Dante
Göttliche Komödie
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Dante

Göttliche Komödie

Übersetzt von Philalethes

Die Hölle

Erster Gesang

Als ich auf halbem Weg stand unsers Lebens,
Fand ich mich einst in einem dunklen Walde,
Weil ich vom rechten Weg verirrt mich hatte;
Gar hart zu sagen ist's, wie er gewesen,
Der wilde Wald, so rauh und dicht verwachsen,
Daß beim Gedanken sich die Furcht erneuet;
So herb, daß herber kaum der Tod mir schiene:
Doch eh' vom Heil, das drin mir ward, ich handle,
Meld' ich erst andres, was ich dort gewahrte.
Wie ich hineinkam, weiß ich nicht zu sagen,
So schlafbefangen war ich zu der Stunde,
Als von dem rechten Weg ich abgewichen.
Doch da ich zu dem Fuß nun eines Hügels
Gekommen war an jenes Tales Ende,
Das mir mit Furcht das Herz durchschauert hatte,
Blickt' ich empor und sah der Berge Schultern
Bekleidet schon mit des Planeten Strahlen,
Der andre allerwegen recht geleitet;
Nun ward die Furcht ein wenig mir gestillet,
Die in des Herzens tiefstem Grund verweilet,
In jener Nacht, durchlebt bei so viel Leiden.
Wie einer, der mit angstgepreßtem Odem,
Dem Meere kaum entronnen, nun vom Strande
Auf die gefahrvoll wilde Flut zurückstarrt;
So wandte sich mein Geist, noch immer fliehend
Zurück, den engen Durchgang zu betrachten,
Den nie ein Wesen lebend noch verlassen.
Nachdem ich ruhend neu gestärkt die Glieder,
Stieg weiter ich empor am wüsten Hange,
So daß der feste Fuß stets war der tiefre.
Doch sieh! fast schon beim Anbeginn des Steigens
Erblickt' ein Pardel ich, gar leicht und flüchtig,
Bedeckt mit einem buntgefleckten Felle;
Es wollte nie vor meinem Antlitz weichen,
Ja, schien den Weg mir also zu versperren,
Daß ich mich öfter schon zur Rückkehr wandte.
Die Stunde war es, da der Morgen anbricht,
Und aufwärts stieg die Sonne mit den Sternen,
Die bei ihr standen, als die ew'ge Liebe
Zuerst Bewegung gab dem schönen Weltall,
So daß ich, guter Hoffnung voll, mich freute
Am Fell des Wildes, lustig buntgesprenkelt,
Am Morgenlicht und an des Lenzes Milde,
Doch so nicht, daß mich Schrecken nicht ergriffen,
Als die Gestalt ich eines Leu'n gewahrte.
Es war, als kam' er auf mich losgegangen,
Erhabnen Haupts, gereizt vom wilden Hunger,
So, daß die Luft selbst vor ihm her erbebte.
Und eine Wölfin, deren magres Äußre
Voll wilder Gier schien und es deutlich zeigte,
Daß vielen schon das Leben sie verbittert,
Ließ durch das Graun, das ihrem Blick entströmte,
Des Wegs Beschwerde mich so drückend finden,
Daß ich die Hoffnung des Ersteigens aufgab.
Und so wie jener, welcher gern gewönne,
Wenn nun die Zeit kommt, die Verlust ihm bringet,
Bei jeglichem Gedanken weint und trauert;
So ward ich ob des friedenlosen Untiers,
Das, mir entgegenkommend, mehr und mehr mich
Dorthin zurücktrieb, wo die Sonne schwindet.
Indes ich wieder zu dem tiefem Grunde
Mich stürzte, trat mir einer vor die Augen,
Der heiser schien durch langgewohntes Schweigen.
Als in der großen Wüst' ich den erblickte,
Rief ich ihm zu: ,O hab' mit mir Erbarmen,
Wer du auch seist, ob wirklich Mensch, ob Schatten.'
»Nicht Mensch,« antwortet' er, »gewesen bin ich's;
Lombarden waren meine beiden Eltern,
Und ihrer Vaterstadt nach Mantuaner.
Sub Julio geboren, ob auch spät schon,
Lebt' ich zu Rom zur Zeit Augusts des Guten.
Als falsche Lügengötter man noch ehrte.
Ein Dichter war ich und sang den gerechten
Sohn des Anchises, welcher kam von Troja,
Nachdem das stolze Ilion verbrannt war.
Doch du, was kehrst zu solcher Pein du wieder,
Warum ersteigst du nicht den Wonnehügel,
Der Grund und Anfang ist von aller Freude?« –
»So bist du der Virgil denn und die Quelle,
Draus sich so reicher Strom der Red' ergießet,« –
Antwortet' ich ihm mit verschämter Stirne,
»O du, der andern Dichter Licht und Ehre,
Der lange Fleiß sei und die große Liebe,
Mit der nach deinem Buch ich griff, mir günstig.
Du bist mein Meister, mein erhabnes Muster,
Du bist's allein, aus dem ich sie geschöpfet,
Die schöne Schreibart, die mir Ruhm erworben.
Sieh dort das Tier, vor dem ich mich gewendet.
Errette mich von ihm, berühmter Weiser,
Es macht die Adern mir und Pulse zittern!«
»Vollführen mußt du eine andre Reise,«
Antwortet' er, da er mich weinen sehen,
»Willst du aus dieser wilden Stätt' entrinnen;
Denn dieses Tier, weshalb du riefst um Hilfe,
Läßt keinen frei hinziehn auf seiner Straße,
Ja, hindert ihn so sehr, bis es ihn tötet.
Und von Natur ist es so schlimm und boshaft,
Daß nimmer es den gier'gen Trieb befriedigt,
Und nach dem Fraß mehr als vorher noch hungert.
Viel Tiere sind, mit denen es sich paaret,
Und mehr noch werden sein, bis einst der Windhund
Erscheint, der es vor Schmerz wird sterben machen.
Nicht wird von Erd' er und Metall sich nähren,
Allein von Weisheit, Tugend und von Liebe,
Geboren wird er zwischen Feltr' und Feltro,
Dem armen Welschland wird zum Heil er werden.
Für das Camilla starb, die Jungfrau, Turnus
Und Nisus und Euryalus an Wunden;
Der wird es hin durch alle Städte jagen,
Bis in die Höll' er es zurückgetrieben,
Woraus der erste Neid es einst hervorrief.
Drum denk' ich und erkenne für dein Bestes,
Daß du mir folgest und ich sei dein Führer,
Der rettend durch den ew'gen Ort dich leite.
Dort wirst du der Verzweiflung Schrei'n vernehmen,
Die Trauerschar der alten Geister schauen,
Wo jeglicher des zweiten Tods begehret;
Dann wirst du die erblicken, die im Feuer
Zufrieden sind, weil sie zu kommen hoffen,
Wann es auch sei, hin zu dem sel'gen Volke;
Willst du zu dem auch steigen, o dann findet
Sich würdiger als ich wohl eine Seele,
Mit der ich dich bei meinem Scheiden lasse.
Denn jener Kaiser, der dort oben herrschet,
Weil ich mich gegen sein Gesetz empöret,
Läßt keinen mich zu seiner Stadt geleiten.
Er herrschet allerwärts, doch waltet dort nur;
Denn seine Stadt, sein hoher Sitz ist droben,
O glücklich der, den er sich dort erkoren!«
Und ich zu ihm: ›O Dichter, ich begehre,
Bei jener Gottheit, die du nicht erkanntest,
Daß diesem Weh und Schlimmern ich entgehe,
Daß du dahin mich führst, wo du gesagt hast,
Damit das Tor Sankt Peters ich erschaue
Und jene, die du mir so traurig schilderst.‹ –
Da schritt er vor, ich folgte seinen Spuren.

Zweiter Gesang

Der Tag entwich schon, und der düstre Himmel
Entlud die Wesen, die auf Erden wohnen,
All ihrer Mühen, aber ich allein nur
Hielt mich bereit, den Kampf zu überstehen,–
So mit dem Weg, als auch mit dem Erbarmen,–
Den mein Gedächtnis ohne Trug soll schildern.
O Musen, hoher Geist, kommt mir zu Hilfe,
Gedächtnis, welches schrieb, was ich gesehen,
Hier wirst du deinen Adel offenbaren.
Und so begann ich: ›Dichter, der mich führest,
Betrachte meine Kraft erst, ob sie stark ist,
Eh' du dem schweren Pfad mich anvertrauest.
Du kündest, daß des Silvius Erzeuger,
Obgleich verweslich noch, zur wandellosen
Welt sei gewallt, und zwar als Sinnenwesen,
Drum, wenn der Widersacher alles Bösen
Geneigt hier war, der hohen Wirkung denkend,
Die ihm entsprießen sollt', und wer und welcher,
So scheint er des Verständigen nicht unwert,
Da er der hehren Roma und dem Reiche
Im höchsten Himmel war erwählt zum Vater,
Welche und welches, daß ich Wahrheit sage,
Bestimmet waren zu der heil'gen Stätte,
Allwo der Erbe sitzt des größern Petrus.
Auf dieser Reise, die von ihm du rühmest,
Vernahm er Dinge, welche seines Sieges
Und der Tiara Ursach' so geworden.
Hin kam auch das Gefäß der Auserwählung,
Um Stärkung jenem Glauben draus zu reichen,
Der auf dem Weg des Heils der erste Schritt ist.
Doch warum käm' ich hin, und wer gewährt es?
Ich bin Äneas nicht, ich bin nicht Paulus;
Nicht ich noch andre glauben des mich würdig:
Drum wenn ich dennoch hinzugehen wagte,
So, fürcht' ich, wäre töricht meine Reise.
Du, Weiser, kennst das besser, als ich sage.
Und jenem gleich, der nicht will, was er wollte,
Und für den neuen Einfall Vorsatz ändert,
So, daß er anzufangen ganz verzichtet,
Erging es mir in diesem dunklen Tale,
Weil sinnend ich die Unternehmung aufgab,
Zu der beim Anfang ich so rasch gewesen.‹
»Wenn deine Wort' ich recht verstanden habe,«
Entgegnet' jenes Hochgesinnten Schatten,–
»So wird von Feigheit deine Seel' erschüttert,
Die oft des Menschen also sich bemächtigt,
Daß sie von ehrenvollem Zweck ihn abbringt,
Wie wenn ein Tier sich scheut vor falschen Bilden.
Damit du nun von dieser Furcht dich lösest,
Sag' ich, warum ich kam und was ich hörte,
Als ich zuerst mich über dich betrübet.
Ich war bei jenen, die in Zweifel schweben,
Und sieh, da rief ein Weib mich, schön und selig,
So, daß ich selbst sie bat, mir zu befehlen.
Es glänzten ihre Augen mehr als Sterne,
Und sie begann zu sagen sanft und leise
Mit eines Engels Stimm' in ihren Worten;–
›O du, des Mantuaners holde Seele,
Des Nachruhm immer in der Welt noch währet,
Und ferner währen wird, solang die Welt steht.
Mein Freund, der nie des Glückes Freund gewesen,
Ist so am wüsten Abhang in dem Wege
Gehindert, daß er sich vor Furcht gewendet,
Und hat, besorg' ich, sich bereits verirret,
Weil ich zu spät mich ihm zur Hilf erhoben,
Nach dem, was in dem Himmel ich vernommen.
Wohlauf geh' und mit deiner schmucken Rede
Und allem, was ihm zum Entrinnen nötig,
Steh' so ihm bei, daß ich getröstet werde.
Beatrix bin ich, die dich sendet, kommend
Von einem Ort, nach dem ich heim mich sehne.
Mich trieb die Liebe, die dies Wort mir eingab.
Wenn wieder ich vor meinem Herrn erscheine,
So will ich oft bei ihm mich deiner rühmen.‹ –
Da schwieg sie. Und ich drauf begann zu sprechen:
›O Weib voll Tugend, die allein die Menschheit
Erhebet über alles, was der Himmel,
Den engre Kreis' umschließen, in sich fasset!
Es ist mir dein Befehl so sehr willkommen,
Daß auch sofort Gehorchen Säumen schiene,
Mehr brauchst du deinen Wunsch mir nicht zu zeigen.
Doch sag' den Grund, warum du dich nicht scheutest,
In diesen Mittelpunkt herabzusteigen,
Vom weiten Ort, nach dem du heim erglühest,‹ –
›Da du so viel davon zu wissen wünschest,‹
Entgegnet' sie, ›so sag' ich dir in Kürze,
Warum hierher zu kommen ich nicht fürchte;
Zu fürchten hat allein man jene Dinge,
Die Macht besitzen, Schaden zuzufügen,
Nicht alles übrige, – es ist nicht furchtbar.
Durch Gottes Gnade bin ich so geartet,
Daß euer Elend nimmer mich mag rühren,
Noch dieses Brandes Flamme mich ergreifet.
Im Himmel ist ein holdes Weib, das klagend
Ob jenes Irrsals, wo ich hin dich sende,
Dort oben bricht des Richterspruches Härte;
Die wandt' an Lucien sich mit einer Bitte,
Und sprach zu ihr: Gar sehr bedarf dein Treuer
Jetzt dein, und darum sei er dir empfohlen.
Und Lucia, die Feindin aller Härte,
Bewegte sich und kam zu jenem Orte,
Allwo ich selbst mit Rahel saß, der Alten.
Wahres Lob Gottes, o Beatrix, sprach sie,
Was stehst du dem nicht bei, der dich so liebet,
Daß er durch dich trat aus des Pöbels Scharen?
Vernimmst du nicht die Trauer seiner Klagen,
Siehst du den Tod nicht, welcher ihn bekämpfet
Auf jener Flut, die selbst dem Meer nicht Ruhm läßt?
So rasch ist niemand auf der Welt gewesen,
Gewinn zu machen, Schaden zu vermeiden,
Als ich, nachdem ich solches Wort vernommen,
Herniederstieg von meinem sel'gen Sitze,
Vertrauend deiner wohlgewählten Rede,
Die dich ehrt, so wie jene, die sie hören.‹
Nachdem sie solches Wort mit mir gesprochen,
Wandte sie weinend ab die Strahlenaugen,
Darob ich schneller eilte herzukommen.
So kam ich denn zu dir nach ihrem Willen,
Entriß dich jenem Ungeheuer, das dir
Den kurzen Weg des schönen Bergs versperrte.
Drum was ist das, warum, warum verziehst du?
Was nährst so viele Feigheit du im Herzen?
Was hast Entschlossenheit du nicht und Kühnheit,
Da drei so hochgebenedeite Frauen
Im Hof des Himmels für dich Sorge tragen.
Und dir mein Wort so vieles Heil verheißet?« –
Wie Blümchen sich, gebeuget und geschlossen
Vom Nachtfrost, wenn die Sonne sie versilbert,
Nun all' eröffnet auf dem Stengel heben,
Ward jetzt mir der erschlaffte Mut erneuet,
Und durch das Herz rann mir so edle Kühnheit,
Daß ich begann zu ihm, ein Freigesinnter:
›O wohl barmherzig sie, die mir geholfen,
Und du auch freundlich, der sogleich gehorchet
Dem Wort der Wahrheit, das dir ward geboten;
Du hast das Herz mit Sehnsucht zu der Reise
Durch deine Worte mir so angereget,
Daß ich zurückgekehrt zum ersten Vorsatz.
Geh' nun, mein Will' ist einer mit dem deinen,
Mein Führer du, mein Meister, mein Gebieter.‹ –
So sprach ich, und nachdem er vorgeschritten,
Betrat auch ich den tiefen Pfad des Waldes.

Dritter Gesang

Der Eingang bin ich zu der Stadt der Trauer,
Der Eingang bin ich zu dem ew'gen Schmerze,
Der Eingang bin ich zum verlornen Volke!
Gerechtigkeit trieb meinen hohen Schöpfer:
Die Allmacht hat der Gottheit mich gegründet,
Die höchste Weisheit und die erste Liebe.
Vor mir ist nichts Erschaffenes gewesen,
Als Ewiges, und auch ich daure ewig.
Laßt, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren. –
Mit dunkler Farbe sah ich diese Worte
Geschrieben an dem Gipfel eines Tores
Und sprach drum: ›Meister, hart erscheint ihr Sinn mir.‹
Und er zu mir gleich einem Wohlerfahrnen:
»Hier muß man jedes Zweifels sich entschlagen,
Und jede Feigheit hier ertötet werden.
Wir sind nun an dem Ort, wo ich dir sagte,
Du werdest schaun die schmerzenreichen Scharen,
Die der Erkenntnis höchstes Gut verloren.«
Und da er seine Hand gelegt in meine,
Mit heitrem Antlitz, das mich ließ erstarken,
Führt' er mich ein in die geheimen Dinge.
Geseufz' und Weinen hier und dumpfes Heulen
Ertönen durch den sternenlosen Luftkreis,
So daß im Anfang drob ich weinen mußte.
Gemisch von Sprachen, grauenvolle Reden,
Des Schmerzes Worte und des Zornes Laute,
Und Stimmen tief und rauh, mit Händeklopfen,
Erregten ein Getümmel hier, das immer
In diesen endlos schwarzen Lüften kreiset,
Dem Sande gleich, wenn Wirbelwinde wehen.
Und ich, dem Wahn das Haupt umfangen hatte,
Sprach: ›Meister! was ist das, was ich vernehme,
Und wer sind die vom Schmerz so Übermannten?‹
Und er zu mir: »Die jammervolle Weise
Ist den elenden Seelen jener eigen,
Die ohne Lob und ohne Schande lebten;
Vermischt sind sie mit jenem feigen Chore
Der Engel, welche nicht Empörer waren,
Noch Gott getreu, für sich gesondert bleibend.
Nicht seinen Glanz zu trüben, stieß der Himmel
Sie aus, noch nimmt sie auf die tiefe Hölle,
Weil Sünder stolz auf sie doch blicken könnten.«
Und ich: ›Was ist wohl ihnen so beschwerlich,
Mein Meister, daß sie drob so kläglich jammern?‹
»Ganz kurz,« antwortet' er, »will ich dir's sagen:
Des Todes haben diese keine Hoffnung,
Und so verächtlich ist ihr dunkles Leben,
Daß jedes andre Schicksal sie beneiden.
Es läßt die Welt nicht ihren Nachruhm dauern,
Gerechtigkeit verschmäht sie und Erbarmen.
Nichts mehr davon; schau' hin und geh' vorüber!«
Und ich, der hingeblickt, sah eine Fahne,
Die wirbelnd so behend vorüberrannte,
Daß jede Ruhe sie mir zu verschmähn schien,
Und ein so großer Zug des Volkes folgte
Ihr nach, daß nimermehr geglaubt ich hätte,
Daß ihrer schon der Tod so viel' entseelet.
Da einen ich erkannt nun unter ihnen,
Schaut' hin ich und erblickte jenes Schatten,
Der auf das Groß' aus Feigheit einst Verzicht tat.
Sogleich sah ich es ein und ward versichert,
Daß dieses sei der Feiggesinnten Rotte,
Die Gott mißfällig sind wie seinen Feinden;
Die Jämmerlichen, welche nie gelebet,
Sie waren nackt und wurden viel gestochen
Von Bremsen und von Wespen, die hier schwärmten;
Ihr Antlitz netzten ihnen die mit Blute,
Das tränenuntermischt zu ihren Füßen
Von ekelhaften Würmern ward gesammelt.
Und da ich weiter hingeblickt, sah Scharen
Ich an dem Ufer eines großen Stromes,
Und sprach drum: »Meister, woll'st mir jetzt gewähren,
Zu wissen, wer die sind und welche Sitte
Sie macht zum Übergang so fertig scheinen,
Wie ich erkenne bei dem Dämmerlichte.«
Und er zu mir: »Berichtet wird dir alles,
Wenn unsern Schritt wir innehalten werden
An Acherons trübseligem Gestade.«
Drauf mit verschämtem und gesenktem Blicke,
Besorgt, es falle lästig ihm mein Reden,
Enthielt ich bis zum Flusse mich des Sprechens.
Und sieh, es nahte gegen uns zu Schiffe
Ein Alter sich, weiß durch die greisen Haare,
Laut rufend: »Weh' euch, ihr verruchten Seelen,
Hofft nimmermehr den Himmel zu erblicken,
Zum Ufer jenseits, komm' ich, euch zu führen,
In ew'ge Finsternis, in Frost und Gluten.
Und du, was du dort, lebend'ge Seele?
Geh' fort von jenen, welche schon gestorben.«
Allein nachdem er sah, daß ich nicht fortging:
»Durch andre Wege,« sprach er, »andre Buchten,
Nicht hier, wirst zu dem Ufer du gelangen;
Ein leichtes Schiff muß dich hinüber tragen.«
Zu ihm mein Führer: »Nicht gezürnet, Charon,
Man will es so an jenem Orte, wo man
Auch kann das, was man will, und frag' nicht weiter.«
Drauf wurden ruhig die behaarten Wangen
Dem Steuermanne auf der bleichen Lache,
Der um die Augen Flammenränder hatte.
Doch jene Seelen, welche nackt und müde,
Verfärbten sich und knirschten mit den Zähnen
Stracks, als die grausen Worte sie vernommen.
Sie lästerten auf Gott und ihre Eltern,
Die Menschheit und den Ort, die Zeit, den Samen,
Aus welchem sie erzeuget und geboren.
Dann zogen samt und sonders sie vereinet
Laut weinend hin zu dem verruchten Strande,
Der jedes Menschen harrt, der Gott nicht fürchtet.
Charon, der Dämon mit den glüh'nden Augen,
Winkt ihnen und versammelt rings sie alle,
Schlägt mit dem Ruder jeglichen, der zögert.
So wie zur Herbstzeit sich die Blätter lösen,
Eins nach dem andern, bis zuletzt die Zweige
Der Erd' all' ihren Schmuck zurückgegeben;
Auf gleiche Art stürzt Adams schlimmer Same
Sich einer nach dem andern von dem Ufer
Auf Zeichen, wie ein Vogel auf den Lockruf,
So gehen hin sie durch die dunkeln Fluten,
Und eh' sie jenseits noch ans Land gestiegen,
Versammeln diesseits schon sich neue Scharen.
»Mein Sohn,« sprach nun zu mir mein güt'ger Meister,
»Sie, die in Gottes Zorn dahingestorben,
Versammeln hier sich all' aus jedem Lande
Und sind bereit, den Fluß zu überschreiten,
Von ewiger Gerechtigkeit gespornet,
So, daß die Furcht sich wandelt in Verlangen.
Hier geht nie über eine gute Seele;
Drum wenn sich Charon über dich beklaget,
Magst du wohl wissen, was sein Wort dir tönet«
Er schwieg, und rings erzitterten die düstern
Gefilde plötzlich so, daß mich der Schrecken,
Wenn ich dran denke, noch im Schweiße badet.
Vom tränenreichen Land erhob ein Sturm sich,
Begleitet von der Blitze rotem Leuchten,
Das jeglicher Empfindung mich beraubte,
Und nieder fiel ich, wie vom Schlaf umfangen.

Vierter Gesang

Mir brach den tiefen Schlummer in dem Haupte
Ein schwerer Donner so, daß ich mich schüttelt'
Gleich einem, welcher mit Gewalt geweckt wird,
Und wandte rings das ausgeruhte Auge
Und richtete mich auf und schaute starrend,
Den Ort zu unterscheiden, wo ich wäre.
Und in der Tat fand ich mich an dem Rande
Der schmerzensreichen Niederung des Abgrunds,
Endlosen Jammers Donnertön' umschließend.
So düster war sie und so tief und neblig,
Daß, ob zum Grund ich heftete die Blicke,
Ich nichts zu unterscheiden drin vermochte.
»Jetzt steigen zu der düstern Welt wir nieder,«
Begann zu mir ganz totenbleich der Dichter,
»Ich selber geh' voraus, du wirst mir folgen!«
Und ich, der seiner Farbe inne worden,
Sprach: ›Wie komm' ich hinab, wenn du erschauderst,
Der du mich sonst ermutigt, wenn ich zagte?‹
Und er zu mir: »Es malt die Angst der Seelen
Dort unten wohl mir des Erbarmens Züge
Aufs Angesicht, wo Furcht du glaubst zu lesen.
Wohlan denn; fort! Uns treibt des Weges Länge!«
So schritt er vorwärts und ließ ein mich treten
Zum ersten Kreise, der den Abgrund gürtet.
Hier, dem gemäß, was ich erlauschen konnte,
Gab es kein Jammern, sondern nur wie Seufzer,
Davon die ew'gen Lüft' erzittern mußten;
Und dies kam her von Leiden ohne Marter,
So Scharen, groß und zahlreich, hier erlitten,
Von Kindern und von Weibern und von Männern.
Zu mir der gute Meister: »Du erfragst nicht,
Wer diese Geister sind, die du erblickest?
Jetzt sollst du wissen, eh' du weiter gehest,
Daß sie nicht Sünder waren, und doch g'nügte
Nicht ihr Verdienst, weil sie der Tauf entbehren,
Was ja ein Satz des Glaubens, den du glaubest,
Und da sie vor dem Christentume lebten,
Ward Gott von ihnen würdig nicht verehret,
Und so bin ich von diesen selber einer.
Durch diesen Mangel, nicht durch andres Böse,
Sind wir verloren und so weit nur leidend,
Daß ohne Hoffnung wir in Sehnen leben.«
Gewalt'ger Schmerz ergriff mich, als ich's hörte,
Weil Männer ich von hohem Wert erkannte,
In dieser Vorhöll' ungewiß verharrend.
›Sag' an, Gebieter, sag' mir an, mein Meister!«
Begann ich, weil ich sicher wollte werden
Des Glaubens, der besieget jeden Irrtum:
›Kam einer je durch eignes oder fremdes
Verdienst heraus, der selig dann geworden?‹
Und er, der mein verhülltes Wort verstanden,
Antwortete: »Ich war in diesem Zustand
Ein Neuling noch, als ich, mit Siegeszeichen
Gekrönet, einen Mächtigen sah kommen.
Hinweg führt' er des ersten Vaters Schatten
Und seines Sohnes Abel, Noeh auch,
Den Patriarchen Abra'm, König David,
Und Moysen, der Gesetz gab und gehorcht,
Und Jakob mit dem Vater, den Erzeugten,
Und Rahel, für die er so lang gedient,
Und viele noch macht' er mit jenen selig.
Auch sollst du wissen, daß vor den Genannten
Errettet wurde keines Menschen Seele.«
Nicht ließen, weil er sprach, wir ab vom Gehen,
Sondern den Wald durchschritten immerhin wir;
Den Wald mein' ich der dichtgedrängten Geister.
Nicht waren wir im Weg noch weit gekommen
Vom Gipfel ab, als ich erblickt' ein Feuer,
Halbkugelförm'ges Dunkel überstrahlend.
Noch waren wir entfernt davon ein wenig,
Doch nah genug, teilweise wohl zu sehen,
Daß ehrenwertes Volk den Ort besäße.
›Der jede Kunst du ehrst und jedes Wissen,
Wer sind sie, die so große Ehre haben,
Daß sie getrennt sind von der andern Weise?‹
Und er zu mir: »Die ehrende Erwähnung,
Die droben tönt, in deiner Welt, von ihnen,
Schafft' Gnad' im Himmel, die sie so begünstigt.«
Und mittlerweile hört' ich eine Stimme:
»Erzeiget Ehre dem erhabnen Sänger,
Er kehrt zurück, sein Schatten, der verschwunden.«
Als nun die Stimme aufgehört und still ward,
Sah ich vier hohe Schatten auf uns kommen,
Nicht heitern und nicht trüben Angesichtes.
Der gute Meister nun begann zu sagen:
»Schau' jenen mit dem Schwerte in der Hand an,
Der vor den dreien hergeht, wie ein Herrscher;
Das ist Homer, der oberste der Dichter;
Horaz naht, der Satiriker, als zweiter;
Der dritte ist Ovid, Lucan der letzte.
Drum, weil den Namen alle mit mir teilen,
Den jüngst die Stimme einzeln ausgerufen,
Erweisen sie mir Ehr' und tuen wohl dran.«
So sah ich sammeln sich die schöne Schule
Des Fürsten der erhabnen Sangesweise,
Der ob den andern wie ein Adler schwebet.
Nachdem sie eine Weile sich besprochen,
Wandten zu mir sie sich mit Grußeszeichen,
Und ob der Ehre lächelte mein Meister.
Und noch zuteil ward mir viel größre Ehre,
Da sie in ihre Schar mich aufgenommen,
Als sechsten, bei so hoher Geistesnähe.
So gingen vorwärts wir bis zu dem Lichte,
Von Dingen sprechend, drob zu schweigen schön ist,
So wie das Sprechen war dort, wo's geschehen.
Wir kamen jetzt zu einem stolzen Schlosse,
Das, siebenfach umkreist mit hohen Mauern,
Von einem klaren Bach rings war verteidigt;
Den überschritten wir wie festen Boden.
Eintrat durch sieben Tor' ich mit den Weisen,
Zu einem Plan von frischem Grün gelangend.
Hier waren Leute stillen, ernsten Blickes,
In ihren Zügen hohe Würde tragend;
Sie sprachen wenig und mit sanfter Stimme.
Wir zogen so nun aus der Ecken einer
Zu einem offnen, hoh'n und lichten Orte,
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Von wo man alle überschauen konnte.
Dort gegenüber auf dem grünen Schmelze
Wurden gezeigt mir die erhabnen Geister,
Die ich gesehn zu haben still mich rühme.
Elektren sah ich, und in ihrem großen
Gefolg erkannt' ich Hektor und Äneas,
Cäsar im Waffenschmuck, mit Falkenaugen,
Ich sah Camilla, sah Penthesilea
Zur andern Seit' und sah Latin, den König,
Hier mit Lavinia, seiner Tochter, sitzend;
Ich sah den Brutus, der Tarquin verjagte,
Lucretien, Julien, Martien und Cornelien,
Auch Saladin allein auf einer Seite.
Nachdem ich mehr die Augen nun erhoben,
Sah ich den Meister jener, die, durch Wissen
Berühmt, im Kreis der Philosophen sitzen,
Ihn, die Bewundrung, die Verehrung aller;
Dort sah ich ferner Sokrates und Plato,
Die vor den andern ihm am nächsten stehen;
Demokrit, der die Welt dem Zufall zuschreibt,
Empedokles, Diogenes und Thaies,
Anaxagoras, Heraklit und Zeno.
Ich sah der Qualitäten wackren Sammler,
Den Dioskorides, auch Orpheus, Tullius,
Linus und Seneca, den Moralisten,
Euclid, den Geometer, Ptolomäus,
Hippokrates, Gallienus, Avicenna,
Averoes, den großen Kommentator;
Ich kann sie alle hier nicht wiederholen,
Weil mich des Stoffes Fülle so bedränget,
Daß hinter dem Gescheh'nen oft das Wort bleibt.
Die Schar der Sechse mindert sich auf zweie,
Und aus der Stille führt mein weiser Leiter
Durch andern Weg mich in der Lüfte Zittern
Zu einer Stätte, wo kein Schimmer hindringt.

Fünfter Gesang

So stiegen von dem ersten Grund wir nieder
Zum zweiten, welcher mindern Raum umgürtet,
Doch größern Schmerz, der bis zum Heulen peinigt.
Hier stehet Minos grauenvoll und knirschend;
Er untersucht die Schuld beim Eintritt, richtet,
Und weist hinab nach Zahl der Schweifesschwingen.
Ich sage, daß, wenn die verruchte Seele
Vor ihm erscheint, sie alles ihm gestehet,
Und jener Kenner der Vergehen, schauend,
Was für ein Ort der Hölle für sie tauget,
Umschlingt so oft sich mit dem Schweif, als Stufen
Er sie hinunter will gesendet wissen.
In Scharen stehn sie stets vor ihm, sie treten
Der Reih nach zum Gericht, bekennen, hören
Den Spruch und werden dann hinabgeschleudert.
»Der du der schmerzenreichen Wohnung nahest,«
Sprach zu mir Minos, als er mich erblickte,
So hohen Amtes Übung unterbrechend,
»Wahr' deinen Eintritt, schaue, wem du trauest,
Laß dich des Eingangs Breite nicht betrügen!«
Und drauf zu ihm mein Führer: »Was doch schreist du?
Verhindre nicht sein vorbestimmtes Wandern,
Man will es so an jenem Orte, wo man
Vermag das, was man will – und frag' nicht weiter.«
Anjetzt beginnen schmerzensvolle Töne
Hörbar zu werden; dorthin nun gelangt' ich,
Wo vieles Jammern mich erschüttern sollte.
Ich kam zu einer lichtberaubten Stätte,
Wo's gleich dem Meer beim Ungewitter brüllet,
Wenn es zum Kampf erregte Stürme peitschen.
Der Wirbelwind der Hölle, nimmer ruhend,
Führt jähen Zuges mit sich fort die Geister,
Zur Qual umher sie schwingend und sie schüttelnd.
Wenn in des Abgrunds Nähe sie gelangen,
Da geht es an ein Klagen, Schrein und Jammern,
Da schallet Lästrung gegen Gottes Allmacht.
Und ich vernahm, daß zu dergleichen Qualen
Verdammet sei'n die fleischlichen Verbrecher,
So die Vernunft den Lüsten unterwürfen.
Gleichwie beim Reif die Star' auf ihren Schwingen
In breiten, dichten Scharen sich entfernen,
So führt die Windsbraut hier die schlimmen Geister
Hierhin und dorthin, aufwärts und hernieder,
Und keine Hoffnung kann sie jemals trösten,
Auf Ruhe nicht, ja nicht auf mindres Leiden.
Und wie die Kranich' kläglich kreischend ziehen
In Lüften, eine lange Reihe bildend,
So sah ich, laut Geheul erhebend, Schatten,
Von jenem Sturm getragen, sich uns nahen.
Da sprach ich: .Meister, wer sind jene Seelen,
Die von der düstern Luft gepeitscht so werden?'
»Die erste derer, über die du Nachricht
Zu haben wünschest,« sprach zu mir nun jener,
»Ist vieler Zungen Kaiserin gewesen.
Der Unzucht Laster war sie so ergeben,
Daß ihr Gelüst sie durch Gesetz erlaubte,
Die Schande, die sie traf, von sich zu wälzen.
Sie ist Semiramis, von der wir lesen,
Daß sie auf Ninus folgt', und sein Gemahl war.
Das Land besaß sie, das der Sultan dränget.
Die andr' ist sie, die liebend sich getötet
Und Treue brach der Asche des Sichäus.
Kleopatra, die Wollüstige, folgt ihr.«
Ich sah auch Helena, ob der im argen
So viele Zeit verstrich; Achill, den Großen,
Der bis zuletzt gerungen noch mit Liebe.
Paris und Tristan sah ich, mehr als tausend
Der Schatten nannt' und zeigt' er mit dem Finger,
Die unsrem Leben Liebe einst entführte.
Nachdem von meinem Meister ich vernommen
Der alten Ritter all' und Frauen Namen,
Ergriff mich Mitleid, daß ich wie verwirrt stand.
,O Sänger!' sprach ich, ,mich verlangt zu reden
Mit jenen beiden, die vereint dort wallen
Und von dem Wind so leicht getragen scheinen.'
Und er zu mir: »Sieh zu, wenn sie uns nahen,
Und dann beschwöre sie bei jener Liebe,
Die sie umhertreibt, und sie werden kommen.«
Sobald der Wind sie gegen uns gelenket,
Erhob die Stimm' ich: ,O gequälte Seelen,
Steht Red' uns, so es euch kein andrer wehret.
Wie Tauben stracks die Luft mit offnen Schwingen,
Wenn Sehnsucht sie zum süßen Neste hinlockt,
Durchfliegen, von dem eignen Trieb getragen,
So kamen aus der Schar, wo Dido weilte,
Auf uns heran sie durch die argen Lüfte;
Denn mächtig war das liebevolle Rufen.
»O du mitleidiges und holdes Wesen,
Das durch die purpurdunkle Luft uns aufsucht,
Die wir mit blut'gem Rot die Welt gefärbet;
Wenn gnädig uns des Weltalls König wäre,
So würden wir für deinen Frieden bitten,
Weil du dich unsers grausen Weh's erbarmest.
Was willst du wissen, sprich, und was uns sagen?
Wir hören zu, und werden mit dir sprechen,
So lange noch, wie jetzt, die Winde schweigen.
Es liegt die Stadt, wo ich geboren wurde,
Am Meeresstrand, wo sich der Po hinabsenkt,
Mit den Begleitern Ruhe dort zu finden;
Liebe, die schnell an zarten Herzen haftet,
Erfaßte diesen, durch das schöne Äußre,
Das mir geraubt ward – noch betrübt die Art mich.
Liebe, die Lieben nie erläßt Geliebten,
Ließ mich an ihm so groß Gefallen finden,
Daß, wie du siehst, es noch nicht von mir weichet:
Es führte Liebe uns zu einem Tode;
Caina harrt des, der uns schlug im Leben.«
Das war's, was uns von ihnen her ertönte.
Als ich vernommen die gekränkten Seelen,
Senkt' ich den Blick und hielt so lang ihn nieder,
Bis mich der Dichter fragte: »Nun, was sinnst du?«
Antwortend drauf begann ich: ,Weh, wie führte
So vieles Sehnen, so viel süßes Träumen
Doch diese hier zum schmerzenreichen Hintritt!'
Dann mich zu ihnen wieder wendend, sprach ich,
Und hob so an: .Franziska, deine Marter
Entlockt mir fromme, schwermutsvolle Tränen;
Doch sage mir, zur Zeit der süßen Seufzer,
Wie und woran gewährte euch die Liebe,
Daß ihr den unbestimmten Wunsch erkanntet?'
Und sie zu mir: »Es gibt kein größres Leiden,
Als sich der frohen Zeiten zu erinnern
Im Elend – wohl hat dies gewußt dein Lehrer.
Doch wenn die ersten Wurzeln unsrer Liebe
Zu kennen du so große Sehnsucht hegest,
Mach' ich's wie der, so Worte mischt und Tränen.
Wir lasen eines Tages zum Vergnügen
Von Lanzelot, wie Liebe ihn umstricket,
Wir waren ganz allein und ohne Arges.
Zum öftern trafen schon sich unsre Blicke
Beim Lesen, und entfärbte sich das Antlitz;
Doch was uns ganz besiegt, war eine Stelle,
Als wir gehört, wie das ersehnte Lächeln
Von so erhabnen Liebenden geküßt ward;
Da küßte mich, der nie sich von mir trennet,
Ganz bebend auf den Mund. Zum Gallehaut ward
Uns jenes Buch und wer's geschrieben hatte –
An diesem Tage lasen wir nicht weiter.« –
Indem der Schatten einer dieses sagte,
Weinte der andre so, daß ich vom Mitleid
Ohnmächtig wurde, gleich als ob ich stürbe,
Und niederfiel, wie tote Körper fallen.

Sechster Gesang

Als heimgekehrt der Sinn, der aus Erbarmen
Mit jenem Schwagerpaare sich verschlossen,
Das durch Betrübnis gänzlich mich verstöret,
Sah neue Martern ich um mich und neue
Gemarterte, wie ich nun mich bewegte
Und wie ich wandte mich und wie ich schaute.
Ich bin im dritten Kreise nun des Regens,
Des ew'gen, kalten, last'gen, flucherfüllten,
Dem nie Gesetz, noch Eigenschaft sich wandelt.
Unreines Wasser, Schnee und schwerer Hagel
Ergießt sich durch der Lüfte Finsternisse,
Und Stank entsteigt der Erde, die es aufnimmt.
Das Untier Cerberus, seltsam und wütig,
Bellt aus drei Kehlen nach der Art der Hunde
Die Menge an, die überschwemmt hier lieget.
Rot sind die Augen, schwarz der Bart und triefend,
Der Bauch geräumig und beklaut die Pfoten,
Womit's die Geister krallt, zerfleischt und vierteilt.
Sie heulen Hunden gleich ob solchen Regens.
Mit einer Seite schirmen sie die andre,
Oft wenden sich die armen Gottvergeßnen.
Als Cerberus uns wahrt', der große Lindwurm,
Riß er die Mäuler auf und wies die Hauer,
Kein Glied hatt' er am Leibe, das er still hielt.
Doch seine Spannen streckte aus mein Führer,
Erfaßte Erde, und mit vollen Fäusten
Warf er hinein sie in die gier'gen Schlünde.
Gleich einem Hunde, welcher bellend fordert,
Und sich beruhigt, da den Fraß er beißet
Und jetzt bloß aufs Verzehren sinnt und strebet,
Dem ähnlich machten's die unflät'gen Schnauzen
Des Dämons Cerberus, der so die Geister
Durchdröhnet, daß sie taub zu werden wünschten.
Wir schritten, ob den Schatten, die des Regens
Gewicht herabdrückt, unsre Sohlen setzend
Auf ihre Nichtigkeit, die Menschen gleichet.
Sie lagen all' am Boden, bis auf einen,
Der sich behend aufrichtete zum Sitzen,
Als er uns sah bei sich vorüberwandeln.
»O du, der durch dies Höllenloch geführt wird,
Erkenne mich, wenn du's vermagst,« sprach jener,
»Du tratest in die Welt, eh' ich heraustrat.«
Und ich zu ihm: ,Die Qualen, die du leidest,
Entziehn vielleicht dich mir aus dem Gedächtnis
So, daß es scheint, nie hab ich dich gesehen.
Doch sage mir, wer bist du, der an solchen
Schmerzvollen Ort zu solcher Pein gesandt ward?
Wenn andre größer, ist mißfäll'ger keine.'
Und er zu mir drauf: »Deine Stadt, die voll ist
Von Neid, so daß der Topf schon überfließet,
Umschloß mich dort in jenem heitern Leben.
Ihr Bürger gabt mir einst den Namen Giacco.
Ob der verderbenreichen Schuld der Kehle
Schlägt, wie du siehst, mich nieder hier der Regen.
Nicht bin ich hier die einz'ge Sünderseele;
Denn alle diese leiden gleiche Strafe
Ob gleicher Schuld.« Mit diesem Wort verstummt' er.
Und ich versetzte: ,Ciacco, dies dein Leiden
Drückt mich so sehr, daß drob ich weinen möchte;
Doch sprich, weißt du es anders: wohin kommt es
Wohl mit den Bürgern der entzweiten Stadt noch,
Ist einer drin gerecht, und sag' die Ursach',
Warum so große Zwietracht sie befallen?'
Und jener drauf zu mir: »Nach langem Streite
Kommt es zum Blut, und die Partei der Neuern
Vertreibt die anderen mit vielem Schimpfe;
Doch kurz darauf, noch innerhalb drei Sonnen
Muß jene fallen und die andre siegen,
Durch dessen Übermacht, der fern schon lauert.
Hoch wird sie lange Zeit die Stirne tragen,
Die andre schwerbelastet niederhaltend,
Wie sie darob auch wein' und sich erbose.
Zwei sind gerecht, doch will man sie nicht hören,
Stolz, Neid und Habsucht, das sind die drei Funken,
Woran der Bürger Herzen sich entzündet.«
Hier endet' er die trauerreichen Töne,
Und ich zu ihm: ,Wohl möcht' ich, daß du weiter
Belehrtest mich, mir mehr der Worte gönnend.
Tegghiajo, Farinata, die so würdig,
Auch Jacob Rusticucci, Heinrich, Mosca
Und andre, die den Sinn aufs Rechttun wandten,
Sag', wo sie sind, und laß mich sie erkennen;
Denn größer Wunsch ergreift mich, zu erfahren,
Ob Himmelswonn', ob Höllengift ihr Teil ist.'
Und jener drauf: »Die sind bei schwärzern Seelen;
Verschiedne Schuld drückt nieder sie zu Boden,
Du schaust sie, wenn so weit hinab du steigest.
Eins bitt' ich, wenn zur süßen Welt du kehrest,
So rufe mich den Freunden ins Gedächtnis.
Mehr sag' ich nicht, und mehr geb' ich nicht Antwort.«
Die graden Augen wandt' er drauf zum Schielen,
Blickt' mich ein wenig an, beugte das Haupt dann,
Häuptlings hinsinkend, gleich den andern Blinden.
Und zu mir sprach der Führer: »Der erwacht nicht,
Eh' der Drommetenruf des Engels schallet
Bei ihres Widersachers Machterscheinung.
Sein traurig Grab wird jeder wiederfinden,
Sein Fleisch dann und sein Äußres wiedernehmen
Und hören, was in Ewigkeit ihm nachhallt.«
So gingen, langsam schreitend, durch das schnöde
Gemisch der Schatten hin wir und des Regens,
Vom künft'gen Leben einiges berührend.
Drum sprach ich: »Meister, jene Martern, werden
Sie nach dem großen Urteilsspruch wohl wachsen,
Abnehmen oder gleich an Schärfe bleiben?'
Und er zu mir: »Kehr' heim zu deiner Lehre,
Die will, daß, je vollkommener ein Wesen,
Es Freud' und Schmerzen um so mehr empfinde.
Wiewohl nun dies verfluchte Volk zu wahrer
Vollkommenheit nie reift, ist es bestimmt doch,
Mehr, als vorher es war, nachher zu werden.«
Wir wandten uns im Kreis, auf diesem Wege
Weit mehr besprechend, als ich wiedersage,
Und kamen zu dem Punkt, wo man herabsteigt,
Hier trafen Plutus wir, den großen Feind, an.

Siebenter Gesang

»Pape Satan Pape Satan Aleppe!«
Begann nun Plutus mit der rauhen Stimme,
Und, mich zu stärken, sprach der edle Weise,
Der alles wußte: »Laß nicht Schaden bringen
Dir deine Furcht, welch eine Macht er habe,
Nicht wehrt er dir, den Fels herabzusteigen.«
Zu jenem zorngeschwollnen Antlitz wandt' er
Sich drauf und sprach: »Verfluchter Wolf, verstumme!
Verzehr' mit deiner Wut dich in dir selber;
Nicht sonder Ursach' wandeln wir zur Tiefe,
Dort in der Höh' beliebt's so, wo die Rache
Der stolzen Buhlschaft Michael genommen.«
Gleich wie die von dem Wind geblähten Segel
Umwickelt fallen, ward der Mast zerschmettert,
So fiel zu Boden hin das grause Untier. –
So stiegen wir zum vierten Abgrund nieder,
Mehr von dem Riff der Schmerzen hinterlegend,
Das alles Weh' der Welt in sich verschließet.
O ewige Gerechtigkeit, wer häufte
So viele Müh'n, als ich geseh'n, und Peinen?
Was richtet eigne Schuld uns so zugrunde!
Gleich wie die Flut dort über der Charybdis
Sich mit der andern bricht, an der sie brandet,
So muß sich hier das Volk im Reigen drehen.
Viel mehr als anderswo sah ich des Volks hier
Von dieser Seit' und jener, unter lautem
Geheule Lasten wälzend mit den Brüsten.
Sie stießen aneinander, und drauf kehrte
Allda sich jeder wieder rückwärts, schreiend:
»Was kargst du,« und »was machst du tollen Aufwand?«
So kehrten durch den finstern Kreis sie wieder
Zu jeder Hand, bis sie genüber standen,
Ihr schimpflich Lied von neuem anzustimmen.
Dann wandte jeder, wenn er seinen Halbkreis
Zurückgeleget, sich zum andern Kampfplatz.
Und ich, der schier das Herz zerknirscht drob hatte,
Sprach: »Meister, jetzt erklär' mir, wer dies Volk sei,
Und ob sie alle Pfaffen sind gewesen,
Die mit der Glatze hier zu unsrer Linken.'
Und er zu mir: »Schwachsichtig waren alle
Am Geiste so in jenem ersten Leben,
Daß dort mit rechtem Maß sie nie gespendet.
Wohl deutlich sagt es ihrer Stimme Kläffen,
Wenn sie im Kreis an die zwei Punkte kommen,
Allwo der Gegensatz der Schuld sie scheidet.
Sie waren Pfaffen, die der Haarbedeckung
Am Haupt entbehren, Päpst' und Kardinale,
In denen Geiz sein Übermaß verübet.«
Und ich: ,O Meister, unter dem Gelichter
Sollt' ich, bedünkt mich, manche wiederkennen,
Die unrein waren von dergleichen Übeln.'
Und er zu mir drauf: »Leere Schlüsse machst du;
Ihr ruhmlos Leben, das sie so besudelt,
Läßt sie für das Erkennen jetzt im Dunkeln.
So stoßen ewig sie nun aneinander
Und werden aus dem Grab einst auferstehen,
Die mit geschloßner Faust, kahlköpfig jene.
Schlecht Geben und schlecht Sparen brachte einst sie
Ums schöne Leben und in diese Kämpfe,
An denen ich kein Wort mehr will verschwenden.
Sieh hier, mein Sohn, wie kurz die Posse dauert
Der Güter, die Fortunen anvertraut sind,
Um derenhalber sich die Menschen raufen.
Denn alles Gold, das unterm Mond sich findet
Und je sich fand, nicht einer einz'gen könnt' es
Aus diesen müden Seelen Ruh' gewähren.«
»Mein Meister,« sprach ich, »sag' mir noch: Fortuna,
Die du berührt, wer ist sie, daß die Güter
Der Welt sie also hält in ihren Klauen?«
Und er zu mir: »Blödsinnige Geschöpfe!
Wie groß ist doch die Blindheit, die euch schadet!
Jetzt will ich, daß du ganz mein Wort erfassest.
Er, dessen Wissen alles übersteiget,
Erschuf die Himmel und gab ihnen Führer,
Daß allen Teilen alle Teile schimmern,
Auf gleiche Weise rings das Licht verteilend:
So ordnet' er den ird'schen Schimmern gleichfalls
Gemeinsam eine Schaffnerin zur Führung,
Damit zu rechter Zeit die eitlen Güter
Von Volk zu Volk, von Stamm zu Stamme wandern,
Trotz allem Widerstand der Menschenklugheit.
Drum herrschet ein Volk, und das andre welket
Dahin, gemäß dem Richterspruche jener,
Die wie im Gras die Schlange bleibt verborgen;
Nicht kann ihr euer Wissen widerstehen,
In ihrem Reich, gleich wie die andern Götter
In ihrem, ordnet, richtet und vollführt sie.
Und nimmer haben Stillstand ihre Wechsel,
Notwendigkeit leiht Flügel ihr; denn bald kommt
Ein andrer, den der Reihe Los getroffen.
Das ist sie, die so oft ans Kreuz geschlagen
Von denen selbst wird, die sie loben sollten,
Doch sie durch ungerechten Tadel schmähen;
Doch selig in sich selbst, hört nichts davon sie
Und dreht mit andern Urgeschöpfen fröhlich
Still ihre Kugel hin, in sel'ger Wonne.
Jetzt steigen wir zu größern Leiden nieder.«
Die Sterne, die bei meinem Ausgang stiegen,
Sie sinken schon; nicht länger ziemt's zu weilen.
Den Kreis durchschritten wir zum andern Ufer
Bis über einen Quell, der kocht und dann sich
Durch einen Bach, der ihm entspringt, ergießet.
Sein Wasser war viel dunkler noch als Purpur,
Und, von der grauen Flut begleitet, kamen
Hernieder wir, durch einen Pfad des Grausens.
Es bildet einen Sumpf, der Styx genannt wird,
Der Trauerbach, wenn er zum Fuß herabkommt
Des greulich unheilvollen Felsgestades.
Und ich, der aufmerksam stand im Betrachten,
Sah schlammbedecktes Volk in dieser Lache,
Nackt insgesamt und mit erzürntem Antlitz,
Die schlugen nicht allein sich mit den Händen,
Auch mit dem Haupt, der Brust und mit den Füßen,
Stückweise mit den Zähnen sich zerfleischend.
Der gute Meister sprach: »Mein Sohn, hier siehst du
Die Seelen derer, die der Zorn besiegte,
Und auch will ich, daß für gewiß du glaubest,
Daß unterm Wasser Volk ist, welches seufzet
Und Blasen treibt auf seiner Oberfläche,
Wie dich der Blick lehrt, wo er hin sich wendet.
Versenkt im Sumpfe, rufen sie: ,Wir waren
Trüb in dem süßen, sonnenheitern Luftkreis,
Da schleichend Feuer uns im Innern qualmte;
Uns selbst betrüben wir im schwarzen Schlamm jetzt.'
Sie gurgeln dieses Lied in ihrer Kehle,
Weil sie's mit klarem Wort nicht sagen können.«
So kreisten wir um einen großen Bogen
Der Pfütze, zwischen Moor und festem Riffe,
Den Blick auf jene, die den Schlamm verschlucken.
Zu eines Turmes Fuß zuletzt gelangend.

Achter Gesang

Fortfahrend sag' ich, daß um vieles früher,
Als wir zum Fuß des hohen Turms gelangten,
Sich unser Aug' erhob zu seinem Gipfel
Ob zweier Flämmchen, die wir richten sahen,
Und eins von fern das Zeichen wiedergeben
So weit, daß kaum das Aug' es mocht' erreichen.
Und ich, zum Meer mich wendend aller Einsicht,
Sprach: ›Was besaget dies, und was antwortet
Das andre Feu'r, und wer hat sie entzündet?‹
Und er zu mir: »Fern auf den schlamm'gen Fluten
Kannst du erkennen schon, was uns erwartet,
Wenn es dir nicht verbirgt der Dunst der Lache.«
Nie hat der Strang noch einen Pfeil geschnellet,
Der durch die Luft so rasch dahingestrichen,
Als durch das Wasser ich ein kleines Schifflein
Alsbald heran sah kommen uns entgegen,
Von einem Steuermann allein geleitet,
Der rief: »So bist du da, verruchte Seele?« –
»Phlegias, Phlegias, für diesmal schreist du
Vergebens,« sprach mein Meister, »länger hältst du
Uns nicht, als hier die Überfahrt des Sumpfs währt.«
Gleich jenem, der, von großem Truge hörend,
So man ihm angetan, nun drob ergrimmet,
Ward Phlegias jetzt im Zorn, der ihn ergriffen.
Mein Führer stieg hinab nun in das Schifflein
Und hieß darauf zu sich hinein mich treten;
Doch erst, als ich drin war, schien es belastet.
Sobald ich mit dem Führer war im Fahrzeug,
Flog hin der alte Kiel, nun tiefer schneidend
Ins Wasser, als er sonst mit andern pfleget.
Indes den toten Graben wir durchliefen,
Kam einer vor das Antlitz mir voll Schlammes
Und sprach: »Wer bist du, der du vor der Zeit kommst?«
Und ich zu ihm: ›Ich komme, doch nicht bleib' ich.
Doch wer bist du, der häßlich so geworden?‹
Er drauf: »Du siehst's, ein weinend Wesen bin ich!«
Und ich zu ihm: ›Beim Weinen und beim Klagen,
Vermaledeiter Geist, magst du verbleiben!
Ich kenne dich, obgleich du ganz besudelt.‹
Da streckt' er nach dem Fahrzeug beide Hände;
Drob der erfahrne Meister ihn hinwegstieß
Und sprach: »Fort, dorthin zu den andern Hunden!«
Den Hals umschlang er drauf mir mit den Armen,
Küßt' mir die Wang' und sprach: »Du Feuerseele,
Gebenedeit sei sie, die dich empfangen!
Der ist ein Stolzer in der Welt gewesen,
Es schmückt sein Angedenken keine Tugend,
Und so ist auch hier noch sein Schatten rasend.
Wie viel' ehrt man als große Fürsten droben,
Die, Schweinen gleich, im Kot hier stecken werden,
Graunvolle Flüche hinter sich verlassend.«
Und ich: ›Mein Meister, sehr begierig war' ich,
In diesen Schlamm versenken ihn zu sehen,
Bevor wir aus der Lache uns entfernen.‹
Und er zu mir drauf: »Eh' sich noch das Ufer
Dir zeiget, wird befriedigt dein Verlangen,
Und billig freust du dich gerechten Wunsches.«
Bald aber sah ich solcherlei Mißhandlung
Von jenem schlammbedeckten Volk ihm antun,
Daß Gott ich noch darüber lob' und preise.
Sie schrien alle: »Auf, Philipp Argenti!«
Die Florentinische, zornmüt'ge Seele
Wandte sich auf sich selber mit den Zähnen.
So ließen wir ihn. – »Mehr von ihm nicht sag' ich.« –
Doch traf die Ohren mir ein solches Jammern,
Daß mit erschloßnem Blick ich vorwärts schaute.
Der gute Meister sprach: »Mein Sohn, jetzt naht sich
Die Stadt, die Dis genannt wird, mit den Bürgern,
Den schwerbeladnen, mit der großen Menge.«
Und ich: ›Mein Meister, ihre Minarete
Erkenn' ich deutlich schon dort in dem Tale
Glutrot, als ob sie aus dem Feuer kämen.‹
Und jener sprach zu mir: »Das ew'ge Feuer,
Das drinnen glüht, macht sie dir rot erscheinen,
Wie du nun schaust in dieser untern Hölle.«
Wir kamen endlich in die tiefen Gräben,
Die jene hoffnungslose Stadt umwallen,
Von Eisen schienen mir zu sein die Mauern.
Nicht ohne erst noch weit herumzukreuzen,
Gelangten zu dem Ort wir, wo der Schiffer
Laut zu uns rief: »Steigt aus, hier ist der Eingang!«
Über den Toren sah ich mehr denn tausend
Herabgeregnete vom Himmel, die uns
Voll Trotz zuriefen: »Wer ist's der die Reiche
Des toten Volkes ohne Tod durchwandelt?«
Mein weiser Meister drauf macht' ihnen Zeichen,
Daß heimlich er mit ihnen sprechen wolle.
Da zähmten sie den großen Zorn ein wenig
Und sagten: »Komm allein, doch jener gehe,
Der durch dies Reich so kecklich eingedrungen,
Allein kehr' er zurück des tollen Weges.
Versuch' er's, wenn er's kann; doch du wirst bleiben,
Der auf so finstrer Straße ihn geleitet!«
Bedenke, Leser, ob ich mich entmutigt
Beim Klange der vermaledeiten Worte,
Denn nimmermehr vermeint' ich heimzukehren.
,O teurer Führer, der du siebenmal und
Wohl öfter mir die Zuversicht erneut hast,
Mich aus Gefahr und Hindernis errettend,
Verlaß mich nicht,' sprach ich, ,hier wie vernichtet,
Und ist mehr vorzudringen uns verweigert,
Laß schnell auf unsrer Spur zurück uns kehren.'
Und jener Hohe, der mich hingeführet,
Sprach: »Fürchte nichts, denn rauben kann uns niemand
Den Weg, den uns ein Mächtiger gewähret.
Doch harre meiner hier und tröst' und nähre
Den abgespannten Geist mit guter Hoffnung.
Nicht werd' ich in der tiefen Welt dich lassen.«
So geht von dannen und verläßt allhier mich
Der süße Vater, daß ich zweifelnd stehe,
Weil Ja und Nein mir in dem Haupte streiten.
Was jenen drauf er bot, konnt' ich nicht hören,
Allein nicht lang noch stand er dort bei ihnen,
Als jeglicher hineinfloh um die Wette.
Die Tore schlossen unsre Widersacher
Dicht vor dem Meister, welcher ausgesperrt nun
Langsamen Schritts zurück zu mir sich wandte.
Den Blick am Boden und die Stirn entblößet
Von stolzem Mute, sagt' er nur durch Seufzen:
»Wer weigert mir, ins Jammerhaus zu treten?«
Allein zu mir sprach er: »Weil ich erzürnt bin,
Erschrick nicht; in dem Wettstreit werd' ich siegen,
Wer drin auch zur Verteidigung sich rege.
Dies ihr Vermessen ist nicht neu; sie übten
Es schon an weniger geheimer Pforte,
Die sich seitdem noch ohne Schloß befindet,
Und wo des Todes Inschrift du erblicktest.
Schon steigt diesseits von ihr den Abhang nieder,
Herwandelnd durch die Kreise sonder Führer,
Ein solcher, dem die Stadt sich wird eröffnen.«

Neunter Gesang

Mein innre Furcht verratendes Erblassen,
Als ich den Führer sah sich rückwärts wenden,
Schien, was ihn neu bewegte, zu verschließen.
Aufmerksam stand er wie ein Mann, der lauschet,
Denn fern nicht konnten seine Augen tragen,
Weil Nebel rings den dunklen Luftkreis füllten.
»Doch kommt's uns zu, im Kampf zu siegen,« sprach er,
»Wo nicht – ist er nicht mächtig, der sich anbot,
O wie verlangt mich, daß ein andrer nahe!«
Ich sah wohl, wie den Anfang seiner Red' er
Bemäntelt mit dem andern, was drauf folgte,
Das ganz verschieden lautete vom erstern;
Doch um nichts minder gab mir Furcht sein Reden,
Weil ich vielleicht bezog auf schlimmre Meinung,
Als er gehegt, die abgebrochnen Worte.
,Stieg einer je vom ersten Grad hernieder,
Dem nur der Hoffnung Mangel ward zur Strafe,
Zu diesem Abgrund des graunvollen Beckens?'
Die Frage tat ich; er darauf: »Nur selten
Trifft sich's,« entgegnet' er, »daß unsereiner
Den Weg betritt, auf dem ich jetzo wandle;
Wahr ist's daß ich schon einmal war hienieden,
Als jene graus' Erichtho mich beschworen,
Die heim zu ihren Körpern rief die Schatten.
Vor kurzem war das Fleisch erst meiner ledig,
Als sie mich sandt' in dieser Mauer Umkreis,
Um einen Geist aus Judas' Kreis zu ziehen,
Der ist der tiefste, finsterste der Orte,
Vom Himmel, der das All umkreist, am weit'sten.
Ich weiß die Straße wohl; drum sei getrost nur.
Die Lache, so die große Fäulnis aushaucht,
Umgürtet rings umher die Stadt des Jammers,
In die wir ohne Zorn nicht dringen mochten.«
Und andres sprach er, doch mir ist's entfallen,
Weil sich mein Auge ganz hinauf gewendet
Zum hohen Turme mit der glüh'nden Spitze,
Wo ich im Augenblick stracks aufgerichtet
Drei höll'sche Furien, blutgefärbt, erblickte,
Die weibliche Gebärd' und Glieder hatten.
Hochgrüne Hydern waren ihre Gürtel,
Blindschleichen und Zerasten ihre Haare.
Die sich um ihre grausen Schläfen schlangen.
Und jener, welcher wohl die Dienerinnen
Der Königin des ew'gen Jammers kannte, –
»Schau!« rief er, »die Erinnyen, die grimmen!
Dies ist Megära an der linken Seite,
Die weinende zur Rechten ist Alekto,
Tisiphone dazwischen!« Hier verstummt' er.
Auf riß die Brust sich jede mit den Nägeln,
Sie schlugen in die Händ' und schrien so heftig,
Daß ich aus Furcht mich anschmiegt' an den Dichter.
»Medusa komme, daß zu Schmelz er werde!«–
So sprachen alle sie, herniederblickend,–
»Schlimm war's, daß Theseus' Anfall wir nicht rächten.«
»Wende dich rückwärts und verbirg dein Antlitz;
Denn wenn sich Gorgo zeigt und du sie sähest,
Wär' keine Heimkehr mehr für dich nach oben.«
So sprach der Meister, und er selber wandte
Mich um, und so nicht gnügten meine Händ' ihm,
Daß er nicht noch mich mit den seinen deckte.
O ihr, die mit gesundem Geist begabt seid,
Betrachtet wohl die Lehre, die verborgen
Liegt unterm Schleier seltsamen Gedichtes.
Und schon kam auf uns durch die trüben Fluten
Das Krachen eines schreckenvollen Tones,
Wovon die Ufer beiderseits erbebten.
Nicht anders war's, als daß von einem Sturme,
Der, tobend ob des Widerstands der Gluten,
Unwiderstehlich auf den Wald sich stürzet,
Die Äste bricht, hinwirft und raubt die Blüten,
Gehüllt in Staubeswolken stolz einhergeht
Und fliehen macht die Herde und den Hirten.
Die Augen löst' er mir und sprach: »Jetzt richte
Auf jenen alten Schaum den Nerv des Sehens,
Dorthin, wo jene Dünste sind am herbsten.«
Wie vor der Schlange feindlicher Erscheinung
Die Frösche all' im Wasser sich verlieren,
Bis sie zusammen sich geduckt am Grunde,
Sah ich zerstörter Seelen mehr denn tausend
Vor einem fliehen, der am Übergange
Den Styx durchschritt mit ungenetzten Sohlen.
Vom Angesicht entfernt' die dichte Luft er,
Gar öfters mit der Linken vorwärts greifend,
Und nur von solcher Qual schien er belästigt.
Wohl merkt' ich, daß vom Himmel er gesandt sei,
Und wendete zum Meister mich, der winkte
Mir, stillzustehn und mich vor ihm zu neigen.
O wie er mich so voll Unwillens deuchte.
Zur Pforte kam er, und mit einem Stäbchen
Öffnet' er sie, da war kein Widerstreben.
»O schmählich Volk, vertrieben aus dem Himmel!«
Begann er auf der grausenvollen Schwelle,
»Wodurch erwächst in euch solch ein Vermessen,
Was seid ihr widerspenstig jenem Willen,
Dem nimmermehr sein Ziel geraubt kann werden,
Und der zum öftern eure Pein schon mehrte?
Was hilft's, sich gegen das Geschick zu stemmen?
Drum eben ist, wenn ihr euch recht erinnert,
Ja Cerberus haarlos an Hals und Kinne.«
Dann wandt' er heim sich durch die schlamm'ge Straße
Und sprach kein Wort zu uns, sondern sein Antlitz
War eines Mannes, welchen andre Sorge
Als des, der vor ihm stehet, drängt und stachelt.
Und wir nun lenkten unsern Schritt der Stadt zu,
Gesichert durch den Klang der heil'gen Worte.
Wir traten ohne Kampf hinein ins Innre,
Und ich, der zu betrachten war begierig,
Was solche Festung wohl in sich verschließe,
Ließ, als ich drin war, rings die Augen kreisen
Und sah zu jeder Hand ein groß Gefilde
Mit Jammer angefüllt und großen Martern.
So wie bei Arles dort, wie die Rhone stauet,
So wie bei Pola nahe beim Quarnaro,
Der Welschland schließt und seine Mark bespület.
Viel Gräber rings die Statt' uneben machen:
So sah ich deren hier auf allen Seiten,
Nur daß noch bitterer daselbst die Weise;
Denn zwischen diesen Särgen waren Flammen
Verstreut, durch welche sie so ganz erglühten,
Daß keine Kunst mehr von dem Eisen fordert.
All' ihre Deckel waren aufgeschlagen,
Und draus erklang wohl ein so herbes Jammern,
Daß es von Armen schien und von Geplagten.
Und ich: ›Mein Meister, wer sind diese Leute,
Die, eingesarget dort in jenen Laden,
Ihr Dasein durch ein kläglich Seufzen künden?‹
Und er zu mir: »Hier sind die Irrtumstifter
Mit ihren Jüngern, aller Sekten, und wohl
Mehr, als du glaubst, beladen sind die Gräber;
Mit ähnlichen sind ähnliche begraben,
Und mehr und minder sind die Gräber glühend.«
Drauf wandt' er sich zur Rechten, und wir schritten
Nun zwischen Martern hin und hohen Zinnen.

Zehnter Gesang

Jetzt geht es vorwärts auf geheimem Pfade
Zwischen den Martern und dem Wall der Stadt hin,
Mein Meister und ich, seinen Fersen folgend.
›O hohe Kraft, die durch der Frevler Kreise
Mich lenkest,‹ fing ich an, ›wie dir's gefällig,
Sag' und befriedige mir meine Wünsche:
Kann man das Volk, das in den Gräbern ruhet,
Nicht näher sehn? Denn alle Deckel sind ja
Geöffnet schon, und niemand hält dran Wache.'
Und er zu mir: »Die werden all' geschlossen,
Wenn heim vom Tale Josaphat sie kehren
Mit ihren Körpern, die sie droben ließen.
Auf dieser Seit' hat ihre Grabesstätte
Mit Epikurus seine ganze Schule,
Die mit dem Körper läßt die Seele sterben.
Und dort drin wirst du bald befriedigt werden
Auf alle Fragen, die du ausgesprochen,
Und ob des Wunsches auch, den du verschweigest.«
Und ich: ›O guter Führer, nicht verberg' ich
Mein Herz, nur bündig möcht' ich mit dir sprechen,
Und dessen hast du unlängst mich ermahnet.‹
»O Tuscier, der du durch die Stadt des Feuers
Lebendig wallst, mit ehrenwerter Rede,
Laß dir's gefallen, an dem Ort zu weilen!
Ich muß an deiner Sprache dich erkennen,
Als aus der edlen Vaterstadt gebürtig,
Der ich wohl allzu lästig einst gewesen!«
Urplötzlich tönt' es aus der Laden einer
Also hervor, drum ich, von Furcht ergriffen,
Mich etwas näher meinem Führer anschloß.
Und er zu mir: »Wende dich um! Was tust du?
Sieh Farinata, der sich aufgerichtet;
Vom Gürtel aufwärts kannst du ganz ihn schauen.«
Schon heftet' ich mein Antlitz auf das seine,
Und jener hob den Busen und die Stirne,
Als ob der Hölle trotzig Hohn er spräche.
Und zwischen ihn nun und die Gräber stießen
Mich meines Führers Hände rasch und mutig,
Der sprach dazu: »Gezählt' sei'n deine Worte!«
Sobald ich kam zum Fuße seines Grabes,
Blickt' er mich eine Weil' an, und dann fragt' er
Wie zürnend mich: »Wer waren deine Väter?«
Und ich, der zu gehorchen war begierig,
Verbarg ihm nichts, nein, ließ ihn alles wissen;
Drauf er ein wenig aufwärts zog die Brauen
Und sprach: »Sie waren fürchterliche Feinde
Mir, meinen Vätern, meinem ganzen Anhang,
So daß ich zu zwei Malen sie zerstreute.«
›Wenn auch verjagt, so kehrten beide Male
Sie allenthalben heim,‹ gab ich zur Antwort,
›Doch eure haben schlecht die Kunst erlernet!‹
Da stieg, enthüllt vom Deckel, augenscheinlich
Nächst ihm empor ein Schatten bis zum Kinne;
Denn auf die Knie, schien's, hatte er sich erhoben.
Er blickt' um mich herum, als ob er wünsche
Zu sehn, ob jemand andres mit mir wäre;
Doch, da sich sein Vermuten ganz erledigt,
Sprach weinend er: »Wenn durch des Geistes Hoheit
In diesem düstern Kerker du einhergehst,
Wo ist mein Sohn? Warum ist er nicht mit dir?«
Und ich zu ihm: ›Nicht von mir selber komm' ich,
Denn mich geleitet jener, der dort harret,
Den euer Guido wohl gering geschätzt hat.‹
Es hatten seine Worte und die Weise
Der Strafe seinen Namen mir verraten,
Drum konnt' ich ihm so volle Antwort geben.
Stracks aufgerichtet rief er aus: »Wie sagst du,
Er hat gering geschätzt? – Lebt er denn nicht mehr,
Trifft nicht das süße Licht mehr seine Augen?«
Als er gewahr ward eines kurzen Zögerns,
Indem ich vor der Antwort war befangen,
Fiel rückwärts er und kam nicht mehr zum Vorschein.
Doch der hochherz'ge andr', um dessen willen
Ich stehn geblieben, ändert' nicht sein Antlitz,
Hielt starr den Hals und beugte nicht die Seite.
»Und wenn,« sprach er, in seiner ersten Rede
Fortfahrend, »schlecht sie diese Kunst erlernet,
So martert mich dies mehr als dieses Bette;
Doch fünfzigmal nicht wird vom neu'n erglühen
Das Antlitz jener Herrin, die hier herrschet,
Bis du erfährst, wie schwer die Kunst dir lastet.
Und willst du in der süßen Welt je weben,
So sprich, warum ist gegen meinen Stamm doch
Dies Volk erbarmungslos in jeder Satzung?«
›Die große Niederlage und das Blutbad,‹
Sprach ich drauf, ›welches rot die Arbia färbte,
Gibt solchen Ratschluß ein in unsern Hallen.‹
Nachdem er seufzend drauf das Haupt geschüttelt,
»Nicht ich allein war's,«, sprach er, »noch gewißlich
Wär' ohne Grund gekommen ich mit andern;
Doch ich allein war's, welcher dort, wo alle
Einwilligten, Florenz hinwegzureißen,
Mit offner Stirn der Stadt Partei genommen.«
›Wenn euer Samen je soll Ruhe finden,‹
Fleht' ich ihn an, ›so löset mir den Knoten,
In welchen hier mein Urteil sich verstrickt hat.
Es scheint, ihr seht, wenn ich euch recht verstanden,
Im voraus, was die Zeit mit sich herbeiführt,
Doch für die Gegenwart verhält sich's anders.‹
»Wir sehn, wie einer, der ein schwach Gesicht hat,
Die Dinge,« sprach er, »die von uns entfernt sind;
So viel noch läßt der höchste Fürst uns schimmern.
Doch wenn sie annahn oder da sind, schwindet
All unser Sinn, und bringt kein andrer Botschaft,
So wissen wir nichts von der Menschen Treiben.
Darum begreifst du wohl, daß unser Wissen
Ganz tot sein wird von jenem Augenblicke,
Da sich das Tor der Zukunft wird verschließen.«
Da sprach ich, von des Zögerns Schuld zerknirschet:
›Gebt dann dem, welcher dort zurücksank, Kunde,
Daß noch den Lebenden sein Sohn vereint ist,
Und wenn vorher ich blieb die Antwort schuldig,
So sagt ihm, daß es nur geschah, weil ich schon
Dem Zweifel nachsann, den ihr mir gelöst habt.‹
Und schon rief mich zu sich zurück mein Meister,
Drob ich nun schneller von dem Geist begehrte,
Daß er mir sage, wer mit ihm hier weile,
Er sprach zu mir: »Mit mehr denn tausend lieg' ich
Allhier, hierdrinnen ist der zweite Friedrich,
Der Kardinal auch, von den andern schweig' ich.«
Hierauf verbarg er sich, und meine Schritte
Wandt' ich dem alten Dichter zu; die Rede,
Die feindlich mir geschienen, überdenkend.
Er aber brach nun wieder auf und fragte
Im Weitergehn: »Was hat dich so verwirret?«
Und da ich seiner Frage drauf genüget,
Ermahnte also mich der Weise: »Was du
Hier Feindliches vernommen hast, bewahre;
Doch jetzt merk' auf (hier zeigt' er mit dem Finger),
Wenn du dort stehst vor ihrem holden Strahle,
Die mit den schönen Augen alles schauet,
Wird klar durch sie dir deines Lebens Reise.«
Er wandt' den Schritt zur Linken nun; die Mauer
Verlassend, wallten wir zur Mitt' auf einem
Fußpfad, der an ein Tal stieß, wo bis oben
Uns widerliche Duft' entgegenqualmten.

Elfter Gesang

Am obern Saume eines hohen Ufers,
Das Felsentrümmer bildete im Kreise,
Gelangten wir ob grausenvollre Haufen.
Dort, wegen fürchterlichen Übermaßes
Des Stankes, den der tiefe Abgrund auswirft,
Verbargen dicht wir hinter einem großen
Grabdeckel uns, auf dem ich eine Schrift sah,
Besagend: ›Anastasius verwahr' ich,
Den Papst, den ab vom rechten Weg Photin zog.‹
»Es muß sich unser Niedergang verzögern,
So, daß sich an den schlimmen Duft der Sinn erst
Etwas gewöhn', und dann verschlägt's nicht weiter.«
Der Meister so; und zu ihm sprach ich: ›Einen
Ersatz sinn' aus, daß nicht umsonst die Zeit uns
Verstreich'.‹ Und er: »Du siehst, daß ich dran denke.
Mein Sohn, es sind noch, stufenweise sinkend,
Drei kleinre Kreis' in dieses Felsens Umfang,« –
Begann er drauf, – »den hinterlegten ähnlich.
Erfüllt sind alle mit verfluchten Geistern.
Doch, daß dir gnüge dann am Schaum, vernimm jetzt,
Wie und warum sie eingekerkert liegen.
Jedweder Bosheit, die des Himmels Haß trifft,
Ist Unrecht Zweck, und solchen Zweck erreicht man
Bald durch Gewalt, durch Trug bald, andern schadend.
Doch weil der Trug des Menschen eignes Übel,
Mißfällt er Gott mehr, und drum sind zu unterst
Die Trügrischen von größerm Schmerz befallen.
Den ersten Kreis füllt, wer Gewalttat übte;
Doch da man drei Personen kann Gewalt tun,
Ist er gefügt in drei getrennte Zirkel.
Gewalt tun kann man Gott, sich selbst, dem Nächsten;
Ich mein' an ihnen selbst und an dem Ihren,
Wie du mit offenem Beweis wirst hören.
Mord mit Gewalt und schmerzliche Verwundung
Übt man am Nächsten, und an seiner Habe
Zerstörung, Brand und unrechtmäßig Rauben.
Drum peinigt Mörder auch und die, so böslich
Verwunden, Räuber und Verwüster, sämtlich
Der erste Zirkel, in verschiednen Scharen.
Gewaltsam kann an sich man Hand anlegen
Und auch an seine Güter, und darum muß
Im zweiten Zirkel fruchtlos Reu' empfinden
Jedweder, der sich eurer Welt beraubet,
Verspielt sein Eigentum und es vergeudet
Und, statt der Lust, sich Tränen nur bereitet.
Gewalt verüben kann man an der Gottheit,
Sie mit dem Herzen leugnend und verlästernd
Und die Natur und ihr Geschenk verschmähend.
Darum nun brandmarkt auch der engste Zirkel
Cahors und Sodoma mit seinem Siegel,
Den Trug, der stets Gewissensbiss' erreget,
Kann gegen den, der einem traut, man üben
Und gegen den, der kein Vertraun gefaßt hat.
Auf letztre Art wird nur das Band der Liebe,
So die Natur erschaffen hat, vernichtet.
Drum ist im zweiten Kreis auch eingenistet
Heucheln und Schmeicheln und wer Zauberei treibt,
Verfälschung, Diebstahl, Simonie und Kuppeln,
Bestechlichkeit und mehr dergleichen Unflat.
Auf erstre Art vergißt man, nächst der Liebe,
So die Natur schafft, jene, die hinzukommt,
Aus der sich der besondre Glaub' erzeuget.
Drum wird im engsten Kreis im Mittelpunkte
Des Weltalls auch, auf welchem Dis den Sitz hat,
Wer da verrät, in Ewigkeit verzehret.«
Und ich: ›Mein Meister, gar wohl deutlich schreitet
Vor dein Bericht und unterscheidet trefflich
Den Schlund und jene, die ihn innehaben;
Doch sage mir, die in der schlamm'gen Lache,
Die dort die Windsbraut jagt, der Regen anschlägt,
Und die sich mit so herbem Wort begegnen,
Warum, wenn sie in Gottes Zorn sind, leiden
Sie innerhalb der glüh'nden Stadt nicht Strafe,
Und sind sie's nicht, was trifft sie solch Verfahren?‹
Und er zu mir: »Warum doch schwärmt dein Geist mehr,
Als sonst er pfleget? Oder auf was anders
Hat nun dein Sinn sein Augenmerk gerichtet?
Erinnerst du dich nicht mehr jener Worte,
Mit denen deine Sittenlehr' gedenket
Der drei Gesinnungen, verhaßt im Himmel,
Unmäßigkeit und Bosheit, und der tolle
Viehische Sinn; daß minder Gott beleidge
Unmäßigkeit, und mindern Tadel ernte?
Und wenn du wohl auf diese Sätze merkest
Und in den Sinn dir heimrufst, wer sie waren,
Die außerhalb dort oben Buß' erleiden,
Wirst klar du sehn, warum von diesen Frevlern
Getrennt sie sind, und weshalb minder zürnend
Sie die Gerechtigkeit zermalmt des Ew'gen.«
›O Sonne, jeden trüben Blick erhellend,
So sehr befriedigt stets mich deine Lösung,
Daß minder nicht mich Zweifeln freut als Wissen.
Noch einmal wende dich ein wenig rückwärts,‹
Sprach ich, ›dorthin, wo's hieß, daß Wucher Gottes
Geschenk beleid'g', und so entwirr' den Knoten.‹
»Philosophie belehret ihre Jünger,«
Sprach er zu mir an mehr als einer Stelle,
»Wie die Natur aus dem Verstand der Gottheit
Den Ursprung hat und aus der Kunst des Schöpfers.
Und finden wirst du, wenn du wohl in deiner
Physik nachforschen willst, nach wenig Seiten,
Daß eure Kunst, so viel ihr möglich, jener,
So wie der Schüler seinem Meister, folget,
So daß wie Gottes Enk'lin eure Kunst ist.
Durch diese beiden, wenn du dich erinnerst
Des Buchs der Genesis im Anfang, soll sich
Die Menschheit Unterhalt und Reichtum schaffen.
Doch weil der Wuchrer andre Wege einschlägt,
Verschmäht er die Natur an sich, verschmäht sie
In ihrer Jüng'rin, da er hofft auf andres.
Doch folge mir; denn mir gefällt's zu wandeln.
Die Fische zittern schon am Horizonte,
Ganz gen den Caurus liegt der Himmelskarren,
Und weiterhin dort geht's den Fels herunter.

Zwölfter Gesang

Der Ort, wo wir zum Niedergang gelangten,
War steinig und so graus ob seines Inhalts,
Daß jeder Blick zurückgeschaudert hätte.
Wie jener Bergfall ist, der eine Seite
Der Etsch diesseits Trient bedrängt, sei's, daß einst
Die Erd' erbebt, sei's, daß der Grund gewichen,
Denn von des Berges Höh', dem er entstürzte,
Zur Ebn' ist so herabgerollt das Steinwerk,
Daß es von oben einen Pfad gewähret;
So ging es an dem Abhang hier herunter,
Und auf dem Gipfel des geborstnen Schachtes
War Kretas Schandmal ausgestreckt zu schauen,
Das in dem falschen Bild der Kuh erzeugt ward.
Als es uns nun erblickt', biß es sich selber
Gleich einem, den der Zorn verzehrt im Innern.
Ihm rief mein weiser Führer zu: »Du meinest
Vielleicht, daß dies der Herzog von Athen sei,
Der oben in der Welt den Tod dir brachte.
Fort, Ungeheuer, denn nicht naht sich dieser,
Von deiner list'gen Schwester unterwiesen,
Er geht, um eure Qualen zu betrachten!«
Gleich wie der Stier, der sich dem Strick entrissen,
Nachdem er schon empfing den Stoß des Todes,
Nicht fähig mehr, zu wandeln, hin und her springt,
So sah ich hier den Minotaurus rasen.
Da rief der kluge Führer: »Eil' zum Passe,
Gut ist's, hinabzusteigen, weil er wütet.«
So ging es weiter abwärts durch den Umsturz
Des Steingerölls, das unter meinem Fuß oft
Sich ob der ungewohnten Last bewegte.
Nachdenkend schritt ich vor; doch er: »Du denkst wohl
Ob diesem Sturz nach, den des Untiers Wüten
Bewachet, das ich eben jetzt beschwichtigt.
Nun wisse, daß, als ich das andre Mal hier
Herniederstieg in diese tiefe Hölle,
Noch diese Felswand nicht hinabgestürzt war.
Doch kurz vorher, wenn ich mich recht erinnre,
Eh' jener kam, der aus dem obern Kreise
Dem Dis die große Beute abgenommen,
Zitterte so das tiefe Tal des Grausens
An allen Enden, daß ich meint', es fühle
Das All die Sympathie, die, wie geglaubt wird,
Schon oft die Welt ins Chaos umgewandelt;
Und damals war's auch, wo der alte Felsen
Hier und an andrer Stelle umgestürzt ward.
Doch werfe nun zu Tal den Blick, es naht sich
Der blut'ge Strom, wo jeglicher muß sieden,
Der durch Gewalttat andern Schaden zufügt.«
O blinde Gier! O unverständig Wüten,
Das uns so mächtig spornt im kurzen Leben
Und dann im Ewigen so schnöd' uns einweicht.
Ein breiter Graben war's, den ich erschaute,
Im Bogen rings die ganze Fläch' umfassend,
Wie mein Begleiter mir berichtet hatte,
Und zwischen diesem und der Felswand sprengten
Zentauren hint'reinander, pfeilbewaffnet,
Wie in der Welt sie auf die Jagd gezogen.
Stehn blieben all', da sie herab uns kommen
Gesehn, und drei nur, mit vorher erlesnem
Geschoß und Bogen, trennten aus der Schar sich.
Doch einer rief von weitem: »Welcher Marter
Seid ihr bestimmt, die ihr das Riff herabsteigt?
Von dort aus sagt's, sonst schnell' ich los den Bogen!«
Zu ihm sprach drauf mein Meister: »Antwort werden
Dem Chiron dort wir in der Nähe geben;
Verderblich rasch ist stets dein Sinn gewesen.«
Er dann, mich leis berührend: »Das ist Nessus,
Der wegen Dejanira starb, der Schönen,
Und aus sich selber Rache sich bereitet.
Der mittelste, der auf die Brust herabschaut,
Ist Chiron, des Achilles großer Pfleger,
Der andr' ist Pholus, der so wuterfüllt war.
Zu Tausenden umkreisen sie den Graben,
Verwundend jeden Geist, der aus dem Blute
Mehr taucht empor, als seiner Schuld gebühret.«
Jetzt nahten wir dem flücht'gen Wild uns, Chiron
Nahm einen Pfeil zur Hand, und mit der Kerbe
Strich er den Bart sich hinter seine Kiefern;
Enthüllend so den weiten Mund, begann er
Zu den Genossen: »Merkt ihr wohl, wie jener,
Der dort zuletzt wallt, was er trifft, beweget;
Das ist dem Fuß der Toten sonst nicht eigen.«
Mein guter Hort, schon an der Brust ihm stehend,
Wo beiderlei Naturen sich vermählen,
Sprach: »Wohl ist er am Leben, und ich muß ihn
So ganz allein durchs düstre Tal geleiten,
Wohin Notwendigkeit, nicht Lust ihn führte.
Vom Hallelujasingen kam hernieder,
Die dieses neue Amt mir aufgetragen.
Er ist kein Räuber, ich kein Geist des Frevels.
Doch bei der hohen Kraft, die meine Schritte
Durch diese wilde Straße lenkt, gewähr' uns
Aus dem Gefolge einen zum Begleiter,
Daß er uns zeige, wo die Furt zu finden,
Und auf dem Rücken den hinübertrage,
Denn wie ein Geist nicht wallt er durch die Lüfte.«
Zur rechten Brust gewandt, sprach jetzt zu Nessus
Chiron: »Kehr' um und führ' sie so und wehre
Den andern Scharen, wenn auf sie du stoßest.«
Wir gingen mit dem sicheren Begleiter
Nun längs dem Rand hin des blutroten Sudes,
Wo der Gesottnen lautes Schrein ertönte.
Ich sah hier Volk, versenkt bis zu den Brauen.
»Tyrannen sind's, gewöhnt,« sprach drauf der große
Zentaur, »an blut'ge Tat und Räubergriffe.
Hier weint ob so erbarmungslosen Freveln
Mit Alexander Dionys der Harte,
Der Jahre schweren Drucks Sizilien brachte.
Und jene Stirne mit dem schwarzen Haare
Ist Ezzelino, und die andre blonde
Ist Obizzo von Este, der in Wahrheit
Vom Rabensohn auf Erden ward getötet.«
Da ich zum Dichter drauf mich wandte, sprach er:
»Der sei der erste jetzt dir, ich der zweite.«
Ein wenig weiter hielt bei anderm Volke
Nun der Zentaur still, das bis zu der Kehle
Hervor aus jenem glüh'nden Strudel ragte.
In einer Eck' allein zeigt' einen Schatten
Er, sprechend: »Der durchbohrt' im Schoße Gottes
Das Herz, das an der Themse noch geehrt wird.«
Drauf sah ich andre, nebst dem Haupt den Rumpf noch
Ganz aus dem Bach emporgetragen haltend,
Von denen ich gar manchen wiederkannte.
So wurde seichter stets Blut und seichter,
Bis daß es nur die Füße noch bedeckte,
Allwo den Graben nun wir überschritten.
»Gleich wie auf dieser Seite du gesehen,
Daß dieses Pfuhles Tiefe immer abnimmt,«
Sprach der Zentaur, »so wisse, daß auf jener
Sein Grund sich immer mehr und mehr herabsenkt,
Bis er an jenen Ort sich wieder anschließt,
Wo ewiglich die Tyrannei muß seufzen.
Denn die Gerechtigkeit des Ew'gen peinigt
Dort jenen Attila, der Erde Geißel,
Pyrrhus und Sextus und preßt ewig Tränen
Den Augen aus, gebeizt vom heißen Sude,
Des Rinier von Cornet' und Rinier Pazzo,
Die so gewalt'gen Krieg auf Straßen führten.«
Drauf wandt' er sich und kehrte durch die Furt heim.

