin hatten ihn die Ärzte, dorthin die Seinen gesendet, ohne Hoffnung, ohne anderen Wunsch, als nur um ihn, den Anblick seiner Leiden, die fatale Erinnerung an zerronnene Hoffnungen und dumme Streiche loszuwerden.

Überall war er fremder geschieden, als er gekommen war. Das laute Leben Ägyptens und seine bunten Farben mißfielen ihm. Der Anblick der Leidenden, der gleich ihm Hinsiechenden, hatte ihn allenthalben verstört. Instinktiv hielt er sich an die Verlorenen, nur um vor ihnen den Trost zu gewinnen, daß es mit ihm noch immer nicht am allerschlimmsten stünde. Und ihre Mitteilsamkeit und die täglich neuen Symptome, die sie an sich nachzuweisen so glücklich waren! Und die Ärzte mit ihrer ekelhaften Aufdringlichkeit! Und dieses unruhige Treiben in den Pensionen, die ewigen Klagen, wie teuer das sei und daß man die heranwachsenden Töchter nicht ewig so benachteiligen können werde; diese gezierten Tennis-Gänse! Hinter allem aber die angenehme Aussicht, zurückkehren zu müssen, dahin, wo man ihn ewig hofmeistene, und zu seinen Studien, an die er nicht denken konnte ohne ein tiefes Grauen.

Und dieser Kammerdiener mit seiner feisten albernen Fratze, der ihn ausspionierte! Daß er den mit einer solchen Schleunigkeit expediert hatte, das war wohl der schlaueste Streich seines Lebens gewesen. Sicherlich, sie hatten sich auf Schloß Hrádek, wo sie jetzt zum Sommerséjour Sommeraufenthalt. beisammensaßen, über ihn geärgert. »Er ist etwas unberechenbar, dieser gute Friedrich!« Mochten sie nur wieder die Nasen über ihn rümpfen! Er tat sogar gerne, was sie verdroß. Er brauchte den Burschen nicht, der ihm mit einer so feierlich dümmelnden Miene den Überzieher nachtrug, ihm so großartig hineinhalf, damit nur jeder bemerkte, hier komme ein hochgeborener Herr. Und der ihn dabei bestahl, wo es nur anging, und wie ein Rabe. Dazu war er klug genug, und an der erwünschten Gelegenheit fehlte es ihm auch nicht. Dabei fiel auf ihn niemals ein Verdacht. Stimmte es mit der Reisekasse wieder einmal nicht: »Er war immer etwas leicht, dieser gute Friedrich!«

Dies alles entfiel hier. Die stete Unrast hatte ein Ende. Niemand beobachtete ihn mehr, und das Lamentabel über seine Kostspieligkeit mußte nun wohl verstummen. Sachte Schleier sanken über seure Vergangenheit. Verdämmernd, kaum noch kenntlich, lagen dahinter seine Vergehungen; sie schieden ihn unfaßbar und dennoch bestimmt von seinen Angehörigen. Und ihm wurde, als senke er geheime und zarte Wurzeln in diesen teuern Boden, aus denen ihm unablässige Stärkung zuriesele, die ihn aber auch für immer und ewig hier festhalten mußten.

Da war die Hanka. Immer noch unwirsch und gar nicht sehr unterhaltlich oder mitteilsam. Aber sie kümmerte sich um ihn, und sie meinte es ihm gut. Respektsperson war er nun einmal nicht für sie. Dazu war sie zuviel in seiner Hilfsbedürftigkeit um ihn. Es war jenes Gebietende an ihr, das bei Mädchen in diesem Alter die künftige Mutterschaft vordeutet. Und wenn sie in ihrer herrischen Art sagte: Das muß der junge Herr tun, so fügte er sich dankbar und sah sie nur mit einem verdutzt neugierigen Gesicht an, das ihr an ihm gefiel. Denn dann kroch der Spitzbub wieder hervor, der er, wie alle Branickys, in guten Zeiten sicherlich gewesen war. Immer erzählte man noch im Dorfe, wie toll es hier zugegangen, ehe sie Kostel und Hrádek geerbt. Beständig auf der Jagd. Im Walde hinter jeder Klaue und sonst hinter jeder Schürze.

Und dann war seine Sandgrube, die er ihr einmal gezeigt, ohne daß sie daran etwas finden konnte. Macht nichts: sie war nur zu gesund, um Sinn für derlei haben zu können. Und dann war ihr Teich, wo sie Flachs rösteten, daran die Dorfmädchen sich an ganz klaren Abenden gerne verweilten. Es war ein ganz rundes Wasser. Fast schwarz vor den vielen Bäumen rundum, in deren Schatten man saß, weil das Mondlicht doch schädlich ist. Es war eine Helle, die aber keine Ferne vor silberigem Duft erkennen ließ. Und wenn dann die weiße und volle Kugel des Mondes, wie ein silberner Ballen, hindurchschwamm durch die geheimnisvolle Flut, und es knisterte im Röhricht, und der Kalmus würzte die Luft, und das Heu duftete so stark und so mächtig aufreizend durch die regungslose Nacht, und geschlossen und träumend schimmerte die eine weiße Wasserrose: so war das gar schön. Sie saßen im Kreis rundum, die Mädchen mit ihren Burschen, und wisperten ernsthaft. Oder eine hob mit schriller Stimme – Sehnsucht im Auge und ein Licht auf den Wangen –, immer gute Noten zu hoch, irgendein klagendes Lied an, und die anderen summten mit die traurige Weise, oder sie horchten nur und nickten mit den Köpfen den Takt. Er mußte zeitiger nach Hause. Darauf hielt die Hanka, die keinen hatte, mit dem sie ging, und in deren Obhut er hier erschien. Sie aber geleitete ihn immer zum Schloß, damit ihm ja nichts widerfahre, und so, im dunkelnden Laubengange war es geschehen, daß er beim Gutenacht noch lange und suchend an ihr hinaufsah. Und sie neigte sich zu ihm, und recht wie eine Mutter von einem fügsamen Kind, so ließ sie sich von ihm auf die Stirne küssen. »Und nun wird der junge Herr zu Bett gehen.« Sie aber saß noch gute Weile unter den anderen; ohne jeden Gedanken, ohne jede Erregung sang sie mit ihrer tiefen Altstimme vor. Alsdann, gesellt die übrigen und sie einsam, schlenderte man durch die Dorfgassen, in denen unzählige Hunde in allen Tonarten den Mond anjammerten und den Heimkehrenden zublafften.

