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VII.

Im Herbst verließ Yvette den stillen kleinen Ort, wo sich ihr in einer so kurzen Spanne Zeit die gewaltigsten Veränderungen ihres Lebens zusammengedrängt hatten.

Es war ein seltsames Empfinden, das sie bei der Rückkehr in die Berliner Villa überkam, die jetzt in der Ausstattung ihres früheren, mit Lenore so lange bewohnten Heims ein ganz fremdes und zugleich ein unheimlich vertrautes Aussehen hatte.

Die Erinnerungen jener langen und kostbaren Zeit ihrer Gemeinsamkeit kreuzten sich seltsam und bizarr mit jenen der wenigen Monate, die sie mit dem Geliebten hier in der Intensität einer starken glühenden Leidenschaft durchlebt hatte. So stark war diese letzte, so viel kürzere Zeit von der Spannung und Fülle eines tiefen und glücklichen Liebeslebens bewegt gewesen, daß ihr dünkte, als sei sie in eine Unendlichkeit hinein gewachsen und überrage an Weite und Inhalt alle früher erlebten Zeiten. –

Seltsam fremd und wurzellos fühlte sie sich jetzt plötzlich zu allem umher.

Das Kind. Die neue Freundin. Der Freund – sie alle bauten eine neue Welt um sie auf, zu der sie sich manchmal jäh ganz ohne jede Fühlung empfinden konnte, da soviel lang Gewohntes und Geliebtes so schmerzvoll und schnell von ihr losgerissen worden war.

In solchen Augenblicken des erschreckenden Gefühles einer qualvollen Zusammenhangslosigkeit ihrem so ganz veränderten Leben gegenüber, war es Marias stilles gleichmäßig sanftes und gütevolles Wesen, das ihr oft ganz unvermittelt Gleichgewicht und Ruhe wieder gab. Und es konnte geschehen, daß sie in schnellen Augenblicken, in denen sie allein mit Maria zusammentraf, ihren Kopf an ihre Schulter lehnte und die heißen Tränen ihres unheilbaren Schmerzes weinte.

»Du weißt alles,« sagte sie, »du weißt alles und du kanntest sie.«

Und Maria legte ihre Arme in scheuer Beglückung um die in Schmerz erbebende Gestalt der geliebten Herrin und ihrer beider Tränen mischten sich in dem gleichen Leide und lösten jeden Unterschied zwischen ihnen zu einem wundervollen Moment absoluter Gleichheit, in der sie sich erschüttert und beglückt, der leisen geheimen feinen und zarten Fäden bewußt wurden, die das rein Menschliche der Persönlichkeit blitzschnell zu jener seltsamen Schönheit zu verbinden vermögen, die jenseits alles zufällig Äußerlichem liegt und alle tiefsten Werte bestimmt.

Wie die Folie, die aus dem Spiegel eine Antwort macht, war Marias Gegenwart für Yvette. Ihre Bewegungen, ihre Blicke, ihre Stimme, alles das wurden lauter feste Hintergründe, von der jene Zeit sich abhob, die so plötzlich verstummt und fern, wie nie gewesen, hinter ihr lag und all das Neue ihres gegenwärtigen Erlebens seltsam verbindungslos und gleichsam schemenhaft machte.

Nur wenn sie in ihrem Atelier an der Arbeit war, löste sich ihr diese Verwirrung in ein plötzliches Vergessen und sie fühlte nur sich selbst und eine neue wundervolle Kraft zu großem Gelingen kam über sie. Wie ein sieghaftes Schweben über allen Hemmungen, wie eine unerschütterliche Sicherheit zu ihrer Kunst war es dann in ihr. Die heiße tiefe Vertrautheit mit dem Leben, die sanfte Harmonie der Gefühle, wie sie das selige Wissen um das Glück um sich verbreitet, all dieser ihr kostbarer Reichtum, der durch die letzten schmerzhaften Erlebnisse in ihrem Bewußtsein zurückgedrängt worden war, kehrte hier in ihren Zeiten innerer Sammlung voller und geschlossener, gleichsam zu einem Ganzen geworden, zu ihr zurück und gab ihr die Empfindung einer unendlichen Weite in sich, einer Vollendung und Abrundung ihrer Persönlichkeit, aus der heraus sie sich zu allen neuen Aufgaben der Gegenwart willig und stark hingegeben fühlte, von einer stolzen Dankbarkeit gegen das Leben erfüllt, das sie mit allen Tiefen und Höhen seiner Erkenntnisse gesegnet hatte.

Jenes köstliche Fieber der Arbeitsfreude war wieder in ihr, das den Künstler wie losgelöst von sich selbst, mitten in die Strudel kreisender Schaffenswonne hineinwirft, wo er für die Zeit dieses göttlichen Wahnsinns sich König und Herr über alle Welten fühlt.

Und in den letzten Tiefen ihrer Gedanken lag still und heimlich eine wundervolle Erwartung – das Wiedersehen mit dem Geliebten. Ein kurzes Jahr noch, und er kehrte ihr für eine Zeitlang zurück.

Sie durfte nicht den ganzen Strom der Freude, welcher sie bei solchem Erinnern überstürzen wollte, über sich hingehen lassen; es war, als müsse sie sonst mit dieser herandrängenden Flut zusammensinken in der Ekstase aufglühender Sehnsucht.

Aber wie die, von der Sommersonne aufgelockerte Erde, lag die Freude dieser Erwartung heiß und fruchtbar an den Wurzeln ihrer Kraft.

*

Sie malte eben an einer Studie. Nur um ihre Hand wieder geschmeidig zu machen nach der langen Pause.

Und sie ließ sich dabei von jenem Zustande seelischer Ergriffenheit hinnehmen, der jeder Phase starken künstlerischen Schaffens vorherzugehen pflegt. Ein Zustand, aus Traum und Schauen seltsam gemischt, der alle Grenzen der Realität zu verschieben scheint und den Künstler jenseits der gegebenen Dimensionen eine ganz neue finden läßt, die ihm das Wesen der Dinge gleichsam hellseherisch nahe bringt.

Für den Salon wollte sie im Frühling einige Frauenbildnisse fertig haben. Einige Damen der Aristokratie hatten sich schon bei ihr angesagt.

Sie dachte der Worte, die Graf Palsky ihr an dem Abend im Atelier der Trubetzki gesagt hatte, an jenem Abend, der so bedeutsam für ihr Leben wurde.

Sie lächelte. Denn sie wußte, daß er über ihre neuen Bilder ein anderes Urteil haben würde. Sicher und stark fühlte sie in Geist und Hand jene Beweglichkeit und Spannung, die das Geschaute restlos zu umfassen vermag, wie das geschmeidige Licht die Konturen der Dinge.

Morgen schon erwartete sie eine der Damen zur ersten Sitzung.

Fast ein Jahr war sie ihrer Kunst fern geblieben.

Und ihr war, als kehre sie nach einer langen Wanderung zu sich selbst zurück. Alle Wirklichkeit um sie her wurde Schein und Ferne und ihre innere Welt hatte plötzlich die Greifbarkeit und Nähe einer neuen Wirklichkeit, deren Macht sich zu entziehen, oft eine Unmöglichkeit, immer aber ein Schmerz ist. –

Es klopfte an die Ateliertüre.

Regine trat ein. An der Türe noch neigte sie den Kopf ein wenig, um Yvettes Blick aufzufangen, den diese noch immer, in alter und langer Gewohnheit unwillkürlich bis zu der ungefähren Höhe erhob, in der sie Lenorens Blicken zu begegnen pflegte und immer war es ihr unbewußt wie eine schmerzliche Enttäuschung über das Gesicht gegangen, wenn ihre Augen die lächelnden Lippen Regines trafen. Aber wenn es Regine mit dieser kleinen List der Liebe auch diesen leisen Schatten zu verscheuchen gelang, so wußte sie doch, daß Yvette, wenn so an ihre Arbeit und ihr Denken verloren, vorerst noch gar nicht bewußt zu ihr kam. Sie kannte nun schon diesen abwehrenden Blick, diese unfreie Stimme, die so gerne zu ihr kommen wollten und nicht konnten, da sie sich jenseits von aller Gegenwart gefesselt, nur mühsam zu ihr zurückfand ...