Dreizehnter Gesang

Noch war nicht jenseits Nessus angekommen,
Als wir uns schon in ein Gehölz begaben,
Das keine Spur von einem Pfade zeigte.
Nicht grün die Blätter, nein, von düstrer Farbe,
Nicht glatt die Äste, nein, gekrümmt und knotig;
Nicht Früchte gab's hier, nein, nur gift'ge Dornen.
So rauh' und dunkle Dickichte bewohnt nicht,
Selbst zwischen Cecinas Flut und Corneto,
Das grause Wild, bebaute Striche scheuend.
Hier baun ihr Nest die scheußlichen Harpyien,
Die Trojas Volk von den Strophaden trieben,
Mit trüber Kunde vorbestimmten Wehes.
Breitschwingig, menschengleich an Hals und Antlitz,
Beklaut, den weiten Bauch gefiedert, jammern
Sie auf den abenteuerlichen Bäumen.
Der gute Meister: »Eh' du weiter eintrittst,«
Begann er drauf, »wiss', daß im zweiten Zirkel
Nunmehr du bist, und drin auch wirst verbleiben,
Bis du beim grauenvollen Sandmeer anlangst;
Drum blicke wohl umher, und schauen wirst du,
Was, sagt' ich's, allen Glauben überstiege.«
Von jeder Seite her hört' ich ein Winseln
Und sah doch niemand, dem es zuzuschreiben
Gewesen war', drob ganz verwirrt ich still hielt.
Ich glaube, daß er glaubte, daß ich glaube,
Daß diese Stimmen aus dem Buschwerk kämen
Von Leuten, die sich unserm Blick verbergen.
Und drum sprach nun der Meister: »Wenn du irgend
Ein Zweiglein abbrichst von der Büsche einem,
Wird ganz zunichte werden, was du sinnest.«
Als ich ein wenig vor die Hand nun streckte,
Ein Ästchen eines großen Dornstrauchs pflückend,
Schrie laut sein Stamm: »Warum doch mich zerknicken?«
Und da er drauf vom Blute schwarz geworden,
Begann er wieder: »Was doch mich zerreißen?
Lebt in der Brust dir gar kein Geist des Mitleids?
Wir, Menschen einst, sind Schößlinge geworden;
Wohl sollte liebevoller deine Hand sein,
Selbst wenn wir Schlangenseelen nur gewesen.«
Gleich wie ein grüner Brand, wenn er, entzündet
An einem Ende, nun am andern träufelt
Und zischet, ob der Luft, die ihm entweichet,
So drangen aus dem Bruche Blut und Worte
Vereint hervor; drob mir die Zweigesspitze
Entfiel und ich ein Furchtergriffner dastand.
»Wenn er zuvor das hätte glauben können,
Gekränkte Seel',« entgegnet' ihm der Weise,
»Was ihm aus meinem Lied allein bekannt war,
So hätt' er nimmer Hand an dich geleget;
Doch das Unglaubliche der Sache ließ mich
Die Tat ihm heißen, die mir selber lastet.
Doch sag' ihm, wer du warst, daß statt der Buß' er
Den Ruf dir droben in der Welt erneure,
Wohin ihm heimzukehren ist gestattet.«
Und drauf der Stamm: »So lockt dein süßes Wort mich,
Daß ich nicht schweigen kann, euch aber sei's nicht
Zur Last, wenn im Gespräch ich mehr verweile.
Ich bin es, welcher beide Schlüssel führte
Zum Herzen Friedrichs und so sanften Druckes
Beim Öffnen und Verschließen sie gewendet,
Daß alle schier von seinem Rat ich ausschloß,
Und das ruhmvolle Amt übt' ich so treulich,
Daß drob der Schlaf mich mied, der Puls mir stockte.
Die Metze, die nie von des Cäsars Wohnung
Den Buhlerblick gewandt, sie, das gemeine
Verderben und der Höfe eignes Laster,
Entflammte gegen mich die Seelen aller,
Die, selbst entflammt, so den August entflammten,
Daß trübes Weh mir ward aus heitrer Ehre.
Mein Sinn voll zorn'gen Überdrusses, hoffend,
Im Tode der Verachtung zu entgehen,
Ließ Unrecht mich an mir Gerechtem üben.
Bei dieses Baums seltsamen Wurzeln schwör' ich's,
Daß nimmermehr ich treulos bin gewesen
An meinem Herrn, der so der Ehre wert war.
Und wenn zur Welt je einer von euch heimkehrt,
So richt' er wieder auf mein Angedenken,
Das noch darniederliegt vom Stoß des Neides.«
Nach kurzem Harren sprach: »Da er noch schweiget,«
Mein Meister drauf, »verliere nicht den Zeitpunkt,
Nein, sprich und frag' ihn, wenn du mehr noch wünschest.«
Drob ich zu ihm nun: ›Frage du ihn wieder,
Was du wohl glaubst, das mich befried'gen möchte,
Ich könnt' es nicht, so sehr betrübt mich Mitleid.‹
Darum begann er: »Wenn man je dir tun soll
Mit freiem Sinn, was deine Wort' erflehen,
Laß dir's gefallen, o gefangne Seele,
Uns zu berichten, wie der Geist sich bindet
In diese Knoten, und vermagst du's, sag' uns,
Ob einer je sich löst aus solchen Gliedern.«
Da zischte laut der Stamm, und solches Wehen
Verwandelte sich drauf in diese Stimme:
»Mit kurzen Worten will ich Antwort geben.
Wenn sich die grimme Seele von dem Körper
Entfernt, aus dem sie selbst sich losgerissen,
So weist zum Schlund, dem siebenten, sie Minos.
Sie fällt zum Wald nun, ohne Wahl des Ortes,
Doch dort, wo sie das Schicksal hingeschleudert,
Da keimet sie empor, gleich einem Spelzkorn.
Sie wächst zum Schößling auf, zum Strauch des Waldes;
Drauf die Harpyi'n, ihr Laub benagend, Schmerzen
Ihr antun und den Schmerzen Luft verschaffen.
Gleich andern treffen einst wir unsre Hüllen,
Doch nicht, daß eine neu damit sich kleide;
Denn was der Mensch sich raubt, soll er nicht haben.
Hier schleppen wir sie hin dann, und im düstern
Gehölz wird jeder Leib einst aufgehangen
Am Dornbusch, wo gequält sein Schatten wohnet.«
Wir harrten noch am Stamm in der Erwartung,
Daß er uns mehr darob berichten wolle,
Als überrascht von einem Lärm wir wurden,
Gleich einem Jäger, der auf seinem Stande
Den Eber plötzlich nah'n hört und das Treiben,
Und durch der Zweige Laub die Doggen rauschen.
Und sieh da! zwei zu unsrer linken Seite
Nackt und zerkrallt, die so gewaltig flohen,
Daß alle Gitter sie des Waldes brachen.
Der vordre: »Eil, o Tod, herbei jetzt, eile!«
Drauf schrie der andre, dem es allzu langsam
Zu gehn schien: »Lanol war doch so behende
Dein Fuß nicht bei dem Waffenspiel am Toppo.«
Und da's ihm drauf am Atem wohl gebrochen,
Verschlang er sich mit einem Strauch zum Knoten.
Dicht hinter ihnen war der Wald erfüllet
Mit schwarzen Hündinnen, in gier'gem Laufe
Windhunden ähnlich, die dem Strick entkommen.
Den, der gedrückt lag, packten mit den Zähnen
Sie nun, und trugen, stückweis' ihn zerreißend,
Die schmerzensvollen Glieder drauf von dannen.
Da faßte bei der Hand mich mein Begleiter
Und führte mich zum Busch hin, der aus blut'gen
Verletzungen fruchtlose Tränen weinte.
»O Jakob,« rief er aus, »von Sankt Andreas,
Was half es dir, daß du mit mir dich schirmtest?
Was bin ich schuld an deinem wüsten Leben?«
Mein Meister, über jenem still nun haltend,
Begann: »Wer bist du, der durch so viel Enden
Du blutgemischte Schmerzenswort' enthauchtest?«
Und er zu uns: »O Seelen, angekommen,
Die seh mähliche Mißhandlung zu betrachten,
Die meine Blätter so von mir getrennt hat,
Rafft sie am Fuß des Jammerstrauchs zusammen.
Ich war aus jener Stadt, die mit dem Täufer
Den ersten Hort vertauscht hat, drum auch dieser
Sie stets mit seinen Künsten wird betrüben,
Und wenn nicht an dem Übergang des Arno
Von ihm noch übrig eine Spur verbliebe,
So hätten jene Bürger, die von neuem

Vierzehnter Gesang

Sie auf dem Schutt, den Attila zurückließ,
Gedrängt von Liebe zum Geburtsort, rafft' ich
Nun die zerstörten Blätter auf und gab sie
Erbauten, ein vergeblich Werk begonnen.
Ich machte mir mein eigen Haus zum Galgen.«
Dem wieder, der schon sprach mit heis'rer Stimme.
Drauf kamen wir zur Grenze, wo vom dritten
Sich trennt der zweite Zirkel und der ew'gen
Gerechtigkeit graunvolle Kunst zu sehn ist.
Die neuen Dinge klar zu schildern, sag' ich,
Daß wir zu einer Heide nun gelangten,
Die kein Gewächs auf ihrem Grunde duldet.
Es kränzet sie die schmerzensreiche Waldung
Ringsum, wie diese der verruchte Graben;
Hier hielten dicht am Rand wir unsern Schritt ein.
Ein dürres festes Sandfeld war der Boden,
Ganz gleicher Art mit jenem, der vor Zeiten
Von Catos Füßen ist betreten worden.
O Rache Gottes! wie so furchtbar mußt du
Jedwedem scheinen, der es hier wird lesen,
Was meinen Augen ward geoffenbaret!
Zahlreiche Scharen sah ich nackter Seelen,
Ganz jämmerlich wohl samt und sonders weinend,
Doch schien verschiedne Satzung sie zu treffen.
Rücklings am Boden lag ein Teil des Volkes,
Ein andrer saß, zusammen ganz gekauert,
Und noch ein andrer wandelt unablässig,
Der so umherging, war an Anzahl größer,
Und minder der, so in der Marter dalag,
Doch war zum Fluch ihm mehr gelöst die Zunge.
Es regneten aufs ganze Sandmeer nieder
Langsamen Falles breite Feuerflocken,
Wie auf den Alpen Schnee an stillen Tagen.
Wie Alexander einst in jenen heißen
Landstrichen Indiens über seine Mannschaft
Sah Flammen ungedämpft zur Erde fallen,
Drob er Vorkehrung traf, den Grund zu stampfen
Durch seine Scharen, weil der Dunst noch leichter
Zu löschen war, eh' neuer noch hinzukam,
So senkte sich herab die ew'ge Lohe,
Davon der Sand, wie unterm Feuerzeuge
Der Zunder, glomm, die Qualen zu verdoppeln.
Ununterbrochen ging das Spiel beständig
Der unglücksel'gen Hände, welche hier bald,
Bald dort abschüttelten die neuen Gluten.
Ich nun begann '0 Meister, der du alles
Besiegst, nur nicht die trotz'gen Teufel, die uns
Entgegentraten bei des Tores Eingang,
Wer ist der Große, der, die Brunst nicht achtend,
So höhnend und mit scheuem Blicke daliegt,
Daß mürb ihn auch der Brand nicht scheint zu machen?'
Und jener selbst nun, der es inne worden,
Daß seinethalb ich meinen Führer fragte,
Rief: »Wie ich lebend war, bin ich auch tot noch.
Mag Jupiter auch seinen Schmied ermüden,
Von dem im Zorn er nahm den scharfen Blitzstrahl,
Der an der Tage letztem mich getroffen;
Ermüd' er all' die andern auch der Reih' nach
In Mongibellos schwarzer Schmiedewerkstatt,
'Vulkan, du Lieber, hilf mir, hilf mir!' rufend,
Wie bei der Schlacht er tat in Phlegras Tale,
Und schleudr' auf mich die ganze Kraft des Blitzes,
Doch wird er nie der Rache froh drum werden.«
Da sprach mit solcher Kraft zu ihm mein Führer.
Wie ich noch nie von ihm vernommen hatte:
»O Kapaneus, daß nimmermehr sich dämpfet
Dein Stolz, ist eben deine größte Strafe,
Denn keine Marter, als dein eigenes Rasen,
Wär' deiner Wut ein vollgeziemend Leiden!«
Drauf wandt' er sich zu mir mit mildrer Lippe
Und sprach: »Er ist der eine von den sieben
Belagrern Thebens, welcher Gott verschmähte
Und noch, so scheint's, verschmäht und wenig achtet;
Doch, wie ich ihm gesagt, es ist sein Lästern
Wohl seinem Innern ein gebührend Brandmal.
Jetzt folge mir und hab' wohl acht, die Füße
Noch nicht in den entbrannten Sand zu setzen,
Am Saum des Waldes immer dicht sie haltend.«
Stillschweigend kamen wir zu einer Stätte,
Wo aus dem Wald hervor ein Bächlein sprudelt,
Des Röte mir noch jetzt die Haare sträubet.
Wie aus dem Schwefelpfuhl der Bach entströmet,
Den dann die Sünderinnen sich verteilen,
So wallte jener durch den Sand hernieder.
Des Flußbetts Grund und beide Hänge waren
Von Stein, so wie der Ranft zu jeder Seite,
Daraus ich hier den Übergang erkannte.
»Es hat dein Auge unter all' dem andern,
Was ich gezeigt dir, seit zu jenem Tore
Wir eingetreten, dessen Schwelle niemand
Verriegelt ist, nichts so Bemerkenswertes
Annoch gesehn als gegenwärt'ges Bächlein,
Das alle Flammen über sich verlöschet.«
So lauteten die Worte meines Führers,
Drob ich ihn bat, zu spenden mir die Speise,
Nach der er Sehnsucht mir ins Herz gespendet.
»In Meeres Mitte liegt ein Land, verwüstet,
Mit Namen Kreta,« sprach zu mir nun jener,
»Zu dessen Königs Zeit schuldlos die Welt war.
Drin ist ein Berg, anmutig einst bewässert
Und laubbeschattet, Ida war sein Name.
Jetzt ist er öde, wie vom Alter modernd.
Ihn wählte Rhea zur betrauten Wiege
Des Sohnes einst und ließ dort, wenn er weinte,
Geschrei erheben, sichrer ihn zu bergen.
Ein hoher Greis steht aufrecht in dem Innern
Des Berges, nach Damiett' den Rücken wendend
Und hin auf Rom, als sei's sein Spiegel, blickend.
Von feinem Gold ist ihm das Haupt gebildet,
Aus reinem Silber Arm und Brust bestehend;
Dann folget Erz bis zu dem Spalt herunter;
Von dort ab ist er ganz gediegnes Eisen,
Nur daß gebrannter Ton der rechte Fuß ist,
Auf dem er mehr als auf dem andern feststeht.
Bis auf das Gold ist jeder Teil geborsten
Durch einen Spalt, aus welchem Tränen träufeln,
Die dann, sich sammelnd, jenen Fels durchwühlen.
In dieses Tal enstürzet ihre Strömung,
Den Acheron, Styx, Phlegethon zu bilden.
Dann geht's herab durch diese enge Rinne
Bis dort, wo man nicht ferner abwärtssteiget,
Zu bilden den Cozyt, wie diese Lache
Beschaffen, wirst du schaun, drum sag' ich's hier nicht.«
Und ich zu ihm nun: »Wenn auf solche Weise
Der Abfluß hier vor uns aus unsrer Welt kommt,
Warum erscheinet er an diesem Rand erst?«
Und er zu mir: »Du weißt, daß rund die Stätte,
Und ob du gleich schon viel in ihr hernieder
Gestiegen bist, stets links herum dich wendend,
So hast du doch noch nicht den ganzen Umkreis
Durchlaufen; drum, wenn Neues dir erscheinet,
Darf Staunen nimmer auf dein Antlitz treten.«
Ich wieder: »Meister, Phlegethon und Lethe,
Wo sind sie nur? denn von dem letztern schweigst du
Und sagst, der erstre bild' aus diesem Tau sich.«
»Wohl sind erfreulich mir all' deine Fragen,«
Antwortet' er: »doch sollte dir das Sieden
Der roten Flut alsbald die eine lösen.
Einst schaust du, aber nicht in dieser Grube,
Den Lethe, wo zum Bad die Seelen treten,
Wenn die bereute Schuld wird nachgelassen.«
Drauf sprach er: »Es ist Zeit, uns zu entfernen
Vom Busche nun; auf! folge meinen Schritten,
Bahn bieten uns die unentbrannten Ufer,
Und aller Dunst verlöschet über ihnen.«

Fünfzehnter Gesang

Jetzt trägt der harten Ufer eins von dannen uns;
Und dunkel qualmt darüber, vor dem Feuer
Verwahrend Dämm' und Flut, der Rauch des Bächleins.
Wie zwischen Brügg' und Cadsand die Flamänder,
Die Flut, die gegen sie heranstürzt, fürchtend,
Sich eine Wehr' baun, der die Brandung weiche,
Und wie die Paduaner längs der Brenta
Sie baun zum Schirm der Villen und Kastelle.
Bevor noch Kärntens Höhn die Wärme fühlen,
Dem ähnlich waren jene hier gebildet,
Nur daß von gleicher Höhe nicht, noch Stärke,
Wer er auch war, der Meister sie errichtet.
Schon waren wir so weit vom Wald entfernet,
Daß, wo er stand, ich nicht mehr unterschieden,
Ob ich auch rückwärts mich gewendet hätte,
Als uns entgegenkam ein Haufen Seelen,
Herwandelnd längs dem Damm, und unter ihnen
Sah uns jedwede an, wie wohl des Abends
Beim Neumond einer auf den andern hinblickt,
Anblinzelnd also uns mit ihren Augen,
Wie auf das Nadelöhr ein alter Schneider.
So angestarrt von solcherlei Gesellschaft,
Ward ich erkannt von einem, der, beim Saum mich
Erfassend des Gewands, rief: »Welch ein Wunder!«
Und ich, da er den Arm nach mir gestrecket,
Hing mit dem Blick an dem verbrannten Antlitz
So, daß die von der Glut zerstörten Züge
Nicht wehrten meinem Geist, ihn zu erkennen,
Und hin mein Angesicht zu seinem neigend,
Antwortet' ich: ›Seid Ihr hier, Herr Brunetto?‹
Und er: »O lieber Sohn, laß dir's gefallen,
Daß, weichend von der andern Spur, Brunetto
Latini mit dir wandl' ein Stückchen rückwärts.«
Ich sprach zu ihm: ›Aus ganzer Seel' erfleh' ich's
Und setze mich mit euch, wenn ihr es wünschet,
Dafern es dem gefällt, denn mit ihm wandr' ich.‹
»O lieber Sohn,« sprach er, »wer aus der Schar hier
Sich irgend aufhält, liegt dann hundert Jahre,
Ob auch die Glut ihn senge, unbeweglich.
Drum geh' nur fort, ich folg' am Saum des Kleids dir
Und hole wieder ein dann meine Rotte,
Die weinend wallt ob ihres ew'gen Unheils.«
Ich wagt' es nicht, vom Damm herabzusteigen
Um mich ihm gleichzustellen, doch gebücket
Hielt ich das Haupt, wie wer voll Ehrfurcht wandelt.
Er nun begann: »Welch Schicksal oder Zufall
Führt vor dem letzten Tag dich hier hernieder,
Und wer ist dieser, der den Weg dir zeiget?«
›Dort oben über uns, im heitern Leben,‹
Entgegnet' ich, ›verirrt' in einem Tale
Ich mich, bevor erfüllt noch war mein Alter.
Erst gestern morgens wandt' ich ihm den Rücken,
Doch da zu ihm ich kehrt', erschien mir jener
Und führt' mich heim nunmehr auf diesem Pfade.‹
Und er zu mir: »Wenn deinem Stern du folgest,
Kannst des ruhmvollen Ports du nicht verfehlen,
Dafern ich recht gesehn im schönen Leben;
Und wär' ich so nicht vor der Zeit gestorben,
So hätt' ich, da ich dir des Himmels Zeichen
So günstig sah, zum Werke dich ermuntert.
Doch jenes Volk, so undankbar und boshaft,
Das niederstieg von Fiesole vor Alters
Und nach dem Berg und Schieferfels noch artet,
Wird dir zum Feind ob deines Rechttuns werden,
Und da, weil sich's nicht ziemt, daß zwischen herben
Spierlingen süßer Feigen Frucht gedeihe.
Blind nennt sie eine alte Sag' auf Erden,
Ein geiziges Geschlecht voll Stolz und Mißgunst.
Sieh zu, dich ihrer Sitten zu entschlagen.
So großen Ruhm bewahret dir dein Schicksal,
Daß beide Teil' einst Hunger nach dir fühlen,
Doch wird vom Mund dann fern der Bissen bleiben.
Wohl mögen selber sich zu Streu zertreten
Die Bestien Fiesoles, doch sollen nimmer
Die Pflanze sie berühren, wenn noch eine
Dem Wust entkeimt, in der der heil'ge Samen
Der Römer auflebt, die dort wohnhaft waren,
Als solches Nest voll Bosheit ward gegründet.«
›Wenn mein Begehren ganz erfüllt der Himmel,‹
Entgegnet' ich ihm drauf,›Ihr würdet jetzt noch
Nicht aus der menschlichen Natur verbannt sein.
Denn fest bewahrt mein Sinn, ob auch voll Schmerz jetzt
Das teure, liebe, väterliche Bild mir
Von Euch, da in der Welt Ihr Tag für Tag mich
Den Weg gelehrt, wie sich der Mensch verewigt,
Und wie ich dankbar drob, so lang' ich lebe,
Müßt Ihr an meinen Worten noch erkennen.
Was Ihr von meinem Lauf erzählt, bemerk' ich
Mit anderm Spruch, es zur Erläut'rung wahrend,
Bis ich ein Weib, das dies versteht, erschaue.
So viel indes will ich Euch offenbaren,
Daß, schilt mich anders nur nicht mein Gewissen,
Ich auf das Schicksal, wie's auch sei, gefaßt bin.
Nicht neu ist solch ein Vorklang meinen Ohren,
Drum mag Fortuna immer nach Gefallen
Ihr Rad umdrehn und seinen Karst der Landmann.‹
Da wandte auf die rechte Seite rückwärts
Mein Meister sich, ins Angesicht mir blickend,
Und sprach darauf: »Recht höret, wer es merket.«
Doch drob nicht minder wandl' ich im Gespräch hin
Mit Herrn Brunetto, wer von den Genossen
Am größten und berühmt'sten wohl? ihn fragend.
Und er zu mir drauf: »Manche ziemt's zu kennen,
Von andern wird es löblich sein zu schweigen,
Weil allzu kurz die Zeit für die Erzählung.
Wiss' überhaupt, daß Geistliche, Gelehrte
Sie alle waren, groß und weltberühmet,
Die gleiche Sünd' einst auf der Welt befleckte.
Dort wallt mit jener Unglücksschar Priscianus
Und Franz Accursius, auch erblicken kannst du,
Wenn dich gelüsten sollte solches Unflats,
Den, der vom Knecht der Knechte ward vom Arno
Versetzt zum Bacchiglione, wo die Nerven,
Zu schnöder Brunst mißbraucht, er hinterlassen.
Mehr würd' ich sagen, aber Red' und Wandrung
Darf nun nicht länger dauern, denn schon seh' ich
Dort neuen Dunst vom Sandmeer sich erheben;
Es nahet Volk, mit dem mir nicht zu weilen
Vergönnt. Laß meinen Schatz dir sein empfohlen,
In dem ich leb' annoch, und mehr nicht fordr' ich.«
Drauf wandt' er sich und schien von jenen einer,
Die zu Verona durch das Blachfeld laufen
Ums grüne Tuch, und schien von ihnen jener,
Der Sieger bleibt, nicht jener, der besiegt wird.

Sechzehnter Gesang

Schon waren wir, wo man den Schall der Wässer
Vernahm, die zu dem nächsten Kreis entstürzten,
Dem Summen gleich, um Bienenkörbe tönend,
Als schnellen Laufs allzumal drei Schatten
Von einer Schar, die unter jenem Regen
Der herben Qual vorüberging, sich trennten.
Sie kamen auf uns zu und riefen sämtlich:
»Steh still du, der, nach deiner Tracht zu schließen,
Ein Bürger unsrer Stadt scheint, der verderbten.«
Weh'! welche Wunden, alt'und neu', erblickt' ich,
Die ihren Gliedern eingebrannt die Flamme!
Noch schmerzt es mich, wenn ich daran nur denke.
Auf ihren Ruf hielt horchend still mein Lehrer,
Wandt' mir das Antlitz zu und sprach: »Halt ein jetzt,
Denn diesen muß mit Achtung man begegnen.
Und wär's nicht ob der Glut, die von Natur hier
Herabgeschleudert wird, so möcht' ich sagen,
Dich zu beeifern zieme dir vor ihnen.«
Das früh're Lied begannen, da wir standen,
Von neuem sie, und, uns erreichend, faßten
Sich alle drei, umdrehend wie ein Rad sich.
Wie einst entkleidet und gesalbt die Kämpfer
Sich Blöß' und Vorteil abzulauschen suchten,
Eh' sie einander Schlag und Stoß versetzten,
So wendete ein jeglicher das Antlitz
Mir wirbelnd zu, daß in verkehrter Richtung
Der Hals beständig umlief mit den Füßen.
»Und wenn das Elend dieser sand'gen Stätte
Und unser traurig, lautlos Antlitz uns auch
Und unser Flehn verschmähn läßt,« fing der ein' an,
»So rühre deinen Sinn doch unser Nachruhm,
Uns, wer du bist, zu sagen, der die Hölle
So sonder Fahr durchstreicht, lebend'gen Fußes.
Er, dessen Spur du hier mich siehst betreten,
Obgleich er nackt jetzt und zerfleischt einhergeht,
War einst von größrer Würd', als du wohl glaubest.
Der trefflichen Waldrada Enkel ist er,
Mit Namen Guido Guerra, der im Leben
Viel durch den Rat, viel mit dem Schwert vollbrachte.
Der andre, hinter mir den Flugsand stampfend,
Tegghiajo Aldobrandi ist, des Stimme
Man droben in der Welt wohl hören sollte.
Und ich, mit ihnen hier ans Kreuz geschlagen,
Bin Jacob Rusticucci, und gewißlich,
Das schlimme Weib bringt mir am meisten Schaden.« –
Wenn vor dem Feuer sicher ich gewesen,
Hätt' ich mich unter sie herabgestürzet,
Und wohl gelitten, glaub' ich, hätt's der Meister.
Doch weil ich mich gesengt dort und verbrennet,
Ward von der Furcht besiegt mein guter Wille,
Der mir Begierde gab, sie zu umarmen.
Drauf ich begann:›Verachtung nicht, nein, Kummer,
Hat euer Zustand mir so tief ins Innre
Geprägt, daß er nur langsam ganz entschwindet,
Sobald mir dieser mein Gebieter Worte
Gesagt, aus denen ich wohl schließen mochte,
Daß Männer euresgleichen sich uns nahten.
Von eurer Stadt bin ich, und immer habe
Ich eurer Taten und verehrten Namen
Gedacht mit Lieb' und sie erwähnen hören.
Den Wermut flieh'nd, wall' ich der süßen Frucht zu,
Die der wahrhaft'ge Führer mir versprochen,
Doch muß ich bis zum Mittelpunkt erst stürzen.‹ –
»Wenn lange Zeit der Geist noch deine Glieder
Bewegen soll,« antwortet' drauf mir jener,
»Und wenn dein Ruf nach dir noch soll erglänzen,
Sprich, wohnen Edelsinn und Tapferkeit noch
In unsrer Stadt, wie sie gepfleget, oder
Sind ganz und gar aus ihr sie jetzt entflohen?
Denn dort Wilhelm Borsiere, der seit kurzem
Mit uns hier klagend wallt mit den Genossen,
Hat uns gar sehr gequält durch seine Worte.« –
›Das neue Volk, der schnellgewachsne Reichtum
Hat Stolz und Übermut in dir erzeuget,
Florenz, so daß du schon dich drob beklagest!‹
So rief ich mit emporgehobnem Antlitz;
Die drei nun, hier die Antwort ahnend, starrten
Einander an, wie man die Wahrheit anstarrt.
»Wenn es dir künftig mehr nicht kostet, andern
Genugzutun,« antworteten sie alle,
»O glücklich du, der frei den Sinn du äußerst!
Drum wenn du einst aus diesen finstern Stätten
Entrinnst, die schönen Sterne wieder schauend,
Und es dich dann: ›Dort war ich!‹ freut zu sagen,
So unterlasse nicht, von uns zu sprechen.«
Drauf brachen sie das Rad, und Flügeln schienen
Die raschen Füß' im Fliehen zu vergleichen,
Nicht schneller hätte man vermocht, ein Amen
Zu sagen, als sie uns entschwunden waren.
Darob mein Meister fortzugehn für gut fand.
Ich folgt' ihm, und nur waren wir ein wenig
Gewallt, als uns so nah des Wassers Lärm kam,
Daß man kein Wort von uns verstanden hätte.
Wie jener Fluß, – der ab von Visos Berge
Nach Morgen hin zuerst den eignen Lauf hat,
Der Apenninen linkem Hang entströmend,
Der Acquacheta oberhalb genannt wird,
Bevor er niedersinkt zum tiefen Grunde,
Und bei Forli dann ist des Namens ledig, –
Dort ob San Benedettos Kloster schallet,
Durchs Hochgebirg in eine Schlucht entstürzend,
Wo Tausende wohl Zuflucht finden sollten;
So hörten wir von einem steilen Riffe
Herab die trübe Flut hier widerhallen,
Die wohl in kurzer Zeit das Ohr verletzte.
Den Leib hatt' ich mit einem Strick umgürtet,
Mit dem ich mehr als einmal jenes Pardel
Mit buntbemaltem Fell zu fangen dachte.
Nachdem ich nun ihn ganz von mir gelöset,
So wie mein Führer mir geboten hatte,
Reicht' ich ihn diesem hin zum Knäul verschlungen.
Drauf er, sich nach der rechten Seite wendend,
Ein wenig von dem Rand entfernt, hinunter
Ihn schleuderte in jenen tiefen Abgrund.
›Wahrhaftig, etwas Neues muß entsprechen,‹
Begann ich bei mir selbst, ›dem neuen Zeichen,
Das mit dem Blick der Meister so begleitet.‹
O wie behutsam ziemt's zu sein dem Menschen
Bei jenen, die nicht nur die Tat erschauen,
Nein, mit dem Geist in die Gedanken blicken!
Er sprach: »Bald muß hier oben an nun langen,
Was ich erwart' und was dein Sinn schon träumte,
Bald muß es deinen Blicken sich enthüllen.«
Stets soll der Wahrheit, die der Lüge ähnelt,
Der Mensch, so viel er kann, die Lippen schließen,
Weil sie ihm Schmach bringt ohne sein Verschulden.
Doch kann ich hier nicht schweigen, und ich schwöre
Bei der Komödie Worten dir, o Leser,
So wahr sie späten Beifall nicht vermisse,
Daß durch die dichte, dunkle Luft ich eine
Gestalt, wie schwimmend sich empor sah heben,
Drob auch selbst unerschrockn're Herzen staunten.
Wie einer auf wohl steiget, der, den Anker
Zu lösen, niedertaucht' und, einen Felsen
Umklammernd oder was sonst birgt die Meerflut,
Sich oben streckt, nach sich die Füße ziehend.

Siebzehnter Gesang

»Sieh dort das Untier mit dem spitzen Schweife,
Das Berge übersteigt und Wehr und Mauern
Zertrümmert! Sieh, was alle Welt mit Stank füllt.«
Also begann mein Führer mir zu sagen,
Und winkt' ihm, daß es zu dem Ufer käme,
Dem Schluß nah des betretnen Marmorpfades.
Und jenes widerliche Bild des Truges
Kam nun herbei, anlandend Haupt und Bruststück,
Doch zog es seinen Schweif nicht mit zum Strande.
Sein Antlitz war wie des Gerechten Antlitz,
So mild von außen schien die Oberfläche,
Indes sein Rumpf sonst einer Schlange Leib glich.
Zwei Pratzen hatt' es, haarig bis zur Achsel,
Und Rücken, Brust und beide Seiten waren
Mit Kreisen ihm und Schleifen bunt bemalet.
In Wollzeug woben nimmermehr mit Farben
Tataren so als Türken Grund und Einschlag,
Noch zog Arachne auf ein solch Gewebe.
Wie öfters wohl am Ufer stehn die Barken,
Zum Teil im Wasser und zum Teil am Lande,
Und wie bei jenen Schlemmern dort, den Deutschen,
Zu seinem Kampfe sich der Biber anschickt,
So stand hier das heillose Ungeheuer
Am Rand, der steinern rings das Sandmeer schließet.
Ganz in den leeren Raum schlug's mit dem Schweife
Und krümmt' empor die gifterfüllte Gabel,
Den Stachel auf Skorpionenart bewaffnend.
Mein Meister sprach: »Jetzt müssen wir ein wenig
Abwenden unsern Pfad bis hin zu jenem
Verruchten Untier, das dort ausgestreckt liegt.«
Darauf stieg er herab zur rechten Seite,
Zehn Schritte hin am Rand zu äußerst wallend,
Die Flammen und den Sand wohl zu vermeiden.
Und als wir bei dem Tier nun angekommen,
Sah ich ein wenig weiter Volk im Sande
Nah an der eingesunknen Stätte sitzen.
Der Meister hier: »Damit von diesem Zirkel
Du ganz vollständ'ge Kenntnis mit dir nehmest,
Geh' hin,« sprach er zu mir, »und schau' ihr Treiben;
Doch kurz nur sei dort deine Unterredung.
Bis du zurückgekehrt, sprech' ich mit diesem,
Daß es uns seine starken Schultern leihe.«
So ging ich denn durch den entferntsten Abschnitt
Von diesem Kreis, dem siebenten, allein nun
Einher, wo die trübsel'gen Männer saßen.
Hervor aus ihren Augen brach ihr Jammer,
Und hier oft, dort oft wehrten mit der Hand sie
Den Dünsten bald und bald dem heißen Boden.
Im Sommer machen's anders nicht die Hunde,
Bald mit dem Fuß, bald mit der Schnauze, wenn sie
Der Flöhe, Bremsen, Fliegen Bisse fühlen.
Ins Antlitz einem und dem andern blickend
Der von der schmerzensvollen Glut Befallnen,
Erkannt' ich keinen zwar, doch ich bemerkte,
Daß jedem an dem Hals hing eine Tasche,
Gewisse Farbe tragend und Bezeichnung,
Daran, so schien's, sich weidete ihr Auge.
Als unter sie nun schauend ich getreten,
Erblickt' ich himmelblau, vom gelben Beutel
Sich hebend, eines Leu'n Gestalt und Haltung.
Da weiter drauf mein Blick die Bahn verfolget,
Erblickt' auf andrem blutigrotem Säckel
Ich eine Gans, viel weißer noch denn Butter;
Und einer, der das Bild der trächt'gen Bache
Als Zeichen, blau auf weißem Säcklein, führte,
Sprach: »Was machst du doch hier in dieser Grube?
Jetzt geh hinweg, und da du noch am Leben,
So wisse, daß mein Nachbar Vitaliano
Zu meiner linken Seite hier wird sitzen.
Als Paduaner unter Florentinern
Bin ich allein hier, die, das Ohr mir öfters
Durchdröhnend, schrein: ›Der Fürst der Ritter komme!
Der einst die Tasche trägt mit den drei Böcken.‹ «
Den Mund verzerrend, streckt' er drauf die Zunge
Heraus, dem Rind gleich, das sich leckt die Nase.
Und ich aus Furcht, daß längres Weilen jenem
Mißfalle, der mich kurz nur zu verweilen
Ermahnt, kehrt' heim nun von den müden Seelen.
Hier fand ich meinen Hort, der auf die Krupe
Des grausen Tiers bereits war aufgestiegen
Und so zu mir sprach: »Jetzt sei stark und herzhaft.
Von nun an geht's herab durch solche Stiegen.
Sitz' auf vor mir, ich will die Mitte halten,
Daß dir der Schweif zu schaden nicht vermöge.«
Wie jener, dem sich bei dem nahen Anfall
Des Wechselfiebers schon die Nägel bleichen,
Ganz zittert bei des Schattens bloßem Anblick,
So ward mir, als er mir dies Wort geboten;
Doch es ergriff mich Scham bei seinem Drohen,
Die tapfre Diener stets vor wackren Herrn schafft.
Jetzt setzt' ich mich auf jene Riesenschultern
Und sagen wollt' ich (doch nicht kam die Stimme,
Wie ich geglaubt): ›Sieh zu, mich zu umfangen‹ .
Doch er, der öfters mir schon beigesprungen
In schwerer Fahr, umschlang mich mit den Armen
Und stützte mich, sobald ich aufgestiegen.
Drauf sprach er: »Geryon, wohlan, mach' auf dich,
In weiten Kreisen senk dich langsam nieder;
Gedenk, welch' neue Last dir auferlegt ist!«
Wie von dem Standort rückwärts abgestoßen
Der Kahn wird, zog von hier hinweg sich jener,
Und als er nun sich ganz im Freien fühlte,
Wandt' er den Schweif hin, wo die Brust gestanden,
Und streckt' ihn aus, bewegend wie ein Aal ihn,
Und rudert zu die Luft sich mit den Tatzen.
Nicht größer, mein' ich, ist die Furcht gewesen,
Als Phaethon die Zügel fallen lassen,
Weshalb, wie noch zu schaun, gebrannt der Himmel;
Noch als die Lenden Ikarus, der Arme,
Sich fühlt' entfiedern ob des Wachses Schmelzen,
Da ihm sein Vater rief: »Dein Weg ist unrecht,«
Denn meine war, als ich von allen Seiten
Mich in der Luft sah und jedweder Anblick
Dem Aug' entschwunden war, als nur des Untiers.
Und langsam, immer langsam schwimmt's von dannen,
Es kreist, es senket sich und nichts bemerk' ich
Als nur das Wehn im Antlitz und von unten.
Schon hört' ich unter uns das grauenvolle
Geräusch des Strudels auf der rechten Seite,
Drob ich das Haupt herniederblickend beuge,
Da ward ich noch verzagter ob des Abgrunds,
Denn Feuer sah ich dort und hörte Klagen,
So daß ich zitternd, festgeklammert dahing.
Drauf merkt' ich, wes ich erst nicht inne worden,
Das Abwärtskreisen durch die großen Qualen,
Die aus verschiednen Ecken sich uns nahten.
Gleich wie ein Falk, der lang sich auf den Schwingen
Gewiegt, nicht Federspiel noch Vogel schauend,
Die Klag' entreißt dem Falkner: »Weh', du sinkst ja!«
Erst müd' sich niederlassend, dann sich hurtig
In hundert Kreisen plötzlich dreht und fern sich
Vom Meister hinsetzt, unmutsvoll und tückisch;
So legte Geryon sich hin am Boden,
Ganz nah dem Rande des gezackten Felsens,
Und da er unser sich entladen, schwand er,
Wie von der Sehn' entschnellt des Pfeiles Kerbe.

Achtzehnter Gesang

Ein Ort ist in der Hölle, Übelbulgen
Genannt, ganz steinern und von Eisenfarbe,
So wie der Felsenring, der ihn umkreiset.
Grad' in des tückischen Gefildes Mitte
Gähnt breit und tief ein Schacht, des innern Bau ich
An seiner Stelle künftig melden werde.
Des zirkelförm'gen Umfangs Grund, der zwischen
Dem Schacht nun und dem Fuß des hohen Steinrands
Verbleibt, ist in zehn Täler eingeteilet;
Ein Bild, dem ähnlich, das, wo viele Gräben
Zum Schutz der Mauer eine Burg umgürten,
Der Ort, wo solche sich befinden, darstellt.
Gewährten jene hier auf dieser Stätte;
Und wie bei solchen Vesten von den Schwellen
Der Tore Brücklein gehn zur äußern Böschung,
So liefen von dem untern Rand des Felsens
Hier Klippen hin, durchschneidend Dämm' und Gräben,
Bis zu dem Schachte, der sie schließt und aufnimmt.
An diesem Ort nun fanden abgeladen
Wir uns von Geryons Rücken, und der Dichter
Schritt nach der Linken hin, ich aber folgt' ihm.
Zur rechten Hand erblickt' ich neuen Jammer
Und neue Martern, neue Henkersknechte,
Davon die erste Bulge war erfüllet.
Die Sünder, nackt zu schaun am Grunde, wallten
Entgegen diesseits bis zur halben Breit' uns,
Doch jenseits mit uns, nur geschwindern Schrittes;
Gleich wie die Römer, ob der Menge Pilger
Im Jubeljahr, ein Mittel jüngst ergriffen,
Den Übergang der Brücke zu befördern,
Daß alle, mit der Stirn' nach dem Kastelle,
Auf einer Seite gen Sankt Peter wallen,
Und nach dem Berg hin an der andern Lehne.
So hier als dort erblickt' am finstern Fels ich
Gehörnte Teufel, mit gewalt'gen Peitschen
Von hinten unbarmherzig jene schlagend.
Weh'! wie sie auf den ersten Hieb die Fersen
Empor schon zogen, und es wollte keiner
Den zweiten ab noch warten oder dritten.
Dieweil ich also hinging, fiel mein Auge
Auf einen, drob sogleich ich also sagte;
›Nicht ist's das erste Mal, daß ich ihn schaue!‹
Drum hielt ich still, ihn wiederzuerkennen,
Und stehn blieb auch mit mir der süße Führer,
Zurückzugehn ein wenig mir gestattend.
Und der Gestäupte, hoffend, sich zu bergen,
Beugt' nieder sein Gesicht, doch wenig half's ihm,
Denn ich begann: ›Du, mit dem Aug' am Boden!
Wenn die Gestalt mich, die du trägst, nicht täuschet,
Bist du Venedico Caccianimico?
Doch was führt' zu so beizend herber Qual dich?‹
Und er zu mir: »Zwar wider Willen sag' ich's,
Allein es zwingt mich deine helle Stimme,
Die mir der alten Welt Erinnrung wecket.
Ich war es, der Ghisola einst, die Schöne,
Vermocht, sich des Marchese Wunsch zu fügen,
Was sonst die schnöde Mär davon auch künde.
Auch andre Bologneser weilen hier noch,
Ja mehr davon erfüllt ist diese Stätte,
Als zwischen Savena und Reno Zungen
Jetzt sind, die »Sipa« man gelehrt zu sagen;
Und willst du des Beweis und Zeugnis haben,
Führ' unsern geiz'gen Sinn dir zu Gemüte.«
Doch weil er also sagte, gab ein Teufel
Mit der Karbatsch' ihm eins und rief: »Fort, Kuppler!
Hier gibt's nicht Weiber, nach dem Gülden käuflich.«
Ich holte wieder ein nun den Begleiter,
Drauf wir nach wenig Schritten hin gelangten,
Wo aus dem Fels hervorsprang eine Klippe,
Die wir alsbald mit leichter Müh' erstiegen,
Und, rechts uns wendend über ihr Gezacke,
Von jenen ew'gen Kreisen nun uns trennten.
Als wir dahin gekommen, wo sie unten
Sich öffnet, den Gepeitschten Raum zu lassen,
Begann zu mir der Führer: »Wart' und trachte,
Dem Blick der andern Schurken zu begegnen,
Die du von Angesicht noch nicht gewahret,
Weil gleichen Weges sie mit uns gegangen.«
Von jener alten Brücke sahn den Zug wir
Der andern Schar nun, die auf uns herzukam,
Gejaget ebenmäßig von der Peitsche.
Drauf ungefragt begann der gute Meister
Zu mir: »Schau jenen Großen, der dort nahet
Und keine Träne, scheint's, vor Schmerz vergießet;
Welch königliches Ansehn er bewahret!
's ist Jason, der durch Mut dereinst und Klugheit
Den Kolchiern das Goldne Vlies entrissen.
Auf diesem Zug kam er nach Lemnos' Eiland,
Nachdem die kühnen mitleidslosen Weiber
All' ihren Männern dort den Tod gegeben.
Da war es, wo durch Wink' und glatte Worte
Hypsipyle er hinterging, die Jungfrau,
Die erst die andern sämtlich hintergangen,
Geschwängert und allein ließ er zurück sie;
Solch eine Schuld verdammt zu solcher Qual ihn,
Und auch Medeas Leid wird hier gerochen.
Mit ihm geht, wer betrügt in solcher Weise;
Dies gnüge dir vom ersten Tal und jenen
Zu wissen, die's zerfleischt in seinem Schoße.«
Schon waren wir, allwo der enge Fußpfad
Sich mit dem zweiten Damm durchkreuzt und diesen
Den andern Bogen nun zur Stütze bietet.
Von hier aus hörten in der nächsten Bulge
Wehklagend Volk wir mit dem Maule schnauben
Und auf sich selber mit den Händen klopfen.
Des Grabens Ufer überzog ein Schimmel,
Vom Dunst der Tief erzeugt, der hier sich ansetzt,
Den Augen und der Nase gleich verletzend.
So tiefgehöhlet ist sein Grund, daß nirgends
Man ihn zu schaun vermag als auf dem Rücken
Des Bogens, wo die Klipp' am höchsten aufsteigt.
Dorthin gelangend, sahn von da wir unten
Im Graben Volk in einem Mist versenket,
Wie man ihn leert aus menschlichen Priveten.
Und drunten suchend mit dem Aug', erblickt' ich
Unflätig einen so am Haupt vom Kote,
Daß man nicht merkt', ob Lai' er oder geistlich;
Der rief mir zu: »Was bist du so begierig,
Mich mehr denn andr' Entstellte zu betrachten?«
Und ich zu ihm: ›Weil ich, wenn ich nicht irre,
Dich trocknen Haars einst sah schon, denn du bist ja
Alexius Interminei von Lucca;
Drum schau' ich mehr dich an als all' die andern.‹
Und er darauf, sich vor den Hohlkopf schlagend:
»Hier tauchten unter mich die Schmeicheleien,
Davon nie müde mir die Zunge worden.«
Alsbald begann zu mir darauf der Führer:
»Streck' nun ein wenig weiter vor dein Antlitz,
Daß besser das Gesicht dein Blick erreiche
Der schmutz'gen Dirne mit verworrnen Haaren,
Die dort sich grimmet mit den kot'gen Nägeln,
Sich kauernd bald, bald auf den Füßen stehend.
Die Metze Thais ist's, die ihrem Buhlen,
Als er zu ihr sprach: ›Ernt' ich großen Dank wohl
Bei dir?‹ ›Ei freilich, ganz gewalt'gen‹ , sagte.
Damit mag hier sich unser Blick begnügen.«

Neunzehnter Gesang

O Simon Magus! O, sein jämmerliches
Gefolge! die ihr Gottes Wundergaben,
Die nur der Tugend sich vermählen sollten,
Für Gold und Silber raubbegierig preisgebt!
Von euch muß die Drommete nun ertönen,
Weil in der dritten Bulg' ihr euch befindet.
Schon waren an der nächsten Grabesstätte
Wir auf den Teil der Klipp' emporgestiegen,
Der senkrecht schwebt, grad' ob des Grabens Mitte.
O höchste Weisheit, welche Kunst im Himmel,
Auf Erden du und in der argen Welt zeigst,
Und deine Kraft, wie sie gerecht verteilet!
An jedem Abhang sah ich und am Grunde
Das grauliche Gestein bedeckt mit Löchern,
Kreisförmig insgesamt und gleicher Breite.
Sie schienen mir nicht enger und nicht weiter,
Als ich in meinem schönen St. Johannes
Sie fand, den Taufenden bestimmt zur Stätte.
Von ihnen brach ich eins vor wenig Jahren,
Daß einen, der darin erstickt', ich rette.
(Urkunde sei mir dies, die all enttäusche!)
Jedwedem ragten vor aus seiner Mündung
Die Füße eines Sünders nebst den Beinen
Bis zu der Wad', doch drin verblich das andre.
Die Sohlen beid' erglühten ihnen sämtlich,
Droh mit den Fußgelenken so sie zuckten,
Daß Seil und Wieden sie zerrissen hätten.
Gleichwie das Leuchten ölgetränkter Dinge
Sich an der Oberfläche hinbeweget,
So flackert's von der Ferse zu den Zeh'n hier.
›Mein Meister,‹ sprach ich, ›wer ist dort, der zuckend
Mehr als die übrigen Genossen tobet,
Von roter, glüh'nder Flamme ausgesogen?‹
Und er zu mir: »Wenn ich hinab dich trüge,
Dort, wo der Strand am flachsten liegt, so würd' er
Von sich und seiner Schuld dir selbst berichten.«
Und ich: ›Was dir beliebt, ist mir gefällig,
Du bist mein Herr und weißt, nie weicht mein Wille
Von deinem, und verstehst, was ich verschweige.‹
Darauf gelangten auf den vierten Damm wir
Und stiegen, links uns wendend, nun hernieder
Zu dem durchlöcherten und engen Grunde.
Und eh' nicht legte mich der gute Meister
Von seiner Hilft' ab, bis er mich genähert
Dem Spalt, wo jener klagte mit den Beinen.
›O du, das Oberste gekehrt zu unterst,
Verruchter Geist, pfahlähnlich eingerammet,
Wer du auch seist,‹ sprach ich, ›vermagst du's, rede!‹
Da stand ich gleich dem Mönch, der Beichte höret
Den tück'schen Mörder, der, schon eingesenket,
Zurück ihn rief, den Tod noch zu verzögern.
Und jener schrie: »Bist du schon eingetroffen,
Bist du schon eingetroffen, Bonifazius?
Um ein paar Jahre täuschte mich die Handschrift!
Wardst du so schnell der Habe überdrüssig,
Drob du dich nicht gescheut, mit List zu fangen
Die schöne Frau, um sie sodann zu schänden?«
Da ward ich jenen gleich, die, nicht verstehend,
Was man zur Antwort gab, wie spottbeladen,
Unfähig, etwas zu entgegnen, dastehn.
Zu mir begann Virgil jetzt: »Sag' ihm hurtig:
Ich bin es nicht, nicht bin ich, der du glaubest.«
Und ich antwortete, wie mir's geboten.
Darob der Geist, die Füße ganz verdrehend,
Mit Seufzen und wehklagendem Getöne
Begann: »Was ist's denn, das von mir du forderst?
Wenn, wer ich bin, dich so zu wissen kümmert,
Daß du deshalb den Felsenstrand durchlaufen,
So wiss', einst schmückte mich der hehre Mantel.
Als echter Sohn der Bärin war ich also
Voll Gier, die Bärlein zu erhöhn, daß dort ich
Das Geld, mich selber in den Sack hier steckte.
Hinabgefahren unterm Haupt sind meine
Vorgänger mir, die, gleichfalls Simonisten,
Im Spalt des Felsens hier verkrochen liegen.
Dort sink' auch ich dereinst hinab, wenn jener
Wird kommen, der ich glaubte, daß du wärest,
Als ich so plötzlich dich vorhin gefraget.
Doch länger ist's, daß, mit den Füßen zappelnd,
Ich hier kopfüber schon, kopfunter liege,
Als glüh'nden Fußes er gepflanzt wird bleiben;
Denn nach ihm kommt noch schnöderen Gebarens
Vom Westen her ein Hirt, gesetzlos waltend,
Der ihn und mich dann wieder muß bedecken.
Der wird ein neuer Jason aus dem Buche
Der Makkabäer sein, und wie dem gütig
Sein König war, so jenem Frankreichs Herrscher.«
Nicht weiß ich, ob ich hier zu keck gewesen,
Doch ich antwortet' ihm in solcher Weise:
›Sag' an, wie groß der Schatz war, den vom Anfang
Wohl von St. Peter unser Herr verlangte,
Als er der Schlüssel Macht in seine Hand gab?
Gewiß nichts fordert' er als: »Folge nach mir!«
Und Petrus nebst den andern fordert' Gold nicht,
Noch Silber von Matthias, als das Los ihn
Des Amts traf, das verlor die Frevlerseele!
So bleib' denn da, dich trifft gerechte Strafe,
Und wahre wohl die schlecht erworbnen Gelder,
Die gegen Karl dir solche Kühnheit gaben!
Und war' es nicht, daß mir annoch die Ehrfurcht
Vor den erhabnen Schlüsseln solches wehrte,
Die du getragen hast im heitern Leben,
So würd' ich härtre Worte noch gebrauchen;
Denn euer Geiz betrübt die Welt, mit Füßen
Die Guten tretend und erhöh'nd die Schlechten.
Ihr Hirten seid's, die der Evangelist sah,
Als jene, die auf großen Wässern sitzet,
Von ihm erblickt ward, mit den Kön'gen buhlend!
Sie, die, erzeugt mit siebenfachem Haupte,
Durch die zehn Hörner ward bewehrt, so lang noch
Ihr Gatte fand Gefallen an der Tugend.
Ihr schüfet Gold und Silber euch zum Gotte,
Und von den Götzendienern scheidet nichts euch,
Als daß sie einem, Hunderten ihr opfert.
O Konstantin! wie vieles Übel deine
Bekehrung nicht, doch jene Schenkung zeugte,
Die du erteilt dem ersten reichen Vater!‹
Und weil ich solches Lied ihm vorsang, sei's nun,
Daß Zorn, sei's, daß Gewissensbiß ihn quälte,
Warf er gewaltig beide Sohlen aufwärts.
Wohl glaub' ich, war's gefällig meinem Führer,
Mit so zufriednem Antlitz horcht' er immer
Dem Klang der ausgesprochnen wahren Worte.
Darum mit beiden Armen mich erfassend,
Hob er mich ganz zur Brust empor und stieg dann
Des Wegs hinauf, den er herabgekommen.
Und unermüdet hielt er mich umschlossen,
Bis auf des Bogens Spitz' er mich getragen,
Der von dem vierten hin zum fünften Damm führt.
Drauf legt' er sanft die Bürd' ab, die ihm sanft auch
Das steil', zerrißne Riff hindurch geschienen,
Das selbst ein schwerer Steg den Ziegen wäre.
Von hier aus ward ein andres Tal mir sichtbar.

Zwangzigster Gesang

Von neuer Pein zu dichten liegt mir ob jetzt,
Um Stoff dem zwanzigsten Gesang zu liefern
Des ersten Lieds, das von Versunknen meldet.
Schon hatt' ich ganz und gar mich angeschicket,
Zu schaun in die mir nun enthüllte Tiefe,
Die von so bangem Tränenstrom benetzt wird;
Da sah durchs zirkelförm'ge Tal ich Leute
Stillschweigend und in Zähren nah'n des Schrittes,
In dem in dieser Welt Bittgäng' umhergehn.
Als tiefer ich auf sie den Blick nun senkte,
Schien wunderbarlich jeglicher verdreht mir
Vom Kinn bis zu dem Anbeginn des Rumpfes;
Denn abgewandt war von der Lend' ihr Antlitz
Und rücklings mußten auf uns zu sie kommen,
Weil ihnen, vor sich her zu schaun, verwehrt war.
Vielleicht hat einmal durch Gewalt der Lähmung
Wohl ganz und gar sich einer so verdrehet,
Doch sah ich's nie, doch glaub' ich, daß es stattfand.
Wenn Gott dich, Leser, Frucht von deinem Lesen
Soll ernten lassen, so bedenk' im Innern,
Ob tränenlos mein Antlitz bleiben konnte,
Als in der Näh' die menschliche Gestalt ich
Also verwandt sah, daß des Auges Zähren
Die Hinterbacken durch den Spalt benetzten;
Gewiß, da weint' ich, an ein Horn mich lehnend
Der harten Klippe, so daß mein Begleiter
Mir sagte: »Gleichst auch du den andern Toren?
Hier lebt die Lieb' erst, wenn sie recht erstorben;
Denn wer ist frevelhafter wohl als jener,
Der nach des Ew'gen Ratschluß trägt Gelüsten.
Richt' auf dein Haupt, richt' auf! schau' ihn, dem einst sich
Die Erd' erschloß vor der Thebaner Augen,
Darob sie alle riefen: ›Wohin stürzest,
Was weichst du aus dem Kampf, Amphiaraus?‹
Und unaufhaltsam stürzt' er hin zu Tale,
Bis er zu Minos kam, der all' ergreifet.
Sieh, wie den Rücken er zur Brust gemacht hat,
Und weil zu weit er vorwärts blicken wollte,
Rückwärts nun schaut, verkehrten Pfades wandelnd.
Tiresias schau', der die Gestalt gewechselt,
Vom Mann zum Weibe werdend, als die Glieder
An seinem Leib sich insgesamt verändert,
Und erst mußt' wieder sie, die beiden Schlangen,
Die engverschlungnen, mit dem Stäbchen schlagen,
Eh' wieder ihr des Manns Behaarung wurde.
Der seinen Bauch dort nahet mit dem Rücken,
's ist Aruns, welcher einst in Lunis Bergen,
Wo, ihren Fuß bewohnend, der Carrarer
Das Feld baut zwischen weißen Marmorfelsen,
In einer Höhle haust', von wo die Aussicht
Aufs Meer und auf die Stern' ihm nicht gehemmt war.
Und jene, die mit den gelösten Zöpfen
Die Brüste, die du nicht erblickst, bedecket
Und alles Haarige nach jenseits kehret,
War Manto, die durch viele Länder streifte
Und dann sich niederließ, wo ich erzeugt ward;
Drob mir's beliebt, daß du mich kürzlich hörest.
Nachdem ihr Vater abtrat aus dem Leben
Und Bacchus' Stadt zur Sklavin war geworden,
Durchwallte lange Zeit hindurch die Welt sie.
Ein See liegt droben in dem schönen Welschland,
Am Fuß des Alpenstocks, der Deutschland schließet,
Nah' bei Tirol und wird genannt Benacus.
Aus tausend Quellen und wohl mehr benetzet
Inmitten Valcarnonicas und Gardas
Das Wasser den Pennin, das in dem See staut.
In seiner Mitte liegt ein Ort, wo Brescias,
Trients und auch Veronas Hirt zu segnen
Berechtigt wären, wenn des Wegs sie kämen.
Peschiera thront, ein Rüstzeug, stark und prächtig,
Die Stirn den Bergamasken und Brescianern
Zu bieten, wo am tiefsten rings der Strand sinkt.
Hierhin muß sämtlich sich das Wasser stürzen,
Was in Benacus' Schoß nicht bleiben kann,
Und strömt als Fluß dann ab durch grüne Triften.
Sobald die Flut hier ihren Lauf beginnt,
Heißt sie Benacus nicht mehr, sondern Mincio,
Bis bei Governo sie sich mischt dem Po.
Nach kurzem Lauf erreicht sie eine Niedrung,
In der sie, sich verbreitend, sie umsumpfet
Und oft verderblich pflegt zu sein im Sommer.
Die grause Jungfrau, hier vorüberziehend,
Erblickte Land in des Morastes Mitte,
Unangebaut und von Bewohnern ledig;
Dort blieb, der Menschen Umgang zu entfliehen,
Mit ihren Knechten sie und trieb ihr Wesen,
Und lebt' und ließ dort den entseelten Körper.
Die Leute drauf, die rings zerstreut hier lebten,
Vereinten an dem Ort sich, weil er fest war
Ob des Morasts, der allseits ihn umfaßte.
Die Stadt erbauten über dem Gebein sie,
Nach ihr sie, die den Ort zuerst erkiesen,
Ohn' andre Vorbedeutung Mantua nennend.
Zahlreicher war in ihr stets die Bevölkrung,
Bevor die Torheit des von Casalodi
Durch Pinamonte hintergangen worden.
Darum belehr' ich dich, daß, wenn du jemals
Den Ursprung meiner Stadt hörst anders deuten,
Die Wahrheit keine Lüg' entstellen möge.«
Und ich: ›So zuverlässig ist, o Meister!
Mir dein Bericht und heischt so meinen Glauben,
Daß leere Spreu mir wären all' die andern.
Doch sprich, von jenem Volk, das dort einherzieht,
Erkennst du einen, der bemerkenswert sei?
Denn nur darauf ist jetzt mein Sinn geheftet.‹
Drauf er: »Der, dem dort zu dem braunen Rücken
Der Bart herabwallt von der Wange, war einst
Augur, als Griechenland so männerleer war,
Daß ihrer kaum noch in den Wiegen blieben,
Und gab mit Calchas an die Sternenstunde
In Aulis, um das erste Tau zu kappen.
Er hieß Eurypylus, wie meine hohe
Tragödie von ihm singt in einem Verse;
Wohl weißt du ihn, du kennst sie ganz und gar ja.
Der andre mit den hagern Weichen war sonst
Michael Scotus und verstand wahrhaftig
Das trügerische Spiel der Zauberkünste.
Sieh dort Guido Bonatti, sieh Asdentel
Der sich mit Naht und Leder jetzt beschäftigt
Nur haben möchte, doch zu spät gereut's ihn.
Sieh die Erbärmlichen, die, Nadel, Spule
Und Schiff verlassend, Zauberinnen wurden
Und Hexerei mit Kraut und Wachsbild trieben.
Doch komm von dannen, denn es steht an beider
Halbkugeln Grenze und berührt die Fluten
Jenseits Sevilla Kain mit seinen Dornen.
Und daß der Mond zur Nacht schon gestern voll war,
Mußt du wohl wissen, denn im tiefen Walde
War er dir mehr als einmal gar willkommen.«
So redet' er, indes wir weitergingen.

Einundzwanzigster Gesang

Von Brücke so gelangten wir zu Brücke,
Noch andres, das nicht wert ist, daß es meine
Komödie sing', besprechend, bis am Gipfel
Wir hielten, Übelbulgens nächste Spalte
Zu schaun und andr' umsonst geweinte Tränen,
Und wunderbarlich schien mir jene düster.
Wie in dem Arsenal der Venetianer
Im Winter kocht der zähe Teer, mit welchem
Die leck gewordnen Schiffe sie kalfatern; –
Denn nicht ist's Zeit zur Schiffahrt, und statt dessen
Baut der sein neues Fahrzeug, jener stopfet
Die Rippen dem, das öfters schon in See stach,
Der hämmert vorn am Schiff und jener hinten,
Der schnitzet Ruder zu, der windet Taue,
Der am Besan-, der flickt am Bugspritsegel:
So kocht' hier unten, nicht durch Feuersgluten,
Nein, durch des Schöpfers Kunst, ein dicker Pechbrei,
Der allerseits die Ufer überklebte.
Ich sah ihn (nichts erblickend von dem Inhalt
Als nur die Blasen, die das Kochen auftrieb),
Sah ihn sich heben und verdickt dann setzen.
Weil unverwandt dort unten hin ich blickte.
Zog mich mein Führer: »Schau' doch, schau' doch!« rufend,
Zu sich hin von dem Ort, wo ich gestanden.
Da wandt' ich um mich, ähnlich einem Manne,
Der, was er fliehn muß, gern erschauen möchte,
Doch übermannt vom jähen Furchtgefühle,
Ob er auch hinblickt, nicht die Flucht verzögert.
Und hinter uns sah ich in schnellem Laufe
Die Klipp' ersteigen einen schwarzen Teufel.
Weh'! wie so wild sein Antlitz war zu schauen,
Wie roh er schien in jeglicher Gebärde,
Die Schwingen ausgespannt und leichten Fußes.
Mit beiden Hüften lastete ein Sünder
Auf seinem hoh'n und spitz'gen Schulterpaare,
Und selbst hielt er umkrallt des Fußes Sehn' ihm.
»Ihr Grausetatzen unsrer Brücke,« rief er,
»Da ist der Ält'sten von Sankt Zita einer!
Steckt ihn hinunter, denn ich kehr' nun wieder
Zu jener Stadt, die wohl damit versehn ist,
Feil sind sie alle dort bis auf Buonturo;
Ums Geld pflegt man dort Nein aus Ja zu machen.«
Dort schmiß er ihn herab, durchs harte Riff sich
Zurück drauf wendend, hast'ger, als ein Hofhund,
Los von der Kette, je dem Dieb gefolgt ist.
Der sank zum Grund, doch schnell sich wendend, taucht' er
Empor, allein die Teufel, unterm Brücklein
Versteckt, schrien: »Hier frommt nicht das heil'ge Antlitz!
Hier schwimmt's gar anders sich als in dem Serchio!
Drum willst du nicht der Zinken Schärfe fühlen,
So wag's nicht, aus dem Pech hervorzutauchen.«
Mit mehr denn hundert Haken drauf ihn packend,
Begannen sie: »Du mußt verdeckt hier hüpfen,
Um heimlich noch, wo möglich, zu erkapern.«
Nicht anders läßt der Koch das Fleisch durch seine
Vasallen in des Kessels Mitte nieder
Mit Gabeln drücken, daß es auf nicht schwimme.
Zu mir der gute Meister drauf: »Damit sie
Dein Hiersein nicht bemerken, so verkrieche
Dich hinter einen Fels, der Schutz dir leihe,
Und daß mir irgend Leid hier widerfahre,
Befürchte nicht – ich bin bekannt mit allem,
Denn einmal schon war ich bei solchem Strauße.« –
Den Ausgang überschritt er drauf der Brücke,
Und als er an den sechsten Strand gelangt war,
Mußt' eine mut'ge Stirn er wohl bewähren;
Denn mit der Wut und mit dem Ungestüme,
Womit die Hunde auf den Armen fahren,
Der, wo er still hält, gleich zu betteln anfängt,
Entstürzten diese vor nun unterm Brücklein,
Die Haken sämtlich auf ihn zugewendet;
Er aber rief: »Zu freveln wage keiner !
Bevor mich eurer Zinken Spitz' ergreife,
Komm einer vor erst, der mich hör', und dann mögt
Ihr weiter denken dran, mich zu zerkrallen.«
Da schrien sie sämtlich: »Grauseschwanz mag gehen!«
Drob einer vortrat, weil die andern hielten,
Und hin zum Meister kam und sprach:
»Was schaffst du?« –
»Glaubst, Grauseschwanz, du, daß du mich hier unten
Erblicken würdest, der ich schon gesichert
Vor aller eurer Wehr bin,« sprach mein Meister,
»War's göttlich Wollen nicht und Gunst des Schicksals?
Laß mich drum ziehn, im Himmel ist's beschlossen,
Daß durch den wilden Pfad ich einen leite.«
Da ward der Stolz ihm dergestalt gebeuget,
Daß er zum Fuß sich ließ den Haken sinken
Und zu den andern sprach: »Den schlagt mir jetzt nicht!«
Drauf rief mir zu mein Führer: »Du, der zwischen
Der Brücke Felsenspitzen liegst verkrochen,
Kehr' ohne Furcht zu mir anjetzo wieder.«
Da kam ich eilends zu ihm hin, und vorwärts
Rückt' insgesamt der Teufel Schar, drob Furcht mich
Befiel, sie möchten den Vertrag nicht halten.
So sah ich einst die Lanzenknechte zittern,
Die durch Vertrag Capronas Burg verließen,
Als so viel Feinde sie um sich erblickten.
Ich schmiegte drum mich mit dem ganzen Leibe
Dem Führer an, die Augen nicht verwendend
Von ihrem Anblick, der mir gut nicht deuchte.
Die Haken neigten sie, und zu den andern
Sprach einer: »Soll ich auf die Krupp' ihn treffen?«
Der drauf: »Ja, sieh, daß du ihm eins versetzest!«
Doch jener Dämon, der mit meinem Führer
Sich unterredet, wandt' sich um behende
Und rief: »Gemach! gemach! o Raufefankel.«
Sodann sprach er zu uns: »Auf diesem Riffe
Kann man nicht weitergehn, weil an dem Grunde
Geborsten ganz der sechste Bogen daliegt.
Allein gefällt's euch mehr noch vorzudringen,
So geht nur immerhin auf jenem Felsdamm,
Wo bald ein andres Riff euch überführet.
Fünf Stunden später, als es jetzt ist, waren
Zwölfhundertsechsundsechsig Jahre gestern
Vollendet, seit der Weg zerstört hier worden.
Dorthin zu send' ich einige der Meinen,
Um nachzusehn, ob sich nicht einer lüfte.
Mit ihnen geht, sie werden euch nicht schaden.
Tritt vorwärts, Bückeschnurbs und Fröstetretel,«
Begann er jetzt, »und du auch, Reckelschnauzer,
Und Sudelbart du, führ' die Schar der Zehne.
Noch komm' auch Scharlachmohr und Drachennaser,
Schweinsborst mit seinen Hauern, Hundekraller,
Sausfleder und Karfunkelpolt, der Tolle,
Streift ringsum an dem glüh'nden Leim; und diese
Laßt sicher zu dem andern Riff gelangen,
Das unversehrt die Gruben überbrücket.« –
›Weh' mir, was muß ich sehn, mein Meister, ‹ rief ich,
›Laß uns allein gehn ohne Führung; mich nicht
Verlangt nach ihr, bist du des Wegs nur kundig.
Bist hier umsichtig du, wie sonst du pflegest.
So sieh doch, wie sie dort die Zähne fletschen
Und, Ränke drohend, mit den Brauen winken.‹
Und jener drauf zu mir: »Du darfst nicht beben,
Laß fletschen immerhin sie nach Gefallen,
Das gilt allein den jammernden Gesottnen.«
Dann wandten links sie auf den Damm, doch hatte
Ein jeder erst noch, drauf die Zähne setzend,
Die Zung' als Zeichen zugestreckt dem Obmann,
Und der gebraucht den Hintern als Trompete.

Zweiundzwanzigster Gesang

Aufbrechen sah ich sonst wohl Reiterscharen,
Angreifen und in Schlachtordnung sich stellen
Und manchmal auch im Rückzug Rettung suchen,
In eurer Stadt sah ich, o Aretiner,
Wettläufer fliegen und Geschwader umziehn
Und Lanzenbrechen auch und Ringelrennen.
Bald zum Trompeten-, bald zum Glockenklange,
Zur Trommel bald und bald nach Turmwartzeichen,
Nach heim'scher Weise bald und bald nach fremder,
Doch nimmer zu so seltsamer Schalmei sah
Ich Reiterei noch Fußvolk sich bewegen,
Noch Schiffe steuern nach Gestirn und Küste.
Wir gingen hin mit jenen zehn Dämonen
(O grausiges Geleit!), doch in der Kirche
Mit Heil'gen, heißt's, im Wirtshaus mit den Zechern.
Aufs Pech allein war jetzt mein Sinn gerichtet,
Den Zustand ganz der Bulge zu gewahren,
So wie des Volkes, das in ihr geglüht ward.
Gleich wie ein Zeichen die Delphine geben
Den Schiffern mit dem Bogen ihres Rückgrats,
Damit ihr Fahrzeug sie zu retten trachten;
So zeigte, sich die Qualen zu erleichtern,
Von Zeit zu Zeit den Rücken uns ein Sünder,
Ihn schneller, als es blitzt, aufs neu' versteckend.
Und wie am Rand im Wasser eines Grabens
Die Frösche mit dem Maul allein hervorstehn,
Die Füße bergend und den Schwulst des Leibes,
So waren allseits hier zu schaun die Sünder;
Allein, wie Sudelbart sich ihnen nahte,
Verkrochen sie sich wieder unterm Sude.
Ich sah, noch schaudert's mir darob im Herzen,
Verziehn den einen, so wie wohl zuweilen
Ein Frosch zurückbleibt, weil der and'r enthüpfet.
Doch Hundekraller, ihm zunächst genüber,
Hakt' ihm das pechverklebte Haar, und einer
Fischotter glich er, als ihn der emporzog.
Schon wußt' ich insgesamt die Namen aller,
Wohl merkend, als sie auserkoren wurden,
Und horchend drauf, wie sie einander riefen.
»Karfunkelpolt, auf! fall' ihm mit den Klauen
Den Rücken also an, daß du ihn schindest!«
Schrien allzugleich jetzt die Vermaledeiten.
Und ich: ›Sieh zu, mein Meister, ob dir's möglich,
Des Unglücksel'gen Namen zu erfahren,
Der hier in seiner Gegner Hand gefallen.‹
Mein Meister drauf, ihm nah' zur Seite tretend,
Befragt' ihn, wer er sei, und der entgegnet':
»Geboren bin ich in dem Reich Navarra;
In eines Herrn Dienst gab mich meine Mutter,
Die mich mit einem Taugenichts erzeuget,
Der selber sich zerstört und seine Habe.
Hausdiener bei Thibaut, dem guten König,
Begann ich drauf Durchstecherei'n zu treiben,
Drob Rechenschaft in dieser Glut ich gebe.«
Und Schweinsborste, dem zu jeder Seit' ein Hauer
Wie einer Sau hervorragt' aus dem Maule,
Ließ ihm des einen Schärf' im Reißen fühlen.
Zu schlimmen Katzen war die Maus gekommen,
Doch Sudelbart umschlang ihn mit den Armen
Und sprach: »Bleibt dort, so lang ich ihn umklammre!«
Sein Antlitz drauf zum Meister wendend, sagt' er:
»Jetzt frag' ihn, wenn du mehr zu wissen wünschest,
Bevor ein andrer ihn zugrunde richtet.«
Der Führer nun: »Sag' an, ob unterm Peche
Du sonst wohl einen kennst von jenen Frevlern,
Der ein Lateiner sei?« und der: »Ich trennte
Von einem Nachbar jenes Lands mich kürzlich.
O wärt' ich doch mit ihm noch so verborgen,
Dann braucht' ich Klau' zu fürchten nicht, noch Haken!«
Doch Scharlachmohr rief: »Allzulang ertrugen
Wir's schon,« und packt' am Arm ihn mit dem Haken
So, daß er draus den vordern Teil ihm abriß.
Und Drachennasser auch wollt' an den Beinen
Ihn unten kneipen; doch ihr Zehnmann wandte
Sich rings umher darob mit wildem Blicke.
Als sie hierauf ein wenig sich beruhigt,
Fragt' jenen, der annoch auf seine Wunde
Hinstarrte, ungesäumt jetzt mein Begleiter:
»Sag' an, wer war's, von dem zu deinem Schaden
Du dich getrennt, um an den Strand zu kommen?«
Und er: »Der von Gallura war's, der Bruder
Gomita, ein Gefäß voll Arglist, der einst
Die Feinde seines Herrn in seiner Hand hielt
Und so dann tat, daß drob sie all' ihn loben.
Geld nahm er und ließ dann sie ungehudelt,
Wie er sich ausdrückt, und war sonst im Amt auch
Ein Mäkler nicht im kleinen, nein im großen.
Mit ihm pflegt Umgang dort Don Michael Zanche
Von Logodor', und ihre Zungen werden
Nie müde, von Sardinien zu sprechen.
0, Weh' mir! Seht, wie dort der andre fletschet!
Mehr würd' ich sagen noch; allein ich fürchte,
Er schickt sich an schon, mir das Fell zu kratzen.«
Ihr großes Haupt, Sausfledern zu sich wendend,
Der schon den Blick verdreht, um auszuhauen,
Rief: »Mach' dich fort von hier, du schlimmer Vogel!« –
»Begehrt zu sehn ihr oder zu vernehmen.«
Begann drauf der Erschrockne, »sei's Lombarden,
Sei's Tuscier, ich will herbei sie schaffen;
Doch laßt die Grausetatzen erst ein wenig
Zurück sich ziehn, daß ihre Rache jene
Nicht fürchten; und an dieser Stätte sitzend,
Stell' sieben ich an meiner Statt, des Einz'gen,
Indem ich ihnen pfeife, wie wir pflegen
Zu tun, wenn einer sich herausgewagt hat.«
Die Gosch', auf solches Wort, hob Reckelschnauzer
Und sprach kopfschüttelnd: »Hört einmal den Schurken!
Er sinnt nur drauf, daß er hinab sich stürze.«
Drauf er, der Schlich' in Meng' im Haupte hatte,
Entgegnet': »Ich bin wohl ein arger Schurke,
Da ich den Meinen schlimmres Weh' bereite.«
Doch Bückeschnurbs hielt sich nicht mehr, und gegen
Der andern Meinung rief er: »Springst hinab du,
So galoppier' ich dir nicht nach, es soll dich
Mein Flügelschlag schon überm Pech ereilen.
Fort von der Höh', es mag der Strand uns decken;
Laß sehn, ob mehr du giltst als wir zusammen!«
Du, Leser, wirst von neuem Spaß jetzt hören!
Ein jeder wandt' den Blick zum andern Ufer,
Und der zuerst, der drob am meisten zürnte.
Der Navarrese, wohl den Zeitpunkt wahrend,
Drückt' fest die Füß' ein, und mit einem Sprung
Setzt' er hinab, entrinnend ihrer Absicht.
Da faßte Reu' ob ihrer Schuld sie sämtlich,
Doch den am meisten, der des Fehlers Ursach',
Drum eilt' er fort und schrie ihm nach: »Ich hab' dich!«
Doch wenig half's, denn schneller als sein Flügel
War noch des andern Furcht, der ging zu Grunde,
Und jener richtete zum Flug die Brust auf;
Nicht anders duckt sogleich die Ente unter,
Wenn ihr zu nah der Falke kommt, und dieser
Kehrt dann empor, voll Ärgers und ermüdet.
Und Förstetretel, zürnend ob des Possens,
Flog drein dicht hinter ihm, voll Gier, daß jener
Entrinnen möcht', auf daß es Hader gebe,
Und wandte, da verschwunden war der Mäkler,
Die Krallen alsobald auf den Genossen
So, daß sie überm Graben sich zerzausten.
Doch dieser, als ein echter Wildfangssperber,
Fing an, ihn so zu krallen, daß sie beide
Hinfielen in des glüh'nden Pfuhles Mitte.
Kampfschlichter ward zwar ungesäumt die Hitze,
Doch nicht vermochten sie sich zu erheben,
So waren überklebt mit Pech die Flügel.
Wehklagend mit den übrigen Genossen,
Ließ viere Sudelbart zum andern Ufer
Mit ihren Haken fliegen: schnell nun gingen
Hinab auf ihren Stand sie dies- und jenseits,
Die Haken nach den Überpappten streckend,
Die ganz gekocht schon in der Rinde staken,
Und wir verließen also sie beschäftigt.

Dreiundzwanzigster Gesang

Stillschweigend, einsam, unbegleitet schritten
Wir nun einher, der eine hinterm andern,
Wie ihres Wegs die mindern Brüder hingehn. –
Ob jenes Zwists war jetzo mein Gedanke
Gerichtet auf die Fabel des Äsopus,
Wo von der Maus er handelt und dem Frosche.
Denn mehr nicht läßt sich ›halt‹ und ›man‹ vergleichen
Als dies' und jener, wenn man End' und Anfang
Recht hält zusammen aufmerksamen Sinnes.
Und so, wie ein Gedank' entspringt dem andern,
Entstand aus diesem alsobald ein zweiter,
Der doppelt mir die früh're Furcht vermehrte.
Ich dachte so: Um unsertwillen hat sie
So vieler Spott und Schaden jetzt getroffen,
Daß ich vermut', es mag sie wohl verdrießen;
Wenn sich der Zorn gesellt dem bösen Willen,
So werden wütender sie uns verfolgen
Als je ein Hund den Hasen, den er rammet!
Schon fühlt' ich, daß sich ganz das Haar mir sträubte
Vor Furcht, und horchend rückwärts hin, begann ich:
›O Meister, wenn du dich und mich nicht schleunigst
Verbirgst, so fürcht' ich von den Grausetatzen
Gar viel; sie sind schon hinter uns gewißlich,
Mir ist es so, als ob ich schon sie hörte.‹
Und er: »Wär' ich von bleibelegtem Glas auch,
Nicht würde schneller sich dein Äußres spiegeln
In mir, als ich dein Innres jetzt erfasse.
Denn stracks kam dein Gedanke zu dem meinen,
Der gleichen Inhalts war und gleichen Ganges,
So daß ich beide schmolz in einen Ratschluß.
Böscht so sich rechts der Strand, daß uns herunter
Zu kommen in die nächste Bulge möglich ist,
So werden die geahnte Jagd wir meiden.«
Und eh' er noch sein ratend Wort vollendete,
Sah ich sie nah'n mit ausgespannten Flügeln,
Um uns zu fangen, nicht mehr weit entfernt von uns.
Urplötzlich faßte mich an jetzt mein Führer,
Der Mutter gleich, die, durch den Lärm gewecket,
Erblickend über sich die lohe Flamme,
Den Sohn ergreift und flieht und so viel Zeit nicht
Sich nimmt, für ihn mehr sorgend als sich selber,
Daß sie ein Hemde nur sich überwürfe.
Und von dem Gipfel nun des harten Strandes
Rutscht' mit dem Rücken er hinab am Felshang,
Der eine Seite sperrt der nächsten Bulge.
Nie glitt so schnell die Flut noch durchs Gerinne
Ein oberschlächtig Mühlrad zu bewegen,
Dort, wo zumeist sie sich den Schaufeln nähert,
Als hier an diesem Rand hinab mein Meister,
Von dannen auf der eignen Brust mich tragend,
Als ob sein Sohn ich wär', nicht sein Genosse.
Kaum war er mit den Füßen zu dem Bette
Des Grunds gelangt, als droben jen' erschienen
Grad' über uns, doch gab's ihm keine Furcht mehr;
Denn die erhabne Vorsicht, die zu Dienern
Des fünften Grabens sie bestellen wollte,
Ließ keinem Macht, von dort sich zu entfernen.
Dort unten traf ein übertünchtes Volk ich,
Das weinend rings gar trägen Schrittes wallte,
Im Angesicht verdrossen und gebeuget.
Sie trugen Kutten, die mit tiefen Kappen
Das Aug' bedeckten, ganz von jenem Schnitte,
Wie für die Mönch' in Clugny man sie fertigt.
Vergoldet sind sie außen, daß es blendet,
Doch drinnen ganz von Blei und also wuchtend,
Daß Friedrichs Kutten Stroh dagegen wären.
O Mantel, Ewigkeiten durch beschwerlich!
Links abermals uns wendend, wallten hin wir
Mit ihnen, aufs trübsel'ge Jammern merkend.
Doch ob der Last kam jenes müde Volk so
Langsam herbeigeschlichen, daß in neuer
Gesellschaft wir bei jedem Schritt uns fanden.
Drum sprach ich zu dem Führer: ›Such' mir einen,
Den von Gestalt ich oder Namen kenne,
Und laß im Gehn ringsum dein Auge kreisen.‹
Und einer, der mein Tuscisch Wort verstanden,
Schrie hinter uns her: »Haltet euern Schritt ein,
Die durch die finstre Luft so schnell ihr hinrennt!
Vielleicht erhältst von mir du, was du wünschest.«
Der Führer drauf zu mir sich wendend: »Warte,
Und dann geh' gleichen Schritts dahin mit jenem.«
Still hielt ich und sah großen Drang der Seelen
Nach mir im Antlitz Zweier, doch es hemmte
Sie die Belastung und des Pfades Enge.
Und angelangt nun, schielten mit den Augen
Lang auf mich hin sie, ohn' ein Wort zu sagen,
Und sprachen drauf, sich zu einander wendend:
»Der lebt noch, scheint's nach seiner Kehlbewegung!
Und wenn sie tot sind, welch ein Vorrecht läßt sie
Vom lastenden Talar enthüllt hier wandeln?«
Zu mir drauf: »Tuscier, der du zur Versammlung
Der jämmerlichen Heuchler bist gekommen,
Verschmäh' nicht, wer du seist, uns zu berichten.«
Ich drauf: ›Erzeugt hat mich und auferzogen
Die große Stadt an Arnos schönem Strome,
Und noch trag' ich den Leib, den stets ich hatte.
Doch ihr, wer seid ihr, denen's so gewaltig
Vor Schmerz herniederträufelt an den Wangen,
Und welche Pein in euch entladet so sich?‹
Und mir antwortet' einer: »Diese Kutten,
Die goldenfarb'gen. sind von Blei so wuchtig,
Daß unter dem Gewicht so knarrt die Wage.
Wir waren Brüder-Lustig aus Bologna,
Ich Catalan und jener Lodoringo
Genannt, die deine Stadt zugleich einst wählte,
Wie man wohl einen kürt, der einzeln stehet,
Zu wahren ihre Ruh'; doch wie wir's trieben,
Kann man noch schaun rings um Gardingos Straße.«
Ich nun begann: ›O Brüder, eure Übeln –‹
Doch mehr nicht sprach ich, da mein Blick auf einen
Fiel, an der Erd' gekreuzigt mit drei Pfählen.
Als er mich sah, verdreht' er ganz am Leib sich
Und blies in seinen Bart mit tiefen Seufzern.
Doch Bruder Catalan, der drob sein wahrnahm,
Sprach: »Dieser, den du hier durchbohrt erblickest
Riet einst den Pharisäern, es sei ziemend,
Den einen Mann fürs Volk der Qual zu weihen.
Jetzt liegt er überzwerch und nackt am Wege,
Wie du hier siehst, und seine Last muß jeder,
Eh' er vorübergeht, ihn fühlen lassen.
Auf gleiche Art wird auch gequält der Schwäher
In dieser Grub' und all' aus der Versammlung,
Die für die Juden ward des Übels Samen.«
Da sah ich, daß Virgil verwundert dastand
Ob jenem, der hier ausgestreckt am Kreuz lag
So schmachvoll in der ewigen Verbannung.
Drauf richtet' an den Mönch er diese Worte:
»Laßt Euch's gefallen, wenn Ihr's dürft, zu sagen,
Ob sich zur rechten Hand ein Ausgang findet,
Auf dem wir beid' uns wegbegeben mögen
Und nicht genötigt sind, die schwarzen Engel
Zu zwingen, aus der Schlucht hier uns zu tragen.«
Und jener drob: »Wohl näher, als du ahnest,
Liegt eine Klipp', die, von dem großen Kreise
Ausgeh'nd, die grausen Täler all' durchschneidet,
Nur daß sie, hier zerschellt, nicht überführet;
Doch könnt empor ihr auf dem Schutte steigen,
Der sich am Rande böscht und häuft am Grunde.«
Ein wenig stand gesenkten Haupts der Führer
Und sprach dann: Ȇbel hat er uns berichtet,
Der jenseits mit dem Haken krallt die Sünder.«
Der Mönch darauf: »Schon in Bologna hört' ich
Vom Teufel manches Bös' und drunter auch,
Daß er ein Lügner sei und Lügenvater.«
Mit großen Schritten ging mein Führer jetzt
Davon, etwas verstört von Zorn im Antlitz,
Drob ich auch die Belasteten verließ,
Den Spuren folgend der geliebten Füße.

Vierundzwanzigster Gesang

In jener Zeit des jugendlichen Jahres,
Da Sol im Wassermann die Locken wärmet,
Und gleich schon wird die Nacht dem halben Tage;
Wenn nun der Reif das Bild des weißen Bruders
Auf Erden darzustellen strebt, doch wenig
Nur dauert das Gebilde seiner Federn:
Dann steht der Landmann, dem's gebricht an Futter,
Wohl auf und schaut umher und sieht die Fluren
Weißglänzen rings und schlägt sich drob die Hüfte,
Kommt jetzt nach Haus, sich hier und dort beklagend,
Dem Schlucker gleich, nicht wissend, was er tun soll;
Zurück drauf kehrend, faßt er neue Hoffnung,
Gewahrend, wie die Welt in wenig Stunden
Gestalt gewechselt, und ergreift den Stecken
Und treibt hinaus die Schäflein auf die Weide.
Also entsetzt' ich jetzt mich ob des Meisters,
Da seine Stirn ich so getrübt erblickte.
Und also schnell auch ward der Wund' ihr Pflaster;
Denn als wir zur zerstörten Brücke kamen,
Wandt' er mir zu sich mit dem holden Blicke,
Den ich zuerst gesehn am Fuß des Berges.
Nach kurzer Überlegung sich entschließend,
Tat er die Arm' auf jetzt, und das Getrümmer
Erst recht betrachtend, faßt' er mit dem Arm mich,
Dem gleich, der bei der Arbeit überleget
Und stets, man sieht's ihm an, der Zukunft denket,
Zeigt' er mir, auf den Gipfel hin mich hebend
Des einen Felsstücks, schon die andre Spitze
Und sprach: »An jene mußt du nun dich klammern
Doch prüf' erst, ob sie auch dich tragen könne.«
Das war kein Pfad wohl für die Kuttenträger,
Da er, der leicht, und ich, den er doch forthob,
Von Trumm zu Trumm empor kaum steigen konnte,
Und wenn der Strand an diesem Umfang kürzer
Nicht als am andern war, er zwar vielleicht nicht,
Doch ich gewißlich wär' hier unterlegen.
Allein weil Übelbulgen gen den Eingang
Des tiefsten Schachts ganz abwärts hin sich neiget,
So bringt's mit sich die Lage jedes Tales,
Daß sich ein Strand erhebt, der andre senket.
So nun gelangten wir bis zu der Höhe,
Von wo ab sich die letzte Trümmer löset.
An Atem war die Lung', als ich hinaufkam,
Mir so erschöpft, daß ich nicht weiterkonnte,
Vielmehr alsbald mich bei der Ankunft setzte.
»Wohlan, jetzt ziemt es dir, dich zu ermannen!«
Begann mein Meister, »denn in Federn liegend
Und unter Decken, kommt zu keinem Ruhm man,
Und wer sein Leben des entbehrend hinbringt,
Der hinterläßt nur solche Spur auf Erden,
Wie Rauch in Lüften und Geschäum im Wasser.
Drum auf! Dein Herz besiege die Erschöpfung,
Das immerdar im Kampfe Sieger bleibet,
Wenn es des Körpers Schwere nicht herabzieht.
Erklimmen müssen wir noch längre Stiegen,
Und nicht genügt's, von diesen uns zu trennen;
Hast du verstanden? Wohl, so nütz' die Lehre.«
Darauf erhob ich mich, bei Atem besser
Mich zeigend, als ich wohl mich selber fühlte,
Und sprach: ›Geh hin denn, ich bin stark und mutig.‹
Die Klipp' empor nun nahmen unsern Weg wir,
Der gar mühselig war und eng und höck'rig
Und steiler noch um vieles als der früh're.
Um schwach mich nicht zu zeigen, ging ich sprechend hin.
Drauf aus der Schlucht empor scholl eine Stimme,
Die Worte ungeformt hervor nur sprudelte;
Nicht weiß ich, was sie sprach, stand auf dem Rücken
Ich gleich des Bogens, der hier überführet,
Doch schien der Redende zum Zorn gereizt mir.
Ich beugte mich, doch ob des Dunkels konnte
Nicht des Lebend'gen Blick zum Grunde dringen,
Drob ich: ›Auf, Meister! schnell zum andern Umkreis!
Und laßt die Felswand uns herniedersteigen;
Denn wie von hier ich hör' und nichts verstehe,
Schau' ich hinab und kann nichts unterscheiden.‹
»Nicht anders,« sprach er, »geb' ich drauf Bescheid dir
Als durch die Tat; denn ehrenwerter Bitte
Muß durch Erfüllung schweigend man willfahren.«
Den Ausgang stiegen wir herab der Brücke,
Wo mit dem achten Strand sie sich verknüpfet,
Und drauf ward mir die Bulge offenbaret.
Darin erblickt' ich fürchterliche Haufen
So wunderlich verschiedenart'ger Schlangen,
Daß noch das Blut mir starrt bei der Erinnrung.
Nicht rühme Libyen mehr sich seiner Wüste;
Denn bringt es Ringler, Ottern, Brillenschlangen
Hervor und Wasser- auch und Lanzennattern,
Hat es doch nie so viel' und so verruchte
Untier' annoch gezeugt, nebst ganz Äthiopien
Und nebst dem Küstenland des Roten Meeres.
In dieser grausen, wilderbosten Menge
Lief nacktes Volk umher und voll Entsetzens,
Schlupfwinkel nicht, noch Heliotrop erhoffend.
Die Händ' am Rücken hatten sie mit Schlangen
Gebunden, die durch ihre Hüften steckend
So Kopf als Schweif, sich vorn zum Knoten knüpften.
Und sieh, auf Einen nah an unserm Strande
Schnellt eine Schlange hin sich und durchstach ihn,
Allwo der Hals sich bindet mit den Schultern.
Nie hat so schnell man O noch J geschrieben,
Als er entzündet ward und brannt' und gänzlich
Zu Asch' alsbald hinfallend mußte werden.
Und als er so vernichtet lag am Boden,
Vereinte sich von neu'm die Asch' und wurde
Von selbst stracks wieder, was sie erst gewesen.
So stirbt, berichten uns die großen Weisen,
Der Phönix und wird wieder drauf geboren,
Wenn er beinah' fünfhundert Jahre zählet.
Von Korn und Kraut nicht nährt er sich im Leben,
Nur von des Weihrauchs Tränen und von Ingwer,
Und Nard' und Myrrhen ist sein Sterbelager.
Wie der so selbst, nicht ahnend, wie, dahinsank,
Sei's, daß Dämonenkraft ihn riß zu Boden,
Sei's Stockung, die den Sinn des Menschen bindet,
Sich wieder drauf erhebend, um sich her schaut,
Ob der gewalt'gen Angst, die er erlitten,
Verworren ganz und seufzend hebt die Blicke;
Also der Sünder, als er aufgestanden.
Gerechtigkeit des Ew'gen, wie du streng bist,
Die rächend du ausschüttest solche Schläge!
Da ihn mein Führer, wer er sei, jetzt fragte,
Entgegnet er: »Ich regnet' aus Toskana
Herunter jüngst in diesen Schlund des Grausens.
Kein menschlich, nein, ein viehisch Leben liebt' ich,
Wie's mir, dem Maul, ziemt'; Vanni Fucci bin ich,
Die Bestie, der ein würd'ger Bau Pistoja.«
Zum Führer ich: ›Verbeut ihm zu entschlüpfen
Und frag' ihn, welche Schuld ihn hier herabstieß,
Den ich als zorn'gen Blutmann einst gesehen.‹
Und jener Sünder, der's vernahm, verstellte
Sich nicht, nein, Sinn und Antlitz nach mir wendend,
Begann er jetzt, von wilder Scham verfärbet:
»Mehr schmerzt es mich, daß du mich hier getroffen
In diesem Elend, wo du mich erblickest,
Als da ich aus der andern Welt entrückt ward.
Abschlagen kann ich nicht, was du begehrest.
Ich kam so weit herunter, weil das schöne
Gerät ich aus der Sakristei gestohlen
Und fälschlich ward ein andrer des bezichtigt.
Doch daß du solches Anblicks dich nicht freuest,
Wenn jemals du entkommst den finstern Orten,
Schließ jetzt dein Ohr auf meiner Kund' und höre:
Von Schwarzen wird vorerst entblößt Pistoja,
Dann ändert auch Florenz Sitt' und Bewohner.
Mars zieht aus Val di Magra einen Dunst auf,
Der, eingehüllt in trübe Wetterwolken,
Mit einem schneidend ungestümen Sturmwind
Den Kampf besteht in dem Gefild Piceno;
Drauf jener stracks den Nebel wird zerreißen,
Davon die Weißen all' getroffen werden –
Und hab's gesagt, damit's dich schmerzen möge.«

Fünfundzwanzigster Gesang

Bei seiner Worte Schluß hob beide Hände
Der Dieb empor mit durchgesteckten Daumen
Und rief: »Nimm hin sie, Gott, dir ball' ich zu sie!«
Seitdem bin ich befreundet mit den Schlangen;
Denn eine wickelte sich um den Hals ihm,
Als ob sie spräche: »Mehr sollst du nicht sagen,«
Und um die Arm' ein' andre und umschlang ihn,
Sich vorn sodann dermaßen rückwärts krümmend,
Daß keinen Ruck er konnte tun mit ihnen.
Pistoja, o Pistoja, was doch säumst du,
Dich einzuäschern, daß du mehr nicht dauerst,
Da deine Brut im Bösetun du förderst.
Nicht einen Geist in all den finstern Kreisen
Der Hölle sah ich gegen Gott so trotzig;
Selbst der nicht war's, der fiel vor Thebens Mauern.
Und jener nun entfloh und sprach kein Wort mehr,
Drauf sah ich einen wütenden Centauren
Laut schreiend nah'n: »Wo ist, wo ist der Herbe?«
Maremma, glaub' ich, hat so viele Schlangen
Selbst nicht, als dieser trug auf seinem Kreuze,
Bis wo die menschliche Gestalt beginnet.
Ein Drache lag ihm hinten am Genicke
Mit ausgespannten Flügeln überm Rücken,
Endzündend jeglichen, dem er begegnet.
Zu mir begann mein Meister: »Dies ist Cacus,
Der unterm Fels des Aventin'schen Hügels
Oft einen ganzen See von Blut vergossen;
Nicht geht er gleichen Wegs mit seinen Brüdern,
Des Diebstahls wegen, den mit List er übte
An jener großen Herd', als sie ihm nah' kam.
Dort macht' ein Ende dem verkehrten Treiben
Die Keule Herkul's, der ihm hundert Schläge
Wohl gab, von denen er nicht zehn gefühlet.«
Weil er so sprach und jener flog vorüber,
Gelangten unter unsern Fuß drei Schatten,
Die weder ich gewahrte, noch mein Führer,
Als bis wir schrei'n sie hörten: »Wer doch seid ihr?«
Darob in unsrer Mär wir still nun hielten,
Auf jen' allein das Augenmerk gerichtet.
Nicht kannt' ich sie, doch es geschah, so wie es
Durch einen Zufall oft wohl zu geschehn pflegt,
Daß einer mußt' des andern Namen nennen,
Indem er sprach: »Wo mag nur Cianfa bleiben?«
Drob ich, daß aufmerksam mein Führer stände,
Den Finger mir vom Kinn zur Nase legte.
Wenn du jetzt, Leser, was ich sagen werde,
Zu glauben zögerst, nimmt es mich nicht wunder,
Da ich, der's sah, mir's selbst kaum eingestehe.
Weil ich auf sie den Blick hielt aufgeschlagen.
Fällt plötzlich eine Schlange mit sechs Füßen
Den einen vorn an, ganz an ihn sich klammernd;
Den Bauch umschlang sie mit den Mittelfüßen
Und packt' ihm mit den vorderen die Arme,
Drauf biß sie in die Wangen beiderseits ihn.
Die Hinterfüße nach den Schenkeln streckend,
Legt' ihren Schwanz jetzt hin sie zwischen beide,
Ihn hinten an den Lenden aufwärtsbiegend.
Nicht häkelte um einen Baum sich Efeu
Je so, wie das grau'nvolle Ungeheuer
Die eignen schlang um eines andern Glieder;
Drauf ineinanderschmelzend, gleich, als sei'n sie
Von warmem Wachs, vermischten sie die Farben,
Daß kein's von beiden schien, was es gewesen.
Also verbreitet aufwärts am Papiere
Sich vor dem Brande bräunlich eine Farbe,
Die noch nicht schwarz, erstirbt schon gleich das Weiße,
Die andern zwei sah'n zu und riefen beide:
»Weh' dir, Agnello, wie du dich veränderst,
Sieh doch, schon bist du zwei nicht mehr, noch einer!«
Schon waren die zwei Häupter eins geworden,
Als zwei Gestalten uns vermischt erschienen
In einem Antlitz, drin sich zwei verloren.
Zwei Arme bildeten sich aus vier Zweigen,
Und Rumpf und Bauch und Bein' und Schenkel wurden
Zu Gliedern, wie man nie sie noch gesehen;
Verlöscht war hier jedwedes frühre Ansehn,
Zwei schien und keins von beiden das verkehrte
Gebild und ging so fort langsamen Schrittes.
Wie unterm heft'gen Stich der Hundssterntage
Die Eidechs', wenn sie Zaun mit Zaun vertauschet,
Des Wandrers Weg durchschneidend scheint ein Blitzstrahl;
Dem ähnlich schien mir jetzt, den beiden andern
Sich stürzend nach dem Wanst, ein wütend Schlänglein,
Das braun und schwarz gleich einem Pfefferkorn war.
Und jenen Teil, durch den zuerst die Nahrung
Der Mensch empfängt, dem einen drauf durchstach es,
Dann fiel's vor diesem hingestreckt zu Boden.
An starrt' es der Gestochne und verstummte,
Doch still jetzt haltend, fing er an zu gähnen,
Als ob, sei's Schlaf, sei's Fieber, ihn befiele.
Die Schlange blickt' auf ihn, er auf die Schlange;
Sie dampfte durch den Mund, er durch die Wunde
Gewaltig, und es kreuzten sich die Dämpfe.
Lukan verstumme dort, wo er erwähnet
Das Elend des Sabellus und Nassidius,
Und hör' aufmerksam, was sich jetzt entwickelt;
Von Cadmus schweig' Ovid, von Arethusa,
Denn wenn er den zur Schlange, die zur Quelle
Verwandelt im Gedicht auch, nicht beneid' ich's;
Denn nie hat zwei Naturen gegenüber
Er so vertauscht, daß beide Bildungskräfte
Bereit sich zeigten, ihren Stoff zu wechseln.
In solcher Folg' entsprachen sie einander,
Daß, weil den Schweif die Schlange gablig spellte,
Die Fersen zog zusammen der Gebißne,
Die Beine nebst den Schenkeln miteinander
Verschmolzen so, daß keine Spur in kurzem
Von der Verbindung war zu unterscheiden.
Der so gespaltne Schweif nahm die Gestaltung
Drauf an, die dort verlorenging, und weich ward
Die Haut ihm hier, weil jenseits hart sie wurde.
Einkriechen sah ich durch die Achselhöhlen
Die Arm', indes des Untiers kurzes Beinpaar
Um so viel länger ward als jene kürzer.
Drauf bildeten, verschlungen miteinander,
Das Glied die Hinterbeine, das der Mann birgt,
Weil zwei der Arme aus den seinen spreizte.
Indes der Dampf mit neuer Farbe beide
Umhüllt' und, überm Leib auf einer Seite
Das Haar erzeugend, andrerseits es abstreift',
Stand jener auf, und dieser fiel zu Boden,
Nicht drum verwendend die ruchlosen Blicke,
In deren Schein sie tauchten die Gesichter.
Der Steh'nde zog es rückwärts nach den Schläfen,
Und von dem Überfluß des Stoffes traten
Hervor die Ohren aus den glatten Wangen;
Der Rest, der nicht zurückwich, sondern vorn blieb,
Gestaltete dem Antlitz sich zur Nase,
So viel die Lippen schwellend, als sich ziemte.
Der Liegende schiebt jetzo vor die Schnauze,
Einziehend durch das Haupt die beiden Ohren,
Gleich wie die Gartenschneck' ihr Fühlhorn einzieht,
Und seine Zunge, ganz erst und zum Reden
Stets fertig, spaltet sich, und die gespaltne
Des andern schließt sich und der Dampf hört auf jetzt.
Die Seele, so zum Ungeheuer worden,
Flieht mit Gezisch von dannen durch das Tal hin,
Weil hint'r ihr her der andre ruft und sprudelt.
Drauf wandt' er jenem zu den neuen Rücken
Und sprach zum andern: »Jetzt soll Buoso laufen
Wie ich sonst dieses Pfads auf allen Vieren.«
So sah ich's in der siebenten Kloake
Sich wandeln und verwandeln, und entschuld'gen
Mag mich der neue Stoff, schweift hier die Zung' ab;
Und waren gleich die Augen mir ein wenig
Getrübt und abgespannt des Geistes Stärke,
Doch konnten jen' im Flieh'n sich so nicht bergen,
Daß ich nicht wohl Puccio Sciancato kannte,
Der einzig unverändert war geblieben
Von den zuerst gekommnen drei Genossen.
Der andre war's, ob dem du weinst, Gaville.