Es war eine stille Zeit. Und eine gesegnete Zeit. Noch ohne Aufregung und ohne bestimmten Wunsch, nur still und gesegnet, heilsam und erquicklich. Er schrieb seine Berichte über sein Ergehen an die Eltern und genoß sonst dies ruhige und friedliche Leben mit allen Sinnen. Er nahm sich in seinen Briefen, die ja offizielle Relationen zu sein hatten und pünktlich an die alte Durchlaucht zur Einsicht weiterbefördert wurden, wohl in acht, nicht zu sehr zu zeigen, wie glücklich er sich fühle. Aber ein Nachglanz dieser Mondnächte und des Ganzen, das ihm so wohltat, lag dennoch darüber, schimmerte in wärmeren Wendungen durch. Man sprach in Hrádek schon davon, man werde einen guten Juristen aufnehmen und hinüberschicken nach Groß-Kumrowitz. Denn vielleicht werde es mit diesem guten Friedrich wirklich besser, nachdem die Branickys, wie in allem, so auch in der Gesundheit immer eine höchst ausgezeichnete Familie gewesen seien. Die alte Durchlaucht aber runzelte die Stirne: »Laßt ihn ungeschoren, wo er ist. Er war immer ein schlimmer Junge. Mir scheint, er enkanailliert sich wieder, dieser liebe Bedfich!« Und in diesem »Bedfich« lag eine Verdammung zum böhmischen Pöbel und eine Ausstoßung aus seiner Kaste für immer und unwiderruflich ...

Es war aber in der Hanka eine eigentümliche Schwüle. So, als breite sich der Sommer in ihr aus, erfüllte sie gänzlich und brütete über etwas, das zur Reife kommen müsse in ihr. Kein Bad brachte ihr Erquickung, und war sie allein, so überflackerte es ihre Wangen oftmals wie mit einem Strohfeuer.

Wie ein Druck lag es auf ihr. In einem halben Schlummer ging sie durch den Tag. Dann brachte ihr die Nacht keinen rechten Schlaf, nur eine graue und bleierne Ermattung. Da waren Pausen – ihr endlos, die derlei nicht gewöhnt –, darin sie so unsäglich hellhörig war. Denn sie vernahm jedes Ächzen im Gebälk, den Pieplaut einer jeden Maus und manchmal einen ganz fremden Ton. Als zetere eine ungeduldige Klingel. Aber das war nur ihr junges und heißes Blut, das ihr so ungestüm in den Ohren sang.

Alle ihre Gedanken bezogen sich auf den einen, der ihrer Sorge anvertraut und mit dem sie so zusammengewachsen war. In einer unerträglichen Weise, die sie nach ihrer kraftvollen und tätigen Art erbitterte. Es war eigentümlich, mit welcher Helle und wieder mit welcher traumhaften Milde ihr alles im Gedächtnisse stand, das sich seit dem Tage seiner Heimkehr begeben hatte. So, als wär's umrahmt und irgendwie herausgehoben aus dieser sonstigen Dunkelheit, so daß man, unwiderstehlich genötigt, danach immer und nur danach blicken mußte. Es war unerträglich, und die Hanka Dwořák mußte sich das wohl gefallen lassen. Nein – beim guten Heiland nicht!

Wie aber dem ein Ende machen? Sie dachte daran, alles liegenzulassen und wieder in ihrer Mühle zu bleiben. Mochte der Mann da oben sehen, wie er ohne sie fertig wurde. Denn ganz und gar verrückt machen mit ihm wollte sie sich nicht. Und dennoch fiel ihr schon beim bloßen Gedanken daran ein Schrecken aufs Herz, ihn so völlig bezahlten Händen zu überlassen. Bezahlten Händen? Aber – sie erhielt doch auch ihren guten Lohn und hatte sich sogar nicht wenig damit gefreut, für ihr eigen und verdientes Geld bei der nächsten Kirmes ordentlich aufzuhauen, so recht wie eine, die sich's leisten darf. Denn dem Alten was davon zu geben? ›Könnt mir grad einfallen!‹ Und nun – ihre Freude war hin, und sie hatte gänzlich vergessen, daß sie doch auch im Dienst da oben stand ...

Es schmeichelte ihr allerdings, daß es der junge Herr, ein höheres Wesen und vielleicht einmal gar der Besitzer dieser Herrschaft, war, der sich ihr gegenüber so fügsam erwies, daß er sie mit keinem ungehörigen Blick anzusehen wagte, trotz jenes einen Kusses keine Vertraulichkeit versuchte. Je – sie war eben wer! Und wiederum – das war ein Unglück. Denn anders hätte sie ihm einmal den Standpunkt klarmachen können, daß ihm die Augen übergegangen wären, dem Schwächling, dem jämmerlichen. Wie's ihr nur einmal vor ihm gegraust hatte! Ordentlich und gehörig. Und das wollte so gar nicht mehr wiederkommen. Denn ihr Zorn war gemacht, in den sie sich so hineinreden wollte. Und ihr Ekel war gemacht. Und nichts war echt, nur ihre rastlose Sorge um ihn.

Ein Ende mußte geschehen. Ein rasches und unwiderrufliches Ende, dachte sie und stierte in den dunkelnden Mühlbach, der so reißend dem Schlosse zu dahinbrauste. Das, was war, hatte keinen Sinn. Sie duldete das nicht mehr länger. ›Ich will's!‹ Und was die Hanka Dwořák will, das geschieht. Immer und just ...

Es war dunkel geworden in der Welt. Der Himmel hatte sich entfärbt. Erst überlief es stählern sein tiefes Blau; dann war's blau wie Schiefer, und endlich sah er bleifarbig nieder zur Erde. Ein Wehen begann irgendwoher und schwoll in gleichen Takten mächtig bis zum Sturm. Der duckte sich nun in sich; dann sprang er auf und hetzte über die flachen Felder, zauste die Rispen der Hirse und des Hafers, die allein noch nicht eingebracht waren. Recht wie ein Windspiel, das ziellos wildert und jagt und manchmal einen heftigen und gierigen Laut von sich blafft ...

Die Hanka stand da, aufrecht und die Hand vor den Augen, die zornig und finster in dies Wirbeln sahen, das sie mit geheimnisvoller Macht in seine Kreise zog. Sie hatte doch zu Bett wollen. Und ganz gegen ihren Willen begann sie zu gehen – nicht aber der Mühle zu. Sie stemmte sich dagegen, ein grollendes Rot im Antlitz. Aber es trieb sie vor sich her einem Ziel entgegen, und sie war wehrlos dagegen, wie ein Blatt, das der Sturm jagt ...

