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Drittes Kapitel

Am Hofe von Ravenna aber wurde ein zäher und grimmiger Kampf geführt.

Die gotischen Patrioten, obwohl durch den plötzlichen Untergang ihres jugendlichen Königs schwer betrübt und für den Augenblick überwunden, wurden doch von ihren unermüdlichen Führern bald wieder aufgerafft. Das hohe Ansehen des alten Hildebrand, die ruhige Kraft des zurückberufenen Witichis und Tejas wachsamer Eifer wirkten unablässig. Wir haben gesehen, wie es diesen Männern gelungen war, Athalarich zur Abschüttelung der Oberleitung seiner Mutter zu verhelfen. Jetzt gelang es ihnen leicht, unter den Goten immer mehr Anhang zu finden gegen eine Regentschaft, in welcher der ihnen als Hochverräter verhaßte Cethegus mehr als je in den Vordergrund trat. Die Stimmung im Heer, in der germanischen Bevölkerung von Ravenna war genügend zu einem entscheidenden Schlage vorbereitet. Mit Mühe hielt der alte Waffenmeister die Unzufriedenen zurück, bis sie, durch wichtige Bundesgenossen verstärkt, desto sicherer siegen könnten.

Diese Bundesgenossen waren die drei Herzöge Thulun, Ibba und Pitza, die Amalaswintha vom Hofe verscheucht und ihr Sohn soeben zurückberufen hatte. Thulun und Ibba waren Brüder, Pitza ihr Vetter.

Ein andrer Bruder der ersteren, Herzog Alarich, war vor Jahren wegen angeblicher Verschwörung zum Tode verurteilt und seit seiner Flucht verschollen.

Sie stammten aus dem berühmten Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten die Königskrone getragen hatte und den Amalungen kaum nachstand an Alter und Ansehn. Ihr Stammbaum führte, wie der des Königshauses, bis zu den Göttern hinauf. Ihr Reichtum an Grundbesitz und abhängigen Colonen und der Ruhm ihrer Kriegstaten erhöhten Macht und Glanz ihres Hauses. Man sagte im Volk, Theoderich habe eine Zeitlang daran gedacht, mit Übergehung seiner Tochter und ihres unmündigen Knaben, zum Heile des Reiches den kräftigen Herzog Thulun zu seinem Nachfolger zu bestellen.

Und die Patrioten waren jetzt, nach dem Tode Athalarichs, entschlossen, für den äußersten Fall, das heißt, wenn die Regentin von ihrem System nicht abzubringen sei, jene Gedanken wieder aufzunehmen.

Cethegus sah das Gewitter heranziehen: er sah, wie das gotische Volksbewußtsein, von Hildebrand und seinen Freunden wachgerufen, sich immer heftiger gegen die romanisierende Regentschaft sträubte.

Mit Unmut gestand er sich, daß es ihm an wirklicher Macht fehle, diese Unzufriedenheit niederzuhalten. Ravenna war nicht sein Rom, wo er die Werke beherrschte, wo er die Bürger wieder an die Waffen gewöhnt und an seine Person gefesselt hatte; hier waren alle Truppen Goten, und er mußte fürchten, daß sie einen Haftbefehl gegen Hildebrand oder Witichis mit offenem Aufruhr beantworten würden. So faßte er den kühnen Gedanken, mit einem Zug sich aus den Netzen, die ihn zu Ravenna umstrickten, herauszureißen: er beschloß, die Regentin, nötigenfalls mit Gewalt, nach Rom zu bringen, nach seinem Rom, dort hatte er Waffen, Anhang, Macht. Dort war Amalaswintha ausschließlich in seiner Gewalt, und die Goten hatten das Nachsehen.

Zu seiner Freude ging die Regentin lebhaft auf seinen Plan ein. Sie sehnte sich hinweg aus diesen Mauern, wo sie mehr eine Gefangene als eine Herrscherin erschien. Sie verlangte nach Rom, nach Freiheit und Macht. Rasch wie immer traf Cethegus seine Maßregeln. Auf den kürzren Weg zu Lande mußte er verzichten, da die große Via flaminia sowohl als die andern Straßen von Ravenna nach Rom durch gotische Scharen, die Witichis befehligte, bedeckt waren und daher zu fürchten stand, daß ihre Flucht auf diesem Wege zu früh entdeckt und vielleicht verhindert würde. So mußte er sich entschließen, einen Teil des Weges zur See zurückzulegen: aber auf die gotischen Schiffe im Hafen von Ravenna konnte man zu einem solchen Zweck nicht zählen.