Sechsundzwanzigster Gesang

Erfreue dich, Florenz, ob deiner Größe,
Daß über Land und Meer du schlägst die Flügel,
Und in der Höll' auch sich dein Ruf verbreitet!
Denn bei den Dieben sah ich fünf dergleichen
Aus deinen Bürgern, drob mich Scham ergreifet,
Und du auch steigst drum nicht zu großer Ehre.
Doch wenn auf Wahrheit Morgenträume deuten,
Fühlst du in kurzer Zeit von hier, was Prato,
Von andern nicht zu reden, an dir wünschet.
Und ob auch jetzt, würd' es nicht vor der Zeit sein,
O daß es wäre schon, da's einmal sein muß,
Denn mehr wird's mich bei höherm Alter drücken.
Wir gingen fort, und an den Steinvorsprüngen
Empor, die abwärts uns gedient als Stufen,
Stieg, nach mich ziehend, wiederum mein Führer.
Und weiter jetzt den öden Weg verfolgend,
Vermochte zwischen Splittern sich und Zacken
Des Riffs der Fuß nicht ohne Hand zu fördern.
Da trauert' ich und traure jetzt von neuem,
Indem den Sinn ich aufs Geseh'ne richte,
Den Witz mehr zügelnd, als ich sonst wohl pflege,
Daß es der Zucht der Tugend nicht entschlüpfe,
So daß, wenn, sei's ein günst'ger Stern, sei's Bessres,
Ein Gut mir gab, ich selbst mir's nicht mißgönne.
Wie viel der Landmann, an dem Hügel ruhend,
Zur Zeit, da jener, der die Welt erleuchtet,
Sein Antlitz weniger uns hält verborgen,
Wenn schon die Fliege weicht der Wassermücke,
Leuchtwürmchen unten in dem Tal erblicket
Dort, wo er pflügt vielleicht und Trauben sammelt;
Von so viel Flammen glänzte allenthalben
Die achte Bulg', wie ich sogleich gewahrte,
Als an der Stell' ich stand, wo man den Grund sieht.
Wie der, so einst sich mit den Bären rächte,
Die Rosse sah, als des Elias Wagen
Hinwegfuhr, himmelwärts gradauf sich schwingen,
So daß sein Blick ihm so nicht folgen konnte,
Daß andres er als nur gleich einem Wölkchen
Die Flamm' empor sich hebend hält' erblicket;
Also bewegten durch den Schlund des Grabens
Sich alle hin, ohn' ihren Raub zu zeigen,
Denn jede Flamm' entrückt' uns einen Sünder.
So ausgestreckt zum Schaun stand auf der Brück' ich,
Daß, hätt' ein Felsstück ich nicht festgehalten,
Hinabgestürzt ich war' ohn' anzustoßen.
Und als so aufmerksam mich sah mein Führer,
Sprach er: »In diesen Flammen sind die Geister,
Und jeglichen hüllt die, dran er entbrannt ist.«
Ich drauf: ›Mein Meister, seit ich dich vernommen,
Ist sichrer mir's, doch schon hatt' ich geurteilt,
Daß es so sei, und wollte schon dich fragen;
Wer ist im Feuer dort, das so nach oben
Gespalten naht, als schlüg' es aus dem Holzstoß,
Darauf Eteocles lag mit dem Bruder?‹
Drauf er: »Gemartert wird dadrin Ulysses
Mit Diomed, und wie zu zorn'ger Tat sie
Vereint sonst eilten, eint sie jetzt die Strafe.
Beseufzet wird im Innern ihrer Flamme
Die Kriegslist mit dem Pferde, so das Tor brach,
Daraus der Römer edler Sam' hervorging:
Drin wird die Kunst beweint, drob nach dem Tod noch
Achills Verlust beklagt Deidamia,
Drin wird auch des Palladiums Raub gebüßet.«
›Wenn innerhalb der Loh' sie reden können,‹
Sprach ich, ›so bitt' ich, Meister, dich von Herzen,
Einmal und abermals statt tausend Malen,
Daß du mir nicht verweigerst hier zu weilen,
Bis die gehörnte Flamme sich uns nahet;
Du siehst, wie Sehnsucht nach ihr hin mich beuget.‹
Und er zu mir: »Gar großen Lobes würdig
Ist dein Begehr, drum ich es auch genehm'ge;
Doch sieh, daß deine Zunge hier du zähmest,
Und laß mich sprechen; denn begriffen hab' ich,
Was du verlangst, und weil sie alle Griechen, würden
Vielleicht sich jene deinem Wort verhärten.«
Nachdem dahin die Flamme war gekommen,
Wo schicklich meinem Führer Ort und Zeit schien,
Hört' ich in solcher Weise jetzt ihn sprechen:
»O ihr dort, zwei vereint in einem Feuer,
Wenn ich um euch verdient, solang ich lebte,
Wenn ich um euch verdient viel oder wenig,
Als das erhabne Lied ich schrieb auf Erden,
Bewegt euch nicht, doch einer von euch sage,
Wo er sich hin verlor, den Tod zu finden.«
Das größre Horn nun dieser alten Flamme
Fing mit Geknister an zu flackern, jener,
Die von des Windes Wehn bedrängt wird, ähnlich.
Darauf die Spitze hin und her bewegend,
Als sei des Sprechers Zunge sie, enthaucht
Es eine Stimm' und sprach: »Als ich von Circe
Entfernt mich hatte, die mehr als ein Jahr mich
Zurückgehalten nah dort bei Gaeta,
Eh' es Äneas so genannt, vermochte
Die Lust am Sohn, das Mitleid für den greisen
Erzeuger nicht und nicht die schuld'ge Liebe,
Daran Penelope sich freuen sollte,
Im Innern die Begier mir zu besiegen,
Mich mit der Welt ringsum bekannt zu machen
Und mit der Menschen Trefflichkeit und Lastern;
Nein, ich begab aufs hohe weite Meer mich
Mit einem Schiff allein und mit der kleinen
Genossenschaft, die nimmer mich verlassen.
Die Ufer beide sah ich bis nach Spanien
Und nach Marokko und der Sarden Eiland,
Und all' die andern, die dies Meer umspület.
Ich war nebst den Genossen alt und schwer schon,
Als wir zu jenem engen Schlund gelangten,
Wo Herkules sein Grenzmal aufgerichtet,
Damit der Mensch sich weiter hin nicht wage.
Zur rechten Hand ließ ich Sevilla liegen,
Weil ich zur andern Ceuta schon gelassen.
›O Brüder,‹ sprach ich, ›die zum fernen West ihr
Durch hunderttausend Fährlichkeiten dränget,
Verschmäht doch nicht die kurze Abendwache
Der Sinneskraft, die euch noch übrig bleibet,
Zu nützen, um, der Sonne folgend, Kunde
Vom menschenleeren Weltteil zu erlangen.
Zieht euern Ursprung in Betrachtung, wurdet
Ihr doch gemacht nicht, gleich dem Vieh zu leben,
Nein, daß nach Tugend ihr und Kenntnis ringet.‹
Und die Genossen macht' ich nach der Reise
Also begierig durch die kurze Rede,
Daß ich sie kaum dann abgehalten hätte.
Drauf, unser Hinterschiff gewandt nach Morgen
Bewegten, Schwingen gleich zum tollen Fluge,
Die Ruder wir, stets mehr zur Linken steuernd.
Schon sah das Aug' der Nacht die Sterne sämtlich
Des andern Poles und so tief den unsern,
Daß kaum er aus der Meeresflut emporstieg.
Fünfmal war neu entzündet und verlöscht schon
Das Licht am untern Teil des Mondes worden,
Seit in den schweren Pfad wir eingetreten,
Als endlich dunkel uns durch die Entfernung
Ein Berg erschien, der also hoch uns deuchte,
Wie ich noch keinen je gesehen hatte.
Wir jauchzten; doch bald ward die Lust zum Jammer,
Denn wirbelnd ging vom neuen Land ein Sturm auf,
Der unser Fahrzeug traf am vordern Ende.
Dreimal schwang er's umher samt den Gewässern,
Beim vierten warf empor das Hinterschiff er,
Den Schnabel senkend (als wollt's ein andrer),
Bis über unserm Haupt sich schloß die Meerflut.«

Siebenundzwanzigster Gesang

Schon war die Flamme nach geschloßner Rede
Still und grad aufgerichtet und hinwegging
Sie mit Bewilligung des süßen Dichters,
Als hinter ihr einherkam eine andre,
Die unsern Blick nach ihrer Spitze hinzog
Ob des verworrnen Tons, der draus hervordrang.
Wie der sizil'sche Stier, der durch das Jammern
Des, der mit seiner Feil' ihn hergerichtet,
Zum erstenmal gebrüllt (also war's billig),
So durch die Stimme des Gequälten brüllte,
Daß, wenn er gleich von Erz nur war gebildet,
Er um nichts minder schien vom Schmerz durchbohret;
So wandelten sich in des Feuers Sprache,
Da weder Weg noch Ausgang draus sie fanden,
Im Anbeginn die jammervollen Worte.
Doch als sie Bahn sich droben durch die Spitze
Gebrochen drauf, mitteilend ihr die Schwingung,
Die ihnen selbst die Zunge gab beim Durchgang,
Vernahmen wir, wie folgt: »O du, an den ich
Mein Wort jetzt richte, der du auf Lombardisch
Erst sprachst: ›Gehst halt jetzt weg, i' aiz' di' nimmer',
Laß dich's, weil etwas spät ich wohl gekommen,
Nicht reu'n, mit mir zu weilen im Gespräche!
Du siehst, mich reut es nicht, obgleich ich brenne.
Wenn du erst kürzlich bist herabgestürzet
In diese finstre Welt aus jenem süßen
Lateinerland, wo meine Schuld sich herschreibt,
Sprich, hat Romagnas Volk Krieg oder Frieden?
Denn aus den Bergen bin ich, die Urbino
Vom Joche trennen, dem entquillt die Tiber.«
Ich stand annoch hinabgebeugt und lauschend,
Als leis mich in die Seite stieß mein Führer
Und sprach: »Hier rede du, 's ist ein Lateiner.«
Und ich, der schon bereit die Antwort hatte,
Begann drauf sonder Zögern so zu sprechen:
›O Seele, die versteckt du weilst dort unten,
Es ist nicht und war nimmer dein Romagna
In seiner Zwingherrn Herzen ohne Krieg noch;
Doch offenbar verließ ich dort jetzt keinen.
Ravenna steht, wie's stand seit vielen Jahren,
Es horstet da der Adler von Polenta,
So daß er Cervia deckt mit seinen Schwingen.
Die Stadt, die einst so lange standgehalten
Und der Franzosen blut'ge Leichen häufte,
Weilt unterm Schutz anjetzt der grünen Klauen!
Verucchios alten Fanghund und den neuen,
Der einst so schnöd verfahren mit Montagna,
Sieht man, wo sonst sie pflegten, bissig wüten.
Die Stadt' am Strand Lamones und Santernos
Regiert der junge Löw' aus weißem Lager,
Partei von Mitternacht zu Mittag wechselnd,
Und die vom Savio wird bespült zur Seite,
Gleich wie sie zwischen Ebne liegt und Bergen,
Schwankt zwischen Zwingherrschaft und freiem Wesen.
Jetzt fleh' ich an dich, wer du bist, zu künden,
Sei unerbittlicher nicht als die andern,
Wenn sich dein Nam' behaupten soll auf Erden.‹
Nachdem die Flamm' auf ihre Weis' ein wenig
Gebraust, bewegte sie die spitze Zunge
Bald hin, bald her und hauchte drauf dies Wort aus:
»Wenn meine Antwort ich gerichtet glaubte
An einen, der zur Welt zurück je kehrte,
So würde mehr nicht diese Flamm' erzittern;
Doch weil, wenn anders Wahrheit ich vernommen,
Aus diesem Grund noch niemand heimgekehrt ist,
Antwort' ich jetzt dir ohne Furcht vor Schande.
Ich war erst Kriegsmann und dann Franziskaner,
Vom Strick umgürtet, abzubüßen hoffend,
Und sicher war' erfüllt mein Hoffen worden,
Wenn nicht der Großpfaff war (bekomm's ihm übel),
Der mich in meine frühre Schuld zurückwarf.
Wie und warum, sollst du anjetzt vernehmen.
Solang als ich in Fleisch und Bein noch webte
Dem Erbteil meiner Mutter, übt' ich Taten,
Die löwenartig nicht, nein, füchsisch waren.
Die list'gen Streich' all' und geheimen Schliche
Verstand ich, ihre Kunst so trefflich treibend,
Daß drob mein Ruf drang zu der Erde Enden.
Doch als an jenem Zeitpunkt meines Alters
Ich angelangt mich sah, wo jeder sollte
Einziehn die Tau' und seine Segel streichen,
Ward, was mich erst erfreut, mir jetzt zuwider,
Und reuevoll bekennend meine Sünden,
Hätt' ich, (o Weh' mir Armen!) mich gerettet.
Das Oberhaupt der neuen Pharisäer, –
Ganz nah dem Lateran in Krieg verwickelt,
Und nicht mit Sarazenen, noch mit Juden;
Denn Christen nur allein hatt' es zu Feinden,
Und keiner war bei Acres Sturm gewesen,
Noch als ein Kaufmann in des Sultans Landen., –
Nicht achtet' er in sich die heil'ge Weihe,
Nicht das erhabne Amt, in mir den Strick nicht,
Durch den sonst magrer ward, wer ihn getragen.
Nein, wie einst Konstantin dort im Sorakte
Silvester rief, vom Aussatz ihn zu heilen,
Also begehrte dieser mich zum Meister,
Daß ich ihm stille seines Hochmuts Fieber,
Und fragt' mich drob um Rat; doch ich verstummte,
Denn eines Trunknen schien mir seine Rede.
Und jener drauf: ,Laß nicht dein Herz verzagen!
Ich sprech' dich los für jetzt; doch du belehr' mich,
Wie Penestrinos Burg ich brechen möge.
Den Himmel kann ich öffnen und verschließen,
Das weißt du ja; dazu gibt's zwei der Schlüssel,
Die jüngst mein Vorfahr nicht gar hochgehalten.'
Da trieben an mich die gewicht'gen Gründe,
Weil Schweigen hier mir schien der schlimmste Ratschluß.
Daß ich begann: ›Da du mich, Vater, reinigst
Von dieser Sünd', in die ich jetzt muß fallen –
Ein lang Versprechen und ein kurzes Halten
Wird auf erhabnem Stuhl dir Sieg verschaffen.'
Franziskus suchte drauf mich, als ich tot war,
Doch einer von den schwarzen Cherubinen‹
Sprach zu ihm: ›Hol' ihn nicht, tu' mir nicht Unrecht!
Der muß hinab zu meinen Sklaven kommen,
Weil er gegeben hat den Rat des Truges,
Seitdem ich stets im Haar ihm bin gelegen.
Wer nicht bereut, den kann man los nicht sprechen,
Und nicht kann man zugleich bereun und wollen,
Dieweil der Widerspruch es nicht gestattet.'
O weh' mir Jammerndem! wie ich erbebte,
Als er mich packt' und zu mir rief: ›Du dachtest
Vermutlich nicht, daß ich Logik verstände.'
Zu Minos trug er hin mich, und der schmiegte
Den Schweif achtmal sich an den harten Rücken.
Drauf, sich vor großer Wut in jenen beißend,‹
Sprach er: ›Der Flammenhüll' ist dieser schuldig.'
Drob hier, wo du mich siehst, ich bin verloren
Und so umwallt in Herzeleid einhergeh'.‹
Nachdem er seine Red' also vollendet,
Entfernte sich mit Wehgeklag die Flamme,
Das spitze Horn verneigend und bewegend.
Wir gingen weiter, ich drauf und mein Führer,
Am Riff hinan bis auf den andern Bogen,
Der überm Schlund schwebt; drin mit Pön belegt wird,
Wer, Spaltung stiftend, selbst sich Last bereitet.

Achtundzwanzigster Gesang

Wer könnt', auch selbst in ungebundner Rede
Mehrmals erzählend, gnüglich all' die Wunden
Und all' das Blut, das ich jetzt sah, beschreiben?
Gewiß zu schwach wär' hier jedwede Zunge,
Weil unsre Sprach' und unser Sinn so vieles
In sich nicht zu umfassen Raum besitzen.
Wenn all' das Volk auch gleich versammelt wäre,
Das auf Apuliens schicksalsreichem Boden
Gejammert ob des eignen Bluts Vergießen
Durch Römerhand erst, in der langen Schlacht dann,
Die so gewalt'ge Beut' an Ringen brachte,
Wie Livius sonder Irrtum uns berichtet,
Nebst jenem Volke, dem geschmerzt die Hiebe,
Weil Robert Guiscard es sich widersetzet,
Und jenem, des Gebein noch jetzt man aufliest
Bei Ceperano, wo zu Lügnern wurden
All' die Apulier, und bei Tagliacozzo,
Wo Ehrhard siegt', der Alte sonder Waffen,
Und der durchbohrt ein Glied und der verstümmelt
Es zeigt', war's mit der widrigen Gestaltung
Der neunten Bulge nichts doch im Vergleiche.
Nicht sprang, wenn Mittelstück es oder Gere
Verloren, je ein Faß so, als durchhauen
Vom Kinn bis wo man furzt, ich einen schaute.
Hinab hing das Gedärm ihm an den Beinen.
Und das Geschling war sichtbar und der Beutel,
Der schnöde, der aus dem Verschlungnen Dreck macht.
Dieweil ich ganz auf ihn den Blick nun hefte,
Sah er mich an und sprach, sich mit den Händen
Auftu'nd die Brust: »Sieh, wie ich mich zerlege,
Sieh, wie verstümmelt Mahomed ist! Weinend
Geht Ali vor mir her, im Angesicht
Vom Kinn hinaufgespalten bis zum Stirnhaar,
Und all' die andern, die du hier erblickst,
Weil Unruh' sie und Spaltung ausgestreuet
Im Leben, sind anjetzt also zerspellt.
Ein Teufel spaltet uns dadrin so grausam
Und läßt jedweden aus der Rotte über
Des Schwertes Klinge wiederum dann springen.
Wenn wir die jammervolle Bahn umlaufen;
Denn stets aufs neu' verschließen sich die Wunden,
Eh' einer abermals vor jenen hintritt.
Doch wer bist du, der von dem Riff du gaffest,
Wohl zögernd, zu der Strafe dich zu stellen,
Die auf Beschuldigung dir zuerkannt ward?« –
»Nicht hat der Tod ihn noch erreicht, noch führet
Ihn Schuld zur Qual,« entgegnete mein Meister –
»Doch um vollkommne Kund' ihm zu gewähren,
Muß ich, der tot schon bin, von Kreis zu Kreise
Hier unten durch die Höll' ihn jetzt geleiten,
Und also ist's so wahr ich mit dir spreche!«
Wohl mehr denn hundert blieben in dem Graben,
Als sie's vernahmen, stehn, mich anzublicken,
Die Marter vor Verwunderung vergessend.
»So sag' dem Fra Dolcino denn, du, der wohl
Die Sonne bald aufs neu' erblickst, daß, will er
Mir nicht in kurzem folgen, er sich also
Mit Nahrungsmitteln rüste, daß die Schneenot
Den Novaresern nicht den Sieg verleihe,
Der außerdem nicht leicht wär' zu erringen.«
Den einen Fuß zum Weitergehn erhebend,
Sprach Mahomed zu mir sotane Worte
Und streckt' darauf, fortschreitend, ihn zu Boden.
Ein andrer, dem durchbohret war die Kehle
Und abgestutzt die Nas' bis zu den Brauen
Und der annoch ein einzig Ohr nur hatte,
Stillhaltend vor Verwundrung nebst den andern,
Um mich zu sehn, riß jetzt vor den Genossen
Den Schlund auf, blutrot allerseits von außen,
Und sprach: »O du, den keine Schuld verdammet
Und den ich einst sah im Lateinerlande,
Wenn mich zu große Ähnlichkeit nicht täuschet,
Gedenk' an Peter doch von Medicina,
Wenn je du wiedersiehst die holde Fläche,
Nach Marcabô sich senkend von Vercelli.
Und gib die Kund' den beiden besten Bürgern
Von Fano, Angiolello'n und Herrn Guido,
Daß, wenn hier eitel nicht ist das Vorhersehn,
Sie aus dem Schiff geworfen und gesäcket
Einst werden in der Näh' dort von Cattolica,
Von einem schnöden Wüterich verraten.
Nicht sah annoch Neptun so große Übeltat
Je zwischen Zyperns Eiland und Majorca
Nicht von Seeräubervolk, nicht von Argivischem.
Denn der Verräter mit dem einen Auge,
Der jene Stadt besitzet, die gesehen
Wohl einer hier bei mir nicht haben möchte,
Wird sie zu sich zur Unterredung laden
Und so dann tun, daß bei Focaras Windstoß
Sie nicht Gebet mehr brauchen, noch Gelübde.«
Und ich zu ihm drauf: ‹ Zeig' mir und erkläre,
Wenn ich hinauf von dir soll Nachricht bringen,
Wer jener sei, denn herb ist das Geseh'ne.‹
Drauf, an die Kinnlad' eines der Genossen
Die Hand anlegend, riß er ihm den Mund auf
Und rief: »Der ist es selbst hier, der nicht redet.
Er war es, der verbannt, in Cäsars Seele
Den Zweifel tilgt', behauptend, daß nur Schaden
Stets den Gerüsteten das Zögern brächte.«
O wie erschrocken Curio jetzt mir deuchte
Mit der zerschnittnen Zung' in seiner Gurgel,
Er, der so keck im Sprechen einst gewesen;
Und einer, der beraubt war beider Hände,
Streckt' in die dunkle Luft empor die Stumpen,
So daß das Blut besudelte sein Antlitz,
Und rief: »Du wirst doch Moscas noch gedenken,
Der ich, weh mir, einst sprach: Geschehnes fügt sich –
Ein Wort für Tusciens Volk des Unheils Samen,«
›Und deinem Stamm‹ – fügt' ich hinzu – ›Vernichtung!‹
Drob jener, häufend Schmerz auf Schmerz, davonging,
Gleich einem, der im trüben Wahnsinn hinwallt.
Doch ich verblieb, die Schar noch zu betrachten,
Und sah etwas, das ich mich scheuen würde,
Allein ohn' anderen Beweis zu melden,
Gab' mein Gewissen mir ein gut Geleit nicht,
Das unerschrocknen Sinn dem Menschen leihet,
Wenn ihn als Harnisch deckt ein rein Bewußtsein.
Ich sah gewiß (noch deucht mir, daß ich's sehe)
Hauptlos einhergehn einen Rumpf, gleich wie auch
Die andern wallten aus der Jammerherde.
Das abgeschlagne Haupt hielt bei den Haaren
Laternenartig in der Hand er schwebend,
Und dieses blickt' uns an und sprach: »O weh mir!« –
Sich selber macht' er selbst sich so zur Leuchte,
Daß zwei in einem, eins in zwei'n sie waren.
Wie solches sein kann, weiß, wer's so geordnet.
Als er gerad' am Fuße stand der Brücke,
Hob er den Arm empor zusamt dem Haupte,
Damit er seine Wort' uns näher brächte;
Die waren: »Sieh die qualenvolle Strafe,
Der du noch atmend wallst, zu schau'n die Toten,
Sieh, ob so groß wohl eine sei wie diese.
Und daß von mir du Nachricht bringen mögest,
So wiss', ich bin Bertram von Born, derselbe,
Der einst dem König Johann bösen Rat gab.
Den Vater hab' ich mit dem Sohn entzweiet,
Achitophel trieb Schlimmres nicht mit David
Und Absalon, voll Bosheit sie verhetzend.
Weil ich so Engverbundene getrennt,
Muß ich getrennt, weh! mein Geirn jetzt tragen
Von seiner Wurzel, die in diesem Strunk ist.
So wird in mir Vergeltungsrecht geübet.«

Neunundzwanzigster Gesang

Vom vielen Volk und den verschiednen Wunden
War also mir das Auge trunken worden,
Daß es zu ruhn sich und zu weinen sehnte.
Doch zu mir sprach Virgil: »Was starrst du länger,
Was weilen noch dort unten deine Blicke
Bei den verstümmelten betrübten Seelen?
So tat'st du ja nicht bei den andern Bulgen.
Denk', wenn du meinst, die Geister all' zu zählen,
Daß zweiundzwanzig Meilen dieses Tal kreist
Und schon der Mond steht unter unsern Füßen.
Nur wenig Zeit ist uns annoch vergönnet
Und mehr zu schaun, als du allhier erblickest.«
›Wenn auf die Ursach' du gemerket hättest,‹
Entgegnet' ich ihm drauf, drob ich hinabsah,
›Hätt'st du mir wohl noch stillzustehn gestattet.‹
Dieweil von dannen ging mein Führer, folgt' ich
Ihm nach, und fernerhin ihm Antwort gebend,
Fügt' ich hinzu: ›In dieser Höhle Umfang,
Worauf ich jetzt die Augen hielt geheftet,
Beweint, glaub' ich, ein Schatten, blutsverwandt mir.
Die Schuld, die drunten kommt zu stehn so teuer.‹
Drauf sprach der Meister: »Daß dich der Gedanke
An ihn von nun an künftig nicht mehr störe,
Merk' auf das andr' und laß ihn hier verbleiben,
Denn auf dich sah ich ihn am Fuß des Brückleins
Hindeuten mit dem Finger, ernst dir drohend,
Und nennen hört' ich ihn Geri del Bello.
Also warst damals du mit dem beschäftigt,
Der einst auf Hautefort hauste, daß dorthin du
Geblickt nicht hast, und so ging er von dannen.«
›O Führer, die gewaltsame Ermordung,‹
Sprach ich, ›die ungerächt ihm ist geblieben
Durch irgendeinen, so der Schmach Genosse,
Hat ihn erzürnt, weshalb er, wie ich glaube,
Davon ging, ohn' ein Wort mit mir zu reden,
Und solches hat mich mehr für ihn beweget.‹
So sprachen wir bis zu der ersten Stelle,
Wo von der Klippe sich bei mehrem Lichte
Das andre Tal vom Grund aus zeigen würde.
Als an dem letzten Kreuzgang Übelbulgens
Wir standen so, daß seine Laienbrüder
Vor unsern Blicken nun erscheinen konnten,
Traf mich verschiedenart'ges Wehgeklage,
Das mit des Mitleids Pfeilen mich durchbohrte,
Drob ich mir deckte mit der Hand die Ohren.
Ein Jammer, gleich als ob die Hospitäler
Von Valdichiana zwischen Heu- und Herbstmond
Und von Maremm' und von Sardinien sämtlich
In einer Grub' all ihre Seuchen einten,
Ward dort gehört, und solch ein Stank entstieg ihr,
Wie ihn ein eiternd Glied pflegt auszuhauchen.
Wir stiegen zu dem letzten Strand herab nun
Der langen Klipp', aufs neue links uns wendend,
Und drauf begann ich deutlicher zu sehen
Bis auf den Grund, allwo die unfehlbare
Gerechtigkeit, des Höchsten Dien'rin, alle
Verfälscher straft, die hier sie aufgezeichnet.
Betrübter, mein' ich, war nicht anzuschauen
Das Volk Äginas, insgesamt erkranket,
Da so von bösem Stoff die Luft erfüllt war,
Daß alle Tier' auch bis zum kleinsten Wurme
Hinfielen und sodann aus Ameissamen,
Wie es die Dichter uns für sicher geben,
Das frühere Geschlecht erneuert wurde, –
Als die verschiednen Haufen hier der Geister,
Die man hinschmachten sah im finstern Tale.
Der hier lag auf dem Bauch, der auf dem Rücken
Des andern, der dort schleppt' auf allen Vieren
Von Platz zu Platz sich hin am Pfad des Jammers.
Stillschweigend gingen Schritt vor Schritt einher wir
Und blickten hin und horchten auf die Kranken,
Die nicht vermochten, sich emporzurichten.
Zwei sah ich sitzen also aneinander
Gestützt, wie Pfann' an Pfann' am Herd man stützet,
Und Grinde deckten sie vom Kopf zu Fuße.
So eilig sah noch niemals ich den Burschen,
Auf den die Herrschaft wartet, noch auch jenen,
Der ungern aufbleibt, seine Striegel rühren,
Als unablässig mit der Nägel Schärfe
Sich beid' anfielen hier, weil so gewaltig
Das Jucken rast', dem nimmermehr wird Hilfe.
Sie zogen sich die Krätz' ab von den Nägeln,
Wie mit dem Messer das Geschupp man abstreift
Dem Brassen oder größerschupp'gen Fische.
»Du, der du mit den Fingern dich zerreißest
Manchmal,« begann mein Führer zu dem einen,
»Abkneipend mit denselben, wie mit Zangen,
Sag' an, ist ein Lateiner unter jenen,
Die drin hier sind, soll anders dir der Nagel
Zu solcher Arbeit ewiglich genügen?« –
»Lateiner sind wir selbst, die beid' entstellt so
Du hier erblickst,« antwortet' einer weinend,
»Doch du, wer bist du, der nach uns du fragest?«
Der Führer drauf: »Begleiter des Lebend'gen
Allhier bin ich, und stieg von Fels zu Felsen
Herunter, daß ich ihm die Hölle zeige.«
Drob los von der gemeinschaftlichen Stütze
Sich reißend, wandt' das Paar nach mir sich zitternd,
Nebst andern noch, die es beian vernommen.
Ganz dicht zu mir trat hin der gute Meister
Und sprach: »Sag' ihnen jetzt, was dir beliebet.«
Und ich begann darauf nach seinem Willen:
›Wenn euer Angedenken aus der Menschen
Erinnrung in der ersten Welt nicht flieh'n soll,
Nein, manche Sonnenwende durch noch leben,
So sagt mir, wer ihr seid und welches Volkes.
Abschrecken mög' euch eure ekelhafte
Und grause Pein nicht, mir euch zu entdecken.‹
»Ich war ein Aretiner, und verbrennen
Ließ mich,« sprach einer, »Albert von Siena,
Doch das, warum ich starb, führt' mich hierher nicht.
Wahr ist's daß ich im Scherz zu ihm gesprochen,
Ich könnt' im Flug mich durch die Luft erheben,
Und er, der voll Begier, doch leer an Witz war,
Verlangt', daß ich die Kunst ihm zeig', und ließ mich,
Nur weil er Dädalus nicht ward, durch jenen,
Der ihn als Sohn hielt, in das Feuer werfen.
Doch zu der letzten Bulge von den zehen
Verdammte, weil ich Alchymie im Leben
Getrieben, Minos mich, der nie kann irren.«
Und zu dem Dichter sprach ich: ›Gab's ein Volk je
Leichtsinnig wohl, gleich wie die Sieneser?
Gewiß, nicht die Franzosen sind's um vieles.‹
Darauf der andr' Aussätzige, mich hörend,
Ins Wort mir einfiel: »Nimm mir aus den Stricca,
Der Aufwand so mit Maß verstand zu machen.
Und Nikolaus, der zuerst erfunden
Die prächt'ge Kost der Nelk' in jenem Garten,
Wo alsobald bekleibt dergleichen Same.
Das Kränzchen auch nimm aus, darin verzettelt
Den Forst und Weinberg Caccia von Asciano
Und Abbagliato seinen Witz gezeigt hat.
Doch jetzt, damit du wissest, wer dir gegen
Sienas Volk so beisteht, blick' mich scharf an,
So daß mein Antlitz ganz dir Antwort stehe.
Und sehn wirst du in mir Capocchios Schatten,
Der einst Metall durch Alchymie verfälschet;
Denn kenn' ich recht dich, mußt du dich erinnern,
Was für ein guter Aff' ich der Natur war.«

Dreißigster Gesang

Zu jener Zeit, als gegen Thebens Samen
Ob Semeles in Zorn entbrannt war Juno,
Wie zu verschiednen Malen sie gezeigt hat,
Ward Athamas vom Wahnsinn so ergriffen,
Daß, da, auf jeder Seite gleich beladen,
Sein Weib er kommen sah zusamt zwei Söhnen
Er rief: »Spannt aus die Netze, daß die Löwin
Mit ihren Jungen ich am Ausgang fange.«
Ausstreckend drauf die unbarmherz'gen Klauen,
Packt' er den einen, der Learch genannt ward,
Und schleudert' und zerschlug an einem Stein ihn,
Und jen' ertränkte mit der andern Last sich.
Und als Fortuna der Trojaner Größe,
Die alles sich vermaß, zu unterst kehrte,
So daß der König mit dem Reich zugrund ging,
Hört' die gefangne Hekuba man traurig
Und elend, da sie Polyxenen tot sah
Und ihres Polydors, die Jammervolle,
War inne worden an dem Strand des Meeres,
In Raserei gleich einem Hunde bellen,
Weil so viel Schmerz den Sinn verstört ihr hatte.
Doch nicht thebanische, nicht Trojas Furien
Sah je so wild man Tiere, noch viel minder
Anfallen je die Glieder eines Menschen,
Als, um sich beißend, nackt und bleich zwei Schatten
Ich jetzt herbei sah laufen gleich dem Schweine,
Das aus dem Kof ist losgelassen worden.
Anlangend bei Capocchio, packt der ein' ihn
So mit den Zähnen am Genick, daß hin er
Ihn zog am harten Grund, den Rauch ihm reibend.
Zu mir der Aretiner drauf, der zitternd
Noch stand: »Der Kobold, der umher so wütet,
Beschädigend die Geister, ist Hans Schicchi.«
›O,‹ sprach ich, ›soll der andre dir die Zähne
Nicht in den Rücken setzen, so verdrieße
Dich's nicht, eh' er entschlüpft, ihn mir zu nennen.‹
Und er zu mir: »Das ist die alte Seele
Myrrhas, der Frevlerischen, die dem Vater
Mit mehr denn rechter Liebe ward gewogen,
Und ihr gelang's, zu sündigen mit jenem,
In fremdes Äuß're trügerisch sich hüllend,
Wie jener, der dort hingeht, einst die Rolle
Buoso Donatis fälschlich durchgeführet,
Letztwillig so nach Form des Rechts verfügend,
Damit der Herde Fürstin er gewinne.«
Und als die beiden Rasenden vorüber
Nun waren, drauf geruht mein Auge hatte,
Wandt' ich's, die andern Schurken zu betrachten.
Da sah ich einen, ähnlich einer Laute
Gestaltet, hätt' ihm anders man die Weichen
Dort, wo der Mensch gespalten ist, verstutzet.
Die läst'ge Wassersucht, die durch die Säfte,
Die schlechtverdauten, so verzerrt die Glieder,
Daß das Gesicht nicht mehr entspricht dem Wanste,
Hielt ihm die Lippen aufgesperrt, wie sonst wohl
Schwindsücht'ge tun, die ob des Dursts die eine
Dem Kinne zu, aufwärts die andre ziehen.
»O ihr, die sonder Straf' ihr (und nicht weiß ich,
Warum) euch in der schlimmen Welt befindet,«
Begann er jetzt zu uns, »schaut und betrachtet
Das Elend Meister Adams; denn im Leben
Hatt' alles ich vollauf, was ich begehrte,
Und schmacht', ach! jetzt nach einem Tröpflein Wasser.
Die Bächlein, die, herab zum Arno wallend
Von Casentinos grünen Hügeln, Kühlung
Und Feuchtigkeit in ihrem Bett verbreiten,
Stehn vor dem Geist mir stets, und nicht vergebens,
Denn mehr noch dörrt mich aus ihr Bild als selber
Das Übel, das mich abzehrt im Gesichte;
Denn die Gerechtigkeit, die streng mich peinigt,
Nimmt Anlaß von dem Ort, wo ich gesündigt,
Um hastiger die Seufzer mir zu jagen.
Dort liegt Romena, wo den Feingehalt ich,
Besiegelt mit des Täufers Bild, verfälschet,
Drum ich verbrannt den Leib zurückließ droben.
Doch sah' ich Guidos oder Alexanders
Verruchte Seel' hier oder ihres Bruders,
Für Brandas Born gäb' ich nicht hin den Anblick.
Drin ist die eine schon, wenn mich die Schatten,
Die ringsherum hier rasen, wahr berichtet,
Allein was hilft's mir mit gebundnen Gliedern!
Wär' ich so leicht nur, daß in hundert Jahren
Ich einen Zoll mich vorbewegen könnte,
So hätt' ich schon mich auf den Weg begeben,
Ihn unter dem entstellten Volk zu suchen,
Wenn es elf Meilen gleich im Kreis umherliegt
Und in der Breite mind'stens eine halbe.
Bei solcherlei Genossen bin durch jen' ich,
Da die Floren' sie mich verführt zu schlagen,
So drei Karat enthielten an Legierung.«
Ich drauf: ›Wer sind wohl die armsel'gen beiden,
Die dampfend, gleich der Hand, getaucht ins Wasser
Beim Winterfrost, dicht dir zur Rechten liegen?‹
»Hier fand ich sie, die nie seitdem sich wandten,«
Sprach er drauf, »als in diesen Spalt ich schneite,
Und werden's mein ich, nicht in Ewigkeiten.
Dies' ist die falsch' Anklägerin des Joseph,
Sinon von Troja der, der falsche Grieche,
Von Brodem qualmend beid' im hitz'gen Fieber.«
Und einer drauf von ihnen, dem's zuwider
Wohl war, verächtlich so genannt zu werden,
Schlug mit der Faust auf den gespannten Wanst ihm,
Der einem Trommelfell gleich widerdröhnte;
Doch Meister Adam gab ihm mit dem Arme,
Der minder hart nicht schien, eins ins Gesichte
Und sprach zu ihm: »Muß gleich ich die Bewegung
Entbehren durch die Schwere meiner Glieder,
Hab' ich doch frei zu solchem Zweck den Arm noch.«
Und jener drauf entgegnet': »Als zum Feuer
Du schrittest, war er dir nicht so behende,
Doch so und mehr noch war er's, als du prägtest.«
Der Wassersücht'ge jetzt: »Dran sprichst du Wahrheit,
Doch warst du nicht ein so wahrhaft'ger Zeuge,
Als man bei Troja dich nach Wahrheit fragte.« –
»Wenn falsch ich sprach, so fälschtest du die Münze,«
Rief Sinon, »und bin hier ob eines Fehls ich,
Bist du's ob mehr, denn irgend sonst ein Teufel.« –
»Erinn're dich, Meineidiger, des Pferdes,«
Gab der mit dem geschwoll'nen Wanst zur Antwort,
»Und Strafe sei dir's, daß es alle Welt weiß.« –
»Zur Strafe,« sprach der Grieche, »sei der Durst dir,
Drob dir die Zunge platzt, und vor den Augen,
Den Bauch dir türmend auf, das Eiterwasser.«
Der Münzer drauf: »So reißest du wie immer
Den Mund dann auf, Verkehrtes nur zu sprechen;
Denn dürst' ich auch, bin ich gefüllt mit Naß doch,
Dich aber plagt die Hitze samt dem Kopfschmerz,
Und lang' wird man dich nicht zu bitten brauchen,
Damit Narcissus' Spiegel du beleckest.«
Dieweil ich so gespannt auf jene horchte,
Begann zu mir mein Meister: »Sieh mir einer,
Es fehlt nur wenig, daß mit dir ich hadre!«
Als ich ihn jetzt im Zorn so sprechen hörte,
Wandt' ich mich gegen ihn so voll Beschämung,
Daß sie mir noch sich regt in der Erinn'rung.
Und jenem gleich, der, eignes Unglück träumend,
Im Traum zu träumen wünscht, sich das ersehnend,
Was wirklich ist, als ob es nicht so wäre,
Ward mir, da voll Begier, mich zu entschuld'gen,
Ich keine Worte fand, und bei dem allen
Mich doch entschuldigte, ohn' es zu wissen.
»Gering're Scham tilgt aus wohl größern Fehltritt.
Als deine ist gewesen,« sprach mein Meister,
»Darum entlade dich jedweden Trübsinns
Und denk' nur dran, daß ich dir immer nah' bin,
Wenn's je geschieht, daß dich der Zufall hinführt,
Wo Leut' in solcherlei Gezänk sich finden,
Denn niedrig ist der Wunsch, derlei zu hören.«

Einunddreißigster Gesang

Dieselbe Zunge, die mich erst verwundet,
So daß sich rot mir beide Wangen färbten,
Sie reichte wieder mir die Arzenei dann.
So hört' ich, daß die Lanze des Achilles
Und seines Vaters erst ein schlimm Geschenke
Und dann ein gutes zu erteilen pflegte.
Dem Jammertal nun wandten wir den Rücken,
Quer über'm Felsrand, der es rings begrenzet,
Hinschreitend, ohn' ein Wort von uns zu geben.
Hier war es Nacht nicht ganz und gänzlich Tag nicht,
So daß mein Blick nur wenig vorwärts reichte,
Doch hört' ich in ein Horn lautschallend blasen,
Drob selbst der Donner schwach geklungen hätte,
Und einem Punkt zu lenkten beide Augen
Sich mir, dem Ton nach in verkehrter Richtung.
Nach jener schmerzensvollen Niederlage,
Die Karl des Großen heil'gen Zug vereitelt,
Hat also furchtbar Roland nicht geblasen.
Kaum hatt' ich dort hinauf das Haupt gewendet,
Als es mir deucht', ich säh' viel hohe Türme,
Drob ich: ›Sprich, Meister, welche Stadt ist dieses?‹
Und er zu mir: »Weil durch die Finsternisse
Zu weit umher du schweifst, so muß es kommen,
Daß deine Vorstellung sich dann verirret,
Denn deutlich wirst du sehn, wenn dort du anlangst,
Wie sehr der Sinn sich täuscht aus der Entfernung;
Drum treibe selbst dich etwas schneller vorwärts.«
Darauf, mich freundlich bei der Hand ergreifend,
Sprach er: »Eh' wir noch weiterhin gelangen,
Daß dir die Sache minder seltsam scheine,
So wisse, nicht sind's Türme, nein, Giganten,
Die von dem Nabel abwärts samt und sonders
Im Schachte stehn ringsum am Felsenufer.«
Wie, wenn der Nebel sich zerstreut, das Auge
Jetzt nach und nach beginnt zu unterscheiden,
Was erst der Dunst barg, von der Luft verdichtet,
So, als ich mehr die dicken, dunklen Lüfte
Durchdrang und mehr mich näherte dem Strande,
Floh Irrtum mich, indes mich Furcht ereilte.
Denn wie an seinem zirkelförm'gen Umfang
Mit Türmen ist gekrönt Montereggione,
Also umtürmten mit dem halben Leibe
Den Rand, der ringsumher den Schacht umgürtet,
Die schrecklichen Giganten, die, wenn's donnert,
Noch immer Jupiter bedroht vom Himmel.
Und schon gewahrt' ich Antlitz, Brust und Schultern
Des einen und den Bauch zum großen Teile,
Und beiderseits hinab die Arme hängend.
Traun, als der Kunst, zu zeugen solche Wesen,
Natur entsagte, handelte gar wohl sie,
Dem Mars derlei Vollstrecker zu entziehen,
Und wenn sie's auch, Walfisch und Elefanten
Zu schaffen, nicht gereut hat, scheint sie weiser
Drum und gerechter bei genauer Prüfung;
Denn wo sich noch die Urteilskraft des Geistes
Dem bösen Willen und der Macht vereinet,
Kann niemand einen Damm entgegenstellen.
Sein Antlitz schien mir gleich an Läng' und Breite
Dem Pinienzapfen bei Roms Peterskirche,
Und demgemäß der andern Glieder Größe,
So daß der Strand, der bis zur halben Höhe
Ihm dient' als Schurz, nach oben hin so viel noch
Sehn ließ von ihm, daß bis zum Haar zu reichen
Vergebens sich gerühmt drei Friesen hätten;
Denn sein gewahrt' ich volle dreißig Spannen
Abwärts vom Ort, wo man den Mantel heftet.
»Rafel mal amec zabi almi,«
Begann der grause Mund anjetzt zu schreien,
Für den sich süßrer Psalmen Ton nicht schickte.
Zu ihm mein Führer drauf: »Blödsinn'ge Seele,
Bleib bei dem Horn, dir Luft mit ihm zu machen,
Wenn, sei's der Zorn, sei's andrer Trieb, dich fasset!
Such' nur am Hals, dort findest du den Riemen,
Verworrne Seele, dran es hängt gebunden,
Und sieh, wie's dir die breite Brust umreifet.«
Zu mir fuhr er jetzt fort: »Er selbst verklagt sich;
Nimrod ist er, durch des verkehrten Anschlag
Mehr herrscht als eine Sprache noch auf Erden.
Mag er denn stehn, laß uns umsonst nicht sprechen,
Denn ihm ist jede Sprache, wie den andern
Die seinige, die niemand ist verständlich.«
Wir wanderten fürbaß, jetzt links uns wendend,
Bis einen Armbrustschuß weit wir den andern
Giganten trafen, wilder noch und größer.
Nicht weiß ich, welch ein Meister ihn gebunden,
Doch hielt den rechten Arm umschnürt am Rücken
Und vorn den anderen ihm eine Kette,
Die also ihn umschlang abwärts vom Halse,
Daß sie an dem enthüllten Teil des Körpers
Umwickelt war bis zu der fünften Windung.
»Der Stolze wollt' einst seine Kraft versuchen
Am großen Jupiter,« begann mein Führer,
»Darum verdient er solche Straf; Ephialtes
Ist er benannt und tat so große Taten,
Daß vor den Riesen Furcht die Götter fühlten.
Die Arme, die er schwang, bewegt er nie mehr.«
Und ich zu ihm: ›Wenn's möglich wäre, möcht' ich
Mich selbst von Briareus', des Ungeheuren,
Gestalt mit eignen Augen überzeugen.‹
Er drauf: »Zunächst hier schaust du den Antaeus,
Der spricht und fessellos ist, und hinab uns
Zum tiefsten Grund wird alles Bösen heben.
Der, den du sehen willst, steht weiterhin dort,
Und ist gefesselt und von gleicher Bildung
Mit diesem, nur noch grimmiger im Antlitz.«
Nicht sah man einen so gewalt'gen Erdstoß
Je einen Turm so heftig noch erschüttern,
Als jetzt behend sich schüttelt Ephialtes.
Da glaubt' ich mehr als je, den Tod zu finden,
Wozu die Angst schon gnügend wär' gewesen,
Hätt' ich gewahret nicht des Riesen Bande.
Jetzt ging es weiter, bis wir zu Antaeus
Gelangten, der, den Kopf nicht mitgerechnet,
Fünf Ellen wohl aus jener Höhlung ragte.
»O du, der in dem schicksalsreichen Tale,
Wo Scipio Ruhm ererbt hat, als den Rücken
Mit seinen Scharen Hannibal gewendet,
Dir tausend Leu'n als Beute sonst errungen,
Und von dem, wärst du bei dem großen Kampfe
Gewesen mit den Brüdern, wohl zu glauben,
Daß Sieg dem Erdgeschlecht verschafft du hättest, –
Setz' uns (und nicht verdrieß' es dich) hinunter,
Wo den Cocyt zusammenzeucht die Kälte;
Schick' uns zu Titius nicht, noch zu Typhoeus,
Der kann gewähren dir, was hier begehrt wird;
Drum bücke dich und rümpfe nicht die Schnauze,
Er kann dir Ruhm noch auf der Welt bereiten,
Da er noch lebt und hofft auf langes Leben,
Wenn Gnad' ihn vor der Zeit nicht zu sich hin ruft.«
Der Meister sprach's, und jener packte schleunig
Mit ausgestreckter Hand nun meinen Führer,
Von der einst Herkules so sehr bedrängt ward.
Als sich Virgil erfaßt jetzt fühlte, rief er
Mir zu: »Komm her zu mir, daß ich dich fasse!«
Und drauf verschlang er mich mit sich zum Bündel.
Wie Carisendas Turm scheint dem Beschauer,
Der unterm Hang ihm steht, wenn ein Gewölke
Entgegen seiner Neigung drüber hinzieht,
Schien mir Antaeus, da auf ihn ich merkte,
Wie er sich bückt', und wohl zur selben Stunde
Wär' ich auf andrer Straße gern gezogen.
Doch leichtlich legt' er auf den Grund, wo Judas
Mit Luzifer verzehrt wird, uns hinab,
Und länger nicht gebückt dort weilend, hob er,
Wie in dem Schiff der Mastbaum, sich empor.

Zweiunddreissigster Gesang

Wenn rauh und holprig mir verliehen wären
Die Verse, wie fürs schlimme Loch sich ziemte,
Drauf insgesamt die andern Felsen wuchten,
Würd' ich den Saft in größrer Fülle pressen
Aus des Gedankens Kern; doch des entbehrend,
Entschließ' ich mich nicht sonder Furcht, zu dichten;
Denn spielend nicht und nicht mit einer Zunge,
Die noch »Papa, Mama« lallt, kann man's wagen,
Den Grund des ganzen Weltalls zu beschreiben.
Doch förderten die Frau'n mein Lied nur, die einst
Amphion halfen Theben zu ummauern,
So daß das Wort der Wirklichkeit entspräche!
O Volk, zum Weh' erzeugt vor allen, weilend
Am Ort, drob's hart zu sprechen, wärt ihr lieber
Schaf oder Geißen doch allhier gewesen! –
Als nun im finstern Schacht wir standen drunten,
Weit tiefer unterm Fuß schon des Giganten,
Und ich zur hohen Felswand auf noch blickte,
Vernahm ich solches Wort: »Gib auf den Weg acht,
Sieh zu, daß mit den Sohlen du die Häupter
Der armen müden Brüder nicht zertretest.«
Mich wendend drauf, erblickt' ich mir zu Füßen
Und vor mir einen See jetzt, der nicht Wasser,
Nein, Glas zu sein schien durch die Kraft des Frostes.
So dicke Rinde zieht der Donaustrom nicht
Des Winters über sich in Österreich,
Noch auch der Don dort unterm kalten Himmel,
Als hier zu schauen war; denn wär' Tabernichs,
Wär' Pietrapanas Berg auch drauf gefallen,
Doch hätt' am Rand man nie gehört ein »Krick«.
Und wie der Frosch beim Quaken aus dem Wasser
Hervor die Schnauze streckt zur Zeit, da öfters
Die Bäuerin vom Ährenlesen träumet,
So staken, dunkelblau bis wo das Schamrot
Sich zeigt, im Eis die jammervollen Schatten,
Im Storchenton mit ihren Zähnen klappernd.
Abwärts hielt jed' ihr Angesicht gewendet,
Vom Frost legt' Zeugnis ab ihr Mund, vom Herzen,
Dem trübgesinnten, legten's ab die Augen.
Erst etwas um mich blickend, warf das Aug' ich
Zu meinem Fuß jetzt und gewahrte zwei dort,
So eng vereint, daß sie ihr Haupthaar mischten.
›Sagt ihr, die ihr so an die Brust euch schließet,‹
Sprach ich, ›wer seid ihr?‹ und als drauf die Hälse
Sie bogen, auf zu mir ihr Antlitz richtend,
Troff ihrer Augen Lid, das feucht im Innern
Erst nur, von Tränen, die dann, zwischen jenen
Von Frost erstarrt, sie kitteten zusammen.
Nicht hat noch Holz mit Holz je eine Schiene
So fest vereint; drob sie, zwei Böcken ähnlich,
Vom Zorn bezwungen, aneinander prallten.
Und einer, den die Kälte beider Ohren
Beraubt, sprach, immerhin abwärts gewendet
Das Antlitz: »Was begaffst du uns so lange?
Begehrst zu wissen du, wer diese zwei sind?
Das Tal, daraus herabströmt der Bisenzio,
War Albert, ihrem Vater, einst und ihnen.
Aus einem Leib entkamen sie, und suchtest
Du ganz Caïna durch, fänd'st keinen Schatten
Du doch, der mit mehr Recht im Gallert steckte;
Nicht jener mehr verdient's, dem Brust und Schatten
Ein Lanzenstoß durchstach von Arturs Hand;
Focaccia nicht, nicht dieser hier, des Haupt sich
Vor mir so türmt, daß ich nicht weiter seh',
Und der genannt war Sassol Mascheroni;
Wenn du ein Tuscier, weißt du, wer er war.
Doch daß du mehr nicht von mir fordern mögest,
So wisse, Camicion de' Pazzi war ich
Und warte drauf, daß mich Carlin vertrete.«
Drauf sah ich tausend fletschender Gesichter
Gleich Hunden durch den Frost, drob es mich schaudert
Und stets wird schaudern vor gefrornen Lachen.
Und während wir zum Mittelpunkte wallten,
Bei dem sich alles Schwere strebt zu einen,
Und zitternd in der ew'gen Kühl' ich hinging, –
War's Absicht nun, war's Schickung oder Zufall, –
Doch zwischen jenen Häuptern wandelnd, stieß ich
Gewaltig einen mit dem Fuß ins Antlitz.
Er schrie mich weinend an: »Warum mich treten?
Wenn du nicht kommst, die Rache mir zu häufen
Ob Montapertis Schlacht, warum mich quälen?«
Und ich darauf: ›Jetzt harre mein, o Meister,
Bis ich durch den mir einen Zweifel löse,
Und dann magst du nach Wunsch mich eilen heißen.‹
Still hielt der Führer, und ich sprach zu jenem,
Der noch mit harten Worten auf mich fluchte;
›Wer bist du, der so keifet gegen andre?'‹
»Und wer bist du, der wallt durch Antenora,«
Entgegnet' er, »auf andrer Wangen stampfend?
Wenn du lebendig, wär' es allzu schlimm doch.«
›Lebendig bin ich, und es kann dir lieb sein,‹
Antwortet' ich, ›wenn dir nach Ruhm verlanget,
Daß deinen Namen ich zu andern schreibe.‹
Und er zu mir: »Das Gegenteil begehr' ich!
Hinweg! beläst'ge mich nicht mehr, denn schlecht nur
Verstehst zu schmeicheln du in dieser Heide.«
Da rief ich, bei dem Schopf ihn hinten packend:
›Du wirst mir doch dich selbst noch nennen müssen,
Sonst soll kein Haar hier oben dir verbleiben.‹
Drauf er zu mir: »Rauf immerhin sie aus mir;
Nicht sag' ich, wer ich bin, noch werd' ich's zeigen,
Wenn tausendmal du mir aufs Haupt auch stürzest.«
Schon hatt' ich um die Hand sein Haar gewickelt
Und mehr denn eine Lock' ihm ausgerissen,
Indes er boll, die Augen niederschlagend,
Als jetzt ein andrer rief: »Was hast du, Bocca?
Genügt dir's mit den Laden nicht zu klappern?
Mußt du auch bellen? Welch ein Teufel plagt dich!«
›Fortan,‹ sprach ich, ›brauchst mehr du nichts zu sagen,
Du hämischer Verräter; dir zur Schande
Werd' ich von dir wahrhaft'ge Kunde bringen.'‹
»Geh fort,« sprach er, »was dir beliebt, erzähle;
Doch schweige, wenn du je hieraus entrinnest,
Nicht über den, des Zunge jetzt so rasch war
Und der ob der Franzosen Geld hier weinet.
Ich sah, sprichst du wohl einst, den von Doaria
Dort, wo im kalten Bad die Sünder sitzen.
Fragst du, wer weiter da sei, wohl so wisse,
Daß dir zur Seit' ist der von Beccheria,
Dem einst Florenz die Gurgel abgeschnitten.
Hans Soldanier wird weiter dort zu finden
Wohl sein, nebst Gannelon und Tribadello.
Der, weil man schlief, Faenzas Tor' erschlossen.«
Wir hatten schon von jenen uns entfernet,
Als zwei Erfrorn' ich sah in einem Loche,
So daß ein Haupt, als Hut, das andre deckte.
Und wie beim Hunger man ins Brot beißt, setzte
Der ob're auf den andern seine Zähne,
Wo das Gehirn sich dem Genick verbindet;
Nicht anders hat einst Melanippus' Schläfe
Tydeus vor Wut benaget, als den Schädel
Und alles übrige der hier benagte.
›O du, der Haß durch solch ein viehisch Zeichen
Du gegen den beweisest, den du frissest,
Sag' an,‹ sprach ich, ›warum, und dir gelob' ich
Dafür, daß, wenn mit Recht ob ihm du klagest,
Da eure Namen ich und seine Schuld weiß,
Ich droben in der Welt dir's noch vergelte,
Soll sie, mit der ich spreche, nicht vertrocknen.‹

Dreiunddreissigster Gesang

Den Mund erhob vom grausen Mahl der Sünder,
Abwischend an den Haaren ihn des Hauptes,
Das am Genick er übel zugerichtet.
Drauf fing er an: »Verzweiflungsvolle Schmerzen
Soll ich erneun, die mir das Herz beklemmen
Beim Denken schon, eh' ich davon noch spreche;
Doch kann mein Wort ein Same sein, dem Schande
Entsprießt für den Verräter, den ich nage,
Magst du zugleich mich weinen sehn und reden.
Nicht weiß ich, wer du seist, noch auf was Weise
Du hier herabkamst, doch ein Florentiner
Scheinst in der Tat du mir nach deiner Sprache.
So wisse denn, ich war Graf Ugolino,
Erzbischof Roger dieser, und vernimm jetzt,
Warum ich ihm bin ein so läst'ger Nachbar.
Daß ich infolge seiner schlimmen Ränke,
Mich ihm vertrauend, eingekerkert wurde
Und dann getötet, brauch' ich nicht zu sagen.
Doch das, was du nicht kannst erfahren haben,
Wie grausam nämlich ist mein Tod gewesen,
Das hör' und sieh, ob er mir wehgetan hat.
Ein enges Loch im Umkreis jenes Käfigs,
Der jetzt nach mir den Namen trägt des Hungers,
Und andere dereinst noch muß umschließen,
Er hatte manchen Mond durch seine Öffnung
Mir schon gezeigt, als unheilvoll ein Schlummer
Den Schleier mir zerriß vor meiner Zukunft.
Es schien mir dieser hier als Herr und Führer
Den Wolf mit seinen Wölflein hinzujagen
Zum Berg, der Lucca den Pisanern decket.
Und vor sich her ließ er mit magern, scharfen,
Wohleingehetzten Hündinnen Gualandi,
Zusamt Sismondi und Lanfranchi sprengen.
Nach kurzem Lauf schon schienen Söhn' und Vater
Ermattet mir, und ihre Weichen sah ich
Aufreißen, deuchte mir, mit spitzen Fängen.
Als ich vor Tagesanbruch drauf erwachte,
Hört' ich die Söhnlein, die mit mir hier waren,
Im Schlafe weinen und nach Brot verlangen.
Wohl hart bist du, wenn du bei dem Gedanken
Des, was mein Herz jetzt ahnte, nicht schon trauerst;
Und weinst du nicht, weshalb pflegst du zu weinen?
Wir waren wach jetzt, und die Stunde nahte,
Wo man uns Speise sonst zu bringen pflegte;
Doch jeder zweifelte ob seines Traumes,
Als unter uns des grausen Turmes Tor ich
Zuschließen hörte, drob ich meinen Söhnen
Ins Angesicht sah, ohn' ein Wort zu sprechen.
Nicht weint' ich, so erstarrt war ich im Innern,
Doch jene weinten, und mein Anselmuccio
Sprach: ›Blickst mich ja so an, was hast du, Vater?‹
Doch keine Trän' entfiel mir, und nicht gab ich
Den ganzen Tag ihm, noch die Nacht drauf Antwort,
Bis sich der Welt zeigt' eine neue Sonne.
Als nun ein schwacher Strahl ins schmerzensvolle
Gefängnis drang, und auf vier Angesichtern
Das Aussehn ich des eigenen gewahrte,
Biß ich vor Schmerz mich selbst in beide Hände;
Doch jene, glaubend, daß ich's aus Begierde
Nach Speise tät', erhoben sich behende
Und sprachen: ›Vater, minder schmerzlich wär's uns,
Wenn du von uns jetzt äßest, du umgabst uns
Mit diesem Jammerfleisch, nimm es uns wieder.‹
Da ward ich still, sie mehr nicht zu betrüben,
Stumm blieben wir den Tag all' und den nächsten.
O harte Erde, daß du dich nicht auftatst!
Doch als wir bis zum vierten Tag nun kamen,
Fiel Gaddo ausgestreckt zu meinen Füßen
Und rief: ›Mein Vater, ach! was hilfst du mir nicht!‹
Dort starb er, und wie du mich hier erblickest,
Sah ich die drei, eins nach dem andern, fallen
Vom fünften Tag zum sechsten, drauf ich blind schon
Begann herumzutappen über jeden,
Und sie zwei Tage rief nach ihrem Tode,
Bis Hunger tat, was nicht der Schmerz vermochte.«
Sprach's und ergriff verwandten Blicks den Schädel,
Den jammervollen wieder mit den Zähnen,
Die wie ein Hundsgebiß die Knochen malmten.
Weh' Pisa dir, du Schandfleck alles Volkes
Des schönen Lands, allwo das sî ertönet!
Da langsam sind die Nachbarn, dich zu strafen,
Bewege sich Capraja nebst Gorgona,
Sich also dämmend vor des Arno Mündung,
Daß es in dir die Menschen all' ersäufe.
Denn ward Graf Ugolino gleich bezichtigt,
Er hab' ob der Kastelle dich verraten,
Sollt'st du die Söhn' aufs Kreuz doch so nicht spannen;
Unschuldig machte ja, du jüngres Theben,
Die Jugend Uguccione und Brigata
Und jene zwei, im Lied genannt schon oben.
Wir gingen weiterhin, bis wo, vom Froste
In rauher Hüll' umstrickt, ein andres Volk weilt,
Gebückt nicht, nein, ganz rücklings umgestürzet:
Das Weinen selbst erlaubt hier nicht, zu weinen,
So daß der Jammer, in dem Aug' gehemmet,
Die Angst vermehrt, sich nach dem Innern wendend;
Denn es vereinen sich die ersten Tränen
Zu Klumpen, und die Augenhöhlen füllen
Sie, gleich kristallnen Brillen, untern Brauen.
Und ob auch schon, gleich wie aus einer Schwiele,
Aus meinem Antlitz jegliche Empfindung
Sich ob des Frosts zurückgezogen hatte,
So glaubt' ich doch ein wenig Wind zu fühlen;
Drob ich: ›Mein Meister, wer erregt nur solches?
Hat nicht hienieden aller Dunst ein Ende?‹
Drauf er zu mir: »Dorthin gelangst du nächstens,
Wo dir dein Auge drauf wird Antwort geben,
Die Ursach', der das Wehn entströmt, erblickend.«
Und ein Elender aus der kalten Rinde
Schrie gegen uns: »O Seelen, also grausam,
Daß euch die letzte Stätt' ist angewiesen,
Entfernt mir vom Gesicht die harten Schleier,
Daß sich der Schmerz, der mir die Brust füllt, etwas
Entlad', eh' wiederum die Zähren frieren.«
Drauf ich zu ihm: ›Sag' an, soll ich dir helfen,
Wer bist du, und wenn ich dich dann nicht löse,
So mög' ich zu dem Grund des Eises sinken.‹
Drob nun entgegnet' er: »Mönch Alberigo,
Der mit den Früchten des verruchten Gartens,
Bin ich, der Datteln hier empfängt für Feigen.«
›O,‹ sprach ich, ›bist denn du auch schon gestorben?‹
Und er zu mir: »Wie's droben auf der Erde
Um meinen Leib steht, des hab' ich nicht Kunde;
Denn solchen Vorzug hat die Ptolemäa,
Daß oftmals schon der Geist in sie herabfällt,
Bevor noch Atropos ihn trieb von dannen.
Doch daß du williger vom Angesichte
Hinweg mir räumest die verglasten Tränen,
Wiss', daß, sobald Verrat geübt die Seele,
Wie ich getan, der Körper ihr geraubt wird
Von einem Dämon, der ihn dann beherrschet,
Bis gänzlich umgelaufen seine Zeit ist.
Sie stürzt herab in solcherlei Zisternen,
Und so mag oben noch der Leib zu sehn sein
Des Schattens, hinter mir hier überwinternd,
Wie du wohl weißt, wenn du erst jetzt herabkommst:
Herr Branca d'Oria ist's, und mehr' der Jahre
Vergingen schon, seit er hier ward umschlossen.«
Drauf ich zu ihm: ›Ich glaube, du betrügst mich,
Denn keineswegs starb ja Herr Branca d'Oria,
Der immer noch ißt, trinkt, schläft und sich kleidet.‹
»Dort oben in der Grausetatzengrube«,
Sprach er, »allwo der zähe Pechbrei siedet,
War Michael Zanche noch nicht eingetroffen,
Als der den Teufel ließ an seiner Stelle
Im eignen und in des Verwandten Körper,
Der den Verrat zugleich mit ihm vollbrachte.
Doch streck' hierher die Hand jetzt, mir die Augen
Zu öffnen.« Und ich öffnet' ihm sie doch nicht;
Denn edel war's zum Schelm an ihm zu werden.
O Genueser, Männer, aller Sitte
Entfremdet und bedeckt mit allen Fehlern,
Was seid ihr von der Welt nicht ausgerottet!
Denn mit der Schatten schlimmsten aus Romagna
Traf einen ich der Euren, der dem Geist nach
Ob seiner Tat schon im Cocyt sich badet,
Indes er lebend scheint dem Leib nach droben.

Vierunddreißigster Gesang

»Vexilla Regis prodeunt inferni
Adversum nos,«
begann zu mir mein Führer,
»Drum blicke vorwärts, ob du's unterscheidest.«
Wie – sei's, daß sich erhebt ein dichter Nebel,
Sei's, daß auf unsrer Hemisphär' es Nacht wird –
Fern her, vom Wind gedreht, scheint eine Mühle;
Ein solch' Gebäude wähnt' ich jetzt zu schauen
Und schmiegte rückwärts dann mich, ob des Windes,
Dem Führer an, weil sonst kein Schirm zu finden.
Schon stand ich (nur mit Furcht setz' ich's in Verse),
Wo ganz und gar bedeckt die Schatten waren,
Durchscheinend wie ein Splitter in dem Glase.
Flach liegen diese, senkrecht stehn die andern,
Bald mit dem Haupt, bald mit den Sohlen oben,
Der dort kehrt Bogen gleich zum Fuß das Antlitz.
Als wir bis dahin vorwärts nun gekommen,
Wo es gefiel dem Meister, das Geschöpf mir
Zu zeigen, das so schön einst ist gewesen,
Zog er mich vor sich hin und hieß mich stillstehn
Und sprach: »Sieh hier den Dis, sieh hier die Stätte,
Wo's dir geziemt, mit Starkmut dich zu waffnen.«
Wie starr und sprachlos bin ich da geworden,
Das frage nicht, o Leser, denn nicht schreib' ich's,
Weil allzuschwach dafür jedwedes Wort wär'.
Nicht traf der Tod mich, noch blieb ich am Leben;
Bedenk' jetzt selbst, hast du nur etwas Einsicht,
Was aus mir ward, da beider ich beraubt war.
Des schmerzensvollen Reiches Kaiser ragte
Bis zu der halben Brust vor aus dem Eise,
Und eh' würd' ich wohl einem der Giganten
Vergleichbar sein, als diese seinen Armen;
So sieh nun zu, wie groß das Ganze sein muß,
Das so gestalt'tem Teile soll entsprechen.
Wenn er so schön war, als er jetzt ist scheußlich,
Und hob das Aug' auf gegen seinen Schöpfer,
Muß alles Weh' von ihm sich her wohl schreiben.
0 welch ein großes Wunder es mir däuchte,
Als drei Gesichter ich an seinem Kopf sah!
Das eine blutrot an der vordern Seite,
Und von den andern beiden, die sich jenem
Grad ob der Mitte jeder Schulter einten,
Sich aneinanderschließend, wo der Kamm sitzt,
Halb weiß, halb gelb das nach der rechten Hand hin,
Und das zur linken so zu schaun wie jene,
Die dorther stammen, wo der Nil zu Tal stürzt.
Ein mächtig Flügelpaar ragt' unter jedem
Hervor, wie's so gewalt'gem Vogel ziemte;
Nie sah ich auf dem Meer dergleichen Segel.
Gefiedert nicht, nein, wie von Fledermäusen
War ihre Weis', und mit denselben flatternd,
Ließ von sich aus dreifachen Wind er wehen, .
Drob allenthalben der Cocyt zu Eis fror.
Er weinte mit sechs Augen, und es troff ihm
Geträn' und blut'ger Geifer von drei Kinnen;
In jedem Mund zermalmt' er mit den Zähnen,
Gleich wie mit einer Breche, einen Sünder,
So daß er ihrer drei so leiden machte.
Dem vorn war nichts das Beißen im Vergleiche
Mit dem Zerkrallen, denn die Haut blieb öfters
Von seinem Rücken gänzlich abgeschunden.
»Die Seel', am heftigsten gepeinigt droben,
Ist,« sprach der Meister, »Judas Ischariotes,
Das Haupt drin und heraus die Beine streckend.
Und von den beiden mit dem Haupt zu unterst
Ist's Brutus, der von schwarzer Schnauz' herabhängt –
Sieh, wie er sich verdreht und keinen Laut gibt.
Der andr' ist Cassius, der so stark an Gliedern.
Doch wieder steigt die Nacht empor, und Zeit ist's,
Davonzugehn, weil alles wir gesehen.«
Den Hals umschlang ich ihm nach seinem Willen,
Und er darauf, wahrnehmend Zeit und Stätte,
Als eben weit die Flügel auf sich taten,
Hing fest sich jetzt an die behaarten Flanken,
Und stieg von Schopf zu Schopf herab dann zwischen
Dem dichten Haar und der gefrornen Rinde.
Als wir dahin nun kamen, wo der Schenkel
Sich dreht grad an dem breit'sten Teil der Hüfte,
Wandt' mit Beschwerd' und Mühe mein Begleiter
Dorthin das Haupt, wo erst die Bein' ihm waren,
Sich klammernd an das Haar, wie wer emporsteigt,
So daß ich meint', es geh' zurück zur Hölle.
»Halt' dich recht fest an, denn durch solche Stiegen,«
Sprach, keuchend wie ein Müder, jetzt mein Meister,
»Ziemt's, von so großem Weh' sich zu entfernen.«
Darauf kam er zu eines Felsens Öffnung
Heraus, und auf den Rand mich niedersetzend,
Trat neben mich er hin dann sichern Schrittes.
Ich hob den Blick, und Luzifer vermeint' ich
Zu schaun, wie ich ihn erst verlassen,
Und sah empor ihn seine Beine richten.
Und daß ich in Verwirrung jetzt geraten,
Das mag der Pöbel fassen, der nicht einsieht,
An welchem Punkt ich war vorbeigekommen.
»Steh auf!« begann der Meister, denn noch lang ist
Der Weg und schlimm die Straß', und schon zur Hälfte
Der dritten Stunde kehrt zurück die Sonne.«
Nicht eines Schlosses Saal war's, wo wir standen,
Nein, ein Verlies, von der Natur erbauet,
Ungleichen Bodens und nur schlecht erleuchtet.
›O Meister, eh' dem Abgrund ich entrinne,‹
Sprach ich, nachdem ich mich emporgerichtet,
›Erzähl' ein wenig mir, mich zu enttäuschen,
Wo ist das Eis? Wie ist Der umgestürzt so?
Und wie hat nur vom Abend in den Morgen
Die Sonne sich versetzt in wenig Stunden?‹
Und er zu mir: »Du glaubst annoch dich jenseits
Des Mittelpunkts, wo ich ans Haar des schlimmen
Lindwurms mich hing, der mitten durch die Welt bohrt.
Doch warst du's nur so lang', als ich hinabstieg;
Da ich mich wandte, kamst vorbei am Punkt du,
Nach dem sich allerseits die Lasten hinziehn,
Und weilst jetzt unter einer Hemisphäre,
Der gegenüber, die, vom großen Festland
Bedeckt, hinsterben sah auf ihrem Gipfel
Den Mann, der sündlos ward erzeugt und lebte.
Es steht dein Fuß auf einem kleinen Kreise,
So der Judecca Gegenseite bildet.
Hier ist es Morgen, wenn es dort ist Abend,
Und dieser, der mit seinem Haar als Stiege
Uns hat gedient, steckt wie vorher noch immer.
Vom Himmel fiel herab auf diese Seit' er,
Und jenes Land, das hier empor erst ragte,
Umhüllt' aus Furcht vor ihm sich mit der Meerflut
Und kam auf unsre Hemisphär', und wohl ließ
Das, was sich diesseits zeigt, hier leer die Stätte,
Ihm zu entfliehen, und entwich nach oben.«
Dort unten ist ein Ort, so weit entlegen
Von Beelzebub, als seine Gruft sich ausdehnt,
Und nicht dem Auge, nur dem Ohr bezeichnet
Ein Bächlein ihn, das hier herniederrinnet
Durch einen Felsspalt, den's gewundnen Laufes
Und mit geringem Fall sich ausgewaschen.
In den geheimen Pfad trat mit dem Führer
Ich ein, zur lichten Welt zurückzukehren,
Und ohne irgend mehr der Ruh' zu pflegen,
Ging's aufwärts, er voran und ich ihm folgend,
Bis ich vom schönen Schmuck des Himmels etwas
Wahrnahm durch eine runde Kluft, zu der wir
Heraus dann tretend, wiedersahn die Sterne.

Das Fegefeuer

Erster Gesang

Durch bessre Flut den Lauf zu nehmen, ziehet
Die Segel auf jetzt meines Geistes Schifflein,
Das hinter sich so grauses Meer zurückläßt,
Und singen werd' ich von dem zweiten Reiche,
Allwo sich reiniget der Geist des Menschen
Und würdig wird, zum Himmel aufzusteigen.
Doch hier ersteh' die tote Dichtkunst wieder,
Da ich der Eure bin, ihr heil'gen Musen,
Hier hebe sich Kalliope ein wenig,
Mein Lied begleitend mit dem Ton, von dem sich
Die unglücksel'gen Elstern so betroffen
Gefühlt, daß an Vergebung sie verzweifelt.
Des morgenländ'schen Saphirs sanfte Bläue,
Die in dem heitern Anblick war ergossen
Der reinen Luft bis hin zum ersten Kreise,
Fing wieder an mein Auge zu erfreuen,
Sobald ich aus der Todesluft hervorkam,
Die Augen mir und Herz verdüstert hatte.
Ganz lächelte der Aufgang von dem schönen
Planeten, dem Ermunterer zum Lieben,
Der sein Geleit, die Fische, überstrahlte.
Ich wandt' zur Rechten mich, den Sinn gerichtet
Zum andern Pol hin, und sah dort vier Sterne,
Die niemand als das erste Paar noch wahrnahm;
Der Himmel freute, schien's, sich ihrer Flämmchen.
O arktische, verwaiste Erdengegend,
Da dir versagt ist, jene zu betrachten!
Als ich von ihrem Anschaun mich entfernet,
Ein wenig nach dem andern Pol mich wendend,
An dem der Wagen schon nicht mehr zu sehn war,
Erblickt' allein zur Seit' ich einen Greis mir,
Dess' Äußeres so viele Ehrfurcht heischte,
Daß mehr kein Sohn ist seinem Vater schuldig.
Lang trug er seinen Bart, mit weißem Haare
Gemischt, den Locken seines Hauptes ähnlich,
Davon zur Brust ein Doppelstreif herabfiel.
Die Strahlen der vier heil'gen Himmelslichter
Umsäumten so sein Angesicht mit Schimmer,
Daß ich ihn sah, als träf auf ihn die Sonne.
»Wer seid ihr, die, dem finstern Strom entgegen,
Dem ewigen Gefängnis ihr entronnen?«
Sprach er, das ehrenhafte Haar bewegend.
»Wer hat geführt euch? Wer dient' euch als Leuchte,
Um aus der tiefen Nacht hervorzukommen,
Drob für und für das Tal der Hölle schwarz ist?
Ist das Gesetz des Abgrunds so gebrochen?
Ward neuerdings des Himmels Rat geändert,
Daß als Verdammt' ihr kommt zu meinem Felsen?«
Alsbald ergriff behend mich mein Begleiter
Und hieß mit Worten, mit der Hand, mit Winken,
In Ehrfurcht Aug' und Knie vor ihm mich beugen;
Sodann antwortet' er: »Von selbst nicht kam ich;
Vom Himmel stieg ein Weib herab, auf dessen
Gesuch ich hilfreich diesem das Geleit gab.
Doch da dein Will' es ist, daß ich dir näher,
Wie es in Wahrheit um uns steht, verkünde,
Kann's nicht der meine sein, dir's zu verweigern.
Nicht sah noch dieser hier den letzten Abend,
Doch war so nah er ihm durch seine Torheit,
Daß nur ein kurzer Zeitlauf noch blieb übrig.
Wie ich gesagt, ward ich zu ihm gesendet,
Daß ich ihn rett', und keinen andern Weg mehr
Als diesen gab es, den ich eingeschlagen.
Gezeigt hab' ich das ganze Frevlervolk ihm,
Und denke jetzt, die Geister ihm zu zeigen,
Die unter deiner Aufsicht sich entsühnen.
Wie ich heraus ihn zog, wär' lang zu sagen,
Kraft aus der Höh' hilft mir hierher ihn führen,
Wo er dich sehen kann und dich vernehmen.
So mögst sein Kommen denn genehm du halten;
Der Freiheit strebt er nach, die so viel wert ist,
Wie der weiß, der für sie sein Leben hingibt.
Du weißt's, denn herb nicht war für sie der Tod dir
In Utica, wo du die Hülle ließest,
Die einst am großen Tag so hell wird glänzen.
Nicht ward durch uns verletzt die ew'ge Satzung;
Denn dieser lebt, und mich nicht bindet Minos.
Nein, in dem Kreis bin ich, wo deiner Marcia
Sittsamer Blick dich noch zu bitten scheinet,
Daß sie für dein, o heil'ges Herz, dir gelte.
So sei uns ihr zu Liebe denn geneiget,
Laß wandern uns durch deine sieben Reiche,
Von dir bring' ich ihr Grüße, wenn du anders
Dort unten nicht verschmähst genannt zu werden.« –
»Marcia gefiel so sehr einst meinen Augen,
Als ich noch jenseits war,« begann der andre,
»Daß stets ich tat, was sie als Gunst begehrte.
Jetzt, da sie jenseits wohnt des schlimmen Stromes,
Kann's mich nicht rühren mehr ob des Gesetzes,
Das, als ich draus entrann, gegeben wurde.
Doch wenn ein himmlisch Weib, so wie du sagest,
Dich schickt und führt, braucht's nicht der Überredung.
Genug, daß ihrethalb du auf mich forderst,
Geh denn und sieh, daß diesen du umgürtest
Mit glattem Schilf und ihm das Antlitz waschest,
So daß jedweder Schmutz vertilgt dort werde.
Denn nicht geziemt es sich, das Aug' umfangen
Von irgendeinem Nebel, vor den ersten
Der Diener aus dem Paradies zu treten.
Dies Inslein trägt an seinem tiefsten Fuße
Ringsum dort unten, wo's der Wogenschlag trifft,
Gar viel des Schilfes auf dem weichen Schlamme;
Kein anderes Gewächs kann hier gedeihen,
Das Laub hervortreib' oder sich verholze,
Weil es den Stößen nicht der Brandung nachgibt.
Von dort sei dann hierher nicht eure Rückkehr,
Die Sonne, die schon aufgeht, wird euch zeigen,
Wo leichtern Steigens ihr den Berg erklimmet.«
So schwand er, und ich, ohn' ein Wort zu reden,
Erhob mich drauf und wandte zu dem Führer
Mich ganz und richtete auf ihn die Augen.
Doch er begann: »Sohn, folge meinen Schritten,
Laß um uns kehren; denn dorthin zu senket
Sich dies Gefild nach seiner untern Grenze.«
Die Dämm'rung siegte übers Morgengrauen,
Das vor ihr her floh, so daß ich von ferne
Der Meeresfläche Flimmerschein erkannte.
Wir wandelten durchs menschenleere Blachfeld
Wie der, so zum verlor'nen Weg zurückkehrt
Und bis zu ihm vergebens glaubt zu gehen.
Als wir dorthin gelangt, wo mit der Sonne
Im Kampf der Tau liegt und, weil länger Schatten
Die Stätte hat, nur wenig sich verflüchtigt,
Legt ausgestreckt der Meister beide Hände
Gemächlich auf das junge Gras; darob ich,
Der sein Beginnen wohl verstanden hatte,
Die tränenvolle Wange hin ihm reichte;
Daselbst ließ er an mir die Farb' erscheinen,
Die von dem Höllendunst verdunkelt worden.
Drauf kamen hin wir zu der öden Küste,
Die ihre Flut noch niemand sah beschaffen,
Der dann die Wiederkehr erfahren hätte.
Dort gürtet' er mich nun, wie's jener wollte.
O Wunder! und wie die bescheidne Pflanze
Er auserkor, so sproßte sie aufs neue
Urplötzlich dort, wo er sie ausgezogen.

Zweiter Gesang

Schon war die Sonn' an jenem Horizonte,
Dess' Mittagskreis mit seinem höchsten Gipfel
Jerusalem bedecket, angekommen,
Indes die Nacht, ihr gegenüber kreisend,
Emporstieg aus dem Ganges mit der Wage,
Die aus der Hand ihr fällt, sobald sie obsiegt,
So daß die weißen wie die roten Wangen
Der lieblichen Aurora, wo wir waren,
Goldgelb schon wurden durch zu hohes Alter.
Wir standen immer noch längshin am Meere,
Gleich denen, die, den Weg sich überdenkend,
Im Geist schon gehn, indes der Leib verweilet.
Und sieh, wie öfters kurz vor Morgensanbruch
Mars ob der dichten Dünste rötlich schimmert,
Gen Untergang tief überm Meeresspiegel,
Dem ähnlich schien – mög' ich's einst wiedersehen! –
Ein Licht so schnell sich übers Meer zu nahen,
Daß seinem Lauf kein Fliegen ist vergleichbar;
Denn weil von ihm ich abgewandt mich hatte
Ein wenig, um den Führer zu befragen,
Sah wieder ich's, schon leuchtender und größer.
Darauf erschien an ihm zu jeder Seite
Wie etwas Weißes mir, indes ein andres
Dergleichen unter ihm allmählich vortrat.
Mein Meister hatte noch kein Wort gesprochen,
Als Schwingen schon die erstern Weißen schienen.
Und da den Schiffer jetzt er recht erkannte,
Rief er mir zu; »Beug', beuge deine Knie,
's ist Gottes Engel! falte deine Hände;
Von nun an siehst du mehr dergleichen Diener.
Sieh, er verschmäht jedwedes Menschenwerkzeug
Und braucht kein Ruder, nur die eignen Schwingen
Als Segel zwischen den entfernten Küsten.
Sieh, wie gen Himmel er sie hat gerichtet,
Die Luft bewegend mit den ew'gen Federn,
Die nicht wie sterbliches Gefieder wechseln.«
Drauf schien, als mehr und mehr er uns sich nahte,
Der Vogel uns, der göttliche, jetzt heller;
Drob, weil ihn nicht ertrug so nah' mein Auge,
Ich's niedersenkt', und jener kam zum Strande
Mit einem schnellen und so leichten Schifflein,
Daß in die Wasserfläch' es gar nicht einschnitt.
Am Rückteil stand der himmlische Pilote,
Der Seligkeit trug auf der Stirn geschrieben,
Und drinnen saßen mehr denn hundert Geister.
»In exitu Israel de Aegypto«;
Hört' ich zugleich einstimmig alle singen,
Und was sonst noch von diesem Psalm zu lesen.
Dann segnet' er sie mit dem heil'gen Kreuze,
Worauf sie allzumal zum Strand sich stürzten,
Und jener schwand so schnell, als er gekommen.
Die Schar, die hier verblieb, schien, mit dem Orte
Wie nicht vertraut, rings um sich her zu blicken,
Gleich jenem, der da neue Dinge kostet.
Nach allen Seiten schoß das Licht des Tages
Die Sonn' aus, die mit leuchtenden Geschossen
Vom Mittagskreis verjagt den Steinbock hatte,
Als gegen uns das neue Volk die Stirne
Empor jetzt hob und sprach: »Wenn ihr ihn wisset,
So zeigt den Weg uns, auf den Berg zu kommen.«
Zu jenen drauf Virgil: »Ihr meint vielleicht wohl,
Daß wir bekannt mit dieser Stätte seien.
Doch, so wie ihr, sind Fremdlinge wir hier auch;
Jüngst kamen wir hierher, vor euch ein wenig,
Durch andre Straße, die so rauh und schwierig,
Daß Spiel nur jetzt uns wird das Steigen scheinen.«
Die Seelen, die mich atmen sahn, und inne
So wurden, daß ich noch am Leben wäre,
Erbleichten vor Verwunderung darüber.
Und wie dem Boten, der den Ölzweig bringet,
Zuströmt das Volk, um Neues zu vernehmen,
Und keiner sich vor dem Gedränge scheuet,
So hingen allzumal an meinem Antlitz
Jetzt die beglückten Seelen, als vergäßen
Sie, hinzugehn, um schöner dort zu werden.
Vortreten sah die ein' aus ihrer Mitt' ich,
Mich zu umarmen mit so großer Liebe,
Daß ich bewogen ward, zu tun ein gleiches.
O, nicht'ge Schatten, nur dem Aug' erkennbar!
Dreimal verschränkt' ich hinter ihm die Hände,
Und dreimal zog ich an die Brust zurück sie.
Wohl mocht' ich vor Erstaunen mich verfärben,
Darum der Schatten lächelt' und zurücktrat,
Und ich, ihm folgend, weiter vor mich drängte.
Mit sanfter Stimme hieß er mich verweilen,
Darauf erkannt' ich ihn und bat ihn, stille
Zu stehn ein wenig, um mit mir zu sprechen.
Er gab zur Antwort: »Wie ich einst geliebt dich
Im Leib des Todes, lieb' ich dich entfesselt;
Drum bleib' ich stehn. Doch du, warum nur gehst du?«
›O mein Casella, dorthin heimzukehren,
Wo ich noch bin jetzt, mach' ich diese Reise‹ ; –
Sprach ich – ›doch du, was raubt so viele Zeit dir?‹
Zu mir darauf jener: »Mir geschah kein Unrecht,
Wenn er, der, wen und wann er will, davonführt,
Mir mehrmals hat die Überfahrt verweigert;
Denn aus gerechtem Willen kommt der seine,
Und wirklich nahm er seit drei Monden jeden
In vollem Frieden auf, der eingehn wollte.
Drob ich, zum Meeresstrande hingewendet,
Wo sich dem Salze mischt der Tiber Welle,
Gar liebevoll durch ihn an jener Mündung
Einlaß bekam, wohin sein Flug sich richtet;
Denn immer wird dort jeder aufgenommen,
Der nicht zum Acheron hinunterstürzet.«
Und ich: ›Raubt dir ein neu Gesetz Erinnrung
Nicht und Gebrauch des liebevollen Sanges,
Der all' mein Sehnen mir zu stillen pflegte,
So sei's gefällig dir, durch ihn ein wenig
Zu trösten mir den Geist, der, mit dem Körper
Hierhergelangt, so sehr sich fühlt beklommen.‹
»Die Liebe, die mit mir im Geiste redet,«
Begann er darauf so sanft, daß mir im Innern
Der sanfte Ton noch immer widerklinget.
Mein Meister und ich selbst samt jenem Volke,
Das mit ihm war, wir schienen so zufrieden,
Als ob den Sinn nichts anderes uns kümmre.
Aufmerksam gingen wir einher und horchten
Auf seine Tön', und sieh', der edle Alte
Erschien und rief: »Was ist das, träge Geister?
Welch säumig Wesen, welch Verweilen ist das?
Eilt hin zum Berg, die Rind' euch abzustreifen,
Die offenbarlich Gott zu schaun euch hindert.«
Wie Tauben, die, wenn Korn sie oder Unkraut
Zu suchen rings zum Fressen sich versammeln,
Still sind, nicht die gewohnte Keckheit zeigend,
Sobald etwas sie schaun, das sie erschrecket,
Urplötzlich dann im Stich die Nahrung lassen,
Weil sie befallen sind von größrer Sorge,
So sah die neue Schar ich, den Gesang jetzt
Aufgebend, hin zum Felsenabhang eilen,
Wie wer da geht und weiß nicht, wo er hinkommt.
Und minder schnell auch war nicht unser Abgang.

Dritter Gesang

Indes die Flucht, die plötzliche, durchs Blachfeld
Zerstreut die andern hatte, die zum Berge,
Wohin Vernunft uns spornt, sich wieder wandten,
Schloß ich mich an dem sicheren Geleite;
Und wie auch wär' ich sonder ihn gelaufen,
Wer hätte mich den Berg hinangezogen?
Vorwürfe schien er selber sich zu machen,
O würdevoll und fleckenlos Gewissen,
Welch herber Biß dir ist ein kleiner Fehler!
Als nun sein Fuß das Eilen ließ, worunter
Die Ehrsamkeit bei jedem Schritte leidet,
Erweiterte mein Sinn, der festgebunden
Erst war, sein Streben so, daß neubegierig
Empor zur Höh' ich richtete mein Antlitz,
Die von der See zumeist sich dehnt' gen Himmel.
Es unterbrach vor mir den Schein der Sonne,
Der rot im Rücken glomm, des Leibes Umriß,
Weil eine Stütz' ich darbot ihren Strahlen.
Ich wandte nach der Seite mich, verlassen
Zu sein befürchtend, als ich inne worden,
Daß nur vor mir allein der Grund war dunkel.
Und drauf begann also zu mir mein Tröster,
Ganz nach mir hingewandt: »Was hegst du Kleinmut?
Glaubst nicht, daß ich mit dir bin und dich führe?
Schon Abend ist's dort, wo begraben lieget
Mein Leib, in dem ich Schatten warf; Neapel
Besitzt ihn, sein beraubet ward Brundusium.
Drum wenn anjetzt vor mir nichts wird beschattet,
Darf's mehr dich wundern nicht, als daß ein Himmel
Dem andern nicht der Strahlen Durchgang hemmet.
Qual zu empfinden, Glut und Frost, befähigt
Dergleichen Körper jene Kraft, die nimmer,
Wie sie's vollbringt, uns will enthüllen lassen.
Tor ist, wer hofft, daß die Vernunft des Menschen
Die endlos weite Bahn durchlaufen könne
Der einen Wesenheit in drei Personen.
Begnügt euch mit dem ›Daß‹ , ihr Menschenkinder;
Denn konntet alles ihr durchschaun, so brauchte
Maria ja nicht Mutter erst zu werden,
Und fruchtlos saht ihr Manchen Sehnsucht fühlen,
Des Sehnen, das ihm ewiglich zum Leiden
Gegeben ist, sonst wär' befriedigt worden.
Den Aristoteles mein' ich und Plato,
Und viele andr'.« – Und hier beugt' er die Stirne,
Und sprach nichts weiter mehr und blieb verstöret.
Indes gelangten wir zum Fuß des Berges,
Wo wir so steil den Felsenabhang fanden,
Daß hier vergebens rasch die Füße wären.
Der wildeste, der öd'ste Bergsturz zwischen
Turbias Schloß und Lerici wär' eine
Bequem' und breite Stiege gegen jenen.
»Wer es nur wüßte jetzt, zu welcher Hand sich
Der Hang verflacht,« sprach still mein Meister haltend,
»Daß ihn, wer ohne Flügel, könn' ersteigen.«
Und während er, gesenkt den Blick zum Boden,
Den Pfad, im Geiste forschend, untersuchte,
Und ich ringsum empor zum Felsen spähte,
Erschien mir eine Seelenschar zur Linken,
Die gegen uns die Füße hinbewegte,
Und zwar so langsam, daß es nicht bemerkbar.
»Richt' jetzt das Aug' empor,« begann mein Meister,
»Sieh', dort ist jemand, der uns Rat kann geben,
Wenn du nicht aus dir selbst ihn weißt zu schaffen.«
Drauf an mich blickend, sprach mit offner Mien' er:
»Laßt uns dorthin gehn, denn sie kommen langsam,
Und du auch, lieber Sohn, bleib fest in Hoffnung.«
Noch war dies Volk so weit von uns entfernet,
Nachdem wir, mein' ich, tausend Schritt gegangen,
Als mit der Hand ein guter Werfer schleudert,
Da drängten all' sie nach den harten Blöcken
Des hohen Rands sich, fest und starr dort bleibend,
Wie wer im Zweifel stillsteht, um zu schauen.
»0, wohlvollendet', auserkorne Geister!«
Begann Virgil darauf, »bei jenem Frieden,
Den insgesamt ihr, wie ich glaub', erwartet,
Sagt an, wo sich der Berg senkt, so daß möglich
Es ist, hinaufzugehn; denn Zeit verlieren
Ist jenem, der mehr weiß, auch mehr zuwider.«
Wie aus der Hürd' hervor die Schäflein kommen,
Bald eins, bald zwei, bald drei, indes die andern
Noch schüchtern stehn, so Maul als Aug' am Boden,
Und was das eine tut, die andern nachtun,
Sich, wenn es stehnbleibt, über jenes lehnend,
Einfältig-still und selbst den Grund nicht wissen,
So sah, sich gegen uns jetzt zu bewegen,
Die Spitz' ich der glücksel'gen Herde nahen,
Sittsam im Antlitz, ehrenhaften Schrittes.
Als unterbrochen mir zur rechten Seite
Das Licht am Boden jene nun erblickten,
So daß mein Schatten an dem Fels sich zeigte,
Verweilten sie, rückwärts ein wenig tretend,
Indes die andern all', die hinter ihnen,
Nicht wissend selbst, warum, ein gleiches taten.
»Auch ungefragt von euch, will ich bekennen,
Daß, was ihr seht, der Leib ist eines Menschen,
Darob am Grund das Sonnenlicht getrennt ist.
Verwundert euch darum nicht, sondern glaubet,
Daß ohne Kraft nicht, die vom Himmel kommet,
Er diese Wand zu übersteigen trachte.«
Der Meister so, – und jene würd'gen Seelen,
»Kehrt um,« begannen sie, »vor uns geht ein denn!«
Uns mit der äußern Hand ein Zeichen gebend.
Und einer unter ihnen sprach: »Wer immer
Du seist, so wandelnd, wende mir den Blick zu,
Besinn dich, ob du je mich jenseits sahest.«
Ich wandte mich nach ihm und sah ihn starr an:
Blond war er, schön und edlen Angesichtes,
Doch eine Brau' hatt' ihm ein Hieb gespalten,
Als ich darauf demütiglich geleugnet,
Daß ich ihn je gesehn, sprach er: »Schau hin jetzt!«
Mir auf der Höh' der Brust ein Wundmal zeigend.
Dann sagt' er lächelnd weiter: »Manfred bin ich,
Der Enkelsohn der Kaiserin Constanze;
Drum bitt' ich dich, wenn je zurück du kehrest,
Geh hin zur schönen Tochter, die geboren
Den Stolz Siziliens hat und Aragoniens,
Und künd' ihr, wenn man andres spricht, die Wahrheit.
Nachdem der Leib mir durch zwei Todeswunden
Gebrochen worden war, ergab mit Tränen
Ich jenem mich, der willig stets verzeihet.
Zwar graunvoll sind gewesen meine Sünden,
Doch Gottes Güte hat so weite Arme,
Daß sie das aufnimmt, was zu ihr sich wendet.
Und wenn Cosenzas Hirt, der auf die Fährte
Von Clemens mir gehetzt ward, zu der Stunde
Wohl dieses Blatt in Gott gelesen hätte,
So würden die Gebeine meines Leibes
Bei Benevent, am Ausgang dort der Brücke,
Vom schweren Steinhauf' noch behütet, liegen;
Jetzt wäscht der Regen und bewegt der Wind sie
Jenseits des Reiches Grenz' unweit des Verde,
Dorthin versetzet bei verlöschten Kerzen.
Durch jener Fluch wird so die ew'ge Liebe
Verwirkt nicht, daß zurück sie nicht kann kehren,
Solange Hoffnung noch ein wenig grünet.
Wahr ist es, wer dahinstirbt in dem Banne
Der heil'gen Kirch', ob er bereut am End' auch,
Muß dreißigmal so lange Zeit dann auswärts
Von diesem Felshang bleiben, als er früher
In seinem Trotz verharrt ist, wenn nicht solche
Bestimmung durch ein fromm Gebet verkürzt wird.
Sieh jetzt daraus, ob du mich kannst erfreuen,
Wenn du, wie du gesehn mich, meiner guten
Constanz' enthüllst, und dies Verbot ihr kündest:
Denn die noch jenseits, fördern hier uns mächtig.«

Vierter Gesang

Wenn, sei's aus Lust nun, sei's aus Schmerz, von welchem
Eins unserer Vermögen ward ergriffen,
Die Seele recht nach diesem hin sich wendet,
So merkt sie, scheint es, sonst auf keine Kraft mehr,
Und solches widerspricht der irr'gen Meinung,
Daß mehr als eine Seel' in uns erglühe.
Drum wenn der Mensch ein Ding sieht oder höret,
Das mächtig hält die Seel' auf sich gerichtet,
So geht die Zeit dahin, und er verspürt's nicht;
Denn eine andre Kraft ist's die drauf lauschet,
Und eine andr' erfaßt jetzt ganz die Seele;
Dies' ist gebunden gleichsam, jene ledig.
Dies hab' ich in der Tat an mir erfahren,
Indem auf jenen Geist ich horcht' und staunend
Dann sah, daß fünfzig Grad' emporgestiegen
Die Sonne war, und ich's bemerkt nicht hatte,
Als hin wir kamen, wo die Schar der Seelen
Einstimmig rief: »Hier ist, wonach ihr fragtet.«
Wohl einen größern Spalt vermachet oftmals
Mit soviel Dornen, als die Forke fasset,
Der Landbewohner, wenn die Trauben dunkeln,
Denn jener Steig war, wo hinauf wir klommen,
Wir beid' allein, mein Hort und ich ihm folgend,
Als sich von uns getrennt die Seelen hatten.
Zu Fuß geht nach San Leo man, steigt nieder
Nach Noli und hinauf zum hohen Gipfel
Bismantova's, allein hier mußt' ich fliegen
Mit der gewalt'gen Sehnsucht raschen Schwingen
Und Federn, mein' ich, jenem nachgezogen,
Der Licht mir gab und Hoffnung mir gewährte.
Wir stiegen jetzt hinauf im Spalt des Felsens,
Beengt durch seinen Rand auf beiden Seiten,
Und Fuß und Rand heischt' unter uns der Boden.
Als wir empor drauf zu dem obern Saume
Der hohen Wand auf offnem Abhang kamen,
Sprach ich: ›Mein Meister, welches Wegs nun gehn wir?‹
Und er zu mir: »Laß keinen Schritt jetzt weichen,
Nur immer hinter mir hinauf zum Berge,
Bis irgend uns erscheint ein kluger Führer.«
Hoch war sein Gipfel, sich dem Aug' entziehend,
Und trotziger sein Hang, als von dem halben
Quadranten nach dem Mittelpunkt die Linie.
Schon war ich müd', als ich begann zu sagen:
›O süßer Vater, sieh dich um und schau doch,
Wie ich verlassen bleibe, stehst du still nicht.‹
»0 lieber Sohn,« sprach er, »bis hierher schlepp' dich!«
Auf einen Vorsprung, etwas höher, deutend,
Der ganz den Berg umkreist an dieser Stelle.
So ward ich angespornt durch seine Worte,
Daß ich mich mühte, hin zu ihm zu kriechen,
Bis unterm Fuß mir endlich jener Gurt war.
Zum Sitzen ließen hier wir beid' uns nieder
Nach Morgen hin, wo wir heraufgekommen,
Was immer ist erfreulich zu betrachten.
Den Blick wandt' ich zuerst zum tiefen Strande,
Hob ihn sodann zur Sonn' empor und staunte,
Uns links von ihr getroffen zu gewahren.
Der Dichter merkte wohl, wie voll Verwundrung,
Zum Wagen ich des Lichts hinstarrend, dasaß,
Weil zwischen uns er eintrat und dem Nordwind,
Und sprach zu mir: »Wenn Castor erst und Pollux
In der Gesellschaft jenes Spiegels wären,
Der aufwärts und herab sein Licht entsendet,
So würd'st den Tierkreis dort, wo rot er glühet,
Den Bären näher du noch kreisen sehen,
Dafern er nicht die alte Bahn verließe.
Wenn du begreifen willst, wie dieses zugeht,
So stelle dir im Innern Sion vor
Also mit diesem Berg auf unserm Erdball,
Daß auf verschiednen Hemisphären sie
Bei gleichem Horizont stehn, und wenn deutlich
Sich dein Verstand dies denkt, wirst ein du sehn,
Wie diesem muß zu einer Seite laufen
Und jenem zu der anderen die Straße,
Drauf Phaethon so schlecht verstand zu fahren.«
›Gewiß, mein Meister,‹ sprach ich, ›nimmer ward mir
So klar noch, als ich alles jetzt erkenne,
Worin mir unzulänglich mein Verstand schien,
Daß jener Kreis am halben Himmelsumschwung,
Der in der Wissenschaft Äquator heißet
Und immer zwischen Sonn' und Winter einsteht,
Sich aus dem Grund, den du erwähnt, nach Norden
Von hier muß scheiden, während den Hebräern
Er nach der warmen Gegend zu sich zeigte.
Doch gern möcht' ich, wenn's dir gefällig, wissen,
Wie viel zu gehn uns bleibt; denn aufwärts dehnt sich
Die Höh' mehr, als mein Aug' sich kann erheben.
Und er zu mir: »Der Berg ist so beschaffen,
Daß unten beim Beginn er stets beschwerlich
Erscheint, doch minder quält, je mehr man steiget.
Drum, wenn er so gemächlich dann dir dünket,
Daß dir das Wandeln leicht wird, wie hinunter
Es mit dem Schiffe sich stromabwärts gleitet,
Dann wirst du dich am Ende dieses Pfades
Befinden, wo dein Ruh' harrt nach den Mühen.
Mehr nicht antwort' ich; doch dies weiß ich sicher.«
Und als er dieses Wort vollendet hatte,
Erklang's aus unsrer Näh: »Vielleicht, daß früher
Zu sitzen du Bedürfnis doch empfindest.«
Da beid' auf solchen Ton wir um uns wandten,
Sah'n links von uns wir einen großen Felsblock,
Den weder ich, noch er vorerst gewahret.
Dort schleppten wir uns hin, und Leute waren
Allda im Schatten hinterm Fels befindlich,
Wie man nachlässig an sich pflegt zu lehnen.
Und einer aus denselben, der mir müde
Zu sein schien, saß und hielt die Knie umfangen,
Tief das Gesicht gesenket zwischen diese.
›Mein süßer Meister,‹ sprach ich, ›blicke hin doch
Auf jenen, der nachlässiger sich zeiget,
Als wenn die Trägheit seine Schwester wäre.‹
Da merkt' er auf und wandte gegen uns sich,
Nur an der Hüft' empor das Antlitz richtend,
Und sprach: »Geh nur hinauf, denn du bist kräftig!«
Anjetzt erkannt' ich ihn, und die Erschöpfung,
Die noch etwas beschleunigte mein Atmen,
Hielt mich nicht ab, zu ihm zu gehn, und als ich
Bei ihm nun eintraf, hob er kaum das Haupt auf
Und sprach: »Hast du bemerkt recht, wie die Sonne
Zur linken Schulter uns herlenkt den Wagen?«
Sein träges Tun und seine kurzen Worte
Bewegten meine Lipp' etwas zum Lächeln,
Drob ich begann: ›Belacqua, nicht mehr schmerzt mich's
Um dich jetzt; doch sag' an, was hier du sitzest?
Harrst du auf den Begleiter, oder hat dich
Die altgewohnte Weis' aufs neu' ergriffen?‹
Und er: »O Bruder, wozu hilft das Steigen,
Da mich zur Pein doch nicht gelangen ließe
Der Pförtner Gottes, der am Tore sitzet.
Erst muß so lang hier außen, als im Leben
Er's tat, der Himmel mich umkreisen, weil ich
Die frommen Seufzer bis zuletzt verschoben.
Hilft früher mir, entsteigend einem Herzen,
Das in der Gnade lebet, ein Gebet nicht,
Was nützt mir andres, das nicht Gott genehm ist!«
Und schon stieg vor mir her empor der Dichter
Und sprach: »Komm jetzt, sieh, schon berührt die Sonne
Den Mittagskreis, und an dem äußern Rande
Bedeckt die Nacht mit ihrem Fuß Marokko.«

Fünfter Gesang

Schon hatt' ich von den Schatten mich entfernet
Und folgte nach den Spuren meines Führers,
Als hinter uns der eine rief, den Finger
Empor gerichtet: »Sieh, scheint doch dem untern
Zur Linken nicht der Sonnenstrahl zu leuchten,
Nein, er gehabt sich, scheint's, wie ein Lebend'ger!«
Auf solchen Klang wandt' ich zurück mein Auge
Und sah sie vor Verwunderung nach mir nur,
Nach mir und dem getrennten Lichte schauen.
»Warum verstrickt sich also deine Seele,
Daß du im Wandern zögerst?« sprach mein Meister.
»Was geht dich das nur an, was die da flüstern?
Komm nach mir drein und laß die Leute reden,
Steh wie ein fester Turm, der trotz des Sausens
Der Stürme nimmermehr die Spitze schüttelt;
Denn stets entfernt sich jener von dem Ziele,
Dem ein Gedank' emporquillt übern andern,
Weil einer dann den Flug des andern hemmet.«
Was konnt' ich sagen drauf als nur: ›Ich komme!‹
Ich sprach's, leicht überflogen mit der Farbe,
Die der Vergebung macht bisweilen würdig.
Und an dem Abhang während des, ein wenig
Vor uns nur, kamen Leute jetzt vorüber,
Die Vers für Vers das »Miserere« sangen.
Als sie gewahrten, daß ob meines Leibes
Ich nicht die Strahlen durchließ, da verwandelt'
Ihr Lied sich in ein »Oh!« gedehnt und heiser;
Und zwei davon, Botschaftern ähnlich, kamen
Entgegen uns gelaufen, also fragend:
»Gewährt uns Wissenschaft von eurem Zustand!«
Mein Meister drauf: »Ihr könnt von dannen gehen
Und denen, die gesandt euch, es berichten,
Daß des Genossen Körper wahres Fleisch ist.
Stehn still sie, wie mir deucht, weil seinen Schatten
Sie sehn, so gnügt die Antwort: Ehren mögen
Sie ihn, der ihnen teuer noch kann werden.«
Nie sah so schnell entglommen Dunst beim Anbruch
Der Nacht durchschneiden ich den heitern Himmel,
Noch, wenn die Sonne sinkt, Augustgewölke,
Als aufwärts kehrten jen' und, angelangt dort,
Sich gegen uns dann mit den andern wandten,
Wie ein Geschwader rennt verhängten Zügels.
»Gar zahlreich ist das Volk, das auf uns zudringt
Und kommt, um dich zu bitten,« sprach der Dichter,
»Drum geh nur hin, zuhorchend, weil du wandelst.« –
»O Seele, zu dem heitern Dasein wallend
Mit den bei der Geburt erhaltnen Gliedern,«
Schrien sie im Nah'n, »hemm' deine Schritt' ein wenig,
Schau, ob aus uns du einen je gesehn hast,
So daß von ihm du jenseits Nachricht bringest.
Warum, ach, gehst, warum, ach, stehst du still nicht?
Gewaltsam wurden all' einst wir getötet
Und waren Sünder bis zur letzten Stunde,
In der ein himmlisch Licht uns hat gewitzigt,
So daß vergebend und bereu'nd getreten
Wir aus dem Leben sind, mit Gott versöhnet,
Den zu erschaun, uns Sehnsucht jetzt betrübet.«
Und ich: ›Ob auch ins Antlitz ich euch schaue,
Erkenn' ich keinen doch; allein, wenn etwas
Ihr wünscht, das ich vermag, erkorne Geister,
Sprecht, und ich werd' es tun, bei jenem Frieden,
Den, auf der Spur so hohen Führers wandelnd,
Von Welt zu Welt zu suchen, es mich dränget.‹
Und einer drauf begann: »Jedweder bauet
Auch ohne Schwur auf die verheiß'ne Wohltat,
Bricht nur den Willen nicht das Unvermögen;
Drum ich, der hier allein spricht vor den andern,
Fleh', daß, wenn jemals du das Land erschauest,
Das zwischen Karls Reich und Romagna lieget,
Du mir gefällig seist mit deinen Bitten
Zu Fano so, daß wohl für mich man bete,
Damit ich sühnen kann die schweren Schulden.
Dorther war ich, allein die tiefen Wunden,
Draus rann das Blut, auf dem den Sitz ich hatte,
Erhielt im Schoß ich der Antenoräer,
Wo ich am sichersten zu sein vermeinte.
Anstifter dieser Tat war der von Este,
Weit mehr mir zürnend, als es sich gebührte.
Doch, wär' ich gegen Mira hingeflohen,
Als eingeholt ich ward bei Oriaco,
Würd' ich noch jenseits sein, dort, wo man atmet.
Ich lief zum Sumpf, wo Schilf und Schlamm mich also
Umstrickten, daß ich fiel, und dort ein Meer sah
Aus meinen Adern sich am Grund ergießen.«
Drauf sprach ein andrer: »O, wenn sich das Sehnen
Erfüllen soll, das dich zum hohen Berg zieht,
So hilf mit frommem Mitleid doch dem meinen!
Ich war von Montefeltro, bin Buonconte;
Nicht sorgt für mich Johanna, noch wer andres,
Drum geh' gesenkter Stirn' ich unter diesen.«
Ich drauf: ›Welch' eine Macht riß, welch ein Zufall
Dich also weit hinweg von Campaldino.
Daß nie man deine Grabesstatt erfahren?‹
»O,« sprach er drauf, »ein Wasser strömt querüber
An Casentinos Fuß, genannt Archiano,
Das ob der Öd' im Apennin entspringet.
Dorthin, wo die Benennung es verlieret,
War ich gelangt, verwundet in der Kehle,
Zu Fuß entflohn, mit Blut die Flur benetzend;
Hier schwand mir das Gesicht, und in dem Namen
Marias starb das Wort mir, und hier fiel ich
Dahin und ließ mein Fleisch allein zurück dort.
Ich spreche wahr, du künd' es den Lebend'gen,
Mich faßte Gottes Engel, und der Höll'sche
Rief: ›Was beraubst du mich, du dort vom Himmel,
Du trägst mir seinen ew'gen Teil von dannen
Ob eines Tränleins, das ihn mir genommen,
Doch ich will mit dem andern anders schalten.
Wohl weißt du, wie der feuchte Dunst, als Wasser
Zurück dann kehrend, in der Luft sich sammelt,
Sobald dorthin er stieg, wo Kält' ihn fasset;
Dem bösen Willen einte, der nur Böses
Begehrt, der Scharfsinn sich, und Sturm und Dünste
Regt durch die Kraft er auf, die ihm Natur gab.‹
Drauf, als der Tag verlöscht war, deckt' mit Nebel
Von Prato magno bis zum großen Joch er
Das Tal, den Himmel drüber zubereitend,
So daß die schwangre Luft zu Wasser wurde,
Der Regen fiel, und zu den Bächen strömte
Das, was davon die Erd' in sich nicht aufnahm,
Und zu den größern Flüssen dann sich sammelnd,
Stürzt es dahin zum königlichen Strome,
So rasch, daß nichts zu hemmen es vermochte.
Kalt fand an seiner Mündung meinen Leichnam
Der mächt'ge Archian', und in den Arno
Ihn stoßend, löst' er auf der Brust das Kreuz mir,
Das ich, vom Schmerz besiegt, aus mir gebildet;
Hinwälzend dann am Grund mich und dem Ufer,
Deckt' und umhüllt' er mich mit seiner Beute.« –
»O, wenn zur Welt einst du zurückgekehrt bist.
Und ausgeruhet von der langen Reise,«
Fuhr fort der dritte Geist jetzt nach dem zweiten,
»Gedenke meiner dann; denn ich bin Pia,
Siena gab, Maremma nahm mirs Leben,
Dies weiß, wer einst, den Finger mir mit seinem
Juwel beringend, sich mir angetrauet.«

Sechster Gesang

Beim Schluß des Würfelspieles bleibt in Trauer,
Wer da verloren hat, zurück, versuchet
Die Würfel wiederum und lernt verdrießlich;
Doch mit dem andern strömt das ganze Volk hin,
Der geht vor ihm einher, der faßt ihn hinten,
Der ruft sich von der Seit' ihm ins Gedächtnis.
Er bleibt nicht stehn, hört nur auf den und jenen,
Wem er die Hand hinreicht, der drängt nicht weiter,
Und so weiß er des Drangs sich zu erwehren.
Dem gleich war ich in diesen dichten Haufen,
Nach ihnen rechts und links mein Antlitz wendend,
Und löste durch Versprechen mich von ihnen.
Hier war der Aretiner, dem das Leben
Durch Ghin' di Tacco's grimmen Arm geraubt ward,
Und jener, der ertrank im raschen Jagen,
Hier flehte mit emporgestreckten Händen
Friedrich Novello, so wie der von Pisa,
Ob dem Marzucco stark erschien, der Gute.
Graf Orso sah ich hier und jene Seele,
Getrennt von ihrem Leib aus Haß und Mißgunst,
So wie er sagt', und nicht, weil sie's verschuldet,
Ich meine Peter de la Brosse, und vorsehn
Mag die Brabanterin sich, weil sie diesseits,
Daß sie nicht schlimmrer Schar einst angehöre.
Als ich nun ledig war von all' den Schatten,
Die andre bitten nur, für sie zu bitten,
Daß ihre Heiligung beschleunigt werde,
Begann ich so: ›Mir scheint, daß klar du leugnest,
O du mein Licht, an irgendeiner Stelle,
Daß je Gebet des Himmels Ratschluß beuge,
Doch eben dies ist's was dies Volk begehret.
Wär' eitel wohl drum ihre Hoffnung, oder
Sind deine Worte mir nicht ganz verständlich?‹
Und er zu mir dann: »Meine Schrift ist deutlich,
Und dennoch täuschet jene nicht ihr Hoffen,
Wenn mit gesundem Sinn man wohl drauf merket.
Nicht wird erniedriget des Urteils Gipfel,
Denn Liebesglut ersetzt in kurzer Zeit das,
Wofür hier das Verweilen soll genug tun,
Und dort, wo jenen Satz ich aufgestellet,
Ward durch Gebet kein Fehler je vergütet,
Dieweil von Gott geschieden war das Beten.
Wahrhaftig drum bei so tiefsinn'gem Zweifel
Verweil' nicht, wenn nicht sie dir's heißt, die zwischen
Der Wahrheit dir und dem Verständnis Licht wird.
Ich weiß nicht, ob du mich verstehst; Beatrix
Mein' ich, die droben du, glückselig lächelnd,
Auf dieses Berges Gipfel wirst erschauen.«
Und ich: ›Laß mehr uns eilen, guter Führer,
Denn schon ermüd' ich mich nicht so wie früher,
Und sieh, es wirft bereits der Berg jetzt Schatten.‹
»Wir gehn,« antwortet jener, »diesen Tag lang,
So weit wir können, vorwärts, doch gestaltet
Sich's in der Tat ganz anders, als du wähnest.
Eh' du hinaufgelangst, wirst wiederkehren
Du jene sehn, die schon sich hinterm Strand birgt,
So daß du nicht mehr ihre Strahlen trennest.
Doch sieh, wie jene Seele, hingestellt dort,
Ganz einsamlich die Blicke nach uns richtet;
Sie wird gewiß den schnellsten Weg uns zeigen.«
Wir nahten ihr uns. O Lombard'sche Seele,
Wie du so stolz und voll Verachtung dastandst,
Langsam das Aug' und ehrenhaft bewegend.
Nicht sprach zu uns sie irgend etwas, sondern
Ließ uns einherziehen, hin nach uns nur schauend
Auf eines Löwen Weise, wenn er ruhet.
Dennoch trat hin zu ihr Virgil und bat sie,
Den besten Weg nach oben uns zu zeigen,
Und jen' antwortet' nichts auf seine Frage,
Nein, frug nach unserm Vaterland und Leben;
Und es begann der süße Führer: »Mantua.«
Doch jener Schatten, ganz in sich vertieft erst,
Erhob sich gegen ihn von seinem Stande
Und rief: »Ich bin Sordell, o Mantuaner,
Aus deiner Stadt;« darauf sie sich umarmten.
Weh' dir, Italien, Sklavin, Haus des Jammers,
Schiff ohne Steuermann in großem Sturme,
Nicht Herrin der Provinzen mehr, nein, Metze!
Also behend war jene edle Seele,
Den süßen Klang der Vaterstadt nur hörend,
Hier ihre Bürger festlich zu begrüßen,
Und jetzt sind sonder Krieg nicht die Lebend'gen
In dir, und es benagen sich einander,
Die eine Mauer einschließt und ein Graben.
Such', Jammervolle, ringsum an den Küsten
All' deiner Meer' und schau' dir dann ins Innre,
Ob eine Stätt' in dir sich freut des Friedens.
Was frommt's, daß dir den Zügel ausgebessert
Justinianus, wenn der Sattel leer ist?
War' ohnedies geringer doch die Schande!
O Volk, das nur der Frömmigkeit zu leben
Und Cäsar sollt'st auf seinem Sitze lassen,
Wenn wohl du faßtest, was dir Gott bestimmet,
Sieh, wie störrisch ist das Tier geworden,
Weil durch die Sporen es nicht mehr gestraft wird.
Seitdem du in den Zaum ihm bist gefallen,
O deutscher Albert, der das wildgewordene
Unbänd'ge du sich selber überlassest,
Und sollt'st doch seines Sattels Bug umspannen!
Ein recht Gericht fall' aus den Sternen nieder
Auf dein Geschlecht, und unerhört und klar sei's,
Daß dein Nachfolger Furcht darob empfinde;
Denn du nebst dem Erzeuger hast geduldet,
Von Habbegierde jenseits festgehalten,
Daß wüst gelegt des Reiches Garten würde.
Komm her und sieh Montecch' und Capelletti,
Sorgloser Mann, Monald' und Filippeschi,
In Not schon jen' und diese voll Befürchtung.
Grausamer, komm und sieh die Unterdrückung
All deiner Edeln, komm und heil' ihr Leiden.
Und sehn wirst du, wie sicher Santafior' ist!
Komm her und sieh, wie deine Roma weinet,
Die einsam, eine Witwe, Tag und Nacht ruft:
»Mein Cäsar, was doch ein'st du dich mit mir nicht?«
Komm her und sieh, wie sehr das Volk sich liebet,
Und rühret kein Erbarmen über uns dich,
So komm, des eignen Leumunds dich zu schämen.
Und ist's erlaubt mir, höchster Jova, der du
Auf Erden wardst für uns gekreuzigt, wendet
Wo anders hin sich dein gerechtes Auge?
Wenn's nicht Vorkehrung ist in deines Rates
Abgrund, bestimmt zu irgend etwas Gutem,
Das ganz und gar sich unsrer Kund' entziehet;
Denn voll sind von Tyrannen Welschlands Städte,
Allsamt, und zum Marcell wird jeder Bauer,
Der nur herbeikommt und Partei ergreifet.
O mein Florenz, zufrieden kannst mit dieser
Abschweifung du wohl sein, die dich nichts angeht,
Dank's deinem Volk, das soviel Kluges aussinnt.
In manchem wohnt Gerechtigkeit, doch spät geht
Sie los, weil er mit Vorsicht spannt den Bogen,
Doch auf der Zungenspitze hat dein Volk sie.
Gar mancher lehnt die öffentliche Bürd' ab,
Allein dein Volk antwortet ungerufen
Voll Emsigkeit und schreit: ›Ich unterzieh' mich.‹
So sei denn fröhlich; denn du hast wohl Ursach',
Du reich', du voll des Friedens, du voll Einsicht,
Ob wahr ich spreche, zeigt sich an der Wirkung.
Athen und Lacedaemon, die, der alten
Gesetze Mütter, so geregelt waren,
Sie geben gegen dich geringe Probe
Der Wohlfahrt nur, die du so fein erdachte
Satzungen machst, daß bis Novembers Mitte
Nicht reicht, was im Oktober du gesponnen.
Wie oft hast du, soweit zurück du denkest,
Gesetz' und Münz' und Obrigkeit und Sitte
Gewechselt und erneuert deine Glieder,
Und wenn du recht besinnst dich, und dir's klar wird,
So wirst du sehn, daß du dem Kranken gleichest,
Der, keine Ruhe findend, auf den Federn
Umher sich wälzend, Schutz sucht vor den Schmerzen.