Ja – die Fenster im Schloß! fiel ihr ein. Die hatte man sicher wieder nicht festgemacht, wie sich's gehören würde bei einem solchen Wetter. Denn die Beschließerin war alt und fast taub. Die hörte sicherlich nichts, und wenn die Welt in Fransen ging. Die Mägde aber, die hatten vor der guten Person keinen Respekt, waren durch die Bank nachlässig, und wenn sie erst einmal in den Federn lagen oder sie steckten mit den Knechten zusammen, so konnte von ihnen aus geschehen, was da wollte. Der Schaden, den das wieder einmal gab für die Herrschaft! Wie das nur an den Bäumen riß und wie sie sich ängstigten, sich zusammenkauerten, stöhnten und wimmerten, als täte man ihnen furchtbar weh! Und der junge Herr – wie sollte der schlafen in einem solchen Lärm und wenn es um ihn klappte, wie wenn Buben unordentlich und zum Spaß mit Dreschflegeln auf die leere Tenne herumdreschen?

Ja – die bekamen aber wenigstens zur Strafe voneinander manchmal gehörig eins vor die dicken Köpfe. Diese mannstollen Weibsbilder aber konnten treiben und versäumen, was sie mochten, und ihnen geschah niemals nichts. Da – dieses Klirren! So – jetzt war das Unglück fertig und der Schaden geschehen, und der Glaser und der Verwalter konnten mitsammen wieder einmal die Herrenleute betrügen, daß es sich schon auszahlte.

So etwas Sonderbares war diese Nacht. Wie verhext war sie doch! Da tauchten Lichter auf und schienen, und sie verschwanden wieder, wie ausgeblasen. Woher konnten sie kommen? Und das Schloß lag wie drohend da und schwieg, und in allen seinen Fenstern leuchtete nichts. Was ihr nur alles einfiel, was sie doch nur durchdachte, ohne eines klar zu fassen, auf diesem kurzen Wege, den sie so oft und eigentlich ohne Gedanken durchschritten hatte, als wie froh sie sein würde, hätte sie den Tag hinter sich und könne wieder heim zu ihrer Mühle!

Das Schloßtor stand offen. Auch das war doch wie verwünscht. Aber recht war's ihr. Sie huschte in den dunkeln Flur, dann den langen Gang durch, an dessen Ende die eine, matte Lampe brannte, über den Hof. Vor dem Marienbildnis war Licht. Es war Samstag – Frauentag, an dem man die Mutter Gottes mit einem ewigen Licht ehrt.

In den Gängen, durch die sie huschte, atmete die Schwüle vieler versunkener Sonnen. Das ganze Schloß war durchgeglüht. Das strömte nun von allenthalben auf sie ein und betäubte sie beinahe, die aus dem frischen Wehen dieser Nacht kam. Der Sturm hatte sich ihr auf die Brust geschlagen. Sie mußte sich rasten. Und nun ja – ja was wollte sie hier eigentlich? Was hatte sie ungerufen und zu schlafender Zeit eigentlich hier zu suchen?

Was aber würde man sagen, sähe man sie so? Sagen? So was traute sich doch niemand, und sie hatte das Recht, hierzusein, wie nur eine, vielleicht die Pflicht, bei solchem Wetter nach ihrem Pflegling zu sehen, um den sich sonst gewiß keine Katze kümmerte. Es sollte sich nur einer trauen! Dem wollte sie's schon zeigen! Und sie fühlte, wie sich in ihr ihr gesunder und kräftiger Zorn hob.

Aber denken würde man sich allerhand. Mochten sie! Unter ihnen war sie lange noch die Beste. Und überhaupt – das war nur ihre Übereilung, und daß sie immer nur tat, was sie wollte. War sie im Schloß geblieben, wie man ihr zugeredet, dann hätte sie nicht not, um wen zu fragen und sein Gesicht. Nimmt man schon so eine Stellung an, so muß man sich nicht was extra ausbedingen wollen. Und sie mußt immer anders sein und es anders machen, wie sonst jemand auf der Welt sich's einrichtete, und sie haderte heftig mit sich selbst.

Dabei ging sie aber immer vorwärts, ohne Besinnen und ohne sich selber einzubekennen, wohin. Und erst auf den wenigen Stufen, die zu der Stube des jungen Herrn emporführten, wußte sie, was sie hierhergejagt; sie wollte doch nie mehr kommen. Aber: Behüt Gott sagen mußte sie ihm, und das war besser, man tat das gleich heute, statt wieder eine lange Nacht, in der man anderen Sinnes werden konnte, darüber verstreichen zu lassen ...

›Wenn er nur was brauchen tat und läuten möcht‹, dachte sie sich. Denn mit jedem Atemzug wurde sie verzagter, erschien sich töricht und schämte sich, ohne zu wissen, warum oder vor wem. Aber sie konnte auch ungerufen nachsehen, wie es ihm ging und ob er nichts nötig hätte. Oder nicht? Nur, daß sie so komisch unsicher war. ›Also‹, dachte sie sich, ›klingelt er, so soll ich. Wenn nicht, so dreh ich mich nach Haus.‹ Und fing zu zählen an, langsam, während ihr Herz viel schneller mitschlug. Und dann fiel ihr ein, daß sie sich keine Zahl als Ziel gesetzt. Also: sie wollte anklopfen. Schlief er schon – ging sie. Denn die ganze Nacht da im Winkel stehen, wie ein Schulmädel, das was angestellt hat, das tat die Hanka nicht.

Sie pochte an. Ganz schwach. Und dennoch erschrak sie. So laut klang das, daß sie meinte, das ganze Schloß müsse aufwachen und zusammenlaufen.

»Herein!« wie aus weiter Ferne, müde, gedämpft ...

Sie atmete tief auf und öffnete die Tür. Eine einzige Kerze, viel zu matt für den großen Raum, glomm über ihn hin, der mit geschlossenen Augen auf seinem Bette lag. Die festen Schritte des Mädchens klangen, hallten nach an der hohen Wölbung. Er erkannte sie daran, richtete sich, ein freudiges Licht in seinen Augen, auf: »Du bist es, Hanka?«

»Ja – ich bin's junger gnädiger Herr.«

»Wie wenn man dich bestellt hätte! Mir ist grad jetzt bang um dich gewesen.«

»So?«

»Ja, es geht so ein Sturm. Und ich kann nicht schlafen ...«

»Ja: Ein Sturm geht.« Und sie blickte feindselig nach ihm.