Zum Glück erinnerte sich der Präfekt, daß der Nauarch Pomponius, einer der Verschworenen, mit drei Trieren zuverlässiger, d. h. römischer Bemannung an der Ostküste des Adriatischen Meeres, zwischen Ancona und Teate, auf afrikanische Seeräuber Jagd machend, kreuzte. Diesem sandte er Befehl, in der Nacht des Epiphaniafestes in der Bucht von Ravenna zu erscheinen. Er hoffte, vom Garten des Palastes aus, unter dem Schutz der Dunkelheit und während kirchliche und weltliche Festfeier die Stadt beschäftigte, leicht und sicher mit Amalaswintha die Schiffe zu erreichen, die sie zur See über die großen Stellungen hinaus bis nach Teate bringen sollten: von da aus war der Weg nach Rom kurz und ungefährdet.

Diesen Plan im Bewußtsein – sein Bote kam glücklich hin und zurück mit dem Versprechen des Pomponius, pünktlich einzutreffen –, lächelte der Präfekt zu dem täglich wachsenden, trotzigen Haß der Goten, die seine Günstlingsstellung bei Amalaswintha mit Ingrimm betrachteten. Er ermahnte diese, geduldig auszuharren und nicht durch einen Ausbruch ihres königlichen Zornes über die «Rebellen» vor dem Tag der Befreiung einen Zusammenstoß herbeizuführen, der leicht alle Pläne der Rettung vereiteln konnte.

Das Epiphaniafest war gekommen: das Volk wogte in dichten Massen in den Basiliken, auf den Plätzen der Stadt. Die Kleinodien des Schatzes lagen geordnet und gepackt bereit, ebenso die wichtigsten Urkunden des Archivs. Es war Mittag. Amalaswintha und der Präfekt hatten soeben ihren Freund Cassiodor von dem Plan unterrichtet, dessen Kühnheit ihn anfangs erschreckte, dessen Klugheit ihn alsbald gewann. Sie wollten gerade aus dem Gemach der Beratung aufbrechen, als plötzlich der Lärm des Volkes, das vor dem Palast auf und nieder flutete, lauter und heftiger anschwoll. Drohungen, Jubelrufe, Waffenklirren wild durcheinander.

Cethegus schlug den Vorhang des großen Rundbogenfensters zurück: doch er sah nur noch die letzten Reihen der Menge nachdrängen in die offenen Tore des Palastes. Die Ursache der Aufregung war nicht zu entdecken.

Aber schon stieg im Palatium das Getöse die Treppen hinan, Zank mit der Dienerschaft wurde hörbar, einzelne Waffenschläge, bald nahe, schwere Tritte. Amalaswintha bebte nicht: fest hielt sie den Drachenknauf des Thronstuhles, auf den Cassiodor sie zurückgeführt.

Cethegus warf sich indessen den Andringenden entgegen. «Halt», rief er, unter der Tür des Gemaches hinaus, «die Königin ist für niemand sichtbar.»

Einen Augenblick lautlose Stille.

Dann rief eine kräftige Stimme: «Wenn für dich, Römer, auch für uns, für ihre gotischen Brüder. Vorwärts!»

Und wieder erhob sich das Brausen der Stimmen, und im Augenblick war Cethegus, ohne Anwendung bestimmter Gewalt, von dem Andrang der Masse wie von unwiderstehlicher Meeresflut bis weit in den Hintergrund des Saales zurückgeschoben, und die Vordersten im Zuge standen dicht vor dem Thron.

Es waren Hildebrand, Witichis, Teja, ein baumlanger Gote, den Cethegus nicht kannte, und neben ihm – es litt keinen Zweifel – die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, in voller Rüstung, drei prachtvolle Kriegergestalten. Die Eingedrungenen neigten sich vor dem Thron. Dann rief Herzog Thulun nach rückwärts gewendet mit der Handbewegung eines geborenen Herrschers: «Ihr, gotische Männer, harret noch draußen eine kurze Weile; wir wollen's in eurem Namen mit der Regentin zu schlichten suchen. Gelingt es nicht so rufen wir euch auf zur Tat – ihr wißt, zu welcher.»