Siebenter Gesang

Nachdem die biedre freudige Begrüßung
Drei- oder viermal war erneuert worden,
Trat jetzt Sordell zurück und sprach: »Wer seid ihr?« –
»Eh' zugewandt noch wurden diesem Berge
Die Seelen, wert, zu Gott emporzusteigen,
Ward mein Gebein durch Octavian begraben.
Ich bin Virgil, und andre Schuld als Mangel
Des Glaubens raubte nicht den Himmel mir.«
Also entgegnet' ihm anjetzt mein Führer.
Wie einer ist, der, unversehens ein Ding
Vor sich erblickend, drob er sich verwundert,
Glaubt und nicht glaubt, und spricht: »es ist – ist nicht;«
Schien jener mir, und drauf gesenkten Blickes
Kehrt er zurück demütiglich zum andern.
Umschlingend ihn, wo sich ein niedrer anschmiegt,
»O, der Lateiner Ruhm,« sprach er, »durch welchen,
Was sie vermag, gezeigt hat unsre Sprache,
O ew'ger Preis des Orts, aus dem ich stamme!
Welch ein Verdienst, welch eine Gnade zeiget
Dich mir, wenn wert ich bin, dein Wort zu hören,
Sprich, kommst du aus der Höll' und welcher Klause?«
»Durch alle Kreise hin des Reichs der Schmerzen,«
Antwortet' er, »bin ich hieher gekommen,
Es trieb mich Himmelskraft, und mit ihr komm' ich.
Durch Taten nicht, durch Nichttun nur verlor ich
Der hehren Sonne Schaun, nach der du schmachtest,
Und die zu spät von mir erkannt ist worden.
Ein Ort ist drunten, nicht durch Qualen traurig,
Durch Finsternis allein, wo wie Gejammer
Nicht tönen, nein, nur Seufzer sind die Klagen;
Alldort bin ich mit den unschuld'gen Kleinen,
Die von des Todes Zahn zermalmet worden,
Eh' frei sie waren von der Schuld der Menschheit.
Mit jenen bin ich dort, die, nicht gekleidet
In die drei heil'gen Tugenden, die andern
Erkannten all' und übten sonder Laster.
Doch wenn du's weißt und kannst, gib eine Weisung
Uns, wie dorthin am schnellsten wir gelangen,
Wo wirklich erst das Purgatorium anhebt.«
Er drauf: »Kein fester Ort ist uns bestimmet,
Empor darf und umher ich gehn; soweit ich
Zu gehn vermag, begleit' ich dich als Führer.
Doch sieh, wie schon der Tag sich senkt, und steigen
Kann man zur Nachtzeit nicht; drum wird es gut sein.
Auf einen schönen Aufenthalt zu sinnen.
Abseits hier findest Seelen du zur Rechten;
Wenn du mir beistimmst, führ' ich dich zu ihnen,
Die du nicht sonder Lust wirst kennen lernen.«
»Wie das?« sprach jener. »Wer heraufgehn wollte
Zur Nachtzeit, hinderte den wohl ein andrer
Dran, oder stieg' er nicht, weil er nicht könnte?«
Und mit dem Finger streift' am Grund der gute
Sordell und sprach: »Auch selber diesen Strich hier
Nicht überschritt'st du, wenn die Sonn' entschwunden;
Nicht daß das Aufwärtssteigen etwas andres
Als nur die Finsternis der Nacht erschwere,
Die durch Nichtkönnen dann das Wollen hemmet.
Wohl könnte man mit ihr herabwärts kehren
Und, irrend rings, den Bergeshang umwandern,
Solang der Horizont den Tag verdeckt hält.«
Drauf mein Gebieter, wie verwundert, anhob:
»So führ' uns denn dahin, wo du gesagt hast,
Daß Lust der Aufenthalt gewähren könne!«
Als kaum ein wenig wir von dort entfernt uns,
Ward ich gewahr, daß eingesenkt der Berg war,
Wie hier sich Täler einzusenken pflegen.
»Dorthin,« sprach jener Schatten, »laßt uns gehen,
Wo sich zur Bucht der Bergesabhang bildet,
Da wollen wir den neuen Tag erwarten.«
Schräg liegend zwischen waag- und senkrecht zog sich
Ein Pfad hin, der zum Rand der Schlucht uns führte,
Wo mehr als halb ihr Seitenhang schon schwindet.
Gold, feines Silber, Scharlach selbst und Bleiweiß,
Und leuchtend Holz, und Indig, und der heitre
Smaragd, wenn er soeben frisch gebrochen,
Sie würden allzumal besiegt an Farbe
Vom Gras und von den Blumen dieses Tals sein,
Gleich wie vom Mehr besieget wird das Minder.
Und nicht gemalt nur hatte die Natur hier,
Nein, aus der Süßigkeit von tausend Düften
Schuf sie ein unbestimmt fremdartig Etwas.
»Salve Regina« singend, auf den Blumen
Und auf dem Grün sah Seelen hier ich sitzen,
Von außen ob des Tales nicht ersichtlich.
»Eh' noch zu Raste geht die wen'ge Sonne,«
Sprach, der uns hergelenkt, der Mantuaner,
»Verlangt nicht, daß ich unter jen' euch führe.
Von dieser Höh' herab erkennt ihr besser
An jeglichem aus seinem Tun und Antlitz
Als drunten in der Au', in ihrer Mitte.
Der dort am höchsten sitzt, dem man es ansieht,
Daß er versäumt, was er vollbringen sollte,
Und der den Mund nicht rührt zum Sang der andern,
Rüdolph, der Kaiser, war er, der die Wunden,
Die Welschland Tod gebracht, wohl heilen konnte,
So daß es spät erst neu belebt ein andrer.
Der, dessen Anblicks jener sich getröstet,
Herrscht' in dem Land, draus quillt das Wasser, welches
Der Elbe zu die Moldau, jen' ins Meer führt;
Man nannt' ihn Ottokar, und besser war er
In Windeln schon, als bärt'gen Kinns ist Wenzel,
Sein Sohn, an Trägheit sich und Wollust weidend.
Der mit der Stumpfnas', der in tiefem Rat scheint
Mit jenem, der so güt'gen Angesichtes,
Starb, flüchtig und die Lilien entblätternd,
Betrachtet, wie er dort sich auf die Brust schlägt,
Und seht den anderen, der seine Wange
Hat seufzend in die hohle Hand gebettet;
Von Frankreichs Pest sind Vater sie und Schwäher,
Sie kennen sein unflätig Lasterleben,
Daher kommt auch der Schmerz, der so sie stachelt.
Der dort so stark an Gliedern scheint und singend
Begleitet den, des Nase männlich raget,
War mit jedweder Tugend einst umgürtet,
Und wenn als König wär' nach ihm verblieben
Der Jüngling hinter ihm dort, traun, die Tugend
Hätt' von Gefäß sich zu Gefäß ergossen.
Doch solches gilt nicht von den andern Erben;
Die Reich' erhielten Jakob zwar und Friedrich,
Doch an dem bessern Erb' hat keiner Anteil.
Denn selten nur entsproßt aufs neu' den Zweigen
Der Menschheit Biederkeit, und solches wollte
Ihr Geber, daß man sein Geschenk sie nenne.
Auch den Benas'ten trifft mein Wort nicht minder,
Als es von Peter galt, der mit ihm singet,
Darob Provence schon und Apulien klagen.
So weit steht nach dem Samen hier die Pflanze,
Als sich annoch Konstanze des Gemahles
Mehr denn Beatrix rühmt und Margarete.
Seht, wie der König dort einfachen Wandels,
Heinrich von Engelland, für sich allein sitzt!
Dem ward ein bessrer Trieb an seinen Zweigen,
Und der, am tiefsten sitzend unter ihnen,
Am Boden, aufwärts blickt, ist Markgraf Wilhelm,
Der Monferrat und Canavese Tränen
Ob Alessandrias Fehde hat gekostet.«

Achter Gesang

Die Stunde war's, die Schiffenden das Sehnen
Heim wendet und ihr Herz erweicht am Tage,
Da sie: »Lebt wohl!« gesagt den süßen Freunden,
Und die mit Liebe quält den neuen Pilgrim,
Wenn er von fern ein Glöcklein hört, des Hallen
Den Tag scheint zu beweinen, der dahinstirbt;
Als ich begann, des Hörens mich entschlagend,
Zu schaun auf eine Seele, die, sich aufrecht
Erhebend, mit der Hand Gehör verlangte.
Sie faltete und hob jetzt beide Hände,
Die Augen fest dem Aufgang zugerichtet,
Als spräche sie zu Gott: »Mich rührt nichts weiter.«
Te lucis ante klang so voller Andacht
Aus ihrem Mund und mit so süßen Tönen,
Daß es mich meiner selbst vergessen machte.
Darauf die andern allzumal ihr folgten,
Süß und voll Andacht durch die ganze Hymne,
Den Blick gewandt zu den erhabnen Kreisen.
Jetzt, Leser, such' geschärften Blicks die Wahrheit,
Denn also fein ist wahrlich hier der Schleier,
Daß es, durch ihn hineinzudringen, leicht wird.
Ich sah die edle Heeresschar stillschweigend
Darauf nach oben blicken, gleich als ob sie
Etwas erwarte, blaß und voll von Demut,
Und sah, der Höh' entsteigend, niederlassen
Zwei Engel sich mit zwei entflammten Schwertern.
So abgestumpfet und beraubt der Spitzen.
Grün, gleich den eben erst entkeimten Blättlein,
War ihr Gewand, das, von den grünen Schwingen
Bewegt, sich rückwärts zog, im Winde flatternd.
Nur wenig über uns zu stehn kam einer,
Der andre ließ genüber sich am Talrand
Herab, daß alles Volk blieb in der Mitte.
Ihr blondes Haupt wohl konnt' ich unterscheiden,
Doch in dem Angesicht verging der Blick mir,
Wie an zu vielem jede Kraft muß scheitern.
»Sie kommen beide von dem Schoß Marias,«
Begann Sordell, »das Tal hier zu bewachen
Ob jener Schlange, die alsbald herbeikommt.«
Drob ich, nicht wissend, welches Pfads sie käme,
Mich wandte ringsumher und eng mich anschloß,
Durchschauert ganz, an den betrauten Rücken.
Sordell drauf: »Laßt zu Tal uns gehn inmitten
Der hohen Schatten, daß wir dort sie sprechen;
Denn euch zu schaun, wird sie gar sehr erfreuen.«
Drei Schritte nur mocht' ich herab wohl steigen,
Als ich schon unten stand, und sah dort einen
Auf mich nur schaun, als wollt' er mich erkennen.
Die Zeit war's schon, da sich die Luft verfinstert,
Doch nicht, daß zwischen seinem Blick und meinem
Sie kund nicht tat, was erst sie hielt verborgen.
Er nahte mir, ich ihm: ›O Richter Nino,
Du Edler, wie erfreut' es mich, zu sehen,
Daß du nicht wärest unter den Verdammten.‹
Kein holder Gruß ward zwischen uns versäumet;
Dann fragt' er mich: »Wie lange ist's daß du kamest
Zum Fuß des Berges durch die weiten Wässer?«
›0h!‹ sprach ich, ›mitten durch des Jammers Stätten
Kam ich heut' früh und bin im ersten Leben,
Erstreb' ich, also wallend, gleich das andre.‹
Als meine Antwort war vernommen worden,
Sah ich zurück Sordell und jenen weichen,
Dem gleich, den etwas plötzlich hat verwirret.
Der eine wandt' sich an Virgil, der andre
An einen, der dort saß, laut rufend: »Konrad!
Auf, komm und sieh, was Gott gewollt aus Gnade!«
Drauf gegen mich: »Bei dem besondern Danke,
Den ihm du schuldig bist, der so sein erstes
›Warum‹ verbirgt, daß keine Furt dorthin ist;
Wenn jenseits du der breiten Flut, sag' meiner
Johanna, daß für mich sie flehen möge
Dort, wo Unschuldige Gewährung finden.
Denn nicht mehr liebt mich, glaub' ich, ihre Mutter,
Da sie den weißen Schleier hat vertauschet,
Den einst zurück noch muß die Arme wünschen.
An ihr ist es gar leichtlich zu erkennen,
Wie lang im Weib der Liebe Feuer dauert,
Wenn es nicht Blick oft und Berührung anfacht.
So herrlich wird nicht ihr Begräbnis schmücken
Die Viper, drunter Mailands Volk sich lagert,
Als es geschmückt der Hahn Gallura's hätte.«
Also sprach er, in seinem Angesichte
Den Abdruck jenes echten Eifers tragend,
Davon mit Maß und Ziel das Herz erwärmt wird.
Mein Auge hing voll Sehnsucht nur am Himmel
Dort, wo die Stern' am trägsten sich bewegen,
Dem Rade gleich, wo es der Achs' am nächsten.
Der Führer drum: »Mein Sohn, was blickst hinauf du?«
Und ich darauf zu ihm: ›Nach den drei Flämmchen,
Davon der ganze Pol diesseits erglühet.‹
Zu mir der andere: »Die vier lichten Sterne,
Die du heut' Morgen sahst, sind jenseits drunten,
Und diese stiegen auf, wo jen' erst standen.«
Weil er so redete, zog ihn Sordello
Zu sich hin, rufend: »Sieh dort unsern Gegner!«
Und streckt' die Finger, daß dorthin er schaue.
Von jener Seite her, wo keine Schutzwehr
Das kleine Tal verschließt, kam eine Schlange,
Dieselbe wohl, die Even bittre Kost gab:
Durch Gras und Blumen schlich der arge Streif hin,
Bald mit dem Kopf sich, bald dem Rücken wendend,
Gleich einem Tiere leckend, das sich putzet.
Nicht sah ich, und drum kann ich drob nichts künden,
Die Habichte des Himmels sich bewegen,
Doch wohl wie beide sich bewegt; die Schlange,
Als durch die Luft die grünen Schwingen rauschen
Sie hört', entfloh. Es wandten sich die Engel
Auf ihren Stand zurück, gleichmäßig fliegend.
Der Schatten, der dem Richter sich genähert,
Als dieser rief, verwendete die Blicke
Von mir nicht während dieses ganzen Agriffs.
»Soll jene Leuchte, die dich führt nach oben,
So vieles Öl in deinem Willen finden,
Als bis zum Blumenschmelz des Gipfels nötig?«
Begann er; »wenn von Val di Magra oder
Dem Land umher du hast wahrhaft'ge Nachricht,
Tu' mir sie kund; denn einst war dort ich mächtig.
Mit Namen hieß ich Konrad Malespina,
Der Alte bin ich nicht, doch von ihm stamm' ich,
Den Meinen weiht' ich Liebe, die hier läutert.«
›0!‹ ' sprach ich drauf zu ihm, ›in Eurem Lande
War ich noch niemals, doch wo kann man wohnen
Durch ganz Europa, daß man sie nicht kenne.
Der Ruf, der Euer Haus mit Ehren nennet,
Laut preist die Herren er und laut die Landschaft,
So daß davon vernimmt, wer noch nicht dort war.
Auch schwör' ich Euch, so wahr empor ich gehn will,
Daß Euer ehrenwert Geschlecht des Ruhms sich,
Des Schwertes und der Börse nicht entäußert.
Sitt' und Natur gibt ihm ein solches Vorrecht,
Daß es, verführt das schlimme Haupt die Welt auch,
Geht grad' allein, des Bösen Weg verschmähend.‹
Und er: »Jetzt geh; denn siebenmal nicht leget
Die Sonn' aufs neu' ins Bett sich, das der Widder
Mit den vier Füßen decket und umspannet,
Eh' diese Meinung, die du freundlich äußerst,
Dir mitten in das Haupt wird eingeschlagen
Mit stärkern Nägeln noch als andrer Rede,
Wenn nicht des Richterspruches Lauf gehemmt wird.«

Neunter Gesang

Die Bettgenossin des bejahrten Tithon
Erblaßte schon am Morgensaum des Himmels,
Dem Arm des süßen Buhlen sich entreißend,
Von Edelsteinen glänzte ihre Stirne,
In der Gestalt des kalten Tiers geordnet,
Das mit dem Schwänze Stiche gibt den Menschen;
Und zwei der Schritte, die sie steiget, hatte
Die Nacht zurückgelegt dort, wo wir standen,
Und seine Flügel senkte schon der dritte,
Als ich, der Adams Erb' ich bei mir führte,
Vom Schlaf besiegt, aufs Gras mich niederbeugte,
Wo wir erst alle fünf gesessen hatten.
Zu jener Stund', in der ihr traurig Klaglied
Die Schwalbe, da der Morgen naht, beginnet,
Wohl in Erinnrung ihres ersten Jammers,
Und unser Sinn, dem Fleische mehr entfremdet
Und nicht so sehr verstricket in Gedanken,
Wie göttlich ist in seinen Visionen,
Glaubt' einen Aar mit goldnen Federn, schwebend
Am Himmel, ich im Traum zu sehn, die Flügel
Ausspannend und bereit, herabzuschießen;
Und dort glaubt' ich zu sein, wo Ganymedes
Die Seinigen zurückließ und entrafft ward
Empor in die erhabne Ratsversammlung.
Ich dachte bei mir selbst: Der stößt hierher wohl
Nur aus Gewohnheit, und von anderm Orte
Verschmäht er, mit den Klau'n wohl fortzutragen.
Dann schien es mir, als ob erst etwas kreisend
Er furchtbar wie ein Blitz herab drauf stürzte,
Und mich hinauf entrückte bis zum Feuer.
Da schien mir's, als erglüht' er und ich selber,
Und also brannte die geträumte Glut mich,
Daß drob der Schlummer mir zerrissen wurde.
Nicht anders hat Achilles sich geschüttelt,
Im Kreis rings die erwachten Augen wendend
Und, wo er sei, nicht wissend, da die Mutter
Von Chiron weg hinüber ihn nach Scyros
Geflüchtet, weil er schlief in ihren Armen,
Von wo die Griechen dann hinweg ihn führten,
Als ich mich schüttelte, da mir vom Antlitz
Der Schlummer floh und totenbleich ich wurde,
Gleich einem Manne, der vor Schreck erstarret.
Es stand allein mein Hort mir noch zur Seite,
Und hoch die Sonne schon mehr als zwei Stunden,
Und nach dem Meer zu war gewandt mein Antlitz.
»Befürchte nichts,« begann jetzt mein Begleiter,
»Ermanne dich; wir sind zu guter Stelle,
Dräng' nicht zurück, nein, jede Kraft entfalte,
Beim Purgatorium bist du angelangt jetzt.
Sieh dort die Felsenwand, die's rings umschließet,
Sieh dort den Eingang, wo zertrennt sie scheinet.
Jüngst in der Dämmerung, die vor dem Tage
Einhergeht, weil dir schlief die Seel' im Innern,
Auf jenem Blumenschmuck der untern Stätte
Erschien ein Weib und sagte: ›Lucia bin ich;
Laß diesen hier, der schlummert, mich ergreifen,
Daß ich auf seinem Weg ihn fördern möge.‹
Sordell blieb mit den andern edlen Schatten
Zurück; sie nahm dich, und da's heller Tag ward,
Kam sie herauf und ich auf ihren Spuren.
Hier legte sie dich hin, und erst noch zeigte
Den offnen Eingang mir ihr schönes Auge,
Drauf schwand zu gleicher Zeit sie mit dem Schlummer.
Dem Manne gleich, dem sich der Zweifel löset,
Und dem die Furcht in Sicherheit sich wandelt,
Nachdem die Wahrheit ihm enthüllt ist worden,
Verändert' ich mich, und da frei von Sorge
Mich sah mein Führer, setzt' er in Bewegung
Am Abhang sich – und ich ihm nach – zur Höhe.
Du, Leser, siehst, wie meinen Gegenstand ich
Erheb' anjetzt, drum darfst du dich nicht wundern,
Wenn ich mit größrer Kunst ihn unterstütze.
Heran jetzt tretend, standen wir so nah schon,
Daß dort, wo mir ein Spalt erst war erschienen,
Dem Risse gleich, der eine Mauer trennet,
Ein Tor ich sah und unter ihm drei Stufen,
Die zu ihm führten, von verschiedner Farbe
Und einen Pförtner, der kein Wort noch sagte.
Und mehr und mehr das Äug' auf ihn erschließend,
Sah ich ihn auf der höchsten Stufe sitzen,
Im Antlitz so, daß ich's nicht tragen konnte;
Und ein entblößtes Schwert hatt' in der Hand er,
So gegen uns zurück die Strahlen werfend,
Daß mehrmals drauf den Blick umsonst ich wandte.
»Von dorther saget uns erst, was ihr wollet!«
Begann er, »wo ist der Begleiter, wahrt euch,
Daß euch nicht schädlich sei, hinaufzukommen.«
»Ein himmlisch Weib, vertraut mit diesen Dingen,«
Entgegnet' ihm mein Meister, »sprach vor kurzem
Zu uns erst: ›Dorthin geht, dort ist die Pforte!‹ «
»Und mög' im Guten euern Schritt sie fördern,«
Begann jetzt wieder der gefäll'ge Pförtner,
»So kommet vorwärts denn zu unsern Stufen.«
Dorthin gelangten wir, und weißer Marmor,
So rein geschliffen, war die erste Staffel,
Daß ich mich drin so spiegelt', als ich scheine.
Es war die zweite dunkel, mehr denn Purpur,
Von rauhem brandverwüstetem Gestein,
Der Länge nach und überzwerch geborsten.
Die dritte, die empor noch drüber ragte,
Schien mir aus Porphyr von so feur'gem Rote
Zu sein wie Blut, das aus der Ader spritzet.
Auf dieser ruhte mit den beiden Füßen
Der Engel Gottes, auf der Schwelle sitzend,
Die mir von Diamantenstein zu sein schien.
Den Willigen zog über die drei Stufen
Der Führer jetzt empor und sprach: »Begehre
In Demut, daß das Schloß er lösen möge.«
Andächtig fiel ich zu den heil'gen Füßen,
Barmherzigkeit erflehend, daß er öffne,
Doch schlug vorerst dreimal ich auf die Brust mich;
Drauf schrieb er sieben P mir auf die Stirne
Mit seines Schwertes Spitz' und: »Trachte,« sprach er,
»Die Wunden, wenn du drin bist, wegzuwaschen.«
Asch' oder Erde, die man trocken ausgräbt,
Würd' einer Farbe sein mit seinem Kleide,
Darunter er zwei Schlüssel jetzt hervorzog;
Der eine war von Gold, der andre silbern.
Erst mit dem weißen und dann mit dem gelben
Tat er am Tor so, daß ich ward zufrieden.
»Wenn einer dieser Schlüssel je versaget,
Daß er nicht gleich im Schlüsselloch sich umdreht,«
Sprach er, »so wird der Eingang nicht erschlossen.
Der ein' ist teurer, doch der andre fordert
Gar viel Verstand und Kunst, um auf zuschließen;
Denn er ist's, der den Knoten muß entwirren.
Von Petrus hab' ich sie; der hieß mich lieber
Im Auftun irr'n als im Verschlossenhalten,
Wenn nur die Leute mir zu Füßen fallen.«
Aufstoßend drauf des heil'gen Tores Eingang,
Sprach er: »Geht ein; doch merket wohl, daß jeder,
Wenn hinter sich er blickt, zurück muß kehren.«
Und als auf seinen Angeln nun gedrehet
Die Kanten der geweihten Pforte wurden,
Die mächtig sind von tönendem Metalle,
Da knarrte stärker es und zeigte herber
Sich denn Tarpeja, als man ihr den wackern
Metellus nahm, drob dann sie leer geblieben.
Um wandt' ich, auf das erste Rasseln achtend,
Da hörte, schien's, von Stimmen ich: »Te Deum
Laudamus«
, untermischt mit süßem Klange,
Und solchen Eindruck gab mir grade wieder,
Was ich vernahm, wie man ihn pflegt zu haben,
Wenn den Gesang der Orgelton begleitet,
Daß man bald hört und bald nicht hört die Worte.

Zehnter Gesang

Als wir des Tores Sehwelle, durch der Seelen
Verkehrtes Lieben ungebraucht, das grade
Den krummen Weg läßt scheinen, überschritten,
Hört' ich es mit Gedröhn' sich wieder schließen,
Und wenn den Blick nach ihm gewandt ich hätte,
Wie möcht' ich gnügend wohl den Fehl entschuld'gen.
Wir stiegen auf, durch eines Felsens Spalte,
Der bald zu einem, bald zur andern Seite
Sich windet, gleich der Flut, die naht und fliehet.
»Hier wird es nötig, etwas Kunst zu brauchen,«
Begann mein Führer, »und sich anzuschmiegen
Bald hier, bald dort, der Seite, die zurückweicht.«
Und solches ließ hier sparsam vor uns schreiten,
So daß des Mondes Abbruch erst aufs neue
Sein Bett berührt', um wieder dort zu ruhen,
Eh' wir hervor aus dieser Esse kamen;
Doch als wir frei und unbeschränkt jetzt droben
Uns fanden, wo der Berg sich hinten schließet,
Da blieben wir, ich müd' und beid' im Zweifel
Ob unsers Wegs, auf einer Ebne stehen,
Die öder noch, als Straßen sind durch Wüsten.
Von seinem Rand, wo's an das Leere grenzet,
Zum Fuß der hohen Wand, die weiter aufsteigt,
Mißt jene dreimal eines Menschen Körper,
Und bis wohin den Blick ich werfen konnte
Zu rechten bald und bald zur linken Seite,
Schien mir gleichmäßig dieser Sims gestaltet.
Nicht hatten droben wir den Fuß bewegt noch,
Als ich gewahrte, daß ringsum der Abhang,
Der keine Möglichkeit zum Steigen darbot,
Von weißem Marmor und so mit erhabner
Arbeit geschmückt war, daß nicht Polyklet nur,
Selbst die Natur beschämt hier stehen müßte.
Der Engel, der auf Erden die Gewährung
Des viele Jahr' erweinten Friedens brachte,
Drob sich nach langem Bann der Himmel auftat,
Erschien vor unsern Blicken, so getreulich
Hier eingehaun in liebevoller Stellung,
Daß man ein schweigend Bild zu sehn nicht meinte,
Man hätte schwören mögen, er sag': »Ave«;
Denn hier war jen' im Bild auch, die den Schlüssel
Gedreht, die höchste Lieb' uns aufzuschließen,
Und ausgeprägt im Äußern trug die Worte:
»Ecce ancilla Dei« so unverkennbar
Sie, wie sich eine Form ausdrückt im Wachse.
»Auf einen Ort allein den Sinn nicht richte,«
Begann der süße Meister, der mich hatte
An jener Seite, wo der Mensch das Herz hat.
Drauf wandt' ich mit dem Antlitz mich, und hinter
Maria sah ich an dem Hang dorthin zu,
Wo jener stand, der meinen Schritt bewegte,
Ein andres Bild im Felsen eingesetzet;
Drum ging ich bei Virgil vorbei, und näher
Trat ich, daß es dem Blick erreichbar würde.
In gleichen Marmor eingehaun war Karr'n hier
Und Stiergespann, die heil'ge Arche ziehend,
Darob nichtübertragnes Amt man scheuet;
Davor kam Volk, in sieben Chöre sämtlich
Geteilt, von dem zwei meiner Sinne sagten,
Der eine, »nein,« der andere: »ja, es singet.«
Auf gleiche Weise ließ der Dampf des Weihrauchs,
Der hier war abgebildet, Aug' und Nase
Durch Ja und Nein in Zwietracht mir geraten.
Einher kam vor dem heiligen Gefäß hier
Hochspringend der demüt'ge Psalmensänger,
Der mehr dabei und minder war als König.
Genüber dargestellt, an eines großen
Palastes Fenster sah man Michol staunen,
Ein zornig Weib, verächtlich niederblickend.
Den Fuß bewegt' ich drauf von seiner Stelle,
Ein anderes Bild von nahem zu betrachten,
Das hinter Michol weißlich mir erglänzte.
Hier war im Bild der hehre Ruhm zu schauen
Des Römerfürsten, ob des großer Tugend
Gregor getrieben ward zum großen Siege,
Trajans, des Kaisers, mein' ich, und am Zügel
Des Rosses stand ihm eine arme Witwe,
Die Tränen ließ und Schmerz an sich erkennen.
Ringsher um ihn erschien, zahlreich gedränget,
Ein Troß von Reitern, und die goldnen Adler
Bewegten scheinbar drüber sich im Winde.
Die Unglückselige in jener Mitte
Schien so zu sprechen: »Schaff mir Rache wegen
Des Sohnes Mord, o Herr, drob ich mich gräme.«
Und er zu ihr entgegnen: »Warte jetzt noch,
Bis heim ich kehr'.« Und sie drauf: »Mein Gebieter!«
Gleich einem, den der Schmerz beeilt: »Wenn heim du
Nicht kehrst?« und er: »Wer dann an meiner Stelle,
Schafft Rache dir?« und sie: »Des andern Rechttun,
Was hilft dir's, wenn des eignen du vergissest?«
Drauf er: »Jetzt tröste dich; denn zu erfüllen
Ziemt's mir die Pflicht, eh' ich von dannen ziehe,
Das Recht erheischt's, und Mitleid hält zurück mich.«
Hervorgebracht hat er, dem nimmer Neues
Erschienen ist, dies sichtbarliche Sprechen,
Das neu uns nur, weil es sich hier nicht findet,
Weil ich an der Betrachtung mich der Bilder
So viel demüt'ger Handlungen ergötzte,
Die schon ob ihres Bildners wert zu sehn sind.
»Sieh dort das viele Volk von dieser Seite, –
Doch langsam schreitet's« – raunt' mir zu der Dichter,
»Das wird einweisen uns zu höhern Stufen.«
Mein Auge, das beschäftigt war mit Schauen,
Um Neuigkeiten, drauf es ist begierig,
Zu sehn, war träg nicht, sich nach ihm zu wenden.
Doch wollt' ich, Leser, nicht, daß du am guten
Vorsatz ermatten möchtest, wenn du hörest,
Wie Gott will, daß die Schuld bezahlt hier werde.
Stoß' an die Art der Qual dich nicht, bedenke
Die Folge, denke, daß im schlimmsten Falle
Sie doch den großen Spruch nicht überdauert.
Ich drauf: ›Was, Meister, auf uns zu dort kommen
Ich seh', nicht scheinen's menschliche Gestalten,
Doch weiß ich nicht, ob sich mein Blick nicht täuschet.‹
Und er zu mir drauf: »Ihrer Qualen läst'ge
Beschaffenheit krümmt also sie zu Boden,
Daß meine Augen auch erst Kampf drob hatten.
Doch schau' dorthin fest, und was unter jenem
Felsblocke naht, entwirr' mit deinem Blicke.
Schon kannst du sehn, wie jeglicher zerquetscht wird.«
O stolze Christen, unglücksel'ge Müde,
Die, krank am geistigen Gesicht, ihr euer
Vertrauen setzet auf verkehrten Wandel,
Begreifet ihr denn nicht, daß wir Gewürm sind,
Bestimmt, den Himmelsschmetterling zu bilden,
Der schirmlos zur Gerechtigkeit sich aufschwingt!
Was blähet euer Geist so hoch sich, da ihr
Doch nur, gleich unvollendeten Insekten,
Den Würmern gleich seid mit verfehlter Bildung.
Wie man, sei's einem Dach, sei's einer Decke
Zur Stütze manchmal wohl als Kragstein eine
Gestalt erblicket mit dem Knie am Busen,
So daß aus dem, was nicht wahr, wahrer Kummer
Entsteht dem, der es sieht, also gestaltet
Sah jen' ich, als ich sorglich drauf gemerket;
Zwar waren mehr gekrümmt sie oder minder,
Nachdem mehr oder mindre Last sie trugen,
Und wer zumeist Geduld im Äußern zeigte,
Schien weinend doch zu sagen: »Mehr nicht kann ich.«

Elfter Gesang

»O, Vater unser, in den Himmeln wohnend,
Zwar nicht umschlossen, doch durch größre Liebe
Zu jenen ersten Wirkungen dort oben,
Gepriesen sein dein Nam' und deine Stärke
Von jeder Kreatur, wie sich's gebühret,
Daß deinen süßen Duft man dankend rühme.
Uns komme zu der Frieden deines Reiches,
Weil aus uns selbst wir zu ihm hin nicht können,
Wenn er nicht kommt, so viel wir immer sinnen.
Gleich wie den eignen Willen deine Engel,
Hosanna singend, dir zum Opfer bringen,
So sei's auch bei den Menschen mit dem ihren.
Das Manna gib, das tägliche, uns heute,
Da ohn' in dieser rauhen Wüste rückwärts
Nur geht, wer sich am meisten müht zu wandern.
Und wie das Übel, welches wir erlitten,
Wir jeglichem verzeihn, o so verzeihe
Auch du voll Güt' uns, aufs Verdienst nicht schauend.
Führ' unsre Tugend, die so leicht erlieget,
Nicht durch den alten Gegner in Versuchung,
Nein, mach' uns frei von ihm, der so sie quälet.
Die letzte Bitte, lieber Herr, verrichten
Wir für uns selbst nicht, die wir's nicht bedürfen,
Für jen' allein, die hinter uns geblieben.«
So gingen, sich und uns ein glücklich Pilgern
Erflehend, jene Schatten, von den Lasten
Gedrückt, gleich wie's im Traum uns manchmal vorkommt,
Verschiedentlich beängstet all' im Kreise,
Und müd' umher hier auf dem ersten Simse,
Sich von der Finsternis der Welt zu säubern.
Spricht jenseits uns zum Heil man stets, was können
Für sie wohl diesseits jene tun und sprechen,
Die da des Wollens gute Wurzel haben.
Zu helfen ziemt's, die Flecken abzuwaschen,
Die sie von dannen trugen, so daß rein sie
Und leicht enteilen zu den Sternenkreisen.
»O, wenn Gerechtigkeit euch und Erbarmen
Bald soll entlasten, so daß ihr die Schwinge
Bewegen könnt, die euch nach Wunsch erhebe,
Zeigt an, zu welcher Hand es zu der Stiege
Am nächsten, und wenn's mehr denn einen Pfad gibt,
Lehrt den, des Abfall minder schroff, uns kennen.
Denn ob der Wucht von Adams Fleisch, damit er
Sich kleidet, ist, der mit mir kommt, entgegen
Dem eignen Willen, karg im Aufwärtssteigen.«
Von wem die Worte kamen, die auf jene,
So der sprach, dem ich folgt', entgegnet wurden,
War nicht zu unterscheiden zwar, doch hörte
Man sagen: »Rechter Hand kommt auf dem Strande
Mit uns; dort werdet ihr den Aufgang finden,
Der zu ersteigen ist Lebend'gen möglich!
Und wenn ich nicht behindert wär' vom Felsen,
Der meinen stolzen Nacken niederzwinget,
Drob ich das Antlitz tiefgebeugt muß tragen,
Würd' ihn ich, der noch lebt und sich nicht nennet,
Betrachten, um zu sehn, ob ich ihn kenne,
Und Mitleid ob der Last in ihm zu wecken.
Lateiner war ich selbst; ein mächt'ger Tuscier,
Wilhelm Aldobrandesco mein Erzeuger;
Nicht weiß ich, ob sein Nam' euch je erreicht hat,
Das alte Blut, die ritterlichen Taten
Der Ahnherrn machten mich so übermütig,
Daß, unser aller Mutter schier vergessend,
Ich jeden so verachtete, daß drüber
Ich starb, wie die Sieneser wissen, wie es
In Campagnatico jedwedes Kind weiß.
Humbert bin ich, und Schaden hat der Hochmut
Mir nicht allein getan; denn all' die Meinen
Hat er mit sich ins Unglück fortgerissen.
Und hier muß seinethalb die Last ich tragen,
So lang ich Gott genuggetan nicht habe,
Weil ich's nicht lebend tat, hier bei den Toten.«
Mein Angesicht beugt' ich zuhorchend nieder,
Und einer (nicht der eben sprach) aus ihnen
Wandt' unter dem Gewicht sich, das ihn hemmte,
Und sah mich und erkannte mich und rufte,
Die Augen nur mit Müh' auf mich geheftet,
Mir zu, der ganz gebeugt mit ihnen hinging.
›O,‹ sprach ich jetzt, ›bist du nicht Oderisi,
Agubbios Stolz, die Ehre jener Kunst nicht,
Die zu Paris man nennt Illuminieren?‹
»O Bruder,« sprach er, »schöner lächeln Blätter,
Die Franco Bologneses Pinsel färbet;
Ganz ist jetzt sein die Ehre, mein nur teilweis.
Wohl wär' ich so bescheiden nicht gewesen,
Weil ich noch lebt', ob der gewalt'gen Gierde,
Die nach Vortrefflichkeit mein Herz erfüllte.
Für solchen Stolz bezahlt man hier die Buße,
Und noch war' hier ich nicht, hätt' ich, da sünd'gen
Ich könnt' annoch, mich nicht zu Gott gewendet.
O eitler Ruhm des menschlichen Vermögens,
Wie kurz das Grün an deinem Wipfel dauert,
Wenn eine rohe Zeit auf dich nicht folget!
Das Feld zu halten glaubte Cimabue
Als Maler, jetzt nennt alles Giottos Namen,
So daß den Ruhm des andern er verdunkelt.
So hat der Sprache Preis dem einen Guido
Der andere geraubt, und wohl geboren
Mag einer sein, der beide jagt vom Neste.
Der Lärm, den in der Welt man macht, nichts ist er
Als Windeswehn, bald hier-, bald dorther kommend,
Das Namen tauscht, weil's Himmelsgegend tauschet.
Bleibt dir mehr Ruhm, wenn alt das Fleisch du abstreifst,
Als wenn du wärst gestorben, eh' ›kling, kling‹ du
Und ›Happchen‹ noch verlernt, nach tausend Jahren,
Was im Vergleich zur Ewigkeit doch kürzer
Ist als ein Wimperschlag zu jenes Kreises
Umlauf, der sich am spät'sten krümmt im Himmel?
Der, welcher hier vor mir vom Weg so wenig
Zurücklegt, hat durchtönt einst ganz Toskana,
Und jetzt raunt kaum von ihm man in Siena,
Drin er geherrschet, als vernichtet worden
Die Florentinsche Wut, die stolz gewesen
Zu jener Zeit, wie jetzt sie ist verworfen.
Nachruhm bei euch ist gleich dem Grün des Grases,
Das kommt und geht, und das dieselbe Sonne
Entfärbt, durch die's der Erd' erst frisch entsproßte.«
Und ich zu ihm: ›Es flößt dein wahres Wort mir
Fein Demut ein, des Stolzes Blähn mir ebnend;
Doch wer ist der, von dem du grade sprachest?‹
Er drauf: »Es ist dies Provenzan Salvani,
Der hier zu finden, weil er sich vermessen,
Siena ganz in seine Hand zu bringen.
So ging er und geht jetzt noch sonder Ruhe,
Seitdem er starb; denn solche Münz' entrichtet
Als Sühnung, wer zu keck jenseits gewesen.«
Und ich: ›Wenn jener Geist, der bis zum Rande
Des Lebens mit der Reu' hat angestanden,
Dort unten weilt und nicht hierher gelanget,
Sofern ihm nicht ein fromm Gebet ist hilfreich,
Eh' so viel Zeit verstreicht, als er verlebet,
Wie ward dann dem gewährt, hierher zu kommen?‹
»Zu seines größten Ruhmes Zeit,« sprach jener,
»Geschah's, daß ungescheut er auf Sienas
Marktplatz sich setzte, jeder Scham entsagend,
Und dort, um aus der Qual den Freund zu retten,
Die er erduldete in Karls Gefängnis,
Tat er, was alle Puls ihm beben machte.
Mehr sag' ich nicht und weiß, ich spreche dunkel,
Doch wenig Zeit verläuft, eh' deine Nachbarn
So tun, daß du dir's wirst erklären können.
Dies Werk hat jenen Bann für ihn gehoben.«

Zwölfter Gesang

Gepaart gleich Stieren, die im Joche gehen,
Wallt' ich fürbaß mit der beladnen Seele,
So lang's gestattete der süße Lehrer;
Doch als er sprach: »Laß ihn und geh vorüber,
Denn hier geziemt's, mit Segeln und mit Rudern,
Soviel ein jeder kann, sein Schiff zu treiben,«
Da richtet' ich mich auf, wie sich's zum Wandeln
Gebührt dem Leib nach, ob auch die Gedanken
Gebeugt mir blieben und herabgestimmet.
Von dannen mich bewegend, folgt' ich willig
Den Schritten meines Meisters, und schon zeigte
Es an uns beiden sich, wie leicht wir waren,
Als er begann: »Wend' abwärts deine Blicke,
Gut wird dir's sein, den Weg dir zu erleichtern,
Daß deiner Sohlen Bette du betrachtest.«
Wie, um ihr Angedenken zu bewahren,
Auf Grabestafeln über den Begrabnen
Steht abgebildet, was sie sonst gewesen,
Drob man sie dort oft wiederum beweinet,
Von Schmerzen der Erinnerung berühret,
Die für die Frommgesinnten nur ein Sporn ist,
So sah ich hier, doch bessrer Art, mit Bildern
Kunstmäßig ausgeschmückt die ganze Breite
Des Rands, ausladend aus dem Berg als Straße.
Ich sah den, welcher edler war geschaffen
Denn irgendein Geschöpf, auf einer Seite
Gleich einem Blitz herab vom Himmel stürzen;
Ich sah, vom himmlischen Geschoß durchbohret,
Den Briareus zur andern Seite liegen,
Schwer auf der Erd' in Todeskälte lastend;
Ich sah Thymbraeus, ich sah Mars und Pallas
In Waffen noch, den Vater dort umstehend,
Beschaun der Riesen rings verstreute Glieder;
Nimrod sah ich am Fuß des großen Werkes
Verstört hier stehn, die Völker all' betrachtend,
Die stolz mit ihm in Sennaar gewesen.
O Niobe, mit welch schmerzvollem Blicke
Stand'st auf dem Pfad im Bild du zwischen sieben
Und sieben der getöteten Erzeugten!
O Saul, wie schienst entseelt du hier zu liegen,
Auf deinem eignen Schwert zu Gelboe,
Das weder Tau noch Regen mehr dann spürte!
So, törichte Arachne, sah ich dich
Schon halb als Spinne traurig auf den Fetzen
Des Werks, das du zum eignen Weh vollbracht!
O Roboam, schon scheint nicht mehr zu drohen
Dein Abbild hier, nein, voller Schrecken trägt dich
Der Wagen fort, eh' man dich noch verjaget!
Es zeigte noch der Grund auf hartem Pflaster,
Wie hoch das unglückselige Geschmeide
Alkmaeon seine Mutter ließ bezahlen;
Er zeigte, wie der Söhne Paar sich über
Sennacherib im Tempel hingeworfen
Und wie sie tot ihn dann dort liegen ließen;
Er zeigt', wie nach vollbrachter Niederlage
Und grausem Mord Tomyris sprach zu Cyrus:
»Blut hast gedürstet, und mit Blut dich füll' ich!«
Er zeigte, wie geschlagen die Assyrer
Von dannen flohn, als Holofernes tot war,
Und ließ der Marter Überrest auch schauen.
Troja sah ich in Asch' und Räuberhöhlen
Verkehrt. O Ilion, wie schlecht und niedrig
Stellt sich das Bild dar, das man hier erblicket!
Wer ist des Pinsels oder Stifts so Meister,
Daß er die Züg' und Schatten wiedergäbe,
Drob selbst der feinste Sinn hier staunen müßte?
Tot schien, wer tot war, lebend, wer lebendig;
Nicht mehr als ich sah, wer die Tat gesehn hat,
Von dem, was ich betrat, weil ich gebückt ging.
Stolziert nur und geht hin hoffärt'gen Blickes,
Ihr Kinder Evens, und beugt nicht das Antlitz,
Daß eures üblen Pfads gewahr ihr werdet!
Wir hatten mehr schon von dem Berg umgangen
Und gar um vieles mehr vom Lauf der Sonne
Verbraucht, als der befangene Geist vermeinte,
Als jener, der, beständig vorwärts merkend,
Einher ging, so begann: »Richt' auf dein Haupt jetzt,
Es ist nicht Zeit mehr, zögernd so zu wandeln!
Sieh jenen Engel dort, der sich bereitet,
Auf uns zu kommen, sieh, es kehrt zurück schon
die sechste Dienerin vom Dienst des Tages.
Mit Ehrfurcht schmücke dir Gebärd' und Antlitz,
Daß, uns hinaufzuweisen, ihm gefalle,
Bedenk', daß dieser Tag nie wieder aufgeht.«
Wohl war ich schon gewöhnt an seine Warnung,
Nur Zeit nicht zu verlieren, drum er, dunkel
In diesem Stück, mit mir nicht sprechen konnte.
Es nahte sich uns jetzt das schöne Wesen,
Weiß an Gewand und in dem Angesichte
Dem flimmernden Gestirn des Morgens ähnlich.
Er tat die Arm' auf, tat dann auf die Schwingen
Und sprach: »Kommt! In der Näh' hier sind die Stufen,
Und leicht wird es euch nun emporzusteigen.
Gar selten nur kommt man auf solche Kunde,
O menschliches Geschlecht, aufwärts zu fliegen
Erzeugt, wie sinkst bei so geringem Wind du!«
Hinführt' er uns, wo ausgehaun der Fels war,
Dann fächelt' mit den Schwingen er die Stirn mir
Und sicherte mir zu ein glücklich Wandern.
Wie, wenn man rechter Hand den Berg ersteiget,
Drauf liegt die Kirche, so die Stadt beherrschet,
Die wohlgeführt' ob Rubacontes Brücke,
Des Steigens jähe Raschheit wird gebrochen
Durch Stufen, die gelegt in einer Zeit sind,
Wo Buch und Maß noch ungefährdet waren,
So wird gesänftigt hier des Hanges Steile,
Mit der er von dem nächsten Kreis herabfällt,
Doch rechts und links streift an den hohen Fels man.
Als wir dorthin uns jetzt gewandt, da hörten
»Beati pauperes spiritu« wir Stimmen
So singen, wie's kein Wort beschreiben könnte.
0, wie verschieden von den Höllenschlünden
Sind diese hier; denn hier tritt mit Gesängen
Man ein, und dort mit wilden Jammertönen.
Schon stiegen wir empor die heil'gen Staffeln,
Und leichter schien ich mir zu sein um vieles,
Als ich vorher auf ebnem Weg mich fühlte;
Drum ich: ›O Meister, sprich! Welch ein Gewicht hat
Sich wohl von mir gelöset? denn schier keine
Beschwerde mehr verursacht mir das Gehen.‹
Er drauf entgegnet': »Wenn die P, die fast schon
Verlöscht dir auf dem Antlitz sind verblieben,
Dem einen gleich ganz ausgetilgt sind, dann wird
Vom guten Willen so besiegt dein Fuß sein,
Daß keine Müh' nicht nur er fühlt, nein, Lust es
Ihm sein wird, wenn er aufwärts wird getrieben.«
Da macht' ich es gleich jenem, der, nicht wissend,
Daß auf dem Haupt er etwas hat, einhergeht
Und nur es argwöhnt aus der andern Zeichen;
Drum ihm die Hand soll zur Gewißheit helfen,
Und sucht und findet und den Dienst verrichtet,
Den das Gesicht unfähig ist zu leisten,
Und mit geteilten Fingern meiner Rechten
Fand ich nur sechs Buchstaben noch von jenen,
Die auf die Schlaf einschnitt der mit den Schlüsseln.
Drob, solches schauend, lächelte mein Führer.

Dreizehnter Gesang

Wir waren an dem Gipfel jetzt der Stiege,
Allwo zum zweitenmal ist eingeschnitten
Der Berg, der die Ersteigenden entsündigt.
Hier nun umschließet ringsumher die Höhe
Ein Sims, dem ersteren in allem ähnlich,
Nur daß sich zeitiger sein Bogen krümmet;
Nicht Schatten gibt's, noch Bilder hier zu schauen,
Einförmig deckt den Felshang, deckt die Straße
Die graulichbleiche Färbung des Gesteines.
»Wenn hier zu fragen erst wir Leut' erwarten,«
Begann der Dichter, »dann ist wohl zu fürchten,
Daß allzulang sich unsre Wahl verziehe.«
Drauf fest die Augen nach der Sonne richtend,
Nahm er zum Mittelpunkte der Bewegung
Die rechte Seit' und schwenkte seine Linke.
»O holdes Licht, dem trauend ich betrete
Die neue Bahn, so führe du uns,« sprach er,
»So wie sich's ziemt, hier durchgeführt zu werden.
Du wärmst die Welt, du bist's, das sie beleuchtet;
Treibt sonst ein Grund uns nicht in andrer Richtung.
So müssen stets uns leiten deine Strahlen.«
Wieviel man diesseits zählt für eine Meile,
So viel schon waren jenseits wir gegangen
In kurzer Zeitfrist ob des rüst'gen Willens,
Und gegen uns zu hörten, doch nicht sahen
Wir Geister schweben, mit holdsel'ger Rede
Einladung zu dem Mahl der Liebe bietend.
Die erste Stimme, die vorüberschwebte,
» Vinum non habent«, sprach sie ganz vernehmlich,
Es hinter uns aufs neue wiederholend;
Und eh' noch gar nicht mehr sie war zu hören
Ob der Entfernung, rief vorüberziehend
Die zweit': »Orest bin ich,« und sie nicht weilt' auch.
›O,‹ sagt ich, ›Vater, was für Stimmen sind das?‹
Und als ich solches fragte, horch, da sprach schon
Die dritte: »Liebet, die euch Böses taten.«
Der gute Hort jetzt: »Dieser Gürtel geißelt
Des Neids Verschuldung, und von Liebe werden
Geschwungen auch darum der Peitsche Stricke.
Von umgekehrtem Klange muß der Zaum sein;
Nach meiner Meinung wirst du's, denk' ich, hören,
Eh' du zu der Vergebung Paß gelangest.
Doch hefte fest den Blick jetzt durch die Lüfte,
Und Volk wirst du vor uns dort sitzen sehen,
Das insgesamt gereiht ist längs dem Felsen.«
Da tat ich weiter auf als erst die Augen
Und sah, vorschauend, Schatten dort mit Mänteln,
An Farbe nicht verschieden vom Gesteine.
Und als wir etwas weiter vorgekommen,
Da hört' ich: »Bitt' für uns, Maria,« hörte
Michael, Petrus, alle Heil'gen rufen.
Nicht glaub' ich, daß zur Stund' auf Erden wandelt
Ein Mann, so hart, daß er vom Mitgefühle
Ob des, was dann ich sah, bewegt nicht würde.
Denn als ich ihnen war so nah gekommen,
Daß deutlich mir sich jetzt ihr Treiben zeigte,
Da troffen mir von schwerem Leid die Augen.
Ein hären schlecht Gewand schien ihre Hülle,
Und einer stützt' den andern mit der Schulter,
Und alle wurden von dem Strand gestützet.
So stehn oft dürft'ge Blind' an Ablaßstätten,
Um das, was ihnen not tut, zu erbetteln,
Das Haupt der eine über'n andern neigend,
Mitleid in dritten desto mehr zu wecken,
Nicht durch der Worte Klang nur, nein, durch ihren
Anblick auch, der nicht minder brünstig flehet.
Und wie Erblindeten nichts hilft die Sonne,
Also gewähret keinen Teil den Schatten,
Die ich erwähnt, an sich das Licht des Himmels;
Denn aller Lid durchzieht ein Draht von Eisen
Und näht ihr Auge zu, wie Wildfangssperbern
Zu tun man pflegt, weil sonst sie still nicht bleiben.
Unrecht glaubt' ich zu tun, wenn ich vorbeiging,
Die andern seh'nd und nicht gesehn von ihnen,
Drum ich nach meinem weisen Rat mich wandte.
Wohl wußt' er, was der Stumme sagen wollte,
Und darum wartet' er nicht ab mein Fragen,
Nein, sprach zu mir: »Red' und sei klug und bündig.«
Virgil ging neben mir an jenem Saume
Des Simses, wo herab man fallen konnte,
Weil er von keinem Rand dort wird unkränzet.
Zur andern Hand hatt' ich die fleh'nden Schatten,
Die's durch die grause Naht hervor so preßten,
Daß ihre Wangen drob gebadet wurden.
Zu diesen jetzt gewandt: ›O Volk, gesichert,‹
Begann ich, ›einst das hehre Licht zu schauen,
Um das allein sich euer Sehnen kümmert,
Wenn anders Gnade von dem Schaum soll euer
Gewissen lösen, so daß klar hindurch dann
Der Strom des Geistes sich ergießen möge,
Sagt mir (es wird mir dankeswert und lieb sein),
Ist von lateinschem Stamm hier eine Seele
Bei euch? Gut kann's ihr sein, wenn ich's erfahre.‹
»O lieber Bruder, Bürgerin ist jede
Von einer wahren Stadt; doch du willst sagen,
Daß sie als Gast gelebt hat in Italien.«
Solch eine Antwort, deuchte mir, vernahm' ich
Von etwas weiter vor, als wo ich weilte,
Drum ich mich mehr dorthin zu ließ vernehmen.
Hier sah ich unter andern einen Schatten,
Der harrend schien, und fragt'st du: wie? so sagt' ich,
Er hob das Kinn empor nach Blinder Weise.
›O Geist, der sich bezwingt, um aufzusteigen,‹
Sprach er, ›warst du's der Antwort mir gegeben,
Mach' dich durch Namen oder Stadt mir kenntlich,‹
Er drauf: »Ich war Sieneserin und rein'ge
Mit diesen mich von schlimmem Tun durch Zähren,
Geweinet dem, der sich uns schenken möge.
Nicht weise war ich, ob ich gleich Sapia
Mit Namen hieß, und wegen andrer Schaden
Freut' ich weit mehr mich als ob eignen Glückes.
Damit du nun nicht glaubst, daß ich dich täusche,
Hör', ob ich töricht war, wie ich dir sagte.
Als schon sich neigte meiner Jahre Bogen,
War nah bei Colle einst gestoßen meiner
Mitbürger Heer im Feld auf seine Gegner,
Und ich bat Gott um das, was selbst er wollte.
Geschlagen ward's hier und zum herben Pfade
Der Flucht gewandt, und als ich sah das Jagen,
Ergriff mich größre Freud' als irgendeine,
So daß ich, keck empor das Antlitz wendend,
Gott zurief: ›Fürderhin nicht fürcht' ich mehr dich,
Gleich wie die Amsel tat ob kurzer Milde.‹
Am Ende meines Lebens sucht' ich Friede
Mit Gott zu schließen, und es wär' noch meine
Verpflichtung abgezahlet nicht durch Buße,
Wenn meiner nicht im heiligen Gebete
Sich Peter Pettinajo hätt' erinnert,
Der Mitleid trug für mich aus Christenliebe.
Doch wer bist du, der, dich nach unserm Zustand
Erkund'gend, du einhergehst und die Augen
Gelöst hast, wie ich glaub', und atmend redest?«
›Der Augen werd' ich einst hier noch beraubt sein,
Doch kurze Zeit,‹ sprach ich, ›denn wenig Unrecht
Beging ich nur, umwendend sie aus Schelsucht.
Viel größer ist die Furcht, die meine Seele
In Spannung hält ob jener tiefern Marter,
Denn schon drückt mich die Last des untern Simses.‹
Und sie: »Wer führte dich herauf zu uns denn,
Wenn du hinunter wieder glaubst zu kehren?«
Und ich: ›Der hier mit mir ist und kein Wort spricht,
Und lebend bin ich, und von mir drum heische,
Erkorne Seele, willst du, daß ich künftig
Für dich den Fuß, den sterblichen, bewege.‹
»O,« sprach sie drauf, »das ist so neu zu hören,
Daß es gar sehr beweist, daß Gott dich liebe.
Drum hilf zuweilen mir mit deinen Bitten,
Und wenn du je betrittst Toskanas Boden,
So fleh' bei dem ich, was zumeist du wünschest,
Daß meinen Ruf du besserst bei den Meinen.
Du find'st sie unterm eitlen Volk, das, hoffend
Auf Talamone, mehr wird dran verlieren
An Hoffnung, als da's aufgesucht die Diana;
Doch mehr noch büßen ein die Admiräle.«

Vierzehnter Gesang

»Wer ist es, der dort unsern Berg umkreiset,
Bevor ihn noch der Tod zum Flug beschwingt hat,
Und der nach Lust sein Aug' erschließt und zudeckt?
Nicht, wer er sei, doch, daß er nicht allein ist,
Weiß ich; frag' du ihn, denn du bist ihm näher,
Und grüß' ihn freundlich, daß er Red' uns stehe.«
Also besprachen sich hier rechts zwei Geister,
Einander zugeneigt, von mir und legten
Das Antlitz rücklings dann, mit mir zu reden.
Und einer sprach: »O, Seele, die, gebannt noch
Im Leib des Todes, du gen Himmel wallest,
Beruhig' uns aus Liebe und erklär' uns,
Woher du kommst und wer du bist; denn also
Macht staunen uns die dir erzeigte Gnade,
Wie sich's für etwas ziemt, das nie noch da war.«
Und ich drauf: ›Mitten durch Toskana wallet
Ein Flüßchen, das am Falteron' entspringet,
Und dem ein Lauf nicht gnügt von hundert Meilen;
Von seinem Strande bring' ich diesen Leib her.
Zu sagen, wer ich sei, wär' fruchtlos Reden;
Denn großen Klang nicht hat annoch mein Name.‹
»Dafern ich deine Meinung ganz durchdringe
Mit dem Verstand,« gab, wer zuerst gesprochen,
Zur Antwort dann, »so redest du vom Arno.«
Der andre drauf zu ihm: »Warum hat dieser
Den Namen jenes Flusses nur verborgen,
So wie man tut mit grauenvollen Dingen?«
Und jener Schatten, der befragt war worden,
Entlud sich so: »Ich weiß nicht, doch wohl ziemt sich's,
Daß dieses Tals Benennung untergehe;
Denn vom Beginn, wo so das Hochgebirge,
Davon Pelor' getrennt ward, ist geschwängert,
Daß wenig Stellen nur darüber reichen,
Bis wo er als Ersatz sich selbst zurückgibt
Für das, was aus dem Meer der Himmel sauget,
Draus, was in ihnen strömt, die Flüss' erhalten,
Wird von jedwedem, gleich der Schlang' als Feindin,
Die Tugend weggescheucht, sei's ob des Unsterns
Des Ortes, sei's weil böse Sitte reizet;
Darob des jammervollen Tals Bewohnern
Ihr Wesen so verkehrt ward, daß es scheinet,
Als habe Circe sie auf ihrer Weide.
An wüsten Schweinen hin, der Eicheln würd'ger
Als andrer Kost, für Menschen zubereitet,
Sieht ärmlich man zuerst den Lauf ihn richten.
Er findet Kläffer dann, wenn er hinabkommt,
Weit keifender, als ihre Stärke heischet,
Und wendet ab unwillig seine Schnauze.
Er sinkt noch weiter, und je mehr er anwächst,
Sieht um so mehr aus Hunden Wölfe werden
Der unglückselige, verfluchte Graben.
Wenn er darauf durch andre tiefe Schluchten
Entstürzt ist, trifft er Füchse, so voll Arglist,
Daß keinen Witz sie scheun, der sie besiege,
Und schweigen werd' ich nicht, ob man mich hör' auch;
Denn gut wird's dem sein, wenn er des einst denket.
Was ein wahrhaft'ger Geist mir jetzt enthüllet.
Ich sehe, wie dein Enkel, der zum Jäger
Wird jener Wölfe werden, dort am Ufer
Des grausen Stromes insgesamt sie aufschreckt;
Ihr Fleisch verkauft er bei lebend'gem Leibe,
Dann schlachtet er sie hin gleich altem Viehe,
Beraubt des Lebens viel' und sich der Ehre.
Bluttriefend kommt er aus dem Jammerwalde,
Verläßt ihn so, daß er in tausend Jahren
Von jetzt, nicht wie er war, sich neu bewaldet.«
Wie bei Verkünd'gung künft'gen Mißgeschickes
Das Antlitz wird verstört dem, der sie höret,
Von welcher Seit' auch die Gefahr ihn fasse,
So sah die andre Seel' ich, die zum Horchen
Gewendet war, verstört und traurig werden,
Als jenes Wort in sich sie aufgenommen.
Der einen Rede gab, der andern Anblick
Den Wunsch mir, ihre Namen zu erfahren,
Drob eine Frag' ich tat, gemischt mit Bitten,
Darauf der Geist, der erst mit mir gesprochen,
Aufs neu' begann: »Du willst dahin mich bringen,
Daß ich dir tue, was du mir nicht tun willst.
Doch da Gott seine Gnad' in dir so sehr will
Durchschimmern lassen, werd' ich dir nicht karg sein;
So wisse denn, ich bin Guido del Duca.
Vom Neid ist so verbrannt mein Blut gewesen,
Daß, hätt' ich jemand froh gesehn, so würdest
Mit Blässe du bedeckt gesehn mich haben.
Von meinem Samen ernt' ich solches Stroh hier;
O menschliches Geschlecht, was hängst dein Herz du
An das, wobei zulässig nicht Gemeinschaft!
Dies ist Rinier, dies ist der Preis, die Ehre
Des Hauses Calboli, aus dem dann keiner
Zum Erben seiner Tugend sich gemacht hat;
Und sein Geschlecht allein nicht ist beraubet
Vom Po zum Berg, vom Meeresstrand zum Reno
Der Güter, die zu Lust und Wahrheit dienen.
Denn zwischen jenen Grenzen wimmelt alles
Von gift'gen Sträuchern, so daß wohl der Anbau
Zu spät, sie auszuroden, jetzo käme.
Der gute Lizius, Peter Traversaro,
Heinrich Manard und Guido von Carpigna,
Wo sind sie? O, der Bastardbrut Romagnas,
Weil in Bologn' ein Fabbro, in Faenza
Treibt neue Wurzeln Bernardin von Fosco,
Ein edles Reis, aus niederm Keim entsprossen.
Verwundre dich nicht, daß ich weine, Tuscier,
Wenn ich gedenke nebst Guido da Prata
Ugolin's d' Azzo, der mit uns gelebt hat,
Friedrich Tignosos nebst der Schar, des Hauses
Der Traversara denk' und Anastagi,
Und dies Geschlecht wie jenes ist enterbt jetzt,
Der Ritter und der Frau'n, der Müh'n und Freuden,
Die Lieb' und adlig Wesen uns bereitet,
Wo jetzt die Herzen sind so schlimm geworden.
O Bertinoro, warum nicht entfleuchst du,
Da sich dein Haus von dannen hat gewendet
Und vieles Volk, nicht lasterhaft zu werden.
Wohl tut Bagnacaval, nicht mehr zu zeugen,
Und schlecht tut Castrocar, und schlimmer Conio,
Der ferner strebt, zu zeugen solche Grafen.
Wohl werden die Pagani tun, wenn fort einst
Ihr Teufel ist gegangen, doch nicht also,
Daß fürder unbefleckt ihr Leumund bliebe.
O Ugolin de' Fantolin, dein Name
Ist sicher, da man keinen mehr erwartet,
Der durch Entartung ihn verdunkeln könnte!
Doch geh von dannen, Tuscier; denn zu weinen
Gelüstet's jetzt weit mehr mich als zu sprechen,
So hat mir dies Gespräch das Herz beklemmet.«
Wir wußten, daß uns jene werten Seelen
Gehn hörten, und darum gab uns ihr Schweigen
Die Zuversicht, daß wir auf rechtem Wege.
Als wir fortschreitend nun allein uns fanden,
Kam gleich dem Blitze, der die Luft durchschneidet,
Entgegen eine Stimm' uns, also sprechend:
»Erschlagen wird mich jeder, der mich antrifft!«
Und schwand gleich einem Donner, der verhallet,
Nachdem die Wolke plötzlich er zerrissen,
Und als kaum unser Ohr Ruh' vor ihm hatte,
Horch! eine andre mit so mächt'gem Krachen,
Daß sie dem Donner glich, der Schlag auf Schlag folgt:
»Ich bin Aglauros, die zum Felsen wurde!« –
Darauf, mich an den Dichter anzuschmiegen,
Den Schritt ich rückwärts und nicht vorwärts setzte.
Schon waren allerseits gestillt die Lüfte,
Und jener: »Das Gebiß ist dies, das harte,
Das in den Schranken sollt' euch Menschen halten.
Doch ihr schnappt nach dem Köder, und so zieht euch
An sich des alten Gegners Angelhaken;
Drum helfen Zaum und Lockruf euch nur wenig.
Zu sich ruft euch der Himmel, euch umkreist er,
Euch seine ew'gen Herrlichkeiten zeigend,
Und doch schaut euer Auge nur zur Erde;
Drum züchtigt euch, der alles unterscheidet.«

Fünfzehnter Gesang

Soviel als von dem Anbeginn des Tages
Bis zu der dritten Stunde Schluß vom Kreise
Sich zeigt, der, einem Kind gleich, stets umherspielt,
Soviel schien bis zum Untergang der Sonne
Von ihrem Lauf schon übrig nur zu bleiben;
Dort war es Vesperzeit, und Mitternacht hier.
Und mitten traf der Strahl uns an der Nase,
Weil dergestalt den Berg umkreist wir hatten,
Daß grade schon gen Niedergang wir wallten,
Als ich die Stirne mir von Glanz beschweret
Weit mehr als früher fühlte, und Erstaunen
Ob solches nie gekannten Dings mich faßte,
Weshalb empor zum Gipfel meiner Brauen
Ich hob die Hand und einen Schirm mir machte,
Das Licht zu dämpfen, das von oben einfiel.
Wie, wenn der Strahl vom Wasser oder Spiegel
Abspringt nach der entgegenstehnden Seite,
In eben jener Weis', als er herabfiel,
Empor nun steigend, und auf gleiche Höhe
Vom Fall des Steines gleich entfernt sich haltend,
Wie Wissenschaft uns und Erfahrung zeiget;
So glaubt' ich, vom zurückgeprallten Lichte
Allhier vor mir getroffen mich zu fühlen,
Drob mein Gesicht behend zur Flucht sich wandte.
›Was, süßer Vater, ist's, vor dem das Aug' ich
Nicht so kann schirmen,‹ sprach ich, ›daß mir's helfe.
Und uns entgegen scheint sich's zu bewegen?‹
»Verwundere dich nicht, wenn noch dich blendet,«
Entgegnet' er, »die Dienerschaft des Himmels;
Ein Bote ist es, der zum Steigen ladet.
Bald wird's geschehn, daß, solcherlei zu schauen,
Nicht lästig mehr, nein, Lust dir wird, so viel als
Dich die Natur geschickt zu fühlen machte.«
Als jetzt wir zu dem heil'gen Engel kamen,
Sprach er mit heitrer Stimme: »Tretet ein hier
Zur Stiege, die so steil nicht als die andern.«
Drauf stiegen wir empor, von dort entfernt schon,
Da ward gesungen hinter uns: »Beati
Misericordes«
und: »Erfreu' dich, Sieger!«
Wir gingen aufwärts beide jetzt, mein Meister
Und ich allein, und wandernd so, gedacht' ich,
Aus seinen Worten Nutzen mir zu schaffen,
Und wandte mich an ihn, also ihn fragend:
›Was meinte jener Geist wohl aus Romagna
Von »nicht zulässig« sprechend und »Gemeinschaft«?‹
Und er zu mir drum: »Seines größten Fehlers
Nachteil erkennt er; drum ist's nicht zu wundern,
Wenn er ihn rügt, daß minder drob man weine.
Weil dorthin eure Wünsche sind gerichtet,
Wo durch Genossenschaft ein Teil muß schwinden,
Bewegt der Neid den Seufzern das Gebläse.
Doch wenn die Liebe zu dem höchsten Kreise
Nach oben richtete all euer Sehnen,
Würd' in der Brust euch diese Furcht nicht weilen;
Denn dort je mehr man unser nennt des Guten,
Um so viel mehr besitzt davon ein jeder,
Und glüht von größrer Lieb' in jenem Chore.«
›Mehr fühl' ich nach Befriedigung jetzt Hunger,‹
Sprach ich, ›als wenn ich erst geschwiegen hätte,
Und mehr des Zweifels eint in meinem Sinn sich.
Wie mag's geschehn, daß eines Guts Verteilung
Die mehreren Besitzer mehr bereichre
Durch selbes, als wenn's wen'ge nur besäßen?‹
Und er zu mir: »Weil du nun immer wieder
Den Sinn nur auf die ird'schen Dinge heftest.
So klaubst du Finsternis aus wahrem Lichte.
Das endlos', unnennbare Gut, das droben
Befindlich ist, eilt also zu der Liebe,
Wie sich der Strahl glanzvollem Körper einet,
Dem er so viel an Glut gibt, als er findet,
So daß, je mehr die Liebe sich verbreitet,
Um desto mehr ihr wächst die ew'ge Stärke.
Und wenn sich droben mehr' verstehn, gibt's mehr dort
Des Guten auch zu lieben, und mehr liebt man,
Sich's Spiegeln gleich zurück einander strahlend.
Doch sollte mein Beweis dich nicht ersätt'gen,
So find'st Beatrix du, die gänzlich diesen
Und jeden andern Wunsch dir wird entnehmen.
Schaff' nur, daß insgesamt vertilgt bald werden,
Wie's zwei schon sind, die übrigen fünf Wunden,
Die sich dadurch nur schließen, daß sie schmerzen.«
Als grad ich sagen wollte: ›Du begnügst mich,‹
Sah ich mich angelangt am nächsten Kreise,
Drob Schweigen mir gebot der Augen Neugier.
Allhier glaubt' ich urplötzlich mich in eine
Verzückte Vision emporgezogen,
Und vieles Volk zu schaun in einem Tempel,
Und daß ein Weib mit süßer, mütterlicher
Gebärd' im Augenblick des Eintritts sage:
»Mein Sohn, warum hast dieses du getan uns?
Denn sieh, mit Schmerzen haben wir, dein Vater
Und ich, gesucht dich.« Und als drauf sie still ward,
Da war, was erst erschienen mir, verschwunden.
Drauf eine andr' ich sah, der jenes Wasser
Die Wang' herabfloß, das der Schmerz macht träufeln,
Wenn großer Unwill, ihn erzeugt auf andre.
Und also sprach sie: »Wenn du Herr der Stadt bist,
Um deren Namen so die Götter stritten,
Und der jedwede Wissenschaft entstrahlet,
So räche dich an den verwegnen Armen,
Die unser Kind, o Pisistrat, umfangen.«
Und der Gebieter schien mir mild und gütig,
Voll Mäßigung im Antlitz, zu entgegnen:
»Was sollen dem wir, der uns Böses wünschet,
Nur tun, wenn, wer uns liebt, von uns verdammt wird?«
Darauf erblickt' ich zornentbrannte Männer,
Die einen Jüngling töteten mit Steinen,
Einander laut zurufend: »Martert, martert!«
Und jenen sah gebeuget ich vom Tode,
Der ihn schon zu der Erde niederdrückte,
Doch stets der Augen Tor dem Himmel öffnend.
Zum höchsten Herrn in solchem Kampfe beten,
Daß denen er verzeih', die ihn verfolgten,
Mit jenem Blick, dem sich das Mitleid aufschließt.
Als sich mein Geist nach außen auf die Dinge,
Die außerhalb von ihm noch wahr sind, wandle,
Erkannt' ich meine Täuschung, die nicht falsch war.
Mein Hort, der sehn mich konnte, wie gleich jenem
Ich tat, der von dem Schlummer los sich windet,
Begann: »Was ist's, daß du dich nicht kannst halten,
Und gingst schon mehr als eine halbe Stunde
Geschlossnen Blicks, verwickelt mit den Beinen,
Wie der, den Wein macht oder Schlummer taumeln?«
›O süßer Vater, wenn du mich willst hören,
So sag' ich dir,‹ sprach ich, ›was mir erschienen,
Indes ich so nicht mächtig war der Beine.‹
Und er: »Wenn überm Antlitz hundert Larven
Du hättest auch, doch würden mir von deinen
Gedanken selbst die kleinsten nicht verhüllt sein.
Das, was du sahst, geschah, damit dein Herz du
Zu öffnen dich nicht weigerst jenen Wässern
Des Friedens, die dem ew'gen Quell entströmen.
›Was ist dir?‹ fragt' ich, nicht aus gleichem Grunde
Wie jener, der nur mit dem Auge schauet,
Das nicht mehr sehn kann, wenn entseelt der Leib liegt.
Ich fragt', um Stärke deinem Fuß zu geben;
So ziemt's, die Langsamträgen anzuspornen,
Ihr Wachsein zu benutzen, wenn es heimkehrt.«
Wir wallten durch den Abend, vorwärts merkend,
So weit hin, als entgegenschweifen konnte
Der Blick des Niederganges letzten Strahlen;
Und siehe, nach und nach erhob ein Rauch sich
Jetzt gegen uns, der dunkel gleich der Nacht war,
Und keine Stätte gab's, ihm zu entgehen;
Der raubt' das Aug' uns und die reinen Lüfte.

Sechzehnter Gesang

Der Hölle Dunkel selbst und solcher Nächte,
Wo kein Planet scheint, unter ödem Himmel,
Von Wolken, so viel möglich, noch verfinstert,
Nicht wär' sie meinem Angesicht ein Schleier
So dicht und dem Gefühl so rauh gewesen,
Als jener Dampf war, der uns hier bedeckte
Und uns das Auge ließ nicht offen halten;
Darum mein einsichtsvoll und treu Geleite
Mir näher trat und seine Schulter anbot.
Gleich wie der Blinde hinterm Führer hergeht,
Daß er sich nicht verirr' und stoß' an etwas,
Das ihn beläst'ge oder gar ihn töte,
Ging hin ich durch die herben schmutz'gen Lüfte,
Dem Führer horchend, der zu mir nur sagte:
»Gib acht, daß du von mir getrennt nicht werdest.«
Ich hörte Stimmen, und jedwede schien mir
Um Frieden und Barmherzigkeit zu flehen
Zum Lamme Gottes, das die Sünden hinnimmt.
Mit »Agnus Dei« hoben an sie sämtlich;
In allen war ein Wort und eine Weise,
So daß nur Eintracht alles schien bei ihnen.
›Das sind wohl Seelen, was ich, Meister, höre?‹
Sprach ich, und er zu mir drauf: »Recht bemerkst du,
Und also lösen sie des Zornmuts Bande.«
»Wer bist du nur, der, unsern Rauch durchschneidend,
Du so von uns doch redest, gleich als ob du
Die Zeit noch immer nach Kalenden teiltest?«
So sprach der Stimmen eine, drob mein Meister
Zu mir begann: »Antworte drauf und frage,
Ob man empor auf dieser Seite steiget.«
Und ich drauf: ›0 Geschöpf, das hier sich reinigt,
Um schön zu seinem Schöpfer heimzukehren,
Wenn du mir folgst, sollst Wunder du vernehmen.‹
»Ich folge dir, so weit es mir erlaubt ist,«
Antwortet' er, »und ob wir vor dem Rauch uns
Nicht sehn, hält uns vereint dafür das Hören.«
Drauf hob ich also an: ›Mit jenen Banden,
Davon der Tod uns löst, steig' ich nach oben,
Und durch die Angst der Hölle kam hierher ich,
Und da Gott also mich zu Gnaden aufnahm,
Daß schauen er mich seinen Hof will lassen
In einer Art, ganz neurer Sitt' entgegen,
Verbirg mir nicht, wer vor dem Tod du warest;
Nein, sag's und sag', ob recht zum Paß ich gehe;
Denn als Geleite wird dein Wort uns dienen.‹
»Ich war Lombard und hieß mit Namen Markus;
Die Welt kannt' ich und liebte jene Tugend,
Nach der jetzt niemand mehr den Bogen spannet.
Emporzusteigen gehst du rechten Weges,«
So gab zur Antwort er, beifügend: »Bitte
Für mich, ich bitte, wenn du droben sein wirst.«
Ich drauf: ›Ich binde mich bei Treu' und Glauben
Zu tun, was du verlangst; doch macht ein Zweifel
Mich bersten, wenn ich sein mich nicht entlade.
Erst war er einfach und ist jetzt verdoppelt
Durch deinen Spruch, der hier und anderswo mir
Des gibt Gewißheit, dran sich jener anknöpft.
Die Welt ist in der Tat also verödet
An jeder Tugend, wie du mir gekündet,
Und so geschwängert und bedeckt mit Bosheit.
Doch laß, bitt' ich, den Grund davon mich wissen,
Daß ich ihn seh' und andern zeigen möge;
Denn der sucht ihn im Himmel, der hinieden
Ein tiefes Seufzen, das in Ach zusammen
Der Schmerz zog, haucht' er aus und sprach drauf: »Bruder,
Die Welt ist blind, und wohl von ihr her kommst du.
Ihr, die ihr lebt, legt jede Ursach' immer
Dem Himmel droben bei, gleich als ob alles
Mit sich er durch Notwendigkeit bewege.
Wenn dem so wäre, würd' in euch zerstört sein
Der freie Will', und nicht Gerechtigkeit wär's
Wenn Gutem Wonne, Leid dem Bösen folgte.
Anstoß gibt euern Regungen der Himmel;
Nicht sag' ich allen, doch gesetzt, ich sagt' es,
Dennoch habt ihr ein Licht fürs Gut' und Böse
Und Willensfreiheit, die, wenn unermüdet
Den ersten Kampf sie mit dem Himmel aushält,
Dann, wohlgenährt, auch alles überwindet.
Ihr unterwerft euch größrer Kraft und bessrer
Natur aus freier Wahl, und diese schafft dann
Den Sinn in euch, den nichts der Himmel kümmert.
Drum wenn die gegenwärt'ge Welt verirrt ist,
Liegt nur der Grund in euch, in euch nur sucht ihn;
Des werd' ich jetzt dir sein ein treuer Späher.
Hervor kommt aus der Hand des, der mit Lust sie
Betrachtet', eh' sie ward, gleich einem Mägdlein,
Das kindisch tut beim Lachen wie beim Weinen,
Einfältiglich die Seele, die nichts weiß noch,
Als daß, vom heitern Schöpfer ausgegangen,
Sie gern nach dem sich kehrt, was sie ergötzet.
Geschmack erst findet sie an kleinem Gute;
Hier täuscht sie sich und jagt ihm nach, lenkt anders
Ein Führer oder Zaum nicht ab ihr Lieben.
Drum braucht's, Zaum anzulegen, der Gesetze,
Des Königes bedarf es, der die Türme
Zum mindesten der wahren Stadt erkenne.
Wohl sind Gesetze da; doch wer legt Hand dran?
Niemand; weil jener Hirte, der vorangeht,
Zwar wiederkau'n kann, doch den Huf nicht spaltet.
Drum auch das Volk, das seinen Führer zielen
Nach jenem Gut nur sieht, wonach es gierig,
Daran allein sich weidend, mehr nichts fordert.
So kannst du sehn denn, wie die schlimme Führung,
Und nicht, daß die Natur in euch verderbt sei,
Der Grund ist, drum die Welt so bös geworden.
Einst pflegte Rom, der guten Ordnung Gründ'rin,
Zwei Sonnen zu besitzen, welche diesen
Und jenen Weg, der Welt und Gottes, zeigten.
Verlöscht hat eine jetzt die andr'; es eint sich
Das Schwert dem Hirtenstab, und so verbunden
Muß sich notwendig beides schlecht behaben,
Dieweil vereint eins nicht das andre fürchtet.
Willst mir du glauben nicht, merk' auf die Ähren;
Denn jeglich Kraut erkennt man an dem Samen.
In jenem Land, das Etsch und Po bewässern,
War Mut und adeliger Sinn zu finden,
Eh' Händel Friederich bekommen hatte.
Jetzt kann mit Sicherheit dort jeder durchziehn,
Der es aus Scham vermeiden will, den Guten
Zu nahen und mit ihnen umzugehen.
Wohl gibt's drei Greise dort noch, drin das alte
Geschlecht das neue schilt, und ihnen dünkt's schon
Zu spät, daß Gott sie setz' in bessres Leben:
Der gute Gerhard, Konrad von Palazzo
Und Guido von Castell, genannt noch besser
Nach Franzmanns Art der einfache Lombarde.
Gesteh' mir also, daß die röm'sche Kirche,
Weil zwei Gestalten sie in sich vermengt hat,
In Schlamm versinkt, sich und die Last besudelnd.«
›Mein Markus,‹ sprach ich drauf, ›du folgerst richtig,
Und jetzt erst seh' ich ein, warum vom Erbe
Die Söhne Levis ausgeschlossen worden.
Doch, welch ein Gerhard ist's, der, wie du sagest,
Als Denkmal des erloschnen Volks zurückblieb,
Ein Vorwurf dem verwilderten Jahrhundert?‹
»Täuscht mich dein Wort wohl, oder will's mich prüfen,«
Antwortet' er, »daß du, toskanisch redend,
Vom guten Gerhard nichts zu wissen scheinest?
Beinamen wüßte sonst für ihn ich keinen,
Wär's nicht etwa nach seiner Tochter Gaja.
Gott sei mit euch, denn mehr mit euch nicht komm' ich.
Seht, wie weiß schimmernd durch den Rauch das Zwielicht
Dort glänzet schon, und mir geziemt's, zu scheiden,
Eh' noch der Engel, der dort steht, erscheinet.«
Sprach's, und nicht ferner wollt' auf mich er hören.