Ein kurzes Schweigen. Dann: »Und der junge Herr braucht nichts?«

»Nein. Brauchen tu ich nichts. Nur der Fensterflügel da nebenan macht einen solchen Spektakel. Möchtest du ihn nicht festmachen?«

»Ja.« Und ganz aufgeräumt kam sie wieder. »Nämlich, das hatt ich mir gedacht. Und darum bin ich gekommen.«

»So? Das ist brav von dir«, lobte er.

»Ja – und weil ich morgen fortgeh ...«

»Wohin denn? Und wann kommst du wieder?«

»Gar nicht mehr. Aus dem Dienst geh ich ...«

»Aus dem Dienst?« Er fuhr auf in einem Schrecken.

»Ja. Also hab ich mir gedacht, ich will dem jungen Herrn noch adieu sagen.«

»Und warum gehst du fort, Hanka?«

Keine Antwort. Nur mit finsteren Brauen blieb sie an ihrer Stelle.

»Und warum gehst du fort, Hanka?« Wie schmeichlerisch das nur klang.

»Magst du mich immer noch nicht? Ist es dir ganz gleich, wie es mir geht?«

»Könnt ich nicht sagen. Geht keinem nix an.«

»Oder hat dir wer was getan?«

»Mir getan hat niemand nix.«

»Also« – noch inständiger –, »warum gehst du fort, Hanka?«

»Weil ich will«, kam es schroff und fast gehässig zurück.

»Ja – aber warum willst du nicht mehr?«

»Mir paßt es nicht. Feldwerk bin ich gewöhnt und keine Tagediebin, wie sie alle hier sind.«

»Ja – dann kann ich dich nicht halten. So behüt dich Gott, Hanka.«

»Junger Herr – behüt Gott«, und sie wendete sich.

»Hanka!«

»Was noch?« Das klang wie ein Schrei niedergezwungener Aufregung.

»Die Hand könntest du mir geben zum Abschied.«

Ein Achselzucken: »Wenn dem jungen Herrn daran liegt«, und widerwillig, mit zusammengepreßten Lippen, um die ein Zucken ging, und niedergeschlagenen Augen bot sie ihm die Rechte.

Es war um sie sehr stille geworden. Der Sturm verschnaufte, der vordem ungestüm trotz der dicken Mauern einen schrillen Laut in ihre Reden hineingerufen. Zwischen ihnen beiden züngelte dies eine, arme Kerzenlicht. Er hielt, nachdenklich und jenes sonderbare Herrenlächeln um den Mund, das sie an ihm liebte und fürchtete, ihre Hand, streichelte sie, spielte damit, und ihr war dabei recht zum Weinen. Durch die Stille drang ein kreischender Ton. Ihr ward zum Umsinken. Sie erschrak. Ihr Herzschlag setzte aus; das große Schloßtor ward zugetan. So ganz aus der Zeit ist sie gewesen, daß sie's viel später gemeint, als es in der Stunde war. Und nun war sie abgeschieden von aller Welt und eingeschlossen mit ihm. Sie durfte ihn nicht ansehen. Denn sonst wüßt er alles, was in ihr war. Und das durfte nicht sein.

»Hanka!«

»Was, junger Herr?«, und ein trauriges Lächeln, da sie ihn nun, zum erstenmal, ansah.

»Bleib bei mir, Hanka!«

Sie schüttelte abwehrend den Kopf. Draußen aber grellte der Sturm auf. Er rasselte über das Dach. Er winselte wie ein kranker Hund. Er zerrte, wie gewalttätig ein Obdach heischend, mit Macht an allen Läden. Und der junge Branicky ward blaß und sah sie flehend an: »Bleib bei mir, Hanka! Ich fürcht mich so.«

Sie fühlte seine Arme um sich. Was die doch für eine Gewalt hatten. Wie schwer sie nur waren und sie niederzogen. Und ihre Knie gehorchten nicht, und sie konnte sich nur mit Not und allem Willen aufrecht erhalten. Und was für ein Licht in der Stube war. So eine große, große Helle, der sie zutaumelte, um verschlungen zu sein von ihr ...

Fortab blieb die Hanka Dwořák im Schlosse. Da sie aber am sehr hellen Sonntagsmorgen zur Kirche ging noch lagen allenthalben ihr im Weg Reiser und Zweige der Sturmnacht –, da machte sie der Mutter Gottes ein recht verschmitztes Gesicht ...

»Ihr Glück hat sie gemacht, die Hanka«, begann am Weiher eine der Mägde, zu denen sich das Mädchen nun nicht mehr gesellte. »Ja, ein Glück! Nicht rühren möcht ich daran«, rief eine andere dazwischen. Die Burschen aber stießen sich an, pafften stärker und grinsten breitmächtig: »Was die nun großartig ist, wenn man sie hört!«

»Wird aber nicht dauern, das Glück«, meinte wieder eine melancholisch. »Schad't nix, ihr Glück hat sie gemacht, die Hanka. Eine Durchtriebene war sie immer. Er hat viel Geld, und so krank ist er und ihr dankbar. Und so ein nobler Herr war er immer, und er wird sie nicht vergessen, wenn er einmal fortgeht.«

»Vielleicht heiratet er sie gar. Man hat derlei schon erlebt«, piepte dazwischen eine ganz Junge, den Kopf noch voll romantischer Vorstellungen.

Gekicher. Dann, als ein unternehmender Jüngling, so ein rechter Spaßvogel, gar den Pfarrer und seinen grundtiefen Baß nachahmend, die ehrsame Jungfrau Hanka Dwořák und den hochgeborenen Herrn Friedrich Branicky auf Wranow verkündigte, ein helles Gelächter. Die Naive aber schämte sich ihrer Dummheit sehr, so daß sie einen heißen Kopf bekam.

»Ihr Glück hat sie gemacht, die Hanka«, klang es vielstimmig durch das ganze Dorf. Auch um Herrn Dwořák, wenn der als ein gesetzter Familienvater sich gelegentlich wieder einmal im Wirtshaus zeigte und nachdenklich als ein Denker hinter seinem Glase Bier saß, das er sich nun öfter vergönnte. Freilich – man sprach ihm nicht davon. Wozu ihm die Freude einer Komödie der sittlichen Entrüstung verschaffen, ohne die es bei ihm nun einmal nicht ging? Denn er war ein muckischer und hinterhältiger Geselle, der es mit keinem anderen und vielleicht mit sich selber nicht so recht gut meinte. Aber die Worte klangen ihm aus jedem Gruß entgegen. Er war noch mehr als vordem eine Respektsperson unter diesen armen Kleinhäuslern. Du lieber Gott! – er mochte tun, wie er wollte, er stand nun doch in der allerunmittelbarsten Beziehung zur Herrschaft und konnte nützen oder schaden. Und wenn der alte Dwořák einem was heimzuzahlen hatte oder er konnte einem lieben Nächsten nur und, fest und hinterrücks eines aufsalzen, so tat es der schlechte Duckmäuser gewiß!