Sie legte den Arm mit zärtlicher Vorsicht um Yvettes Schultern und sagte – »es ist schon spät, solltest du nicht etwas ausruhen, willst du den Tee unten mit mir nehmen oder soll ich ihn dir heraufbringen, Liebste?«

Und mit solchen einfachen Fragen, die sie schnell zur Alltäglichkeit brachten, gelang es ihr am besten, sie sanft zur Erde zurückzuholen.

»Ich komme mit dir,« sagte Yvette, wie aus Träumen erwachend.

Sie gingen, wie meist, durch das Zimmer, in dem die kleine Nora ihr stilles sanftes unbewußtes Leben lebte, von Marias frommen Händen behütet und umsorgt.

Yvette trat leise an das weiße Bett, neigte sich über das zarte blumenhafte Körperchen und berührte den in leichtem Schlummer ein wenig geöffneten Mund behutsam und zärtlich mit ihren warmen Lippen. Als sie dann ins Nebenzimmer gingen, fing die Kleine plötzlich zu weinen an. Sie kehrten in das Zimmer zurück. Regine ging rasch zu dem Kinde hin und nahm es mit unendlicher Zärtlichkeit in die Arme. Da kam auch schon Maria mit der Nahrung herein, die es zu dieser Zeit zu bekommen pflegte. Sie wollte Regine das Kind abnehmen. »Ach ich will es ihr selbst geben,« sagte Regine, »sie ist immer so wundervoll, wenn sie so rosig aus dem Schlafe erwacht, ich kann mich noch nicht trennen von ihr.«

Maria lächelte glückselig und ließ, ihr das Kind, Yvette setzte sich in einen Stuhl im fernsten Winkel des Zimmers und nahm mit Künstleraugen das reizvolle Bild, das diese Frau mit dem Kinde ihr bot, mit tiefem Genießen in sich auf. – Sie saß in lässiger Haltung über das Kind geneigt, die stolzen, etwas strengen Linien ihrer Gestalt schienen von dem leuchtenden Glanze, der aus ihrer bewegten Seele hervorbrach, gleichsam zu einer neuen Schönheit zärtlicher Hingebung umgewandelt.

»Du bist die Mütterlichkeit selbst – Regine. Sie umstrahlt und umleuchtet dich wie mit einem geheimnisvollen Licht. Es ist wundervoll, dich so zu sehen, wie du es so nahe bei dir hältst, will es mich fast bedünken, als sei das Kind vielmehr das deine als das meine. Mir ist, als liebe ich es mit einer fernen und unsicheren Liebe, gleichsam erst nach dem Bilde des Geliebten, das ich immer zwischen dem Kinde und mir fühle und dem alle heißen Erinnerungen immer wieder zuerst zuströmen, wenn ich zu meinem Kinde komme.«

»Ja,« sagte Regine, »alle Sehnsucht meines Blutes blüht und glüht in mir aus, wenn ich dies warme hilflose Körperchen an dem meinen fühle. Mir ist dabei zumute, als sei ich der tiefe heiße Sommer, in den sich die Quellen der Fruchtbarkeit ausschütten.«

Sie erhob sich und trug das Kind, das befriedigt und gesättigt, wieder in seinen sanften Schlummer verfallen war, zu seinem Lager zurück. Ihre Augen hatten einen tiefen Glanz, um ihren Mund war ein Ausdruck unendlicher Güte. Und als seien auch ihre Hände übervoll von sehnsüchtiger Wärme, legte sie dieselben mit zärtlicher Bewegung um Yvette und so in enger Umarmung gingen die beiden in das Nebenzimmer, wo ein knisterndes Feuer im Kamin dieser traulichen Stunde, die sie täglich hier zusammen genossen, eine feine malerische Stimmung gab. Sie liebten es, das Halblicht der Dämmerung nur von diesem Feuer aufhellen zu lassen, solange die Herbsttage noch so zögernd und langsam dem Abend zufielen.

»Wie sehr wünsche ich dir ein eigenes Kind,« sagte Yvette nach einer Weile der Stille zwischen ihnen, »fandest du nie den Mann, von dem du diese Sehnsucht erfüllt wünschtest?«

»Meine Berufspflicht brachte mich fortwährend in Berührung mit dem Manne und meist plötzlich und unvermittelt in die intime Nähe gemeinsamer Arbeit mit ihm. Da kam es manchmal zu einem jähen Begehren in Stimme und Blick, aber es fehlte die Distanz, die zur Entwicklung zur Liebe nötig ist. Es waren meist ganz junge Männer, welche die Erregung ihrer Sinne für Liebe hielten oder jene erfahrenen, welche die Liebe so gut oder so schlecht kannten, daß sie nur noch an die Illusionen des Augenblicks glaubten. Meine Leidenschaft aber war zu tief mit der Sehnsucht zum Kinde verbunden, als daß die Erregung des Augenblickes Gewalt über sie gehabt hätte. Aber auch der Mann, den ich wirklich liebte, hatte nicht den Mut zur Treue, die ein Leben hindurch ausreicht. Ist es nicht seltsam, wie leicht der Mann daraus verzichtet, aus seiner Liebe eine Treue werden zu lassen, an die er sein Leben zu binden vermag.«

»Vielleicht liegt es daran, daß die Ehe so lange die Menschen aus so vielen minderwertigen Motiven zusammenschloß, so daß die seine Erfahrung der Treue in ihr gar nicht gemacht werden konnte und nur die Empfindung einer harten Gebundenheit und zugleich eines ganz losen Nebeneinanders den Begriff der Ehe allmählich völlig verwirrte und ein Freiheitsbedürfnis um jeden Preis in dem Manne entstehen ließ. Es ist, als ob unsere Zeit der Übergänge auch hier durch Verschiebung scheinbar so festgelegter Ordnungen Raum gewinnen will zu neuen Anschauungen und Antrieben den tiefsten Daseinsfragen gegenüber. Denn es sind heute nicht die Schlechtesten, die ihre Freiheit am ehrfürchtigsten zu bewahren bemüht sind. Es sind vielleicht gerade diese Feinfühligen, die zu wissen imstande sind, daß die Ehe ein Spiegel ist, den jeder fernste Gedanke wie der leiseste Hauch des Mundes zu trüben vermag.«

Es läutete draußen. Man hörte Rebers Stimme.

Yvette blickte zu Regine hin.

Ein Ausdruck von Abwehr und Rühle kam plötzlich in ihr Gesicht.

»Auch er,« fragten Yvettes Blicke. »Auch er,« antworteten die ihren und verschleierten sich einen Augenblick wie in schmerzlichem Erinnern.

Maria öffnete die Tür und ließ Reber eintreten.

Er begrüßte die beiden Frauen in seiner lebhaften beweglichen Art. »Ich komme nur für eine kurze Stunde,« sagte er, »ich bringe Ihnen das gewünschte französische Buch aus der Bibliothek Schwester Regine. Wie weit sind Sie mit Ihrer Arbeit?«

»Ich bin zu Ende,« entgegnete diese. »Ich brauche aus diesem Buche nur noch einen prachtvollen zusammenfassenden Satz für den Schluß meines Vortrags.«

Sie blätterte in dem Buche, hier ist er. Hören Sie nur, man brauchte eigentlich fast nichts mehr zu sagen nach ihm.

» La Prostitution, c'est toute une odisuse systèms, resultant de coutumes et de lois inigues, dont la survie au vingtième siècle étonnera sans doutes, un jour, la conscience nationale, lorsque la science aura fait petit à petit son oeuvre éducatrice. – Ist es nicht erstaunlich, daß dies ein Mann jetzt schon zu sagen wagt, da noch vor sehr kurzer Zeit dies Problem nicht nur als ein gänzlich undiskutierbares galt, sondern auch diejenigen, die es anzurühren wagten, als lächerlich und schamlos zugleich dem allgemeinen Spotte verfielen?«

»Seltsam schnell hat sich der Standpunkt der Denkenden zu dieser Frage geändert und eine starke Sicherheit des Urteils über dieses dunkle Gebiet menschlicher Schuld gebildet, es hat wohl kaum eine andere soziale Bewegung einen so eminenten Erfolg in so kurzer Zeit gehabt,« entgegnete Yvette.