Siebzehnter Gesang

Erinnre, Leser, dich, wenn in den Alpen
Dich je ein Nebel überfiel, durch den du
Nur, wie der Maulwurf durch sein Fell, konnt'st sehen,
Wie, wenn sodann die feuchten, dicken Dünste
Sich aufzuziehn beginnen, matten Glanzes
Der Sonne Kugel hinter ihnen durchdringt;
Und nur ein schwaches Abbild wirst du haben
Des, was ich sah, als ich zuerst aufs neue
Die Sonne, die schon unterging, erblickte.
So meinen Schritt dem trauten Schritt des Meisters
Gesellend, trat ich aus der Wolk' entgegen
Dem Strahl, der schon am tiefern Strand erstorben.
O Kraft der Einbildung, die so nach außen
Uns schließt zu Zeiten, daß der Mensch nichts merkte,
Und klängen rings auch tausend Erzdrommeten,
Wer regt dich an, wenn nichts der Sinn dir bietet?
Licht regt dich an, das sich im Himmel bildet,
Sei's von sich selbst, sei's weil's ein Will' entsendet.
Vom Frevel jener, die sich in den Vogel,
Der sich zumeist am Sang ergötzt, verwandelt,
Erschien in meiner Vision der Abdruck,
Und hier ward dergestalt zurückgezogen
Meist Geist in sich jetzt, daß, von außen kommend,
Kein Ding in ihn mehr aufgenommen wurde.
Dann fiel in die entzückte Phantasie mir
Hernieder ein Gekreuzigter, unwillig
Und stolz im Angesicht, und also starb er.
Assuerus stand um ihn, der Groß', und Esther,
Sein Weib, und der gerechte Mardochaeus,
Der so untadelhaft in Wort und Tat war.
Und als nun diese Vision von selber
Zersprang gleich einer Blase, der das Wasser
Entweichet, unter dem sie sich gebildet,
Taucht' im Gesicht ein Mägdelein empor mir,
Das heftig weint' und sprach: »Warum, o Fürstin,
Hast du aus Zorn vernichtet werden wollen?
Du starbst, um nicht Lavinien zu verlieren!
Jetzt hast du mich verloren, und ich, Mutter,
Bejammre deinen Fall noch vor dem seinen.«
Wie, wenn auf einmal die geschlossnen Augen
Ein neues Licht berührt, sich bricht der Schlummer,
Der schon gebrochen zuckt, eh' ganz er hinstirbt,
Also fiel meine Vision jetzt nieder,
Sobald das Antlitz mir ein Licht berührte,
Um vieles stärker, als wir's sonst gewohnt sind
Ich wandte mich, zu wissen, wo ich wäre,
Als eine Stimme sprach: »Hier steigt man aufwärts!«
Die von jedwedem andern Zweck mich abzog
Und mir so rüstiges Verlangen eingab,
Zu schaun, wer jener sei, der jetzt geredet,
Daß es geruht nicht hätte, bis er standhielt.
Doch wie die Sonne unsern Blick belästigt,
Durch übermäß'gen Glanz ihr Bild verschleiernd,
So mußte meine Kraft hier unterliegen.
»Ein Himmelsgeist ist dies, der uns die Straße
Zum Aufwärtssteigen weist unaufgefordert
Und mit dem eignen Licht sich selbst verhüllet.
Er macht's mit uns, wie's mit sich selbst der Mensch macht;
Denn wer die Not sieht und aufs Bitten wartet,
Der legt sich auch schon böslich aufs Verweigern.
Mög' unser Fuß jetzt solcher Ladung folgen!
Laßt uns zu steigen trachten, eh' es dunkelt;
Denn dann nicht geht's mehr, bis der Tag zurückkehrt.«
So sprach mein Führer, und wir beide wandten
Jetzt unsre Schritte hin zu einer Stiege,
Und angelangt dann bei der ersten Stufe,
Hört' ich mir nah wie Flügelschlag und fühlte
Ein Wehn im Antlitz und vernahm: »Beati
Pacifici, die frei von bösem Zorn sind!«
Schon waren über uns so weit erhoben
Die letzten Sonnenstrahlen, drauf die Nacht folgt,
Daß von verschiednen Seiten Stern' erschienen.
›O meine Kraft, wie schwind'st du also!‹ sagte
Ich zu mir selber, weil ich das Vermögen
Der Füß' in Ohnmacht mir versetzet fühlte.
Wir standen jetzt, wo ferner nicht emporsteigt
Die Stiege mehr, und waren festgebannet,
Dem Schiff gleich, das am Strand ist angelaufen.
Ein wenig merkt' ich auf, ob irgend etwas
Im neuen Kreis ich wohl vernehmen möchte;
Dann wandt' ich mich zum Meister hin und sagte:
›Sprich, süßer Vater, welcherlei Beleid'gung
Wird in dem Kreis hier, wo wir sind, getilget?
Steht gleich der Fuß, so steh doch still dein Wort nicht.‹
Und er: »Des Guten Lieb', in Pflichten säumig,
Wird hier gebessert; hier holt wieder ein man
Durch frischen Ruderschlag die schlimme Zögrung.
Doch daß du offenbarer dies erkennest,
So wende zu den Sinn mir, um in etwas
Doch vom Verweilen gute Frucht zu haben.
Der Schöpfer nicht, noch ein Geschöpf war jemals,
Mein Sohn,« begann er, »sonder Liebe, sei es
Natürlicher, sei's seelischer. Du weißt es,
Stets frei war die natürliche vom Irrtum;
Doch irren kann durch schlechtes Ziel die andre
Und durch zu viel und durch zu wenig Stärke.
Solang sie nach den ersten Gütern strebet
Und im Betreff der zweiten rechtes Maß hält,
Kann böser Lust sie nimmer Ursach' werden.
Doch kehrt sie sich zum Bösen, oder jaget
Mehr oder minder, als sie soll, nach Gutem,
Braucht das Geschöpf sie gegen seinen Schöpfer,
Hieraus kannst du begreifen, daß die Liebe
In euch der Same jeder Tugend sein muß,
Wie jeder Handlung, die der Strafe würdig.
Dieweil nun Liebe nimmermehr die Blicke
Abwenden kann vom Wohle des, der liebet,
So sind vor Eigenhaß die Dinge sicher;
Und weil man ferner sich getrennt vom ersten
Kein Wesen, noch für sich besteh'nd kann denken,
Ist jenes Haß fremd jeglichem Gefühle.
So bleibt drum, wenn ich recht geteilt, zu lieben
Des Nächsten Übel nur, und solche Liebe
Sprießt auf dreifache Weis' in eurem Schlamme.
Der hofft von seines Nachbars Unterdrückung
Auszeichnung für sich selbst und wünscht nur darum,
Daß jener werd' entsetzt von seiner Größe.
Der fürchtet, Macht, Gunst, Ruhm und Ehre, weil ihn
Ein andrer übertreffe, zu verlieren,
Und grollt drob so, daß er das Gegenteil liebt;
Und der glaubt durch Beleid'gung sich geschändet,
So daß nach Rach' er dürstet, und ein solcher
Muß nach dem Schaden dann des andern trachten.
Solch dreigestaltet Lieben wird beweinet
Dort unterhalb; doch jetzt vernimm vom andern,
Das auf verkehrte Weise strebt nach Gutem.
Es ahnet jeglicher ein Gut verworren,
In dem die Seele Ruhe find', und wünscht es,
Drum jeder auch es zu erreichen strebet.
Zieht träges Lieben nun euch hin, ein solches
Zu schaun und zu erwerben, dann bestrafet
Euch dieser Sims nach gnügendem Bereuen.
Noch andres Gut gibt's, Menschen nicht beglückend,
Das Seligkeit nicht, noch das wesenhafte
Gut ist, die Frucht und Wurzel alles Guten.
Die Liebe, die zu sehr sich jenem hingibt,
Wird über uns beweinet in drei Kreisen;
Doch wie sie dreifach eingeteilt zu denken,
Darüber schweig' ich, daß für dich du's suchest.«

Achtzehnter Gesang

Ein Ziel gesetzet hatte seine Rede
Der hohe Lehrer jetzt und blickte forschend
Ins Antlitz mir, ob ich zufrieden scheine,
Und ich, von neuem Durst annoch gepeinigt,
Schwieg äußerlich zwar, doch im Innern sprach ich:
›Wohl wird's ihm lästig, wenn zu viel ich frage.‹
Doch jener echte Vater, als er wahrnahm
Mein schüchtern Wollen, das sich nicht entdeckte,
Gab durch sein Sprechen mir den Mut zu sprechen.
Drob ich: ›O Meister, so belebt mein Blick sich
In deinem Licht, daß klar ich, was mir deine
Schlußfolge reicht und schildert, unterscheide;
Drum ich dich, süßer, teurer Vater, bitte,
Daß du die Liebe mir erklärst, auf die du
Zurückführst jede gut' und böse Handlung.‹
»Auf mich,« begann er, »richte des Verstandes
Geschärfte Blick', und offenbar wird sein dir
Der Blinden Wahn, die sich zu Führern machen.
Die Seele, die geschaffen, schnell zu lieben,
Ist allem Wohlgefäll'gen leicht beweglich,
Wenn vom Gefallen wirklich sie geweckt wird.
Aus wahrem Wesen schöpft ein Abbild eure
Auffassungskraft, das sie in euch entfaltet,
So daß die Seele nach ihm hin sich wendet;
Und wenn sich diese so gewandt ihm zuneigt
Ist Liebe solche Neigung, ist Natur dann,
Die durch Gefallen neu in euch sich anknüpft.
Und wie das Feuer sich zur Höh' beweget,
Weil seiner Form nach es dorthin zu steigen
Erzeugt ward, wo's zumeist dem Stoff nach dauert;
Also gerät dann die gefangne Seele
In des Begehrens geistige Bewegung,
Nie ruh'nd, bis ihr Genuß gab das Geliebte.
Daraus kannst du ersehn, wie sehr die Wahrheit
Den Leuten ist verborgen, die behaupten,
Daß jede Lieb' an sich ein löblich Ding sei:
Denn stets vielleicht mag gut ihr Stoff erscheinen,
Doch keineswegs ist jedweder Abdruck
Darum allein schon gut, weil gut sein Wachs ist.«
›Durch deine Wort' und durch mein folgsam Denken,‹
Entgegnet' ich, ›ward Liebe mir enthüllet,
Doch dies macht mich nur mehr von Zweifeln schwanger;
Denn wird von außen Lieb' uns angeboten
Und geht mit anderm Fuße nicht die Seele,
Geht grad sie oder krumm, ist's ihr Verdienst nicht.‹
Und er zu mir: »Soviel hier die Vernunft sieht,
Kann ich dir sagen; doch für weitres harre
Bloß auf Beatrix, dies ist Glaubenssache.
Die substantielle Form, die von dem Stoffe
Ist unterschieden und mit ihm vereinet,
Hat stets in sich spezif'sche Kraft verschlossen,
Die unbetätigt nicht erkannt kann werden,
Noch anders sich als durch die Wirkung zeiget,
Gleichwie durch grünes Laub am Baume Leben.
Drum, wo die Wissenschaft der Urbegriffe
Euch herkommt, weiß man nicht, noch das Verlangen
Des Urbegehrbaren, die in euch wohnen,
Gleichwie der Trieb, den Honig zu bereiten,
Ist in der Bien', und solches Urbegehren
Kann weder Lob noch Tadel je verdienen.
Damit nun jedes andre dem sich eine,
Ward eingeboren euch die Kraft des Rates,
Die der Einwill'gung Schwelle soll bewahren.
Jen' ist der Urgrund, draus in euch der Anlaß
Zu jeglichem Verdienst entspringt, nachdem sie
Gut' oder böse Lieb' annimmt und abwirft.
Die sinnend bis zum Grunde drangen, wurden
Der eingebornen Freiheit inn' und haben
Daher der Menschheit Sittlichkeit gelassen.
Gesetzt darum, daß jede Lieb', entglimmend
In euch, auch durch Notwendigkeit erstehe,
Ist es in eurer Macht doch, sie zu zügeln.
Die edle Kraft meint unter freiem Willen
Beatrix; drum sieh zu, daß du dir's merkest,
Wenn jemals dir davon sie sprechen sollte.«
Der Mond, der fast bis Mitternacht gezögert,
Ließ uns die Sterne seltener erscheinen,
Und einem Kessel gleich, der ganz erglühet,
Lief wider'n Himmel er durch jene Straßen,
Die dann die Sonn' entzündet, wenn der Römer
Sie zwischen Sarden sieht und Korsen sinken;
Und jener edle Schatten, der den Namen
Pietola über Mantua's Stadt erhöhet,
Hatt' also mir der Last Beschwerd' entnommen,
Drum ich, der klar' und offene Belehrung
Auf alle Fragen jetzt erhalten hatte,
Dem gleich ward, dem vor Schlaf der Sinn entschwindet,
Doch solche Schläfrigkeit ward mir urplötzlich
Von Volk geraubt, das, hinter unserm Rücken
Im Kreise laufend, nun auf uns herzukam,
Und wie Ismenus einstens und Asopus
Sahn längs dem Strand nachts rasendes Gedränge,
Wenn die Thebaner Bacchus' Hilfe brauchten;
Dem ähnlich dreht' in diesem Kreis die Schritte
Nach dem, was ich von ihnen sah im Kommen,
Wen guter Will' anspornt und rechtes Lieben.
Stracks waren sie bei uns auch, weil im Laufe
Sich diese ganze große Schar bewegte,
Und zwei, die an der Spitze, riefen weinend:
»Maria lief eilfertig zum Gebirge,
Und Cäsar griff, Ilerda zu besiegen,
Massilien an und eilte dann nach Spanien.«
»Schnell, schnell, daß nicht die Zeit verlorengehe,«
Schrien alle drauf, »durch schwache Lieb', es grüne
Durch Fleiß zu guter Tat die Gnade wieder!«
»O Volk, in dem vielleicht der glüh'nde Eifer
Nachlässigkeit und Säumnis jetzt ersetzet,
Die ihr im Gutestun aus Lauheit zeigtet,
Der hier (traun nicht belüg' ich euch), der lebt noch,
Will aufwärtsgehn, wenn wieder scheint die Sonne;
Drum sagt, von welcher Seit' uns nah die Öffnung.«
Es waren dies die Worte meines Führers,
Und einer jener Geister sprach: »Wenn hinter
Uns drein du kommst, wirst du die Öffnung finden.
Also voll Wunsch sind wir, uns zu bewegen,
Daß wir nicht weilen können; drum verzeihe,
Wenn, was gerecht uns, dir unfreundlich scheinet.
Abt war ich von Sankt Zeno von Verona
Zu Zeit der Herrschaft jenes guten Rotbarts,
Von dem noch jammernd Mailand weiß zu sprechen,
Und einer hat schon einen Fuß im Grabe,
Der jenes Klosters wegen bald wird weinen
Und sich betrüben, daß er Macht drin hatte,
Weil seinen Sohn er, schlimm am ganzen Körper
Und schlimmer an der Seel' und schlimm geboren,
Statt dessen rechten Hirten eingesetzt hat.«
Nicht weiß ich, ob er weiter sprach, ob stillschwieg,
So weit war er im Lauf bei uns vorbei schon;
Doch dieses hört' und sucht' ich mir zu merken.
Und er, für jeglichen Bedarf mein Helfer,
Sprach: »Wende hierher dich, sieh zwei von ihnen
Der Trägheit dort im Kommen Bisse geben.«
Drein hinter allen sprachen sie: »Gestorben
War erst das Volk, dem sich das Meer erschlossen,
Eh' Jordan hat erblickt, die ihn ererbten,
Und jenes, das die Mühen bis zum Ende
Nicht mit Anchises' Sohn ertragen wollte,
Hat sich ruhmlosem Dasein preisgegeben.«
Drauf, als so weit von uns getrennet waren
Die Schatten, daß man nicht mehr sehn sie konnte,
Entstand in mir ein anderer Gedanke,
Dem wieder andr' entsprangen und verschiedne,
Und so von einem irrt' ich zu dem andern,
Daß aus Behagen ich verschloß die Augen,
Und so in Träumen wandelte mein Sinnen.

Neunzehnter Gesang

Zur Stunde, da nicht mehr des Tages Wärme
Vermag den Frost des Mondes zu erlauen,
Besiegt von Tellus, manchmal von Saturn auch,
Wenn fern im Orient die Geomanten
Ihr größtes Glück sehn aufgehn vor der Dämmrung
Auf einem Weg, der kurze Zeit noch dunkelt,
Erschien dem Träumenden ein stotternd Weib mir,
Mit schelem Blick, gekrümmt auf seinen Füßen;
An Händen krüppelhaft und bleich von Farbe.
Ich schaut' auf sie, und wie die Sonn' erquicket
Die kalten, von der Nacht beschwerten Glieder,
Also macht' ihr mein Blick behend zum Reden
Die Zung' und richtete sodann ganz auf sie
In wenig Zeit, und ihr entstelltes Antlitz,
Gleich wie's die Lieb' erheischet, also färbt' er.
Nachdem die Sprach' ihr so gelöst war worden,
Begann zu singen sie, so daß mit Mühe
Den Sinn von ihr ich abgewandt nur hätte.
»Ich bin,« war ihr Gesang, »ich bin die süße
Sirene, die auf hoher See die Schiffer
Verlockt, so voll der Lust bin ich dem Hörer.
Ich zog Ulyssen ab von seinem Irrpfad
Durch meinen Sang, und wer sich mir gesellet,
Trennt kaum sich mehr, so ganz wird er begnüget.«
Sie hatt' annoch nicht ihren Mund geschlossen,
Als neben mir ein Weib, geschwind und heilig,
Erschien, daß es die andere verwirre.
»Virgilius, o Virgilius, wer ist diese?«
Sprach sie voll Zorns; der kam allein, auf jene
Ehrsame hingerichtet seine Blicke.
Die andre faßt' und, ihr Gewand zerreißend,
Enthüllt' er vorn und ihren Bauch mir zeigt' er,
Der durch den Stank, der draus entstieg, mich weckte.
Ich wandt' das Aug', und: »Dreimal,« sprach der gute
Virgil, »rief ich dir mind'stens: auf und komme,
Daß wir die Öffnung finden, wo du eingehst!«
Jetzt stand ich auf, und voll schon waren sämtlich
Vom hellen Tag des heil'gen Berges Kreise;
Hin ging's, die neue Sonn' an unsern Lenden.
Ihm folgend trug ich also meine Stirne
Wie jener, der sie schwer hat von Gedanken
Und selbst sich macht zum halben Brückenbogen.
Da hört' ich sagen: »Kommt, hier ist der Durchgang!«
In sanfter, milder Weise, wie man nimmer
Vernimmt in dieser sterblichen Gemarkung.
Mit offnen Schwingen, die von Schwanen schienen,
Wies uns empor, der so gesprochen, zwischen
Die beiden Mauern hin des harten Felsens.
Anfächelnd uns, bewegt' er drauf die Federn,
Versichernd, daß glückselig sei'n, qui lugent,
Weil ihre Seelen Trost besitzen werden.
»Was hast du, der du stets zu Boden blickest?«
Begann mein Hort zu sagen, als ein wenig
Wir beid' uns unterm Engel noch befanden.
Und ich: ›Mit so viel Zagen läßt mich wandern
Ein neu Gesicht, das nach sich hin mich lenket,
So daß ich los nicht werde des Gedankens.‹
»Du sahst,« sprach jener drauf, »die alte Hexe,
Die über uns allein noch Tränen kostet,
Du sahest, wie von ihr der Mensch sich los macht.
Frisch auf den Grund gestampfet deine Ferse,
Den Blick zur Lockung wendend, die umherführt
Der ew'ge König mit den großen Kreisen!«
Dem Falken gleich, der nach den Klau'n erst schauet,
Dann dem Geschrei sich zukehrt und sich dehnet
Ob der Begier nach Fraß, die ihn dorthin zieht,
Ward ich anjetzt und ging, so lang der Felsen
Sich spaltet als ein Pfad für den Ersteiger,
So hin bis dort, wo man zu kreisen anfängt.
Als auf den fünften Ring ich nun heraustrat,
Erblickt' ich weinend Volk am Boden liegen,
Auf ihm umher, nach unten ganz gewendet.
»Adhaesit pavimento anima mea«,
Hört' ich sie sagen mit so tiefen Seufzern,
Daß man die Worte kaum verstehen konnte.
»O Auserkorne Gottes, deren Leiden
Gerechtigkeit und Hoffnung minder hart macht,
Weist uns zurecht nach den erhabnen Stiegen.«
»Wenn vor dem Liegen sicher ihr hierher kommt
Und am geschwindesten den Weg wollt finden,
So bleibe stets nach außen eure Rechte.«
So bat der Dichter, und so klang die Antwort
Hier kurz vor uns; drum ich aus solcher Rede,
Was sonst darin noch war verborgen, merkte.
Den Blick drauf wandt' ich meines Herren Blick zu,
Drob dieser freundlich winkend mir gewährte
Das, was geheischt die wünschende Gebärde.
Da so nach Lust mit mir ich schalten konnte,
Trat ich dorthin jetzt über jenes Wesen,
Das durch sein Wort mir schon bemerklich worden,
Und sprach: ›Geist, in dem das durch Zähren reifet,
Davon entblößt man nicht zu Gott kann kehren,
Für mich dein größres Sorgen hemm' ein wenig.
Wer warst du, und weshalb habt ihr die Rücken
Aufwärts gewandt? Sprich, wenn ich etwas jenseits
Dir soll erflehn, woher ich lebend komme.‹
Und er: »Weshalb sich zu dem Himmel unsre
Rückseite wendet, künd' ich dir; doch erstlich
Scias quod ego fui successor Petri.
Inzwischen Chiaveri und Sestri stürzt sich
Ein schöner Strom herab, von dessen Namen
Mein Blut herleitet seines Titels Zierde.
Kaum mehr als einen Mond fühlt' ich, wie schwer sei
Der große Mantel dem, der ihn bewahre
Vor Schlamm, drob federleicht scheint jeder andre.
Zwar spät, weh' mir, erst hab' ich mich bekehret,
Allein, nachdem ich röm'scher Hirt geworden,
Da ward des Lebens Lüge mir enthüllet,
Ich sah, daß nicht befriedigt dort das Herz ward
Noch könnt' in jener Welt man höher steigen;
Drum ward zu dieser ich von Lieb' entzündet.
Bis zu dem Augenblick war meine Seele
Elend und Gott entfremdet, ganz voll Geizes;
Nun, wie du siehst, werd' ich drob hier gestrafet.
Das, was die Habsucht tat, wird dargestellet,
Hier bei der Lästrung der bekehrten Seelen,
Und keine Pein ist bittrer dieses Berges.
Wie unser Blick sich nicht hat aufgerichtet
Nach oben, an den ird'schen Dingen haftend,
Versenkt' auch hier Gerechtigkeit zur Erd' ihn;
Und wie der Geiz hat jedes Guten Liebe
In uns getilgt, drum wir das Tun versäumet,
So hält uns hier Gerechtigkeit gefangen
An Händen und an Füßen festgebunden;
Und wir, solang es dem gerechten Herren
Gefällig, bleiben reglos ausgestrecket.«
Ich kniete nieder jetzt und wollte sprechen,
Allein als ich begann und jener meine
Ehrfurchtsbezeigung durchs Gehör nur wahrnahm,
»Was für ein Grund,« sprach er, »beugt so dich nieder?«
Und ich zu ihm: ›Ob Eurer Würde hat mir
Mit Recht gemacht Vorwürfe mein Gewissen.‹
»Richt' auf die Füße und erheb' dich, Bruder!«
Entgegnet' er, »laß dich nicht irren; Mitknecht
Bin ich dir und an Macht gleich mit den andern.
Wenn je die heil'gen evangel'schen Klänge,
Wo's neque nubent heißt, du hast verstanden,
Kannst du wohl sehn, warum ich also spreche.
Hinweg jetzt; nicht mehr will ich, daß du weilest,
Denn deine Gegenwart erschwert mir's Weinen,
Durch das ich zeitige, was du gesaget.
Ich habe jenseits eine Nicht', Alagia
Genannt, die von sich selber gut ist, wenn nur
Sie schlimm nicht wird durch unsres Hauses Beispiel;
Die ist allein mir übrig dort geblieben.«

Zwanzigster Gesang

Schlecht kämpft der Wille gegen bessern Willen;
Drum gegen Wunsch, um seinem Wunsch zu gnügen,
Zog nicht ganz voll den Schwamm ich aus dem Wasser.
Ich ging einher, und hin ging auch mein Führer,
Wo frei der Pfad beständig längs dem Felsen,
Wie man auf Mauern geht dicht an den Zinnen,
Denn jenes Volk, dem tropfenweis den Augen
Entquillt das Weh, das alle Welt ergriffen,
Ist andrerseits zu nah dem äußern Rande.
Vermaledeiet seist du, alte Wölfin,
Mehr Raub als alle andern Tier' erbeutend
Ob deines unauslöschlich heißen Hungers.
O Himmel, dessen Kreisen, wie geglaubt wird,
Den Stand der Dinge soll hier unten ändern,
Wann kommt nur der, vor welchem diese weichet?
Wir wandelten langsamen, kargen Schrittes,
Und ich merkt' auf die Schatten, die ich weinen
Voll Herzeleids und sich beklagen hörte;
Und wie durch einen Zufall hört' ich: »Süße
Maria!« vor uns rufen also kläglich,
Gleich wie ein Weib in Kindesnöten wimmert.
Und ferner dann: »Arm warst du, wie aus jener
Herberge man ersehn kann, wo das Heil'ge
Das du getragen, nieder du gelegt hast!«
Darauf vernahm ich weiter noch: »0 guter
Fabricius, die Tugend war dir lieber
Mit Armut als mit Laster großer Reichtum!«
Mir waren diese Worte so erfreulich,
Daß ich fürbaß ging, Kunde zu erlangen
Vom Geiste, dem sie zu enttönen schienen.
Es sprach derselb' annoch von jener Gabe,
Die Nikolaus einst den Jungfrauen reichte,
Zur Ehrbarkeit zu führen ihre Jugend.
›O Seele, die du so viel Gutes kündest,
Sag' an, wer warst du,‹ sprach ich, ›und warum du
Allein das wohlverdiente Lob erneuest.
Nicht unbelohnet wird dein Wort dir bleiben,
Wenn heim ich kehre, daß den kurzen Pfad ich
Des Lebens, das zum Ziele fliegt, vollende.‹
Und er: »Ich sag' dir's nicht, weil irgend Hilfe
Von jenseits ich erwarte, nur weil also
In dir, eh' du gestorben, Gnade leuchtet.
Ich war die Wurzel jenes schlimmen Baumes,
Der so das ganze Christenland beschattet,
Daß gute Frucht nur karg davon man sammelt.
Doch wenn Gand, Doway, Brugg' und Ryssel könnten,
So würde Rache bald an ihm genommen,
Und ich fleh' den drum an, der alles richtet.
Jenseits hieß Hugo Capet ich mit Namen,
Die Ludwigs stammen von mir ab und Philipps,
Von denen Frankreich neuerdings beherrscht wird.
Der Sohn war eines Schlächters aus Paris ich.
Als bis auf einen, der in Grau sich hüllte,
Der Stamm der alten Kön'ge war erloschen,
Fand ich die Zügel mit der Reichsverwaltung
Fest in der Hand und so viel Macht durch neue
Erwerbungen und mich so reich an Freunden,
Daß zur verwaisten Krone ward befördert
Des Sohnes Haupt, mit welchem die gesalbten
Gebeine jener ihre Reih' begannen.
Solang die große provenzal'sche Mitgift
Noch meinem Blute nicht die Scham genommen,
Galt es zwar wenig, doch es tat nichts Böses.
Da nun begann es seine Räubereien
Mit Lügen und Gewalt, worauf's zur Buße
Ponthieu, Gascogne und Normandie hinwegnahm.
Karl kam herab nach Welschland, und zur Buße
Bracht' er als Opfer Konradin und sandte
Heim in den Himmel Thomas drauf zur Buße.
Die Zeit erblick' ich kurz nach diesen Tagen
Die einen andern Karl aus Frankreich herzieht,
Daß ihn man und die Seinen besser kenne.
Aus zieht er sonder Waffen, mit der Lanze
Allein, mit welcher Judas focht, und diese
So stößt er, daß Florenz der Wanst drob platzet.
Nicht Land wird er dadurch, nur Sünd' und Schande
Erwerben, um so schwerer auf ihm lastend,
Je leichter er dergleichen Schaden achtet.
Den jüngst aus Seegefangenschaft Befreiten
Seh' ich sein Kind verkaufen und drum feilschen,
Wie wohl um andre Sklavinnen Korsaren.
O Habbegier, was kannst du mehr bewirken,
Da du mein Blut so hast an dich gezogen,
Daß es ums eigne Fleisch sich nicht mehr kümmert!
Daß künft'ger Frevel kleiner schein' und vor'ger,
Seh' ich die Lilj' eindringen in Alagna,
Und im Statthalter Christum selbst gefangen!
Ich seh' zum andern Mal ihn dort verspottet,
Seh' Gall' und Essig wiederholt und zwischen
Lebend'gen Schächern ihn getötet werden.
Ich seh' den neueren Pilatus, grausam,
So daß ihm dies nicht g'nügt, nein, sonder Freibrief
Er gier'gen Segels einfährt in den Tempel.
O Herr, mein Gott, wann werd' ich froh nur werden
Des Anschauns jener Rache, die verborgen
In deiner Heimlichkeit dein Zürnen sänftigt!
Was ich von jener einz'gen Braut gesaget
Des heil'gen Geistes, das dich hat bewogen,
Dich zur Erläuterung an mich zu wenden,
All unserem Gebete ist's als Inhalt
Bestimmt, solang der Tag währt; doch wenn's Nacht wird,
Beginnen wir in umgekehrter Weise.
Wir wiederholen dann Pygmalions Namen,
Den zum Verräter, Dieb und Brudermörder
Die hungrige Begier nach Gold gemacht hat,
Und minder nicht des geiz'gen Midas Elend,
Das seinem gierigen Verlangen folgte,
Darüber man noch immer jetzt muß lachen.
Des Toren Achan drauf gedenkt ein jeder,
Wie von der Beut' er stahl, so daß noch immer
Ihn Josues Zürnen hier scheint zu erfassen.
Verklagt wird mit dem Gatten dann Saphira,
Die Streiche preisen wir, die Heliodorus
Empfing, und schmachvoll kreist den ganzen Berg um
Des Polydorus Mörder, Polymnestor.
Zum Schlüsse riefen wir uns zu noch: ›Krassus,
Sag' an, du weißt's, wie der Geschmack des Goldes.‹
Zuweilen spricht der laut und leis der andre,
Nachdem uns das Gefühl anspornt zum Reden,
Bald größeren und bald geringern Schrittes.
So war vorher das Gut' ich zu besprechen,
Wie wir des Tags tun, nicht allein; doch eben
Erhob kein andrer in der Näh' die Stimme.«
Wir hatten schon von diesem uns entfernet
Und trachteten den Weg zurückzulegen,
So weit es unsern Kräften war gestattet,
Da fühlt' ich, einem Ding, das stürzt, gleich, zittern
Den Berg, darob mich solch ein Schauern faßte,
Wie's den ergreifet, der zum Tod muß gehen.
Traun! nicht so sehr hat Delos sich geschüttelt,
Bevor Latona drin ihr Nest sich baute,
Das Augenpaar des Himmels zu gebären.
Von allen Seiten drauf begann ein Rufen,
So daß darob mein Meister zu mir hintrat
Und sprach: »Sei unbesorgt, weil ich dich führe.«
»Gloria in excelsis Deo!« sprachen alle,
Soviel als ich verstand aus meiner Nähe,
Aus der allein den Ruf man hören konnte.
Wir standen reglos harrend da, den Hirten,
Die jenen Sang zuerst vernommen, ähnlich,
Bis sich das Zittern legt', und er zum Schluß kam.
Den heil'gen Weg begannen drauf wir wieder,
Anschau'nd die Schatten, die zu Boden lagen,
Zurückgekehrt schon zum gewohnten Weinen.
Nie hatt' Unwissenheit so viele Kämpfe
Durch Sehnsucht mir nach Aufschluß noch veranlaßt,
Wenn mein Gedächtnis sich hierin nicht irret,
Als sinnend jetzt ich zu bestehn vermeinte,
Noch ob der Eile wagt' ich es zu fragen,
Und durch mich selbst konnt' ich hier nichts erkennen;
Drum ging ich schüchtern hin und voll Gedanken.

Einundzwanzigster Gesang

Von eingebornem Durst, der nie gestillt wird
Als mit dem Wasser, dessen Gnadengabe
Begehrte das samaritan'sche Weiblein,
Ward ich gequält, und vorwärts trieb mich Eile
Dem Führer nach auf vielgehemmtem Pfade,
Und Mitleid fühlt' ich ob gerechter Rache.
Und sieh, gleichwie von Lukas wird berichtet,
Daß Christus zwei'n erschien, die auf dem Wege,
Als er schon war der Grabeshöhl' entstiegen,
Erschien ein Schatten uns, der hinterdrein kam,
Die Schar, die ihm zu Füßen lag, betrachtend,
Und wir gewahrten ihn nicht, bis er also
Begann: »Gott geb' euch Frieden, meine Brüder!«
Stracks wandten wir uns um, und mit dem Zeichen,
Das dem entspricht, antwortete Virgil ihm.
Drauf hob er an: »Zum Kreis der Sel'gen sende
Dich des wahrhaft'gen Hofes Spruch in Frieden,
Der mich verweist in ewige Verbannung.«
»Wie,« sprach der andr' (und rüstig gingen fort wir),
»Wenn Schatten ihr, die Gott hinauf nicht würdigt,
Wer hat so weit geführt auf seiner Stieg' euch?«
Mein Lehrer drauf: »Wenn an du schaust die Male,
Die jener trägt und die der Engel zeichnet,
Siehst du wohl, daß mit Gutem er muß herrschen.
Allein da jene nicht, die Tag und Nacht spinnt,
Den Knäul ihm ganz noch ausgezogen hatte,
Den Clotho jedem auflegt und umwickelt,
So könnt' allein hieher nicht seine Seele,
Die dein' und meine Schwester ist, gelangen,
Weil sie nicht schaut die Ding' auf unsre Weise.
Drum ward entrückt dem weiten Schlund der Höll' ich,
Daß ich ihm alles zeig', und werd' es ferner,
So weit als meine Schule führt, ihm zeigen.
Doch sag' uns, wenn du's weißt, warum so bebte
Der Berg vorher, und weshalb all' auf einmal
Bis hin zum feuchten Fuß zu rufen schienen?«
So traf er durch sein Fragen meinem Wunsche
Grad' wie ins Nadelöhr, denn durch die Hoffnung
Allein schon ward der Durst mir minder brennend.
Und jener drauf: »Nichts ist, das außer Ordnung
Hier in die heil'ge Sitt' eingreifen könnte
Des Berges oder gegen Brauch geschehen.
Frei ist hier oben man von jeder Störung;
Das, was aus ihm in sich der Himmel aufnimmt,
Kann das bewirken, doch nicht andre Ursach',
Darum auch Regen nicht, noch Schnee, noch Hagel,
Noch Tau, noch Reif herabfällt weiter oben
Als bis zum kurzen Trepplein der drei Stufen.
Nicht dichte Wolken zeigen sich, noch dünne,
Nicht Wetterleuchten, noch des Thaumas Tochter,
Die jenseits oft die Himmelsgegend wechselt.
Auch trockner Dunst nicht steiget weiter aufwärts
Als zu der drei besagten Stufen Gipfel,
Drauf der Statthalter Petri setzt die Füße.
Wohl weiter unten bebt's viel oder wenig,
Doch nie hat es, ich weiß nicht, wie, durch Wind noch,
Der sich im Grund verbirgt, gebebt hier oben.
Es bebt nur, wenn sich rein fühlt eine Seele,
So daß sie aufsteht oder sich zum Steigen
Bewegt, und solches Rufen dann begleitet's.
Beweis der Rein'gung ist allein das Wollen,
Das voller Freiheit, ihren Stand zu wechseln,
Die Seel' ergreift, am Wollen Freud' ihr gebend.
Erst will sie wohl, doch hindert's die von ew'ger
Gerechtigkeit entgegen jenem Willen
Gesetzte Lust an Qual, wie sonst am Sünd'gen.
Und ich, der mehr schon als fünfhundert Jahre
In diesem Leide lag, empfand erst jetzo
Das freie Wollen besserer Behausung.
Drum fühltest du den Erdstoß, hört'st am Berge
Umher der frommen Geister Lobgesänge,
Gebracht dem Herrn, der bald hinauf sie weise.«
So sprach er, und weil um so mehr des Trankes
Man sich erfreut, als groß der Durst gewesen,
Könnt' ich, wie sehr er mich erquickt, nicht sagen.
Der weise Führer: »Wohl seh' jetzt die Schling' ich,
Die hier euch hält, und wie man ab sie streifet,
Weshalb es bebt, und welche Freud' ihr teilet.
Jetzt, wer du seist, laß mich gefällig wissen,
Und weshalb der Jahrhunderte so viele
Du hier gelegen, deinem Wort entnehmen.«
»Zur Zeit, da mit des höchsten Königs Hilfe
Der gute Titus jene Wunden rächte,
Draus quoll das Blut, das Judas hat verkaufet,
Lebt' ich,« entgegnete der Schatten, »jenseits
Durch jenen Namen, der am meisten dauert
Und ehret, hochberühmt, doch noch nicht gläubig.
So süß ist meiner Stimme Hauch gewesen,
Daß Rom mich an sich zog, den Tolosaner,
Wo Myrtenschmuck den Schläfen ich verdienet.
Statius nennt immer noch das Volk mich jenseits.
Von Theben sang ich und Achill dem Großen,
Doch unterwegs fiel mit der zweiten Bürd' ich.
Erzeuget wurde meine Glut durch Funken,
Die mich erwärmet, jener Gottesflamme,
Dran mehr denn tausend schon entzündet worden;
Ich meine die Äneis, welche Mutter
Und Amme mir im Dichten ist gewesen;
Denn ohne sie setzt' ich nicht fest ein Quentchen,
Und um, indes Virgil noch lebte, jenseits
Gelebt zu haben, legt' ich zu dem Austritt
Vom Bann ein Jahr noch zu, mehr, als ich schulde.«
Es wandte nach mir hin dies Wort Virgilen
Mit einem Blick, der schweigend sagte: »Schweige!«
Doch alles nicht vermag die Eraft des Wollens,
Denn Lachen ist und Weinen im Gefolge
Des Eindrucks, dem's entsprang, so schnell, daß minder,
Je wahrer ist der Mensch, es folgt dem Willen.
Ich lächelte nur so, wie wer da blinzet;
Darob der Schatten schwieg und in die Augen,
Allwo zumeist der Ausdruck wohnt, mir blickte.
»Sollst glücklich du so große Müh' beenden,
Sag' an,« sprach er, »warum alsbald dein Antlitz
Das Blitzen eines Lächelns mir gezeigt hat.«
Jetzt werd' ich dies- und jenseits festgehalten;
Hier heißt's mich schweigen, dort werd' ich beschworen,
Zu sprechen, drob, so daß man's hört, ich seufze.
»Sprich,« sagte drauf mein Meister, »und zu reden
Nicht habe Furcht, nein, red' und laß ihn wissen,
Was er mit so viel Sorgfalt hat erfraget.«
›Vielleicht, daß du dich, alter Geist, verwunderst.‹
Versetzt' ich, ›ob des Lachens, das ich zeigte,
Doch mehr noch soll Erstaunen dich ergreifen;
Denn dieser, der nach oben meinen Blick lenkt,
Ist der Virgil, von welchem du so mächtig
Von Göttern und von Menschen singen lerntest,
Und hast geglaubt du, daß aus anderm Grund ich
Gelacht, so gelt' er dir als falsch, und glaube,
Daß nur das Wort dran schuld war, das du sprachest.‹
Schon beugt' er sich, daß meines Lehrers Füß' er
Umarme, doch der sagte: »Tu's nicht, Bruder;
Denn, Schatten selbst, siehst du hier einen Schatten.«
Und jener sich erhebend: »Die Wievielheit
Der Lieb' ersiehst du hier, davon ich glühe
Für dich, weil, unsre Nichtigkeit vergessend,
Ich Schatten wie ein fühlbar Ding behandle.«

Zweiundzwanzigster Gesang

Schon war der Engel hinter uns verblieben,
Der Engel, der zum sechsten Kreis gewandt uns
Und einen Strich getilgt mir auf der Stirne;
Und die nach der Gerechtigkeit sich sehnen,
Hatt' er genannt »Beati«, doch beschränkten
Sich seine Wort' auf »Sitio« und nichts weitres.
Und leichter schon als durch die andern Schlünde
Ging ich einher, so daß ohn' alle Mühe
Den schnellen Geistern ich nach oben folgte,
Als jetzt Virgil begann: »Die Lieb', entzündet
Von Tugend, hat stets Gegenlieb' entzündet,
Wenn nur nach außen ihre Flamm' erschienen.
Drum seit dem Tag, als unter uns hernieder
Zum Limbus stieg der Hölle Juvenalis,
Der mir entdeckt hat, wie du mir geneigt seist,
Ward ich dir so gewogen, als man jemals
Es einem ward noch, den man nicht gesehen,
Drob diese Stiegen kurz mir scheinen werden.
Doch sag', und mögst als Freund du mir verzeihen,
Wenn zu viel Keckheit mir den Zügel lüftet,
Und laß als Freunde drüber jetzt uns sprechen,
Wie nur vermochte Platz in deinem Busen
Der Geiz zu finden bei so vieler Einsicht,
Von der durch dein Bemühn du voll gewesen?«
Ob solcher Worte lächelt' erst ein wenig
Statius, und gab zur Antwort dann: »Was immer
Du sagst, ist mir ein teures Liebeszeichen,
Und in der Tat erscheinen oftmals Dinge,
Die einen falschen Stoff zum Zweifeln bieten,
Weil die wahrhaft'ge Ursach' bleibt verborgen.
Was du gefragt, beweist mir deine Meinung,
Daß geizig ich in jener Welt gewesen
Des Kreises wegen wohl, wo ich mich aufhielt.
So wisse denn, daß allzuweit entfernt war
Von mir der Geiz, und Tausende von Monden
Sind Strafe solchem Übermaß geworden;
Und hätt' ich mein Bestreben nicht berichtigt,
Als ich die Stelle hörte, wo du rufest,
Als ob der menschlichen Natur du zürntest:
›Wohin nicht alles, o verfluchter Hunger
Nach Gold, führst du der Sterblichen Begierden!
Bestand' umwälzend ich die herben Kämpfe.
Da ward ich inne, daß zu sehr die Flügel
Die Hand zum Spenden öffnen kann, und fühlte
Reu' wegen dieses und der andern Fehler.
Wieviel erstehn dereinst mit kahlem Kopfe,
Weil sie der Reu' ob dieser Sünd' im Leben
Unwissenheit beraubt hat und beim Scheiden!
Und wisse, jede Schuld, die einem Laster
Im graden Widerspruche tritt entgegen,
Läßt hier zugleich mit ihm ihr Grün verdorren.
Drum, wenn ich, mich zu rein'gen, bin gewesen
Bei jenem Volk, das ob des Geizes weinet,
Ist mir's ob seines Gegenteils begegnet.«
»Als aber du die grausenvollen Waffen
Des Doppeljammers der Jokaste sangest,«
Begann der Sänger der bukolschen Lieder,
»Da Klio dort mit dir berührt die Saiten,
So, scheint's, noch hatte gläubig nicht gemacht dich
Der Glaube, ohne den Rechttun nicht gnüget;
Wenn dem so ist, welch eine Sonne hat dich,
Welch eine Kerz' entfinstert, daß du förder
Die Segel hinterm Fischer drein gerichtet?«
Er drauf: »Du hast zuerst mich zum Parnassus
Gewiesen, daß ich trink' in seinen Grotten,
Und mir zuerst zu Gott auch hingeleuchtet.
Du tat'st wie jener, der des Nachts einhergeht
Und hinter sich ein Licht hält, das ihm selber
Nichts hilft, doch kundig macht, die nach ihm kommen,
Dort, wo du sprachst: ›Jahrhunderte erneu'n sich,
Astraea kehrt, es kehrt die Urzeit wieder,
Und niedersteigt ein neu Geschlecht vom Himmel.‹
Durch dich ward Dichter ich, durch dich zum Christen;
Doch daß du besser siehst, was ich gezeichnet,
Will ich zur Färbung aus die Hand jetzt strecken.
Es war die Welt schon ganz und gar geschwängert
Mit dem wahrhaft'gen Glauben, ausgesäet
Von den Verkündigern des ew'gen Reiches,
Und dein vorher erwähntes Wort, es stimmte
So mit den neuen Predigern zusammen,
Daß ich sie zu besuchen mich gewöhnte.
Darauf begann so heilig mir zu scheinen
Ihr Wesen, daß bei Domitians Verfolgung
Ihr Weinen meiner Zähren nicht entbehrte;
Und weil ich jenseits mich befand, kam ihnen
Zu Hilf ich, und ihr rechter Wandel machte,
Daß ich verschmäht' jedwede andre Sekte.
Und eh' die Griechen hin zu Thebens Flüssen
Ich im Gedicht geführt, erhielt die Tauf' ich;
Doch war aus Furcht ein Christ ich im Verborgnen,
Durch lange Zeit als Heide mich bezeigend,
Ob welcher Lauheit ich den vierten Zirkel
Mehr denn vierhundert Jahre mußt' umkreisen.
Du nun, der mir den Deckel aufgehoben,
Der so viel Heil mir barg, als ich erwähnte,
So lang uns übrig noch zu steigen bleibet,
Sprich, wenn du's weißt, wo unser Freund Terentius
Sich findet, wo Caecilius, Plautus, Varro?
Sprich, sind verdammt sie und in welcher Stätte?«
»Sie alle, Persius, ich und viele andre,
Wir sind,« sprach drauf mein Führer, »mit dem Griechen,
Der mehr als einer trank die Milch der Musen,
Dort in des finstern Kerkers erstem Kreise
Und sprechen öfters von dem Berg, der unsre
Säugammen immerdar bei sich bewahret.
Euripides und Antiphon sind mit uns,
Auch Agathon, Simonides und mehr noch
Der Griechen, deren Stirn einst Lorbeer kränzte.
Alldort sind von den Deinigen zu schauen
Antigone, Deiphil' und Argia,
Und in Betrübnis, wie sie war, Ismene.
Dort sieht man die, so die Langia zeigte,
Dort ist Tiresias' Tochter, dort ist Thetis,
Und mit den Schwestern dort Deidamia.«
Schon schwiegen beiderseits anjetzt die Dichter,
Aufs neu' beschäftigt, ringsumher zu blicken,
Da sie des Steigens und der Wände ledig,
Und vier schon von des Tages Mägden standen
Zurück, und an der Deichsel war die fünfte,
Aufwärts annoch die glüh'nde Spitze richtend,
Als so mein Führer sprach: »Wir müssen, glaub' ich,
Dem Rande zu die rechte Schulter wenden,
Den Berg umkreisend, wie wir stets gepfleget.«
So ward hier die Gewohnheit unsre Weisung,
Und minder zaudernd schlugen wir den Weg ein,
Weil jene würd'ge Seel' uns beigepflichtet.
Sie wandelten voraus, und ich einsamlich
Dahinter gab auf ihre Reden Achtung,
Die da zum Dichten mir Verstand gewährten.
Doch plötzlich brach die süße Unterredung
Ein Baum, den mitten auf dem Weg wir fanden
Mit Früchten, gut und lieblich dem Geruche.
Und wie von Zweig zu Zweig abnimmt die Tanne
Nach oben hin, so dieser hier nach unten.
Damit, vermut' ich, niemand auf dran steige.
Von jener Seite, wo der Pfad verschlossen,
Entstürzt' ein klares Naß dem hohen Felsen,
Das oben sich verbreitet' auf den Blättern.
Die beiden Dichter näherten dem Baum sich,
Und aus dem Laub hervor rief eine Stimme:
»An dieser Kost wird es euch noch gebrechen!«
Drauf sprach sie: »Mehr gedachte dran Maria,
Daß ehrenvoll und ungestört die Hochzeit,
Als an den eignen Mund, der euch vertritt jetzt.
Die alten Römerinnen, sie begnügten
Mit Wasser zum Getränke sich, und Speise
Verschmähte Daniel und erwarb sich Wissen.
Dem ersten Alter, das wie Gold so schön war,
Erschien die Eichel schmackhaft ob des Hungers,
Und Nektar ob des Durstes jedes Bächlein.
Heuschrecken waren, Honig war die Nahrung,
Davon der Täufer in der Wüste lebte,
Darob er ruhmgekrönet und so groß ist,
Wie durch das Evangelium uns bekannt wird.«

Dreiundzwanzigster Gesang

Weil mit den Augen durch die grünen Blätter
Ich forschte, gleich wie der es pflegt zu machen,
Der hinterm Vögelein verliert sein Leben,
Sprach, der mir mehr als Vater war: »Komm endlich,
Mein Sohn, die Zeit, die uns ist angewiesen,
Geziemt's nutzbringender uns zu verteilen.«
Das Antlitz und nicht minder schnell die Schritt' auch
Wandt' ich den Weisen nach, die also sprachen,
Daß sonder Mühe drob mir schien das Gehen.
Und sieh, da hörte weinen man und singen:
»Labia mea domine«, in einer Weise,
Daß allzumal es Lust und Schmerz erzeugte.
›Was ist's, o süßer Vater, das ich höre?‹
Sprach ich, und jener: »Schatten wohl, die hingehn,
Auflösend so die Banden der Verpflichtung.«
Und wie's gedankenvolle Pilger machen,
Die, unterwegs auf nicht Gekannte stoßend,
Nach ihnen hin sich wenden und nicht weilen,
So, hinter uns einher geschwindern Schrittes
Sich nahend und vorübergehend, staunte
Uns eine Seelenschar an, fromm und schweigsam.
Ums Auge war jedwede hohl und dunkel,
Blaß im Gesicht und also abgemagert,
Daß ihre Haut sich nach den Knochen formte.
Bis auf die äußre Haut so ausgetrocknet
War, mein' ich, Erisichthon nicht durchs Hungern
Zur Zeit, da's ihm davor am meisten graute.
Ich sagte, bei mir selber denkend: ›Siehe
Das Volk hier, das Jerusalem verloren,
Als auf den Sohn einhieb Marias Schnabel.‹
Ein Ring schien sonder Stein die Augenhöhle,
Und wer im Menschenantlitz liest ein omo,
Der konnte hier das M wohl unterscheiden.
Wer glaubte wohl, wüßt' er nicht, wie's geschehen,
Daß Wunsch erzeugend jemals eines Wassers
Geruch und einer Frucht so wirken könne.
Schon staunt' ich, was sie also hungern mache,
Weil noch der Magerkeit und schlimmen Schuppen
Ursache mir nicht offenbar geworden;
Und aus des Hauptes Tiefe, sieh, da wandte
Ein Schatten mir den Blick zu, an mich starrend,
Und rief dann laut: »Was wird mir da für Gnade!«
Nie würd' am Antlitz ich erkannt ihn haben,
Allein durch seine Stimme ward mir deutlich,
Was in dem Anblick war verungestaltet.
Durch solche Funken ward ganz neu entzündet
Mir das Erkenntnis der entstellten Züge,
Und ich nahm wahr das Angesicht Foreses.
»0, achte nicht auf jene trocknen Schuppen,
Die meine Haut,« so fleht' er, »mir verfärben,
Noch drauf, daß ich am Fleische Mangel leide,
Nein, sage Wahrheit mir von dir, und wer nur
Die beiden Seelen sind, die dich begleiten;
Verharre nicht dabei, mir nichts zu sagen.«
›Dein Angesicht, das ich schon tot beweinte,
Erpreßt ob mindern Schmerzes nicht mir Tränen,‹
Entgegnet' ich, ›da ich's entstellt jetzt schaue.
Drum sprich um Gottes Willen, was entblättert
Euch so? Heiß' mich nicht sprechen, weil ich staune;
Der schlecht nur spricht, wer voll ist andern Wunsches,‹
Und er zu mir: »Durch ew'gen Ratschluß senkt sich
Ins Wasser eine Kraft und in die Pflanze
Dort hinter uns, darob so dünn ich werde.
All dieses Volk, das unter Zähren singet,
Weil es der Gurgel ohne Maß gefolget,
Wird hier durch Durst und Hunger neu geheiligt.
Zum Trinken und zum Essen weckt uns Neigung
Der Duft, der aus der Frucht kommt und dem Springquell,
Der droben auf dem Grünen sich verbreitet.
Und nicht bloß einmal werden aufgefrischet
Auf dieses Wegs Umwandrung unsre Qualen;
Ich sage Qual und sollte Wonne sagen,
Denn jenes Sehnen führt uns zu dem Baume,
Das Christum froh geführt zum Eli-Ruf,
Als seiner Adern Blut uns frei gemacht hat.«
Und ich zu ihm: ›Forese, seit der Zeit,
Da du die Welt vertauscht zu besserm Leben,
Bis jetzt sind noch fünf Jahr' nicht umgerollet.
Wenn, eh' die Stund' erschien des guten Schmerzes,
Der Gott uns neu vermählet, schon erloschen
Die Möglichkeit dir war zum fernern Sünd'gen,
Wie bist du denn hierhergelangt? Ich glaubte,
Daß du dort unten dich annoch befändest,
Wo man durch Zeit für Zeit Vergütung leistet.‹
Und jener drauf zu mir: »So schnell geführet
Hat zu dem süßen Wermutstrank der Qualen
Mich meine Nella durch ihr maßlos' Weinen;
Durch ihr andächtig Flehn, durch Seufzen hat sie
Dem Berghang mich entrissen, wo man harret,
Und von den andern Kreisen mich befreiet.
Um so viel lieber ist bei Gott und teurer
Mein Witfräulein, das ich gar sehr geliebet,
Als es einsamlicher im Rechttun dasteht;
Denn sittsamer noch zeigt in ihren Weibern
Um vieles sich Sardiniens Barbagia
Als die Barbagia, wo ich sie zurückließ.
Was soll ich dir, o süßer Bruder, sagen?
Schon seh' ich meine künft'ge Zeit vor Augen,
Der nicht gar alt wird diese Stunde heißen,
Wo von den Kanzeln ab man untersagen
Wird den schamlosen florentin'schen Frauen,
Einherzugehn, die Brust samt Warze zeigend.
Hat's je barbarische, hat's sarazen'sche
Frau'n wohl gegeben, die bedeckt zu gehen,
Sei's geistlicher bedurft, sei's andrer Strafe?
Doch wenn die Schamentblößten, was der schnelle
Umlauf des Himmels für sie sammelt, wüßten,
Sie würden schon den Mund zum Heulen auftun;
Denn täuscht mich hier Voraussehn nicht, so werden
Sie traurig sein, eh' noch des Kinn mit Flaumen
Sich deckt, den jetzt ›Eiapoppeia‹ tröstet.
O Bruder, jetzt verbirg dich uns nicht länger;
Du siehst, daß nicht bloß ich, nein, alle diese
Dorthin schaun, wo die Sonne du verschleierst.«
Drob ich: ›Wenn du dir in den Sinn zurückrufst,
Wie du mit mir und ich mit dir gewesen,
Wird lästig dir noch jetzt sein die Erinnrung.
Von solchem Leben hat mich abgewendet,
Der vor mir hergeht, wenig Tage sind es,
Als eben rund sich dessen Schwester zeigte‹
(Und auf die Sonn' zeigt' ich); ›durch die tiefe
Nacht führt' er hin mich zu den wahren Toten
Mit diesem wahren Fleische, das ihm folget.
Durch seine Hilfe zog er mich von dannen
Herauf, den Berg umkreisend und ersteigend,
Der grad euch macht, die jene Welt gekrümmt hat.
So lang', verspricht er, noch mich zu beglücken,
Bis hin ich komme, wo Beatrix sein wird;
Allda geziemt's, daß ich ohn' ihn verbleibe.
Virgil ist jener, der mir solches saget‹
(Und auf ihn deutet' ich), ›und dieser andre
Ist jener Schatten, drob an allen Hängen
Jüngst euer Reich gebebt, ihn auszuscheiden.‹

Vierundzwanzigster Gesang

Das Gehn nicht ward durchs Wort, das Wort durchs Gehn nicht
Verzögert, nein, im Sprechen wallten rüstig
Wir hin, dem Schiff gleich, das ein guter Wind treibt.
Und Staunen sogen durch der Augen Höhlung
Die Schatten, die zweimal Gestorbnen glichen,
Aus mir, da sie gewahrten, daß ich lebe.
Und ich, fortfahrend jetzt in meiner Rede,
Sprach: ›Wohl langsamer wandelt er nach oben,
Als es aus anderm Grund geschehen möchte.
Doch sag' mir, wenn du's weißt, wo ist Piccarda?
Sag' an, ob unterm Volk, das mich so anblickt,
Jemand Bemerkenswertes ist zu schauen.‹
»Die Schwester mein, so schön und gut (nicht weiß ich,
Was sie von beidem mehr war), freut im hehren
Olymp sich schon siegprangend ihrer Krone.«
So sprach er erst und dann: »Hier ist's verwehrt nicht,
Zu nennen jedermann, weil also unsre
Gestalt ist ausgezogen durch das Fasten.
Dies ist« (mit Fingern zeigt' er) »Buonagiunta,
Buonagiunta von Lucc', und jenes Antlitz
Jenseits von ihm, verfallner als die andern,
Hielt einst die heil'ge Kirch' in seinen Armen.
Von Tours war er und büßt jetzt ab durch Hunger
Bolsenas Aal, im Firnewein gesotten.
Noch weiter zeigt' er einen nach dem andern,
Und jedem schien es recht, genannt zu werden,
So daß drob keine trübe Mien' ich wahrnahm.
Ich sah die Zähn' umsonst aus Hunger brauchen
Nebst Ubaldin von Pila Bonifazius,
Der in dem Priesterrock viel Volks geweidet.
Sah Herrn Marchese, zu Forli einst zechend
Gemächlicher mit minder trockner Kehle,
Der so war, daß er nimmer satt sich fühlte.
Doch dem gleich, der beschaut und eins dann vorzieht
Dem anderen, tat ich's mit dem von Lucca,
Der mehr von mir schien Kunde zu besitzen.
Er murmelt', und etwas, gleichwie Gentucca,
Hört' ich dort, wo die Wund' er fühlte jener
Gerechtigkeit, die so ihn abgezehret.
›O Geist,‹ sprach ich, ›der so begierig scheinet,
Mit mir zu reden, laß mich dich verstehen,
Dich selbst und mich befried'gend durch dein Reden.‹
»Geboren ist ein Weib, das keinen Schleier
Noch trägt, ob dem dir,« sprach er, »einst gefallen
Wird meine Stadt, wie man sie jetzt auch schelte.
Hingehst du, dies Voraussehn mit dir tragend,
Und ob mein Murmeln irre dich geführt hat,
Wird dir die Wirklichkeit dereinst noch dartun.
Doch sprich, seh' ich hier jenen, dem enttönten
Die Reime neuer Art, also beginnend:
›Ihr Frauen, die ihr Einsicht habt der Liebe‹ .«
Und ich drauf: ›Ich bin einer, der, wenn Liebe
Mich anweht, es bemerk' und in der Weise,
Als sie's im Innern vorspricht, dann verzeichne.‹
»O Bruder,« sprach er, »jetzt seh' ich den Knoten,
Der den Notar, Guitton und mich entfernt hielt
Vom neuen, süßen Stil, den ich vernehme.
Wohl seh' ich ein anjetzt, wie eure Federn
Dem, der da vorspricht, auf dem Fuße folgen,
Was bei den unsern wahrlich nicht der Fall war;
Und wer noch drüber 'naus sich müht zu schreiten,
Der sieht von einem Stil nicht bis zum andern.«
Und wie befriediget schwieg er nun stille.
Wie Vögel, wenn zum Winter sie enteilen
Dem Nile zu, bald sich zusammenscharen,
Bald wieder schnellern Flugs in Reihen hinziehn,
Also beschleunigte jetzt seine Schritte,
Das Antlitz von uns wendend, alles Volk hier,
Das leicht durch Hagerkeit und will'gen Sinn war.
Und jenem ähnlich, der, vom Laufe müde,
Vorausläßt die Genossen und so folget,
Bis daß der rasche Schlag der Brust sich mindert,
Ließ jetzt die heil'ge Schar vorbei Forese,
Und hinterdrein mit mir einhergeh'nd, sprach er:
»Wann wird's geschehn, daß ich dich wiedersehe?«
Ich drauf: ›Wie lang' ich noch zu leben habe,
Nicht weiß ich's, doch sobald nicht kehr' ich wieder,
Daß früher nicht mein Wunsch den Strand erreiche;
Denn jener Ort, drin ich bestimmt zu leben,
Entblößt von Tag zu Tag sich mehr der Tugend
Und scheint zu grausem Untergang bereitet.‹
»Jetzt geh,« sprach er, »denn wer's zumeist verschuldet,
Den seh' geschleppt an eines Tieres Schweif ich
Dem Tale zu, wo nie man wird entsündigt.
Mit jedem Schritt geht schnell das Tier und schneller
In wachsend rascher Flucht, bis, ihn zertretend,
Es schnöd' entstellt läßt liegen seinen Körper.
Nicht viel mehr werden drehn sich diese Kreise«
(Und auf den Himmel blickt' er), »bis dir klar wird,
Was dir mein Wort nicht weiter kann erklären.
Du bleib zurück jetzt, denn die Zeit ist teuer
In diesem Reich, drum ich zuviel verliere,
Wenn ich mit dir so gleichen Schrittes wandle.«
Wie aus der Schar wohl, die geritten herkommt,
Ein Reiter manchmal im Galopp hervorsprengt,
Daß ihm der Ruhm des ersten Angriffs werde,
Ging jener von uns fort, doch schnellern Schrittes,
Und ich blieb mit den zweien, die so große
Marschäll' auf Erden waren, fernhin wandernd.
Und als fort von uns so weit er vorgedrungen,
Daß ihm mein Auge nicht mehr folgen konnte,
Als jüngst mein Sinn gefolget seinen Worten,
Erschienen eines andern Fruchtbaums Zweige
Mir, schwer belastet prangend, wenig fern nur,
Weil Wendung ich nach ihm erst jetzt genommen.
Darunter sah ich Volk die Händ' erheben,
Nicht weiß ich, was, hinauf zum Laube rufend,
Gleich Kindelein, die, töricht wünschend, bitten,
Und der gebeten wird, gibt nichts zur Antwort,
Nein, hält, um ihr Verlangen recht zu schärfen,
Was sie begehren, hoch empor und birgt's nicht.
Drauf gingen sie hinweg, Enttäuschten ähnlich,
Und zu dem großen Baum gelangten jetzt wir,
Der so viel Bitten von sich weist und Tränen.
»Geht hier vorüber, ohne dran zu rühren;
Ein Baum steht weiter droben, von dem Eva
Gepflückt, und dies Gewächs ward ihm entommen.«
So sprach, ich weiß nicht, wer, aus seinen Ästen,
Darob Virgil, Statius und ich gedrängter
Vorbei zur Seite gingen, wo's emporsteigt.
»Erinnert euch,« sprach's, »der Vermaledeiten,
Erzeuget aus der Wolke, die gesättigt
Mit zwiegestalter Brust Theseus bekämpften,
Und der Hebräer, weich beim Trunk sich zeigend,
Drob sie nicht Gedeons Genossen wurden,
Als gegen Madian er die Höh'n hinabstieg.«
Also dem einen nah'nd der beiden Säume,
Hingingen wir, von Kehlensünden hörend,
Die trauriger Erfolg vorlängst begleitet.
Dann, wieder uns verbreitend, wallten einsam,
Wohl tausend Schritt' und mehr des Wegs wir weiter,
Ein jeglicher stillschweigend in Betrachtung.
»Was geht allein ihr drei doch also sinnend?«
Sprach plötzlich eine Stimm', und schüttelnd tat ich
Drob gleich dem Roß, das fohlenhaft sich scheuet.
Aufrichtet' ich das Haupt, zu sehn, wer's wäre,
Und niemals ward gesehn in einem Ofen
Metall noch oder Glas so rot und leuchtend,
Als einen hier ich sah, der sprach: »Gefällt's euch,
Emporzusteigen, müßt ihr hier euch wenden,
Hierhin geht, wer zum Frieden will gelangen.«
Sein Anblick hatte des Gesichts beraubt mich,
Drum ich mich hinter meine Lehrer wandte,
Gleich einem, der dem nachgeht, was er höret.
Und wie, Verkünderin der Morgenhelle,
Die Mailuft bebt und duftet, vom Geruche
Der Blumen und des Grases ganz durchwürzet,
So spürt' ich, mitten auf die Stirn mich treffend,
Ein Wehn, und spürte wohl der Schwingen Fächeln,
Das mir ambrosisches Gedüft ließ spüren,
Und sagen hört' ich: »Selig, wen die Gnade
So sehr erleuchtet, daß in seinem Busen
Des Gaumens Lust nicht zu viel Wünsch' entzündet,
So daß er hungert stets, so viel es recht ist.«

Fünfundzwanzigster Gesang

Die Stunde heischt' ein ungehemmtes Steigen,
Weil dem Skorpion die Nacht, dem Stier die Sonne
Den Mittagskreis schon überlassen hatte;
Drum gleich wie jener tut, der nimmer stillsteht,
Nein, seines Wegs geht, was ihm auch erscheine,
Weil er von dem Bedürfnis wird gestachelt,
So traten in die Kluft wir ein, erklimmend,
Der eine hinterm andern drein, die Stiege,
Die ob der Enge trennt der Steiger Paare.
Und gleich dem jungen Storch, der hebt den Flügel
Aus Lust, zu fliegen, und doch zu verlassen
Das Nest nicht wagend, wieder ihn läßt sinken,
Ward ich, weil erst entbrannt' und dann verlöschte
Des Fragens Lust in mir, drob bis zu dessen
Gebärd' ich kam, der sich zum Reden anschickt.
Nicht schwieg der süße Vater, ob auch eilig
Wir gingen hin, nein sprach: »Schnell' los den Bogen
Des Worts, den bis zum Eisen du gespannt hast!«
Drauf öffnete den Mund ich zuversichtlich
Und fing so an: ›Wie kann man mager werden,
Wo's kein Bedürfnis gibt, sich zu ernähren?‹
»Wenn du gedächtest, wie sich Meleager
Verzehrt', indem ein Feuerbrand verzehrt ward,
Dir würde dies,« sprach er, »so herb nicht dünken;
Und wenn du dann erwägst, wie euerm Zucken
Gemäß muß zucken euer Bild im Spiegel,
Erschiene weich dir, was jetzt hart dir scheinet.
Allein, damit du drin nach Lust verweilest,
So ist hier Statius, den ich ruf' und flehe,
Daß er ein Heiler jetzt sei deinen Wunden.«
»Wenn ich dort, wo du bist, des Ew'gen Rach' ihm,«
Sprach Statius, »erkläre, mag mich dieses
Entschuld'gen, daß ich nichts dir kann verweigern.«
Demnächst begann er so: »Wenn meine Worte,
O Sohn, dein Sinn begreift und faßt, so geben
Sie Licht dir ob des Wie, das du erwähntest.
Vollkommnes Blut, das nimmer eingesogen
wird von den durst'gen Adern und zurückbleibt
Gleich einer Speise, die vom Tisch man aufhebt,
Gestaltungskraft nimmt's an für alle Glieder
Des Menschen in dem Herzen, gleich dem andern,
Das, jene bildend, durch die Adern hinströmt.
Nochmals verwandelt sinkt's dorthin, darüber
Man besser schweigt als spricht, von wo's auf fremdes
Blut träuft, dann in natürliches Gefäße.
Hier nun vereinigt eins sich mit dem andern,
Zum Leiden dies geschickt, zum Schaffen jenes,
Ob des vollkommnen Orts, dem es entquillet;
Zu jenem jetzt gelangt, beginnt's sein Wirken,
Macht's erst gerinnen, und sodann belebt es,
Was es als seinen Stoff zur Ruh' erst brachte.
Die tät'ge Kraft, zur Seele jetzt geworden,
Von Pflanzenseelen nur so viel verschieden,
Daß unterwegs noch jen', am Land schon diese,
Schafft dann, daß es sich schon bewegt und fühlet
Dem Seeschwamm gleich, Werkzeuge jetzt zu bilden
Den Kräften, deren Keim sie ist, beginnend.
Jetzt nun entwickelt, Sohn, jetzt dehnet aus sich
Die Kraft, die aus des Zeugers Herzen stammet,
Wo die Natur Vorkehr für jedes Glied trifft.
Allein, wie's aus dem Tier zum Menschen werde,
Siehst du noch nicht; dies ist ein Punkt, der irre
Einst einen Weiseren als dich geführt hat,
So daß in seiner Lehr' er von der Seele
Geschieden ließ den möglichen Verstand sein,
Weil kein Organ er sah, das diesem eigen.
Schließ auf der Wahrheit, die da kommt, den Busen
Und wisse, daß, sobald dem Embryone
Die Gliederung des Hirnes ist vollendet,
Ihm zu sich kehrt der Urbeweger fröhlich
Ob solches Kunstwerks der Natur, und neuen
Mit Kraft erfüllten Geist dann ein ihm hauchet,
Der in sein Wesen aufnimmt, was er Tätig's
Dort trifft und so wird eine einz'ge Seele,
Die lebt und fühlt und nach sich selbst sich wendet.
Und daß du minder anstaunst diese Worte,
Blick' auf die Sonnenwärme, die zu Wein wird,
Dem Saft vereint, der aus der Rebe quillet.
Und wenn's dann Lachesis gebricht am Leine,
Löst jene sich vom Fleisch und trägt im Keime
So Göttliches als Menschliches von dannen,
Die andern Kräfte allzumal verstummet,
Gedächtnis, Willen und Verstand um vieles
In Wirklichkeit geschärfter noch als früher.
Unaufgehalten fällt sie wunderbarlich
Von selber nun auf eins der beiden Ufer;
Hier wird zuerst sie kundig ihres Weges.
Sobald sie nur daselbst ein Ort umschränket,
Strahlt rings die Bildkraft aus nach Maß und Weise,
Gleich wie sie's tat in den lebend'gen Gliedern.
Und wie die Luft, wenn wohlgefüllt mit Regen
Sie ist, durch fremden Strahl in ihr sich spiegelnd,
Geschmückt sich zeiget mit verschiednen Farben,
So setzet hier die nachbarliche Luft sich
In jene Form anjetzt, die in ihr ausprägt
Durch innre Kraft die aufgehaltne Seele;
Und ähnlich dann dem Flämmchen, das dem Feuer
Stets folgt, wie's immer seinen Platz auch wechs'le,
Folgt jetzt auch seine neue Form dem Geiste.
Weil nun hierdurch sie äußerlich erscheinet,
Wird Schatten sie genannt und schafft für jede
Empfindung ein Organ, dem Aug' noch kennbar.
Daher kommt's, daß wir reden, daß wir lachen,
Daß Tränen wir und Seufzer von uns geben,
Die an dem Berg du kannst vernommen haben.
Nach dem, als uns ein Wunsch nun oder andres
Gefühl berührt, gestaltet sich der Schatten,
Und dies ist auch der Grund des, was du anstaunst.«
Und bei der letzten Marter angelanget
Schon waren wir und wandten uns zur Rechten,
Und andre Sorge hielt uns jetzt beschäftigt.
Hier schnellt aus sich hervor der Felshang Flammen,
Und Windeswehen haucht der Sims nach oben,
Das jene rückwärts biegt und von ihm trennet.
Drum mußten, eins auf einmal nur, wir wandeln
Am offnen Rand. Hier fürchtete vorm Feuer
Ich mich, dort fürchtet' ich hinabzustürzen.
Mein Führer sprach zu mir: »An dieser Stätte
Muß man die Augen streng im Zügel halten,
Weil's wenig nur bedarf, daß man verirrt sich.«
»Summae Deus clementiae« im Innern
Der großen Glut hört' ich anjetzo singen,
Drob hinzuschaun nicht minder ich bedacht ward.
Und Schatten sah ich in den Flammen wallen,
Drum ich auf ihre Schritt' und meine schaute,
Von Zeit zu Zeit verteilend meine Blicke.
Gleich nach dem Schlusse jener Hymne hörte
Man laut sie rufen: »Virum non cognosco« ;
Drauf sie den Hymnus leis aufs neu' begannen.
Und wieder riefen sie, da dies geendet:
»Zum Wald lief Dian', und Helike vertrieb sie,
Die da verspürt das Gift der Venus hatte.«
Dann kehrten zum Gesang sie wieder, riefen:
»Von Frau'n und Gatten dann, die keusch gewesen,
Wie's Eh' und Tugend ihnen auferleget.«
Und diese Weis' ist, mein' ich, ihnen gnügend
Die ganze Zeit durch, wo die Glut sie brennet;
Durch solche Kost muß und durch solche Pflege
Die letzte sich der Wunden auch noch schließen.

Sechsundzwanzigster Gesang

Indes am Rande wir, eins hinterm andern,
So wallten hin, sprach oft der gute Meister:
»Sieh zu, laß dich von mir gewitzigt werden.«
Die Sonne traf mich auf die rechte Schulter
Und wandelt' an der ganzen Abendseite
Die blaue Färbung strahlend schon ins Weiße,
Und glühender macht' ich durch meinen Schatten
Die Flamm' erscheinen, und nur auf dies Zeichen
Sah ich viel Schatten im Einhergehn merken.
Dies war die Ursach', die von mir zu reden
Den Anlaß ihnen gab, und zueinander
Begannen sie: »Kein Scheinleib deucht mir dieser!«
Dann näherten, so viel als sie's vermochten,
Sich ein'ge mir, stets auf der Hut, heraus nicht
Zu treten, wo gebrannt sie nicht mehr würden.
»Du, der nicht, weil du träger bist, wohl eher
Aus Ehrfurcht hergehst hinter jenen andern,
Antworte mir, denn Durst und Flammen brennen;
Und not tut mir allein nicht deine Antwort,
Mehr dürsten alle die danach als Indier
Nach kaltem Wasser oder Äthioper.
Sag' an, wie kommt's, daß du der Sonn' als Mauer
Mit deinem Leibe dienest, gleich als wärst du
Ins Netz des Todes noch nicht eingegangen?«
So sprach derselben einer, und schon hätt' ich
Entdeckt mich, war' ich nicht gefesselt worden
Von andrer Neuigkeit, die dann sich zeigte.
Denn auf der Mitte des entbrannten Weges
Kam Volk entgegen jenen mit dem Antlitz,
So daß ich drob blieb in Betrachtung schweben.
Hier sah ich beiderseits sich alle Schatten
Beeilen und zu zwei'n einander küssen
Ohn' Aufenthalt, begnügt mit kurzem Feste.
So rührt im schwärzlichen Gewimmel eine
Ameise an der andern Maul, erkündend,
Wohin sie geht wohl und was ihr begegnet.
Sobald sich trennt die freundliche Begrüßung,
Eh' noch der erste Schritt dann wird vollendet,
Müht jedes sich, zu überschrein das andre.
Das neue Volk ruft: »Sodom und Gomorrha!«
»Pasiphae kroch in die Kuh,« ruft jenes,
»Daß sich der Stier auf ihr Gelüste stürze.«
Wie Kran'che dann, die teils zu dem Riphäschen
Gebirge fliegen, teils zur sand'gen Wüste,
Die vor dem Frost scheu, jene vor der Sonne,
Geht fort das eine Volk, kommt mit von dannen
Das andr', und weinend kehrt's zum ersten Sang dann
Und zu dem Ruf, der ihm am meisten ziemet.
Und wieder traten zu mir her, wie früher,
Dieselben jetzt, die mich gebeten hatten,
Des Horchens Ausdruck all in ihren Mienen.
Ich, der zweimal jetzt ihren Wunsch ersehen,
Begann: ›O Seelen, sicher zu erhalten,
Wann es auch immer sei, den Stand des Friedens,
Jenseits nicht blieben reif, noch ungezeitigt
Die Glieder mir, nein, mit dem eignen Ich bin
Ich hier, mit seinem Blut und seinen Muskeln.
Um nicht mehr blind zu sein, geh' ich hier aufwärts;
Ein Weib erwirbt dort oben mir die Gnade,
Dies Sterbliche durch eure Welt zu tragen.
Doch wenn gestillt soll euer größtes Sehnen
Bald werden, so daß euch der Himmel aufnimmt,
Der, voll von Lieb', am weit'sten sich verbreitet,
Sprecht, daß ich einst damit noch Blätter fülle,
Wer seid ihr, und wer ist die Schar gewesen,
Die hinter euerm Rücken geht von dannen?‹
Nicht anders scheint verblüffet vor Erstaunen
Der Bergbewohner und verstiert im Gaffen,
Wenn roh und unerfahren er zur Stadt kommt,
Als jener Schatten schien in seinem Äußern.
Allein als sie des Schreckens sich entledigt,
Der in Hochherzigen zunächst gestillt wird,
»Glückselig du,« sprach wieder, der zuerst uns
Gebeten hatte, »der aus unsern Marken
Erfahrung du zu besserm Streben einschiffst!
Das Volk, das nicht mit uns kommt, hat gefehlet
Durch das, weshalb einst Cäsar beim Triumphe
Zur Schmach sich Königin benennen horte.
Drum gehen sie von dannen, ›Sodom‹ rufend,
Sich selbst Vorwürfe machend, wie du hörtest,
Und helfen so der Glut nach durch Beschämung.
Doch unsre Sünde war hermaphroditisch;
Allein, weil wir dem menschlichen Gesetz nicht
Gehorcht, dem Vieh gleich unsern Lüsten folgend,
Wird uns zur Schande durch uns selbst verlesen
Beim Scheiden von den andern jener Name,
Die sich vervieht im vieh'schen Bretterwerke.
Jetzt kennst du unsre Weis' und wes wir schuldig;
Doch um, wenn du's begehrtest, uns zu nennen,
Gebräch's an Zeit, auch wüßt' ich's nicht zu sagen.
Wohl lös' ich meinethalb den Wunsch dir; denn ich
Bin Guido Guinicelli, und schon rein'ge
Ich mich, weil vor dem End' ich recht bereuet.«
Wie bei Lykurgs Betrübnis die zwei Söhne
Getan, als sie die Mutter wiederfanden,
So tat ich (doch bis zum »Soviel« nicht steig' ich),
Als ich sich selbst hier nennen hörte meinen
Und meiner Meister Vater, die sich jemals
Bedienet süßer, holder Liebesreime;
Und lange Zeit ging, hörend nicht, noch redend,
Ich hin, gedankenvoll auf jenen schauend,
Noch trat dorthin ich näher ob des Feuers.
Nachdem ich seines Anblicks mich ersättigt,
Bot ich mich ganz ihm willig an zum Dienste
Mit der Beteuerung, die Glauben schaffet.
Und er: »So viel' und helle Spuren lässest
In mir durch das Vernommne du, daß Lethe
Sie nimmer tilgen kann, noch dunkel machen.
Doch sprich, wenn Wahrheit mir dein Wort geschworen,
Was ist der Grund, weshalb durch Blick und Rede
Du mir gezeiget hast, daß ich dir teuer?«
Und ich zu ihm drauf: ›Eure süßen Lieder,
Die stets, so lang' die neu're Weise dauert,
Die Tinte, die sie schrieb, uns teuer machen.‹
»O Bruder,« sprach er, »jener, den mein Finger
Bezeichnet« (auf der Geister einen wies er),
War bessrer Bildner in der Muttersprache.
In Liebesreimen und Romanzenprosa
Besiegt' er all', und laß die Toren reden,
Die jenem vom Limoges den Vorzug geben.
Mehr auf Gered' als auf die Sache richtend
Die Blicke, setzten fest sie ihre Meinung,
Eh' auf Vernunft sie oder Kunst gehöret.
So taten viel' der Alten mit Guittone,
Von Mund zu Mund ihm einzig Lob erteilend,
Bis ihn und andre mehr Wahrheit besiegt hat.
Und wenn so vieles Vorrecht du genießest,
Daß dir's zum Kloster ist erlaubt zu gehen,
Wo Christus selber Abt ist des Konventes,
So sprich zu ihm für mich ein Vaterunser,
So viel davon in unsrer Welt ist nötig,
Wo wir zu sündigen nicht mehr vermögen.«
Drauf wohl dem andern, der ihm nah, den zweiten
Platz einzuräumen, schwand er in dem Feuer,
Gleichwie der Fisch im Wasser, der zum Grund fährt.
Ein wenig trat vor den ich, der gezeigt mir
War worden, hin, ihm kündend, seinem Namen
Bereite freundlichen Empfang mein Wünschen.
Da fing er an freimütiglich zu sagen:
»So sere mir gevallet ivver tugendliches Geren,
Daz ich iune chan min name unt ouch niene vvill verdagen.
Ich bin Arnold, der vveinet unde singende gat,
Und trurechlich gedenche ich mines alten Vvanes,
Und vrolich se vor mir ich die Vroude, uff die ich hoffe.
Nu bit ich iu gar sere bi der vvätlichen Chraft,
Die uff iu vurt zum Hubel ane chalt unde vvarme,
Daz iu gedenchen muget ze sanften minen Smerz.«
Dann barg er in der Glut sich, die sie läutert.

Siebenundzwanzigster Gesang

Wie, wann zuerst dorthin sie schießt die Strahlen,
Wo, der sie schuf, sein Blut vergoß, da unter
Die hohe Wag' Iberus kommt zu liegen,
Und Ganges' Wellen von der Nonzeit glühen,
Stand jetzt die Sonn', und scheidend war der Tag schon,
Als heiter uns erschien der Engel Gottes,
Am Strande stand er außerhalb der Flamme
Und sang mit einer Stimme, weit lebend'ger
Als unsere: »Beati mundo corde«,
Drauf sprach er: »Weiter geht's nicht unberühret
Vom Feuer, heil'ge Seelen, tretet ein drum
Darin und seid nicht taub dem Sang von jenseits!«
So sagt' er, da wir nah bei ihm jetzt waren;
Darob ich also ward, als ich's vernommen,
Wie jener ist, der in das Grab gelegt wird.
Ich streckte mich, verschränkend meine Hände,
Und blickt aufs Feuer, lebhaft mich erinnernd
Verbrannter einst gesehner Menschenkörper.
Da wandten sich nach mir die guten Führer,
Und zu mir sprach Virgil: »Mein Sohn, es können
Wohl Qualen, doch kann Tod hier statt nicht finden.
Erinnre dich, erinnre dich, und wenn ich
Selbst auf dem Geryon sicher dich geleitet,
Was werd' ich jetzt tun, da ich Gott bin näher?
Nimm für gewiß an, daß, wenn tausend Jahre
Du auch in dieser Flamme Bauch verbliebest,
Sie kahl doch um kein Haar dich machen könnte;
Und wenn vielleicht du glaubst, daß ich dich täusche,
Tritt hin zu ihr und schaff dir Überzeugung
Mit eigner Hand am Saume deines Kleides.
Leg' ab anjetzt, leg' ab jedweden Kleinmut,
Kehr' dich hierher und schreite mutig weiter.«
Doch ich stand fest, nicht horchend dem Gewissen.
Als er mich immer noch so fest und starr sah,
Sprach er etwas bewegt: »Mein Sohn, sieh, zwischen
Beatrix ist und dir nur diese Mauer.«
Wie Pyramus bei Thisbes Namen aufschlug
Das Aug' und, nah dem Tod schon, auf sie blickte,
Damals, als rot die Maulbeer' ist geworden,
So wandt', als sich erweicht mein harter Wille,
Ich mich zum weisen Hort, den Namen hörend,
Der immerdar im Geiste mir emporquillt.
Das Haupt drob schüttelnd, sprach er: »Wie nun, bleiben
Wir diesseits?« und zu lächeln drauf begann er,
Wie ob des Kindes, das bezwingt der Apfel.
Dann trat er vor mir her hinein ins Feuer,
Statius ersuchend, hinter mir zu gehen,
Der erst getrennt uns hatt' auf langer Strecke.
Als ich drin war, würd' ich in siedend Glas mich
Geworfen haben, um mich abzukühlen;
Also war sonder Maßen hier die Hitze.
Mein süßer Vater, um mir Trost zu geben,
Nur von Beatrix redet' er im Gehen
Und sprach: »Mich deucht, ich seh' schon ihre Augen!«
Von jenseits leitet' singend eine Stimm' uns,
Und wir, allein auf sie nur merkend, traten
Heraus dort, wo man in die Höhe steiget.
»Venite, benedicti patris mei,«
Klang's innerhalb hier eines Lichts, das also
Mich überwand, daß ich's nicht anschaun konnte.
»Die Sonne sinkt,« fuhr's fort, »es naht der Abend;
Bleibt stehen nicht, nein, fördert eure Schritte,
So lang' sich schwarz noch nicht der Himmel färbet.«
Der Weg erhob sich durch den Felsen grade
Nach solcher Seite, daß vor mir die Strahlen
Der Sonne, die schon müde war, ich deckte.
Viel Stufen nicht versuchten wir, denn hinter
Uns merkten schon wir durch des Schattens Schwinden
Den Sonnenuntergang, ich und die Weisen;
Und eh' in allen unermessnen Teilen
Der Horizont den gleichen Anblick zeigte,
Und seine Kammern all' die Nacht noch einnahm,
Wählt' eine Stufe jeglicher von uns sich
Zum Bett, weil die Natur des Bergs zum Steigen
Die Fähigkeit mehr als die Lust uns raubte.
Gleichwie beim Wiederkäu'n geduldig liegen
Die Geisen, welche rasch und dreist erst waren
Auf Bergesgipfeln, eh' sie sich gesättigt,
Still in dem Schatten, weil die Sonne glühet,
Bewahrt vom Hirten, der, auf seinen Stecken
Gelehnet, ruht und so gelehnt sie hütet;
Und wie der Schäfer, wenn er auswärts herbergt,
Vor seiner Herde ruhig übernachtet,
Wach' haltend, daß kein Raubtier sie zerstreue:
Gleich ihnen waren alle drei wir jetzo,
Ich gleich der Geis, und jene gleich dem Hirten,
Und beiderseits hielt uns der Fels umschränket.
Von dem, was draußen, war hier wenig sichtbar;
Doch durch dies Wenige sah ich die Sterne
Weit leuchtender und größer als gewöhnlich.
So drüber brütend und nach jenen schauend,
Ward ich vom Schlaf erfaßt, vom Schlaf, der oftmals
Vor der Begebenheit schon hat die Kunde.
In jener Stunde, glaub' ich, wo von Osten
Zuerst den Berg bestrahlte Cytherea,
Die stets zu glühen scheint von Liebesflammen,
War mir's als säh' ich jung und schön im Traume
Ein Weib auf einem Plane sich ergehen,
Das Blumen pflückt' und singend sprach die Worte:
»Wer immer fragt nach meinem Namen, wisse,
Daß ich bin Lia, so die schönen Hände
Ringsum bewegt, sich einen Kranz zu winden.
Daß ich im Spiegel mir gefalle, schmück' ich
Mich hier, doch meine Schwester Rahel weichet
Von ihrem nie und sitzt den ganzen Tag dran.
Ihr ist's Ergötzen, ihre schönen Augen
Zu sehn, und mir, mit Händen mich zu schmücken;
Wie sie das Schaun, befriedigt mich das Handeln.«
Und ob der Helle vor des Tages Anbruch,
Die um so wonniger dem Pilgrim aufgeht,
Je weniger, heimkehrend, fern er herbergt,
Floh schon die Finsternis von allen Seiten
Und mit ihr auch mein Schlummer, drob ich aufstand,
Erhoben sehend schon die großen Meister.
»Die süße Frucht, die auf so vielen Zweigen
Der Sterblichen Bemühung pflegt zu suchen,
Wird deinem Hunger Frieden heut' gewähren,«
Sotaner Worte gegen mich bediente
Virgil sich, und nie gab's ein Angebinde,
Das gleiche Freude je verursacht hätte.
So sehr kam Wollen jetzt mir über Wollen,
Zu sein dort oben, daß bei jedem Schritt dann
Ich mir zum Flug die Federn wachsen fühlte.
Als unter uns ganz die durchlaufne Stiege
Lag und wir auf der höchsten Stufe standen,
Da heftete Virgil auf mich die Blicke
Und sprach: »Das zeitliche und ew'ge Feuer
Hast du gesehn, o Sohn, und dorthin kamst du,
Wo durch mich selbst ich mehr nichts unterscheide.
Durch Kunst und Weisheit zog ich bis hierher dich,
Dem Wohlgefallen nimm an jetzt zum Führer,
Des Steilpfads bist du, bist des Engpfads ledig.
Sieh dort die Sonne, dir ins Antlitz leuchtend,
Sieh das Gegräs', die Blumen und die Sträuche,
Die durch sich selbst allein das Land hervorbringt.
Bis wonnerfüllt die schönen Augen kommen,
Die weinend mich dir beizustehn bewogen,
Kannst sitzen du, kannst wandeln unter jenen.
Nicht meines Worts, noch meines Winks mehr harre,
Denn frei, gerad' ist, gesund dein Wille jetzt,
Und Fehler war's nicht, seinem Sinn zu folgen;
Drum über dich verleih' ich Kron' und Mitra dir.«

Achtundzwanzigster Gesang

Voll Sehnsucht, ringsumher schon und im Innern
Des dichten, frischen Gotteswalds zu spähen,
Durch den der neue Tag dem Blick gedämpft ward,
Verließ den Strand ich, ohne mehr zu zögern,
Fortwandelnd Schritt vor Schritt durch das Gefilde,
Hin auf die Flur, die duftet' allenthalben.
Ein sanftes Wehn, das keinerlei Verändrung
War unterworfen, traf mich an die Stirne
Nicht stärkeren Stoßes als von leisem Winde,
Davon das Laub erzitternd, leicht beweglich,
Sich insgesamt nach jener Seite neigte,
Wohin der heil'ge Berg zuerst wirft Schatten.
Doch so nicht ward's entfernt aus seiner Richtung,
Daß aufgehört all ihre Kunst zu üben
Die Vöglein auf den Wipfeln droben hätten.
Vielmehr im vollen Jubelchor empfingen
Die ersten Stunden sie dort in den Blättern,
Die ihrem Lied die Grundbegleitung gaben,
Gleichwie von Zweig zu Zweig sich mehrt das Rauschen
In jenem Pinienwald an Chiassis Strande,
Wenn den Scirocco Äolus entfesselt.
Getragen hatten mich die läss'gen Schritte
Schon in den alten Wald hinein, so daß ich
Nicht mehr erblickte, wo ich eingetreten;
Und sieh, da hinderte mein Weitergehen
Ein Bach, des kleine Wellen nach der Linken
Das Gras, das seinem Strand entsproßte, beugten.
Die Wässer all', die diesseits sind am reinsten,
Sie würden etwas doch von Mischung zeigen
Mit jenem im Vergleich, das nicht verhüllet,
Obgleich sich's dunkel, immer dunkel unter
Dem ew'gen Schatten hinbewegt, der nimmer
Die Sonne, noch den Mond dorthin läßt strahlen.
Stehn blieb ich mit dem Fuß, doch mit dem Auge
Schweift' ich jenseits des Flüßchens, um die große
Abwechslung frischer Mai'n dort zu betrachten
Und es erschien, wie manchmal unversehens
Ein Ding erscheint, das uns ob der Verwundrung
Verscheucht jedweden anderen Gedanken,
Einsamlich dort ein Weib mir jetzt, das singend
Hinging und Blumen lesend aus den Blumen,
Mit denen überall ihr Pfad bemalt war.
›O schönes Weib, das an der Liebe Strahlen
Sich wärmt, wenn ich dem Angesicht darf trauen,
Das Zeugnis von dem Herzen pflegt zu geben,
Gefällig sei dir's, dich so weit zu nahen,‹
Sprach ich zu ihr, ›dem Ufer dieses Flusses,
Daß ich vernehmen könne, was du singest.
Du mahnst mich dran, wie und an welchem Orte
Proserpina zur Zeit war, als der Mutter
Sie selbst und ihr der Frühling ging verloren.‹
Gleichwie sich mit den Füßen dicht am Boden
Und beieinander dreht ein Weib im Tanze,
Und einen Fuß kaum setzet vor den andern,
Also sich drehend kam sie auf den roten
Und gelben Blümlein gegen mich, der Jungfrau
Vergleichbar, die den Blick schlägt sittsam nieder;
Und meine Bitten stellte sie zufrieden,
Sich also nahend, daß zu mir mit seiner
Bedeutung jetzt der süße Ton gelangte.
Als dort sie stand, wo schon das Gras vom Wasser
Des schönen Flusses wird bespült, gewährte
Sie mir es, daß nun auf sie schlug die Blicke.
Nicht, mein' ich, hat geglänzt so mächt'ges Leuchten
Selbst unter Venus' Brauen, da verletzet
Ganz gegen seinen Brauch vom Sohn sie wurde.
Sie lächelte vom rechten Ufer drüben,
Des Bunten mehr mit ihren Händen pflückend,
Das sonder Samen sprießt im hohen Lande.
Drei Schritte hielt der Fuß uns auseinander,
Doch Hellespont, wo Xerxes übersetzte
(Ein Zügel noch jedwedem Stolz der Menschen),
Ward nicht, weil zwischen Sestos und Abydos
Er wogte, von Leander mehr gehasset
Als von mir jener, weil er jetzt nicht aufging.
»Ihr seid hier neu, und weil an diesem Orte,«
Begann sie, »der zur Wiege ward erkiesen
Der menschlichen Natur, ich lächle, hält euch
Ein Zweifel durch Verwunderung gefangen.
Doch Licht gewährt der Psalm drob: ›Delectasti‹ ,
Der eurem Sinn den Nebel kann zerstreuen,
Und du, der Vorderste, der mich gefraget,
Sag', ob du andres hören willst; denn willig
Komm' ich, auf jede Frage dir zu gnügen.«
›Das Wasser‹ , sprach ich, ›und des Waldes Rauschen
Bekämpfen in mir einen neuen Glauben
An etwas, das ich dem entgegen hörte.‹
Und sie: »Berichten will ich, wie hervorgeht
Aus seiner Ursach' das, drob du dich wunderst,
Und so den Dunst zerstreun, der dich ergriffen.
Das höchste Gut, sich selbst allein gefallend,
Das gut den Menschen schuf und für das Gute,
Gab ihm den Ort als Angeld ew'gen Friedens.
Durch seine Schuld verblieb er hier nur wenig,
Durch seine Schuld verwandelt' er in Kummer
Und Zähren süßen Scherz und ehrsam Lachen.
Damit die Störung, drunten von des Wassers
Und von der Erd' Ausdünstungen erzeuget,
Die stets nach Möglichkeit der Wärme nachgehn,
Dem Menschen keinen Kampf bereiten möge,
Stieg dieser Berg so weit empor gen Himmel
Und ist von dort, wo man ihn schließt, des ledig.
Dieweil nun allzumal sich durch die erste
Umwälzung ringsumher die Luft beweget,
Wird nicht ihr Kreislauf irgendwo gebrochen,
So trifft in dieser Höh', die, ganz entbunden,
In frische Lüfte raget, solch Bewegen
Den Wald und macht ihn rauschen, weil er dicht ist.
So viel vermag nun die getroffne Pflanze,
Daß sie mit ihrer Kraft die Lüfte schwängert,
Die kreisend dann sie ringsumher zerstreuen;
Das andre Land, nach dem als selbst es oder
Sein Himmel würdig ist, empfängt und zeuget
Verschiednes Holz nun mit verschiednen Kräften.
Nicht würd' es jenseits wohl noch wundernehmen
Nach solchem Wort, wenn, ohne daß ein Same
Bemerkbar sei, dort Pflanzen sich bekleiden,
Und wisse, daß das heilige Gefilde,
Wo jetzt du bist, jedweden Samens voll ist
Und Frucht in sich hat, die man dort nicht pflücket.
Das Wasser, das du siehst, nicht einer Ader
Entquillt's, die Dunst ergänzt, von Frost verwandelt,
Wie Flüss' aufatmend mehr bald und bald minder;
Es kommt aus unversiegbar sichrer Quelle,
Der Gottes Wille stets so viel zurückgibt,
Als nach zwei Seiten sie geöffnet ausgießt.
Von dieser Seit' entströmt's mit Kraft, der Sünden
Erinnerung zu tilgen, von der andern
Weckt's jeder guten Tat Gedächtnis wieder.
Drum, gleich wie Lethe hier, wird es Eunoe
Jenseits genannt, und nicht vermag's zu wirken,
Ist's hier und dort nicht erst verkostet worden.
Kein anderer Geschmack ist dem vergleichbar,
Und ob dein Durst auch ganz gestillt sein könnte,
Wenn ich ein Mehreres dir nicht entdeckte,
Geh ich dir einen Anhang doch aus Gnaden
Und meine, minder nicht erfreut mein Wort dich,
Ergeht's mit dir sich über mein Versprechen.
Die da vor alten Zeiten von des goldnen
Geschlechts glücksel'gem Stand gedichtet haben,
Sie sahn auf dem Parnaß den Ort im Traum wohl.
Hier war unschuldig einst der Menschheit Wurzel;
Hier ist stets Lenz, hier jede Frucht zu finden,
Nektar ist dies, von dem sie sämtlich sprechen.«
Als ich ganz rückwärts jetzt zu meinen Dichtern
Mich wendete, bemerkt' ich, daß mit Lächeln
Sie diesen letzten Satz vernommen hatten.
Dem schönen Weib drauf kehrt' ich zu die Blicke.

Neunundzwanzigster Gesang

Gleich einem liebesel'gen Weibe singend,
Fuhr fort sie, knüpfend an den Schluß der Rede:
»Beati quorum tecta sunt peccata,«
Und Nymphen ähnlich, die durch Waldesschatten
Einsamlich wanderten, die, zu entfliehen
Die Sonne wünschend, die, sie zu erblicken,
Ging sie dem Fluß entgegen, aufwärts wandelnd
Am Strand jetzt, und ich folgt' auf gleicher Höhe
Mit ihr den kurzen Schritten kurzen Schrittes.
Nicht hatten wir zusammen hundert Schritte
Getan, als beide Ufer gleich sich wandten,
So daß ich wieder mich gen Aufgang kehrte;
Und so auch waren weit wir nicht gegangen,
Als sich das Weib ganz nach mir hin jetzt wandte
Und also sprach: »Mein Bruder, schau und höre!«
Und siehe da! ein Lichtglanz strahlte plötzlich
Durch alle Teile hin des großen Waldes,
So daß ich ungewiß ward, ob's nicht blitze.
Doch da der Blitz nur weilt, wie er gekommen,
Doch jenes dauernd mehr und mehr erglänzte,
So sprach ich in Gedanken: ›Was ist dieses?‹
Und eine süße Melodie durchbebte
Die lichterfüllte Luft, drob guter Eifer
Die Keckheit Evens mich bewog zu schelten,
Weil dort, wo Erd' und Himmel war gehorsam,
Ein Weib allein, das eben erst erschaffen,
Vor sich nicht duldete den mind'sten Schleier,
Denn wenn sie fromm dahinter war' verblieben,
So hätt' ich jene unnennbare Wonne
Weit früher schon und längre Zeit genossen.
Weil ich durch so viel Erstlinge der ew'gen
Glückseligkeit einherging, ganz in Spannung
Und mehr der Freuden immer noch begehrend,
Da ward vor mir wie ein entzündet Feuer
Die Luft dort unter jenen grünen Zweigen,
Und schon als Sang vernahm den süßen Ton man:
»O ihr hochheil'gen Jungfrau'n, wenn ich Hunger,
Frost oder Wachen je für euch erduldet,
Treibt wohl ein Grund mich, Lohn dafür zu heischen;
Jetzt muß für mich sich Helikon ergießen,
Urania mit ihrem Chor mir helfen,
Daß Schweres ich erdenk' und setz' in Verse.«
Ein wenig weiter spiegelte von Gold mir
Der Bäume sieben vor die weite Strecke,
Die mitten zwischen mir noch lag und ihnen.
Doch als ich war so nah hinzugekommen,
Daß am Gemeinschaftlichen, das den Sinn täuscht,
Kein Zug durch die Entfernung ging verloren,
Da ward die Kraft, die der Vernunft die Rede
Bereitet, daß es Leuchter sei'n, jetzt inne
Und in des Sanges Stimmen ein Hosianna.
Es flammte an dem obern Teil das schöne
Gerät dem Monde gleich bei hellem Himmel
Um Mitternacht in seines Monats Mitte.
Ich wandte voll Verwundrung zu dem guten
Virgil mich jetzt, und dieser gab mir Antwort
Durch Blicke, minder nicht erfüllt mit Staunen.
Drauf wandt' ich wieder den erhabnen Dingen
Das Antlitz zu, die gegen uns so langsam,
Daß schneller junge Bräute gehn, sich nahten.
Mich scheltend, sprach das Weib: »Warum erglühst du
So von der Lust an den lebend'gen Lichtern
Und schaust das nicht, was hinter ihnen drein kommt?«
Jetzt sah ich gleich, als folg' es seinen Führern,
Ein Volk dicht hinter jenen, weiß gekleidet,
Und nie war diesseits gleiches Weiß zu schauen.
Das Wasser glänzte mir zur linken Seite
Und warf zurück mir meine linke Hüfte,
Wenn ich auf selbes blickte, wie ein Spiegel.
Als solchen Stand ich hatt' an meinem Ufer,
Daß mich der Fluß allein von ihnen trennte,
Hemmt' ich den Schritt, um besser sehn zu können;
Und vorwärts sah die Flämmchen jetzt ich gehen,
Gefärbet hinter sich den Luftraum lassend,
Und ausgestrichnen Pinseln war's vergleichbar,
Also, daß oben jener war geteilet
Durch sieben Streifen, ganz von jenen Farben,
Draus Sol den Bogen, Delia macht den Gürtel.
Rückwärts erstreckten jene Banner weiter
Sich als mein Blick, und die zu äußerst hatten
Zehn Schritte, mein' ich, Abstand voneinander.
Es kamen unter jenem schönen Himmel,
Den ich geschildert, vierundzwanzig Greise,
Stets zwei und zwei, mit Lilien bekränzet;
Sie sangen all': »Gebenedeiet bist du
Aus Adams Töchtern, und gebenedeiet
In Ewigkeit soll deine Schönheit werden.«
Als drauf die Blumen nebst dem andern frischen
Gegräs' am andern Strand mir gegenüber
Vom auserwählten Volke ledig waren,
Gleichwie am Himmel Licht dem Lichte folget,
Erschienen mir vier Tiere hinter jenen,
Gekrönet jegliches mit grünem Laube.
Jedwedes war beschwinget mit sechs Flügeln,
Die Flügel voller Augen, und die Augen
Des Argus wären so, wenn sie noch lebend.
Nicht Reime mehr verschwend' ich, Leser, ihre
Gestalt zu schildern, denn ein andrer Aufwand
Drängt mich, drob ich freigebig hier nicht sein kann.
Doch ließ Ezechiel, der sie beschrieben,
Wie er gesehn hat, sie von kalter Seite
Mit Sturm, mit Wolken und mit Feuer kommen,
Und wie du's find'st in seinen Blättern, waren
Sie hier, nur daß in Rücksicht auf die Flügel
Johannes für mich ist und von ihm abweicht.
Der Raum, der von den Vieren war umschlossen,
Enthielt, zweirädrig, einen Siegeswagen,
Den mit dem Hals ein Greif gezogen brachte.
Der steckt' empor die beiden Flügel zwischen
Dem mittlern hier und dort und den drei Streifen,
So daß, durchschneidend, keinen er verletzte.
Dem Blick entzogen jene sich vor Höhe;
So weit er Vogel, waren Gold die Glieder,
Doch weiß die anderen, mit Rot vermischet.
Nicht nur, daß, sei's August, sei's Afrikanus,
Mit schönerm Wagen Rom nicht hat erfreuet,
Nein, gegen ihn wär' arm selbst der der Sonne,
Der Sonnenwagen, der entgleist verbrannt ward
Ob des inbrünstigen Gebets der Erde,
Als Jupiter geheimnisvoll gerecht war.
Drei Frauen kamen an dem rechten Rade,
Im Kreise tanzend, also rot die eine,
Daß man im Feuer kaum erkannt sie hätte;
Die zweite war, gleich als ob Fleisch und Beine
Ihr aus Smaragd gebildet worden wären,
Die dritte frischgefallnem Schnee vergleichbar,
Jetzt wurden von der Weißen sie gezogen,
Jetzt von der Roten, und bald schnell, bald langsam
Ging nach der letztern Sang der Schritt der andern.
Am linken sah ich vier in Festesreigen,
Mit Purpur angetan gemäß der Weise
Der einen, die drei Augen hatt' im Haupte.
Auf die geschilderte Verschlingung folgen
Sah ich zunächst zwei Alt', an Tracht verschieden,
Doch gleich in Haltung, ehrenhaft und sicher.
Der eine schien von den Vertrauten einer
Des hohen Hippokrat, den für die Wesen,
Die ihr am teuersten, Natur erschaffen;
Ums Gegenteil besorget schien der andre
Mit einem blinkenden und spitzen Schwerte,
So daß jenseits des Bachs er Furcht mir machte.
Drauf sah ich viere, demutsvoll im Äußern,
Und hinter allen einen Greis allein noch,
Zwar schlafend, doch mit sinn'gem Antlitz kommen,
Und gleich gekleidet mit der ersten Menge
War diese Siebenzahl, doch nicht von Lilien
Wand um derselben Häupter, nein, von Rosen
Und andern roten Blumen eine Flur sich.
Geschworen hätte drob man auf geringen
Abstand, daß übern Brau'n sie sämtlich brannten;
Und als mir gegenüber war der Wagen,
Erklang ein Donner, und dem würd'gen Volke
Schien untersagt zu sein das Weitergehen,
Und nebst den vordern Fahnen hielten still sie.