Es war aber dem Müller gar nicht danach. Im Gegenteil: ihm war sehr jammervoll und so zumut, als hätte ihn der liebe Gott ganz verlassen.

Ja, man hatte eben nie einen rechten Dank von den Kindern. Gut, die Hanka hatte ihr Glück gemacht. Aber wem dankte sie's? Wem? Doch nur ihm. Denn hätte er sie nicht im teuern Kloster was lernen lassen, sie nicht von Jugend auf tüchtig zur Arbeit angehalten, so wäre sie doch nie zu so was gekommen. Oder wie denn?

Und anfangs, wie die Geschichte ruchbar ward, da hatte er sich im Kämmerlein die Hände gerieben und seinen Hut schief gerückt, wie einer, der sich die Welt kaufen will. Der Hut kam wieder, wohin es sich gehörte. Vor der Hanka aber hatte er ein finsteres Gesicht gemacht und ihr Moral gepredigt. Natürlich – er wußte doch, was sich schickt und was ein Vater zu tun hat in einem solchen Fall, wenn er schon seit seinen besten Jahren ein betrübter Witwer ist und nur nicht geheiratet hat, damit sein einziges Kind keine Stiefmutter kriegt. Geopfert hat er sich für sie. Und nun?

Nicht einmal ihren Lohn gab sie ihm. Kein Mensch ahnte, wo sie das viele schöne Geld hintat. Und ermahnte er sie zum Guten, so lachte sie ihm ins Gesicht, die alberne Person, die niemals einen ordentlichen Respekt vor ihm oder dem vierten Gebot gehabt. Und er hätte so viele Wünsche auf dem Herzen gehabt! Da war eine Wiese. Mitten durch seine Felder schnitt sie ihm, und der Verwalter, dieser Räuber, wollte sie ihm nicht verkaufen, so daß man sich auf seinem eigenen Grund nicht einmal ordentlich rühren konnte. Rein aus Bosheit tat er so. Weil er einen drangsalieren mußte, sonst schmeckte ihm sein Bier nickt. Daß er daran ersticken würde! Und der Pacht ging zu Ende, und man hätt ihn jetzt so kommod und auf lang hinaus und wie unter Brüdern und Blutsfreunden festlegen können. Und die Hanka wollte kein Wort reden, der schlechte Racker. Nicht um die Wiese, nicht um den Pacht. Und wollte sie nun einmal nicht, so gab's gegen sie niemals ein Mittel. Nicht, wie sie noch Kind war.

Ja, man hatte sein Kreuz auf der Welt! Und man durfte den Leuten nicht einmal zeigen, wie arg heimgesucht man war. Sonst spotteten sie einen noch aus oder hielten ihn für dumm. Es tut aber weh, so in seinen begründetsten Hoffnungen betrogen zu werden. Einen haben, der dort ist, wo es die Dukaten schneit, und er will sich nicht einmal bücken um den lieben Segen! Aber, wenn sie ihn einmal brauchen würde, die Hanka! Sie sollte spüren, was ein gekränkter Vater kann.

Ganz seiner, das heißt eines wahren Weisen würdig, benahm sich in der Sache nur einer. Und das war Hynek Potřemba.

Daß etwas vorging, hatte niemand so zeitig gewußt wie er. Nicht einmal sagen hätt er können, woher er es wußte. Er war aber einmal von Natur hellsichtig und verstand sich Zeichen zu deuten, an denen Dümmere stumpf und blind vorübergingen. Nur, in welcher Richtung sich etwas begab, das war ihm dunkel und schaffte ihm schwere Gedanken, wenn er gesammelten Geistes und überlegend vor seiner Kerze saß.

Nicht als wäre ihm die Tatsache an sich gleichgültig gewesen. Es gibt Dinge, die man tausendmal in seine Rechnung gezogen haben darf, so daß man meint, so ausgesöhnt mit ihnen zu sein, als dürften sie jede Stunde eintreten und sie würden einen aber schon gar nicht mehr berühren – und nun werden sie wirklich, und es ist dennoch ein entschiedenes Mißbehagen, das sie mit sich bringen. Hynek regte sich auf, kränkte sich sogar in seiner verschlossenen Weise. Nun hätte sie ihm Zigarren bringen dürfen – er hätte sie gewißlich nicht geraucht. Der Weise aber überwindet solche Wallungen und läßt sich dadurch nicht beirren, über den verdrießlichen Augenblick hinweg sein eigentlichstes Ziel im Visier zu behalten. Ihm allein geht aber auch alles zum Guten aus; seiner gelassenen Seele entwirrt sich, worin die Narren wie in einem Fischernetz verfangen werden und sich abzappeln.

Angebandelt hatte die Hanka nun einmal. Das war ein fatales Faktum. Aber sie hatte sich durchaus nicht weggeworfen. Im Gegenteil. Und für jeden, mit dem sie im Schloß zu tun bekommen konnte, wäre sie eine gute Partie gewesen. Keiner, ohne Ausnahme, durfte daran denken, sie nur als Geliebte zu nehmen, die man wegtut, wenn man genug davon hat. Jeder machte einen Treffer, wenn er sie bekam. Denn sie war ein schönes Mädel, sie konnte arbeiten, war eine brave Person und reich – reicher, als einer außer dem Hynek so genau wissen konnte.

Sogar vor dem jungen Förster hätte er sich fürchten müssen, er werde ernst machen trotz grünem Rock und Studien. Nur bei einem war jeder Gedanke an eine Ehe so unbedingt ausgeschlossen, als war er ein Priester. Und just mit dem hatte sie sich eingelassen! Wenn das nicht Glück war – so gab es keines!

Und so, während ihm oftmals ganz ungemütlich ward beim Gedanken an den jungen Herrn und die Hanka, in allen Bitternissen einer törichten Eifersucht, die ihn manchmal beschlichen, genoß Hynek das Glück und die einzig süße Befriedigung des klugen Mannes, dem ein würdiges und lange ersehntes Ziel eben durch jene Widerwärtigkeiten greifbarer und näher, ja unentrinnlich wird.

Das war ein Übergangerl, was die Hanka durchmachte. Darüber regt man sich nicht auf – denn nur dadurch kam sie doch dahin, wo man sie wollte.