»Das ist wiederum ein Sieg, den die Gesellschaft dem Eintreten der Frau in die Arena der Geister verdankt. Man braucht nicht gerade absoluter Feminist zu sein,« sagte Reber, »um bei diesem bedeutsamen und entschiedenen Fortschritt aus diesem traurigsten Gebiete aller menschlichen Unzulänglichkeiten zugeben zu müssen, daß die Kultur des Seelischen ihre stärksten Untriebe aus dem Willen des Weibes erhält. Mit welch ungeheurem Mute haben die Frauen es gewagt, in dieses furchtbare Bereich der Schmach und Schande einzudringen, ihrem Entsetzen Worte zu geben, öffentlich dem zersetzenden Hohne der ganzen Welt stille zu halten, ihre feinste Scham beleidigen und verlachen zu lassen, um des endlichen Sieges willen, den sie sich in dem Augenblick gesichert wußten, welcher ihnen gestattete, ihre Stimme neben der des Mannes laut werden zu lassen. Sie wußten, daß sie das bedeutendste Wort in dieser Sache zu sagen hatten, da nur sie die ganze Tiefe des Leides und der Verderbung erfassen konnten, die einen Teil ihres eigenen Geschlechtes so unsagbar tief erniedrigte, daß die ganze Menschheit und der Begriff der Liebe dadurch entwürdigt wurde.

Ich bewundere Ihre Tapferkeit Schwester Regine, daß Sie, mit Ihrem scheuen und zarten Empfinden diese schwere Aufgabe auf sich nehmen.«

»Willst du den Vortrag wirklich halten?« fragte Yvette und ihre Stimme klang traurig.

»Diesen einen noch, liebe Yvette, ich habe mein Wort gegeben, dann dir zuliebe nie mehr.«

»Wie,« sagte Reber überrascht, »Sie sind nicht damit einverstanden?«

»Mißverstehen Sie mich nicht. Ich bewundre den Mut der Frauen, ich freue mich des Sieges der Wahrheit, der sich ihnen schon zuzuwenden beginnt. Aber ein anderes ist es, ob eine jede Frau dazu angetan ist, über diese schweren und dunklen Dinge öffentlich zu sprechen. Aus Regines Munde fühle ich dies geradezu als einen Schmerz, ohne daß ich eigentlich sagen könnte weshalb.«

»Vielleicht liegt es daran,« sagte Reber, »daß wir es nur schwer ertragen, diese grauenvollen Abgründe der Leidenschaften von Frauen besprechen zu hören, denen der Glanz und das Licht der Liebeserkenntnis mangelt.«

»Wie recht Sie wieder haben, Dr. Reber. Das ist es wohl, wir glauben zu empfinden, wie doppelt hart gerade sie an allen Häßlichkeiten dieser Abwege leiden müssen, da ihnen das versöhnende Wissen um die Liebe nicht seine Kraft und Ruhe mit auf den Weg gibt.«

Regine erhob sich und trat ans Fenster. Es war ein schmerzlicher Zwiespalt in ihr. Sie empfand die Wahrheit des Gesagten, aber wußte doch auch, daß gerade ihr tiefes ungestilltes Glücksverlangen es war, das sie dazu trieb, den seltsamen und unheilvollen Verwirrungen des Geschlechtslebens nachzuforschen und ihre Hilfe denen anzubieten, die es aus seiner schier hoffnungslos scheinenden Verrohung zur Reinheit und Schönheit zu retten versuchten.«

»Welch bedeutsame Tat hätte nicht die, die sich ihr Hingaben, leiden gemacht?« sagte sie, »und sollte nicht gerade die Sehnsucht nach dem Glücke der Liebe unsere Stimme noch heißer, beredter machen im Kampfe um die Kläglichkeit seiner Reinheit? Doch wenn es dich so quält, mich über diese dunklen Dinge öffentlich sprechen zu wissen, so werde ich andere Wege zur Mithilfe bei dieser schweren undankbaren und doch so dringenden Aufgabe suchen.«

»Du solltest deine Gedanken schriftlich hergeben. Damit würdest du vielleicht noch tiefer wirken. Das gesprochene Wort zerstreut sich und führt uns von uns fort. Aber Bücher sind Stille und Wege zu uns selbst zurück.«

»Ich werde es versuchen,« sagte Regine »denn diese Bewegung ist noch zu sehr im Anfang ihrer Wirkung, als daß nicht jede verstummende Stimme ihr einen Verlust bedeuten sollte.«

»Mich will oft eine trostlose Hoffnungslosigkeit erfassen, wenn ich dieser Sache nachdenke, werden wir je das Rechte finden, diesem Meere von Elend und Traurigkeit entgegenzuwirken?«

»Eine Sache, die noch in Bewegung gebracht werden kann, ist nie hoffnungslos,« sagte Reber. »Nur weil man diese Unsauberkeit so lange abseits vom Denken und Fühlen der Menschen zu Stagnation und Fäule werden ließ, konnte sie in aller Heimlichkeit sich zu etwas so Ungeheurem auswachsen. Und es kommt hier vorerst noch gar nicht so sehr darauf an, auf die Sicherheit einer Gegenwirkung auszugehen, als vielmehr die Aufmerksamkeit und den Willen der Menschheit so laut und so eindringlich als möglich zu der Einsicht zu bewegen, daß, hier etwas geschehen muß. Das Wie und Was wird sich der stark genug gespannten Willensrichtung dann fast von selbst ergeben.«

»Ist es nicht seltsam, wie willig unsere Zeit für das Glück der Kommenden zu arbeiten bereit ist,« sagte Yvette, »es gibt wohl kaum ein Lebensgebiet mehr, dessen Gründe nicht umgepflügt sind, um zu neuen Fruchtbarkeiten für die Zukünftigen zu werden.«

»Ihr ist eben die Idee der Entwicklung so tief ins Bewußtsein gedrungen, wie noch keiner andern und das gibt ihr den starken Glauben an den endlichen Sieg der Gerechtigkeit und Schönheit des Lebens und den Mut, ihm alle Hemmungen und Hindernisse aus dem Wege zu räumen.« – Reber sah auf seine Uhr und sprang aus – »Bei Ihnen vergißt man, daß die Stunde nur sechzig Minuten hat.«

*

Regine stand im Atelier, vertieft in den Anblick der beiden Frauenbildnisse, die vollendet auf den Staffeleien aufgestellt waren und morgen nach Paris abgehen sollten.

Yvette lehnte fernab in einem großen bequemen Stuhle. Sie war in jenem vagen schlaffen Zustande der Ermüdung, die den Künstler nach Vollendung eines Werkes überfällt und ihn plötzlich und fast wohltuend von demselben wegnimmt, so daß er es als ein Fremdes und Ganzes neu zu empfinden vermag.

»Denke deine Gedanken laut,« sagte sie zu Regine. »Ich schiebe gern das Fertige von mir fort und neuen Augen zu und lausche auf die Wirkung, die es hat, dadurch wird es gleichsam wieder mein Eigentum.«

»Ich bin hingerissen von der Vollendung deines Könnens – doch ich weiß, das ist es nicht, was du hören willst. – Diesen Frauen ist ihre Eigenart fast unheimlich abgelauscht. Beide so verschieden. Jede ein Besonderes. Aber beide haben das gemeinsam, daß die Sinnlichkeit im Vordergründe ihres Wesens steht und daß diese Sinnlichkeit etwas Raffiniertes hat, ich möchte sagen, als etwas an sich selbst Gewolltes. Es ist, als sei um die vibrierende Sphäre ihrer allezeit verlangenden Erotik ein weiter, leerer Raum zwischen ihnen und allen übrigen Berührungsmöglichkeiten von Mensch zu Mensch –«

»Ah,« sagte Yvette, »so deutlich habe ich sie gemacht, daß du sie abliest wie Worte.«

»Man fühlt geradezu den Reiz und die Gefahr, die diese Frauenart dem Manne sind und sein wollen, da sie mit ihrem ganzen Willen nur um ihre Körperlichkeit kreisen. Sie kennen nur diese eine Welt und glauben sich so unendlich reich, weil sie die Komplementärwelt des Geistes nicht einmal zu ahnen vermögen.«

»Endlich darf man das Heiligtum betreten,« sagte Reber, hereinkommend. Er reichte den Damen die Hand und wandte sich sofort zu den Bildern.