Dreißigster Gesang

Als der Septentrio des ersten Himmels,
Der Aufgang nie, noch Untergang gekannt hat,
Doch andern Nebel als der Schuld Verschlei'rung,
Und der jedweden seine Pflicht hier lehrte,
So wie's der tiefre tut dem Steuermanne,
Damit das Schiff zum Port gelangen möge,
Still stand, da wandte das wahrhaft'ge Volk sich,
Das zwischen ihm erst und dem Greifen herkam,
Zum Wagen hin, gleichwie zu seinem Frieden;
Und einer draus, gleich einem Himmelsboten,
»Veni sponsa de Libano,« rief dreimal
Er singend, und nach ihm die andern sämtlich.
Wie einst beim jüngsten Aufgebot die Sel'gen
Schnell jeder aus der Gruft erstehn, mit wieder
Erlangter Stimme Alleluja rufend,
So hoben ob der göttlichen Basterne
Ad vocem tanti senis hundert Diener
Und Boten sich empor des ew'gen Lebens.
»Benedictus qui venis,« riefen alle
Und, ringsumher und drüber Blumen streuend,
»Manibus o date lilia plenis.«
Oft sah ich wohl beim Anbeginn des Tages
Die Morgenseite rosig ganz gefärbet,
Und schöne Heitre sonst den Himmel schmücken,
Und überschattet so aufgehn das Antlitz
Der Sonne, das, gesänftiget durch Dünste,
Es lange Zeit das Aug' ertragen konnte.
Also von einer Blumenwolk umgeben,
Die sich emporhob aus den Engelshänden
Und dann zurückfiel innerhalb und draußen,
Bekränzt mit Öllaub auf dem weißen Schleier,
Erschien ein Weib mir unter grünem Mantel,
Gekleidet in lebend'ger Flammen Farbe.
Und meine Seele, die so viele Jahre
Schon war verblieben, ohne daß von Schrecken
In ihrer Gegenwart durchbebt sie worden,
Nicht Kenntnis irgend durch das Aug' erlangend,
Nur durch geheime Kraft, die von ihr ausging,
Empfand die große Macht der alten Liebe.
Sobald ins Antlitz mich getroffen hatte
Die hohe Kraft, die einst schon mich durchbohret,
Eh' noch ich aus der Kindheit war getreten,
Wandt' ich zur Linken mich mit jener Demut,
Mit der das Kindlein sich zur Mutter flüchtet,
Wenn es sich fürchtet, oder wenn's betrübt ist,
Um zu Virgil zu sprechen: ›Nicht ein Quentchen
An Blut ist mir verblieben, das nicht bebet!
Der alten Flamme Zeichen kenn' ich wieder!‹
Allein Virgil hatt' uns verlassen, seiner
Beraubt, Virgil, der süßeste der Väter,
Virgil, dem ich zum Heile mich ergeben.
Nicht konnte, was die erste Mutter alles
Verlor, den taugewaschnen Wangen wehren,
Daß trüb aufs neue sie durch Tränen wurden.
»Dante, ob auch Virgil von dannen gehe,
Nicht weine, weine noch nicht, denn zu weinen
Ziemt's dir,« sprach sie, »von anderm Schwert verwundet.«
Dem Admiral gleich, der auf hohen Schiffen
Am Hinterteil und Schnabel die Bedienung
Besichtigt und zum Fleiße sie ermuntert,
Erblickt' ich an des Wagens linkem Rande,
Umwendend auf den Klang mich meines Namens,
Der aus Notwendigkeit hier wird verzeichnet,
Das Weib jetzt, das mir erst verschleiert unter
Dem Festgepräng' der Engel war erschienen,
Jenseits des Bachs nach mir das Auge richtend;
Obgleich der Schleier, von dem Haupt ihr wallend,
Der mit Minervas Laube war umkreiset,
Sie noch nicht offenbar mir ließ erscheinen.
Und königlich, annoch mit strenger Haltung
Fuhr jetzt sie fort gleich jenem, der da redet,
Allein die glüh'ndsten Worte noch zurückhält:
»Schau mich recht an, ich bin, ich bin Beatrix.
Wie, hältst du's wert, den Berg nun zu ersteigen?
Wußtest du nicht, daß hier der Mensch ist glücklich?«
Das Auge sank zum klaren Quell mir nieder,
Doch weil ich drin mich sah, wandt' ich's zum Grase;
So viele Scham beschwerte mir die Stirne.
Also erscheint die Mutter stolz dem Sohne,
Wie jene mir anjetzt erschien, weil bitter
Ist von Geschmack die Kost der herben Liebe.
Sie schwieg, und gleich begannen drauf die Engel
Zu singen: »In te Domine, speravi«,
Doch kamen sie nicht über »pedes meos«.
Gleichwie der Schnee langhin auf Welschlands Rückgrat
Gefrieret zwischen den lebend'gen Stämmen,
Wenn ihn Slavoniens Wind anhaucht und härtet,
Doch dann zergehend in sich selbst versickert,
Sobald's vom Land weht, das des Schattens bar wird,
Dem Feuer, das die Kerze schmelzet, ähnlich;
Also war sonder Tränen ich, noch Seufzer,
Eh' jene sangen, die mit ihren Tönen
Den Tönen stets der ew'gen Kreise folgen.
Doch als ich aus den süßen Melodien
Ihr Mitleid wahrnahm, mehr, als wenn gesaget
Sie hätten: »Weib, warum ihn so erschüttern?«
Da ward der Frost, der mir ums Herz sich drängte,
Zu Hauch und Wasser und entlud sich angstvoll
Durch Aug' und Mund zugleich aus meinem Busen.
Sie, fest annoch an der erwähnten Seite
Des Wagens stehend, richtet' ihre Worte
Also darauf an jene frommen Wesen:
»Ihr wacht im ewig wandellosen Tage,
So daß nicht Nacht noch Schlummer euch entziehet
Je einen Schritt der Zeit auf ihrem Wege;
Drum ich in meiner Antwort mehr besorgt bin,
Daß jener mich versteh', der jenseits weinet,
Damit von gleichem Maße Schuld und Schmerz sei.
Nicht durch das Werk allein der großen Kreise,
Die einem Ziel zuführen jeden Samen
Dem Sternenstand gemäß, der ihn begleitet,
Nein, durch Freigebigkeit der Gnade Gottes,
Die aus so hehren Dünsten ihren Tau zieht,
Daß unser Blick dorthin sich nicht kann nahen,
Ward dieser so in seinem neuen Leben
Befähiget, daß jede rechte Sitte
Sich wunderbar in ihm bewähret hätte.
Doch um so schlimmer wird das Land und wilder
Durch schlechten Samen und des Anbaus Mangel,
Je mehr's an guter Bodenkraft besitzet.
Aufrecht hielt ihn mein Antlitz eine Weile,
Und ihm die jugendlichen Augen zeigend,
Führt' ich mit mir ihn in gerader Richtung.
Sobald ich, auf des zweiten Alters Schwelle
Gelanget, Leben jetzt gewechselt hatte,
Entzog er mir sich und ergab sich andern.
Als ich vom Fleisch zum Geist emporgestiegen,
Und Schönheit mir und Tugend war gewachsen,
Ward ich ihm minder angenehm und teuer,
Und seinen Schritt wandt' er durch irre Pfade,
Die falschen Bilder eines Guts verfolgend,
Die das Versprochne nimmermehr erfüllen.
Nichts half's, Eingebungen ihm zu erflehen,
Mit denen ich zurück ihn rief in Träumen,
Und sonst, so wenig achtet' er auf solche,
So tief sank er hinab, daß alle Mittel
Zu seinem Heil schon unzureichend waren,
Als nur, ihm das verlorne Volk zu zeigen.
Deshalb besucht' ich selbst der Toten Ausgang
Und richtete an den, der hier herauf ihn
Geführet hat, mit Tränen meine Bitten.
Der hehre Ratschluß Gottes wär' gebrochen,
Wenn Lethe man durchschritt' und solche Speise
Gekostet würd', ohn' irgend zu entrichten
Der Reue Zoll, die Tränen macht vergießen.«

Einunddreißigster Gesang

»O du, der jenseits ist des heil'gen Stromes,«
Ihr Wort jetzt mit der Spitze nach mir richtend,
Das mit der Schneide schon mir herb erschienen,
Begann fortfahrend ungesäumt sie wieder,
»Sprich, sprich, ist solches wahr? denn zu so großer
Anklage muß doch dein Geständnis kommen.«
Also war meine Kraft erschüttert worden,
Daß zwar die Stimme sich bewegt', allein schon,
Eh' sie sich vom Organ gelöst, verlöschte.
Ein wenig harrend, sprach sie dann: »Was sinnst du?
Gib Antwort, denn des Übels Angedenken
Ist noch in dir vom Wasser nicht verletzet.«
Furcht und Verwirrung in Verbindung preßten
Ein solches ›Ja!‹ hervor mir aus dem Munde,
Das zu verstehn man des Gesichts bedurfte.
Gleichwie die Armbrust sprenget, wenn sie losgeht
Ob allzugroßer Spannung, Strang und Bogen
Und minder schnell das Ziel dann trifft der Bolzen,
Also, von jener schweren Last zersprenget,
Entlud ich mich durch Tränen und durch Seufzer,
Und meine Stimme stockt' in ihrem Ausgang.
Und sie darob zu mir: »In deinem Sehnen
Nach mir, das dich ein Gut zu lieben lehrte,
Darüber man nicht Höh'res kann erstreben,
Was fand'st für vorgezogne Gräben oder
Für Ketten du, die dich der Hoffnung, vorwärts
Zu dringen, also nur berauben durften?
Und welch erleichternd Wesen, welcher Vorteil
Hat auf der Stirn der andern sich gezeiget,
Daß du zu ihnen hinzuwandeln brauchtest?«
Nachdem ich ausgehaucht ein bittres Seufzen,
Konnt' ich zur Antwort kaum die Stimme finden,
Und mühsam gaben ihr Gestalt die Lippen,
Und weinend sprach ich: ›Meine Schritte wandten
Mit falscher Lust die gegenwärt'gen Dinge,
Sobald sich Euer Antlitz mir verborgen.‹
Und sie: »Wenn du verschwiegst auch oder läugnet'st,
Was du gestehst, nicht minder wüßte drum man
Um deine Schuld doch; solch ein Richter kennt sie.
Doch wenn aus eignem Angesicht der Sünde
Anklage bricht hervor, dann kehrt in unserm
Gericht das Schleifrad sich der Schneid' entgegen.
Indes, damit du besser Scham empfindest
Ob deines Irrtums und, wenn die Sirenen
Du hörst ein andermal, dich stärker zeigest,
Leg' ab der Tränen Samen jetzt und horche,
Daß du vernehm'st, wie mein begrabner Leib dich
In umgekehrter Richtung treiben sollte.
Nie bot Natur dir oder Kunst ein größres
Ergötzen als die schönen Glieder, drin ich
Verschlossen war, und die zerstreut als Staub jetzt.
Und wenn die höchste Lust dich so getäuscht hat
Durch meinen Tod, welch sterblich Wesen durfte
Dich ferner noch, sein zu begehren, locken?
Wohl solltest du dich bei dem ersten Streiche
Der trügerischen Dinge aufwärts schwingen
Mir nach, die nicht zu solchen mehr gehörte.
Nicht durfte dir die Flügel abwärts drücken,
Mehr Schläge zu erwarten, sei's ein Mägdlein,
Sei's andrer Tand vergänglichen Gebrauches.
Ein unerfahren Vöglein wartet's zweimal
Und dreimal ab; doch fruchtlos vor den Augen
Der Flüggen spannt' ein Netz man oder schösse.«
Den Kindlein ähnlich, die, voll Scham verstummend,
Die Augen an den Boden, stehn und horchen,
Die eigne Schuld erkennend und bereuend,
Also stand ich, und jene sprach: »Ob auch dich,
Was du vernommen, schmerzt, erheb' den Bart jetzt,
Und größern Schmerz wirst aus dem Schaun du schöpfen.«
Mit minderm Widerstand wird eine mächt'ge
Zirneich' entwurzelt, sei es durch den Auster,
Sei's durch den Wind, der weht von Jarba's Lande,
Als ich auf ihr Gebot das Kinn emporhob;
Und da durch »Bart« sie das Gesicht bezeichnet,
Erkannt' ich wohl den Stachel des Gedankens.
Und als mein Angesicht ich aufwärts streckte,
Da sah mein Blick, daß inne jetzt gehalten
Mit Blumenstreun die Urgeschöpfe hatten;
Und meine Augen, noch unsicher, sahen
Beatrix nach dem Tier gewandt, das einzig
In einerlei Person faßt zwei Naturen.
Bedeckt vom Schlei'r, jenseits des grünen Strandes
Besiegte sie, wie einst sie war, sich selber
Mehr als, so lang sie hier noch war, die andern.
Da brannte mich so sehr der Reue Nessel,
Daß von dem andern all, was mich am meisten
Zu seiner Liebe zog, zumeist mir Feind ward.
Also ergriff mein Herz jetzt Selbsterkenntnis,
Daß übermannt ich hinsank, und wie jetzt ich
Geworden, weiß nur sie, die's hat verursacht.
Drauf, als mirs Herz nach außen Kraft zurückgab,
Sah ich das Weib, das ich allein gefunden,
Jetzt über mir, und »Fass' mich! fass' mich!« rief es,
Versenkt hatt's in den Fluß mich bis zum Schlunde,
Und hinter sich einher mich ziehend, ging es
Leicht wie ein Weberschiff hin auf dem Wasser.
Als nah' ich kam dem seligen Gestade,
Hört' ich » asperges me« so lieblich, daß ich's
Nicht wiederdenken kann, noch minder schreiben.
Die Arm' erschloß das schöne Weib, umarmte
Mirs Haupt und tauchte dann so tief mich unter,
Daß ich das Wasser hinterschlucken mußte.
Dann zog sie mich heraus, also gebadet
Darbietend mich dem Tanz der holden viere,
Davon mich jede mit dem Arm bedeckte.
»Hier sind wir Nymphen und am Himmel Sterne;
Eh' niederstieg zur Welt Beatrix, wurden
Zu ihren Dienerinnen wir bestimmet.
Wir führ'n zu ihren Augen dich, doch werden
Fürs heitre Licht, das drin ist, erst die dreie
Jenseits, die tiefer schaun, die deinen schärfen.«
Also begannen singend sie und führten
Mich dann mit sich hin zu der Brust des Greifen,
Wo nach uns zu Beatrix stand gewendet.
Sie sprachen: »Schone hier nicht deine Blicke,
Wir stellten den Smaragden dich genüber,
Draus Amor sein Geschoß auf dich einst schnellte.«
Wohl tausend Wünsche, heiß wie Flammen, zogen
Die Augen nach den glanzerfüllten Augen
Mir hin, die fest nur auf dem Greifen ruhten.
Gleich wie die Sonn' im Spiegel, also strahlte
Das Doppeltier darinnen, bald die einen
Und bald die anderen Gebärden zeigend.
Bedenke, Leser, ob ich mich verwundert,
Als ich die Sache selber unverrücket
Sah stehn, indes sich änderte ihr Abbild.
Weil, so erfüllt mit Staunen und beseligt,
Mein Geist von jener Speise kosten durfte,
Die, sättigend mit sich, nach sich gibt Hunger;
Sich von erhabnerem Geschlecht erweisend
Im Wesen, traten vor die andern dreie,
Nach ihren Engelsmelodien tanzend.
»Kehr', o Beatrix, kehr' die heil'gea Augen,«
Also war ihr Gesang, »nach deinem Treuen,
Der, dich zu sehn, so viel den Schritt bewegt hat.
Aus Gnaden gib die Gnad' uns, daß du deinen
Mund ihm entschleierst, so daß er erkenne
Die zweite Schönheit, die du hältst verborgen.«
O Widerglanz lebend'gen ew'gen Lichtes,
Wer machte unter des Parnassus Schatten
So bleich sich oder trank aus seinem Brunnen,
Daß sein Gedächtnis nicht behindert schiene,
Wollt' er dich schildern, wie du dich gezeiget,
Wo dich mit Harmonien umwebt der Himmel,
Als du den offnen Lüften dich enthülltest!

Zweiunddreissigster Gesang

So fest und achtsam waren meine Augen,
Das Sehnen des zehnjähr'gen Dursts zu stillen,
Daß ganz erloschen jeder andre Sinn war;
Und jene hatten hier und dort wie Wände,
Drob nichts gewahr sie wurden; also lockte
Sie mit dem alten Netz das heil'ge Lächeln,
Als mit Gewalt das Angesicht zur Linken
Durch jene Göttinnen mir ward gewendet,
Weil ich ein »allzu starr!« vernahm von ihnen,
Und jene Stimmung, die zum Sehn in Augen
Sich findet, wenn sie eben trifft die Sonne,
Beraubt' auf kurze Zeit mich des Gesichtes.
Doch als ans Wenig sich mein Blick gewöhnet,
Ans Wenig sag' ich im Vergleich zum mächtig
Fühlbar'n, davon ich mich gewaltsam losriß,
Sah nach dem rechten Arm ich umgewendet
Das ruhmgekrönte Heer und rückwärtskehren,
Die sieben Flammen und die Sonn' im Antlitz.
Wie unter Schilden, die Gefahr zu meiden,
Sich kehrt der Trupp, abschwenkend um die Fahne,
Eh' er in sich die Stellung ganz gewechselt,
Also zog die Miliz des Himmelreiches,
Die da vorausging, ganz an uns vorüber,
Bevor das erste Holz noch bog der Karren.
Die Frau'n dann traten wieder an die Räder,
Und die gebenedeite Last zog weiter
Der Greif, an keiner Feder drob erschüttert.
Das schöne Weib, das mich die Furt hindurchzog,
Statius und ich, wir folgten jenem Rade,
Das sein Geleis in engerm Bogen krümmte.
So wallten durch den hohen Forst wir, öde
Durch jener Schuld noch, die geglaubt der Schlange,
Nach Engelstönen mäßigend die Schritte.
Es hinterlegt entfesselt in drei Flügen
Ein Pfeil so vielen Raum wohl, als entfernet
Wir uns schon hatten, da Beatrix abstieg,
Und insgesamt hört' ich sie »Adam« murmeln.
Dann kreisten sie um einen Baum, von Blüten
Und anderm Laub beraubt an allen Zweigen.
Sein Haupthaar, das sich um so mehr verbreitet,
Je höher man hinaufkommt, würden Indier
In ihren Wäldern ob der Höh' bewundern.
»Heil dir, o Greif, daß nichts du mit dem Schnabel
Von diesem Holz abstreifst, das süß dem Gaumen,
Weil schlimm darob der Bauch sich winden müßte!«
So riefen um den mächt'gen Baum die andern
Ringsum, und jenes Tier, zwiefach gezeuget:
»So wird der Samen alles Rechts erhalten!«
Und sich zur Deichsel wendend, die's gezogen,
Schleppt' es zum Fuß sie des verwaisten Baumes,
Sie, die von ihm war, dran gebunden lassend.
Wie unsre Bäume hier, wenn sich hernieder
Das große Licht ergießet, untermischet
Mit dem, das hintern Himmelskarpfen strahlet,
Anschwellen, und dann in der eignen Farbe
Sich jeglicher erneut, bevor die Sonne
Noch unter anderm Stern anschirrt die Rosse,
Nicht rot wie Rosen ganz, doch mehr denn Veilchen
Die Farb' entfaltend, ward verjüngt der Baum jetzt,
Des Äste so verödet erst gewesen.
Nicht konnt' ich sie verstehn, noch singet hier man
Die Hymne, die das Volk anjetzt gesungen,
Noch auch ertrug die Weis' ich bis zum Schlusse.
Könnt' ich beschreiben, wie, von Syrinx hörend,
Entschlummerten die mitleidslosen Augen,
Die Augen, längre Wacht so schwer einst büßend,
Dem Maler gleich, der malt nach einem Vorbild,
Abzeichnen würd' ich, wie ich eingeschlafen;
Doch das Entschlummern mag, wer will, recht schildern.
Darum geh' über ich zu dem Erwachen
Und sage, mir zerriß ein Glanz den Schleier
Des Schlummerns und der Ruf: »Steh auf, was tust du?«
Gleichwie, zu schaun des Apfelbaumes Knospen,
Nach dessen Frucht die Engel sind begierig,
Und der ein ewig Brautmahl beut im Himmel,
Geführet, Petrus, Jakob und Johannes
Aus ihrer Ohnmacht auf das Wort erwachten,
Das schwerern Schlummer schon gebrochen hatte,
Und ihre Brüderschaft vermindert sahen
Sowohl um Moyses als um Elias
Und das Gewand verändert ihres Meisters;
Also erwacht' ich jetzt, und jene Fromme
Sah über mir ich stehn, die erst am Flusse
War meiner Schritte Führerin gewesen.
›Wo ist Beatrix?‹ sprach ich ganz in Zweifel.
Doch jene drauf zu mir: »Schau, wie sie sitzet
Dort unterm neuen Laub an dessen Wurzel!
Schau die Genossinnen, die sie umgeben!
Dem Greif nachgehn die anderen nach oben
Mit süßerm Liede und von tieferm Sinne.«
Und ob noch weiter sich ihr Wort verbreitet,
Nicht weiß ich's; denn schon faßten meine Blicke
Sie, die den Sinn mir schloß für alles andre.
Sie saß allein hier auf dem echten Lande,
Zurückgeblieben als des Karrens Hüt'rin,
Den ich durchs Doppeltier befest'gen sehen.
Im Kreise bildeten um sie ein Gitter
Die sieben Nymphen, in der Hand die Lichter,
Die sicher sind vor Aquilo und Auster.
»Hier bleibst du nur auf kurze Zeit als Fremdling,
Und bist dann ewiglich mit mir ein Bürger
In jenem Rom, wo Christus ist ein Römer.
Darum zum Heil der Welt, die schlimm jetzt lebet,
Heft' auf den Karr'n die Blick', und was du schauest,
Wenn du von dort zurückkehrst, schreibe nieder.«
Beatrix so zu mir, und ich, der ihrem
Befehle lag demütig ganz zu Füßen,
Wandt' Aug' und Sinn dorthin, wo sie's begehrte.
Nie fiel mit solcher Schnelligkeit herab noch
Aus dichter Wolk' ein Feuer, wenn der Regen
Von der entferntsten Grenze niederströmet,
Als durch den Baum herab ich Jovis Vogel
Sah schießen, nicht allein die neuen Blätter
Und Blüten schädigend, nein, auch die Rinde;
Und mit der ganzen Kraft traf er den Karren,
Der wich wie's Schiff im Sturm, das bald am Backbord,
Am Steuerbord bald von der Flut besiegt wird.
Und in den Schoß darauf des sieggekrönten
Fuhrwerks sah einen Fuchs empor ich schleichen,
Der jeder guten Kost schien zu entbehren;
Doch häßliche Verschuldung vor ihm haltend,
Trieb dann in solche Flucht ihn meine Herrin,
So weit es möglich den entfleischten Knochen.
Drauf sah von dort ich, wo zuerst er herkam,
Den Adler in des Karrens Arche stürzen
Und sie bedeckt mit seinen Federn lassen.
Und wie's dem Herzen, das sich grämt, enttönet,
So kam vom Himmel eine Stimm' und sagte:
»Mein Schifflein, ach, was bist du schlimm beladen!«
Drauf schien's, als ob sich zwischen beiden Rädern
Die Erd' auftät und draus ein Drach' entstiege,
Der durch den Karr'n den Schwanz nach oben steckte;
Und gleich der Wespe, die den Stachel einzieht,
Zog er, mitschleppend einen Teil des Bodens,
Den schlimmen Schweif an und ging irren Schritts fort.
Was übrig blieb, bedeckte sich, wie Grasung
Fruchtbares Land bedeckt, mit dem Gefieder,
Aus reiner guter Absicht wohl geboten,
Und beide Räder und die Deichsel wurden
Davon bedeckt in solcher Frist, daß länger
Ein Seufzer mag den Mund erschlossen halten.
Dem heiligen Gebäude, so verwandelt,
Entsproßten Häupter aus verschiednen Teilen,
Drei auf'der Deichsel, eins in jeder Ecke.
Die ersten waren Stieren gleich gehörnet,
Doch nur ein Horn trug jede Stirn der viere;
Nie war zu schaun ein ähnlich Ungeheuer.
Voll Trotz gleich einer Burg auf hohem Berge
Schien mir entblößt auf jenem eine Hure
Zu sitzen, rings behend die Augen wendend;
Und daß man, schien's, ihm sie nicht rauben möge,
Sah neben ihr ich einen Riesen stehen,
Und mehr als einmal küßten sie einander.
Doch weil die Blicke sie, die lüstern schweiften,
Nach mir gewendet, geißelte vom Kopfe
Bis zu der Sohle sie der wilde Buhle,
Dann voll des Argwohns und im grimmen Zorne
Löst' er das Ungetüm und zog's so weit hin
Im Wald, daß der allein schon vor der Hure
Und vor dem neuen Untier mir zum Schild ward.

Dreiunddreissigster Gesang

»Deus, venerunt gentes«, von den Frauen
Bald drei, bald vier im Wechselchor begannen
Den süßen Psalmensang anjetzt mit Tränen,
Und seufzend horcht' und mitleidsvoll auf jene
Beatrix, so gestaltet, daß verändert
Kaum unterm Kreuze mehr sich hat Maria.
Doch als die andern Jungfrau'n ihr zum Sprechen
Gegeben Raum, erhob sie aufrecht sich
Und gab zur Antwort, feuerrot gefärbet:
»Modicum et non videbitis me
Et iterum
, o ihr geliebten Schwestern,
Modicum et vos videbitis me.« \
Drauf setzte vor sich her sie alle sieben,
Und winkend ließ sie hinter sich einhergehn
Das Weib, mich und den Weisen, der zurückblieb.
Also ging fort sie, und nicht, mein' ich, war noch
Ihr zehnter Schritt gesetzet auf den Boden,
Als mit den Augen sie mir traf die Augen,
Und ruh'gen Angesichtes: »Komm geschwinder,«
Sprach sie zu mir, »daß, wenn mit dir ich rede,
Du wohl befähigt seist, mir zuzuhören.«
Als ich bei ihr jetzt war, so wie ich sollte,
Begann zu mir sie: »Bruder, was getraust du
Dich nicht zu fragen, wenn du mit mir gehest?«
Wie's jenen geht, die, sprechend vor den Obern,
Zu sehr voll Ehrfurcht sind, so daß die Stimme
Lebendig nicht bis zu den Zähnen dringet,
Ging mir's, weil ich, des vollen Lauts entbehrend,
Also begann: ›O Herrin, mein Bedürfnis
Ist Euch bekannt und was dafür mir gut ist.‹
Und sie darauf zu mir: »Ich will, daß endlich
Von Furcht und Scham du jetzt dich lösen mögest,
Damit gleich Träumenden nicht mehr du sprechest.
Wiss', das Gefäß, zerbrochen durch die Schlange,
War und ist nicht; doch wer dran Schuld hat, glaube,
Daß Gottes Rache sich nicht scheut vor Tunken.
Nicht alle Zeit wird sonder Erben bleiben
Der Adler, der die Federn ließ im Karren,
Drum er zum Untier ward und dann zur Beute;
Denn zweifellos seh' ich, und drum bericht' ich's,
Den Sternenstand sich nahn, der eine Zeit gibt,
Vor jedem Hindernis und Hemmnis sicher,
In welchem ein ›Fünfhundertzehn und fünfe‹ ,
Von Gott gesendet, wird die Vettel töten
Und jenen Riesen, welcher mit ihr sündigt.
Und wenn dich mein Bericht vielleicht, der dunkel
Wie Sphinx und Themis, minder überzeuget,
Weil er nach ihrer Art den Sinn verwirret,
So werden die Begegnis' als Najaden
Alsbald dir doch dies schwere Rätsel lösen
Ohn' allen Schaden an Getreid' und Herden.
Du merk' es an, und wie dir meine Worte
Ich bot, so lass' den Lebenden sie wissen
Des Lebens, das ein Laufen ist zum Tode;
Und denke dran, wenn du sie niederschreibest,
Daß du nicht bergest, wie den Baum du sähest,
Der jetzt zweimal hier ist beraubet worden.
Wer immer ihn beraubt, wer ihn verletzet,
Beleidigt Gott durch Lästerung in Taten,
Der heilig ihn sich zum Gebrauch erschuf nur.
Weil sie von ihm gebissen, wünschte sehnlich
Mit Schmerz den, der den Biß an sich gestrafet,
Mehr denn fünftausend Jahr' die erste Seele.
Dein Geist muß schlummern, wenn er nicht begreifet,
Daß aus besonderm Grund also erhaben
Er ist und so verkehrt an seinem Wipfel;
Und wären Elsa's Wässer nicht gewesen
Um deinen Sinn die eitelen Gedanken,
Und ihre Lust ein Pyram an der Maulbeer',
Du würdest schon allein an so viel Zeichen
Gottes Gerechtigkeit in dem Verbote
Am Baum erkennen im moral'schen Sinne.
Doch weil ich am Verstande ganz versteinert
Und durch die Sünde dich gefärbt erblicke,
So daß das Licht dich meiner Worte blendet,
Will ich, wenn nicht geschrieben, doch gemalet,
Daß du mit dir davon sie tragest, wie man
Den Pilgerstab mit Palmen bringt geschmücket.«
Und ich darauf: ›Gleichwie das Wachs vom Siegel,
Des Abbild jenes dann nicht mehr verändert,
So ward von Euch jetzt mein Gehirn gestempelt.
Doch weshalb flieget Euer heißersehntes
Wort so viel höher, als mein Blick kann reichen,
Der's mehr verliert, je mehr er ab sich mühet?‹
»Damit du,« sprach sie, »jene Schul' erkennest,
Der du gefolgt, und seh'st, wie ihre Lehre
Imstand ist, meinen Worten nachzufolgen,
Und seh'st, wie euer Weg von Gottes Wege
So weit abweichet, als die Erd' entfernt ist
Von jenem Himmel, der am höchsten eilet.«
Ich drauf zu ihr: ›Nicht kann ich mich erinnern,
Daß ich mich je von Euch entfremdet hätte,
Noch hab' ich des Bewußtsein, das mir's rüge.‹
»Und wenn du dessen dich nicht kannst entsinnen,«
Antwortete sie lächelnd: »so gedenke,
Daß eben erst von Lethe du getrunken;
Und wie vom Rauche man aufs Feuer schließet,
So zeigt solch ein Vergessen klar, daß schuldig
Du warst, als sich dein Wunsch auf andres wandte.
Von jetzt an werden wahrlich meine Worte,
Ganz unverhüllet sein, so weit sich's ziemet,
Daß ich sie deinem rohen Blick entdecke.«
Und glüh'nder schon und mit langsamern Schritten
Behauptete den Mittagskreis die Sonne,
Der unserm Standpunkt nach bald hier, bald dort ist,
Als jetzt die sieben Frau'n, wie einer stillhält,
Der einer Schar vorausgeht als Geleite,
Wenn Neues ihm auf seiner Spur begegnet,
Am Saum stillhielten eines blassen Schattens,
Wie unter grünem Laub und dunkeln Zweigen
Das Hochgebirg ihn trägt an kühlen Strömen.
Vor ihnen deuchten Euphrat mir und Tigris
Aus einer Quelle hier hervorzukommen
Und Freunden gleich nur zögernd sich zu trennen,
›0 Licht, o Ruhm des menschlichen Geschlechtes,
Welch Wasser ist dies, das von einem Ursprung
Sich breitet aus und von sich selbst sich trennet?‹
Auf solche Bitte ward gesagt mir: »Bitte
Mathilde, dir's zu sagen,« und zur Antwort
Gab, dem gleich, der die Schuld von sich hinwegwälzt,
Das schöne Weib: »Dies und noch andre Dinge
Hab' ich ihm schon gesagt, und sicher bin ich,
Daß Lethes Flut sie ihm nicht hat verborgen.«
Beatrix drauf: »Vielleicht hat größre Sorge,
Die oftmals der Erinnrung uns beraubet,
Jetzt für das Sehen seinen Geist verdunkelt;
Doch sieh Eunoe, welche dort entspringet,
Führ' ihn zu ihr, und, wie du immer pflegest,
Beleb' ihm die erstorbne Kraft aufs neue!«
Wie sich die edle Seele nicht entschuldigt,
Nein, zu dem seinen macht des andern Willen,
Sobald nach außen ihn ein Zeichen kundtut,
Also, nachdem sie mich erfaßt, bewegte
Das schöne Weib sich jetzt und sprach zu Statius
Auf adeliger Frauen Art: »Komm mit ihm!«
Wenn ich, o Leser, größern Raum zum Schreiben
Noch hätte, möcht' ich wohl zum Teil besingen
Den süßen Trank, dran nimmer satt ich würde;
Doch weil erfüllt schon sind die Blätter alle,
Gewoben für dies zweite Lied, so halten
Vom Weitergehn die Zügel mich der Kunst ab.
Zurück kehrt' ich von den hochheil'gen Fluten,
Ganz umgeschaffen gleich der jungen Pflanze,
Wenn sie mit jungem Laube sich verjünget,
Rein und bereit zum Aufstieg nach den Sternen.

Das Paradies

Erster Gesang

Die Herrlichkeit des, der das All beweget,
Durchdringt die Weltgesamtheit und erglänzet
An einem Ort mehr, am andern minder.
Im Himmel, der zumeist sein Licht empfänget,
War ich und sah, was wieder zu berichten
Nicht weiß und nicht vermag, wer dort herabkommt;
Weil sich, dem Ziele nahend seines Sehnens,
Der menschliche Verstand so weit vertiefet,
Daß kein Erinneren von dort zurückkehrt.
Doch, so viel immer von dem heil'gen Reiche
Als Schatz ich im Gedächtnis sammeln konnte,
Das soll den Stoff jetzt meines Liedes bilden.
O gütiger Apoll, zur letzten Arbeit
Mach' deiner Kraft Gefäß mich, wie du's heischest,
Um den geliebten Lorbeer zu verleihen!
Bis hierher war mir ein Joch des Parnassus
Genug, denn jetzt muß ich mit allen beiden
Die Rennbahn, die noch übrigbleibt, betreten.
In meinem Busen kehr' drum ein und hauche,
Wie damals du getan, als du gezogen
Den Marsyas aus seiner Glieder Scheide.
O Gotteskraft, wenn du dich mir gewährest,
So daß den Schatten ich des sel'gen Reiches
Im Haupt mir ausgepräget offenbare,
Wirst du zu deinem teuren Baum mich kommen
Und mich bekränzen sehn dann mit dem Blatte,
Des mich mein Stoff, des du mich würdig machest.
So selten nur, o Vater, pflückt von solchem
Zum Siegesschmuck ein Cäsar oder Dichter,
(O Schuld und Schmach des menschlichen Verlangens!)
Daß Freude das Penesche Laub der heitern
Delphischen Gottheit wohl gewähren sollte,
Wenn's noch bei einem Durst nach sich erwecket.
Geringern Funken folgt oft große Flamme,
Vielleicht daß man nach mir mit bessrer Stimme
Einst flehen wird, daß Antwort Cirrha gebe.
Den Sterblichen steigt aus verschiednen Schlünden
Das Licht der Welt empor, allein aus jenem,
Wo sich vier Kreise in drei Kreuzen binden,
Tritt sie, mit besserm Lauf und besserm Sterne
Vereint, hervor, und mehr nach eigner Weise
Gibt sie dem ird'schen Wachs Gepräg' und Fügung.
Fast hatte jenseits Morgen, diesseits Abend
Der Schlund gemacht, und jene Hemisphäre
War ganz dort weiß und schwarz die andre Hälfte,
Als ich Beatrix nach der linken Seite
Gewendet sah und in die Sonne blicken.
Kein Adler hat sie je so angeschauet!
Und wie dem ersten Strahl pflegt zu entspringen
Ein zweiter, wiederum dann aufwärts steigend,
Dem Pilgrim ähnlich, welcher heim will kehren,
So kam aus ihrem Akt, durchs Aug' einströmend
In meine Phantasie, der mein', und fest hin
Zur Sonne blickt' ich, unserm Brauch entgegen.
Viel, was hier statthaft nicht, ist unsern Kräften
Gestattet dort aus Gunst des Orts, der eigens
Der Menschheit ward zum Aufenthalt geschaffen.
Nicht lange trug ich sie, noch auch so kurz nicht,
Daß ich sie rings nicht Funken sprühn sah, ähnlich
Dem Eisen, wenn es glüh'nd kommt aus dem Feuer.
Und plötzlich schien mir Tag zu Tag gefüget,
Als hätte jener, der da kann, den Himmel
Mit einer andern Sonne noch geschmücket.
Beatrix stand, ganz auf die ew'gen Kreise
Geheftet ihren Blick, und ich, die Augen
Auf sie geheftet, abgewandt von droben,
Ward innerlich in ihrem Anschaun also,
Wie Glaucus, kostend von dem Kraut, durch das er
Genosse ward im Meer der andern Götter.
Verzückung! sie vermöchte man durch Worte
Zu schildern nicht; drum gnüge jenes Beispiel,
Wem Gnad' es zu erfahren aufbewahret.
Ob ich von mir der Teil nur, den zuletzt du
Erschufst, o Liebe, die den Himmel lenket,
Du weißt's, die du mich hobst mit deinem Lichte.
Als mich das Rad, das ewiglich du umschwingst,
Ersehnter, mit der Harmonie nach sich zog,
Die du verteilest und zusammenstimmest;
Da schien mir durch der Sonne Flamm' erglühend
So viel vom Himmel, daß kein Fluß, noch Regen
Je einen See schuf, der so weit sich dehnte.
Der neue Ton, das große Licht erweckte
Nach ihrem Grund in mir solch ein Verlangen,
Wie ich's noch nie gefühlt von gleicher Schärfe.
Und jene, die mich sah, wie ich mich selber,
Um mir zu stillen die bewegte Seele,
Erschloß den Mund, eh' ich's noch tat zum Fragen,
Und fing so an: »Du selbst machst dich durch falsche
Vorstellung irre, so daß du nicht siehest,
Was sehn du würdest, wenn du sie verscheuchtest.
Du bist nicht, wie du glaubest, auf der Erde;
Doch lief ein Blitz, der eignen Stätt' entfliehend,
So schnell als du nicht, der zu ihr zurückkehrt.«
Wenn ich vom ersten Zweifel ward gelöset
Durchs kurze Wort, das sie mir zugelächelt,
So hielt ein neuer mehr mich drauf umstricket,
Und also sprach ich: ›Schon befriedigt ruht' ich
Von großem Staunen aus, allein jetzt staun' ich,
Wie diese leichten Körper ich durchsteige.‹
Sie drauf, nach frommem Seufzer auf mich wendend
Die Augen, mit dem Blicke, den die Mutter
Wirft auf das Kindlein, das im Fieberwahn liegt,
Begann: »Die Dinge samt und sonders stehen
In Ordnung unter sich, und eben sie ist
Die Form, durch die das Weltall Gott wird ähnlich.
Hier sehen die erhabenen Geschöpfe
Die Spur der ew'gen Kraft, die da das Ziel ist,
Zu dem bestimmt ist die berührte Regel.
Der Ordnung zugeneigt, die ich erwähnet,
Sind die Naturen alle, durch verschiednes
Geschickt dem Urquell näher bald, bald ferner;
Darum bewegen nach verschiednen Häfen
Durchs große Meer des Seins sie sich, und jede
Von einem ihr gegebnen Trieb geführet.
Der trägt das Feuer aufwärts nach dem Monde;
Der ist in ird'schen Herzen der Beweger;
Der eint und zieht die Erd' in sich zusammen.
Und die Geschöpfe nicht allein, die sonder
Intelligenz sind, schnellet dieser Bogen,
Nein, jen' auch, die Verstand und Liebe haben.
Die Vorsehung, die all dies Große ordnet,
Hält durch ihr Licht in ew'ger Ruh' den Himmel,
In dem sich der dreht, der am meisten eilet.
Und jetzt dorthin als zum bestimmten Sitze
Trägt uns die Kraft von dannen jener Sehne,
Die heiterm Ziel zuführt, was sie entschnellet.
Wahr ist's, daß, wie gar öfters das Gebilde
Nicht übereinstimmt mit des Künstlers Absicht,
Weil taub der Stoff ist, Antwort drauf zu geben,
Also von solcher Richtung sich zuweilen
Entfernet das Geschöpf, das, so getrieben,
Doch Macht hat, anderwärts sich hinzuwenden,
Wenn (wie man Feuer aus der Wolke fallen
Kann sehn) der erste Anstoß, abgelenket
Von falscher Lust, es erdwärts niederschleudert.
Nicht staunen darfst du, wenn ich recht geurteilt,
Ob deines Steigens mehr, als da von hohem
Gebirg zu Tal ein Fluß herunterströmet.
Nein, zu verwundern war's an dir, wenn ledig
Von jedem Hemmnis du dich niedersetztest,
Wie wenn am Grund still blieb lebend'ges Feuer.«
Drauf wandte wieder sie den Blick zum Himmel.

Zweiter Gesang

O ihr, die ihr in einem kleinen Nachen
Voll Sehnsucht zuzuhören nachfolget
Seid meinem Schiff, das mit Gesang einherzieht,
Kehrt um, daß wieder euern Strand ihr sehet!
Begebt euch nicht aufs hohe Meer, ihr möchtet
Verirrt dort bleiben, wenn ihr mich verlöret!
Nie ward die Flut beschifft, die ich berühre;
Minerva weht, es führet mich Apollo,
Neun Musen zeigen mir der Bären Sterne.
Ihr andern wenigen, die ihr bei Zeiten
Den Hals gewendet habt zum Engelsbrote,
Davon man lebet hier, doch nimmer satt wird,
Wohl könnt ihr euch aufs weite Salzmeer wagen
Mit euerm Fahrzeug, dicht an meine Furche
Euch haltend, eh' die Flut sich wieder glättet.
Die Ruhmgekrönten, die nach Colchis zogen,
Sie staunten so nicht, wie ihr werdet staunen,
Da Jason sie als Ackersmann erblickten.
Das ewige und einerschaffne Dürsten
Nach dem gottförm'gen Reich trug uns von dannen
So rasch beinah', als ihr den Himmel sehet.
Beatrix schaut' empor, und ich nach ihr hin,
Und so in kurzer Frist wohl, als ein Bolzen
Ankommt und fliegt und von der Nuß sich löset,
Sah ich mich angelangt, wo Wunderbares
Auf sich den Blick mir zog; darum auch jene,
Vor der mein Sorgen nie verdeckt sein konnte,
So schön als heiter gegen mich gewendet,
Begann: »Richt' aufwärts dankerfüllt die Seele
Zu Gott, der uns dem ersten Stern vereint hat!«
Mir deucht', als ob uns eine Wolke decke,
Helleuchtend, dicht und fest und sonder Makel,
Wie ein Demant, getroffen von der Sonne.
In ihrem Innern nahm die ew'ge Perle
Uns auf, wie Wasser einen Strahl des Lichtes
Wohl aufnimmt, unzertrennet selbst verbleibend.
War Leib ich, und man faßt hier nicht, wie eine
Ausdehnung kann die andr' in sich ertragen,
Was sein doch muß, wenn Körper kreucht in Körper,
So sollte mehr sich unser Wunsch entzünden,
Die Wesenheit zu schaun, in der man siehet,
Wie unsere Natur und Gott vereint sind.
Dort schaun wir einst, was gläubig fest wir halten,
Nicht durch Beweis es, nein, an sich erkennend,
Nach Art des ersten Wahren, das der Mensch glaubt.
Ich drauf zu ihr: ›‹ 0 Herrin, so voll Andacht,
Als ich es nur vermag, bring' ihm ich Dank dar,
Der mich der Welt der Sterblichkeit entrückt hat.
Doch saget mir, was sind die dunklen Flecken
An diesem Körper, drob auf Erden drunten
Von Kain durch manche fabelnd wird gesprochen?‹
Ein wenig lächelnd erst, sprach dann zu mir sie:
»Wenn sich die Meinung Sterblicher verirret,
Dort, wo der Sinne Schlüssel nicht kann öffnen,
Darf, traun, dich der Verwundrung Pfeil nicht stacheln
Fortan, da, wie du siehst, selbst in der Sinne
Gefolg' so kurze Schwingen die Vernunft hat.
Doch sprich, was von dir selbst du drüber denkest!«
Und ich: ›Was uns dort unten scheint verschieden,
Glaub' ich, entsteht, weil dünn und dicht die Körper.‹
Und sie: »Gewiß wirst du als falsch dein Dünken
Zugrunde gehn sehn, horchest du der Folge
Von Schlüssen recht, die ich entgegenstelle.
Die achte Sphäre zeigt euch viele Lichter,
An denen man verschiedentlich Erscheinen
Im Wie sowohl als im Wieviel gewahret.
Wenn dicht und dünn ausschließlich dies bewirkte,
So wär' nur eine Kraft allein in allen
Mehr oder minder demgemäß verteilet.
Verschiedne Kräfte müssen Frucht formaler
Ursachen sein, und, bis auf eine, würden
In Wegfall die nach deiner Ansicht kommen.
Noch mehr, wenn Dünnsein jenes Dunkels Ursach',
Nach der du fragst, so müßt' entweder dieser
Planet teilweise durch und durch so spärlich
Am Stoff sein, oder, wie in einem Körper
Sich Fett und Mager teilen, so derselbe
In seinem Buche mit den Blättern wechseln.
Das erstre müßte sich bei Finsternissen
Der Sonne zeigen, weil durchschimmern würde
Das Licht, wie wenn sonst Dünnes eingesprengt ist.
Dies ist der Fall nicht; drum laßt nach dem andern
Uns sehn, und wenn's geschieht, daß ich's vernichte,
So ist als falsch bewiesen deine Meinung.
Wenn's nun gewiß, daß nicht das Dünne durchdringt,
Muß eine Grenz' es geben wohl, von wo an
Sein Gegenteil es durchzugehen hindert,
Und von woher sich drum zurückergießet
Der Strahl, gleichwie die Farbe aus dem Glase
Heimkehrt, das hinter sich hält Blei verborgen.
Jetzt wirst du sagen, dunkeler erscheine
Allhier der Strahl als an den andern Teilen,
Weil er hier weiter rückwärts wird gebrochen.
Von diesem Einwand kann dich die Erfahrung
Befrei'n, versuchst du sie, aus deren Quelle
Die Flüsse strömen euern Wissenschaften.
Drei Spiegel nimm zur Hand, und zwei entferne
Von dir gleichmäßig, doch den dritten finde
Dein Blick in größrer Ferne zwischen beiden.
Gewandt nach ihnen stelle hintern Rücken
Ein Licht dir, das erglüh'n macht die drei Spiegel
Und zu dir kehrt, zurückgestrahlt von allen.
Wenn auch so groß an Umfang nicht die fernste
Erscheinung ist, so wirst du hier doch sehen,
Daß sie auf gleiche Weise muß erglänzen.
Jetzt, wenn durch warmer Sonnenstrahlen Wirkung,
Was unterm Schnee gelegen hat, entblößet
Von seiner frühern Farbe bleibt und Kälte,
Will ich, da du im Geist also verblieben,
Mit so lebend'gem Lichte dich erleuchten,
Daß dir sein Anblick soll entgegenflimmern.
Es dreht im Himmel göttlicher Befriedung
Ein Körper sich, in dessen Kraft das Dasein
Der Dinge sämtlich ruht, die er umschließet.
Der nächste Himmel, der so reich an Bildern,
Verteilt dies Sein in mannigfache Wesen,
Von ihm verschieden und in ihm enthalten.
Die andern Kreise durch vielfachen Wechsel
Befäh'gen für ihr Ziel und ihren Samen
Das Unterschiedne, das in sich sie tragen.
Wie du jetzt siehest, reihen stufenweise
Sich diese Weltorgane also, daß sie
Von oben nehmen und nach unten wirken.
Aufmerksam blick' auf mich, wie hin ich gehe
Durch diesen Ort zur Wahrheit, die du wünschest,
So daß du selbst die Furt dann finden mögest.
Kraft und Bewegung jener heil'gen Kreise
Muß, gleichwie von dem Schmied die Kunst des Hammers,
Auswehen von den seligen Bewegern.
Der Himmel, der mit so viel Lichtern pranget,
Empfängt in sich das Bild des tiefen Geistes,
Der um ihn rollt, und wird zu seinem Siegel.
Und wie die Seel', in euren Staub gebannet,
Durch unterschiedne Glieder, angemessen
Den unterschiednen Kräften, sich verbreitet,
Also entwickelt ihre Güte jene
Intelligenz, vervielfacht durch die Sterne,
Auf ihrer eignen Einheit um sich drehend.
Verschiedne Kraft mit dem von ihr belebten
Kostbaren Körper schließt verschiednes Bündnis,
In ihm sich, wie in euch das Leben, bindend.
Der heiteren Natur nach, draus sie stammet,
Durchglänzt die beigemischte Kraft den Körper,
Wie Heiterkeit lebend'ge Augensterne.
Von ihr kommt her das, was von Licht zu Lichte
Verschieden scheint, und nicht von Dünn' und Dichtheit;
Sie ist's, die, ein Formalprinzip, hervorbringt,
Nach ihrer Güte Maß, das Hell und Dunkel.«

Dritter Gesang

Die Sonne, die mein Herz mit Lieb' erst wärmte,
Sie hatte schöner Wahrheit holdes Antlitz
Mir durch Beweis enthüllt und Widerlegung;
Und ich, berichtiget und überzeuget
Mich zu bekennen, hob das Haupt, soweit es
Zu sprechen nötig war, empor es richtend.
Doch eine Vision erschien, die also
An sich mich fesselte, sie zu betrachten,
Daß meiner Beicht' ich jetzt nicht mehr gedachte
Wie aus durchscheinend hellem Glase oder
Aus einem Wasser, glatt und unbeweglich,
Das nicht so tief ist, daß der Grund entschwinde,
Der Umriß unsers Angesichts zurückkehrt
So schwach, daß eine Perl' auf weißer Stirne
Nicht minder früh erreichet unsre Augen;
So sah ich wortbereit mehr als ein Antlitz,
Drob ich in einen Wahn fiel, dem entgegen,
Der zwischen Mensch und Quell hat Lieb' entzündet
Alsbald, als jener ich gewahr geworden,
Für Spiegelbilder nur sie haltend, wandt' ich
Die Augen, um zu sehen, wer sie wären,
Und sah dort nichts und kehrte wieder vor sie,
Zum Licht der süßen Führerin sie richtend,
Die, lächelnd, glüht' in ihren heil'gen Augen.
»Verwundre dich nicht, wenn ich lächle,« sprach sie,
»Ob deines kind'schen Einfalls, da den Fuß er
Noch auf die Wahrheit nicht zu setzen waget,
Nein, du dich, wie du pflegst, nach Leerem wendest.
Was du erblickst, sind wirkliche Substanzen,
Hierher ob Mangels an Gelübd' versetzet.
Drum sprich mit ihnen, höre sie und glaube;
Denn das wahrhaft'ge Licht, das sie befriedigt,
Läßt nimmermehr den Fuß von sich sie kehren.«
Und ich zum Schatten, der zumeist begierig
Mit mir zu sprechen schien jetzt, hin mich wendend,
Begann, wie wen zu großer Wunsch durchbebet:
›O wohlerschaffner Geist, der du genießest
Die Süßigkeit am Strahl des ew'gen Lebens,
Die ungekostet nimmer wird begriffen;
Erfreulich wird mir's sein, wenn deinen Namen
Und euer Los du mir gewährst zu wissen.‹
Drauf jene willig und die Augen lächelnd:
»Gerechtem Wunsch wird nimmer unsre Liebe
Verriegelen das Tor, nicht mehr als jene,
Die ihren ganzen Hof sich ähnlich sehn will.
Ich war auf jener Welt einst Klosterjungfrau;
Und wenn dein Geist mich recht betrachtet, wird mich,
Daß ich jetzt schöner bin, dir nicht verbergen;
Nein, in mir wirst Piccarda du erkennen,
Die, weilend hier mit diesen andern Sel'gen,
Ist selig in der langsamsten der Sphären.
All' unsere Empfindungen, die einzig
Entflammt sind von der Lust des heil'gen Geistes,
Freun sich in Harmonie mit seiner Ordnung;
Und dieses Los, das so tief unten scheinet,
Ward uns gegeben, weil versäumet unser
Gelübd' und ungeübt in einem Punkt blieb.«
Drauf ich: ›In eurem wunderbaren Antlitz
Erglänzt, ich weiß nicht wie, ein göttlich Etwas,
Das euch verwandelt von dem frühern Eindruck.
Darum war ich nicht schnell, mich zu erinnern.
Allein jetzt hilft mir das, was du mir sagest,
So daß mir wird geläuf'ger das Erkennen.
Doch sage mir: Ihr, die ihr hier beglückt seid,
Begehrt ihr wohl nach einem höhern Orte,
Um mehr zu schaun und Freunde mehr zu werden?‹
Ein wenig lächelnd nebst den andern Schatten,
Antwortete sodann sie mir so freudig,
Als glühe sie von Lieb' im ersten Feuer:
»O Bruder, unsern Willen hält in Ruhe
Der Liebe Kraft, die nur, was wir besitzen,
Uns wollen läßt und nach nichts anderm dürsten.
Wenn wir uns sehnten, Höhere zu werden,
So wären unsre Wünsche nicht im Einklang
Mit dessen Willen, der uns hier gesondert,
Was, wie du siehst, nicht diese Kreise fassen,
Wenn's hier notwendig ist, zu sein in Liebe,
Und du auf ihre Wesenheit wohl achtest;
Nein, zu der Form des Seligseins gehört es,
Sich innerhalb des, was Gott will, zu halten,
So daß all unsre Willen einer werden.
Drum wie wir durch dies Reich von Grad zu Grad sind,
Gefällt's dem ganzen Reich und dessen König,
Der uns an seinem Wollen Lust läßt finden.
Und unser Friede ist sein Wille; er ist
Das Meer, zu dem sich alles hinbeweget,
Was er erschafft und was Natur hervorbringt.«
Da ward mir's klar, wie jede Stätt' im Himmel
Ist Paradies, wenn auch auf gleiche Weise
Des höchsten Gutes Gnade drauf nicht tauet.
Doch wie's geschieht, wenn, statt von einer Speise,
Man Lust annoch behält nach einer andern,
Daß diese man verlangt, für jene danket,
So macht' ich's jetzo durch Gebärd' und Worte,
Welch ein Geweb' es sei, von ihr zu hören,
Draus bis zu End' sie nicht das Schiff gezogen.
»Vollkommnes Leben, hehr Verdienst beseligt
Ein Weib mehr droben,« sprach sie, »dessen Norm nach
Man drunten Kleid und Schlei'r auf eurer Welt trägt,
Daß bis zum Tod man wachend weil' und schlafend
Beim Bräutigam, der kein Gelübd' verschmähet,
Das Lieb' im Einklang beut mit seinem Willen.
Ihr nachzufolgen, floh in jungen Jahren
Ich aus der Welt und hüllt' in ihr Gewand mich,
Zu ihres Ordens Wandel mich verpflichtend.
Doch Männer dann, an Böses mehr als Gutes
Gewöhnt, entrissen mich dem süßen Kloster;
Gott weiß es, wie mein Leben dann gewesen.
Und jener andre Glanz, der sich dir zeiget
Auf meiner rechten Seit' und mit der ganzen
Lichtfülle unsrer Sphäre sich entzündet,
Läßt, was von mir ich sprach, von sich auch gelten.
Auch sie war Nonn', und ihr auch ward vom Haupte
Der Schatten so geraubt der heil'gen Binde.
Doch, da sie zu der Welt gekehret worden,
So ihrem Wunsch als guter Sitt' entgegen,
Warf sie doch nie von sich des Herzens Schleier.
Die Lichtgestalt ist diese jener großen
Konstanze, die von Schwabens zweitem Sturmwind
Den dritten hat, die letzte Macht, geboren.«
So sprach zu mir sie und begann drauf »Ave
Maria«
zu singen, und im Singen schwand sie,
Gleichwie ein schweres Ding in tiefem Wasser.
Mein Auge, das, so lang' es ihm noch möglich,
Gefolgt ihr war, kehrt', als es sie verloren,
Zum Ziele sich des größeren Verlangens
Und wendete ganz hin sich nach Beatrix;
Doch diese blitzt' in das Gesicht mir also,
Daß es im Anfang nicht ertrug mein Auge,
Und dies ließ säumiger mich sein im Fragen.

Vierter Gesang

Im Mittel zweier Speisen, gleich bewegend
Und gleich entfernt, stürb' Hungers eh' der freie
Mensch, als daß ein' er sich zum Munde führte.
So blieb' ein Lamm stehn zwischen zweier Wölfe
Grausamer Gier, gleichmäßig beide fürchtend;
Ein Hund so zwischen zweien Damhirschkühen.
Drum, wenn, von meinen Zweifeln gleicherweise
Gedrängt, ich schwieg, mag ich mich drob nicht schelten,
Noch preisen, da's Notwendigkeit so heischte.
Ich schwieg, allein im Angesicht gemalet
Trug meinen Wunsch ich und mit ihm das Fragen,
Viel glühender als durch die laute Rede.
Beatrix tat, wie Daniel getan hat,
Nabuchodonosor den Zorn zu stillen,
Der ungerechterweis' ihn grausam machte,
Und sprach: »Wohl seh' ich, wie dich nach sich ziehet
So der wie jener Wunsch, drob dein Bedürfen,
Sich selber bindend, nicht heraus kann wehen.
Du denkst so: wenn der gute Wille dauert,
Aus welchem Grund kann anderer Gewalttat
Das Maß mir des Verdienstes dann vermindern?
Auch gibt zum Zweifeln Stoff dir, daß es scheinet,
Als ob im Einklang mit der Meinung Plato's
Zurück die Seelen zu den Sternen kehrten.
Dies sind die beiden Fragen, die dein Wollen
Gleichmäßig drängen; drum will ich erst von jener
Ich handeln, die am meisten hat des Herben.
Der Seraphim selbst, der zumeist in Gott lebt,
Samuel, Moyses, und wen du von beiden
Johannes wählst, ja, auch Maria, sag' ich,
Sie thronten nicht in einem andern Himmel,
Als diese Geister, die dir jüngst erschienen,
Noch hat mehr oder wen'ger Jahr' ihr Weilen.
Nein, alle schmücken sie den ersten Umkreis
Und haben unterschiedlich süßes Leben,
Den ew'gen Hauch mehr oder minder fühlend.
Hier zeigten sie sich, nicht weil diese Sphäre
Für sie beschieden ward, nein, als ein Zeichen
Des weniger gestiegnen Himmelslebens.
So muß zu euerem Verstand man sprechen,
Weil nur vom Sinnlichen er kann entnehmen,
Was er dann würdig macht des Intellektes.
Deshalb läßt sich zu euern Fähigkeiten
Die Schrift herab, und schreibet Füß' und Hände
Gott zu und meint dabei doch etwas andres;
Die heil'ge Kirch' auch stellt mit Menschenantlitz
Euch Michael und Gabriel vor Augen
Und jenen, der Tobias wieder heilte.
Das, was Timäus in betreff der Seelen
Behauptet, ist nicht gleich dem, was man hier sieht,
Weil er's zu meinen scheint, wie er's gesprochen.
Zu ihrem Stern, sagt er, kehr' heim die Seele,
Und glaubt, von ihm sei abgetrennt sie worden,
Als die Natur zur Form sie hat gegeben;
Allein vielleicht ist anders seine Meinung
Beschaffen, als das Wort klingt, und wohl könnte
Sein Sinn so sein, daß er nicht zu belächeln.
Meint er, es kehre zu den Sternen ihres
Einflusses Ehr' und Tadel heim, so möchte
In etwas Wahres wohl sein Bogen treffen.
Dies mißverstandene Prinzip verführte
Einst schier die ganze Welt, daß sie dahin kam,
Mars, Jupiter, Merkurius zu vergöttern.
Der andere Zweifel, welcher dich beweget,
Hat mindres Gift in sich, weil seine Bosheit
Dich nicht aus meiner Näh' entführen könnte;
Daß Unrecht in der Menschen Augen unsre
Gerechtigkeit erscheinet, ist zum Glauben
Auffordrung, nicht zu ketz'rischer Verruchtheit.
Allein weil eure Fassungskraft in diese
Wahrheit gar wohl vermag hineinzudringen,
Will ich, wie du es wünschest, dich befried'gen.
Wenn das Gewalt ist, wenn, der sie erduldet,
In keinem Stück dem mitwirkt, der Gewalt übt,
So sind durch sie nicht schuldfrei diese Seelen;
Denn nicht löscht man, wenn er nicht will, den Willen,
Nein, dem Naturtrieb tut er's gleich des Feuers,
Ob tausendmal Gewalt ihn ab auch lenke;
Drum, wenn er nachgibt, sei's viel oder wenig,
So folgt er der Gewalt, und so auch diese,
Da sie zum heil'gen Ort heimkehren konnten.
Wenn unversehrt ihr Wollen war' gewesen,
Wie das, was Lorenz festhielt auf dem Roste,
Und Strenge gab für seine Hand dem Mucius,
So hätte sie's, sobald sie frei, des Weges
Zurückgetrieben, drauf entführt sie worden;
Doch ein so sichrer Will' ist allzuselten.
Durch diese Worte, wenn du, wie sich's ziemet,
Sie aufnahmst, ist vernichtet das Bedenken,
Das öfters wohl dich noch belästigt hätte.
Doch jetzt sperrt dir den Weg ein andrer Engpaß
Vor deinen Augen, so daß durch dich selber
Du nicht herauskäm'st; eh' würd'st du ermüden.
Ich hab' als sicher dir ins Haupt befestigt,
Daß nimmermehr ein sel'ger Geist kann lügen,
Weil er der ersten Wahrheit immer nah' ist;
Und von Piccarda konntest dann du hören,
Daß Liebe zu dem Schlei'r bewahrt Konstanze,
So daß sie mir hier scheint zu widersprechen.
Gar öfters schon, o Bruder, ist's geschehen,
Daß, um Gefahr zu meiden, wenn auch ungern,
Man das getan, was sich zu tun nicht ziemte;
So wie Alkmäon, der, darum gebeten,
Vom Vater, tötete die eigne Mutter,
Um nicht unfromm zu sein, ruchlos geworden.
Dies ist der Punkt, den du durchdenken mögest.
Denn die Gewalt mischt sich dem Wollen also,
Daß unentschuldbar die Beleidigungen.
Der Will' an sich nicht willigt in das Übel,
Doch willigt insoweit er, als er fürchtet,
Durch Weigerung in größtes Leid zu fallen.
Darum, wenn also sich Piccarda ausdrückt,
Meint sie den Willen an sich selbst, ich aber
Den andern, so daß wahr zugleich wir sprechen.«
So war das Wallen jenes heil'gen Flusses,
Dem Quell, draus jede Wahrheit kommt, entspringend,
So setzt's in Frieden den und jenen Wunsch mir.
›0 Liebe des Urliebenden,‹ begann ich,
›O Göttliche, die so mich überströmet
Und wärmt, daß sie mich mehr und mehr belebet,
So tief ist mein Gefühl nicht, daß es gnüge,
Um Gabe dir für Gabe darzubringen;
Doch er, der sieht und kann, erfülle solches!
Wohl seh' ich ein, daß nie gesättigt unser
Verstand wird, wenn das Wahr' ihn nicht erleuchtet,
Aus dessen Umkreis keine Wahrheit schweifet.
Er ruht darin, gleichwie ein Wild im Dickicht,
Wie er's erreicht hat, und erreichen kann er's;
Sonst wäre fruchtlos ja jedwedes Wünschen.
Drum sprießt, dem Schößling gleich, am Fuß der Wahrheit
Der Zweifel auf, und unsere Natur ist's,
Die uns zum Gipfel treibt, von Höh' zu Höhe.
Dies fordert auf mich, dies gibt mir die Kühnheit,
Mit Ehrfurcht euch, o Herrin, zu befragen
Ob einer andern Wahrheit, die mir dunkel.
Gern wüßt' ich, ob man für verfehlt' Gelübde
Durch andres gute Werk so kann genug tun,
Daß es zu leicht nicht wieg' auf eurer Waage.‹
Beatrix blickte nach mir hin, mit Augen,
Von Liebesfunken angefüllt, so göttlich,
Daß ich, zu schwach an Kraft, mich rückwärts wandte
Und wie verloren stand, gesenkten Blickes.

Fünfter Gesang

»Wenn ich entflammt von Liebesglut dir scheine
In höh'rer Weis', als man es sieht auf Erden,
So daß ich deiner Augen Kraft besiege,
Nicht staune drob; denn von vollkommnem Schauen
Kommt solches her, das, wie's erfasset, also
Den Fuß bewegt auch im erfaßten Guten.
Gar wohl erseh' ich es, wie schon erglänzet
Das ew'ge Licht in deinem Intellekte,
Das, auch gesehn bloß, Liebe stets entzündet;
Und wenn selbst etwas andres eure Liebe
Verführt, ist's nichts als eine Spur von jenem,
Das, mangelhaft erkannt nur, durch hier schimmert.
Ob man durch andern Dienst so viel erstatten
Kann für verfehlt' Gelübde, willst du wissen,
Daß drob die Seele sicher sei vor Anspruch?«
Also begann Beatrix dieses Lied jetzt,
Und dem gleich, der nicht trennet seine Rede,
Fuhr so sie fort in ihrem heil'gen Vortrag:
»Die größte Gabe, die uns, schaffend, Gottes
Freigebigkeit gab, und die seiner Güte
Zumeist entspricht, und die er schätzt am höchsten,
Ist unsres Willens Freiheit doch, mit welcher
Die sämtlichen vernünftigen Geschöpfe,
Und sie allein, begabet sind und waren.
Jetzt wird dir, wenn von hier du weiter schließest,
Der hohe Wert sich des Gelübdes zeigen,
Das so ist, daß Gott zustimmt, wenn du zustimmst;
Denn im Vertrag, den Gott und Menschen schließen,
Bringt jenen Schatz man, wie ich ihn genannt dir,
Und zwar durch seinen eignen Akt zum Opfer.
Was also kann man als Ersatz dann bieten?
Meinst wohl zu brauchen du, was du geopfert,
So willst du gutes Werk tun mit Geraubtem.
Des Hauptpunkts bist du sicher jetzt; doch weil hier
Die heil'ge Kirche dispensiert, was gegen
Die Wahrheit scheinet, die ich dir enthüllet,
Mußt noch etwas am Tisch du sitzen bleiben,
Weil jene schwere Kost, die du genossen,
Noch Hilf' erheischt aus deiner Vorratskammer.
Den Geist erschließe dem, was ich dir künde,
Und heb' es auf drin; denn nicht Wissenschaft ist's,
Gehört zu haben, ohne zu behalten.
Zwei Dinge sind zu solches Opfers Wesen
Erforderlich: das ein' ist das, woraus man
Es bringt, das andre die Übereinkunft.
Die letztere wird nie getilgt, als wenn sie
Erfüllet ist, und in Betracht derselben
Ist oben so bestimmt gesprochen worden.
Darum war unerläßlich den Hebräern
Das Opfern selbst, wenn auch so manches Opfer,
Wie du wohl wissen mußt, verwandelt wurde.
Das andre, was als Stoff dir ward gezeiget,
Kann solcher Art wohl sein, daß man nicht fehl geht,
Wenn es mit anderm Stoff wird umgetauschet.
Doch seiner Schultern Last verwandle niemand
Aus eigner Willkür, ohne daß der gelbe
Und weiße Schlüssel umgedrehet worden;
Und jegliche Verwandlung glaube töricht,
Wenn das Erlassne in dem Übernommnen,
Nicht wie die Vier ist in der Sechs enthalten.
Drum, wenn etwas so schwer durch seinen Wert wiegt.
Daß es jedwede Schale niederziehet,
Kann andre Zahlung nicht dafür genug tun.
Scherzt nicht, ihr Sterblichen, mit dem Gelübde,
Seid treu und legt's nicht ab verkehrterweise,
Wie Jephtha tat mit seiner Erstlingsgabe,
Dem's besser ziemt' ›ich tat nicht recht‹ zu sagen,
Als worttreu Schlimmeres zu tun. Und töricht
Findst du auch so der Griechen großen Führer,
Darob ihr schönes Antlitz Iphigenia
Beweint und weinen machte Weis' und Toren,
Wenn sie von solchem Götterdienst vernahmen.
Bewegt, ihr Christen, euch gewicht'g'ren Schrittes,
Seid nicht der Feder gleich, die jeder Wind treibt,
Und glaubt nicht, daß euch jeglich Wasser wasche.
Ihr habt das Alt' und Neue Testament ja!
Der Kirche Hirten habt ihr, der euch führet!
Daran laßt euch zu eurem Heile gnügen.
Wenn schnöde Habgier euch ein andres zuruft,
So seid ihr Menschen, nicht sinnlose Schafe,
Daß euch der Jud' auslach' in eurer Mitte.
Macht es nicht einem Lamm gleich, das, verlassend
Der Mutter Milch, einfältig und verwegen,
Nach eigner Lust umherspringt sich zum Schaden.«
Also zu mir Beatrix, wie ich's schreibe;
Dann wandte sie, voll Sehnsucht, hin sich wieder
Zur Gegend, wo die Welt ist lebensvoller.
Ihr Schweigen, ihres Angesichts Verwandlung,
Sie machten den begier'gen Geist verstummen,
Der neue Fragen schon zu Händen hatte.
Und einem Pfeil vergleichbar, der ins Ziel trifft,
Bevor sich noch beruhigt hat die Sehne,
Also schon eilten hin im zweiten Reich wir.
Hier sah ich meine Herrin also fröhlich,
Als in das Licht sie dieses Sternes eintrat,
Daß leuchtender selbst der Planet drob wurde.
Und wenn der Stern sich wandelt und gelächelt,
Wie mußt' ich werden, der ich von Natur aus
Veränderlich doch bin in aller Weise!
Gleichwie in einem Fischteich, klar und ruhig,
Dem, was von außen kommt, die Fische zuziehn,
Indem sie solches für ihr Futter halten;
Also sah ich wohl mehr denn tausend Leuchten
Uns zuziehn, und in jeglicher vernahm man:
»Sieh hier, wer unser Lieben wird vermehren!«
Und alsobald, wie jede sich uns nahte,
Sah man, wie voll der Schatten war von Wonne,
An hellem Blitzesglanz, der ihm entstrahlte.
Bedenk', o Leser, wenn, was jetzt beginnet,
Nicht weiter vorwärts ging, wie, mehr zu wissen,
Du ängstliches Bedürfen würd'st empfinden.
Und sehn wirst du von selbst, wie ich durch jene
Von ihrer Lage Wunsch bekam zu hören,
Sobald sie meinem Blick sich offenbaret.
»O du zum Heil Geborener, dem Gnade
Gewährt, des ewigen Triumphes Throne
Zu schaun, eh' noch den Kriegsdienst du verlassen;
Vom Licht, verbreitet überall im Himmel,
Erglühn wir; drum, wenn über uns du wünschest
Dich aufzuklären, sättige nach Lust dich!«
So ward von einem jener frommen Geister
Zu mir gesagt, und von Beatrix: »Sprich, sprich
Mit Zuversicht, wie Göttern ihnen glaubend!«
›Wohl seh' ich, wie du dich mit eignem Lichte
Umspinnst, und daß du's aus den Augen ziehest,
Darum sie blitzen auch, sobald du lächelst;
Doch, wer du bist, nicht weiß ich, würd'ge Seele,
Noch auch warum du hast den Grad der Sphäre,
Die Sterblichen durch fremden Strahl verhüllt wird.‹
So sagt' ich, grade nach dem Licht gewendet,
Das erst mich angesprochen; drob um vieles
Es leuchtender noch ward, als es gewesen.
Gleichwie die Sonne, die sich selbst verschleiert
Durch zuviel Licht, sobald die dichten Dünste,
Die's erst gedämpft, verzehrt sind von der Wärme;
Also verbarg sich mir vor größrer Wonne
Die heilige Gestalt im eignen Lichte
Und gab, dicht verhüllet, in der Weise
Mir Antwort, wie der folgende Gesang singt.

Sechster Gesang

Da Konstantin gewandt den Adler gegen
Den Himmelslauf, dem dieser nachgezogen,
Dem Alten folgend, der geraubt Lavinen,
Verhielt sich zweimal hundert Jahr' und länger
Der Vogel Gottes an Europas Ende,
Dem Berge nah, draus er zuerst entkommen;
Und unterm Schatten dort der heil'gen Flügel
Lenkt er die Welt, von Hand zu Hand gelangend,
Und kam so durch den Wechsel in die meine.
Cäsar war ich und bin Justinianus,
Der der Urliebe Rat nach, die ich fühle,
Aus dem Gesetz schied, was zu viel und leer war;
Und eh' ich auf dies Werk den Sinn gerichtet,
Glaubt' ich, in Christus sei nicht mehr als eine
Natur, mit solchem Glauben mich begnügend.
Doch der gebenedeite Agapetus,
Der höchster Hirt war, leitete mich wieder
Der echten Lehre zu durch seine Worte.
Ich glaubt' ihm, und den Inhalt seiner Worte
Seh' ich jetzt klar, wie du, daß eines wahr ist,
Das andre falsch, bei jedem Widerspruche.
Sobald der Kirche nach den Schritt ich lenkte,
Gefiel's aus Gnaden Gott, mich zu begeistern
Zum hohen Werk, und ihm ergab ich ganz mich,
Die Waffen meinem Belisar vertrauend.
Dem so vereinet war des Himmels Rechte,
Daß es ein Zeichen, still mich selbst zu halten.
Allhier jetzt knüpft an deine erste Frage
Sich meine Antwort; doch ihr Inhalt drängt mich,
Annoch mit einem Zusatz fortzufahren,
Damit du sehest, mit wie vielem Rechte
Entgegenstrebet dem hochheil'gen Zeichen,
Wer sich's aneignen will und wer's bekämpfet.
Sieh, wie viel Tugend es der Ehrfurcht würdig
Gemacht hat, und wie jen' am Tag begonnen,
Da Pallas starb, die Herrschaft ihm zu geben.
Du weißt, wie es in Alba hat gewohnet
Dreihundert Jahr' und mehr, bis zu der Stunde,
Da wieder drum gekämpfet drei mit dreien;
Weißt, was es tat vom Weh' sabin'scher Frauen
Bis zu Lucretias Schmerz, die Nachbarvölker
Rings unter sieben Königen besiegend;
Weißt, was es tat, von den gepriesnen Römer
Getragen gegen Brennus, gegen Pyrrhus,
Gen andre Fürsten und Genossenschaften;
Drob Quinctius, nach dem ungekämmten Haupthaar
Benannt, Torquatus, Decier und Fabier
Den Ruf erlangt, den ich mit Lust betrachte.
Es schlug den Stolz der Araber zu Boden,
Die hinter Hannibal die Alpenwände,
Davon du, Po, herabfällst, überschritten.
Darunter siegten Scipio und Pompejus
Als Jüngling', und dem Hügel schien es bitter,
An dessen Fuße du geboren worden.
Dann, nah der Zeit, als seiner heitern Weise
Der Himmel wieder ganz zuführen wollte
Die Welt, ergriff es Cäsar nach Roms Willen,
Und was es tat vom Varus bis zum Rhenus,
Das sah Isara, sah Sequan' und Arar
Und jedes Tal, draus sich der Rhodan füllet.
Was folgt', als, aus Ravenna dann es ziehend,
Den Rubicon durchschritt, war solches Fluges,
Daß Zung' ihm nicht, noch Feder folgen könnte.
Hin gegen Spanien wandt' es seine Scharen,
Dann gen Durazz', und macht Pharsalien zittern,
So daß am heißen Nil man Schmerz drob fühlte.
Antandros und den Simois sah's wieder,
Woher es kam, und Hektors Grab und schwang sich
Dann wieder auf zu Ptolomäus' Schaden;
Von dort kam's einem Blitz gleich gegen Juba,
Sich wieder dann nach eurem Abend wendend,
Wo's nur der Pompejaner Tuba hörte.
Was mit dem nächsten Träger es getan hat,
Drob kläfft mit Brutus Cassius in der Hölle,
Und Mutina mußt' und Perusia klagen.
Kleopatra weint drob auch, die Betrübte,
Die, sich vor jenem rettend, durch die Schlange
Den schwarzen jähen Tod sich selbst gegeben.
Mit ihm lief's bis zum Strand des Roten Meeres,
Mit ihm setzt' es die Welt in solchen Frieden,
Daß Janus' Tempel ist geschlossen worden.
Doch was das Zeichen, das mich treibt zu reden,
Getan erst hatt', und was es tun noch sollte,
Ob des ihm unterworfnen ird'schen Reiches,
Das wird gering und dunkel nur erscheinen,
Wenn in des dritten Cäsars Hand man solches
Mit klarem Blick und reinem Sinn betrachtet;
Denn die Gerechtigkeit gab, die lebend'ge,
Die mich belebt, in des Erwähnten Hand ihm
Den Ruhm, zu üben ihres Zornes Rache.
Jetzt staun' ob des, was ich dir wiederhole:
Mit Titus eilte dann es, an der Rache
Der alten Sünde Rache zu vollstrecken.
Und als der longobard'sche Zahn benagte
Die heil'ge Kirche, kam, von seinen Flügeln
Bedeckt, siegreich zur Hilf' ihr Karl der Große,
Urteilen kannst du jetzt wohl über jene,
Die droben ich verklagt, und ihre Fehler,
Drin aller eurer Leiden Grund zu finden.
Dem Zeichen setzt des Reichs die gelben Lilien
Entgegen der, und der macht's zum Parteigut,
So daß, wer mehr sich irrt, schwer zu entscheiden
Treibt, Ghibellinen, treibet unter anderm
Feldzeichen eure Künste, denn schlecht folgt ihm,
Wer immer von Gerechtigkeit es trennet.
Und niederschlag' es jener neue Karl nicht
Mit seinen Guelphen, nein, die Klauen fürcht' er,
Die höhern Löwen schon gerauft die Mähne.
Gar öfters haben schon geweint die Söhne
Durch Schuld des Vaters, und nicht glaube jener,
Daß Gott das Wappen tausch' um seine Lilien.
Von solchen guten Geistern ist geschmücket
Der kleine Stern hier, welche tätig waren,
Damit sie Ehr' und Ruhm erlangen möchten;
Und wenn auf solche sich die Wünsche richten,
Muß dennoch, abgelenkt so, minder lebhaft
Der Strahl der wahren Liebe aufwärts steigen.
Doch im Vergleichen unsers Lohns mit unsern
Verdiensten liegt ein Teil auch unsrer Wonne,
Weil wir ihn kleiner nicht, noch größer sehen;
Drum sänftiget in uns auch die lebend'ge
Gerechtigkeit den Sinn so, daß er nimmer
Zu irgend Bösem kann verkehret werden.
Verschiedne Stimmen geben süße Klänge;
Verschiedne Stufen unsers Lebens bilden
So süße Harmonie in diesen Kreisen.
Und innerhalb der gegenwärt'gen Perle
Erglänzt das Licht Romée's hier, dessen Taten
So groß und schön, als schlecht vergolten waren.
Allein den Provenzalen, seinen Gegnern,
Vergeht das Lachen bald, denn schlecht fährt jener,
Der andrer Rechttun sich für Schaden achtet.
Vier Töchter hatt', und alle Königinnen,
Graf Raimund Berengar, und solches hatt' ihm
Romée verschafft, ein demutsvoller Pilger.
Und dann bewegen ihn die scheelen Worte,
Von dem Gerechten Rechenschaft zu fordern,
Der ihm statt zehen fünf und sieben anwies.
Von dannen ging er arm dann und bejahret,
Und wüßte nur die Welt, welch Herz er hatte,
Als er sein Leben Stück für Stück erbettelt,
Sie lobt' ihn sehr und würde mehr ihn loben.«

Siebenter Gesang

»Osanna sanctus Deus Sabaoth,
Superillustrans claritate tua
Felices ignes horum malahoth!«
O heiliger Gott der Heeresmacht (Zebaoth)
Überstrahlend mit deinem Glänze
Die seligen Feuer dieser Scharen.
So wieder sich zu seinem Umschwung wendend,
Sah jenes Wesen ich anjetzo singen,
Auf dessen Haupt ein Doppelstrahl sich einet;
Und jenes und die andern, sich bewegend
Zu ihrem Tanz, blitzschnellen Funken ähnlich,
Entschwanden mir durch plötzliches Entfernen.
Ich zweifelte, und ›Sag' ihr's sag' ihr's,‹ sprach ich
Im Innern, ›sag' es,‹ sprach ich, ›meiner Herrin,
Daß sie mit süßen Tropfen mich entdürste;‹
Doch jene Ehrfurcht, die durch B und X schon
Sich meiner ganz bemächtigt, beugte wieder
Zu Boden mich gleich jenem, der in Schlaf fällt.
Nur kurze Zeit ließ mich so stehn Beatrix
Und fing dann an, zustrahlend mir ein Lächeln,
Darob man selbst im Feuer glücklich würde:
»Nach meiner unfehlbaren Meinung hältst du,
Wie wohl bestraft gerechterweise würde
Gerechte Rache, fest dir in Gedanken;
Doch ich will alsobald den Sinn dir lösen,
Und du hör' zu, denn meine Worte werden
Mit einem großen Ausspruch dich beschenken
Den Zaum nicht duldend an der Kraft des Wollens,
Der ihm zum Heil, verdammte, sich verdammend,
Sein ganz Geschlecht der Mann, der nicht geboren;
Darob die Menscheit krank gelegen viele
Jahrhunderte hindurch in großem Jrrtum,
Bis dem Wort Gottes dort hinabzusteigen
Gefiel, wo's die Natur, die ihrem Schöpfer
Entfremdet war, persönlich sich vereinte
Durch einen Akt nur ihrer ew'gen Liebe.
Dein Antlitz richt' auf das jetzt, was ich sage:
Vereint mit ihrem Schöpfer war nun diese
Natur zwar gut und rein, wie sie geschaffen,
Doch an sich selbst war dennoch sie verbannet
Vom Paradies, weil sie sich abgewendet
Vom Weg der Wahrheit und von ihrem Leben.
Wenn man die Strafe, die das Kreuz gereichet,
Drum an die angenommene Natur hält,
Hat keine noch gerechter je verletzet;
Und so war ungerechter keine, wenn man
Auf die Person blickt, die sie hat erlitten,
Drin angenommen solcherlei Natur war.
Darum hatt' eine Tat verschiedne Folgen,
Daß Gott ein Tod gefiel und auch den Juden:
Die Erde bebt', aufging darob der Himmel.
Anjetzo darf's dir nicht mehr schwierig scheinen,
Wenn ich gesaget, daß gerechte Rache
Dann von gerechtem Hof gerochen worden.
Doch jetzt seh' ich, wie sich in einem Knoten
Versteiget von Gedanken zu Gedanken
Dein Geist, draus er mit Sehnsucht harrt auf Losung.
Du sagst: ›Wohl unterscheid' ich, was ich höre,
Doch warum solche Weise Gott zu unsrer
Erlösung üben wollte, bleibt mir dunkel.‹
Sotaner Ratschluß, Bruder, ist verborgen
Den Augen aller jener, deren Geist noch
Nicht ist erstarket in der Liebe Flamme.
Und in der Tat, weil man nach jenem Ziel hin
Viel schaut und wenig noch erblickt, verkünd' ich,
Warum am würdigsten war diese Weise.
Die Güte Gottes, die, jedwede Mißgunst
Verschmäh'nd, aus sich hervor die eigne Glut sprüht,
Entwickelt ihre ew'gen Herrlichkeiten.
Das, was von ihr unmittelbar entträufelt,
Hat dann kein End' auch, weil sich nie verändert
Ihr Eindruck, wenn sie selber hat gesiegelt.
Das, was von ihr unmittelbar herabfließt,
Ist ganz und gar auch frei, weil es der Macht nicht
Der neugeschaffnen Dinge unterlieget.
Es gleicht ihr mehr, und drum gefällt's ihr mehr auch,
Weil jene heil'ge Glut, die alle Dinge
Ausstrahlt, in ähnlichern lebend'ger lodert.
Durch diese Dinge sämtlich wird bevorteilt
Das menschliche Geschöpf, und fehlt das eine,
So muß von seinem Adel es entsinken.
Die Sünd' allein beraubet es der Freiheit
Und macht unähnlich es dem höchsten Gute,
So daß es minder glänzt in seinem Lichte,
Und nimmer kehrt in seine Würd' es wieder,
Wenn es nicht ausfüllt, was die Schuld geleert hat,
Für schlimm' Gelüste durch gerechte Strafen.
Als ganz in ihrer Wurzel hat gesündigt
Die menschliche Natur, ward dieser Würden
So wie des Paradieses sie beraubet;
Und herzustellen war sie nicht, wenn scharf du
Aufmerken willst, auf irgendeinem Wege,
Ohn' eine dieser Furten zu durchgehen,
Daß Gott allein aus Gütigkeit entweder
Verziehn hätt', oder aus sich selbst die Menschen
Genug getan für ihre Torheit hätten.
Heft' jetzt die Augen innerhalb des Abgrunds
Des ew'gen Rats, so viel als es dir möglich,
Dich angestrengt an meine Worte haltend.
Nicht konnte inerhalb der eignen Grenzen
Der Mensch genug tun, weil er nicht, durch Demut
Gehorchend, dann so weit herabgehn konnt', als
Er ungehorsam erst zu steigen suchte;
Und solches ist der Grund, warum's dem Menschen
Genug zu tun verwehrt war aus sich selber.
Gott also war es, der durch seine Wege
Zu unversehrtem Sein erneuern mußte
Den Menschen, sei's durch einen, sei's durch beide.
Doch weil um so genehmer ist die Handlung
Des Handelnden, je mehr in ihr sich darstellt
Des Herzens Trefflichkeit, draus sie hervorging,
War's göttlicher Vollkommenheit, die Form ist
Der Welt, gefällig, auf all' ihren Wegen
Vorschreitend, wiederum euch aufzurichten;
Und zwischen letzter Nacht und erstem Tage
Gab's herrlicher und hehrer kein Verfahren
Durch diesen oder jenen, noch wird's geben.
Denn gütiger war Gott, sich selber schenkend,
Daß er den Menschen aufzustehn befäh'ge,
Als wenn er aus sich selbst vergeben hätte.
Und der Gerechtigkeit war jede andre
Weis' ungenügend, hätte der Sohn Gottes
Sich nicht herabgelassen, Fleisch zu werden.
Doch, jetzt dir jeden Wunsch recht zu erfüllen
Kehr' ich, dir eine Stelle zu erläutern,
Zurück, damit du hier seh'st, wie ich sehe.
Du sagst: ›Ich seh' die Luft, ich seh' das Feuer,
Seh' Erd' und Wasser und all ihre Mischung
Sich dem Verderbnis nahn und kurz nur dauern,
Und diese Dinge sind doch auch Geschöpfe,
Drum, wäre wahr, was ich gesagt, so sollten
Sie sicher sein vor jeglichem Verderben.‹
Die Engel, Bruder, und das Land der Klarheit,
In dem du bist, kann man geschaffen nennen,
So wie sie sind in ihrem ganzen Wesen;
Allein die Elemente, die du nanntest,
Und jene Dinge, die daraus entstehen,
Sind durch geschaffne Kraft gebildet worden.
Geschaffen war der Stoff, den sie besitzen,
Geschaffen war die Bildungskraft in jenen
Gestirnen, die rings um dieselben wandeln.
Die Seele jedes Tiers und jeder Pflanze
Entziehet aus befähigtem Gemische
Der Strahl und die Bewegung heil'ger Lichter.
Doch unser Leben haucht unmittelbar aus
Die höchste Gütigkeit und füllt mit Lieb' es
Zu sich, so daß es stets nach ihr sich sehnet.
Und unsre Auferstehung auch vermagst du
Hieraus zu folgern, wenn zurück du denkest,
Wie damals ward das Fleisch erzeugt des Menschen,
Als unser erstes Elternpaar erzeugt ward.«

Achter Gesang

Die Welt pflegt' einst zu glauben, sich gefährdend,
Die schöne Cypris strahlte die verkehrte
Lieb' aus, sich dreh'nd im dritten Epizyklus;
Darum erzeigten ihr allein nicht Ehre,
Mit Opfern ihr und Weihgesängen dienend,
Die alten Völker in dem alten Irrtum;
Nein, nebst Dione ehrten sie Cupido,
Als Mutter sie und ihn als Sohn, und sagten,
Daß er in Didos Schoß gesessen habe.
Von ihr, mit welcher ich beginne, nahmen
Sie nun des Sterns Benennung, der die Sonne
Mit Lust beschaut von vorn bald, bald vom Rücken.
Nicht merkt' ich, wie in ihn ich aufgestiegen,
Doch, daß ich drin, davon gab meine Herrin
Mir Zeugnis, da ich schöner sie sah werden.
Und wie man Funken sieht in einer Flamme,
Und wie man unterscheidet Stimm' in Stimme,
Wenn eine feststeht, eine kommt und gehet,
So sah in diesem Licht ich andre Leuchten
Im Kreis sich drehn mehr oder minder eilend,
Nach ihres ew'gen Schauns Maßgabe, glaub' ich.
Aus kalter Wolk' entstürzten nimmer Winde,
Sei's sichtbar oder nicht, mit solcher Schnelle,
Daß träg sie und gehemmt nicht scheinen würden
Dem, der gesehn die heil'gen Lichter hätte
Uns näher ziehn, das Kreisen unterbrechend,
Das anhub in den hohen Seraphinen.
Und hinter jenen, die zunächst sich zeigten,
Erklang »Osanna« so, daß nimmer nachmals
Ich ohne Wunsch blieb, wieder es zu hören.
Darauf der eine näher zu uns hintrat,
Allein beginnend: »Alle sind bereit wir,
Zu Willen dir, daß unser froh du werdest.
Wir drehn in einem Kreise, eines Kreisens
Und eines Dursts, uns mit den Himmelsfürsten,
Von denen du auf Erden schon gesagt hast:
›Die ihr betrachtend lenkt den dritten Himmel!‹
Und sind so lieberfüllt, daß minder süß nicht,
Dich zu erfreun, ein wenig Ruh' uns sein wird.«
Nach dem sich meine Augen dargeboten
In Ehrfurcht meiner Herrin und dieselbe
Sie ihrethalb versichert und befriedigt,
Wandt' ich sie zu dem Licht, das uns so Großes
Versprochen, und: ›Wer seid ihr, sprecht!‹ von großem
Gefühl bewegt, ertönte meine Stimme.
O wie ich's wachsen sah an Stück und Umfang
Ob jener neuen Wonne, die hinzukam,
Indem ich sprach, annoch zu seiner Wonne!
Verändert so sprach's: »Kurz besaß mich drunten
Die Welt, und hätte mehr sie mich besessen,
So würde viel des Wehs nicht sein, das kommet.
Es hält mich meine Wonne dir verborgen,
Die mir ringsum entstrahlt und mich verhüllet,
Gleich einem Tier, von eigner Seid' umsponnen.
Sehr liebt'st du mich und hattest des wohl Ursach':
Denn wenn ich drunten blieb, so zeigt' ich wahrlich
Von meiner Liebe mehr dir als die Blätter.
Der linke Strand, den Rhodanus bespület,
Nachdem er mit der Sorgue sich gemischt hat.
Erwartete zu seiner Zeit als Herrn mich.
Und jene Spitz' Ausoniens, die mit Bari,
Gaet' und Croton sich beburgt, von dort an,
Wo Tront' und Verde sich ins Meer ergießen.
Es glänzte schon mir an der Stirn die Krone
Des Landes, das der Donaustrom bespület,
Sobald die deutschen Ufer er verlassen.
Trinacria, die Schön', auch, die inmitten
Pachynums und Pelorums, übern Busen,
Dem Not zumeist macht Eurus, dunkel qualmet,
Nicht durch Typhoeus, durch entsteh'nden Schwefel, –
Sie würde ihrer Könige noch harren,
Von Karl durch mich abstammend und von Rudolph,
Wenn schlechtes Regiment, das unterworfne
Bevölkerungen stets betrübt, Palermo
›Stirb, stirb!‹ zu rufen nicht bewogen hätte.
Und säh' mein Bruder dies voraus, so würd' er
Die katalonische habsücht'ge Armut
Schon fliehn, damit er jene nicht beleid'ge;
Denn traun not tut's, daß, sei's er selbst, sein's andre,
Vorkehrung treffen, so daß seinem Fahrzeug,
Das schon beschwert, mehr Last man auf nicht lege.
Sein Wesen, vom freigeb'gen karg entsprossen,
Bedürfte solcher Diener wohl, die nimmer
Sich kümmerten zu legen in die Lade.«
›Dieweil ich glaube, daß die hohe Wonne,
Die mir dein Wort, o mein Gebieter, einflößt,
Dort, wo jedwedes Gut anfängt und endet,
Von dir gesehn wird, wie ich selbst sie sehe,
Freut sie mich mehr, und auch dies ist mir teuer,
Daß du, Gott schauend, solches unterscheidest.
Froh hast du mich gemacht, doch jetzt erklär' mir,
Da mir dein Wort den Zweifel hat erreget,
Wie Bittres kann aus süßem Samen kommen.‹
So ich. Und er zu mir: »Kann eine Wahrheit
Ich zeigen dir, so wirst, wie jetzt den Rücken,
Das Antlitz du zukehren deiner Frage.
Das Gut, das dieses ganze Reich befriedigt
Und dreht, das du ersteigst, läßt seine Vorsicht
Zur Kraft in diesen großen Körpern werden;
Und nicht allein sind die vorhergesehnen
Naturen in dem Geist, der aus sich selber
Vollkommen, nein, sie selbst nebst ihrem Heile.
Darum, wenn immer dieser Bogen schnellet,
Trifft, wohlgestellt, vorhergesehnen Zweck er,
Dem Pfeile gleich, der auf sein Ziel gerichtet.
Wär' dem nicht so, der Himmel, den du wandelst,
Er würde solche Wirkungen erzeugen,
Daß sie Kunstwerke nicht, nein, Trümmer wären;
Und dies kann nicht sein, wenn die Intellekte
Nicht fehlerhaft, die diese Sterne lenken,
Und fehlerhaft der erste, der sie schuf, auch.
Soll ich dir diese Wahrheit mehr erklären?«
Und ich: ›Nicht doch! unmöglich, seh' ich, ist es,
Daß die Natur ermüd' in dem, was nötig.‹
Und jener drauf: »Jetzt sprich, wär's für den Menschen
Auf Erden schlimmer nicht, wenn er nicht Bürger?«
›Gewiß,‹ antwortet ich, ›hier fordr' ich Grund nicht.‹
»Und kann er's sein, wenn man verschiedenartig
Nicht drunten lebet in verschiednen Ämtern?
Nein, wenn euch euer Meister recht berichtet.«
So kam er bis hierher durch Folgerungen;
Dann schloß er so: »Es müssen also eurer
Wirkungen Wurzeln auch verschiedner Art sein.
Darum wird der als Solon, der als Xerxes,
Der als Melchisedek erzeugt, und jener
Als der, so fliegend seinen Sohn verloren.
Die Kreisbewegung der Natur, die Siegel
Dem Wachs der Menscheit ist, treibt ihre Kunst wohl,
Doch unterscheidet nicht ein Haus vom andern.
Daher geschieht's, daß Esau sich im Keime
Von Jakob trennt und von so niederm Vater
Quirinus stammt, daß man dem Mars ihn zuschreibt.
Mit den Erzeugern würde die erzeugte
Natur stets ähnlich ihres Pfades wandeln,
Wenn Gottes Vorsicht hier nicht stärker wäre.
Jetzt steht vor dir, was hinter dir gewesen;
Doch daß du wissest, daß ich dein mich freue,
Will ich dir einen Zusatz bei noch legen.
Stets wird Natur, wenn sie das Schicksal feindlich
Sich findet, gleichwie jeder andre Samen,
Der fern von seinem Boden, schlecht geraten.
Und wenn die Welt dort unten achten wollte
Auf jenen Grund, den die Natur gelegt hat,
Würd', ihm sie folgend, bessre Menschen haben.
Ihr aber schleppet zu dem Klosterleben,
Der da geboren war, das Schwert zu gürten,
Und macht zum König, dem die Predigt ziemte;
Darum entfernt sich eure Spur vom Wege.«