Wie oft und wie ernst der junge Branicky gerade daran dachte, was dem Mühlknappen so ganz außer aller Möglichkeit zu liegen schien, dies ahnte der Hynek zu seinem Heile und zum Heil seines Seelenfriedens nicht, um den es sonst für gute Zeit geschehen gewesen wäre. Denn das Mädchen war dem jungen Baron sehr wert geworden. Mit jedem Tag, den sie um ihn war, wurde sie ihm teurer. Sie war gut und uneigennützig, und sie sorgte für ihn mit einer immer gleichen Hingebung, die keine Arbeit und keine Stunde verdroß. Sie kommandierte mit ihm freilich herum. Nun, das war nun einmal ihre Art: sie machte ihm Spaß, und vielleicht brauchte er just so etwas, das ihn meisterte und kurzhielt, sollte er jemals genesen und in die Welt.

Man würde ihn freilich enterben. Und mit dem Kämmerer war es aus für seine Nachkommen. Das verschlug ihm nichts. Was man ihm nicht nehmen konnte, was sein vollkommen freies Eigentum vom Großvater her war, das war überreichlich genug für ihn und sie. Und – der Gedanke kitzelte ihn allmächtig, seiner Familie und besonders der alten Durchlaucht mit dieser Schwiegerenkelin eine rechte Freude zu machen. Das gäbe Augen, wie sie noch nie geguckt wurden. Er mußte oftmals hell lachen, wenn er sich die Wirkung bis ins kleinste ausgemalt, die Fürstin mit ihrem »Wieder so ein Streich dieses guten und nicht ganz zurechnungsfähigen Bedřich« sich vorgestellt. Dann sah ihn die Hanka verdutzt und neugierig an.

Davon aber sprach er ihr niemals. Und sie dachte mit keinem Gedanken daran. Das gibt es nicht, seit es eine Herrschaft und Dorfleute gibt. Ihm aber stand nur ein Hindernis im Wege: er war noch nicht großjährig, und sie würden ihn gewiß nicht vor seiner Zeit mündig machen. Und wenn er sich wieder einmal seines Zustandes klar wurde, so betete er um nichts, nur daß er diese Frist erlebe.

Während es aber um sie also munkelte und schwirrte, während man sich in Hrádek, genau durch den Verwalter informiert, über die jüngste Affäre und den sonderbaren Geschmack dieses Schmerzenskindes mokierte, genossen diese beiden, was dennoch Glück war. Und das Gefühl seines nahen und von der Natur selbst gesetzten Endes erhöhte alles, was sie füreinander hatten, ein Taumeltrunk und eine Würze, getan in den allerstärksten Wein.

 

Also verging der Sommer. Er verrann ihnen gesegnet und in rechter Fülle, die jeden Wunsch stillt und keinem Gedanken Raum gönnt, der über die nächste Gegenwart hinausschweifen will.

Bis tief in den September hinein war es schön und warm geblieben. Desto mächtiger und gewaltsamer herbstelte es dann. Ein endloser Regen spann seine grauen Strähnen zwischen dem sehr niedrigen Himmel und der nackten Erde. Er schwemmte das Laub weg, das traurig den Mühlbach hinabtrieb. Er verwusch alle Farben. Die Abende dehnten sich trostlos und so still. Die Schatten, die kaum daraus gewichen waren, krochen wieder durch das Schloß der Branicky und in eine Seele.

Nur die Hanka merkte nichts davon. Sie war eins mit der Natur und ihren steten Wandel gewohnt, der den jungen Baron wie ein neues Erlebnis aufregte. Sie war wieder ruhig und in sich geschlossen. Nur reizbarer und manchmal wie verträumt war sie. Sie hatte anderes zu denken. Ihr Sommertraum ging nun zu Ende. Was lag daran? Seine Ewigkeit hatte sie niemals gehofft, und er war köstlich gewesen.

Dem jungen Branicky aber ging es mit jedem Tag übler. Erscheinungen, die geschwunden waren, meldeten sich mit einer erschreckenden Heftigkeit wieder. Die letzte Rast, die ihm sein Leiden gegönnt, lief ab. Er dachte an Flucht nach dem Süden. Aber die Hanka? Würde die mit ihm? Und konnte er noch ohne dies sonderbare Mädchen sein, das sich so gar nicht um die eigene Zukunft zu kümmern schien, die ihm solche Sorgen und Erwägungen in seine peinvollen Nächte trug?

Sie nahm kein Geschenk von ihm. Nur eine Korallenschnur, deren Kostbarkeit sie nicht ahnte, um den braunen Hals, der so schlank und kräftig den für ihre Gestalt zu kleinen Kopf trug, hatte sie immer. Und einen Ring, das Zeichen ihrer Verbindung, hatt er ihr an jenem Morgen an den Finger gesteckt, der sie verbunden gesehen. Ein Rätsel war sie ihm, in jedem Sinn ein Rätsel. Desto mehr beschäftigte sie ihn. Denn sie war so eigen ernsthaft. Und eine leise Würde war über ihr. Lange konnte sie stumm nachdenken. Aber unglücklich oder nur irgendwie gedrückt schien sie ihm nicht. Denn in ihren dunklen Augen war immer ein goldiges Licht, als hätten sie den Glanz aller Sonnen in sich gesogen, und der quelle nun vor, die sie gemeinsam genossen.

Alles Gerede war verstummt, da man sah, wie frei und unbekümmert darum sie sich zueinander bekannten. Nur der alte Dwořák konnte sich mit seinem Geschick nicht aussöhnen, das ihn zum Darben verurteilte, wo ihm nach allem Recht die Fülle hätte werden müssen. Er hatte die merkwürdigsten Träume. Er stand vor Haufen Goldes, und etwas stak ihm im Leib, und er konnte sich nicht bücken. Warf er sich zur Erde, dann war's unmöglich, sich mit seinem Raube zu erheben. Er verkümmerte ordentlich. Und nur die Schadenfreude, wie das mit der Hanka endigen und wie sie sich danach benehmen würde, hielt ihn noch aufrecht. Denn eine Strafe mußte und sie sollte ihr vergönnt sein. Mochte sie dann nur jammern und spüren, wie das tut, wenn man um all seine Hoffnungen geprellt worden. Sein Kind war sie nicht mehr, der Nickel!

Ein grauer Morgen war aufgekrochen. Mühselig, wie nach einer durchwachten und verdrießlichen Nacht, langsam, als sei er gar nicht neugierig, zu sehen, was sich auf dieser garstigen und lehmfarbenen Erde begeben. Es war eine frostige Luft.