»Herrgott – wie Sie das gemacht haben – ich möchte einen großen Fluch ausstoßen vor lauter Vergnügen.« Er ging zu Yvette, nahm ihre Hand zärtlich und ehrfurchtsvoll wie immer an seine Lippen – »damit ist Ihr Name für immer aufgenommen in das Wachstum der Kunst,« sagte er bewegt.

Yvette antwortete nichts. Sie sah ihm nur müde, aber mit einem glücklichen Lächeln in die Augen.

Er zog sich einen Stuhl zu den Staffeleien, setzte sich behaglich zurecht, schlug die Beine übereinander, stützte die Arme auf die Lehnen und sah lange gespannt, neugierig und entzückt die Bilder an.

»Plaudern Sie, plaudern Sie,« sagte Yvette, »meine Freunde dürfen nicht stumm bleiben vor meinen Menschen. Ich sehe Ihnen ja an, daß Ihre Gedanken schon zu tanzen anfangen.«

»Ich wollte gerade sprechen, geliebte Ungeduld. Es fallen einem ja ganze Bücher bei diesen Bildern ein. Mit solcher Virtuosität haben Sie das Allerpersönlichste dieser zwei seltsamen Frauen festgenagelt. Es ist der Typ, den man den amüsanten nennen könnte, wenn er sich nicht zu solcher Fürchterlichkeit auszuwachsen fähig wäre. Diese Weibart scheint nur einen einzigen Punkt im Weltall zu sehen und geht wie hypnotisiert an allem vorüber, was nicht in irgend einer Art mit dem Erotischen zusammenhängt. Auch in den Schichten höchster Kultur lassen diese Art Frauen sie sich nur an die Epidermis ihres Wesens streifen, im letzten Grunde sind und bleiben sie nichts als eine unersättliche Geschlechtsbegierde. Ihr ganzer Körper, jede ihrer Bewegungen und Blicke sind Lockungen, Verheißungen, Lüsternheiten und Neugierden.«

»So stark ist diese schwere Schwüle um sie her, daß sogar wir vom eigenen Geschlecht sie empfinden,« sagte Regine.

Yvette hatte die Augen geschlossen. Sie hörte den beiden zu. So stark war die Macht und Mystik des Lebens in ihren Bildern, daß man vergaß, daß es Bilder waren und wie vom wirklichen Leben durch sie bewegt wurde. Und die tiefe Stille der vollkommenen Freude kam über sie.

Die beiden andern aber sprachen sich immer lebhafter in die Gedanken hinein, die von diesen Frauen in ihnen aufgeregt wurden, deren Seelen, von einer starken Kunst festgehalten, sich hergaben und die ihren wie warme, rinnende Wellen berührten.

»Man möchte fast wünschen,« sprach Regine weiter, »daß dieser Macht der Leidenschaft ein Ingredienz beigemischt werden könnte, das ihr nichts von ihrer geheimnisvollen Gewalt nähme, aber sie feinfühliger in ihren Begehrungen machte.«

»Ich bin sicher,« entgegnete Keber, »daß auch hier sehr bald eine Umwertung stattfinden wird. Das Machtgefühl, das dem Weibe aus ihrer Geschlechtswirkung kommt, ist ihm vielleicht zu lange seine einzige starke Bewegung gewesen, es war damit gezwungen, nur immer um sich selbst zu kreisen mit seinem Erleben. – Den Mann rettet davor sein stark gespannter Wille zur Tat mit seinen unbegrenzten Bewegungsmöglichkeiten dem Leben gegenüber. Deshalb ist ihm die Leidenschaft eine Stärke mehr zu seinen Lebenszielen. Sind dem Weibe einmal die Wege zur Betätigung aller seiner Kräfte gangbar gemacht, steht es mit seinem Tun und Können neben dem Manne mitten im drängenden Leben, dann erwacht auch in ihm die Freude an der Vielfachheit seiner Kraft. Es wird dann wissen, daß der Mut zur Tat die Werte der Gefühle nicht verdirbt, sondern nur verfeinert und erhöht. Und die Liebe, diese Insel aller Seligkeiten, die ihm bislang seinen ganzen Horizont verdeckte, wird es dann ebenso wie der Mann mitten im brausenden Ozean des Lebens finden, und wird es dann kaum mehr begreifen, daß man sie ihm einst als einzige Domäne zuweisen wollte und daß es sie als Ende seiner Welt zu sehen gewöhnt wurde. Das Weib wird dann verstehen, daß die Verführung nur durch ihr Körperliches, nicht ihre feinste Kunst, nicht die vornehmste Attitüde dem Manne gegenüber ist.«

»Sie sind ein Seher in große Fernen,« sagte Regine und ihre Stimme war schwer von ihrer Sehnsucht zu diesem Manne, dessen Gedanken den ihren so nahe kamen, daß sie fast eins wurden. »Sie wagen es, dem Weibe die Welt zu geben. Bislang schloß der Mann es am liebsten in seinen Liebesgarten und pflanzte hohe dichte Rosenhecken darum, die wie Mauern waren. So verwahrte es sich seine Ekstasen und Narkosen, die er gegen die Härte des Daseinskampfes manchmal benötigte.«

»Sie wissen ja längst, daß ich der Frau jede Freiheit wünsche, um Herr ihrer tiefsten Begabungen zu werden und dem Manne mehr zu sein, als nur die Bajadere in seinen Haremsstunden. Die Freiheit, die wir ihr geben, wird sie nicht verderben, nur die sie sich erschleichen muß, macht sie klein und listig.«

»O,« sagte Yvette, wie aus Träumen erwachend, »Sie schlagen tausend Tore ein mit Ihrem Glauben an die Zukunft.«

»Jede Zukunft muß erst geglaubt werden, damit sie zur Gegenwart wird. – Ober da Sie nun wieder bei uns sind, Frau Yvette, wollen wir diesen Frauen etwas direkter zu Leibe gehen,« sagte Reber und ging näher zu den Bildern heran.

»Wie fein haben Sie die Differenz zwischen diesen beiden Typen der großen Amoureusen im brutalen Sinne des Wortes, herauszuholen verstanden.

Diese Gräfin de Chaussy – ich kenne sie aus der Gesellschaft – wie prachtvoll ihr angepaßt ist diese halbliegende Pose auf der niedern Ottomane, der einfache Fluß der Linien des losen japanischen Gewandes. Der Kopf schwer auf den Hals geduckt mit dem Blick von unten heraus wie aus fernen Unergründlichkeiten auftauchend. Die etwas harten, knochigen Hände aus das Buch gestützt, das vor ihr auf dem Schemel liegt. Eine unheimliche Mystik strömt dieser tief in sich selbst versenkte Körper aus. Diese Art nimmt die Liebe schwer und schwül, gräbt sich geheimnisvolle Wege zu allen fernsten Quellen des Wissens um ihre Künste und ihre Gedanken gleiten fortwährend auf den Bildern einer ungeheuren Erotik hin. Sie ist unersättlich in ihrem Verlangen und alles, was sie berührt, wird welk und wissend. Dieser Typ wird meist ganz plötzlich alt.«

»Was aber wird dann mit solcher Frau?« fragte Regine.