Neunter Gesang

Nachdem dein Karl, o liebliche Clemenza,
Mich aufgeklärt, verkündet' er die Täuschung,
Die seinem Samen widerfahren sollte;
Doch sprach er: »Schweig und laß die Jahre rollen,
So daß ich nichts kann sagen, als daß euern
Nachteilen wird gerechter Jammer folgen.«
Und heimgekehrt schon hatte sich das Leben
Des heil'gen Lichts zur Sonne, die's erfüllet,
Als zu dem Gut, dran jeglich Ding hat Gnüge.
O der getäuschten Seelen, gottvergessnen
Geschöpfe, die, von solchem Gute wendend
Das Herz, nach Eitelkeit die Schläfe richten!
Und sieh, ein anderer aus jenen Schimmern
Kam gegen mich und zeigte durch sein Leuchten
Nach außen, daß er mir gefallen wolle.
Beatrix' Augen, fest auf mich gerichtet,
Versicherten aufs neu' jetzt ihrer teuern
Zustimmung mich zu meinem Wunsch, wie früher.
›O mögst alsbald mein Wollen du erfüllen,
Glücksel'ger Geist,‹ sprach ich, ›und gib Beweis mir,
Daß sich in dir abspiegle, was ich denke!‹
Darauf das Licht, das mir noch unbekannt war,
Aus seiner Tief, aus der es erst gesungen,
Fortfuhr, wie wer am Gutestun sich freuet.
»In jenem Teile des verderbten Landes
Italien, der zwischen dem Rialto
Liegt und der Brenta und der Piave Quellen,
Erhebt ein Hügel sich geringer Höhe,
Von welchem einst herabstieg eine Fackel,
Die rings die Landschaft mächtig angefallen.
Mit ihr bin ich entsproßt aus einer Wurzel;
Cunizza war mein Nam', und hier erglänz' ich,
Weil mich das Licht besiegt hat dieses Sternes.
Doch freudenvoll vergeh' ich meines Loses
Ursach' mir selber jetzt, kein Leid drob fühlend,
Was wohl schwer faßlich eurem Pöbel sein wird.
Von diesem teuern leuchtenden Juwele
Aus unserm Himmel, der zunächst mir stehet,
Blieb großer Ruf zurück, und eh' er hinstirbt,
Muß fünfmal sich dies Hundertjahr erneun noch.
Sieh, ob der Mensch soll trefflich sein, so daß ihm
Vom ersten Leben hinterbleib' ein zweites!
Und solches denkt das gegenwärt'ge Volk nicht,
Das Etsch umschlossen hält und Tagliamento,
Und ob geschlagen auch, bereut es doch nicht.
Doch bald geschieht's, daß Padua an dem Sumpfe
Verfärbt das Wasser, das bespült Vicenza,
Weil widerspenstig ihrer Pflicht die Völker.
Und dort, wo Sil' und Cagnan' sich begleiten,
Herrscht einer jetzt annoch und trägt das Haupt hoch,
Den man zu fahn die Netze schon bereitet.
Auch Feltro wird noch ob der Untat ihres
Verruchten Hirten weinen, die so schändlich,
Daß ähnliches noch nie nach Malta führte.
Es müßte allzubreit die Wanne werden,
Um all das Ferraressche Blut zu fassen,
Und müd', wer's unzenweis verwiegen wollte,
Das dieser güt'ge Priester wird verschenken,
Parteitreu sich zu zeigen, und entsprechen
Der Landessitte werden derlei Gaben.
Dort oben gibt es Spiegel, Thronen sagt ihr,
Von denen Gott uns richtend wiederglänzet,
So daß dergleichen Reden gut uns dünken.«
Hier schwieg sie still und gab mir zu erkennen,
Daß sie auf andres merke, durch das Kreisen,
In das sie wieder, wie vorher, jetzt eintrat.
Die andre Wonne, die mir schon bekannt war,
Ward funkelnd meinem Auge, wie der blasse
Rubin, wenn auf ihn trifft der Strahl der Sonne.
Durch Wonne wird dort oben Glanz erworben
Wie Lächeln hier; doch drunten wird verdunkelt
Der Schatten äußerlich, weil trüb der Geist ist.
›Gott siehet alles, und in ihm vertieft sich
Dein Schaun, glücksel'ger Geist, so daß kein Sehnen
Nach ihm,‹ sprach ich, ›dir dunkel kann verbleiben.
Warum befriediget denn deine Stimme,
Die stets mit dem Gesang der frommen Flammen,
Die aus sechs Flügeln sich die Kutte bilden,
Den Himmel fröhlich macht, nicht meine Wünsche?
Wohl harrt' ich deiner Frage nicht, wenn ich dich
Durchschauete so, wie du mich durchschauest.‹
»Das größte Tal, drin sich das Wasser breitet,«
Also begannen seine Worte, »außer
Dem Meere, das die Erde rings umkränzet,
Dehnt zwischen feindlichen Gestaden gegen
Die Sonne sich so weit, daß Meridian es
Dort macht, wo Horizont es erst gemacht hat.
Anwohner solches Tals war ich, inmitten
Ebros und Macras, die auf kurzem Wege
Das Genuessche von Toskana trennet.
Den gleichen Sonnauf- und untergang hat
Buscheia mit dem Ort, wo ich geboren,
Des Port von seinem Blut einst heiß geworden.
Folco hieß bei dem Volk ich, dem mein Name
Geläufig war, und wie ich einst den seinen,
Empfängt jetzt dieser Himmel meinen Eindruck;
Denn mehr nicht glühete des Belus Tochter
Zu des Sichäus Leid wie der Krëusa,
Als ich, so lang als es dem Haupthaar ziemte,
Noch jene Rhodopäerin, getäuschet
Von Demophon, noch auch der Held Alcides,
Als er Jolen in sein Herz geschlossen.
Doch hier fühlt man nicht Reue, nein, man lächelt,
Nicht ob der Schuld, die in den Sinn nicht heimkehrt,
Nein, ob der Kraft, die ordnet' und voraussah.
Hier schaut man in die Kunst, die alles schmückte
Mit solcher Lieb', und jenes Gut erkennt man,
Weshalb die untre Welt zur obern kehret.
Allein damit du jeden Wunsch befriedigt
Davon trag'st, der in dieser Sphär' entstanden,
Muß ich noch etwas weiter vor jetzt schreiten.
Du möchtest wissen, wer in diesem Licht ist,
Das also hier in meiner Nähe blinket,
Gleichwie ein Sonnenstrahl in hellem Wasser;
So wisse, daß hier innen sich beruhigt
Rahab, und, unsrer Ordnung eingereihet,
Von ihr den Abdruck trägt auf höchster Stufe.
In diesem Himmel, bis zu dem die Spitze
Des Schattens eurer Welt reicht, ward aus Christi
Triumphzug sie vor andern aufgenommen.
Wohl ziemt' es ihm, in irgendeinem Himmel
Als Zeugin sie des hehren Siegs zu lassen,
Mit einer Hand erworben und der andern,
Weil Josues erstes rühmliches Beginnen
In dem gelobten Land sie hat begünstigt,
Das wenig jetzt des Papsts Gedächtnis rühret.
Ja, deine Stadt, des Pflanzung, der den Rücken
Zuerst hat seinem Schöpfer zugewendet,
Und dessen Neid so viele Tränen kostet,
Zeugt und verbreitet die verfluchte Blume,
Die von dem Weg verirrt hat Schaf und Lämmer,
Weil sie zum Wolf den Hirten umgewandelt.
Dafür läßt man das Evangelium, läßt man
Die großen Lehrer, nur die Dekretalen
Studierend, daß man's sieht an ihren Randern.
Darnach nur trachten Papst und Kardinäle,
Nicht steht ihr Sinn auf Nazareth, wohin einst
Die Schwingen Gabriel geöffnet hatte.
Allein der Vatikan und all die andern
Erkornen Teile Roms, die Kirchhof waren
Der Kriegsschar, die Petrus nachgefolget,
Sie werden frei alsbald von Hurerei sein.«

Zehnter Gesang

Auf ihren Sohn mit jener Liebe blickend,
Die beid' in aller Ewigkeit enthauchen,
Erschuf die erste Kraft, die unnennbare,
Was immer sich vor Aug' und Geist beweget
Mit solcher Ordnung, daß, wer dies betrachtet,
Nicht sein kann, ohne sich an ihr zu laben.
Erhebe, Leser, zu den hehren Kreisen
Mit mir den Blick drum, grade nach der Gegend,
Wo beiderlei Bewegung sich berühret;
Und dort mögst du beginnen anzuschauen
Des Meisters Kunst, der so sie liebt im Innern,
Daß nimmermehr von ihr den Blick er wendet,
Sieh, wie von dort sich jener schiefe Zirkel
Abzweigt, auf welchem die Planeten kreisen,
Der Welt zu gnügen, die sie laut erheischet.
Und wenn verschoben ihre Bahn nicht wäre,
So würd' im Himmel viele Kraft umsonst sein
Und jede Fähigkeit schier tot hier unten;
Und wenn von gradem Weg mehr oder minder
Sie wiche, würde manches in der Ordnung
Der Welt ermangeln, unten so wie droben.
Jetzt bleib' auf deiner Bank, o Leser, denkend
Zurück an das, was ich dir vorgekostet,
Willst froh du sein viel eher noch als müde.
Vor hab' ich dirs gelegt, jetzt zehre selbst dran;
Denn wieder zieht nun alle meine Sorge
Der Stoff auf sich, des Schreiber ich geworden.
Die größte Dien'rin der Natur, dieselbe,
Die mit des Himmels Kraft das Weltall stempelt
Und uns die Zeit einteilt mit ihrem Lichte,
Mit jenem erstgenannten Ort vereinigt,
Beschrieb, sich drehend, jene Schraubenlinien,
In denen sie stets früher uns erscheinet;
Und ich war mit ihr; doch des Steigens ward ich
Nicht inne, mehr nicht, als der Mensch des ersten
Gedankens inne wird vor seinem Kommen.
Beatrix ist's, die man so schnell gewahr wird,
Vom Guten zu dem Bessern umgewandelt,
Daß solcher Akt sich in der Zeit nicht ausdehnt.
Wie leuchtend aus sich selber sein das mußte,
Was innerhalb der Sonn', in die ich eintrat,
Durch Farbe nicht, nein, durch das Licht war sichtbar,
Ob ich Verstand anrief' und Kunst und Übung,
Doch schildert' ich's nicht so, daß man sich's denke
Doch glauben mag man's und zu schaun sich wünschen,
Und sind zu niedrig unsre Phantasien
Zu solcher Hoheit, darf's nicht wundernehmen,
Denn mehr als Sonnenlicht erträgt kein Auge.
So war zu schaun die vierte Dienerschaft hier
Des hohen Vaters, der sie stets befriedigt,
Ihr zeigend, wie er haucht und wie er zeuget.
Anjetzt Beatrix: »Sage Dank, der Sonne
Der Engel sage Dank, die dich zu dieser
Sichtbaren hat durch ihre Gnad erhoben.«
Kein menschlich Herz war jemals so durchdrungen
Von Andacht und sich Gott dahinzugeben
Mit allem seinem Dankgefühl so eilig,
Als ich auf dieses Wort, und meine Liebe
Warf sich so ganz auf ihn, daß im Vergessen
Beatrix selbst verdunkelt werden mußte.
Nicht war sie gram darob, nein, lächelt also,
Daß ob des Glanzes ihrer heitern Augen
Mein Geist, der eins erst, sich auf mehres teilte.
Mehr Schimmer sah ich blendend und lebendig
Um uns als Mittelpunkt zum Kranz sich bilden,
Noch süßrer Stimm', als leuchtend sie zu schauen.
So sehn wir manchmal wohl Latonas Tochter
Umkreist, wenn so die Luft geschwängert, daß sie
Den Faden festhält, der den Gürtel bildet.
Im Hof des Himmels, draus ich wiederkehre,
Gibt's viele Freuden, die so schön und teuer,
Daß man sie aus dem Reich nicht kann entführen;
Und dieser Seelen Sang war eine solche.
Drum wer sich nicht beschwingt, hinaufzufliegen,
Der mag vom Stummen dorther Kund erwarten.
Nachdem sich singend jene glühn'den Sonnen
Rings um uns her dreimal gedrehet hatten,
Gleich wie die nahen Stern' um feste Pole,
Erscheinen sie wie Frau'n mir, nicht vom Tanze
Gelöst, nein, die stillschweigend stehn und horchen,
Bis daß die neuen Töne sie vernommen.
Und innerhalb der einen hört' ich's also:
»Wenn jener Gnadenstrahl, dran wahre Liebe
Entzündet wird, und der dann wächst durch Lieben,
Vervielfacht also in dir wiederglänzet,
Daß er dich führt die Stieg' empor, von welcher
Man nur herabsteigt, wieder aufzusteigen;
Wer dir den Wein versagt' aus seiner Flasche
Für deinen Durst, der würde mehr in Freiheit
Nicht sein als Wasser, das zum Meer nicht sänke.
Zu wissen wünschest du, mit welchen Blumen
Sich dieser Kranz schmückt, der ringsum betrachtet
Das schöne Weib, das dich zum Himmel stärket.
Ich war ein Lamm aus jener heil'gen Herde,
Die solchen Weg Dominikus geführt,
Drauf wohlgenährt man wird, wenn man nicht abschweift.
Er, der zur Rechten mir am nächsten stehet,
War Bruder mir und Meister, es ist Albert
Von Köln, und ich bin Thomas von Aquino.
Willst du der andern all gewiß auch werden,
So folge meinem Wort mit deinen Blicken,
Sie kreisen lassend durch die sel'ge Krone.
Das andere Geflamm entspringt dem Lächeln
Gratians, der diesem Richterstuhl und jenem
So half, daß es gefällt im Paradiese.
Und jener, der zunächst ihm unsern Chor schmückt,
War Peter, der mit jenem armen Weiblein
Der heil'gen Kirche seinen Schatz gewidmet.
Das fünfte Licht, das schönst' aus uns, enthauchet
So große Liebe, daß dort unten Nachricht
Von ihm zu haben alle Welt ist hungrig.
Drin ist das hehre Licht, in das gelegt ward
So tiefes Wissen, daß, wenn wahr die Wahrheit,
Zu solchem Schaun kein zweiter sich erhoben.
Zunächst ihm siehst das Licht du jener Kerze,
Das drunten in dem Fleisch annoch am tiefsten
Amt und Natur der Engel eingesehn hat.
In jenem andern kleinen Lichte lächelt
Der christlichen Jahrhundert' Anwalt, dessen
Abhandlung Augustinus hat benutzet.
Jetzt, wenn du mit des Geistes Aug' einherziehst
Von Licht zu Licht, nachfolgend meinem Lobe,
Wirst nach dem achten schon du Durst empfinden.
Jedwedes Gut zu schauen, freut dort drin sich
Die heil'ge Seele, die des Lebens Täuschung
Den läßt erkennen, der auf sie recht horchet.
Der Leib, aus welchem sie verjagt ward, lieget
Dort unten in Cieldaur', und aus Verbannung
Und aus der Qual kam sie zu diesem Frieden.
Sieh weiterhin den glüh'nden Hauch dort lächeln
Von Isidor, von Bed' und Richard, welcher
In der Betrachtung höher als ein Mensch war.
Und der, von dem dein Blick zu mir zurückkehrt,
Ist eines Geistes Leuchte, dem in ernsten
Gedanken allzuspät das Sterben vorkam.
Das ew'ge Licht Sigers ist solches, der, einst
Vorlesung haltend in der Halmenstraße,
Durch Schlüsse dartat manch mißfäll'ge Wahrheit.«
Drauf gleich dem Seiger, der uns ruft zur Stunde,
Da Gottes Braut aufsteht, dem Bräutigame,
Daß er sie lieb', ihr Morgenlied zu bringen,
Da einen Teil er zieht, den andern treibet,
»Tin, tin« enthallend mit so süßem Klange,
Daß wohlgestimmt der Geist von Liebe schwellet;
Also gewahrt' ich das ruhmvolle Rad sich
Bewegen, tauschend Stimm' um Stimm', in solchem
Akkord, mit solcher Süßigkeit, wie dort nur
Man sie vernimmt, wo ewig der Genuß währt.

Elfter Gesang

O töricht Sorgen Sterblicher, wie sind nur
So mangelhaft die Syllogismen alle,
Die deinen Flügelschlag nach unten richten!
Der strebt' den Rechten nach, den Aphorismen
Der andere; der legt' aufs Priestertum sich,
Und der auf Herrschaft durch Gewalt und Arglist;
Auf Raub der, der auf bürgerliches Treiben;
Der müht', umstrickt von fleischlichen Gelüsten,
Sich ab; der gab sich hin dem Müßiggange,
Indes, gelöst von allen diesen Dingen,
Ich mit Beatrix droben in dem Himmel
Also bin rühmlich aufgenommen worden.
Nachdem ein jeder auf den Punkt des Zirkels
Zurückgekehrt war, wo er erst gewesen,
Blieb fest er, wie die Kerz' auf ihrem Leuchter;
Und innerhalb des Lichtes, das soeben
Mit mir gesprochen hatte, hört' ich's lächelnd
Also beginnen, fröhlicher noch werdend:
»Wie ich an seinem Strahle mich entzünde,
So, schauend in das ew'ge Licht, erkenn' ich
Das, was du denkest, und woher es kommet.
Du zweifelst und begehrst, daß ich durchgehe
In so ausführlicher und offner Rede
Mein Wort, daß deinem Sinn es sich entwickle
Dort, wo vorher ich sprach: ›Drauf wohlgenährt man‹
Und da, wo's hieß: ›Kein zweiter sich erhoben‹ ;
Und hier ist's nötig, recht zu unterscheiden.
Die Vorsicht, die die ganze Welt regieret
Mit jenem Rat, drin jeglicher erschaffne
Blick sich besiegt fühlt, eh' zum Grund er dringet,
Daß dessen Braut, der unter lautem Ruf sie
Sich im gebenedeiten Blut verlobet,
In sich gesicherter und ihm auch treuer
Entgegen dem Geliebten wallen möge,
Verordnete zwei Fürsten ihr zugunsten,
Die ihr so hier, als dort zu Führern dienten.
Der eine war seraphisch ganz an Gluten,
Durch Weisheit war der andere auf Erden
Ein Schimmer von dem Licht der Cherubinen.
Von einem red' ich, denn von beiden spricht man,
Wenn man den einen lobt, wen man auch nehme,
Weil auf ein Ziel nur gingen ihre Werke.
Zwischen Tupino und dem Bach, entströmend
Dem Hügel, den erkor der sel'g' Ubaldus,
Hängt fruchtbar ein Geländ' vom hohen Berge,
Darob von Porta Sole Kält' und Wärme
Perugia fühlt, und hinter jenem weinet
Ob schweren Joches Gualdo nebst Nocera.
Von jenem Hang dort, wo sich seine Steilheit
Zumeist bricht, ging der Welt auf eine Sonne,
Wie diese hier zu Zeiten aus dem Ganges.
Darum, wer jenes Ortes will erwähnen,
Der sag' Ascesi nicht, zu wenig sagt' er,
Nein, Orient, wenn er genau will sprechen.
Noch war sie nicht gar weit entfernt vom Aufgang,
Als etwas Stärkung schon sie mitzuteilen
Begann durch ihre große Kraft der Erde;
Denn mit dem Vater kam er schon als Jüngling
In Krieg ob solcher Frau, der, wie dem Tode,
Des Wohlgefallens Pforte niemand auftut;
Und vor zuständ'gem geistigen Gerichte
Et coram patre eint er sich derselben,
Von Tag zu Tag dann inniger sie liebend.
Sie, von dem ersten Ehgemahl beraubet,
Blieb tausend Jahr und länger bis auf jenen
Verachtet und im Dunkeln sonder Werbung;
Nicht half's, daß man vernommen, wie gesichert
Auf seiner Stimme Klang sie bei Amyclas
Der fand, der alle Welt mit Furcht erfüllte;
Nicht half es ihr, standhaft zu sein und mutig,
So daß, wo drunten selbst verblieb Maria,
Mit Christus an das Kreuz sie ist gestiegen.
Doch daß ich also dunkel fort nicht fahre,
Nimm jetzt in meiner ausgedehnten Rede
Für dieses Paar Franciscus und die Armut.
Ihr heitres Ansehn, ihre Eintracht ließen
Lieb' und Bewunderung und süßes Schauen
Ursache heiliger Gedanken werden,
So daß zuerst sich der ehrwürd'ge Bernhard
Entschuhte und nacheilte solchem Frieden
Und eilend säumig doch zu sein vermeinte.
O wahres Gut, o unbekannter Reichtum!
Barfuß Egidius, barfuß folgt Sylvester
Dem Bräutigam, so sehr gefällt die Braut ihm.
Von dannen geht der Vater nun und Meister
Mit seinem Weib und den Genossen, die schon
Den demutsvollen Strick umgürtet hatten,
Und nicht beugt Kleinmut ihm die Augen nieder,
Weil er ein Sohn war Peter Bernadones,
Noch weil verächtlich angestaunt er wurde.
Nein, königlichen Sinns tat Innocenzen
Er kund den harten Vorsatz und erhielt so
Von ihm das erste Siegel seinem Orden.
Nachdem das arme Völklein war gewachsen,
Dem folgend, dessen wunderbares Leben
Man besser in des Himmels Glorie sänge,
Ward durch Honorius von dem ew'gen Hauche
Gekrönt jetzt mit der zweiten Krone dieses
Archimandriten heilige Begierde;
Und da er, durstend nach dem Märtyrtume,
In Gegenwart des stolzen Sultans Christum
Gepredigt und die, so ihm gefolget,
Weil allzu herb er fand für die Bekehrung
Das Volk, kehrt' er, um nutzlos nicht zu bleiben,
Zur Frucht zurück italischen Gewächses;
Auf hartem Fels gelegen zwischen Arno
Und Tiber, ward ihm Christi letztes Siegel,
Das seine Glieder dann zwei Jahr' lang trugen.
Als dem es, der ihm solches Heil beschieden,
Gefiel, ihn aufwärts zu dem Lohn zu ziehen,
Den er, sich selbst verkleinernd, sich erworben,
Empfahl er noch als seinen rechten Erben
Sein vielgeliebtes Weib all seinen Brüdern,
Gebietend, daß sie's treulich lieben sollten;
Und, dessen Schoß entsteigend, wollte heimwärts
Zu ihrem Reich die hehre Seele kehren,
Kein' andre Bahre für den Leib verlangend.
Bedenk' anjetzt, wer jener war, der würdig
War, sein Genoß zu sein, um Petri Schifflein
In hohem Meer auf rechter Bahn zu halten;
Und dies ist unser Patriarch gewesen.
Drum wer ihm folgt, wie er's befiehlt, der kann wohl
Bemerken, daß er gute Ware ladet.
Doch seine Herd' ist jetzt so gierig worden
Nach neuer Kost, daß, wie's nicht anders sein kann,
Sie sich zerstreun muß auf verschiednen Weiden;
Je weiter seine Schafe nun von ihm sich
Entfernen, und je mehr umher sie schweifen,
Je leerer kehren sie an Milch zur Hürde.
Wohl gibt's noch solche, die, den Schaden fürchtend,
Sich an den Hirten halten, doch so wen'ge
Sind sie, daß wenig Tuch hergibt die Kappen.
Jetzt, wenn undeutlich nicht mein Wort gewesen,
Und wenn du aufmerksam mir zugehöret
Und, was ich sprach, dir in den Sinn zurückrufst,
So wird zum Teil befriediget dein Wunsch sein;
Denn sehn wirst du das Holz, von dem es splittert,
Und sehn den Tadel, der in jenem Wort liegt:
›Drauf wohlgenährt man wird, wenn man nicht abtschweift.‹ «

Zwölfter Gesang

Sobald als die gebenedeite Flamme
Das letzte Wort nun ausgesprochen hatte,
Begann das heil'ge Mühlrad sich zu drehen,
Und eh's den ganzen Kreis beschrieb, umkränzt' es
Ein andres schon mit einem Reif, Bewegung
Mit der Bewegung, Sang mit Sang verschmelzend;
Gesang, der also unsre Musen, unsre
Sirenen in den süßen Himmelsflöten
Besiegt, als erster Glanz den, der zurückstrahlt.
Gleichwie durch zarte Wolken sich zwei Bogen,
Gleichlaufend und von gleichen Farben, wölben,
Wenn Juno ihrer Dienerin Befehl gibt,
Der innre aus dem äußeren entstehend,
Der Sprache jener Schmachtenden vergleichbar,
Die Lieb' einst aufgezehrt, wie Sol die Dünste,
Darob die Völker hier dann prophezeien
Ob des Vertrags, den Gott einging mit Noe,
Daß nie die Welt mehr überschwemmt wird werden.
Also aus jenen ew'gen Rosen schlangen
Rings um uns her sich die zwei Blumenketten.
Und so entsprach die äußerste der innern.
Nachdem der Reigen und das andre große
Festprangen am Gesang und Aufgeflamme,
Voll Wonn' und freundlich, Lichter neben Lichtern,
Zu gleicher Zeit sich stillt' aus freiem Willen,
Gleichwie der Willkür nach, die sie beweget,
Die Augen man zugleich muß auf- und zutun,
Kam aus dem Innern eines jener neuen
Lichtschimmer eine Stimme, die mich wandte
Nach seiner Stätte, wie zum Stern die Nadel.
Und er begann: »Die Liebe, die mich schön macht,
Treibt mich, vom andern Führer zu erzählen,
Ob des von meinem man so gut gesprochen.
Wo einer, ziemt's den andern einzuführen,
So daß, gleichwie für eines sie gekämpfet,
Also vereint ihr Ruhm auch glänzen möge.
Die Heerschar Christi, die so viel gekostet,
Sie wieder zu bewaffnen, folgte langsam,
Voll Furcht und in geringer Zahl, der Fahne,
Als jener Kaiser, der ohn' Ende herrschet,
Vorsorge für das unentschlossne Kriegsvolk
Aus bloßer Gnade traf, nicht weil's des würdig;
Und, wie gesaget, kam er mit zwei Kämpen
Zu Hilfe seiner Braut, auf deren Taten
Und Worte das verirrte Volk zurückkam.
In jener Gegend, wo der sanfte Zephyr
Entsteht, die neuen Blätter zu erschließen,
Mit denen sich Europa wieder kleidet,
Nicht weit entfernt vom Wogenschlag der Wässer,
Dahinter ob des langen Laufs zu Zeiten
Die Sonne sich vor jedermann verhüllet,
Liegt das beglückte Callaroga unter
Dem Schutz des großen Schildes, drin der Löwe
So unterliegen macht, als unterlieget.
Hier kam zur Welt der liebevolle Buhle
Des echten Christenglaubens, jener heil'ge
Athlet, den Seinen mild und grimm den Feinden;
Und, kaum geschaffen, ward sein Geist erfüllet
So mit lebend'ger Kraft, daß in der Mutter
Er diese zur Prophetin schon gemacht hat.
Als an dem heil'gen Born der Ehbund zwischen
Ihm und dem Glauben war vollzogen worden,
Drin sie sich gegenseitig Heil gewähret,
Sah jenes Weib, das für ihn eingewilligt,
Im Traumgesicht die wunderbare Wirkung,
Die ihm entspringen sollt' und seinen Erben;
Und daß er, was er war, mit klarem Wort sei,
Entstieg von hier ein Geist, mit dem Besitzwort
Des, dem er ganz gehört', ihn zu benennen.
Dominicus ward er genannt, und von ihm
Als von dem Ackersmann sprech' ich, den Christus
Zur Hilfe sich erkor für seinen Garten.
Wohl schien ein Bot' er und Nachfolger Christi,
Dieweil die erste Lieb', in ihm sich zeigend,
Dem ersten Rat galt, den gegeben Christus.
Zu öftern Malen ward er wach und schweigend
Von seiner Amm' am Boden aufgefunden,
Als spräch' er: ›Hierzu bin ich hergekommen.‹
O seines Vaters, der wahrhaftig Felix!
O seiner Mutter, die wahrhaft Johanna,
Wenn es verdolmetscht gilt, wie man behauptet.
Nicht für die Welt, für die man jetzt sich abmüht,
Dem Ostiensis folgend und Thaddaeus,
Nein, lieberfüllt für das wahrhaft'ge Manna,
Ward er in kurzer Zeit groß als Gelehrter,
So daß er zu umgehn begann den Weinberg,
Der grau bald werden muß, wenn träg der Winzer.
Und von dem Stuhl, der den gerechten Armen
Einst güt'ger war, – an ihm nicht liegt's, an jenem
Allein, der auf ihm sitzt und aus der Art schlägt, –
Dispens nicht, zwei und drei für sechs zu leisten,
Nicht den Genuß der nächsten offnen Pfründe,
Non decimas quae sunt pauperum Dei
Verlangt er, nein, Erlaubnis nur, zu kämpfen
Mit der verirrten Welt für jenen Samen,
Davon dich vierundzwanzig Pflanzen kränzen.
Durch Lehre dann zugleich und Tatkraft drang er,
Mit apostol'schem Amt bekleidet, vorwärts,
Dem Gießbach gleich, der tiefem Spalt entquillet,
Und am lebendigsten traf an der Stelle
Sein Ungestüm das ketz'rische Gestrüppe,
Wo sich der Widerstand am dicht'sten zeigte.
Von ihm entstanden dann verschiedne Bäche,
Davon sich wässert der kathol'sche Garten;
Drob grünender jetzt seine Sträucher stehen.
Wenn so das eine Rad war jenes Karrens,
Auf dem die heil'ge Kirche sich verteidigt,
Im offnen Kampf den Bürgerkrieg besiegend,
So sollte dir wohl deutlich sein zur Gnüge
Die Trefflichkeit des andern, dafür Thomas,
Bevor ich kam, so freundlich ist gewesen.
Allein das Gleis, das seines Umfangs höchster
Teil einst beschrieben hat, ist jetzt verlassen,
So daß, wo Weinstein war, sich Schimmel findet.
Und seine Schar, die mit den Füßen grade
Auf seiner Spur einst ging, ist so gewendet,
Daß sie das Vorderste nach hinten kehret;
Doch bei der Ernte wird des schlechten Anbaus
Man inne sein alsbald, wenn sich das Unkraut
Beklaget, daß der Kasten ihm versagt sei.
Wohl sag' ich, daß, wer Blatt für Blatt in unserm
Buch suchen wollte, wohl noch Seiten fände,
Woselbst er läs': ›Ich bin, der einst ich pflegte.‹
Doch nicht kommt's von Casal' noch Aquasparta,
Von woher an die Schrift sich solche wagen,
Daß der sie flieht und jener sie beenget.
Das Leben bin ich selbst Bonaventuras
Von Bagnoreggio, der in großen Ämtern
Zurückgesetzt stets die geringre Sorge.
Illuminat ist hier und Augustinus,
Die von den ersten der barfüß'gen Armen,
So Gottes Freunde unterm Strick geworden.
Mit ihnen ist hier Hugo von Sankt Viktor,
Petrus Comestor auch, nicht minder Petrus
Hispanus, in zwölf Büchlein drunten glänzend.
Nathan der Seher, der Metropolite
Chrysostomus, Anselm, Donat, der nicht es
Verschmäht, Hand an die erste Kunst zu legen.
Raban ist dort, und hier an meiner Seite
Erglänzt Abt Joachim, der Calabrese,
Der mit prophet'schem Geiste war begabet.
Für so erhabnen Paladin zu eifern,
Trieb die entflammte Freundlichkeit des Bruders
Thomas mich an und sein bescheidnes Reden,
Und trieb mit mir auch diese ganze Schar an.«

Dreizehnter Gesang

Vorstellen möge sich, wer recht zu fassen
Wünscht was ich jetzt gesehn, das Bild bewahrend,
Gleich einem festen Fels, indes ich spreche,
Fünfzehn der Sterne, die verschiedne Teile
Des Himmels mit so heiterm Licht beleben,
Daß jede Luftverdichtung sie besiegen;
Vorstellen mög' er dann sich jenen Karren,
Dem Nacht und Tag der Schoß gnügt unsres Himmels.
So daß nie müd' er wird, zu drehn die Deichsel;
Vorstellen mög' er sich des Hornes Mündung,
Das an dem Endpunkt anfängt jener Achse,
Darum der erste Umschwung sich beweget,
Und daß aus sich zwei Zeichen sie gebildet
Am Himmel, jenem gleich, daß Minos' Tochter
Gebildet, als des Todes Frost sie fühlte,
Und eins im andern seine Radien hätte,
Und beide sich in solcher Weise drehten,
Daß eines vorwärts ging, das andre rückwärts;
Und einen Schatten wird er von dem wahren
Sternbild und von dem Doppelreigen haben,
Der jenen Punkt, auf dem ich stand, umkreiste;
Denn um so viel besiegt er unsre Sitte,
So viel der Chiana Lauf wird übertroffen
Vom Himmel, der am schnellsten läuft vor allen.
Nicht Bacchus, nicht Päan, nein, drei Personen
In göttlicher Natur, klang's und in einer
Person sie und die menschliche vereinet.
Sein Maß vollendet hatte Sang und Reigen,
Und nach uns wandten sich die heil'gen Lichter,
Vor Sorge sich beseligend zu Sorge.
Das Schweigen brach einträcht'ger Götterwesen
Das Licht drauf, drin das wunderbare Leben
Des Armen Gottes mir berichtet worden,
Und sprach: »Wenn schon ein Stroh gedroschen, wenn schon
Sein Same aufbewahrt ist, ladet ein mich
Das andere zu schlagen süße Liebe.
Du glaubst, daß in die Brust, daraus die Rippe
Man nahm, die schöne Wange draus zu bilden,
Die durch den Gaum so viel der Welt gekostet,
Und in die, so, durchbohret von der Lanze,
Nachher und auch vorher so viel genug tat,
Daß sie von jeder Schuld aufwägt die Schale,
Was nur die menschliche Natur zu haben
An Licht ist fähig, eingeflößt sei worden
Von jener Kraft, die beide sie geschaffen,
Und staunst ob des drum, was ich droben sagte,
Als ich erwähnet, daß kein zweites hätte
Das Gut, das in dem fünften Licht umschlossen.
Auf meine Antwort schau' jetzt, so wirst sehn du
Dein Glauben und mein Reden in der Wahrheit,
Gleichwie der Kreis im Mittelpunkt, sich einend.
Das, was nicht sterben kann, und das, was sterblich,
Ist nur gleichwie der Widerglanz von jener
Idee, die liebend unser Herrscher zeuget;
Denn das lebend'ge Licht, das da hervorgeht
Von seinem Leuchtenden, von ihm enteint nie,
Noch von der Liebe, die das Dritt' in ihnen,
Vereiniget durch seine Güte, gleichsam
Sich spiegelnd, sein Gestrahl in neun Substanzen,
In alle Ewigkeit doch eins verbleibend.
Von hier steigt's zu den letzten Möglichkeiten
Herab, von Akt zu Akt, so tief sich senkend,
Daß es nur schafft zufäll'ge kurze Dinge;
Und unter solcherlei Zufälligkeiten
Versteh' ich das Erzeugnis, das des Himmels
Umschwung hervorbringt mit und ohne Samen.
Sein Stoff und wer ihn führet sind nicht immer
Die gleichen, drum erglänzet solches unterm
Marksteine der Idee bald mehr, bald minder;
Daher geschieht es, daß dieselbe Pflanze
Der Art nach bessre bald, bald schlechtre Frucht trägt,
Und ihr auch mit verschiednem Geist zur Welt kommt.
Wär' stets der Stoff zum rechten Punkt gediehen,
Und stets in seiner höchsten Kraft der Himmel,
So würde ganz des Siegels Licht erscheinen;
Doch immer mangelhaft gibt's die Natur nur,
Dem Künstler ähnlich handelnd, der die Übung
Der Kunst noch hat, indes die Hand ihm zittert.
Wo warme Liebe drum, wo klares Schauen
Der ersten Kraft befähiget und ausprägt,
Wird jegliche Vollkommenheit erworben.
Auf solche Weise ward die Erd' einst würdig
Der ganzen animalischen Vollendung,
Auf solche Weise ward die Jungfrau schwanger,
So daß ich billigen muß deine Meinung,
Daß nimmer so die menschliche Natur war,
Noch sein wird wie in diesen zwei Personen.
Jetzt wenn ich weiter hier nicht vorwärts schritte,
Wie denn ist sondergleichen der gewesen?
Also beginnen würden deine Worte;
Doch daß dir deutlich sei, was dir nicht deutlich,
Denk', wer er war, und welch ein Grund ihn antrieb,
Zu fordern, als ihm ward gesagt: ›Begehre!‹
Ich sprach nicht so, daß du nicht konnt'st ersehen,
Daß er ein König war, der Einsicht heischte,
Damit er ein vollkommner König würde;
Nicht um zu wissen, welche Zahl Beweger
Die obre Welt hier hat, noch ob Notwend'ges
Mit Möglichem Notwendiges je gebe,
Non si est dare primum motum esse;
Noch ob im halben Kreise man beschreiben
Ein Dreieck kann, das keinen Rechten habe.
Drum merkst du dies, und was ich sprach, so wirst du,
Im Schaun, das sondergleichen, königliche
Klugheit ersehn, drauf meiner Meinung Pfeil trifft.
Und wenn du aufs ›Erhob‹ mit klarem Blick schaust,
Wirst sehn du, daß es nur sich auf die Kön'ge
Bezieht, die zahlreich und die Guten selten.
Mit diesem Unterschiede nimm mein Wort auf,
Und so kann's wohlbestehn mit deinem Glauben
Vom ersten Vater und von unsrer Wonne.
Und dies sei immer Blei dir an den Füßen,
Dich langsam zu bewegen wie ein Müder,
Zu Ja und Nein, das du nicht kannst erschauen;
Denn unter Toren steht der wohl am tiefsten,
Der ohne Unterschied bejaht und leugnet,
So bei dem einen als dem andern Schritte;
Denn es geschieht, daß sich die rasche Meinung
Gar öfters nach der falschen Seite wendet,
Und dann den Intellekt die Neigung bindet.
Mehr als umsonst entfernt sich vom Gestade,
Da er nicht wiederkehrt, wie er gegangen,
Wer nach der Wahrheit fischt und nicht die Kunst hat.
Des sind auf Erden offene Beweise
Parmenides, Bryson, Meliß und viele,
Die gehend nicht gewußt, wohin sie gingen.
So tat Sabell, Arius nebst den Toren,
Die Schwertern gleich den heil'gen Schriften waren,
Indem ihr klares Antlitz sie verwirret.
Und jetzt auch mög' im Richten allzu sicher
Das Volk nicht sein, wie jener, der die Früchte
Abschätzet auf dem Feld, bevor sie reif sind;
Den Dornstrauch sah ich, der den ganzen Winter
Hindurch sich starr und wild gezeiget hatte,
Dann doch die Ros' auf seinem Gipfel tragen;
Und manches Schiff sah ich, das grad und eilig
Das Meer durchlief auf seinem ganzen Wege,
Zuletzt umkommen bei des Hafens Eingang.
Nicht glaube Meister Martin und Frau Berta,
Weil sie den stehlen sieht, den Opfer bringen,
Sie innerhalb des ew'gen Rats zu schauen;
Denn der kann steigen und der andre fallen.«

Vierzehnter Gesang

Vom Mittel wallt zum Rand, vom Rand zum Mittel
Das Wasser, wenn's von außen oder innen
Berührt wird in kreisförmigem Gefäße.
Getreten war mir plötzlich vor die Seele
Das, was ich hier gesagt, sobald des Thomas
Glorreiches Leben stillgeschwiegen hatte,
Ob einer Ähnlichkeit, die jetzt sich zeigte
Mit seiner und mit der Beatrix Rede,
Der es nach ihm also gefiel zu sprechen:
»Bedürfnis ist es jenem, und nicht sagt er's,
Mit Worten nicht, noch denkend bloß, zur Wurzel
Hineinzudringen einer andern Wahrheit.
Sagt ihm, ob jenes Licht, mit welchem eure
Substanz umblüht ist, mit euch wird verbleiben
In alle Ewigkeit, so wie es jetzt ist;
Und wenn es bleibt, sagt an, wie's nur geschehn kann,
Daß, wenn ihr sichtbar wiederum geworden
Einst seid, es eurer Sehkraft dann nichts schadet.«
Gleichwie auf einmal, die im Kreis sich drehen,
Von größrer Lust getrieben und gezogen,
Die Stimm' erhebend, munter sich gebärden,
So zeigten auf das willige und fromme
Gebet die heil'gen Zirkel neue Wonne
Durch Drehn und wunderbare Melodien.
Wer sich beklaget, daß man hier muß sterben,
Um droben fortzuleben, der hat dort nicht
Des ew'gen Taues Kühlung noch empfunden.
Der eins und zwei und drei, der ewig lebet
Und ewig herrscht in drein und zwein und einem,
Umschrieben nicht, doch alle Welt umschreibend,
War von jedwedem dieser Geister dreimal
In solcher Melodie gesungen worden,
Daß jegliches Verdienst sie gnügend lohnte.
Und aus dem göttlichsten der Lichter hört' ich
Des kleinen Kreises eine Stimme sittsam,
Wie die wohl war des Engels zu Maria,
Antwortend drauf: »Solang die Feier dauert
Im Paradies, so lang wird unsre Liebe
Rings um sich her ausstrahlen solche Hülle;
Denn ihre Klarheit muß der Glut entsprechen,
Die Glut dem Schauen, und so weit reicht dieses,
Als Gnad' es über eigne Kraft empfangen.
Sobald wir mit dem ruhmvoll heil'gen Fleische
Uns neu umkleidet, wird genehmer unsre
Person auch werden, weil sie ganz und gar ist.
Drum wird vermehren sich, was uns gewähret
Das höchste Gut an unverdientem Lichte,
Licht, das es zu betrachten uns befähigt;
Daher muß wachsen auch das Schaun und wachsen
Die Glut auch, die daran entbrennt, und wachsen
Nicht minder auch der Strahl, der von ihr herkommt.
Und wie die Kohle, welche Flamme aushaucht
Und diese durch lebend'gen Glanz besieget,
So daß ihr Licht derselben sich erwehret,
Also wird das Geblitz, das uns umkreiset,
An Helle von dem Fleisch besieget werden,
Das Tag für Tag die Erde jetzt bedecket;
Und nicht wird uns so großes Licht ermüden,
Denn die Organe unsres Körpers werden
Stark sein zu allem, was uns kann erfreuen.«
Also bereit und eilig schien mir Amen
Zu sagen dieses Chor wie jenes, daß sie
Wohl Sehnsucht nach den toten Körpern zeigten,
Nicht ihrethalb so sehr, als ob der Mütter,
Der Väter und der andern, ihnen teuer,
Bevor sie ew'ge Flammen noch geworden.
Und sieh, ringsum entstand von gleicher Klarheit
Ein Schimmer über jenem, der schon da war,
Dem Horizont gleich, wenn er sich erhellet.
Und wie beim ersten Anbeginn des Abends
Sich an dem Himmel neue Lichter zeigen,
So daß die Sache wahr und auch nicht wahr scheint,
Also begann ich hier, so schien es, neue
Substanzen zu erschauen, einen Zirkel
Um die zwei anderen Umkreise bildend.
O heil'gen Hauchs wahrhaftiges Entsprühen,
Wie trat's vor meine Augen rasch und glänzend,
Daß überwunden sie's nicht tragen konnten!
Allein Beatrix zeigte sich so schön mir
Und lächelnd, daß mit anderem Gescheh'nen
Ich's lassen muß, das nicht dem Sinn gefolgt ist.
Hier schöpften wiederum Kraft meine Augen,
Sich aufzurichten, und ich sah versetzt mich
Zu höherm Heil allein mit meiner Herrin.
Wohl ward ich inne, daß ich mehr gestiegen,
Ob des entbrannten Lächelns des Planeten,
Der glühender mir schien, als er gepfleget.
Mit ganzem Herzen und mit jener Stimme,
Die ein' in allen, bracht' ich Gott ein Opfer,
Wie's für die neue Gnade sich gebührte;
Und nicht erschöpft noch war aus meinem Busen
Die Opferflammenglut, als ich erkannte,
Es sei genehm und heilvoll solche Gabe;
Denn solches Glanzes und so rot erschienen
Lichtschimmer innerhalb mir zweier Strahlen,
Daß ich ›o Helios‹ sprach, ›der so sie schmücket!‹
Gleichwie von Pol zu Pol, sich deutlich sondernd,
Galaxias hell erglänzt von größern Lichtern
Und kleineren, so daß drob Weise zweifeln,
Also vereinet bildeten im tiefen
Mars jene Strahlen das ehrwürd'ge Zeichen,
Das die Quadranten in dem Kreis verbindet.
Allhier besiegt den Geist mir das Gedächtnis;
Denn in sotanem Kreuz aufflammte Christus,
So daß kein würdig Bild ich weiß zu finden.
Doch, wer sein Kreuz nimmt und nachfolget Christo,
Entschuldigt mich ob des, was ich verschweige,
Sieht er in jenem Licht einst blitzen Christum.
Von Horn zu Horn, vom Gipfel bis zum Fuße
Bewegten Lichter sich, die beim Vorbeigehn
Und beim Zusammentreffen hell aufsprühten.
Also erblickt man hier bald schief, bald grade,
Langsam und schnell, stets neuen Anblick zeigend,
Lang oder kurz, der Körper kleinste Teile,
Bewegend sich im Strahl, davon zu Zeiten
Der Schatten wird gesäumt, den, sich zu schützen,
Durch Kunst und Witz die Menschen sich erworben.
Und wie von vielen Saiten, im Akkorde
Gestimmt, Geig' oder Harfe süßes Summen
Dem hören läßt, der nicht vernimmt die Weise;
So von den Lichtern, die mir hier erschienen,
Klang eine Melodie durchs Kreuz hin, die mich
Entzückt', ob ich gleich nicht verstand die Hymne.
Wohl merkt' ich, daß von hohem Lob sie handle,
Denn zu mir kam das Wort: »Steh auf und siege!«
Gleich wie zu dem, der hört und nicht verstehet,
Also ward ich von Liebe hier berauschet,
Daß bis dahin kein Ding es hat gegeben,
Das mit so süßen Banden mich umschlungen.
Vielleicht scheint allzu kühn mein Wort, indem ich
Hier nachgesetzt die Lust der heil'gen Augen,
In die zu schaun all meine Sehnsucht stillet.
Doch, wer bedenkt, daß die lebend'gen Siegel
Jedweder Schönheit, höher, mehr auch wirken
Und ich mich hier noch nicht gewandt nach jenen,
Entschuldigt mich ob des, daß zur Entschuld'gung
Ich mich beschuld'g', und sieht, daß wahr ich spreche;
Denn ausgeschlossen ist die heil'ge Lust nicht
Hierbei, weil steigend sie sich mehr noch läutert.

Fünfzehnter Gesang

Der gute Wille, der in jener Liebe
Sich immer zeigt, die rechterweise wehet;
Gleichwie Begehrlichkeit in der verderbten,
Stillschweigen hat er jener süßen Lyra
Geboten und gestillt die heil'gen Saiten,
Die da des Himmels Rechte spannt und nachläßt.
Wie würden taub wohl für gerechte Bitten
Die Wesen sein, die bloß, mir Lust zu geben,
Daß ich sie bitt' einträchtiglich geschwiegen?
Wohl ist es recht, daß der ohn' Ende leide,
Der einem Ding zu Liebe, welches ewig
Nicht dauert, jener Liebe sich entäußert.
Wie durch die Klarheit reiner stiller Nächte
Von Zeit zu Zeit ein plötzlich Feuer hinläuft,
Das Auge, das erst sicher stand, bewegend,
Und einem Sterne gleicht, der Stätte wechselt,
Nur daß am Ort, dran es entglommen, keiner
Verlorengeht, und selbst es kurz nur dauert;
Also vom Horne, das sich recht erstrecket,
Lief aus dem Sternbild, welches hier erglänzet,
Ein Stern hin zu dem Fuße jenes Kreuzes;
Und nicht vom Bande trennte der Juwel sich,
Nein, durch den Radiusstreif querüber laufend,
Glich einer Flamm' er hinter Alabaster.
So liebreich bot sich dar Anchises' Schatten,
Wenn Glauben heischt die größte unsrer Musen,
Als im Elysium er des Sohns gewahr ward.
»O sanguis meus, o super infusa
Gratia Dei, sicut tibi, cui

Bis unquam coeli janua reclusa?«»O du, mein Blut, o du über dasselbe ergossene göttliche Gnade, wem
ward jemals, wie dir, die Pforte des Himmels zweimal geöffnet?«
So jenes Licht; drob ich auf solches merkte.
Drauf, wieder meiner Herrin zugewendet
Den Blick, ergriff so hier als dort mich Staunen;
Denn solch ein Lächeln glüht' in ihren Augen,
Daß meiner Gnad' ich, meines Paradieses
Grund mit den meinen zu berühren glaubte.
Darauf zu hören und zu schaun erfreulich,
Der Geist zu seinem Anfang Dinge fügte,
Die ich nicht faßte, so tiefsinnig sprach er.
Und nicht aus freier Wahl verbarg er mir sich,
Nein, aus Notwendigkeit, weil sein Gedanke
Jenseils der Grenze Sterblicher sich aufschwang.
Doch als der Bogen sich der glüh'nden Liebe
So weit entleeret, daß sein Wort herabstieg
Bis nach dem Markstein unsres Intellektes,
Da war das erste Ding, das ich verstanden:
»Gebenedeiet seist du, drei und einer,
Der du so gütig warst für meinen Samen.«
Drauf fuhr er fort: »Ein Sehnen lang und wonnig,
Geschöpft im Lesen aus dem größten Buche,
In dem sich Weißes nie, noch Schwarzes ändert,
Hast du gelöst, o Sohn, in jenem Lichte,
In dem ich mit dir spreche, Dank sei's jener,
Die dich zum hehren Fluge hat beschwinget.
Du glaubst, daß dein Gedanke zu mir komme
Vom Urgedanken, gleichwie von der Einheit,
Wenn man sie kennt, die fünf und sechs entstrahlet.
Drum, wer ich sei, nicht fragst du, noch warum ich
Mich freudiger dir zeig' als irgendeiner
Der anderen aus diesen heitern Scharen.
Du glaubest recht, denn Größre schaun und Kleinre
Aus diesem Leben in den Spiegel, drin sich,
Eh' du ihn denkst, enthüllet dein Gedanke.
Doch daß die heil'ge Lieb, in der ich wache
Mit ew'gem Schaun, und die mit süßen Sehnens
Durst mich erfüllt, befriedigt besser werde,
So spreche deine Stimme kühn und sicher
Und freudig aus den Willen, sprech' den Wunsch aus,
Darauf beschlossen schon ist meine Antwort.«
Ich wandte zu Beatrix mich, die, hörend,
Bevor ich sprach, zulächelt' einen Wink mir,
Drob meinem Willen noch die Schwingen wuchsen;
Drauf ich begann: ›Empfindung und Verständnis,
Seit euch die erste Gleichheit ist erschienen,
Sind jeglichem aus euch im Gleichgewichte;
Denn in der Sonne, die durch Licht und Wärm' euch
Erleuchtet und entzündet, sind so gleich sie,
Daß jede Ähnlichkeit dagegen karg ist.
Doch in dem Sterblichen sind Wunsch und Einsicht,
Ob eines Grundes, der euch wohlbekannt ist,
Verschiedentlich befiedert an den Schwingen.
Drum ich, der sterblich bin, mich fühl' in dieser
Ungleichheit, und daher nur mit dem Herzen
Dank sage für die väterliche Feier.
Doch fleh' ich dich, lebendiger Topas, an,
Von dem dies kostbare Geschmeide funkelt,
Daß du mit deinem Namen mich befriedigst.‹
»O du, mein Laub, an dem ich Wohlgefallen
Im Harren fand schon, deine Wurzel war ich.«
Solch einen Anfang macht' er seiner Antwort.
Dann sprach er: »Der, nach dem sich nennet deine
Verwandtschaft, und der hundert Jahr' und drüber
Den Berg umkreist hat auf dem ersten Simse,
Er war mein Sohn, und war dein Ältervater.
Wohl ziemt es sich, daß du die lange Mühe
Abkürzen ihm durch deine Werke mögest.
Florenz, im Umkreis seiner alten Mauern,
Von denen Terz und Non' annoch es hernimmt,
War keusch und mäßig damals, und im Frieden.
Noch keine Kettlein gab es, keine Kronen,
Nicht Frauen mit Sandalen, noch auch Gürtel,
Dran mehr als an der Trägerin zu sehn war.
Nicht machte, kaum geboren, schon dem Vater
Die Tochter Sorge, daß nicht Zeit und Mitgift
Sich hier und dort vom Maß entfernen möchten.
Noch gab's nicht Häuser, leer von Hausgenossen,
Noch war Sardanapalus nicht gekommen,
Zu zeigen, was in Kammern man vermöge.
Besiegt war Montemalo noch von eurem
Uccelatojo nicht, der, wie im Steigen
Er's ward, besiegt auch wird im Sinken werden.
Bellincion Berti sah ich gehn umgürtet
Mit Bein und Leder, und vom Spiegel kommen
Sein Weib mit ungeschminktem Angesichte;
Ich sah den von den Nerli, den von Vecchio
Sich mit dem unbedeckten Fell begnügen,
Und ihre Frauen mit dem Knaul und Spinnrad.
O Glückliche! und ihrer Grabesstätte
War jegliche gewiß, und noch war keine
Im Ehebett verwaist um Frankreichs willen.
Die eine wachte sorglich an der Wiege
Und brauchte, lullend, jene Redeweise,
An der zuerst sich Väter freun und Mütter;
Die andere, den Faden zieh'nd am Rocken,
Erzählte Märchen, in der Ihr'gen Mitte,
Von Rom und Fiesole, und den Trojanern.
Für solch ein Wunder hätte da gegolten
Eine Cianghell', ein Lapo Salterello,
Als jetzt Cornelia gilt und Cincinnatus,
So ungestörtem, schönem Bürgerleben,
So trauter Bürgerschaft und solcher süßen
Herberge hat Maria mich geschenket,
Da sie mit lautem Schrein ward angerufen,
Und dort in eurem alten Baptisterium
Ward ich ein Christ zugleich und Cacciaguida.
Moront' und Elisäus waren Brüder
Mir; aus dem Po-Tal kam mir meine Gattin,
Woher dann dein Zuname ist entstanden.
Dem Kaiser Konrad folgt' ich dann, und dieser
Umgürtete mich als sein Kriegsgefolge;
So sehr ward er mir hold ob meines Rechttuns.
Ich zog ihm nach, entgegen der Verruchtheit
Desjenigen Gesetzes, desen Anhang
Durch Schuld des Hirten euer Recht sich anmaßt.
Alldort ward ich durch solches schnödes Volk dann
Von jener trügerischen Welt gelöset,
Die durch ihr Lieben manche Seel' entadelt,
Und kam vom Märtyrium zu diesem Frieden.«

Sechzehnter Gesang

O du geringer Adel unsres Blutes!
Wenn Anlaß du den Menschen, sich zu rühmen
Hienieden, gibst, wo unsre Neigung kränkelt,
Wird nie mir solches wunderbar erscheinen,
Da dort, wo nimmer abgelenkt der Trieb wird,
Im Himmel sag' ich, ich mich dein gerühmet!
Wohl bist ein Mantel du, der bald sich kürzet,
So daß, wenn man nicht Tag für Tag hinzufügt,
Die Zeit ihn mit der Schere rings beschneidet.
Vom »Ihr«, das Rom zuerst geduldet hatte,
In welchem minder nun sein Volk verharret,
Begannen wiederum jetzt meine Worte;
Darauf Beatrix, die ein wenig fern stand,
Lächelnd der glich, die hustete beim ersten
Fehltritt, der von Ginevra steht geschrieben.
Also begann ich dann: ›Ihr seid mein Vater,
Ihr gebt zum Reden mir jedwede Kühnheit,
Ihr hebt empor mich höher, als ich selbst bin.
Durch so viel Ströme füllet mit Ergötzen
Mein Geist sich, daß zur Freud' es ihm gereichet,
Wie er's kann tragen, ohne zu zerspringen.
Sagt mir, mein teurer Urquell, denn, wer Eure
Altvorderen gewesen sind, und welche
Jahrzahl in Eurer Kindheit man geschrieben?
Sagt mir, wie groß die Herde Sankt Johannis
Damals schon war, und welche die Geschlechter,
Die drin der höchsten Sitze würdig waren?‹
Gleichwie zur Flamme bei des Windes Hauchen
Die Kohle sich belebt, so sah bei meinen
Liebkosungen ich jenes Licht erglänzen;
Und so, wie's meinem Blick sich schöner zeigte,
Also mit sanfterer und süßrer Stimme
Sprach es, doch nicht in dieser neuern Mundart:
»Vom Tag, wo ›Ave‹ man gesagt, bis zu der
Geburt, da meine Mutter, die jetzt heilig,
Sich mein, der ihre Bürde war, entledigt,
Ist fünfmalhundertfünfzig und noch dreißig
Mal heimgekehrt zu seinem Leu'n dies Feuer,
Sich unter dessen Fuß neu zu entflammen.
Geboren ward ich selbst nebst meinen Vätern
Dort, wo zuerst berühret wird bei eures
Alljähr'gen Festes Lauf das letzte Sechsteil.
Von meinen Ahnen gnüg' es, dies zu hören:
Wer sie gewesen, und woher sie kamen,
Darob ziemt's mehr zu schweigen, als zu sprechen.
Was waffenfähig, zwischen Mars und Täufer,
Zu jener Zeit dort war, betrug den fünften
Teil derer nicht, die gegenwärtig leben.
Allein das Bürgertum, das jetzt gemischt ist
Aus Campi, aus Certald' und aus Figghine,
War rein zu schaun im letzten Handwerksmanne.
O, wieviel besser war's, zu Nachbarn jene
Zu haben, die ich nannt', und bei Galluzzo
Und bei Trespiano eures Weichbilds Markstein,
Als drin sie haben, und den Stank des Bauers
Von Aguglione dulden und von Signa,
Der schon zum Schachern seinen Blick geschärft hat!
Und wär' das Volk, das auf der Welt zumeist ist
Entartet, nicht stiefmütterlich für Cäsar,
Nein, mild gewesen wie dem Sohn die Mutter;
So hätte, wer als Florentiner Handel
Jetzt treibt und Wechsel, sich nach Simifonti
Gewandt, wo der Großvater schon umherzog;
So wäre Montemurlo noch den Grafen,
Noch wären in Acones Pfarr' die Cerchi,
Wohl selbst im Grieve-Tal die Buondelmonti.
Allzeit war das Vermengen der Personen
Der erste Grund zum Ungemach der Städte,
Wie für den Leib die Speise, die sich anhäuft;
Und hurt'ger als ein blindes Lämmlein stürzet
Ein blinder Stier, und mehr und besser schneidet
Ein Schwert allein oft, als fünf Schwerter schneiden.
Wenn du bemerkst, wie Lun' und Urbisaglia
Dahingegangen sind, und, ihnen folgend,
Von dannen Sinigaglia geht und Chiusi,
Wird dir's nicht neu noch wunderbar erscheinen,
Wenn du vernimmst, wie die Geschlechter schwinden,
Da auch die Städte selbst ihr End' erreichen.
All euern Dingen ist ihr Tod bestimmet
So wie euch selbst, doch birgt er sich bei manchem,
Das lange währt, weil kurz ist euer Leben.
Und wie des Mondes Himmel durch sein Kreisen
Unausgesetzt die Küsten auf- und zudeckt,
Also gebaret mit Florenz das Schicksal;
Drum darf dir das erstaunenswert nicht scheinen,
Was ich von hohen Florentinern, deren
Ruf in der Zeit verborgen ist, dir künde.
Ich sah die Ughi, sah die Catellini,
Filippi, Greci, Ormanni und Alberighi,
Schon sinkend, ausgezeichnet noch als Bürger,
Und sah so groß als alten Stamms mit jenem
Von der Sannella jenen von der Arca,
Nebst den Bostichi, Ardingh' und Soldanieri
Ob jenem Tor, auf dem jetzt neuer Treubruch
Von solcher Schwere lastet, daß alsbald man
Die Barke wird erleichtern müssen, saßen
Die Ravignani schon, von denen abstammt
Graf Guido und wer immer dann den Namen
Des hohen Bellincion hat angenommen.
Schon wußte, wie sich's zu regieren ziemet,
Der von der Press', und Galigajo hatte
Im Hause Kopf und Bügel schon vergoldet.
Groß war der Hermelinpfahl schon, die Giuochi,
Die Galli, die Sacchetti, die Sifanti,
Barucci und die sich des Scheffels schämen.
Der Stamm, dem die Galfucci sind entsprosset,
War groß schon, und zu den curul'schen Sitzen
Zog man die Sizi schon und Arrigucci.
O wie sah jen' ich, die durch ihre Hoffart
Zerstört sind! und die goldnen Kugeln zierten
Florenz in allen seinen großen Taten,
So handelten auch die Vorfahren jener,
Die jederzeit, wenn unbesetzet eure
Kirch' ist, sich mästen, sitzend im Kapitel.
Die übermüt'ge Sippschaft, die dem Flieh'nden
Nachzischt und wie ein Lamm sich schmiegt vor einen,
Der ihr den Zahn zeigt oder auch den Beutel,
Kam schon empor, doch aus geringem Volke,
So daß ungern sah Ubertin Donato,
Daß ihm sie gab der Schwäher zum Verwandten.
Schon war von Fiesole herabgestiegen
Zum Marktplatz Caponsacco, und schon waren
Guido und Infangato gute Bürger.
Unglaubliches, was wahr doch ist, bericht' ich:
Zum kleinen Kreise trat durch eine Pforte
Man ein, benannt nach denen von der Pera.
Sie alle, die das schöne Wappen tragen
Des großen Freiherrn, dessen Preis und Name
Erneuert wird am Thomas-Feste, hatten
Urkund' und Ritterschlag von ihm empfangen,
Obgleich sich heutzutage mit dem Volke
Vereint, der mit der Leiste jenes säumet.
Schon Gualterotti gab's und Importuni,
Und Borgo wäre friedlicher verblieben,
Wenn sie der neuen Nachbarn noch entbehrten.
Das Haus, dem euer Jammer ist entsprossen
Ob des gerechten Zorns, der Tod euch brachte
Und eurem heitern Leben macht' ein Ende,
War hochgeehrt nebst seinen Anverwandten.
O Buondelmonte, wie so unrecht tat'st du,
Zu fliehn auf andrer Ratschlag seine Heirat!
Gar viele wären froh, die jetzt sind traurig,
Wenn Gott der Ema dich gegeben hätte,
Als du das erste Mal zur Stadt gekommen!
Allein es mußte dem gebrochnen Steine,
Der auf der Brücke steht, Florenz ein Opfer
In seines Friedens letzten Tagen bringen,
Mit diesen und noch anderen Geschlechtern
Hab' ich Florenz gesehn in solchem Frieden,
Daß nimmer es zu weinen Ursach' hatte.
Mit diesem hab' ich so gerecht und ruhmvoll
Sein Volk gesehen, daß niemals die Lilie
An Speeresspitze rückwärts ward gewendet,
Noch auch durch Zwiespalt rot gefärbt ist worden.«

Siebzehnter Gesang

Wie zu Clymene kam, der noch die Väter
Karg macht den Söhnen, des gewiß zu werden,
Was er Nachteiliges für sich gehöret,
Dem ähnlich macht' ich's jetzt und ward vernommen
So von Beatrix als der heil'gen Leuchte,
Die erst für mich den Platz gewechselt hatte.
Zu mir drob meine Herrin: »Deines Wunsches
Glut laß heraus, so daß hervor sie komme,
Mit deines Innern Stempel recht bezeichnet;
Nicht daß, durch was du sagest, unser Wissen
Sich mehre, nein, damit du dich gewöhnest,
Den Durst zu künden, daß man dir kredenze.«
›O du mein teurer Stamm, der du dich also
Erhebest, daß, wie ird'sche Geister sehen,
Es fass' ein Dreieck nie zwei stumpfe Winkel,
So die zufäll'gen Dinge du erschauest,
Eh' in sich selbst sie sind, den Punkt betrachtend,
Für den jedwede Zeit ist gegenwärtig;
Indes ich mit Virgil noch war vereinet,
Den Berg erklimmend, der die Seelen heilet,
Und in die Welt des Todes niedersteigend,
Ward mir gesagt von meinem künft'gen Leben
Manch schweres Wort, obgleich ich jetzt mich fühle
Recht felsenfest für des Geschickes Streiche.
Drum würd' es mir Befriedigung gewähren,
Zu wissen, welch ein Schicksal sich mir nahe;
Denn träger kommt der Pfeil, den man voraussieht.‹
Also begann ich zu demselben Lichte,
Das mit mir sprach zuerst und, wie Beatrix
Es forderte, bekannt' ich meinen Wunsch ihm.
Nicht durch Vieldeutigkeit, drin sich verstrickte
Das Torenvolk, bevor noch Gottes Lamm war
Getötet worden, das die Sünden wegnahm,
Nein, klaren Worts und mit bestimmter Rede
Gab Antwort mir die väterliche Liebe,
Umhüllt und strahlend von dem eignen Lächeln.
»Das Reich zufäll'ger Dinge, das sich weiter
Nie denn das Buch erstrecket eures Stoffes,
Ist ganz im ew'gen Antlitz abgebildet.
Notwendigkeit jedoch empfängt's daher nicht,
Nicht mehr als von dem Auge, drin sich's spiegelt,
Ein Schiff, das in der Strömung abwärts gleitet
Von dorther tritt mir, gleichwie von der Orgel
Zum Ohre süße Harmonien gelangen,
Die Zeit vors Auge, die sich dir bereitet.
Wie Hippolyt von dannen aus Athen ging,
Der treulos-grausamen Stiefmutter wegen,
Also wirst du Florenz verlassen müssen.
Das ist es, was man will; das sucht bereits man,
Und bald wird's dem gewähret, der drauf sinnet,
Dort, wo tagtäglich Christus wird verhandelt.
Die Schuld wird dem verletzten Teile folgen
Dem Ruf nach, wie sie's pflegt, allein die Rache
Zeugt für die Wahrheit bald, die jene spendet.
Verlassen wirst du all die lieben Dinge,
Die dir am teuersten, und dieser Pfeil wird
Der erste sein von der Verbannung Bogen.
Erfahren wirst du, wie gesalzen schmecket
Das fremde Brot, und wie so herb der Pfad ist,
Den man auf fremden Stiegen auf- und absteigt.
Doch was zumeist den Rücken dir beschweret,
Wird die Genossenschaft sein, bös und töricht,
Mit der in solches Tal herab du stürzest,
Die ganz undankbar dich, ganz toll und gottlos
Anfeinden wird; allein bald wird sie selber,
Nicht du, blutrot davon die Schläfe tragen.
Von ihrer Unvernunft gibt ihr Verfahren
Bald den Beweis, so daß dir's rühmlich sein wird,
Daß für dich selbst du hast Partei gebildet.
Dein erster Zufluchtsort, dein erstes Obdach
Wird sein des mächtigen Lombarden Großmut,
Der auf der Stiege trägt den heil'gen Vogel;
Der wird mit so viel Güte dich beachten,
Daß von dem Tun und Bitten, was bei andern
Das spät'ste, unter euch das erste sein wird.
Mit ihm schaust den du, der bei der Geburt so
Den Eindruck dieses kräft'gen Sterns empfangen,
Daß merkenswert einst seine Taten werden.
Noch sind die Völker des nicht inne worden
Ob seines jungen Alters; denn neun Jahre
Erst sind's, seit diese Kreis' um ihn sich winden.
Doch eh' der Baske täuscht den hohen Heinrich,
Wird er schon Funken seiner Tugend zeigen,
Indem er sich um Geld und Müh' nicht kümmert.
Also bekannt wird sein großartig Wesen
Dereinst noch werden, daß selbst seine Feinde
Davon die Zunge stumm nicht halten können.
Auf ihn mögst hören du und auf sein Wohltun!
Viel Volk wird durch ihn umgeändert werden,
Der Reiche mit dem Bettler Lage wechselnd.
Von ihm nimmst manches du im Sinn verzeichnet
Von dannen mit und sagst's nicht!« Und sprach Dinge
Unglaublich dem, der gegenwärtig sein wird.
Drauf fügt' er bei: »Sohn, dieses sind die Glossen
Zu dem, was dir gesagt ward, dies der Fallstrick,
Der hinter wenig Schwingungen verhüllt liegt.
Doch mögst du deine Nachbarn nicht beneiden,
Da weiter in die Zukunft hin, als ihrer
Treulosigkeit Bestrafung, reicht dein Leben.«
Nachdem durch Schweigen drauf die heil'ge Seele
Gezeigt, daß sie zu Ende mit dem Einschlag
In jenem Grund, den ich ihr bot gewoben,
Begann ich, jenem ähnlich, der, im Zweifel
Befangen, Rat von einem Manne wünschet,
Der sieht und rechten Willen hat und liebet:
›Wohl seh' ich, Vater, wie auf mich zusprenget
Die Zeit, daß einen Streich sie mir versetze,
Der dem am härt'sten, der zumeist sich gehn läßt;
Drum ziemt es, daß ich mich mit Vorsicht waffne,
So daß, wenn mir der liebste Ort geraubt wird,
Ich nicht die andern durch mein Lied verliere.
Dort unten in der Welt, der endlos bittern,
Und an dem Berg, von dessen schönem Gipfel
Die Augen meiner Herrin mich erhoben,
Und späterhin von Licht zu Licht im Himmel
Vernahm ich manches, das gar vielen, wenn ich
Es wieder sage, stark gewürzt wird schmecken;
Doch, wenn ich schüchtern nur der Wahrheit Freund bin,
Möcht' ich bei jenen, fürcht' ich, fort nicht leben,
Die diese Zeit die alte nennen werden.‹
Das Licht, in welchem lächelte mein Kleinod,
Das ich gefunden hier, ward erst ganz blitzend,
Wie bei der Sonne Strahl ein goldner Spiegel;
Drauf gab's zur Antwort: »Ein befleckt Gewissen,
Sei's durch die eigne, sei's durch fremde Schande,
Mag immerhin dein herbes Wort empfinden.
Doch um nichts weniger veroffenbare
Dein ganz Gesicht, jedweder Lüg' entsagend,
Und kratzen laß, wo sich die Krätze findet;
Denn wenn auch deine Stimme lästig sein wird
Beim ersten Kosten, wird sie Lebensnahrung,
Wenn sie verdauet ist, zurück dann lassen.
Dem Sturme gleich wird dies dein Rufen wirken,
Der stets zumeist die höchsten Gipfel schüttelt,
Und solches wird nicht wenig Ruhm dir bringen.
Drum wurden dir gezeigt in diesem Kreise,
Am Berg und in dem schmerzensreichen Tale
Nur solche Seelen, die an Ruf bekannt sind,
Indem des Hörers Geist nicht wird befriedigt,
Noch sich im Glauben feststellt durch ein Beispiel,
Des Wurzel unbekannt ist und verborgen,
Noch auch durch andern Grund, der nicht zu schaun ist.«

Achtzehnter Gesang

Schon freute jetzt des eigenen Gedankens
Allein sich jener sel'ge Geist, und ich mich
Des meinen, Süßes mäßigend durch Herbes;
Doch jenes Weib, das hin zu Gott mich führte,
Sprach: »Sinn' auf andres; denke, daß du nahe
Dem bist, der jedes Schadens Last enthebet.«
Nach meines Trostes liebevollen Tönen
Wandt' ich mich, und welch eine Lieb' im heil'gen
Aug' ich dort sah, hier geb' ich's auf zu schildern;
Nicht, weil ich meiner Rede nur mißtraue,
Nein, ob des Sinns, der auf sich selbst soweit nicht
Zurück kann kehren, führt ihn nicht ein andrer.
Soviel kann ich von dem Moment berichten,
Daß, weil ich sie betrachtete, mein Herz sich
Von jedem andern Wunsche frei gefühlet.
Indes die ew'ge Lust, die sonder Mittel
Strahlt' auf Beatrix, aus dem schönen Antlitz
Mit ihrem Abbild mich zufriedenstellte,
Sprach sie zu mir, durch eines Lächelns Licht mich
Besiegend: »Wende dich und horche; denn nicht
In meinen Augen nur ist Paradies ja!«
Gleichwie zuweilen hier im Angesichte
Sich zeiget das Gefühl, wenn es so mächtig,
Daß ganz von ihm die Seel' ist hingerissen;
Also erkannt' ich in des heil'gen Blitzes
Geflamm, nach dem ich mich gewandt, das Wünschen,
Das in ihm war, mir noch etwas zu sagen.
Und er begann: »Auf dieser fünften Stufe
Des Baums, der Leben zieht von seinem Wipfel
Und Frucht stets trägt und nie sein Laub verlieret,
Gibt's sel'ge Geister, die dort unten, eh' sie
Zum Himmel kamen, großen Ruf erlanget,
Dran reichen Stoff jedwede Muse hätte.
Drum blicke nach den Hörnern hin des Kreuzes;
Der, den ich nenne, wird den Akt dort zeigen,
Den in der Wolke macht ihr rasches Feuer.«
Ein Licht sah ich durchs Kreuz einhergezogen
Auf Josua's Erwähnung, wie sie stattfand,
Noch ward des Wortes vor der Tat ich inne.
Und auf des hohen Makkabäers Namen
Sah ich ein andres drehend sich bewegen,
Und Wonne war die Peitsche solches Kreisels.
So folgt', als Karl dem Großen und als Roland,
Zwei'n aufmerksam mein Blick, gleichwie das Auge
Dem eignen Falken pflegt im Flug zu folgen.
Drauf zog mein Angesicht nach sich hin Wilhelm,
Es zogen's Renouard und Herzog Gottfried
Auf sich in jenem Kreuz, und Robert Guiscard.
Bewegt dann und gemischt mit andern Lichtern,
Bewies die Seele, die mit mir gesprochen,
Mir, welch ein Künstler sie im Himmelschor sei.
Ich wandte wieder mich zur rechten Seite,
Um in Beatrix meine Pflicht zu schauen,
Durch Worte dort bezeichnet oder Handlung;
Und ihrer Augen Licht sah ich so klar dort,
So wonnig, daß ihr Anblick, was sie früher
Gepflegt zu sein und was zuletzt, besiegte.
Und wie der Mensch, indem von Tag zu Tag er
Beim Gutestun der Freude mehr empfindet,
Gewahrt, daß seine Tugend vorwärtsschreitet,
Merkt' ich, daß meinem Umschwung mit dem Himmel
Zugleich der Bogen sich vergrößert hatte,
Da jenes Wunder reicher ich geschmückt sah.
Und der Verändrung ähnlich, die nach kurzem
Zeitraum die Farbe weißer Frau'n erleidet,
Wenn sich der Scham ihr Antlitz hat entlastet,
War's, als ich mich gewandt, in meinen Augen
Ob des gemäßigten Planeten Weiße,
Des sechsten, der in sich mich aufgenommen.
In dieser Jovis-Fackel sah der Liebe
Entsprühn ich, das sich hier befand, die Worte
Darstellen unsrer Sprache meinen Augen
Wie Vögel, die sich an dem Strand erheben,
Zu ihrem Mahle gleichsam sich begrüßend,
Bald lange Scharen und bald runde bilden;
So sangen, hin und wieder fliegend, heil'ge
Geschöpf in diesen Lichtern, bald zu D sich,
Zu I, zu L in ihrer Form gestaltend.
Nach ihrer Melodie bewegten erst sie
Sich singend, und, eins jener Zeichen bildend,
Verharrten sie ein Weilchen dann und schwiegen.
O heil'ge Pegasäa, die den Geistern
Du Ruhm gewährst und lange Dauer sicherst,
Und diese Städten dann mit dir und Reichen,
Erleuchte mich durch dich, daß jene Formen
Ich, wie ich sie gewahrt, herzählen möge;
Tu' deine Kraft kund in den kurzen Versen!
Es zeigten mir sich also fünf mal sieben
Selbstlaut' und Mitlaut', und die Teile merkt' ich,
Wie sie geschrieben mir erschienen waren.
Diligite justitiam, Nenn- und Zeitwort,
So hieß der erste Teil der ganzen Inschrift,
Qui judicatis terram, hieß der letzte.
Drauf in dem M des fünften Wortes blieben
Sie so geordnet stehn, daß hier dem Silber
Jupiter ähnlich war, mit Gold besetzet.
Und andre Lichter sah ich niedersteigen
Zum Haupt des M und dort zur Ruhe kommen,
Das Gut wohl singend, das nach sich sie hinzieht.
Dann, wie, wenn sich entbrannte Stücke treffen,
Unzähl'ge Funken steigen, draus die Toren
Sich Vorbedeutung zu entnehmen pflegen,
Sah mehr denn tausend Lichter ich von hier sich
Erheben, minder oder mehr, nachdem es
Die Sonne, die sie zündet, ihnen anwies;
Und als nun jedes still an seinem Ort stand,
Erblickt' ich im vorstechend hellen Feuer
Darstellend Haupt und Hals sich eines Adlers.
Der so hier malt, hat niemand, der ihn führet,
Nein, selber führt er, und von ihm her schreibet
Die Kraft sich, die zur Form wird in den Nestern.
Die andre sel'ge Schar, die erst befriedigt
Schien sich als M in Lilien einzufassen,
Mit kurzem Umschwung folgte jenem Eindruck.
0 liebliches Gestirn, wie viel und welche
Juwelen zeigten mir, daß Wirkung unsre
Gerechtigkeit des Himmels, dran du prangst, sei!
Drum bitt' ich jenen Geist, von dem dein Umschwung
Und deine Kraft beginnt, daß er betrachte,
Woher der Rauch kommt, der dein Licht verkümmert;
So daß er endlich wieder einmal zürne
Dem Kaufen und Verkaufen in dem Tempel,
Aus Martyrium und Zeichen aufgemauert.
0 Kriegerschar des Himmels, den ich schaue,
Bet' an für jene, die, auf Erden bösem
Beispiele folgend, ganz verirrt sich haben!
Einst pflegte mit dem Schwert man Krieg zu führen,
Doch jetzt, bald hier, bald dort das Brot entziehend,
Das keinem hält versperrt der fromme Vater.
Doch du, der nur, um auszulöschen, schreibet,
Wiss', Paul und Peter, die für jenen Weinberg,
Den du verderbst, gestorben, sind noch lebend.
Wohl kannst du sagen: also feste Sehnsucht
Hab' ich nach dem, der einsam leben wollte,
Und der durch Tanz zum Martyrium gebracht ward,
Daß ich den Fischer nicht, noch Paulum kenne.

Neunzehnter Gesang

Es zeigte sich vor mir mit offnen Schwingen
Das schöne Bild, das fröhlich in dem süßen
Genusse die verbundnen Seelen machte.
Jedwede schien wie ein Rubinlein, drinnen
Ein Sonnenstrahl von solchem Feuer glühte,
Daß es zurück ihn warf in meine Augen.
Und, was mir jetzt zu schildern ziemt, nie ward es
Durch Stimme noch verkündet, noch mit Tinte
Geschrieben, noch durch Phantasie begriffen;
Denn reden sah und hört' ich jenen Schnabel,
Und in den Worten »Ich« und »Mein« erklingen,
Weil es den Sinn von »Wir« und »Unser« hatte.
Und er begann: »Weil ich gerecht und fromm war,
Bin ich zu solcher Herrlichkeit erhöht hier,
Die sich durch bloßen Wunsch nicht läßt erringen;
Und auf der Erde ließ ich solch Gedächtnis
Von mir zurück, daß das verkehrte Volk es
Zwar preiset, doch nicht folget der Geschichte.«
So ist von vielen Kohlen eine Glut wohl
Zu fühlen, wie von vieler Herzen Liebe
Ein einz'ger Ton aus diesem Bild hervordrang.
Und ich darauf: ›0 immergrüne Blumen
Der ew'gen Lust, die ihr all eure Düfte
Als einen einzigen mir laßt verspüren,
Löst mir, enthauchend, jenes große Sehnen,
Drob lang ich schon gehungert, da auf Erden
Ich keine Speise fand, um es zu stillen!
Wohl weiß ich, wenn in anderm Reich des Himmels
Die göttliche Gerechtigkeit sich spiegelt,
Daß eures doch sie nicht verschleiert auffaßt.
Ihr wisset, wie aufmerksam zuzuhören
Ich mich bereit'; ihr wisset, welch ein Zweifel
Es ist, drob ich so altes Sehnen hege.‹
Dem Falken gleich, wenn er, der Haub' entkommen,
Das Haupt bewegt und mit den Schwingen Beifall
Sich schlägt, voll Lust sich und in Schönheit zeigend,
Sah ich's das Zeichen machen, das gewoben
Von Lobgesängen war der ew'gen Gnade,
In Weisen, wie sie kennt, wer droben selig.
Drauf fing er an: »Er, der, den Zirkel an der
Weltgrenze dreh'nd, so viel in ihrem Umfang
Verborgenes unterschied und Offenbares,
Ausprägen konnt' er nicht im ganzen Weltall
So seine Kraft, daß nicht sein Wort unendlich
Es übertreffend noch verblieben wäre.
Und des Beweis ist, daß der erste Stolze,
Der der Geschöpfe höchstes, weil auf Licht er
Nicht wollte warten, ungezeitigt hinfiel.
Denn draus erhellt, wie jegliche geringre
Natur ein eng Gefäß nur jenem Gut ist,
Das, endlos selbst, sich mit sich selbst nur misset.
Daher kann unser Schauen, das nur einer
Der Strahlen jenes Intellektes sein muß,
Von welchen insgesamt die Ding' erfüllt sind,
Der eigenen Natur nach also mächtig
Nicht sein, daß sein Prinzip es nicht gewahre
Viel minder glänzend, als es in der Tat ist.
Darum vertiefet innerhalb der ew'gen
Gerechtigkeit die Sehkraft sich, die eure
Welt hat empfangen, wie das Aug' im Meere,
Das, ob's am Strand den Grund erblickte, so doch
Auf hohem Meer nicht, und dennoch ist jener
Vorhanden; doch ihn birgt die eigne Tiefe.
Kein Licht gibt's, kommt es nicht von jener Heit're,
Die nie sich trübt, nein, Finsternis ist's, stammend
Vom Schatten oder von dem Gift des Fleisches.
Zur Gnüg' ist dir die Höhle nun erschlossen,
Drin die lebendige Gerechtigkeit dir
Sich barg, drob du so häuf'ge Fragen einwarfst,
Indem du sprachst: Geboren wird am Indus
Ein Mensch, und niemand ist daselbst, der spreche
Von Christo, noch auch lese, noch auch schreibe;
Und alles, was er will, und all sein Handeln
Ist gut, so weit die menschliche Vernunft sieht,
Von jeder Sünde frei in Wort und Leben.
Er stirbet ungetauft und sonder Glauben;
Wo kann ihn hier Gerechtigkeit verdammen?
Wo nun ist seine Schuld, wenn er nicht glaubet?
Doch, wer bist du, der zu Gericht will sitzen,
Auf tausend Meilen weit Urteil zu fällen
Mit deinem Blick, der eine Spanne reichet?
Wohl würde dem sich, der mit mir gegrübelt,
Wenn über euch die heil'ge Schrift nicht stände,
Zu staunensvollem Zweifel Stoff hier finden.
0 ird'sche Wesen, o stumpfsinn'ge Geister!
Der erste Wille, gut an sich, hat nimmer
Sich von sich selbst, dem höchsten Gut, entfernet.
Das ist gerecht, was mit ihm übereinstimmt;
Und nach sich hin zieht kein erschaffnes Gut ihn,
Nein, er ist's, der, entstrahlend, es hervorruft.«
Gleichwie sich überm Nest im Kreise drehet
Der Storch, nachdem die Jungen er gefüttert,
Und der gefütterte nach jenem hinblickt,
Dem ähnlich ward – und so hob sich das Auge –
Das segensreiche Bild, das, von so tiefem
Ratschluß beweget, seine Schwingen regte.
Umkreisend sang's und sprach: »Wie meine Worte
Für dich sind, der sie nicht versteht, so ist für
Euch Sterbliche der Spruch des ew'gen Richters.«
Drauf wurden still die hellen Fackelbrände
Des heil'gen Geistes wiederum im Zeichen,
Durch das ehrwürdig Rom der Welt geworden.
Und es begann aufs neu': »Zu diesem Reiche
Stieg keiner je, der nicht geglaubt an Christum,
Nicht eh' man ihn ans Holz schlug, noch auch später.
Doch sieh, gar viele rufen: ›Christe! Christe!‹
Die im Gericht viel minder nah einst werden
Ihm stehn als mancher, der nicht kannte Christum;
Und solche Christen wird der Äthiope
Verdammen, wenn sich trennen die zwei Scharen,
Die ein' auf ewig reich, die andre dürftig.
Was können euren Kön'gen nicht die Perser
Einst sagen, wenn geöffnet sie das Buch sehn,
Darin all eure Schmach wird aufgeschrieben?
Alldort wird unter Alberts Taten jene
Man schaun, die bald den Flügel wird bewegen,
So daß Prags Königreich drob wüst gelegt wird.
Hier wird den Trug man sehn, den an dem Strande
Der Seine jener treibt, die Münze fälschend,
Der durch der Borste Stoß den Tod wird finden.
Den Stolz wird man hier sehn, durch dessen Dünste
Der Schott' und Engeländer also rasen,
Daß keiner mag in seinen Schranken bleiben.
Die Üppigkeit wird und das weiche Leben
Des Spaniers man sehn, so wie des Böhmen,
Der Tugend nie gekannt hat, noch geliebet.
Mit einem I bezeichnet wird man sehen
Beim Lahmen von Jerusalem sein Gutes,
Weil dessen Gegensatz ein M bezeichnet.
Den Geiz wird und die Feigheit man dort schauen
Des, der die Feuerinsel schirmt, wo einstens
Anchises schloß die lange Lebensdauer;
Und anzudeuten, wie gering er gelte,
Wird über ihn mit abgekürzten Lettern
In engem Raume viel geschrieben stehen.
Und jedem werden sich die schnöden Werke
Des Ohms und Bruders zeigen, die so hehre
Abstammung und der Kronen zwei geschändet.
Und den von Portugal, den von Norwegen
Wird man erkennen dort und den von Rascien,
Der schlecht Venedigs Stempel zugerichtet.
O glücklich Ungarland, wenn es sich nimmer
Mißhandeln läßt, und glückliches Navarra,
Wenn's mit dem Berg sich waffnet, der's umgürtet!
Und glauben mag ein jeder, daß als Vorschmack
Hiervon Nicosia jetzt und Famagosta
Ob ihrer Bestie schon schrein und jammern,
Die von der andern Seite sich nicht trennet.«

Zwanzigster Gesang

Wenn jene, so die ganze Welt erleuchtet,
Von unsrer Hemisphär' also herabsteigt,
Daß allenthalben schon der Tag entschwindet;
Dann wird der Himmel, der von ihr allein erst
Entglommen war, auf einmal wieder leuchtend
Von vielen Lichtern, drin das ein' erglänzt.
Und dieser Akt des Himmels kam zu Sinn mir,
Als jetzt der Welt und ihrer Führer Zeichen
Still schwieg mit dem gebenedeiten Schnabel;
Denn, heller leuchtend noch, begannen jene
Lebend'gen Lichter insgesamt Gesänge,
Die dem Gedächnis schwanden und entfielen.
O süße Liebe, die sich hüllt in Lächeln,
Wie glüh'nd in jenem Funken du erschienest,
Die heilige Gedanken nur durchwehen!
Nachdem die teuern glänzenden Gesteine,
Damit das sechste Licht besetzet pranget,
Den Engelsglockenton verstummen lassen,
Glaubt' eines Flusses Murmeln ich zu hören,
Der hell von Stein zu Stein herniederstürzet,
Die Wasserfülle seines Ursprungs zeigend.
Und wie der Ton am Hals der Zither seine
Gestalt gewinnt, und wie der Wind, der durchdringt,
Sie in dem Luftloch der Schalmei gewinnet,
So, keine fern're Zögerung mehr duldend,
Stieg jenes Murmeln jetzt des Adlers aufwärts
In seinem Halse, gleich als ob er hohl sei.
Zur Stimme ward es hier und drang heraus dann
Durch seinen Schnabel in Gestalt von Worten,
Wie sie das Herz, drein ich sie schrieb, erharrte.
»Den Teil in mir, der in den ird'schen Adlern
Die Sonn' erträgt und schaut,« also begann er,
»Geziemt es jetzt aufmerksam zu betrachten,
Weil von den Feuern, draus ich mich gestalte,
Die, draus das Auge mir im Haupte schimmert,
Stehn auf der obersten all ihrer Stufen.
Der in der Mitt' als Augenstern mir glänzet,
Des heil'gen Geistes Sänger war er, der einst
Von Stadt zu Stadt versetzt die Bundeslade;
Anjetzt erkennet das Verdienst er seines
Gesangs, soweit er Wirkung eignen Rates,
Durch die Belohnung, die demselben gleich ist.
Von jenen fünfen, die als Brau' im Kreise
Mir stehn, hat, der zumeist sich naht dem Schnabel,
Die arme Witw' ob ihres Sohns getröstet;
Anjetzt erkennet er, wie schwer es kostet,
Christum nicht folgen, weil dies süße Leben,
So wie sein Gegenteil er hat erprobet.
Und der im Umkreis dann, von dem ich spreche,
Nach jenem folget auf des Bogens Steigung,
Erhielt Aufschub des Tods durch wahre Buße;
Anjetzt erkennt er, wie sich nicht verändert
Der ew'ge Spruch, ob würdiges Gebet auch
Dort unten Morgiges aus Heut'gem machet.
Der andre, der drauf folgt' in guter Meinung,
Die schlechte Frucht trug, ward mit den Gesetzen
Und mir, daß er dem Hirten weich', ein Grieche;
Anjetzt erkennet er, wie jenes Bös' ihm,
Das seiner guten Tat entsprang, nichts schadet,
Ob auch die Welt darob zugrund gegangen.
Der, den du siehst auf dem gesenkten Bogen,
War Wilhelm, den das Land beweint, das über
Friedrich und Karl, die Lebenden, jetzt jammert;
Anjetzt erkennt er, wie gerechten König
Mit Lieb' umfängt der Himmel, und noch kann man
An seines Glanzes Anblick es gewahren.
Wer glaubte drunten in der irren Welt wohl,
Daß in dem Kreis hier Rhipeus, der Trojaner,
Das fünfte sei von diesen heil'gen Lichtern;
Anjetzt erkennt er viel von dem, was nimmer
Die Welt erschaun kann von der Gnade Gottes,
Wenn auch sein Blick den Grund nicht unterscheidet.«
Gleich einer Lerche, die sich in die Lüfte
Erst singend hebt und dann zufrieden schweiget,
Ersättigt von dem letzten süßen Tone,
Schien mir anjetzo das Symbol des Abdrucks
Des ew'gen Wohlgefallens, durch das Sehnen,
Nach dem das, was es ist, jedwedes Ding wird.
Und ob ich auch hier war für meinen Zweifel,
Wie Glas, das sie umhüllt, ist für die Farbe,
Ertrug er's doch nicht länger, stumm zu harren,
Nein, aus dem Mund trieb er hervor mit seines
Gewichtes Kraft ein: »Was sind das für Dinge?«
Darob ich großes Festgeflimmer wahrnahm.
Hierauf gab dann mit glühenderem Auge
Mir das gebenedeite Zeichen Antwort,
Nicht im Erstaunen mich gespannt zu halten:
»Ich sehe, daß du diese Dinge glaubest,
Weil ich sie sage; doch das Wie nicht siehst du,
So daß sie, ob geglaubt, verhüllt doch bleiben.
Dir geht's wie jenem, der ein Ding mit Namen
Wohl kennenlernt; doch seine Washeit kann er
Nicht schaun, wenn ihm ein andrer sie nicht kundtut.
Regnum coelorum muß Gewalt erleiden
Von heißer Lieb' und von lebend'ger Hoffnung,
Durch welche Gottes Wille wird besieget;
Nicht wie der Mensch den Menschen überwindet,
Nein, jener sieget, weil besiegt er sein will
Und dann besiegt durch seine Güte sieget.
Das erst' und fünfte Leben in der Braue
Nimmt wunder dich, dieweil du mit demselben
Die Region der Engel siehst gefärbet.
Nicht Heiden, wie du meinst, nein, Christen schieden
Sie aus dem Leib, fest an der Füße Wunden,
An künft'ge das, das an erlittne glaubend;
Denn aus der Höll', in der zu gutem Willen
Nie wieder man gelangt, kehrt' heim das eine
Zu dem Gebein, als Lohn lebend'gen Hoffens;
Lebend'gen Hoffens, das all seine Stärke
In Bitten legt' an Gott, ihn zu erwecken,
So daß sein Wille sich bewegen könne.
Zum Fleisch, indem sie kurz nur blieb, gekehret,
Glaubt' an den einen die glorreiche Seele,
Von der ich spreche, der ihr helfen konnte;
Und glaubend dann entbrannt' in wahrer Liebe
Glut also sie, daß bei dem zweiten Tode
Sie würdig ward, zu diesem Fest zu kommen.
Das andere, durch eine Gnad' entströmend
So tiefem Quell, daß keine Kreatur je
Mit seinem Auge drang zur ersten Welle,
Wandt' all sein Lieben auf das Rechte drunten;
Drum ihm für unsre künftige Erlösung
Von Gnad' erschloß zu Gnade Gott das Auge,
Drob er an jene glaubt' und ferner nicht mehr
Den Stank des Heidentums ertragen konnte,
Darüber scheltend die verkehrten Völker.
Es wurden ihm zur Taufe die drei Frauen,
Die du gesehn hast an dem rechten Rade,
Eh' man getauft hat, mehr als ein Jahrtausend.
O Vorbestimmung, wie so weit entfernet
Ist deine Wurzel allen Angesichtern,
Die da den ersten Grund nicht ganz erschauen!
Ihr aber, Sterbliche, enthaltet streng euch
Vom Richten, da wir selbst, die Gott doch sehen,
Die Auserwählten alle noch nicht kennen;
Und süß erscheinet uns sotaner Mangel,
Weil unser Heil sich läutert in dem Heile,
Nur das, was Gott will, einzig selbst zu wollen.«
So ward von jenem göttlichen Gebilde,
Um aufzuklären mein kurzsichtig Auge,
Wohlschmeckend' Arzenei mir dargereichet.
Und wie dem guten Sänger mit der Schwingung
Der Sait' ein guter Zitherspieler folget,
So daß der Sang mehr Lieblichkeit erlanget,
Also erinnr' ich mich, weil es gesprochen,
Daß ich die zwei gebenedeiten Lichter
Sah, wie im Einklang zuckt der Augen Blitzen,
Die Flämmchen mit dem Wort zugleich bewegen.

Einundzwanzigster Gesang

Schon war mein Blick zum Antlitz meiner Herrin
Aufs neu' gewendet und mit ihm die Seele,
Jedweden andern Strebens sich entschlagend.
Sie lächelte jetzt nicht, doch »Wollt' ich lächeln,«
Begann zu mir sie, »würdest so du werden,
Wie Semele, da sie zu Asche worden;
Denn meine Schönheit, die sich auf den Stiegen
Des ewigen Palastes mehr entzündet,
Wie du gesehen hast, je mehr man steiget,
Sie würde, mäßigt' ich sie nicht, so glänzen,
Daß deine ird'sche Kraft vor ihrer Leuchte
Den Zweigen gliche, die der Blitz zersplittert.
Zum siebenten der Scheine sind erhöht wir,
Der unter des glutvollen Löwen Brust jetzt,
Gemischt mit ihm, hernieder seine Kraft strahlt.
Jetzt, deinen Augen nach den Sinn geheftet,
Laß jene der Gestalt zum Spiegel dienen,
Die dir in diesem Spiegel wird erscheinen.«
Wer immer wüßte, welcherlei des Schauens
Genuß war in dem sel'gen Angesichte,
Als ich mich abgewandt zu andrer Sorge,
Der würde, wie dem himmlischen Geleite
Mir's wonnig zu gehorchen war, erkennen,
Die eine Seit' abwägend mit der andern.
In dem Kristalle, der, die Welt umkreisend,
Trägt ihres teuern Führers Namen, unter
Des Herrschaft tot einst lag jedwede Bosheit,
Sah ich von goldner strahldurchwirkter Farbe
Aufwärts so hoch sich eine Stieg' erheben,
Daß sie mein Auge nicht verfolgen konnte.
Auch sah ich auf den Stufen niedersteigen
So viele Schimmer, daß ich meint', es sei hier
Ergossen jedes Licht, das glänzt am Himmel.
Und wie, nach eingeborner Sitte, sämtlich
Die Kräh'n bei Tagesanbruch sich bewegen,
Ihr kalt Gefieder wiederum zu wärmen,
Dann ein'ge sonder Wiederkehr davonziehn,
Und andre dorthin, woher sie kamen,
Sich wenden, kreisend andere verweilen;
Solch eine Weise glaubt' ich hier zu sehen
In dem Hervorsprühn, das zugleich gekommen,
Als auf gewisser Stuf' es plötzlich stillhielt.
Und jener, der an uns zunächst jetzt stehnblieb,
Ward also klar, daß ich im Innern sagte:
›Wohl seh' die Lieb' ich, die du mir bekundest.‹
Doch sie, von der im Sprechen ich und Schweigen
Das Wie und Wann erwart', ist still, darum ich
Trotz meines Wunsches recht tu', nicht zu fragen.
Drob jene, die mein Schweigen schaut' im Schauen
Desjenigen, der alle Dinge schauet,
Zu mir so sprach: »Ström' aus dein heißes Wünschen!«
Und ich begann drauf: ›Mein Verdienst nicht machet
Mich würdig deiner Antwort, doch ob jener,
Die das Begehren mir gewähret, lass' mich,
Glücksel'ges Leben du, das sich verhüllet
In seine eigne Wonne, lass' mich wissen,
Weshalb so nah zu mir hinzu du tratest,
Und sprich, warum in diesem Kreise schweiget
Der süße ChorGesang des Paradieses,
Der also fromm klang in den andern drunten.‹
»Wie dein Gesicht ist dein Gehör auch sterblich,«
Entgegnet' er, »drum man aus gleichem Grunde hier
Nicht singt, weshalb Beatrix nicht gelächelt.
Herabkam auf der heil'gen Stiege Stufen
So weit ich, bloß dich festlich zu begrüßen
Durchs Wort und durch das Licht, das mich umkleidet.
Noch war's mehr Liebe, die mich mehr beeilte;
Denn gleich' und größre Liebe glüht nach oben
Von hier, wie das Geflamm dir offenbaret.
Doch hehres Lieben, das zu Dienerinnen
Uns macht, dem Rat der Weltregierung willig,
Verteilt, wie du bemerkst, hier die Bestimmung.«
›Wohl seh' ich ein,‹ sprach ich, ›o heil'ge Leuchte,
Wie freie Lieb' an diesem Hof genüget,
Der ewigen Voraussicht nachzukommen.
Doch das ist's, was mir schwer scheint zu begreifen,
Weshalb zu diesem Amt allein vor deinen
Genossen du vorausbestimmet worden.‹
Kaum war ich noch zum letzten Wort gelanget,
Als er zum Wendepunkt nahm seine Mitte,
Gleich einer raschen Mühl' umher sich drehend.
Drauf gab die Liebe, die drin war, zur Antwort:
»Ein göttlich Licht schärft nach mir seine Strahlen,
Durchdringend das, des Höhlung mich beherbergt,
Und seine Kraft, vereint mit meinem Schaun, hebt
So weit mich über mich, daß ich kann schauen
Die höchste Wesenheit, draus es geschöpft ist.
Daher die Fröhlichkeit, die mich entflammet,
Weil meinem Anschaun, je nachdem es klar ist,
Ich gleich die Klarheit mache meiner Flamme.
Allein die aufgehellt'ste Seel' im Himmel,
Der Seraph, der zumeist auf Gott das Auge
Geheftet hat, nicht gnügt er deiner Frage,
Dieweil so weit hinein liegt in den Abgrund
Der ew'gen Satzung, was du heischest, daß es
Sich jeglichem erschaffnen Blick entziehet.
Und wenn zur Welt der Sterblichkeit du heimkehrst,
Berichte dies so, daß man nicht mehr wage,
Nach solchem Ziel die Füße zu bewegen.
Der Geist, der Licht hier, ist auf Erden Nebel,
Drum sieh, ob er dort unten wohl vermöchte,
Was er nicht kann, da ihn der Himmel aufnimmt.«
So setzten eine Schranke seine Worte
Mir, daß die Frag' ich ließ und mich begnügte,
Demütig, wer er sei, von ihm zu forschen.
»Ein Felsjoch hebt sich zwischen Welschlands beiden
Gestaden nicht gar weit von deiner Heimat
So hoch, daß sehr viel tiefer hallt der Donner,
Und bildet eine Kuppe, namens Catria,
Darunter eine Wildnis eingeweiht ist,
Die sich zu eignen pflegt einsamem Gott'sdienst.«
Also begann zu mir die dritte Rede
Er jetzt und sprach fortfahrend dann: »Hier hatt' ich
Im Dienste Gottes also mich befestigt,
Daß ich bei Speisen aus Olivensaft nur
Mit Leichtigkeit hinbrachte Frost und Hitze,
Zufrieden in beschaulichen Gedanken.
Dies Kloster pflegt' einst reichlich Frucht zu tragen
Dem Himmel hier, doch jetzt ist's leer geworden,
So daß alsbald sich solches muß enthüllen.
Ich Peter Damian lebte hier, doch Peter
Der Sünder hat gelebt im Hause unsrer
Liebfrau'n am adriatischen Gestade;
Nur wenig ird'sches Leben blieb mir übrig,
Als man zu jenem Hut mich rief und schleppte,
Der jetzt von Schlechten übergeht zu Schlechten.
Es kam einst Cephas, es kam einst das große
Gefäß des heil'gen Geists, barfuß und mager,
Die Kost, die jede Herberg' bot, genießend.
Anjetzt bedarf der neu're Hirt, daß einer
Ihn stützte rechts und links, und der ihn führe,
So schwer ist er, und der ihn hinten hebe.
Mit seinem Mantel decket er den Zelter,
So daß zwei Bestien unter einem Fell gehn;
O der Langmütigkeit, die soviel duldet!«
Auf solche Stimme sah ich mehr' der Flämmchen
Von Grad zu Grad absteigen und sich drehen,
Und schöner wurden sie bei jeder Drehung.
Um jenen sich versammelnd, hielten still sie
Und gaben einen Ruf so lauten Klanges
Von sich, daß hier damit nichts zu vergleichen,
Und ich ihn nicht vernahm, vom Schall bewältigt.