»Hanka!«

»Was will der junge Herr?«

»Hanka – komm zu mir. Näher, ganz nah. Ich hab keinen Atem mehr und möcht dir was sagen, was kein Mensch hören soll.«

Sie setzte sich auf sein Bett. »Hat's gar so Eile, junger Herr?«

»Es hat. Hanka – es geht zum End.«

Sie verfärbte sich, so bestimmt sie gewußt hatte, das müßte kommen und bald kommen. Aber sie faßte sich: »Und wann wird der junge Herr reisen?«

»Reisen werd ich nicht mehr, Hanka ...«

»Da red't der junge Herr wieder wie ein rechter Narr. Ich werde noch heute seinen Koffer packen. Da hier ist jetzt kein Leben für den jungen Herrn.«

»Du bist ein braves Mädel, Hanka, und ich habe dich sehr lieb.«

»Hab ich schon einmal gehört. Weiß ich schon. Hätt's erwarten können, bis ich mit dem Aufräumen wäre fertig gewesen.«

Er fingerte an ihrer Hand. »Mir ist's nicht ums Dummheiten machen ...«

»Es scheint doch«, lachte sie, um ja nicht merken zu lassen, wie beklemmt sie sei.

»Hanka – es geht mit mir zum End.«

»Hat mir der junge Herr schon einmal erzählt. Davon will ich nichts wissen. Das tu ich nun einmal nicht glauben.«

»Wirst's schon glauben müssen. Seit heute nacht weiß ich's. Ich gehe nicht mehr fort von hier. Auf meinen Füßen sicher nicht.«

»Der junge Herr soll nicht so reden«, schrie sie auf. »Ich leid's nicht.«

Er sprach unendlich leise. Und über seiner Stimme lag's wie ein Flor: »Arme Hanka. Dir wird's leid tun um mich ...«

»Barmherziger Jesus. Leid, sehr leid.«

»Und ich möcht gern was für dich tun, Hanka.«

Ein ernsthaftes Kopfschütteln. »Ich nehm nichts. Nichts, was man für einen Groschen zu kaufen kriegt.«

»Hanka!«

»Nix. Ich hab's gesagt. Und was die Hanka Dwořák sagt, gilt in Ewigkeit.«

Ich möcht dir aber gerne etwas lassen für alle deine Liebe und Gutheit ...«

Ein eigentümliches Lächeln. Etwas verschämt und dennoch freudig von innen heraus: »Darüber muß sich der junge Herr nur keine Gedanken machen ...«

»Wenn ich es aber dennoch tue.«

»Er soll es nicht, es ist nicht nötig, daß er sich das Herz noch schwerer macht, als es ihm schon ist. Ich werde etwas haben, was mich immer erinnert auf ihn ...«

»Hanka!« Er richtete sich halb auf, stützte sich auf den Ellenbogen, sah ihr angespannt in die Augen. Mit einer Verzweiflung. Sie nickte ernsthaft mit dem Kopfe und erwiderte seinen Blick. Er aber schrie auf: »Das wäre aber schrecklich, Hanka!«

»Ja, warum wär es schrecklich? Wen geht's was an, wenn nicht mich?«

Er vergrub sein Gesicht in den Kissen und stöhnte. Sie ließ ihn ein Weilchen verwundert gewähren. Dann, mit einer unendlich mütterlichen Gebärde, neigte sie sich zu ihm und hob ihn, der sich in seiner Aufregung sperrte und bitterlich, wie ein krankes Kind, weinte, mit ach so leichter Mühe zu sich empor: »Der junge Herr muß sich nicht so kränken um mich. Gleich wird ihm schlechter sein ...«

»Ich tu's nicht um dich.«

»Ja, warum denn?«

»Um das Kind.« Das war ein röchelnder Aufschrei.

Sie verstand ihn nicht. »Soll er nicht. Daß es nicht nach dem jungen Herrn heißen wird, hab ich doch eh gewußt. Ich hab den jungen Herrn liebgehabt. Ich will's auch schon liebhaben.«

Er war ganz fassungslos: »Aber ich bin krank, Hanka.«

»Nun?«

»Du begreifst immer noch nicht?«

»Nein. Ich bin ein dummes Mädel. So soll mir's der junge Herr erklären.«

»Und ich habe es mit der Lunge, und also wird es das Kind auch damit haben und wird ohne ehrlichen Namen und siech sein.«

»Woher weiß der junge Herr das alles? Glaub ich nicht.«

»Es ist aber so.«

»Glaub ich nicht.« Sie legte seinen Arm um ihren Hals, und eindringlich sprach sie: »Glaub ich nicht. Ich weiß auch, da war der Schullehrer, der hat's damit gehabt. Und was sie von Kindern gehabt haben, das ist gestorben noch vor ihnen. Aber sie hat doch auch ausgesehen, als käm nur ein schlechtes Wasser und kein Blut, wenn man stechen möcht in sie. Und gehungert haben sie mehr als genug, und keines hat eine ordentliche Pflege gehabt. Wird bei mir anders sein. Glaub ich nicht.« Und sie streichelte ihm die mageren Wangen. »Junger Herr, mein Bedřich, kränk dir nicht das arme Seelchen.« Und das Du, das sie niemals trotz seines Wunsches über die Lippen gebracht, es floß ihr nun vom Munde.

»Da kannst du nichts ändern, Hanka.«

Sie ließ ihn sehr sacht niedergleiten. Dann richtete sie sich auf. In ihrer prächtigen Kraft, in ihrer ganzen schönen Gesundheit stand sie, ihrer selbst bewußt, vor ihm: »Ein dummes Mädel bin ich, junger Herr. Aber eines weiß ich, weil ich's gesehen habe mit meinen eigenen Augen und nicht einmal, sondern vielmals, und in jedem Frühjahr: nachdem der Boden ist, danach wächst es auf ihm. Ist der junge Herr krank, so bin ich desto gesünder, und ich glaube, mein Kind ist es am Ende doch auch.«

»Wie stark du nur bist, Hanka.«

Sie lächelte: »Eines muß es wohl sein. Und ich sag dir, Bedřich, es wird leben, und ich werde darauf schon achtgeben, daß es mir gesund bleibt und stark wird ...«

»Und was willst du damit?«

»Bedřich soll er heißen. Und ein ordentlicher Mensch soll er werden, daß jeder seine Freude mit ihm hat. Und kommt er zu seinen Jahren, so will ich ihm sagen: der und das war dein Vater, und er hat von dir fort müssen, ehe du noch gelebt hast ...«

»Und meinst du nicht, er wird schlecht von dir denken?«

»Möcht ich ihm zeigen, dem Lumpen!«

»Hanka!« Er richtete sich mit großer Mühe auf. Sie legte sein Haupt an ihre junge Brust. Dann: »Nun ist's genug, Bedřich. Der junge Herr muß schlafen.«

 

Es war um den Notar in die Stadt geschickt worden. Er kam und hatte eine lange Konferenz mit Friedrich Branicky, in der sein juristisches Wissen vor dem entschiedenen Willen des Kranken unterlag.