»O, dann schaffen sie sich irgendwoher einen secondhand Pythiadreifuß an und fangen an, Weisheit von sich zu geben; sie hüllen sich in einen interessanten blauen Dunst und merken gar nicht, daß die Menschen um sie her daran ersticken, meist aber vor heimlichem Lachen.«

»Sie lesen gründlich in der Seele des Weibes, gründlich bis zur Grausamkeit,« sagte Yvette, »aber wo bleibt der Charme, wenn wir sie so zerpflücken?«

»O, liebe Frau Yvette, ein Charme, der sich zerpflücken läßt, ist nie einer gewesen. Frauen, deren Geist gerade so weit reicht, sich eine Pose zu finden und sie dann zu stark unterstreichen, verblüffen eine Zeitlang, machen uns aber nachher, wenn wir den Trick kennen, um so kritischer ihnen gegenüber. Pose ist immer eine gefährliche Sache, es ist Überstilisierung aus Mangel an Persönlichkeit. Ich muß an ein Haus dabei denken, das immer nur Gerüst bleibt. – Aber wer ist diese andere? Diese feingliedrige Sylphe, die so herausfordernd alle ihre Linien in dem raffiniert mitgehendem Reitkleid zu zeigen wagt. Ah und diese verräterische Geste der schmalen nervösen Hand, in der man die Gerte fast zucken sieht, als würde sie dieselbe im nächsten Augenblick mit scharfem Hieb durch die Luft zischen lassen, um all der Not ihrer jungen lüsternen Sinne Laut und Bewegung zu geben. Diese kalten weißblauen Augen mit dem harten Glanze verhaltener Lebensneugier und der scharfe wissende Zug um die schmalen roten Lippen sprechen von einem rohen willen zum Siege um jeden Preis. Diese Art nimmt Liebe mit vollen Händen, gibt aber nichts zurück. Sie hat für die Müdigkeit gewisser Männertypen den Reiz der Peitsche. – Dieser Typ wird nicht alt, weil er nichts hergibt von seinen besten Kräften. Schaum und Blume schlürfend aus vielen Bechern mit der immer jungen lüsternen Neugierde der großen Enttäuschung im ersten Erkennen der Leidenschaft, ist seine Macht fast unbegrenzt, da er nichts für sich zu wollen scheint. – Wer ist sie, diese weiße wilde Taube?«

»Es ist die Baronin Yvers – die Frau des russischen Gesandten.«

Von Rebers Lippen kam ein seltsamer, langgezogener Pfiff. »Sieh, sieh, wie gut ich sie traf.«

»Sie wissen von ihr?«

»Bellermann erzählte mir –«

»Bellermann? – Ist sie wieder bei ihm?«

»Sie wissen?« fragte Reber erstaunt.

»Ich traf sie an jenem Tage der Ausstellung bei ihm im Nebenzimmer und erlebte eine merkwürdig wilde Szene zwischen ihnen. Sie konnte mich in meinem dunkeln Winkel nicht erkennen, sonst wäre sie wohl kaum zu mir gekommen.«

»Sprachen Sie nicht von drei Bildern?«

»Das dritte ist noch nicht gemalt.«

»Sie werden für dasselbe das vollkommene Weib finden. Das mit dem Willen zur Treue. Alles Beste kommt von ihm, denn jedes Kulturresultat ist der Niederschlag irgend einer Treue. Ihr gehört die Zukunft. Unsere von Unruhen und Fragen aller Art aufgewühlte Zeit ist noch nicht reif für sie. Sie beweist es damit, daß, überall, wo von der Treue die Rede ist, ein seltsames Lächeln in aller Augen aufspringt, gar erst, wenn von der Treue des Mannes gesagt wird.«

»Kennen Sie einen solchen?« fragte Regine lächelnd.

»Sehen Sie, so selten ist es, daß man es zu glauben verlernt. Aber doch kenne ich einen. Allerdings nur einen, aus meinem großen Bekanntenkreise – Rolf Konitz.«

»Das begreife ich,« sagte Yvette. »Er hat die wahlsicheren Instinkte einfacher, tiefer Naturen. Das Wesen der Treue ist wohl die Einfachheit. – Wo ist er, was hört man von ihm?«

»Irgendwo im Süden Frankreichs, schreibt Maruscha. Er selbst hat ja keinerlei Fernwirkung, ist er fort, ist's, als ob er niemals da war. – Aber ich habe eine Sitzung heute abend; ich muß gehen.

Ich danke Ihnen für diese große Freude an Ihrem Werk. Besonders auch dafür, daß Sie mir nicht früher gestatteten, diese Bilder zu sehen, was ich Ihnen ja eigentlich etwas krumm nahm in der Wartezeit. Aber es war besser so. Es überfällt einem beim Fertigen eine wundervolle Verblüfftheit und Überraschung, in der man die ganze Breite und Höhe des Könnens des Künstlers wie in einem glücklichen Rausche überschaut.

Die Medaille ist Ihnen sicher.«

»Das wäre nebenbei sehr angenehm – aber ihren tiefsten Lohn haben mir diese Bilder schon gegeben.«

»Die erlösende Gegenspannung gegen Sehnsucht und Erwartung, nicht wahr?« sagte er leise und ein Schatten von Mißmut ging über sein Gesicht.

»Ja,« entgegnete Yvette, »ich weiß nicht, wie ich sonst diese Zeit ertragen hätte.«

»Welch ein seltsamer Mensch,« sagte sie, als er gegangen war, »sprunghaft und beweglich, scheinbar voll Widersprüche und im letzten Grunde von einer tiefen Harmonie, in die alle Unruhe des äußeren Wesens oft plötzlich zurück zu ebben scheint.«

Regine blickte der schlanken Gestalt nach, die in etwas vorn übergebeugter Haltung mit hastigen Schritten durch den Vorgarten eilte.

»Seltsam wechselnd, immer neu und voll Leben, nirgends zu fassen – ja, so ist er. Er blendet, zieht an und stößt ab, solange man ihm nahe ist, und ist er fort, fühlt man eine plötzliche Leere, in der alles wiederkehrt, was er sagte und zu ihm zurückführt. Er muß viel zu geben haben, wo er liebt.«

Ihr Gesicht leuchtete von einer schmerzlichen Schönheit.

Yvette sah in diesen Schmerz. Und es war fast wie eine Scham in ihr, daß sie solchen Reichtum tragen sollte, während diese, die sie liebte, darben mußte.

Und plötzlich hatte sie das starke helle Empfinden, daß die Macht der Liebe endlich die andere Liebe zu sich hinzwingen müsse.

»Weißt du,« sagte sie, die Freundin in ihre Arme nehmend, »es gibt Männer, deren Liebe lange wandern muß, ehe sie endlich weiß, wo ihre Heimat ist. Er gehört wohl zu diesen.«

»O, bis dahin,« sagte Regine mit müdem Lächeln, »werde ich wohl kein Recht auf Liebe mehr haben.«

»Sage das nicht. Wir haben ein Recht auf Liebe, solange wir um sie zu leiden willig sind.«

*

Frühling und Sommer, gleichsam beschwingt durch die Gewalt ihrer drängenden Sehnsucht flogen an Yvette vorüber. Der Inhalt des Erlebens, nicht mehr ganz vom Bewußtsein erfaßt, wurde flüchtig und ohne jene Schwere, die uns die Empfindung des Zeitmaßes gibt.

Immer höher stiegen die Wellen der Erinnerung, je näher der Zeitpunkt des Wiedersehens kam. Zuletzt sah und wußte sie nur noch den Geliebten, fühlte ihn greifbar nahe und ihr Denken wurde ein langes, tosendes und glückvolles Gespräch mit ihm. Alles Gute und Warme, das sie umgab, rückte ferner und ferner und nur er und sie blieben im Mittelpunkte der Welt.

Seine Briefe wurden immer kürzer, heißer und sehnsüchtiger. Eine bebende Ungeduld stand hinter jedem seiner Worte, die desto schwerer an der Trennung trugen, je kleiner der Raum wurde, der zwischen ihnen lag.

Und endlich kam der Tag, wo sie wie im Fieber und Traum und lachender Freude dem Geliebten entgegenreiste.

In Paris sollten sie sich treffen. Dort erst konnte Böhme sich von seinem Chef für eine kurze Zeit trennen, um ihm dann später nach London zu folgen, wo er ihm am ethnographischen Museum als Assistent beigegeben war.

Yvette reiste allein. Maria mit dem Kinde sollte einige Tage später nachkommen. –

Ein ganzer Tag lag noch vor ihr. Alle Schönheit von Paris hatte heute keine Macht über sie. Es schien, als würde sie nie mit diesem Tage fertig werden. Sie hätte die Komtesse Trubetzka oder Rolf Konitz aufsuchen können, aber auch dazu fehlte ihr die Geduld.

Endlich nahm sie einen Wagen und fuhr ins Bois.

Die zarte unsichere Bläue des Septemberhimmels stand still und durchsichtig über der Stadt und machte sie schön wie einen Hellen glücklichen Traum.

Ihr war, als gleite sie auf einem stillen endlosen See, an fernen Stimmen vorüber zu einer roten, flammenden Freude hin, deren Glut sie schon in ihrem Blute fühlte, wenn ihre Augen sie auch noch nicht sahen, denn ihr Blut sah weiter als ihre Augen und war trunken von erwartender Lust.