Zweiundzwanzigster Gesang

Von Schreck beklommen wandt' ich wieder hin mich
Zur Führerin, dem Kindlein gleich, das immer
Dorthin sich flüchtet, wo's zumeist vertrauet.
Und diese, gleich der Mutter, die behende
Aufhilft dem bleichen atemlosen Sohne
Mit ihrer Stimme, die ihn stets ermuntert,
Sprach zu mir: »Weißt du nicht, daß du im Himmel?
Und weißt du nicht, daß ganz der Himmel heilig,
Und, was drin vorgeht, stammt aus rechtem Eifer?
Wie der Gesang dich erst verwandelt hätte
Und ich durchs Lächeln, kannst du jetzt dir denken,
Nachdem das Rufen schon dich so bewegt hat;
Und wenn in solchem du vernommen hättest
Die Bitte, würde dir bekannt die Rache
Schon sein, die du vor deinem Tod noch schaun wirst.
Das Schwert aus dieser Höh', nicht eilig schneidet's,
Noch langsam, als allein in dessen Meinung,
Der, wünschend oder fürchtend, seiner harret.
Doch wende wieder jetzt dich nach den andern,
Denn gar berühmte Geister wirst du schauen,
Wenn du nach meinem Wort den Blick zurückführst.«
Wie's ihr gefiel, sodann die Augen richtend,
Sah ich wohl hundert Sphärlein, unt'reinander
Mit gegenseit'gen Strahlen sich verschönernd.
Ich stand gleich jenem, der in sich zurückdrängt
Den Stachel des Verlangens und zu fragen
Sich nicht vermißt, zu viel zu tun sich scheuend.
Die größt' und auch zugleich die lichterfüllt'ste
Von jenen Perlen trat jetzt vor, um meinem
Verlangen in bezug auf sich zu gnügen.
Drauf hört' ich's ihr im Innern: »Wenn gleich mir du
Die Liebe säh'st, die unter uns erglühet,
Würd' ausgedrückt sich zeigen dein Gedanke;
Doch daß du, harrend, nach dem hohen Ziel nicht
Zu kommen zögerst, geb' ich deinem Denken
Schon, das so sehr zurück du hältst, jetzt Antwort.
Der Berg, an dessen Hang Cassino lieget,
Ward einst auf seinem Gipfel heimgesuchet
Von dem betrognen, schlimm gesinnten Volke;
Und ich bin's, der zuerst hinaufgetragen
Den Namen dessen, der zur Erde nieder
Die Wahrheit brachte, die uns so verkläret;
Und über mich entstrahlte so viel Gnade,
Daß ich ringsum die Weiler vom verruchten
Dienst abzog, der die Welt verführet hatte.
Die andern Flammen waren insgesamt auch
Beschaul'che Männer, von der Wärm' erglühend,
Die heil'ge Blüten sprießen macht und Früchte.
Hier ist Macarius, hier ist Romualdus,
Hier sind auch meine Brüder, die in Klöstern
Den Schritt gebannt und fest das Herz gehalten.«
Ich drauf: ›Die Liebe, die du, mit mir sprechend,
Mir zeigest, und das güt'ge Ansehn, das ich
Schau' und bemerk' in allen euren Gluten,
Hat also mir die Zuversicht erweitert,
Wie vor der Sonne sich die Ros' entfaltet,
Wenn sie, so sehr als sie's vermag, sich auftut.
Drum fleht' ich, Vater, laß mich sicher wissen,
Ob so viel Gnad' ich kann erlangen, daß ich
Dich schau' in unverschleiertem Gebilde?‹
Und er drauf: »Bruder, dein erhabnes Sehnen
Wird sich erfüllen in der letzten Sphäre,
Wo jedes andr' und meines sich erfüllet.
Dort ist vollkommen reif und ungeschmälert
Jedwede Sehnsucht; denn in ihr allein ist
Ein jeder Teil dort, wo er stets gewesen;
Denn nicht im Raum ist sie, kennt keine Pole,
Und unsre Stiege reicht bis hin zu selben,
Darum sie so sich deinem Blick entziehet.
Bis dort hinauf sah ihre höchste Spitze
Jakob der Patriarch einst sich erstrecken,
Als sie von Engeln so beschwert ihm deuchte.
Doch jetzt bewegt, sie zu ersteigen, niemand
Den Fuß vom Boden mehr, und meine Regel
Blieb drunten, um die Blätter zu verderben.
Die Mauern, die vordem Abtei'n gewesen,
Sind Räuberhöhlen worden, und die Kutten
Sind Säcke, mit verdorbnem Mehl gefüllet.
Doch schwerer Wucher lehnt sich gegen Gottes
Gefallen mehr nicht auf, als jene Nutzung,
Davon so töricht wird das Herz der Mönche;
Denn alles, was die Kirche hat, gehöret
Dem Volke, das um Gottes Willen flehet,
Und nicht Verwandten, noch auch andern Schlimmren,
Das Fleisch der Sterblichen ist so verlockend,
Daß guter Anfang drunten nicht vom Keime
Der Eiche zu der Eichel Bildung hinreicht.
Petrus begann, nicht Gold, noch Silber führend,
Ich mit Gebet und Fasten, und Franciscus
Demütiglich die Stiftung seines Ordens.
Und wenn du auf den Anfang eines jeden
Und dann zum Punkte blickst, wo's hingelangt ist,
Wirst du viel Weißes sehn, das schwarz geworden.
Doch traun! den Jordan rückwärts abgewendet,
Und fliehn das Meer zu sehn, als Gott es wollte,
War wunderbarer noch, als hier die Hilfe.«
Sprach's und trat wieder dann zu den Genossen,
Und die Genossen, eng vereint, erhoben
Sich aufwärts drauf gleich einem Wirbelwinde.
Die süße Herrin trieb durch einen Wink bloß
Mich ihnen nach die Stieg' an; so ward meine
Natur bewältiget von ihrer Stärke.
Noch gab's hienieden, wo man auf- und absteigt,
Naturgemäß so schnell je ein Bewegen,
Daß meinem Flug man es vergleichen könnte.
So wahr ich, Leser, je zurück will kehren
Zum frommen Siegeszug, drob meine Sünden
Ich oft bewein' und an die Brust mir schlage,
Du würd'st den Finger nicht so schnell ins Feuer
Gesteckt und draus gezogen haben, als ich
Das Zeichen, das dem Stier folgt, sah und drin war.
O ihr glorreichen Stern', o Licht, erfüllet
Mit großer Kraft, als dessen Gab' ich alles,
Was ich an Geist empfangen, anerkenne,
Mit euch ging auf, mit euch verbarg sich jener,
Der allem ird'schen Leben ist ein Vater,
Als ich zuerst Toskanas Luft gefühlet;
Und dann, als ich die Gnad' erlangt, zu treten
In jenen hehren Kreis, der euch umherschwingt,
Ward eure Region mir angewiesen.
Zu euch empor jetzt seufzet meine Seele
Inbrünstiglich, um Kraft zum schweren Schritte,
Der nach sich hin sie zieht, sich zu erwerben!
»Du bist so nah jetzt bei dem letzten Heile,«
Also begann Beatrix nun, »daß lauter
Und scharf das Licht schon sein muß deinen Augen.
Und drum, eh' du dich mehr hinein vertiefest,
Blick' abwärts noch einmal und sieh, wie viel schon
Ich von der Welt dir untern Füßen sein ließ
So daß dein Herz so freudevoll als möglich
Der triumphier'nden Schar entgegentrete,
Die fröhlich naht durch diesen runden Äther.«
Den Blick zurück durch alle sieben Sphären
Jetzt führend, sah ich diesen Ball also, daß
Mich lächeln machte sein verächtlich Ansehn;
Und jenen Ratschluß schätz' ich als den besten,
Dem er am mind'sten gilt; und wem nach anderm
Der Sinn steht, der kann wahrhaft trefflich heißen.
Ich sah die Tochter der Laton' erglühend,
Des Schattens ledig, der ein Grund gewesen,
Drob ich sie dicht und dünn geglaubt einst hatte.
Den Anblick deines Sohns, o Hyperion,
Ertrug ich hier und sah, wie sich zunächst ihm
Und um ihn her Dion' und Maja drehen.
Hiernach erschien mir zwischen Sohn und Vater
Ermäßigt Jupiter, und deutlich ward mir
Hierdurch, wie sie verändern ihre Stelle;
Und alle sieben zeigten insgesamt mir,
Wie sie so groß und wie sie so geschwind sind,
Und wie sie auf getrennten Bahnen wandeln.
Das Plätzlein, das so stolz uns macht, indes ich
Mich mit dem ew'gen Zwillingspaar umherschwang,
Erschien mir ganz von Mündungen zu Hügeln:
Drauf wandt' das Aug' ich zu den schönen Augen.

Dreiundzwanzigster Gesang

Gleichwie das Vöglein, das auf seiner süßen
Erzeugten Nest im lieben Laubesdunkel
Die Nacht durch lag, die uns die Ding' umhüllet,
Um des ersehnten Anblicks zu genießen
Und Kost zu finden, die es jenen spende,
Drob angenehm die schweren Müh'n ihm scheinen,
Der Stunde kommt zuvor auf offnem Zweige
Und, glüh'nden Wunsches voll die Sonn' erharrend,
Mit festem Blick späht, ob die Dämmrung anhebt;
So stand emporgerichtet meine Herrin,
Aufmerksam hingewandt zur Himmelsgegend,
Darunter mindres Eilen zeigt die Sonne.
Drob mir, der sie so sehnsuchtsvoll sah harren,
Wie einem ward zu Mut, der wohl ein andres
Sich wünscht', allein durch Hoffen sich beruhigt.
Doch kurze Frist verstrich von der zu jener
Wonne, des Harrens mein' ich und Erblickens,
Wie nach und nach der Himmel sich erhellte.
Und jetzt begann Beatrix: »Sieh die Scharen
Des Siegeszuges Christi, sieh versammelt
Die ganze Frucht des Kreisens dieser Sphären!«
Es schien, als ob ihr Antlitz ganz erglühe,
Und wonnerfüllt so waren ihre Augen,
Daß ich vorbeigehn muß, ohn' es zu schildern.
Gleichwie bei heitern Vollmondsnächten Trivia,
Umgeben von den ew'gen Nymphen, lächelt,
Damit des Himmels Tief allseits geschmückt ist;
So sah ich über Tausenden von Leuchten,
Sie allzumal entzündend, eine Sonne,
Wie, was wir droben schaun, die unsr' erleuchtet;
Und, durchs lebend'ge Licht durchschimmernd, glänzte
Die leuchtende Substanz mit solcher Klarheit
Ins Antlitz mir, daß ich's nicht tragen konnte.
›O teure, süße Führerin Beatrix!‹
Drauf sie zu mir: »Das, was dich überwältigt,
Ist eine Kraft, vor der sich nichts kann schirmen.
Hier ist die Weisheit, hier die Macht, die zwischen
Dem Himmel und der Erd' erschloß die Wege,
Darob so lange Zeit man Sehnsucht fühlte.«
Wie aus der Wolke Feuer sich entfesselt,
Sich dehnend, so daß es nicht drin kann bleiben,
Und der Natur zuwider erdwärts stürzet;
So trat, inmitten jenes Festgelages,
Vergrößert aus sich selbst heraus mein Geist jetzt,
Und wie's ihm ward, kann er sich nicht erinnern.
»Schließ auf dein Aug' und schau, wie ich beschaffen,
Denn solche Dinge sahst du, daß du fähig
Geworden bist, mein Lächeln zu ertragen.«
Ich war demjen'gen gleich, der, von vergessnem
Gesicht erwacht, doch sich umsonst bemühet,
In das Gedächtnis sich's zurückzuführen,
Als diesen Antrag ich vernahm, der würdig
So vielen Danks, daß nimmer er vertilgt wird
Vom Buch, drin das Vergangne steht verzeichnet.
Wenn jetzt die Zungen insgesamt ertönten,
Die Polyhymnia nebst ihren Schwestern
Am süßesten mit ihrer Milch genähret,
Mir beizustehn, ein Tausendteil der Wahrheit
Erreicht' ich nicht, das heil'ge Lächeln singend,
Und wie's erheiterte das heil'ge Antlitz.
So muß bei Schilderung des Paradieses
Das heil'ge Lied oft etwas überspringen,
Wie der so seinen Pfad trifft abgeschnitten.
Doch wer des Gegenstands Gewicht bedächte,
Und daß die Schulter sterblich, die's auf sich nimmt,
Nicht tadeln würd' er, daß sie drunter zittert;
Denn keine Fahrt ist's, für ein kleines Schifflein
Geeignet, die der kühne Kiel jetzt schneidet,
Noch für den Schiffer, der sein selbst will schonen.
»Warum entzücket also dich mein Antlitz,
Daß du zurück nicht schaust zum schönen Garten,
Der unter Christi Strahl sich schmückt mit Blumen?
Dort ist die Ros', in welcher das Wort Gottes
Zu Fleisch geworden ist, dort sind die Lilien,
Nach deren Duft den guten Weg man einschlug.«
Beatrix so. Und ich, der ihrem Rate
Ganz willig war, begab zum Kampf mich wieder,
Den zu bestehn die schwachen Augen hatten.
Wie wohl im Sonnenstrahl, der ein gebrochnes
Gewölk durchziehet, eine blum'ge Wiese
Mein Blick gesehn hat, selbst bedeckt mit Schatten,
So sah ich viele Scharen hier von Schimmern
Durch glüh'nde Strahlen glanzerfüllt von oben
Und konnte doch nicht schaun des Funkelns Ursprung.
O milde Kraft, die also sie durchdringet,
Du hobest dich empor, um meinen Augen,
Die's nicht ertragen konnten, Raum zu geben!
Der schönen Blume Namen, den ich immer
Anrufe spät und früh, zog ganz zusammen
Den Geist mir, auf das größte Licht zu merken.
Und als mir wiederglänzt' im Augenpaare
Die Weis' und Größe des lebend'gen Sternes
Der droben siegt, wie er gesiegt hier unten,
Stieg' eine Fackel in den Himmel nieder,
Gleich einer Kron', in Kreisesform gestaltet,
Die, jenen gürtend, um ihn her sich drehte.
Der Melodien süßeste hienieden,
Und die zumeist die Seele an sich zöge,
Schien eine Wolke, die zerrissen donnert,
Verglichen mit den Tönen jener Leier,
Mit der der liebliche Saphir gekrönt war,
Davon saphirblau glänzt der klarste Himmel.
»Ich bin die Engelsliebe, die umkreiset
Die hohe Wonne, so dem Leib entwehet,
Drin unser Sehnen ist beherbergt worden,
Und werd', o Himmelsfürstin, sie umkreisen,
So lang dem Sohn du folgst, und gotterfüllter
Durch deinen Eintritt machst die höchste Sphäre.«
Also kam jetzt die zirkelförm'ge Weise
Zum Schlusse, und die andern Lichter ließen
Marias Namen insgesamt erklingen.
Der königliche Mantel aller Hüllen
Des Universums, der von Gottes Atem
Und seinem Tun zumeist glüht und belebt wird,
Hatt' über mir sein inneres Gestade
In solcher Ferne, daß annoch sein Glänzen
Dort, wo ich stand, mir nicht erscheinen konnte.
Drum waren meine Augen nicht imstande,
Dorthin zu folgen der gekrönten Flamme,
Die sich erhob in ihres Samens Nähe.
Und gleich dem Kindlein, das nach seiner Mutter
Ausstreckt die Arme, wenn's die Milch genossen,
So dehnt' ob des Gefühls, das selbst im Äußern
Entflammt sich zeigt, ein jeder dieser Schimmer
Die Spitz' empor, so daß die hohe Liebe
Mir kund ward, die sie zu Maria trugen.
Drauf blieben hier sie mir im Angesichte,
So süßen Klangs »Regina coeli« singend,
Daß nie die Lust dran sich von mir geschieden.
O welche Füll' in jenen überreichen
Kornspeichern aufbewahrt wird, die hienieden
Im Sä'n so gute Feldbesteller waren!
Hier lebt man von den Schätzen und genießt sie,
Die weinend man erwarb in der Verbannung
Zu Babylon, wo man das Gold zurückließ.
Hier triumphieret unter dem erhabnen
Sohn Gottes und Marias mit dem alten
Und neuen Rat ob seines Siegs der, welcher
Zu solcher Herrlichkeit den Schlüssel führet.

Vierundzwanzigster Gesang

»O Tischgenossenschaft, zum großen Mahle
Des sel'gen Lamms erkoren, das euch speiset,
Also daß stets erfüllt ist euer Sehnen!
Wenn dieser hier durch Gottes Gnad' im voraus
Von dem verkostet, was von eurem Tisch fällt,
Eh' noch der Tod ein Ziel ihm hat gestecket,
Erwägend sein unendliches Verlangen,
Betauet ihn ein wenig; denn ihr trinkt ja
Stets aus dem Quell, draus kommt, worauf er sinnet.«
Beatrix so, und jene wonn'gen Seelen
Umschwangen Sphären gleich auf festen Polen
Sich, mächtig flammend nach Kometenweise.
Und wie gemessnen Gangs des Uhrwerks Räder
Sich drehn, so daß das erste dem Betrachter
Zu stehn scheint und das letzte scheint zu fliegen,
So ließen, in verschiedenart'gem Tanze
Schnell oder langsam sich bewegend, jene
Festreigen mich auf ihre Fülle schließen.
Aus jenem, den als schönsten ich erkannte,
Sah ich ein Feuer kommen, so beseligt,
Daß keins darin es ließ von größrer Klarheit;
Und zu drei Malen kreist' es um Beatrix
Mit solchem göttlichen Gesang, daß meine
Einbildungskraft ihn mir nicht wiederholet.
Drum setzt die Feder aus, und nichts drob schreib' ich,
Denn auch die Phantasie, nicht nur das Wort, ist
Für solche Falte von zu greller Farbe.
»O heil'ge Schwester mein, die so andächtig
Drum bittet, durch dein gluterfülltes Lieben
Entrückst du mich aus jener schönen Sphäre.«
Stillhaltend richtete drauf meiner Herrin
Den Hauch zu die gebenedeite Flamme;
So sprechend, wie ich eben jetzt berichtet.
Und sie: »0 ew'ges Licht des großen Mannes,
Dem unser Herr die Schlüssel, die herab er
Gebracht hat, ließ zu dieser Wunderwonne,
Prüf' über schwer' und leichte Punkte diesen,
Wie dir's gefällt, in Anbetracht des Glaubens,
Durch den du übers Meer einst bist gewandelt.
Ob er recht liebet und recht hofft und glaubet,
Ist dir verborgen nicht, weil dort das Auge
Du hast, wo jedes Ding gemalt zu schaun ist.
Doch weil durch den wahrhaft'gen Glauben Bürger
Dies Reich erworben hat, ist's gut, daß, solchem
Zum Ruhm, es dem gescheh', davon zu sprechen.«
Wie schweigend sich der Baccalaureus rüstet,
Solang der Meister noch die Frage vorlegt,
Sie zu begründen, nicht sie zu entscheiden,
So rüstet' ich mich jetzt mit allen Schlüssen,
Indes sie redete, daß ich bereit sei
Auf solchen Fragenden und solch Bekenntnis.
»Sprich, guter Christ, und gib dich zu erkennen;
Was ist der Glaube?« Drauf erhob die Stirn ich
Nach jenem Licht, von dem dies Wort enthaucht ward;
Dann wandt' ich gen Beatrix mich, und diese
Gab rasch ein Zeichen mir, daß ich das Wasser
Des innern Quells nach außen möcht' entladen.
›Die Gnade,‹ hob ich an, ›die vor dem hehren
Vorkämpfer mir gewährt Beicht' abzulegen,
Lass' mich für meinen Sinn den Ausdruck finden!‹
Und fuhr dann fort: ›Wie der wahrhaft'ge Griffel
Uns schrieb, o Vater, deines teuren Bruders,
Der Rom mit dir auf rechten Pfad gelenkt hat,
Der Glaube ist Substanz gehoffter Dinge,
Und der Beweisgrund für die unsichtbaren,
Und solches dünkt zu sein mir seine Washeit.‹
Drauf hört ich: »Du denkst richtig, wenn du anders
Genau verstehst, warum zu den Substanzen
Du solchen zählst und den Beweisesgründen.«
Und ich sodann zu ihm: ›Die tiefen Dinge,
Die mir allhier gewähren ihr Erscheinen,
Sind jedem Auge drunten so verborgen,
Daß dort ihr Dasein einzig ist im Glauben,
Auf welchen sich die hehre Hoffnung gründet,
Und drum erhält den Namen der Substanz er,
Und von sotanem Glauben muß man weiter
Dann Schlüsse ziehn, ohn' andres zu erkennen;
Deshalb erhält er des Beweisgrunds Namen.‹
Drauf hört' ich: »Wenn, was immer wird erworben
Durch Lehre drunten, so verstanden würde,
So wäre für Sophistenwitz nicht Raum da.«
Also enthaucht's aus jener glüh'nden Liebe;
Drauf fügte sie hinzu: »Gar wohl durchgangen
Ist jetzo Schrot und Korn schon jener Münze;
Doch sprich' ob du sie hast in deiner Börse!«
Und ich: ›So glänzend hab' ich und so rund sie,
Daß im Gepräg' an ihr nichts zweifelhaft bleibt.‹
Demnächst entklang aus jenem tiefen Lichte,
Das hier erglänzte: »Dieses teure Kleinod,
Darauf jedwede Tugend ist gegründet,
Wo kam dir's her?« Und ich: ‹ Des heil'gen Geistes
Freigeb'ger Tau, der sich ergossen über
Die alten und die neuen Pergamene,
Gilt mir als Folgrung, draus so scharf sich jenes
Für mich ergibt, daß im Vergleich zu diesem
Ein jeglicher Beweis mir stumpf erscheinet.‹
Hierauf hört ich: »Die alte und die neue
Behauptung, die als Schluß dir also dienen,
Weswegen hältst du für ein göttlich Wort sie?«
Ich drauf: ›Beweis, der mir die Wahrheit aufdeckt.
Die Werke sind's, zu denen die Natur nie
Das Eisen glühete, noch schlug den Amboß.‹
Zur Antwort ward mir: »Sprich, wer ist die Bürgschaft,
Daß diese Werk' erfolget sind? Dasselbe,
Was zu beweisen ist, nichts sonst, ich schwör' dir's.«
›Wenn ohne Wunder sich die Welt gewendet
Zum Christentum,‹ sprach ich, ›so ist dies eine
So groß, daß nicht ein Hundertteil die andern;
Daß, arm und Mangel leidend, eingetreten
Ins Feld du bist, zu sä'n die gute Pflanze,
Die Reb' einst war und Dornbusch jetzt geworden.‹
Ich schloß, und durch die Sphäre klang's vom heil'gen
Erhabnen Hof: »Wir loben, ein'ger Gott, dich!«
Nach jener Weise, die man singt dort oben.
Und der Baron, der schon, mir Fragen stellend,
Von Zweig zu Zweig mich so gezogen hatte,
Daß wir uns naheten den letzten Blättern,
Began aufs neu': »Die Gnade, die sich liebend
Vereinet deinem Sinn, erschloß den Mund dir
Bis hierher, wie sich's aufzutun ihm ziemet,
So daß ich billige, was draus hervorkam;
Doch jetzt ziemt's auszudrücken, was du glaubest,
Und woher's deinem Glauben ward geboten.«
›O sel'ger Geist und Vater, der du schauest,
Was so du glaubtest, daß du überwandest
Im Lauf zum Grab hin jugendlich're Füße,‹
Sprach ich, ›du willst, daß kund allhier ich mache
Das Wesentliche meines will'gen Glaubens,
Und minder nicht desselben Grund begehrst du.‹
Und ich antwort': ›Ich glaub' an einen ein'gen
Und ew'gen Gott, der da den ganzen Himmel
Bewegt, selbst unbewegt, durch Lieb' und Sehnsucht;
Und nicht nur physischen und metaphys'schen
Beweis hab' ich für solches Glauben, nein, auch
Die Wahrheit gibt mir's, die von hier entträufelt
Durch Moyses, die Propheten und die Psalmen,
Durchs Evangelium und durch euch, die schriebet,
Nachdem euch jener feur'ge Geist geadelt.
Auch glaub' ich an drei ewige Personen,
Die eine Wesenheit, so ein' und dreie,
Daß sunt und est sie allzumal ertragen.
Vom tiefen göttlichen Verhalten, das ich
Berühr' anjetzt, erhält mein Sinn zum öftern
Den Eindruck durch des Evangeliums Lehre.
Dies ist das Urprinzip, dies ist der Funke,
Der in lebend'ger Flamme dann sich ausdehnt
Und, wie ein Stern am Himmel, in mir sprühet.‹
Gleichwie der Herr, der hört, was ihm genehm ist,
Den Diener dann umarmt auf solche Nachricht
Mit freud'gem Gruß, sobald er ausgesprochen,
Also umkreist' mit segnendem Gesange
Zu dreien Malen mich, als ich geschwiegen,
Das apostol'sche Licht, auf des Geheiß ich
Gesprochen; so gefiel ihm meine Rede.

Fünfundzwanzigster Gesang

Sollt' ich's erleben, daß die heil'ge Dichtung,
Daran Hand angelegt hat Erd' und Himmel,
Und drob ich manches Jahr schon hager worden,
Die Grausamkeit besiegte, die mich ausschließt
Von jener schönen Hürde, drin ein Lämmlein
Ich schlief, den Wölfen Feind, die sie bekriegen;
Würd' ich mit anderm Ruf, mit anderm Vließe
Als Dichter heim dann kehren und am Borne,
Wo ich getaufet ward, den Kranz erhalten,
Weil in dem Glauben, der mit Gott die Seele
Befreundet, ich dort eintrat und dann Petrus
Um seinetwillen mir die Stirn umkreiste.
Hierauf bewegte gegen uns ein Licht sich
Aus jener Schar, daraus der Erstling seiner
Statthalter kam, den Christus hinterlassen.
Und meine Herrin, ganz erfüllt von Wonne,
Sprach zu mir: »Schau, schau hin, sieh den Baron hier,
Für den man drunten nach Galizien pilgert.«
Wie wenn der Tauber dicht bei der Genossin
Sich niederläßt, sie beiderseits durch Kreisen
Und Girren ihre Liebe kund dann geben,
So sah ich, wie der eine jener großen
Ruhmwürd'gen Fürsten hier den andern aufnahm,
Die Kost, die droben wird genossen, preisend.
Nachdem zu Ende war die Festbegrüßung,
Hielt schweigend grad' vor mir ein jeder still jetzt
Entflammt so, daß das Auge mir's besiegte.
Darauf begann Beatrix lächelnd also:
»Erlauchtes Leben du, durch welches unsers
Prachttempels Überfluß bezeichnet worden,
Die Hoffnung laß auf dieser Höh' erklingen;
Du weißt ja, daß so oft du sie bedeutest,
Als Jesus ließ die drei sehn größre Klarheit.« –
»Das Haupt erheb' und sieh, daß Mut du fassest;
Denn das, was aus der ird'schen Welt hier 'rauf kommt,
Muß erst an unsern Strahlen Reif erlangen.«
Sotaner Trost kam mir vom zweiten Feuer,
Drob ich die Augen aufhob zu den Bergen,
Die sie durch zuviel Wucht erst niederbeugten.
»Dieweil, daß du in der geheimsten Halle
Mit seinen Grafen dich noch vor dem Tode
Besprächest, unser Kaiser will aus Gnaden,
So daß, da diesen Hof du wirklich schauest,
Die Hoffnung, die mit rechter Liebe drunten
Erfüllt, du dort in dir und andern stärkest;
Sag' an, was ist sie, und wie sehr von solcher
Dein Geist erblüht, und sprich, woher sie kam dir.«
Also fuhr anderweit das zweite Licht fort.
Und jene Fromme, die zu so erhabnem
Flug das Gefieder meiner Schwingen führte,
Kam also mir zuvor in meiner Antwort:
»Die Kirche hat, die Streitende, begabter
An Hoffnung keinen Sohn, wie's in der Sonne
Geschrieben, die all unsre Schar bestrahlet;
Drum ward gewährt ihm, daß er von Ägypten
Zum Anschaun nach Jerusalem gelange,
Bevor sein Kriegesdienst noch abgelaufen.
Die übrigen zwei Punkte, drob du fragtest,
Nicht um sie zu erfahren, nein, damit er
Berichte, wie dir diese Tugend wert ist,
Lass' ich ihm selbst, sie werden ihm nicht schwer sein,
Noch dünkelhaft ihn zeigen; er antworte
Darauf, und dazu helf ihm Gottes Gnade!«
Dem Schüler gleich, der Rede steht dem Lehrer
In dem, was er versteht, bereit und willig,
Damit sich seine Tüchtigkeit erweise:
›Hoffnung,‹ sprach ich, ›ist ein gewiß Erwarten
Der künft'gen Glorie, das mit Gottes Gnade
Vorhergegangenes Verdienst erzeuget.
Von vielen Sternen kommt mir dieses Licht her,
Doch der hat mir's zuerst ins Herz geträufelt,
Der höchster Sänger war des höchsten Führers.
Es mögen jene, singt in einem Psalm er,
Die deinen Namen kennen, auf dich hoffen;
Und wer nicht kennt ihn, hat er meinen Glauben?
Du dann betrauftest mich mit deinem Träufeln
In der Epistel, so daß selbst ich voll bin
Und euern Tau auf andre wieder taue.‹
Indes ich sprach, erzittert' ein Geflamme
In dem lebend'gen Busen jener Lohe,
Rasch und schnell wiederkehrend, gleich dem Blitzen.
Darauf enthauchte sie: »Die Liebe, die mich
Durchglüht noch für die Tugend, die mir folgte
Bis zu der Palm' und zu der Kampfbahn Ausgang,
Heischt, daß ich nochmals an dich hauch', auf daß du
Dich ihrer freust; und mir gefällt, daß, was dir
Verspricht die Hoffnung, du mir jetzt verkündest.«
Und ich: ›Die alten und die neuen Schriften
Bezeichnen mir das Ziel (es selbst gibt kund mir's)
Der Seelen, die sich Gott befreundet haben.
Isaias spricht, daß jegliche bekleidet
Mit doppeltem Gewand in ihrem Land wird,
Ihr Land ist aber dieses süße Leben.
Und viel ausführlicher noch läßt dein Bruder
Dort, wo er von den weißen Kleidern handelt,
Sotane Offenbarung uns erkennen.
Und gleich beim Ende jener Worte hörte
Man über uns zuerst »Sperent in te«,
Worauf die Reigen all entgegenklangen;
Sodann ging unter ihnen auf ein Licht,
So daß, wenn solch Kristall der Krebs besäße,
Aus einem Tag bestand' ein Wintermond.
Und wie die Jungfrau fröhlich sich erhebet
Und kommt und in den Tanz tritt, nur um Ehre
Der Braut zu tun, nichts Schlimmes irgend sinnend;
Also sah ich den aufgegangnen Schimmer
Den zwei'n sich nahn, die sich im Kreise drehten,
Wie's ihrer glüh'nden Liebe war entsprechend.
Hier trat ins Lied er ein und in die Weise,
Und meine Herrin hielt auf sie das Antlitz,
Gleich einer Braut, schweigsam und unbeweglich.
»Der ist's, der unserm Pelikan am Busen
Gelegen hat, der ist es, der vom Kreuze
Herab zum großen Amt erkieset worden.«
Also sprach meine Herrin, doch nicht wurde
Nachher mehr als vorher vom aufmerksamen
Hinblick ihr Antlitz durch das Wort gewendet.
Wie's jener tut, der blinzend sich bemühet,
Der Sonne Teilverfinsterung zu schauen,
Der durch das Sehn des Sehens sich beraubet;
So tat ich hier bei diesem letzten Feuer,
Indes gesagt mir ward: »Was blend'st du selbst dich,
Um etwas zu erschaun, das hier nicht statt hat?
Erd' ist mein Leib auf Erden und wird's bleiben
So lang mit allen andern, bis der ew'gen
Vorausbestimmung unsre Zahl sich gleichstellt.
Mit den zwei Kleidern sind im sel'gen Chore
Die beiden Lichter nur, die sich erhoben;
Und dieses wirst nach deiner Welt du bringen.«
Auf solches Wort kam das entflammte Kreisen
Zur Ruh' jetzt und mit ihm die süße Mischung,
Die des dreifachen Hauches Ton erzeuget.
Wie, sei's Ermüdung, sei's Gefahr zu meiden,
Die Ruder, die das Wasser erst gepeitschet,
Ruhn allzumal auf einer Pfeife Zeichen.
O wie ward in dem Innern ich beweget,
Als ich mich wandt', um anzuschaun Beatrix,
Und doch sie sehn nicht konnte, ob ich nah' gleich
Mich ihr befand und in der Welt der Sel'gen!

Sechsundzwanzigster Gesang

Noch zweifelt' ich ob der erloschnen Sehkraft,
Als aus dem Flammenglanz, der sie geblendet,
Ein Hauch hervordrang, der mich auf ließ merken
Und sprach: »Bis daß du wiederum gewinnest
Des Sehens Sinn, den du an mir verzehret,
Ziemt's, daß du durch Besprechung ihn ersetzest.
Beginne drum und sprich, was deines Geistes
Ziel ist, und halte dich versichert, daß nur
Verirrt in dir die Sehkraft, nicht erstorben;
Denn jene Herrin, die dich führt durch diese
Göttliche Region, hat in dem Blicke
Die Kraft, die Ananias' Hand besessen.«
›Früh oder spät, wie's ihr beliebt, genese
Das Auge mir,‹ sprach ich, ›durch das als Tor sie
Einzog mit jenem Feu'r, das stets mich glühn macht;
Das Gut, das diesen ganzen Hof befriedigt,
Ist A und 0 von allen Schriften, draus mir
Laut oder leise Liebe wird verlesen.‹
Dieselbe Stimme, die mir die Besorgnis
Entnommen ob des plötzlichen Erblindens,
Hieß mich aufs neu' für meine Rede sorgen
Und sprach: »Gewiß, mit einem engern Siebe
Ziemt's dir noch zu durchseihen; sagen mußt du,
Was deinen Bogen auf dies Ziel gerichtet.«
Und ich darauf: ›Durch philosoph'sche Gründe
Und durch Autorität, von hier entsteigend,
Muß sich in mir einprägen solche Liebe,
Weil Gutes, insoweit es gut, sobald es
Erkannt wird, Lieb' entzündet, um so größre,
Je mehr's an Trefflichkeit in sich begreifet.
Drum muß dem Wesen, das so weit hervorragt,
Daß jedes Gut, so außer ihm sich findet,
Nichts weiter als ein Strahl ist seines Lichtes,
Sich mehr als allen andern zubewegen
In Liebe jeder Geist, der jene Wahrheit
Erkennt, auf die sich der Beweis hier gründet.
Sotane Wahrheit rollet auf vor meinem
Verstand derjen'ge, der mich aller ew'gen
Substanzen erste Liebe läßt erkennen.
Es rollt sie auf des wahren Meisters Stimme,
Der, von sich selbst zu Moyses sprechend, sagte:
»Ich werde dir jedwedes Gute zeigen.«
Auch du rollst auf sie, da die hehre Botschaft
Du anhebst, mehr denn irgend sonst ein Herold,
Verkündend dieser Welt Geheimnis drunten.‹
Und ich vernahm: »Durch menschlichen Verstand und
Autorität, die mit ihm übereinstimmt,
Für Gott bewahre deine höchste Liebe.
Doch sprich, ob du noch andre Saiten fühlest
Dich nach ihm ziehn, so daß von jenem Lieben
Du sagst, mit wie viel Zähnen dich's verwundet?«
Nicht blieb verborgen mir die heil'ge Absicht
Des Adlers Christi, nein, vielmehr ward inn' ich,
Wohin er mein Bekenntnis führen wollte;
Drum fing aufs neu' ich an: ›All jene Stiche,
Die unser Herz nach Gott hin wenden können,
Vereinten sich zugunsten meiner Liebe;
Denn dieser Welt Dasein, sowie mein eignes,
Der Tod, den er erlitt, damit ich lebe,
Und das, was mit mir jeder Gläub'ge hoffet,
Nebst der erwähneten lebend'gen Kenntnis,
Sie zogen aus dem Meere des verkehrten
Und setzten an den Strand mich rechten Liebens.
Die Blätter auch, damit der ganze Garten
Des ew'gen Gärtners sich belaubet, lieb' ich
So sehr, als er des Guten ihnen reichet.‹
Sobald ich schwieg, erklang hin durch den Himmel
Ein lieblich süßer Sang, und meine Herrin
Rief mit den andern: »Heilig, heilig, heilig!«
Und wie bei scharfem Licht der Schlummer fliehet,
Dieweil der Geist des Sehens nach dem Glanze
Hineilet, der von Hülle dringt zu Hülle,
Und der Erwachte, was er sieht, verabscheut,
So unbewußt ist noch sein plötzlich Wachsein,
Bis ihm die Schätzungskraft zu Hilfe kommet;
Also scheucht' jeden Unrat jetzt Beatrix
Von meinen Augen durch den Strahl der ihren,
Der mehr als tausend Meilen weit erglänzte;
Darob ich besser noch dann als vorher sah
Und Kunde, wie betäubt, von einem vierten
Licht forderte, das ich mit uns erblickte.
Und meine Herrin: »Ihren Schöpfer schauet
In dieser Strahlen Schoß die erste Seele,
Die jemals hat die erste Kraft erschaffen.«
Dem Blatte gleich, das beim Vorüberziehen
Des Winds die Spitze beugt und dann sich wieder
Erhebt, von eigner Kraft emporgetragen,
Ward ich anjetzt, solang' sie sprach, von Staunen
Ergriffen, und es gab mir Mut auf neue
Der Wunsch zu sprechen dann, der mich durchglühte,
Und ich begann anjetzt: ›O Frucht, die einzig
Gereifet ward erzeugt, o alter Vater,
Dem jede Gattin Schnur zugleich und Tochter,
Voll Inbrunst, wie's mir immer möglich, fleh' ich
Dich an, mit mir zu sprechen! Mein Begehren
Siehst du, drum sag' ich's nicht, dich bald zu hören.‹
Manchmal bewegt ein Tier sich unter Decken,
So daß sich zeigen muß, was es empfindet,
Dieweil nach ihm sich die Umhüllung richtet;
Auf gleiche Weise ließ durch ihre Hülle
Durchschimmern mir, wie sehr es ihr erfreulich,
Gefällig mir zu sein, die erste Seele.
Drauf hauchte so sie: »Wenn du gleich dein Sehnen
Nicht dartust, unterscheid' ich's dennoch besser
Als du, was du am sichersten erkennest,
Weil ich es schau' in dem wahrhaft'gen Spiegel,
Der sich zum Widerschein macht aller Dinge
Und keines macht zu seinem Widerscheine.
Wie lang es her, daß in den hohen Garten
Mich Gott gesetzt, willst hören du, wo diese
Dich zu so langer Stiege hat befähigt?
Und wieviel Zeit er Lust war meinen Augen,
Den eigentlichen Grund des großen Zorns auch,
Und welche Sprach' ich braucht' und mir gebildet?
Sieh, lieber Sohn, das Kosten von dem Baume
War nicht an sich der Grund so langen Bannes,
Nein, lediglich des Marksteins Übertretung.
Weil dort, woher Virgilen deine Herrin
Rief, ich dies Chor mir wünschte, schwang viertausend
Dreihundert und zwei Mal sich um die Sonne;
Und heim zu allen Lichtern ihre Straße
Sah ich neunhundert dreißig Mal sie kehren,
Indes ich auf der Erde noch verweilte.
Die Sprache, die ich sprach, war ganz verloschen,
Bevor noch um das Werk, das unvollendliche,
Die Völker Nimrods sich bemühet hatten;
Denn keine Wirkung jemals der Verstandskraft,
Weil menschlich Wohlgefallen nach des Himmels
Bewegung sich erneuert, war unwandelbar.
Werk der Natur ist's, daß die Menschen sprechen;
Allein, ob so, ob so, das überläßt sie
Euch selber dann zu tun, so wie's euch gut dünkt.
Bevor ich zu der Höllenangst hinabstieg,
Ist El das höchste Gut, von dem die Wonne
Herkommt, die mich umhüllt, genennet worden;
Eli hieß es sodann, und also ziemt's sich,
Weil der Gebrauch der Sterblichen dem Blatt gleicht
Am Ast, das schwindet und ein andres treibet.
Mit reinem und beflecktem Sinn bewohnte
Ich von der ersten bis zur Stunde, die auf
Die sechste folgt, wenn Sol Quadranten wechselt,
Den Berg, der sich zumeist hebt aus den Fluten.«

Siebenundzwanzigster Gesang

»Dem Vater und dem Sohn und heil'gen Geiste,«
Begann das ganze Paradies, »sei Ehre!«
Also, daß mich der süße Sang berauschte.
Was ich erblickte, schien mir wie ein Lächeln
Des Weltenalls, drob solcher Rausch nicht minder,
Als durchs Gehör, auf mich eindrang durchs Auge.
O Wonn', o unaussprechliches Entzücken!
O Leben, ganz erfüllt mit Lieb' und Frieden!
O sichrer Reichtum, frei von jedem Wunsche!
Vor meinen Augen sah ich die vier Fackeln
Entzündet stehn, und die zuerst gekommne,
Begann lebendiger anjetzt zu leuchten,
Und also ward ihr Anblick, wie zu schauen
Wär' Jupiter, wenn Vögel wären dieser
Und Mars, und ihr Gefieder sie vertauschet.
Die Vorsehung, die Amt und Reihenfolge
Allhier verteilet, in dem sel'gen Chore,
Sie hatten Schweigen ringsumher geboten,
Als jetzt ich hörte: »Wenn ich mich verfärbe,
Erstaune drob nicht; denn, sobald ich spreche,
Wirst du sie alle sich verfärben sehen.
Er, der auf Erden meines Stuhls sich anmaßt,
Ja meines Stuhls, ja meines Stuhls, der ledig
Ist vor dem Angesicht des Sohnes Gottes,
Hat meine Ruhstatt zur Kloak' entweihet,
Voll Bluts und Stanks, mit welchem der Verruchte,
Der hier herabfiel, drunten wird gesühnet.«
Mit jener Farbe, mit der früh und abends
Genüberstehend Sol die Wolken färbet,
Sah ich den ganzen Himmel jetzt besprenget;
Und wie ein ehrsam Weib, sein selbst gesichert
Verbleibend, dennoch ob der andern Fehltritt',
Beim bloßen Hören schon, sich schüchtern zeiget,
So wandelte ihr Ansehn jetzt Beatrix,
Und solch Verfinstern, mein' ich, ist im Himmel
Gewesen, als die höchste Macht gelitten.
Drauf fuhr er also fort in seiner Rede
Mit einer Stimme, vor sich selbst verwandelt,
So daß nicht mehr verändert war sein Ansehn:
»Dazu nicht wurde Christi Braut erzogen
Mit meinem Blut, mit Linus' Blut und Cletus',
Damit zu Gelderwerb mißbraucht sie würde;
Nein, um dies heitre Leben zu erwerben,
Sah man mit vielen Tränen Sixtus, Pius,
Calixtus und Urban ihr Blut verspritzen.
Auch war es unsre Absicht nicht, daß unsern
Nachfolgern sitzen möcht' ein Teil zur Rechten
Des Christenvolkes und ein Teil zur Linken;
Noch daß die Schlüssel, die gewährt mir worden,
Auf einer Fahne, die zum Kampf sich gegen
Getauft' entfalt', als Zeichen sei'n zu finden;
Noch daß mein Bild auf Spiegeln stehen möge
An feilen, trügerischen Freiheitsbriefen,
Darob ich oft erröt' und Funken sprühe.
In Hirtenkleidern sind raubgier'ge Wölfe
Dort unten jetzt zu schaun auf allen Weiden.
0 Gottes Schutz, was ruhest du noch immer!
Von unserm Blut bereiten Caorsiner
Und Basken sich zu schlürfen; guter Anfang,
Zu welchem schnöden Ende mußt du fallen!
Doch die erhabne Vorsicht, die durch Scipio
Dem Weltruhm Roms Verteidigung gewährt hat,
Schafft hier auch Hilfe bald, wie ich erkenne.
Und du, mein Sohn, der ob der ird'schen Last du
Herab noch kehren mußt, tu' deinen Mund auf
Und berge nicht das, was ich nicht verborgen.«
Wie's von gefrornem Dunste niederwimmelt
In unserm Luftkreis dann, wann in Berührung
Der Himmelsziege Horn tritt mit der Sonne;
Also sah ich den Äther jetzt sich schmücken,
Aufwärts von triumphier'nden Dünsten wimmelnd,
Die erst allhier mit uns verweilet hatten.
Mein Blick verfolgte ihre Lichterscheinung
Und folgt' ihr, bis er ob des Mittels großer
Ausdehnung weiter nicht vordringen konnte.
Drob meine Herrin, die vom Aufwärtsmerken
Gelöst mich sah, begann: »Nach unten richte
Das Aug' und schau, wie du dich umgeschwungen!«
Da merkt' ich, daß seit meinem ersten Hinschaun
Ich ganz den Bogen, den das erste Klima
Vom Mittel bis zum Schluß beschreibt, durchlaufen,
So daß ich jenseits Gades sah die tolle
Durchfahrt Ulyssens und dort schier das Ufer,
Auf dem Europa ward zur süßen Bürde.
Und mehr noch hätte dieses Plätzleins Lage
Sich mir enthüllt, doch, fern von mir ein Zeichen
Und mehr, schritt von mir unterm Fuß die Sonne.
Der lieberfüllte Geist, der meine Herrin
Umbuhlte stets, entbrannte mehr als jemals
Anjetzt, den Blick auf sie zurückzurichten.
Wenn Lockungen Natur je oder Kunst schuf
Im Fleisch des Menschen oder seinem Abbild,
Den Blick zu fahn, um so den Geist zu fesseln,
Sie wären all vereint nichts im Vergleich doch
Zur Götterlust, die mich umstrahlt', als ich mich
Nach ihrem lächelnden Gesicht jetzt wandte.
Und jene Kraft, die mir ihr Blick gewährte,
Entriß mich Ledas schönem Netz und stieß mich
Hinein in den geschwindesten der Himmel.
All seine Teil', erhaben und voll Lebens,
Sind so gleichförmig, daß ich nicht kann sagen,
Welch einen mir als Stätt' erkor Beatrix.
Sie aber, die mein Sehnen ganz durchschaute,
Begann zu sagen, also heiter lächelnd,
Daß Gott in ihrem Antlitz sich zu freun schien:
»Des Weltenalls Natur, das, seine Mitte
Stillhaltend, ringsumher schwingt alles andre,
Beginnt von hier, gleichwie von ihrer Grenze.
Und dieser Himmel hat sonst keine Stätt' als
Die Urvernunft, drin sich die Liebe, die ihn
Umdreht, die Kraft, die von ihr taut, entzündet.
Ein Kreis umschließet ihn von Licht und Liebe,
Gleichwie die andern er, und auf den Umfang
Wirkt der allein, der ihn umhergegürtet.
Nichts anderes bestimmet seine Schnelle,
Nein, jede andre wird nach ihm bemessen,
Wie sich die Zehn ergibt aus Hälft' und Fünfteil.
Und wie's geschiehet, daß die Zeit in dieser
Schal' ihre Wurzeln hat und in den andern
Das Laub, kann dir wohl deutlich jetzt sich zeigen.
O Gierde, unter dich also versenkend
Die Sterblichen, das keiner mehr imstand ist,
Aus deiner Flut die Augen zu erheben!
Wohl blühet in den Menschen noch das Wollen,
Doch durch den unabläss'gen Regen kehren
Zuletzt in Hutzeln sich die guten Pflaumen.
Unschuld und Glaube sind nur bei den Kindlein
Annoch zu finden, und so der als jene
Entfliehn dann, eh' die Wangen sich behaaren.
Derselbe, der, solang er lallt, noch fastet,
Verzehret dann, wenn ihm gelöst die Zung' ist,
Ein jegliches Gericht in jedem Monde;
Und der, weil er noch lallt, auf seine Mutter
Hört und sie liebet, wünscht dann, wann vollkommen
Er sprechen kann, begraben sie zu sehen.
So wird beim ersten Anblick schwarz die weiße
Haut schon der schönen Tochter dessen, der uns
Den Morgen bringt und hinterläßt den Abend.
Doch du, damit es dich nicht wundernehme,
Denk', daß auf Erden keiner, der regieret;
Drob irre geht die menschliche Gesellschaft.
Doch eh' noch ob des Hundertteils, das drunten
Bleibt übersehn, sich Jänner ganz entwintert,
Ertönen so einst diese obern Kreise,
Daß die so lang erharrte Schickung dorthin
Die Hinterschiffe drehn wird, wo die Schnäbel
Gestanden, so daß graden Laufs die Flotte
Hinläuft, und wahre Frucht kommt nach der Blüte.«

Achtundzwanzigster Gesang

Nachdem wir Wahres ob des jetz'gen Wandels
Der jammervollen Sterblichen verkündet,
Die meinen Geist ins Paradies verkläret, –
Gleichwie im Spiegel der der Fackel Flamme
Erblickt, der rücklings wird von ihr beleuchtet,
Eh' sie ins Aug' ihm und den Sinn gekommen,
Und, um zu sehn, ob wahr das Glas gesprochen,
Zurück sich kehrt und sieht, daß es mit jenem
Stimmt überein wie mit dem Lied die Weise;
Also entsinnt sich mein Gedächnis, daß ich
Getan, hinblickend auf die schönen Augen,
Draus Amor, mich zu fahn, den Strick bereitet.
Und als ich mich zurückgekehrt und, was sich,
Wenn man in seinem Umkreis recht umherschaut,
In diesem Buche zeigt, berührt die meinen,
Erblickt' ich einen Punkt, dem Licht entstrahlte
So scharf, daß mein Gesicht, von dem erglühend,
Ich schließen mußt' ob der gewalt'gen Schärfe.
Und jeder Stern, der hier am kleinsten scheinet,
Er würde, neben ihn gesetzt, wie Stern sich
Bei Stern zu setzen pflegt, dem Monde gleichen.
So viel abstehend wohl, als nah der Hof scheint,
Das Licht zu gürten, das sein Bild hervorbringt,
Dann, wann die Dünst' am dicht'sten, die ihn tragen,
Dreht' um den Punkt umher ein feur'ger Kreis sich
So rasch, daß die Bewegung, die am schnellsten
Die Welt umkreiset, selbst besiegt er hätte.
Und dieser war umkränzt von einem andern,
Vom dritten der, der dritte dann vom vierten,
Der vierte dann vom fünften, der vom sechsten.
Der sieb'nte folgte drüber dann, an Breite
So ausgedehnet schon, daß Junos Botin
Als voller Kreis zu eng, ihn zu umfassen;
So auch der acht' und neunt', und es bewegte
Langsamer sich ein jeder, je nachdem er
Sich in der Zahl von der Eins entfernte.
Und jenem war am lautersten die Flamme,
Der minder abstand von dem reinen Funken,
Weil er wohl mehr sich füllt' mit seiner Wahrheit.
Und meine Herrin, die gar sehr in Sorge
Mich schweben sah, sprach: »Von dem Punkte hänget
Der Himmel und die sämtliche Natur ab.
Schau jenen Kreis, der ihm zunächst vereint ist,
Und wisse, daß so schnell ist sein Bewegen
Ob jener glüh'nden Liebe, die ihn treibet.«
Und ich zu ihr: ›Wenn in der Ordnung stände
Das Weltall, die ich schau in diesen Kreisen,
Wär' ich befriedigt mit dem Vorgelegten;
Doch in der sichtbarlichen Welt bemerkt man,
Daß um so göttlicher ist jede Wölbung,
Je mehr sie sich vom Mittelpunkt entfernet.
Drum, wenn mein Wunsch sein Ende soll erreichen
In diesem wunderbaren Engelstempel,
Der Liebe hat und Licht allein zur Grenze,
Muß ich noch hören, wie's geschieht, daß Abbild
Und Urbild nicht in einer Weise gehen,
Da für mich selbst ich fruchtlos dies betrachte.‹
»Wenn deine Finger nicht für solchen Knoten
Genügen, ist's zu wundern nicht, so fest ward
Er, weil man ihn zu lösen nicht versuchte.«
So meine Herrin, und dann sprach sie: »Willst du
Ersättigt sein, nimm hin, was ich dir sage,
All deinen Scharfsinn auf dasselbe richtend.
Die körperlichen Kreise sind eng oder
Weit, je nachdem die Kraft mehr oder minder,
Die sich in allen ihren Teilen ausdehnt.
Mehr Trefflichkeit will größres Heil erzeugen,
Und größres Heil umfaßt ein größrer Körper,
Wenn ihm gleichmäßig sind erfüllt die Teile.
Daher entspricht auch jener, der das ganze
Erhabne Weltenall mit sich dahinreißt,
Dem Kreise, der mehr weiß und der mehr liebet.
Drum, wenn du deinen Maßstab an die Kraft legst,
Und nicht an die Erscheinung der Substanzen,
Die rund sich zeigen dir, wirst du bemerken,
Wie mit dem Mehr das Größre, mit dem Minder
Das Kleinre wunderbar bei jedem Himmel
Und der Intelligenz desselben stimmet.«
Wie hell und glänzend bleibt die Hemisphäre
Der Luft, wenn Boreas bläst aus jener Wange,
Aus welcher er gelinder pflegt zu wehen,
Darob sich reiniget und löst der Nebel,
Der sie getrübt, so daß mit seines ganzen
Gefolges Schönheit jetzt der Himmel lächelt;
Also ward mir's, als mich mit klarer Antwort
Versorget meine Herrin, und die Wahrheit
Gleich einem Stern am Himmel sich mir zeigte.
Und als nun ihre Worte aufgehöret,
Nicht anders sprühet Funken aus, wenn's glühet,
Ein Eisen, als die Kreise Funken sprühten.
Nach taten's ihrem Brand die Funken alle,
Die zahlreich so, daß höher, als des Schachbretts
Verdopplung, in die Tausend' ihre Zahl steigt.
Von Chor zu Chor hört' ich Hosanna rufen
Dem festen Punkt zu, der sie an der Stätte
Hält und stets halten wird, wo stets sie waren;
Und sie, die mir die zweifelnden Gedanken
Im Geist sah, sprach: »Die ersten Kreise haben
Die Seraphim und Cherubim gezeigt dir.
Sie folgen ihren Banden so behende,
Um gleich zu sein dem Punkt, soviel sie können,
Und können's um soviel als hehr ihr Schaun ist.
Die andern Lieben, die um sie sich schwingen,
Nennt Throne man des ew'gen Angesichtes,
Dieweil die erste Drei mit ihnen schließet.
Und wisse, daß sie alle soviel Wonne
Empfinden, als ihr Blick sich in der Wahrheit
Vertieft, drin jeglicher Verstand zur Ruh' kommt
Hieraus läßt sich erkennen, daß begründet
Das Seligsein ist auf den Akt des Schauens,
Und nicht auf den des Liebens, der dann folget;
Und zu dem Schaun gibt das Verdienst den Maßstab,
Das Gnade bringt hervor und guter Wille;
Also wird stufenweise fortgeschritten.
Die andre Drei, die hier im ew'gen Lenze
Ergrünet, den das nächtliche Erscheinen
Des Widders nicht entblättert, läßt Hosanna
Als unabläss'gen Frühlingsschlag erschallen
In dreien Melodien, enttönend dreien
Wonnordnungen, in denen sie sich dreiet.
In dieser Hierarchie sind die erhabnen
Göttinnen Herrschaften zuerst, dann Kräfte;
Die dritte Ordnung endlich sind die Mächte.
Sodann in den vorletzten beiden Reigen
Umschwingen Fürstentümer und Erzengel sich;
Aus Engelstänzen ganz besteht der letzte.
Nach oben sämtlich schauen diese Ordnungen,
Also nach unten siegend, daß zu Gott hin
Gezogen alle sind und alle ziehn sie.
Und Dionysius legt' auf das Betrachten
Sotaner Ordnungen sich, so voll Sehnsucht,
Daß er sie unterschied, wie ich, und nannte.
Doch von ihm hat Gregor sich dann getrennet;
Drum er, sobald als er in diesem Himmel
Das Aug' auftat, sich selber hat belächelt.
Und wenn so hehr geheime Wahrheit kund tat
Ein Sterblicher auf Erden, staune drob nicht,
Denn wer sie droben sah, enthüllt' ihm solche
Mit mehr des Wahren noch von diesen Kreisen.«

Neunundzwanzigster Gesang

Soviel, wenn beide Kinder der Latona,
Vom Widder eins bedeckt, eins von der Waage,
Sich mit dem Horizont zugleich umgürten,
Vom Zeitpunkt ist, da beim Zenith die Zunge
Einspielt, bis, Hemisphären tauschend, beide
Aus dieses Gürtels Gleichgewicht sie kommen;
Solang verblieb, das Angesicht mit Lächeln
Geschmückt, Beatrix schweigsam nach dem Punkte
Fest blickend, welcher mich besieget hatte.
Dann fing sie an: »Ich sage dir, nicht frag' ich
Das, was du hören willst, weil ich's geschauet
Dort, wo sich jeglich Wann und Wo verknüpfet.
Nicht um für sich des Guten zu erwerben,
Was nimmer sein kann, nein, daß glanzentstrahlend
Ihr Glanz ›Ich bin vorhanden‹ sagen könne,
Erschloß in ihrer Ewigkeit sich, außer
Der Zeit und jeglicher Begrenzung, wie's ihr
Gefiel, die ew'ge Liebe in neun Lieben.
Und nicht lag sie vorher gleichsam erstarret,
Da kein Vorher und kein Nachher vorausging
Dem Wallen Gottes über diesen Wässern;
Hervorging Form und Stoff rein und vereinet
Durch einen Akt, der sonder Fehl, wie einem
Dreisträng'gen Bogen drei Geschoss' entfliegen.
Und gleichwie im Kristall, Glas oder Bernstein
Ein Strahl so schimmert, daß von seinem Kommen,
Bis er es ganz erfüllt, kein Zwischenraum ist,
Also entstrahlte die dreiförm'ge Wirkung
Aus ihrem Herrn hervor das All ins Dasein,
Ohn' einen Unterschied in ihrem Ausgang.
Ordnung und Zweck ward eingeschaffen allen
Substanzen, und zum Gipfel wurden jene
Der Welt, in denen reiner Akt erzeugt ward.
Am tiefsten stellte reine Möglichkeit sich,
Im Mittel Möglichkeit und Akt verknüpfet
Durch solches Band, das nimmer wird gelöset.
Zwar schrieb Hieronymus von langer Reihe
Jahrhunderte, drin Engel schon geschaffen,
Bevor im übrigen die Welt gemacht ward;
Doch jene Wahrheit steht auf mancher Seite
Geschrieben von des heil'gen Geistes Schreibern,
Und du kannst dort sie sehn, wenn recht du hinblickst.
Und in etwas auch sieht es die Vernunft ein,
Die's nicht zuließe, daß so lang ohn' ihre
Vollendung da der Welt Beweger wären.
Jetzt weißt du, wo und wann sotane Lieben
Geschaffen sind und wie, so daß verlöschet
In deinem Wunsche sind schon drei der Gluten.
Und nicht gelangte zählend man zur Zwanzig
So schnell, als drauf ein Teil der Engel trübte
Die Unterlage eurer Elemente.
Der andre blieb zurück, mit solcher Lust dann
Die Kunst beginnend, die du hier gewahrest,
Daß er sich nimmermehr vom Kreisen trennet.
Des Falles Anbeginn war die verfluchte
Hoffahrt desjenigen, den du zusammen-
Gedrückt von aller Welt Gewicht erblickt hast.
Bescheiden bleiben die, so hier du schauest,
Als Werke sich erkennend jener Güte,
Die sie bereit schuf zu so hoher Einsicht;
Drum ward durch die erleuchtende Genade
Und ihr Verdienst also erhöht ihr Schauen,
Daß sie vollkommen festen Willen haben.
Und nicht im Zweifel sollst du, nein, gewiß sein,
Daß, je nachdem sich der Affekt ihr auftut,
Es sei verdienstlich, Gnade zu empfangen.
Jetzt kannst du gnug betrachten wohl in dieser
Versammlung Rücksicht, wenn du meine Worte
Dir eingesammelt hast ohn' andre Hilfe.
Doch weil in euren Schulen wird auf Erden
Gelesen, so sei die Natur der Engel,
Daß sie versteh' und sich erinnr' und wolle,
Sag' ich noch etwas mehr, damit die Wahrheit
Du rein erschaust, die drunten man verwirret,
Zweideutig sprechen in sotaner Lesung.
Seitdem des Angesichts Gottes diese
Substanzen froh geworden, wandten nie sie
Den Blick von selbem, dem kein Ding verhüllt ist.
Drum wird ihr Schaun von neuen Gegenständen
Nicht unterbrochen, und nicht des Entsinnens
Bedarf's für sie ob der Gedanken Trennung;
So daß im Wachen man dort unten träumet,
Wahrheit zu sagen glaubend und nicht glaubend;
Doch in dem einen ist mehr Schuld und Schande.
Ihr wandelt drunten im Philosophieren
Nicht eines Pfads; so weit entführt die Lieb' euch
Zum Scheinen und das Sinnen nach demselben.
Und solches trägt hier oben man mit minderm
Unwillen noch, als wenn die Heil'ge Schrift wird
Hintangesetzet, und wenn sie verdreht wird.
Dabei denkt niemand, wie viel Blutes kostet
Ihr Aussä'n in die Welt, noch wie Gott jener
Gefällt, der sich demütiglich ihr anschließt.
Zu scheinen müht sich jeder und bringt seine
Erfindungen, und solche handeln ab dann
Die Pred'ger, und das Evangelium schweiget.
Der sagt, daß sich der Mond zurückgewendet
Bei Christi Leiden, sich dazwischen schiebend,
So daß nicht drang herab der Schein der Sonne,
Und lügt; denn von sich selbst hat sich verborgen
Das Licht, weil Spaniern ja und Indern, gleichwie
Den Juden solche Finsternis sich zeigte.
Nicht zählt Florenz so viele Lap' und Bindi,
Als solche Märlein innerhalb des Jahres,
Bald so, bald so, von Kanzeln man verkündet;
So daß, mit Wind genährt, einfält'ge Schäflein
Heimkehren von der Trift, und nicht kommt's ihnen
Zu gut, daß ihren Schaden sie nicht sehen.
Nicht sprach zu seiner Urgemeinde Christus:
›Geht hin in alle Welt und predigt Schwänke!‹
Nein, einen Grund von Wahrheit gab er ihnen,
Und diese klang allein aus seiner Wange,
So daß zum Kampf, den Glauben zu entzünden,
Als Lanz' und Schild das Evangelium diente.
Doch jetzt legt man sich drauf, mit Spott und Scherzen
Zu pred'gen, und, wenn drob nur recht gelacht wird,
So bläht sich die Kapuz', und mehr nicht heischt man.
Doch solch ein Vogel nistet in dem Zipfel,
Daß, säh' der Pöbel ihn, er sehn wohl könnte,
Auf welcherlei Vergebung er vertrauet.
Drob ist auf Erden dergestalt die Torheit
Gewachsen, daß auf jegliches Versprechen,
Gebräch' ihm jedes Zeugnis auch, man einging'.
Mit solchem mästet sich ein Schwein St. Anton,
Und andres mehr, das schlimmer ist als Schweine,
In Gold bezahlend, dem der Stempel fehlet.
Doch da gar weit wir abgeschweift sind, wende
Den Blick zurück jetzt nach der graden Straße,
So daß wir Weg und Zeit zugleich verkürzen.
So weit versteiget sich in Zahlen diese
Natur, daß keine Sprach' es gibt, noch einen
Gedanken Sterblicher, der dorthin reiche.
Und wenn du, was in Daniel offenbart wird,
Betrachtest, wirst du sehn, wie die bestimmte
Zahl sich in seinen Tausenden verhüllet.
Das erste Licht, das jene ganz bestrahlt, wird
Auf so viel Weisen von ihr aufgenommen,
Als Schimmer sind, mit denen es sich paaret.
Drum weil sich der Affekt nach des Empfangens
Akt richtet, muß in ihr der Liebe Süße
Verschiedentlich bald heißer glühn, bald lauer.
Sieh die Erhabenheit jetzt, sieh die Weite
Der ew'gen Kraft, da sie so viele Spiegel
Sich hat gebildet, drin sie sich zerteilet,
In sich die eine, wie vorher, verbleibend.«

Dreißigster Gesang

Sechstausend Meilen wohl von uns entfernet
Erglüht die sechste Stund', und ihre Schatten
Senkt diese Welt schon fast zur ebnen Fläche,
Wenn also tief für uns des Himmels Mitte
Beginnt zu werden, daß zu diesem Grunde
Der Schimmer manches Sterns nicht mehr kann dringen;
Und wie die lichte Dienerin der Sonne
Mehr vorwärts schreitet, schließet sich der Himmel
Von einem Bild zum andern bis zum schönsten.
Nicht anders wurde der Triumph, der immer
Den Punkt umspielt, der mich besiegt und von dem,
Was er umschließet, selbst umschlossen scheinet,
Vor meinem Blicke nach und nach verlöschet;
Drum meinen Blick Beatrix zuzuwenden
Mich Liebe zwang und weil ich nichts erblickte.
Wenn alles, was bisher von ihr gesagt ward,
In einem Lobe könnt' umschlossen werden,
Wär's dennoch zu gering diesmal zu gnügen.
Die Schönheit, die ich sah, reicht über unser
Maß nicht allein hinaus, nein, sicher glaub' ich,
Daß nur ihr Schöpfer ihrer ganz sich freue.
An diesem Ort geb' ich mich überwunden,
Mehr, als ein trag'scher oder kom'scher Dichter
Von einem Punkt je seines Stoffs besiegt ward;
Denn wie das schwächere Gesicht die Sonne,
Also entzücket des holdsel'gen Lächelns
Erinnrung aus sich selber mein Gedächtnis.
Vom ersten Tag, da ich ihr Angesicht sah
In diesem Leben, bis zu diesem Anblick
Ward mein Gedicht am Folgen nicht behindert;
Allein jetzt muß davon ich abstehn, ihrer
Schönheit noch ferner dichtend nachzufolgen,
Wie von dem letzten Ziel jedweder Künstler.
Also, wie ich sie mächtigerem Rufe
Jetzt überlass', als jenem meiner Tuba,
Die ihren schweren Stoff zum Ende führet,
An Stimm' und Tun gleich einem sichern Führer,
Begann sie: »Aus dem größten Körper traten
Wir in den Himmel ein, der reines Licht ist,
Intellektuelles Licht, erfüllt mit Liebe,
Liebe des ew'gen Guts, erfüllt mit Wonne,
Wonn' übertreffend alle Süßigkeiten.
Hier wirst du dies' und jene Heerschar sehen
Des Paradieses, und die ein' in jener
Gestalt, die du beim letzten Richterspruch siehst.«
Gleich einem schnellen Blitzen, das die Geister
Des Sehns zerstört, so daß das Aug' des Eindrucks
Selbst stärkrer Gegenstände wird beraubet,
Umleuchtete mich ein lebend'ges Licht jetzt,
Von solchem Schlei'r umhüllt zurück mich lassend
Durch seinen Glanz, daß sich mir nichts mehr zeigte.
»Die Liebe, die beruhigt diesen Himmel,
Nimmt stets in sich auf mit sotanem Heile,
Die Kerz' auf ihre Flamme zu bereiten.«
Nicht früher waren diese kurzen Worte
Zu meinem Ohr gedrungen, als ich über
Die eigne Kraft mich fühlt' emporgehoben;
Und in mir ward ein neu Gesicht entzündet
Also, daß kein so lautres Licht zu finden,
Des meine Augen sich erwehrt nicht hätten.
Ein Licht sah ich, gleich einem Fluß gestaltet,
Von Blitzen schimmernd, zwischen zwei Gestaden,
Mit wunderbarer Frühlingspracht bemalet.
Lebend'ge Funken stiegen aus den Fluten
Empor, allseits sich in die Blumen senkend,
Rubinen ähnlich, die mit Gold umschlossen.
Dann tauchten, wie von Duft betäubt, sie wieder
In jene wundersamen Wogen unter,
Und wie herein der kam, entstieg ein andrer.
»Der hohe Wunsch, der dich entflammt und treibt jetzt,
Kenntnis von dem, was du erblickst, zu haben,
Gefällt mir um so mehr, je mehr er schwillet;
Doch mußt du erst von diesem Wasser trinken,
Bevor noch solcher Durst in dir gestillt wird.«
Also begann die Sonne meiner Augen,
Beifügend dann: »Der Fluß und die Topase,
Die aus- und eingehn, und des Grases Lächeln
Sind nur ein schattig Vorbild ihrer Wahrheit;
Nicht daß an sich herb diese Dinge wären,
Nein, nur ein Mangel deinerseits ist's daß sich
So hoch nicht dein Gesicht noch kann erheben.«
Nicht stürzte je ein Kindlein mit dem Antlitz
So schnell sich nach der Milch, wenn sein Erwachen
Viel mehr, denn es sonst pflegt, sich verzögert,
Als ich getan, daß meine Augen würden
Zu bessern Spiegeln, nach der Flut mich bückend,
Die da entströmt, daß drin man besser werde.
Und als der Saum nun meiner Augenlider
Von ihr getrunken hatte, schien alsbald sie,
Statt daß sie lang erst war, jetzt rund geworden.
Dann, wie das Volk, das Larven erst getragen,
Wenn es des fremden Äußern sich entkleidet,
Drin sich's verborgen, anders als vorher scheint,
So wandelten sich Blumen mir und Funken
In größre Fest' also, daß beide Höfe
Des Himmels offenbar ich jetzt erblickte.
O Abglanz Gottes, durch den ich den hehren
Triumph des wahren Reiches sah, gib Kraft mir,
Ihn zu beschreiben, wie ich ihn gesehen!
Ein Licht ist droben, welches sichtbar machet
Den Schöpfer dem Geschöpf, das in desselben
Anschaun allein kann seinen Frieden finden,
Und dehnet sich so sehr in zirkelförm'ge
Gestaltung aus, daß für die Sonne selber
Sein Umkreis ein zu weiter Gürtel wäre.
Aus Strahlen webt ein ganzes Bild sich, wieder
Am obern Saum des erstbewegten glänzend,
Das Leben und Befäh'gung draus empfanget.
Und wie ein Hang an seinem Fuß im Wasser
Sich spiegelt, gleichsam sich geschmückt zu schauen,
Wenn er in Grün und Blümlein prangt am schönsten;
So ringsumher, empor am Lichte ragend,
Sah ich auf tausend Stufen wohl sich spiegeln
Und mehr, was Heimkehr fand von hier dort oben.
Und wenn so groß das Licht ist, das der tiefste
Grund in sich schließet, welches ist die Breite
Wohl dieser Hos' in den entfernt'sten Blättern?
Mein Blick verlor in ihrer Weit' und Höhe
Sich nicht, nein, ganz und gar nahm in sich auf er
Das Wie und das Wieviel sotaner Wonne.
Näh' und Entfernung gilt hier nichts und nimmt nichts,
Denn da, wo Gott unmittelbar regieret,
Hat das natürliche Gesetz nicht Geltung.
Ins gelbe Mittel jener ew'gen Rose,
Die sich ausdehnt, abstuft und Lobesdüfte
Zur Sonn' enthaucht, die immerdar im Lenz steht,
Zog mich, wie den, der schweigt und sprechen möchte,
Beatrix hin und sprach: »Schau, wie so zahlreich
Ist die Vereinigung der weißen Kleider!
Sieh unsre Stadt, wie weit umher sie kreiset!
Sieh unsre Stufen, die schon so erfüllt sind,
Daß wenig Volk dort noch zu wünschen bleibet!
Auf jenem großen Thron, nach dem du schauest
Der Krone wegen, die daraufgelegt ist,
Wird, eh' an diesem Hochzeitsmahl du teilnimmst,
Die Seele sitzen, die Augusta drunten
Wird sein, des hohen Heinrich, der zu Welschlands
Herstellung kommen wird, eh's reif dafür ist.
Die blinde Habgier, die euch betöret,
Hat euch dem Kindlein gleich gemacht, das, sterbend
Vor Hunger schier, die Amme von sich wegstößt.
Und Vorstand wird im göttlichen Gerichtshof
Dann einer sein, der offenbar und heimlich
Mit jenem nicht auf gleichem Wege wandelt.
Doch kurze Zeit drauf wird im heil'gen Amt ihn
Gott dulden nur, und ausgestoßen wird er
Dorthin, wo nach Verdienst weilt Simon Magus,
Drob tiefer sinken muß der von Anagni.«

Einunddreißigster Gesang

So zeigte denn, wie eine weiße Rose
Gestaltet, sich die heil'ge Kriegerschar mir,
Die Christus durch sein Blut sich angetrauet;
Doch jene, die im Fliegen schaut und singet
Die Herrlichkeit des, der sie füllt mit Liebe,
Und seine Güte, die so groß sie machte,
Gleich einem Bienenschwarm, der in die Blumen
Bald ein sich senket, bald dorthin zurückkehrt,
Wo lieblichen Geschmack sein Werk erlanget,
Stieg in die große mit so vielen Blättern
Geschmückte Blum' herab und stieg dann aufwärts
Dahin, wo ewig ihre Liebe weilet.
Das Antlitz aller war lebend'ge Flamme,
Die Flügel Gold, und also weiß das andre,
Daß bis zu solchem Ziel kein Schnee kann reichen.
Sie spendeten beim Tauchen in die Blume,
Von Bank zu Bank die Seiten sich befächelnd,
Des Friedens und der Glut, die sie erworben.
Und daß die Fülle Fliegender sich zwischen
Der Blum' einschob und dem, was drüber, konnte
Ein Hemmnis nicht dem Schaun sein, noch dem Glanze;
Dieweil das Licht, das göttliche, durchdringet
Die Weltgesamtheit, je nachdem sie's würdig,
So daß sich nichts ihr kann entgegenstellen.
Dies sichre, freudenvolle Reich, bevölkert
Mit altem und mit neuem Volk, gerichtet
Auf einen Punkt, ganz hatt' es Blick und Liebe.
O dreifach Licht, das, ihren Augen flimmernd
In einem einz'gen Stern, sie so befriedigt,
Blick her auf unsre Stürme doch hienieden!
Wenn die Barbaren, von der Gegend kommend,
So Tag für Tag von Helice bedeckt wird,
Die, nach ihm schmachtend, sich mit ihrem Sohn dreht,
Da Rom sie sahn und seine mächt'gen Werke,
Erstaunet standen, als der Lateran noch
Die Dinge, die vergänglich, überragte;
Ich, der ich zu den Göttlichen gekommen
Vom Menschlichen, vom Zeitlichen zum Ew'gen,
Und von Florenz zum Volk, gerecht und fehllos,
Wie mußt' ich erst erfüllt von Staunen werden!
Gewiß war's zwischem solchem und der Wonne
Genehm mir, stumm zu stehn und nichts zu hören.
Und gleich dem Pilgrim, der im Tempel seines
Gelübdes, um sich schauend, sich ergötzet
Und, wie er sei, schon hoffet zu berichten;
So, in lebend'gem Lichte mich ergehend,
Bewegt' ich meinen Blick durch alle Stufen,
Bald auf, bald ab, und bald im Kreis ihn drehend.
Ich sah liebüberredende Gesichter,
Mit fremdem Licht gesäumt und eignem Lächeln,
Und Tun mit jeder Ehrbarkeit geschmücket
Die allgemeine Form des Paradieses
Hatt' insgesamt mein Blick jetzt schon erfasset,
An keine Stelle fest annoch geheftet;
Und mit aufs neu' entzündetem Verlangen
Wandt' ich mich um, nach Dingen meine Herrin
Zu fragen, drob mein Geist im Zweifel schwebte.
Auf eines zielt' ich und erlangt' ein andres;
Ich glaubte sie zu sehn, allein ein Greis stand
Vor mir, gleich dem ruhmvollen Volk gekleidet.
Verbreitet war auf Augen ihm und Wangen
Wohlwoll'nde Freud', und da stand er, wie's einem
Liebreichen Vater ziemt, mit frommem Gruße.
Und: ›Wo ist sie?‹ sprach ich mit schnellen Worten.
Drauf er: »Zum Ende deinen Wunsch zu führen,
Ließ mich von meinem Sitz Beatrix kommen;
Und wenn du auf den dritten Umkreis schauest
Von oben ab, wirst du sie wiedersehen
Auf jenem Thron, den ihr Verdienst ihr anwies.«
Ohn' Antwort ihm zu geben, hob das Aug' ich
Und sah sie dort sich eine Krone bilden,
Abspiegelnd von sich selbst die ew'gen Strahlen.
Von jenem Raume, wo's am höchsten donnert,
Hat größern Abstand wohl kein sterblich Auge,
Das sich am tiefsten in das Meer versenket;
Als hier von mir Beatrix war entfernet;
Doch tat's mir keinen Eintrag, denn ihr Bild kam
Zu mir herab ohn' eines Mittels Mischung.
›O Herrin, in der meine Hoffnung lebet,
Die du geduldet hast, daß in der Hölle
Zurückblieb deine Spur ob meines Heiles,
Von jenen Dingen all, die ich gesehen,
Durch deine Macht und deine Güt' erkenn' ich
Die Kraft und Gnade, die sie mir gewähret.
Du zogst mich aus der Knechtschaft in die Freiheit
Durch alle jene Weg', in allen Weisen,
Die solches zu bewirken Macht besaßen.
In mir bewahre deine reichen Gaben,
Daß meine Seele, die du hast geheilet,
Dir wohlgefällig von dem Leib sich löse!‹
So betet' ich, und jen', aus solcher Ferne
Sich zeigend, warf mir lächelnd einen Blick zu;
Dann wandte sie sich zu der ew'gen Quelle.
Der heil'ge Greis darauf: »Damit vollkommen,«
Sprach er, »zum Schluß du bringest deine Reise,
Wozu mich Bitt' und heil'ge Liebe sandte,
Durchfliege mit den Augen diesen Garten;
Denn mehr wird deinen Blick sein Anschaun schärfen,
Um zu der Gottheit Strahl emporzusteigen.
Und sie, die Himmelkön'gin, die mit Liebe
Mich ganz durchglüht, wird drob dir alle Gnade
Erzeigen, denn ich bin ihr treuer Bernhard.«
Wie's dem zu Mut ist, der wohl aus Kroatien
Kommt, unsre Vera Icon zu betrachten,
Der ob der alten Sage nicht dran satt wird,
Nein, bei sich selber spricht, weil man sie zeiget,
»O du wahrhaft'ger Gott, Herr Jesus Christus,
So also bist du anzuschaun gewesen!«
Also ward mir's, als die lebend'ge Lieb' ich
Des Manns erblickte, der auf dieser Welt schon
Beschau'nd von jenem Frieden hat gekostet.
»O Gnadensohn, nicht wird dies heitre Dasein«,
Begann er drauf zu mir, »bekannt dir werden,
Wenn drunten du am Grund nur hältst die Blicke;
Doch blicke nach den Kreisen bis zum fernsten,
So daß die Königin du sitzen sehest,
Der dieses Reich gehorsam und ergeben.«
Ich hob die Augen, und gleichwie am Morgen
Der Teil des Horizonts, der östlich lieget,
Den übertrifft, wo sich die Sonne senket;
Also, von Tal zu Berg geh'nd mit den Augen,
Erblickt' ich einen Teil des äußern Randes,
An Licht besiegend die gesamte Reihe,
Und wie dort, wo die Deichsel man erwartet,
Die Phaëthon schlecht lenkte, mehr sich jener
Entflammt, weil rechts und links das Licht sich mindert;
So glühte jene Friedensoriflamme
Im Mittel am lebendigsten, ihr Feuer
In gleicher Weis' auf jeder Seite mildernd.
Und nach dem Mittel sah mit offnen Schwingen
Ich mehr denn tausend Engel festlich eilen,
Ein jeglicher an Glut und Kunst verschieden.
Dort sah zu ihren Reigen, ihren Sängen
Ich eine Schönheit lächeln, die den Augen
Der andern Heil'gen allzumal war Wonne.
Und wenn ich auch so reich an Worten wäre
Als an Vorstellungen, nicht würd' ich's wagen,
Zum kleinsten Teil nur ihren Reiz zu schildern.
Bernhard, als meine Augen er gewahret
Auf jener heiße Glut achtsam geheftet,
Kehrt' ihr die seinen zu mit solcher Liebe,
Daß mehr die meinen drob zum Schaun entbrannten.

Zweiunddreißigster Gesang

An seiner Wonn' inbrünstig hängend, nahm jetzt
Des Lehrers Amt freiwillig der Beschauer
Auf sich, beginnend diese heil'gen Worte:
»Die, so die Wunde, die Maria zuschloß
Und heilte, hat geöffnet und geschlagen,
Ist jene, die so schön ihr sitzt zu Füßen.
Und in der Reihe, von den dritten Sitzen
Gebildet, sitzet Rahel unter jener,
Vereinet mit Beatrix, wie du siehest.
Sara, Rebekka, Judith und dann jene,
Des Sängers Urgroßmutter, der aus Reue
Ob seines Fehls sprach: ›Miserere mei!‹
Kannst also stufenweise tiefer sitzen
Du sehn, wie ich, der, sie mit Namen nennend,
Von Blatt zu Blatt herab die Ros' ich steige.
Und von der siebenten der Stufen folgen
Abwärts Hebräerinnen, so wie aufwärts,
Die Blätter sämtlich teilend an der Blume;
Dieweil gemäß des Blickes, den nach Christus
Der Glaube richtete, die Wand sie bilden,
Durch die getrennt die heil'gen Stiegen werden.
Auf dieser Seite, wo die Blume reif ist
Mit allen ihren Blättern, sitzen jene,
Die da geglaubt an den zukünftigen Christus.
Jenseits, allwo mit Lücken unterbrochen
Die halben Kreise, sitzen jene, die dem
Gekommnen Christus zugewandt ihr Antlitz.
Und wie hier der glorreiche Sitz der Herrin
Des Himmels und die anderen darunter
Befindlichen solch eine Trennung machen,
So gegenüber jener des erhabnen
Johannes, der stets heilig Wüst' und Marter
Erduldet und die Hölle dann zwei Jahr' lang;
Und unter ihm traf so das Los, zu scheiden,
Franziskus, Benedikt und Augustinus
Und andre bis herab von Kreis zu Kreise.
Betrachte jetzt die hehre Vorsicht Gottes,
Daß eines und das andr' Anschaun des Glaubens
Gleichmäßig diesen Garten wird erfüllen.
Und wisse, von der Stuf abwärts, die grade
Das Mittel beider Trennungen durchschneidet,
Hat man ob keines eignen, nein, ob fremden
Verdienstes Sitz nur, unter festgesetzten
Bedingungen; denn Geister sind sie alle,
Entfesselt, eh' sie wahre Wahl noch hatten.
Wohl kannst du das an ihren Angesichtern
Und ihren Kinderstimmen inne werden,
Wenn du gebührend auf sie schaust und hörest.
Jetzt bist du zweifelhaft, und zweifelnd schweigst du,
Doch ich will dir die starken Bande lösen,
Drin dein spitzfindig Denken dich verstricket.
Im weiten Umfang dieses Reiches kann kein
Zufäll'ger Punkt je eine Stelle finden,
Nicht mehr, als Traurigkeit, Durst oder Hunger,
Dieweil durch ewiges Gesetz bestimmt ist,
Was immer du in ihm erblickst, so daß hier
Stets ganz genau der Ring entspricht dem Finger.
Und drum ist dies zum wahren Sein in Eile
Beförderte Geschlecht nicht ohne Ursach'
Hier unter sich mehr oder minder trefflich.
Der König, durch den dieses Reich in solcher
Lieb' und in solcher Wonne ruht, daß nimmer
Ein Wille mehr zu heischen sich vermisset,
Die Geister all vor seinem heitern Antlitz
Erschaffend, hat mit Gnade sie begabet
Verschiedentlich; hier gnüg' es an der Wirkung.
Und in der Heil'gen Schrift ist dieses deutlich
Und klar bemerkt, wo sie vom Zwillingspaar spricht,
Das schon im Mutterleib zum Zorn bewegt war.
Drum ziemt es sich, daß, je nachdem das Haupthaar
Sich solcher Gnade färbt, das höchste Licht auch
In würd'ger Weis' ihm dann den Scheitel kränze.
Daher sind sie gestellt ohn' eignen Handelns
Verdienst hier auf verschiedne Stufen, einzig
Sich unterscheidend in dem ersten Antrieb.
So gnügte nebst der Unschuld in den frühsten
Jahrhunderten, daß man das Heil erlange,
Allein es an dem Glauben der Erzeuger.
Dann, als erfüllt die ersten Alter waren,
Bedurft' es bei den Männlein, dem unschuld'gen
Gefieder Kraft zu leihen, der Beschneidung.
Doch als die Zeit der Gnade war gekommen,
Ward ohne die vollkommne Taufe Christi
Dort unten festgehalten solche Unschuld.
Jetzt blicke nach dem Angesicht, das Christo
Am meisten ähnlich, denn nur seine Klarheit
Kann dich befähigen, zu schauen Christum.«
Auf sie herab sah so viel Wonn' ich regnen,
Getragen von den heil'gen Geistern, die da
Geschaffen sind, durch diese Höh' zu fliegen,
Daß alles, was bisher gesehn ich hatte,
Mich nicht in solchem Staunen ließ verstummen,
Noch solche Ähnlichkeit mit Gott mir zeigte.
Und die zuerst hierher entstiegne Liebe,
»Ave, Maria, gratia plena« singend,
Verbreitete vor ihr die beiden Schwingen.
Auf solchen göttlichen Gesang gab Antwort
Von allen Seiten her der Hof der Sel'gen,
So daß drob jeder Anblick heitrer wurde
›O heil'ger Vater, der für mich hier unten
Du weilen willst, den süßen Ort verlassend,
Auf welchem du nach ew'gem Schicksal sitzest,
Wer ist der Engel, der mit soviel Jubel
Die Augen unsrer Königin betrachtet,
So lieberfüllt, daß er von Feuer scheinet?‹
Also wandt' ich mich wieder an die Lehre
Des, der sich an Marias Licht verschönte,
Wie an der Sonne Schein der Stern des Morgens.
Und er zu mir drauf: »Lieblichkeit und Kühnheit,
Wie sie in Engel oder Seele sein kann,
Ist ganz in ihm, – und daß sie's sei, gefällt uns –
Drum ist er's, der die Palme zu Maria
Herabgetragen hat, als der Sohn Gottes
Mit unsrer Bürde sich belasten wollte.
Doch folg' jetzt mit dem Blick mir, wie ich sprechend
Fortschreit', und merk' auf dieses allgerechten
Und frommen Reiches mächtige Patrizier.
Die zwei, zumeist beseliget dort oben,
Weil sie am nächsten an Augusta sitzen,
Sind wie die beiden Wurzeln dieser Rose.
Der so sich auf der linken Seit' ihr anschließt,
Er ist der Vater, durch des keckes Kosten
Die Menschheit soviel Bittres hat verkostet.
Zur Rechten siehst du jenen alten Vater
Der heil'gen Kirche, dem die Schlüssel Christus
Hat anvertraut zu dieser schönen Blume.
Und jener, der die schweren Zeiten alle
Der holden Braut, bevor er starb, gesehn hat,
Die durch die Lanz' erfreit ward und die Nägel,
Sitzt neben ihm; und bei dem andern ruhet
Der Führer, unter dem das undankbare,
Unstet', halsstarr'ge Volk von Manna lebte.
Dem Petrus gegenüber siehst du Anna,
Im Anschaun ihrer Tochter so befriedigt,
Daß sie kein Auge rührt, Hosanna singend.
Und der Hausväter erstem gegenüber
Sitzt Lucia, die deine Herrin abrief,
Als niederstürzend du die Augen senktest.
Doch weil die Zeit flieht deines Traumgesichtes,
Laßt uns hier schließen wie ein kund'ger Schneider,
Der das Gewand macht, je nachdem er Tuch hat,
Und unsre Blick' zur ersten Liebe richten,
So daß, auf sie du schauend, vor du dringest:
Soviel als es ob ihres Funkelns möglich.
Doch daß du nicht etwa, die Flügel hebend,
Zurückgehst, weil du vorwärts glaubst zu kommen,
Ziemt's, daß man betend Gnad' erflehe, Gnade
Von jener, die vermögend, dir zu helfen;
Und du wirst mir mit dem Gefühle folgen,
Dein Herz von meinem Worte nimmer trennend.«
Drauf hub er dieses heilige Gebet an.

Dreiunddreißigster Gesang

»Jungfräul'che Mutter, Tochter deines Sohnes,
Mehr, denn sonst ein Geschöpf, hehr und voll Demut
Vorausbestimmtes Ziel des ew'gen Rates,
Du bist's, durch die die menschliche Natur so
Geadelt ward, daß es verschmäht ihr Schöpfer
Nicht hat, sein eigenes Geschöpf zu werden.
In deinem Leib hat sich aufs neu' entzündet
Die Lieb', an deren Glut im ew'gen Frieden
Also hervorgesproßt ist diese Blume.
Allhier bist du der Liebe Mittagsfackel
Für uns, und bei den Sterblichen dort unten
Bist die lebend'ge Quelle du des Hoffens.
Ein Weib bist du so groß, und soviel giltst du,
Daß, wer nach Gnade strebt und dich nicht anruft,
Der wünschet sich, zu fliegen sonder Schwingen.
Und deine Gütigkeit gewährt dem Hilfe
Allein nicht, der drum bittet, nein, zum öftern
Kommt sie zuvor der Bitt' aus freiem Willen.
In dir Barmherzigkeit, in dir ist Mitleid,
In dir großmüt'ges Wesen, in dir eint sich,
Was immer ein Geschöpf an Güte fasset,
Der hier nun, welcher von der tiefsten Lache
Des Universums bis hierher gesehn hat
Der Geister Leben all, eins nach dem andern,
Fleht dich um Gnad' an, Kraft ihm zu verleihen,
So daß er höher noch sich mit den Augen
Aufschwingen könne hin zum letzten Heile,
Und ich, der nimmer für mein Schaun geglühet,
Wie für das seine jetzt, bring' all mein Bitten
Dir dar und bitte, daß es nicht umsonst sei,
Damit du ihm jedwede Wolke mögest
Der Sterblichkeit durch dein Gebet zerstreuen,
So daß die höchste Lust sich ihm entfalte.
Noch fleh' ich, Königin, die, was du willst, auch
Vermagst, daß unversehrt du ihm erhaltest
Nach so erhabnem Anschaun sein Verlangen.
Dein Schutz besieg' in ihm die ird'sche Regung!
Sieh, wie Beatrix mit so vielen Sel'gen
Für mein Gebet zu dir die Hände faltet!«
Die Augen, die Gott liebet und verehret,
Bewiesen, auf den Redner fest sich richtend,
Wie sehr ihr angenehm ein fromm Gebet ist.
Dann wandte sie sich zu dem ew'gen Lichte,
In das man nicht darf glauben, daß ein andres
Geschöpf so klaren Blickes dringen könne.
Und ich, der ich dem Ziele jedes Wunsches
Anjetzt mich näherte, ließ, wie sich's ziemte,
Die Flamme des Verlangens in mir schwinden.
Es lächelte mir Bernhard einen Wink zu,
Aufwärts den Blick zu richten; doch von selber
War ich bereits so, wie er es begehrte,
Weil meine Sehkraft, immer klarer werdend,
Jetzt weiter in den Strahl und weiter vordrang
Des hehren Lichts, das in sich selber wahr ist.
Fortan war höh'r mein Schaun, als unsre Sprache,
Die solchem Anblick weicht, und das Gedächtnis
Auch muß so vielem Übermaße weichen.
Gleich jenem, der im Traum etwas gesehn hat,
Dem nach dem Traum nur der Empfindung Eindruck
Verbleibt, und nicht zum Sinn heimkehrt das andre,
Bis ich anjetzt, da mir fast ganz verlöschet
Ist meine Vision, und doch im Herzen
Das Süße noch, das draus entstand, mir träufelt.
Also löst sich der Schnee am Strahl der Sonne,
Also ging der Sibylla Spruch verloren,
Beim Windeswehn auf jenen leichten Blättern.
O höchstes Licht, so weit erhaben über
Den menschlichen Begriff, leih' nur ein Wen'ges
Von dem, wie du erschienst, dem Sinn mir wieder;
Und meine Zunge laß so mächtig werden,
Daß einen Funken deiner Herrlichkeit nur
Dem künft'gen Volk ich hinterlassen möge!
Denn wenn ein wenig nur in mein Gedächtnis
Es kehrt, und etwas tönt in diesen Versen,
Wird mehr man deine Siegerkraft begreifen.
Ich glaub', ob des lebend'gen Strahles Schärfe,
Die ich ertrug, wär' ich verwirrt geblieben,
Wenn ich von ihm den Blick gewendet hätte,
Und ich erinnre mich, daß ich drob kühner,
Soviel zu tragen, ward und so dahin kam,
Mein Schaun der unbegrenzten Kraft zu einen.
O Überfluß der Gnade, drob ich's wagte,
So weit hinein ins ew'ge Licht zu werfen
Den Blick, daß drin ich mich verlor im Schauen!
In seiner Tiefe sah ich, wie sich einet,
Verbunden in ein einz'ges Buch mit Liebe,
Was auf des Weltalls Blättern sich zerstreuet,
Substanz und Akzidenz und ihr Verhalten
In solcher Art zusammen all geschmolzen,
Daß, was ich sage, nur ein schwacher Schein ist.
Die allgemeine Form sotanen Bandes,
Mein' ich, erblickt' ich dort; drum, da ich's sage,
Zu größrer Lust mein Innres sich erweitert.
Ein Augenblick bringt mir hier mehr Vergessen,
Als fünfundzwanzig Säkeln jenem Zuge,
Bei dem Neptun ob Argos' Schatten staunte.
So schaute denn mein Geist in voller Spannung,
Fest, unverrückt, aufmerksam hingerichtet,
Und mehr und mehr entzündet' er im Schaun sich.
In diesem Licht wird also man beschaffen,
Daß es unmöglich ist, um andern Anblicks
Je einzuwill'gen, sich von ihm zu kehren;
Dieweil das Gute, das des Willens Ziel ist,
In ihm sich ganz vereint, und außer selbem
Stets mangelhaft nur ist, was hier vollkommen.
Von nun an wird, verglichen selbst mit meiner
Erinnrung, kürzer sein mein Wort, als eines
Kindleins, das an der Brust noch netzt die Zunge.
Nicht daß mehr als ein einfach Bild zu sehn sei
In dem lebend'gen Licht, das ich beschaute,
Und das stets ist, wie es vorher gewesen;
Nein, weil durchs Schaun sich meine Sehkraft mehrte,
Verwandelte für mich, indem ich selber
Mich änderte, sich jener ein'ge Anblick.
In der Substanz, der unergründlich klaren,
Des hehren Lichts erschienen mir drei Kreise,
Dreifach an Farbe und von einem Umfang;
Und einer schien vom andern wie von Iris
Die Iris abgespiegelt, und der dritte
Wie Glut gleichförmig hier und dort enthauchet.
Wie kurz und schwach mein Wort ist gegen meine
Vorstellung, die, verglichen dem Gesehnen,
So ist, daß es nicht genügt, zu sagen wenig!
O ew'ges Licht, das, auf dir selbst nur ruhend,
Allein du selbst dich kennst und, dich erkennend,
So wie von dir erkannt, dir liebend lächelst!
Das Kreisen, das in dir also erzeugt schien,
Wie rückgestrahltes Leuchten, da ich etwas
Mit meinen Augen es ringsum betrachtet,
Zeigt' in dem Innern mir mit unserm Bilde
Von seiner eignen Farbe sich bemalet,
So daß ich mein Gesicht ganz drein versenkte.
Dem Geometer gleich, der drauf geheftet
Ganz ist, den Kreis zu messen, und, ob sinnend,
Doch das Prinzip, des er bedarf, nicht findet,
Also war ich bei diesem neuen Anblick.
Sehn wollt' ich, wie das Bild sich mit dem Kreise
Vereint, und wie's drin seine Stätte findet;
Doch gnügten nicht dazu die eignen Schwingen,
Bis daß mein Geist von einem Blitz durchzuckt ward,
In welchem sein Verlangen sich ihm nahte.
Der hehren Phantasie gebrach's an Kraft hier,
Doch schon schwang um mein Wünschen und mein Wollen,
Wie sich gleichförmig dreht ein Rad, die Liebe,
Die da die Sonne rollt und andern Sterne.


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