Dann jagte ein reitender Bote durch die kahlen Wälder mit einer Depesche nach Wien.

Dann standen sie im Schloßhof in ängstlichen Gruppen. Der Tod war im Vorhaus. Ein Blutsturz war zur Nacht über den jungen Herrn gekommen und keine Rettung mehr. Und die Dörfler harrten vor der Türe, bis der Herr Dechant, trotz des mürrischen Wetters er selber, mit dem klingelnden Ministranten vor sich und dem heiligsten Gut in der Hand vorüberschritt, knieten nieder und taten ein frommes Gebetlein.

So geschah's auch vor der Mühle. Da zwinkerte Hynek dem grauen Himmel entgegen, die Müllerbürschen um ihn. Und einer meinte, als der traurige Zug vorüber war: »Nun wird unsere Hanka wohl sehr weinen.«

»Wird sie? Kann schon sein. Er war ein sehr guter Herr zu ihr gewesen«, antwortete der Hynek.

»So sehr weinen wird sie. Erbarmen wird es einen.«

»Weil sie ein christliches Gefühl in sich hat und sie das junge Blut erbarmt, das sie so lange gepflegt hat.«

»Wie eine Witwe tun wird sie. Ganz wie eine Witwe, nur nicht in Schwarz.«

Der Hynek antwortete nichts. Nur sehr scheel sah er den anderen an.

»Und stärker ist sie geworden. Und man meint ...« Was man meine, sagte er nicht. Das lag in dem unverschämten Blinzeln seiner Augen.

Er war auch nicht weitergekommen. Denn nun kam ihm eine Erleuchtung, und es schien dem Hynek der Augenblick zu einer Tat. Mit einem einzigen Streich schlug er den anderen nieder, daß er platt und schmerzlich verdutzt dalag: »Lump, elendiger! Ich werde dir zeigen, mein Kind zu einem Bankert zu machen, noch eh's auf der Welt ist.«

Mit diesem einen Schlag hatte alles Gerede ein Ende. Keiner verlangte sich den andern. Und in allem ihrem Leid dankte es ihm die Hanka, daß er ihr Ruhe geschafft.

Und dann erfüllte sich das Schloß mit düsterem Trauerpomp. Und alles kam, selbst des Herrn Dechanten Rede kam bis aufs Wort, wie der verlorene Mann sie in seinen Visionen vernommen. Auch die Nachrede. Nur das junge Weib hatte er nicht geahnt, das im dunkelsten Winkel der Kirche kniete und mit Gewalt an sich hielt, um nicht seinen ganzen Schmerz zu zeigen, das nicht zu bewegen war, im Leichenzuge mitzugehen, obzwar es der Pflegerin des Toten gebührt hätte. Sie wollte sich nicht hämisch und feindselig von seiner Sippe begaffen lassen. So galten ihm ehrliche Tränen.

Ihr Vater hat sich mit ihr ausgesöhnt. Denn man berief ihn aufs Schloß, verlängerte ihm den Pacht und gab ihm eine ansehnliche Summe als Legat für die treue Pflege des jungen Barons und, meinte der Verwalter, bei dem es ohne etwas Heimtücke nicht abging, zugleich als eine Abfindung und einen Erziehungsbeitrag. Davon aber erfuhr die Hanka nichts. Es gibt Dinge, von denen Kinder nichts zu wissen brauchen.

Auf der Mühle haust nunmehr seit Jahren das Geschlecht der Potřemba.

Es sind gewalttätige Buben. Käme ihnen der Teufel selbst in die Quere, so hat er von Glück zu reden, wenn er ungezaust und nur mit einem blauen Auge entrinnt. Der wildeste und begabteste war von Anbeginn der älteste.

Der Müller sitzt so recht warm im Glück. Denn ihm gedeiht alles zum Segen. Und er darf sich was zugute tun auf sein Glück und seinen Reichtum. Nicht ohne Kampf, vielmehr als Lohn seiner weisen Lebensführung sind sie ihm doch geworden. Die Hanka herrscht im Hause mit dem Recht des Selbstverständlichen.

Einmal, nach zehn Jahren, kam die Herrschaft wieder einmal nach Groß-Wranowitz. Ein brauner Junge stand gerade über einem Knaben und hämmerte nachdrücklich mit Gewissenhaftigkeit auf ihn los. Die Baronin faßt' ihn ins Auge und stieß die alte Durchlaucht, die steinern zu ihrer Rechten saß, an: »Erinnert er dich nicht an wen? Nur stärker ist er, als der jemals war.« Die Fürstin hob ihr Lorgnon, das sie noch hochmütiger erscheinen ließ. Dann: »Kann sein, man hätte doch nicht herkommen sollen. Das sind fatale Reminiszenzen. Aber – wenn der Name aus dem Spiele bleibt, so könnte man um des armen Bedřich willen ein Weiteres für den Buben tun. Wär er nur nicht immer so du mauvais goût (franz.) von schlechtem Geschmack. gewesen!«

Gegenwärtig macht Dr. Bedřich Potřemba, nachdem er die medizinischen Studien an der Universität zu Wien löblich absolviert hat, seine Spitalpraxis. Ein sehr gescheiter und tüchtiger Mensch, nur von einem Jähzorn, der bei seiner ungemeinen Körperkraft nicht unbedenklich ist. Er genoß ein Stipendium der Herrschaft und kann, wenn er nur will, jeden Tag als Gutsarzt angestellt sein. Die Nähe seiner Mutter, an der er mit einer ausschließlichen Leidenschaft hängt, würde ihn allerdings locken, und er hat jene starken Bezüge zur Heimat in sich, denen ein Leben im Wald, auf dem Dorfe, mit den Bauern durchaus wünschenswert erscheint. Seine Lehrer und Freunde meinen aber, es wäre schade, wenn er mit seinen Mitteln, seinem Wissen und seinen Fähigkeiten sich in ein Dorf vergrübe, um da zu versauern. Denn man hat ihn gern, ja, er dominiert durch seine Genußfreudigkeit, durch seine Ehrlichkeit, die so gar nicht slawisch ist. Auch hält ihn die Stadt noch. Und so schwankt er und kann sich nicht entscheiden ...


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