»Yvette, sind Sie's wirklich,« sagte plötzlich eine Stimme fast dicht neben ihr.

Sie sah erschreckt aus ihrer Versunkenheit auf.

Luba Trubetzka streckte ihr die Hand aus ihrem Wagen herüber.

»Ich steige zu Ihnen, da Sie allein sind – ja?« sagte sie, schon im Aussteigen begriffen. Sie gab dem Kutscher eine Order und setzte sich zu Yvette.

»Duschinka, Liebe, Sie hier und ich weiß nichts davon?«

»Ich bin erst heute früh angekommen und morgen erwarte ich –«

»O,« fiel Luba ihr rasch ins Wort, »Ihr Gesicht ist hell und leuchtend wie eine große Freude – und so freut man sich nur auf seinen Geliebten.«

Die beiden Frauen reichten sich die Hände. Und es blieb eine Weile still und bewegt zwischen ihnen.

»Ich erfuhr schon von Rolf alles Große aus Ihrem Leben. Aber auch ohne das hätte ich gewußt, daß endlich die große Leidenschaft über Sie kam – als ich Ihre Bilder im Salon sah. Sie haben nun den Schlüssel zu den heimlichen Gärten des Weibes gefunden, da das Feuer der Sinne in Ihnen selbst aufgeflammt ist. Sie verstehen nun die Zeichen zu deuten, die dieses zweite Leben der Seele des Weibes einglüht und auch ihrem Körperlichen eine zweite und neue Schönheit gibt. – Sie selbst sind anders schön jetzt, als zuvor. Es ist etwas Leichtes, Befreites und doch eine tiefe Ruhe über Ihnen. Ja, die Liebe ist das Wunder, auf das wir alle warten, und ohne sie ist es dunkel in uns und still wie auf einem Kirchhof.«

»Was ist mit Ihnen, Luba? Ihre Stimme ist so traurig und Sie sind bleich und voll Unruhe in den Augen. Ist etwas mit Schelensky?«

Luba lehnte sich zurück. »Er hat mich verlassen,« sagte sie bitter und etwas Müdes, Welkes kam in ihr Gesicht, »vielleicht kommt er wieder, vielleicht auch nicht. – Nun, dann gibt's andere,« sagte sie und lachte nervös auf.

Yvette ergriff betroffen Lubas Hand. »Man wechselt doch den Geliebten nicht wie ein Paar Handschuhe.«

»Doch, doch. Leidenschaft ist Leidenschaft, ob von dem oder dem.«

»Wie wenig muß Schelensky Ihnen zu geben gehabt haben, wenn er Sie so genügsam machte.«

»Er gab so viel oder so wenig, wie eben ein Mann zu geben hat.«

»Und all das Vergeistigte, seelisch Gewordene der Persönlichkeit, das ihr die besondere Farbe und den Ton gibt, die sie von allen andern absondert und zu der für uns auserwählten macht?«

»Ach, das ist mir zu subtil, damit weiß ich nichts anzufangen, meine Wahl bestimmt nur das – kann ich eine ganze Stunde neben einem Manne sitzen, ohne daß mein Körper sich beleidigt fühlt und ferner, kann er solange neben mir sitzen, ohne mich leidenschaftlich zu begehren und zwar mich selbst, mein Fleisch und Blut, was anderes verstehe ich nicht. Da ist z. B. dieser Rolf Konitz. Der Mensch macht mich verrückt. Der sitzt nun schon seit Wochen täglich bis in die Nacht mit mir zusammen. – Erschrecken Sie doch nicht schon wieder, Liebste, von dem brauchen Sie nichts Untreues zu erwarten. Maruscha ist für einige Wochen ins Böhmerland zur Mutter. Da kommt er nun zu mir. Er sagt, mein Temperament rege ihn an, und meine Kapricen beruhigen ihn. Dumm – nicht wahr? Wie kann ein Mann Abend für Abend neben einem Weibe sitzen und nichts weiter wollen –«

»Aber schätzen Sie Ihren Geist so gering ein – Anregung muß doch nicht immer Aufregung sein.«

»Ach was, das liegt mir nicht. Der Mann, der von mir anderes will als Leidenschaft, ist mir einfach widerlich. Das, was man unfern Geist nennt, sind doch nur die aufsteigenden Dämpfe unseres kochenden Blutes.«

»Sollte nicht die Welt des Geistes sich von der der Leidenschaft trennen können und ihre eigenen Ekstasen und Entzückungen haben? Ich kenne sie so und empfinde es als ganz besonderen Reiz, so zwei Welten zu besitzen und zu genießen.«

»Ach Sie, Liebste – Sie sind von einer andern Rasse. Die meine ist noch nicht so hoch gekommen, daß ihr Geist sich so weit vom Blute trennte, daß er etwas für sich bedeuten kann. Sie sind von höherer Art,« fügte sie laut und spöttisch lachend hinzu. –

Yvette schwieg, darauf hatte sie nichts mehr zu sagen.

»O, da sind wir ja schon an Ihrem Hotel. Leben Sie wohl, Yvette und verzeihen Sie mir mein Lachen – Sie wissen, Spott ist meist nur verkappter Neid,« sagte sie, sich aus dem Wagen zu ihr neigend. »Und,« flüsterte sie ihr ins Ohr, »nehmen Sie heute abend ein Schlafpulver, sonst wird die Nacht eine Ewigkeit. Ich kenne solche letzten Nächte vor dem Wiedersehen.«

Sie winkte mit der Hand zurück und ihre Augen glühten auf in Wissen und Erinnern.

»Wie tut es uns Frauen doch not, uns unserem Geschlechtswillen hingeben zu können, ohne uns an ihn zu verlieren, er ist unser köstlichster Besitz, wenn er aufhört, unser einziger zu sein,« dachte Yvette. –

Im Zimmer des Hotels griff sie mit glücklichem Lächeln nach dem Bilde des Geliebten. Sie blieb lange in seinen Anblick vertieft. Und alles Reiche und Spielende dieses Geistes, das die tiefen und heißen Seligkeiten des Blutes zu dem unausschöpfbaren Glücke werden, ließ, das im leisesten Erinnern alle ihre Pulse fiebern machte, gab ihrer schmerzhaften Sehnsucht die Ruhe der tiefen Dankbarkeit.

Und dann kam die Freude zu ihnen. Die Freude, welche Vollkommenheit ist.

Sie lagen sich in den Armen. Und alle großen und kostbaren Worte zerbrachen an den schweren Rhythmen ihres pochenden Blutes und nur arme, kleine, stammelnde Laute trugen den Rausch ihres Glückes zwischen ihnen hin und her.

Wie die schäumenden Fluten Freigewordener Frühlingsgewässer stürzte Sehnsucht zu Sehnsucht und gab ihrer Liebe eine fast schmerzliche Schönheit. –

Waren es Tage, Stunden oder Jahre, die sie lebten? Gab es noch Menschen außer ihnen? War es der tiefste Traum oder das hellste Wachen? Sie wußten es nicht. Die Zeit stand still und neigte sich in Ehrfurcht vor dem, das größer ist als sie. –

Unendliches gab es zu sagen und zu fragen zwischen ihnen. Dem Leben nachzugehen, das jedes solange fern von dem andern durchlebt und erlitten hatte. –

»Und unser Kind – Geliebte, unser Kind, wann werde ich es sehen?«

»Morgen, Liebster, wird es hier sein.«

»Ich kann es kaum erwarten. Und du willst nicht, um was ich dich in meinen Briefen schon so innig bat? Auch um des Kindes willen nicht?«

»Geliebter, mach mir nicht zu schwer, das nicht zu tun, wozu alles in mir selig bereit wäre. Ober du sollst ganz Herr deiner Jugend bleiben und meine Liebe nie einen Augenblick nur als Fessel fühlen. Solange du Freude von mir nehmen kannst, bin ich dein – dann –«

»Sprich nicht weiter, Geliebte – laß uns nicht in allzu weite Ferne blicken.«

Als er dann am nächsten Tage endlich sein Kind wirklich in seinen Armen hielt, kam ein unsägliches Glück über sein Herz. –

Wer kann sagen, wie es möglich ist, daß in einem Augenblick sich Freude und Schmerz zugleich im Menschenherzen begegnen und wie klirrende Schwerter einander kreuzen. – So trafen sich das seligste Glück und der tiefste Schmerz in Rainers Seele. Aber der Schmerz siegte und es waren heiße Tränen in seinen Augen, als er das kleine lächelnde Geschöpf seine ersten unbeholfenen Schritte machen sah und jene süßen, stammelnden Laute hörte, die nichts sagen und doch alles bedeuten.

Maria nahm leise und zart das Kind aus seinen Armen und ließ die beiden allein. Sie fühlte, daß er des Trostes der Geliebten bedurfte.

»Geliebter,« sagte Yvette, »unser Leid ist ohne Schuld und das macht es so leicht, als ein Leid überhaupt sein kann. Daß das Leben eine so vollkommene Liebe gibt ohne jede Möglichkeit, sie für ein ganzes Leben dauern zu lassen – soll das nicht bedeuten, daß neben solchem vollendeten Glück alles andere zu schweigen hat? – Was wäre es auch mehr zwischen uns, wenn wir ganz gebunden wären? Deine Lebensarbeit führt dich die nächsten Jahre doch immer wieder fort in weite Ferne. Meine Liebe geht mit dir und wartet deiner. So findest du das Kind und mich, solange du uns suchst. Zudem, wer kann mehr als den Augenblick sein eigen nennen. Er ist unser – laß uns ihn in seiner ganzen Fülle genießen, aus ihm kommt uns die Kraft für alles Leid, das noch aus uns wartet.«

Und sie lebten wieder ihre Zeit der Freude.

Und es war, als ob nie eine Trennung gewesen und nie wieder sein würde. So tief lernten sie die feine Weisheit des Herzens, sich an die starke Bewegung der Gegenwart in göttlicher Unbekümmertheit hinzugeben und Fernes und Kommendes der Gnade des Lebens zu überlassen.

Sechs kostbare Monate verlebten sie in London zusammen.

Und als der Abschied kam, war er wieder voll grausamer Pein und Qual, aber es war nicht mehr ganz jener Wahnsinn des Schmerzes wie beim ersten Male. Sie hatten jetzt die unvergeßliche Erfahrung, daß die Ferne auch wiederzugeben vermag, daß die Zeit bringt, indem sie geht. Zudem sollte es diesmal eine viel kürzere Trennung sein. –

Und so kehrte Yvette zurück zu der Wärme ihres Heims. Zu der Sehnsucht ihrer Freunde. Zu dem Glück ihrer Arbeit.

Regine hatte ihr Buch über das soziale Problem, das sie sich zum Inhalt ihrer Lebensarbeit gemacht hatte, vollendet. Keber hatte an verschiedenen Kongressen teilgenommen, die sich mit den brennend gewordenen Fragen der Reformnotwendigkeiten und Möglichkeiten aus den Gebieten des Schulunterrichtes und Erziehung der männlichen Jugend beschäftigten.

So hatten sie wieder eine Fülle von starken lebensbauenden Gedanken auszutauschen. Und zugleich empfanden sie es alle als ein feines zartes Glück, sich in der Wärme und Vertrautheit ihrer Freundschaft wieder neu zusammenzufinden.

»Wie sehr hab ich dich und das Kind vermißt,« sagte Regine. »Wie schön macht das Glück, es ist eine Freude, dich zu sehen.«

»Und hast du in dieser Zeit nicht versucht, den Mann zu erobern, den du liebst,« fragte Yvette.

»Wenn du nicht da bist, ist er nervös und seltsam gereizt, wir stritten oft über Dinge, die wir eigentlich jetzt beide ganz gleich sehen. Er denkt noch an früher, wo ich seiner reiferen Lebensansicht noch so unfrei gegenüber stand und das reizte mich wieder und so war viel Mißverstehen zwischen uns. Zudem liebt er dich und ich werde nie versuchen, ihn zu mir zu verführen.«

»Seltsam, daß man zu stolz ist, um die Liebe zu kämpfen, da wir doch alles und jedes Gute im Leben zu erkämpfen bereit sind. Liebe zerstören, die an zwei gebunden ist, ist wohl das unlauterste Tun, aber Liebe, die Liebe sucht und nicht findet, an die eigene Sehnsucht zu binden, ist eine mutige Tat. Ich glaube, daß gerade die Erziehung, die sich bisher die gute nannte, vergaß, den Willen zum Glück im Weibe ebenso stark zu machen als jeden andern Mut zu den Werten des Lebens. Und irgend einen Mut brauchen wir immer zu der Liebe, die wir geben oder nehmen.«

»O,« sagte Regine lächelnd und umarmte die Freundin, »das Glück macht nicht nur schön, sondern auch weise. Es sollte nicht so schwer sein, glücklich zu werden.«

»Nichts ist zu schwer gewesen, wenn wir es geworden sind. Die Liebe ist eine ganze Welt für sich. Wenn wir sie kennen, wissen wir erst, daß wir nie ganz wir selbst geworden wären, ohne sie. Die Liebe ist Jubel und Klang und Rausch des Lebens. Aber sie ist auch der Frieden der Erkenntnis, ohne die das Sterben schwer und bitter ist.«

*

So lebten die vier Menschen ihre Zeit in jener Harmonie und Fülle, die das Leben immer nur da gibt, wo ein jeder die Arbeit tut, die er aus freier Wahl liebt und sich zugleich mit seiner nächsten Umgebung durch die feinen Beziehungen eines starken Gefühles innig und unlösbar verbunden weiß.

Yvette blieb der strahlende Mittelpunkt dieses kleinen Kreises. Willig und warm strömte ihr die Liebe der andern zu, denen sie, selbst gesättigt von einem tiefen Glücke, wie aus einem unerschöpflichen Reichtum immerfort zu geben hatte.

Und zwischen ihnen wuchs das Kind auf und nahm von ihnen allen die vielerlei Liebe, die für das Wachstum der jungen Seele wie Sonne und warme Erde ist. –

Ihre Arbeit führte jetzt Yvette wieder oft fort in neue Kreise. Oft auch fort vom Hause zu Schlössern und Landsitzen der vornehmen Welt. Überall war sie nicht nur die gefeierte Künstlerin, sondern sie fühlte sich, was sie fast noch tiefer beglückte, als das begehrte Weib, dem die Leidenschaft auf allen wegen begegnete und sie mit ihrem heißen Atem streifte. Sie war blühender und anziehender denn je. Es umgab sie jene Atmosphäre heimlichen Reizes und leiser Lockung, womit das Wissen um das Glück der Liebe das Weib zu umhüllen pflegt. Sie hatte jetzt die feine Witterung der Leidenschaft und fühlte schneller und bestimmter, wo das Begehren des Mannes ihr entgegenkam. Und wenn auch ihre Sinne und Seele, in dem tiefen Frieden ihres vollendeten Glückes ruhend, sich von dem Wogen und Wallen dieser sie umbrandenden Lebenswellen nur wie von ferne traumhaft angerührt fühlten, so blieb doch der natürliche Triumph des gesunden Weibes in ihr, sich im Vollbesitze ihrer Macht zu empfinden. Denn diese Kreuzung Des Geschlechtswillens zwischen Mann und Weib ist die starke Hochflut des Lebens, die den beiden das königliche Bewußtsein ihrer schöpferischen Kraft gibt. Und wem sie stillsteht, dem bedeutet es Alter und Verfall und Beginn des Endes. Und es gilt als Gesetz in dieser endlosen Bewegung des Lebenswillens, daß, je fester und enger einer Persönlichkeit die Grenzen ihrer Entwicklung bleiben, desto schneller der Jungbrunnen der Liebesfähigkeit in ihr versiegt, jener Liebesfähigkeit, der das erotische Moment immer ein Ganzes bedeutet, in dem sich das Sinnlich-Seelische zu untrennbarem Elemente verbindet. Deshalb aber auch geht dieser Wellensturm des Blutes und des Geistes mit den großen künstlerischen Naturen, diesen Starken, ewig Bewegten, fast bis ans Ende ihrer Zeit. –

So fühlte sich Yvette ausgenommen in den Kreis der Wissenden, denen das Leben alle seine Dimensionen aufschließt und die es eine Unendlichkeit von Beziehungen, Fernblicken und Zusammenhängen schauen und erkennen läßt.

Die Horizonte ihres Denkens und Empfindens wurden immer weiter und reicher. Und da auch das Leben des Geliebten immer weiteren Kreisen des Forschens und Erkennens zustrebte, waren die Zeiten ihres Wiedersehens ein selig-tiefes Ruhen ineinander, ein unendliches Genießen der wachsenden Fülle ihres Wesens, das ihnen immer wieder neu Flügel und Sturm gab zu neuem Schaffen und Werden. –

Und mitten in diese Unaufhaltsamkeit ihres Werdens, mitten in alles fröhliche Blühen ihrer Tage kam plötzlich, unvorhergesehen und ohne jede Warnung die jähe Krankheit über Yvette, die sie erbarmungslos überfiel und sie mitten in ihren Siegen stille stehen hieß und alle, die sie liebten, mit der Angst des Todes erfüllten. –

Es war eines jener schleichenden Übel, die von ungefähr einen gesunden Organismus befallen und ihn erbarmungslos ohne auch nur das kürzeste Krankenlager vor die grausame Möglichkeit des Todes stellen. –

Der Arzt ordnete die Verbringung in die Klinik an.

Regine brachte sie dorthin.

Da der Chef der Anstalt sie als Pflegerin kannte, durfte sie bei der Untersuchung zugegen sein. Und mit dem scharfen Blicke der Krankenschwester fing sie in dem Auge des Arztes jenes plötzliche Erstarren des Erschreckens aus, das nur den Bruchteil einer Sekunde andauerte und unter der eisernen Maske der Beherrschung sofort spurlos verschwand. Aber sie hatte es gesehen. Und ihr Herz stand stille in Schmerz und Entsetzen.

Am nächsten Tage sollte die Operation sein.

»Ich werde wohl sterben,« sagte Yvette, als der Arzt gegangen war.

»O sprich nicht so, Liebste. Du bist so voll Kraft und dein Herz ist gesund, du wirst es überstehen.«

»Deine Lippen sind seltsam weiß und deine armen Augen irren umher wie erschreckte Vögel, und sie strafen deine mutigen Worte Lügen, geliebte Regine. Komm laß uns lieber mit wissender Seele die kurze Zeit nützen und uns unserer Liebe freuen.«

Sie umarmten sich lange und innig und es war der tiefe Dank langer glücklicher Zeiten zwischen ihnen.

»Sieh, Geliebte,« sagte Yvette, »das Leben gab mir alles, was es an Fülle und Gnade überhaupt zu geben hat. Und das nimmt dem Sterben seine schwerste Pein.

Ich weiß nicht, wie ich es ertragen würde, nun in solcher Stunde in die Leere eines Lebens zu blicken, das ohne die Erfahrung der Liebe geblieben wäre. Unvollendet, arm und betrogen, unreif um viele Stufen zu weiteren Erkenntnissen, die doch wohl sicher noch weiter auf uns warten, zu denen uns die feierliche Geste des Todes hinführen will – würde ich mich fühlen. Jedenfalls aber voll Unruhe, den Blick zurückgewendet zu rätselvoller Sehnsucht, die unerfüllt geblieben. –

Ich sage dieses insbesondere dir, daß du nicht zu lange deinen schönen Weibesstolz zwischen dir und deine Sehnsucht stellst. Glaube mir, jede Sehnsucht, der wir eine Erfüllung ohne Reue zu geben vermochten, schließt einem Schmerz die Augen, der unserem Sterben die Ruhe nehmen würde. Das Leben ist da, um gelebt zu werden, ganz und tief. Der Tod hat neue Geheimnisse für uns. wie sollen wir aber zu ihnen Lust empfinden, wenn das einfachste und tiefste Geheimnis des Lebens uns unerkannt blieb. –

Mein Erinnern ist wie ein blühender Garten. Und alles Fühlen in mir ist Dank, daß ich geliebt wurde und lieben durfte.«

»Die Liebe ist die feinste Weisheit des Lebens, das hast du mich gelehrt, Geliebte,« sagte Regine.

Es blieb eine lange Stille zwischen ihnen. Aber ihre Seelen redeten heimlich miteinander.

Es klopfte leise an die Türe. Regine erhob sich, um nachzusehen.

»Es ist Dr. Reber, liebe Yvette. Er möchte dich sehen, darf er herein?«

»Aber freilich, sage ihm, ich hätte ihn gerufen, wenn er nicht gekommen wäre.«

Regine öffnete die Türe, ihn einzulassen. Sie versuchte, alle Kraft einer Hoffnung in ihre Blicke zu legen, um den seinen standzuhalten, die voll banger Frage zu ihr kamen. –

Draußen in den stillen weiten Gängen standen die Fenster weit offen und die reine milde Frühlingsluft brachte aus den blühenden Vorgärten den leisen zarten Duft des frischen jungen Baumgrüns; der Rasen stand weich und goldgrün in dem klaren kühlen Licht des späten Nachmittages. Es war, als ob alles umher stillstand und lauschte und wartete auf etwas Fernes, Banges und Trauriges. Es war, als ob die Natur mit ihr, oder sie mit der Natur sich in ein angstvolles Fragen auflöste, auf das keine Antwort kam. –

Nach einer Weile kam Reber wieder zu ihr heraus. Er ging schwer und müde zum nächsten Stuhl und sank wie gebrochen in sich zusammen. Es war ein Jammer, ihn so zu sehen.

Regine ging zu ihm und legte ihre Hand auf die seine,

»Wie wir sie lieben,« sagte sie sanft und leise.

Da nahm er ihre Hand und küßte sie mit zitternden Lippen und seine Tränen fielen heiß auf dieselben. –

Auch Maria kam und das Kind.

Aber dann wollte Yvette allein bleiben. »Ich muß noch zu dem Geliebten sprechen,« sagte sie. »Es ist gut, daß er so fern ist, es wäre das Härteste von allem, ihn leiden zu sehen.«

Zu viel hatte sie ihm zu sagen. Es war spät in der Nacht, als sie den Brief beendete. –

»Leb wohl, Regine,« sagte Yvette, bevor sie zur Narkose ging. »Gräme dich nicht, es steht ja noch die Hoffnung vor der Tür.« – –

Aber zwei Tage später lag sie unter Blumen gebettet mit einem glücklichen Lächeln in dem stillen Gesicht wieder in ihrem Heim.

Alles Licht schien sie mit fortzunehmen. Kalt und leer war alles umher, was eben noch voll Leben stand.

Mitten in die schmerzliche Stille hinein hörte man plötzlich leichte schnelle Schritte die Treppe heraufkommen. Die kleine Nora rief mit fröhlicher Stimme nach der Mutter.

Reber eilte zur Tür und verschloß sie. Dann hörte man Marias sanftes Zureden. Und es war wieder die schmerzliche Einsamkeit zwischen den beiden Menschen.

Die Stimme des Kindes aber hatte ihre stillen Gedanken in Aufruhr gebracht, was sollte mit ihm werden. Regine wußte, daß sie es nicht mehr entbehren konnte. Aber auch der Freund würde es nicht lassen wollen.

Und sie empfanden es plötzlich so stark, wie ganz sie alle hier mit der Toten verwachsen waren, so ganz, daß es unmöglich schien, sich zu lassen, eine Entfremdung zwischen sich aufwachsen zu fühlen.

»Wir werden das Kind lieben und hüten,« sagte Reber.

»Ja, für ihn, den sie so sehr geliebt hat.«

»Und dann?« frug Reber.

»Dann wird jeder wieder seine eignen Wege finden müssen.«

Reber erschrak. Konnte er diese Frau aus seinem Leben gehen lassen. War sie nicht wie ein Teil der andern geworden durch die lange Liebe, die sie ihr gegeben und von ihr genommen hatte, waren sie selbst nicht eng verkettet durch dieselben glücklichen Erinnerungen einer langen Zeit.

Er reichte ihr die Hand. Und er wußte, daß sie ihn auch ohne Worte verstand, als er die ihre warm und fest einen kurzen Augenblick umschlossen hielt.

Und im Schweigen des Todes lauschte Regine auf die ferne warme Stimme des Lebens, des ewig blühenden – das den Willen aller Kreatur zum Glücke ruft.

Und ihre stolze Sehnsucht neigte sich demütig vor der Liebe, die, wenn auch nicht immer Jubel und Rausch – so doch immer der Frieden der Erkenntnis ist.

*


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