Willig und mit Jubelrufen zogen sich die Scharen hinter ihm zurück und verloren sich bald in den Gängen und Hallen des Schlosses.

«Tochter Theoderichs», hob der Herzog Thulun an, das Haupt zurückwerfend, «wir sind gekommen, weil uns dein Sohn, der König, zurückberufen. Leider finden wir ihn nicht mehr am Leben. Wir wissen, daß du uns nicht gerne hier siehst.»

«Wenn ihr das wißt», sprach Amalaswintha mit Hoheit, «wie könnt ihr wagen, dennoch vor unser Angesicht zu treten? Wer gestattet euch, wider unsern Willen zu uns zu dringen?» – «Die Not gebeut es, hohe Frau, die Not, die schon stärkere Riegel gebrochen als eines Weibes Laune. Wir haben dir die Forderungen deines Volkes vorzutragen, die du erfüllen wirst.» – «Welche Sprache! Weißt du, wer vor dir steht, Herzog Thulun?» – «Die Tochter der Amalungen, deren Kind ich ehre, auch wo es irrt und frevelt.» – «Rebell!» rief Amalaswintha und erhob sich majestätisch vom Throne, «dein König steht vor dir.» Aber Thulun lächelte: «Du würdest klüger tun, Amalaswintha, von diesem Punkt zu schweigen. König Theoderich hat dir die Mundschaft über deinen Sohn übertragen, dem Weibe: das war wider Recht, aber wir Goten haben ihm nicht eingeredet in seine Sippe. Er hat diesen Sohn zum Nachfolger gewünscht, den Knaben: das war nicht klug. Aber Adel und Volk der Goten haben das Blut der Amalungen geehrt und den Wunsch eines Königs, der sonst weise war. Niemals jedoch hat er gewünscht, und niemals hätten wir gebilligt, daß nach jenem Knaben ein Weib über uns herrschen solle, die Spindel über die Speere.»

«So wollt ihr mich nicht mehr anerkennen als eure Königin?» rief sie empört. «Und auch du, Hildebrand, alter Freund Theoderichs, auch du verleugnest seine Tochter?»

«Frau Königin», sprach der Alte, «wollest du selbst verhüten, daß ich dich verleugnen muß.»

Thulun fuhr fort: «Wir verleugnen dich nicht – noch nicht. Jenen Bescheid gab ich nur, weil du auf dein Recht pochst, und weil du wissen mußt, daß du ein Recht nicht hast.

Aber weil wir gern den Adel des Blutes ehren – wir ehren damit uns selbst –, und weil es in diesem Augenblick zu bösem Zwiespalt im Reich führen könnte, wollten wir dir die Krone absprechen, so will ich dir die Bedingungen sagen, unter denen du sie fürder tragen magst.»

Amalaswintha litt unsäglich: wie gern hätte sie das stolze Haupt, das solche Worte sprach, dem Henker geweiht. Und machtlos mußte sie das dulden! Tränen wollten in ihr Auge dringen: sie preßte sie zurück, aber erschöpft sank sie auf ihren Thron, von Cassiodor gestützt.

Cethegus war indessen an ihre andre Seite getreten: «Bewillige alles!» raunte er ihr zu, «'s ist alles erzwungen und nichtig. Und heute nacht noch kommt Pomponius.»

«Redet», sprach Cassiodor, «aber schont des Weibes, ihr Barbaren.»

«Ei», lachte Herzog Pitza, «sie will ja nicht als Weib behandelt sein: sie ist ja unser König.»

«Ruhig, Vetter», verwies ihn Herzog Thulun, «sie ist von edlem Blut wie wir.»

«Fürs erste», fuhr er fort, «entläßt du aus deiner Nähe den Präfekten von Rom. Er gilt für einen Feind der Goten. Er darf nicht die Gotenkönigin beraten. An seine Stelle bei deinem Thron tritt Graf Witichis.»

«Bewilligt!» sagte Cethegus selbst, statt Amalaswinthas.

«Fürs zweite erklärst du in einem Manifest, daß fortan kein Befehl von dir vollziehbar, der nicht von Hildebrand oder Witichis unterzeichnet, daß kein Gesetz ohne Genehmigung der Volksversammlung gültig ist.»

Die Regentin fuhr zornig auf, aber Cethegus hielt ihren Arm nieder. «Heute nacht kommt Pomponius!» flüsterte er ihr zu. Dann rief er laut: «Auch das wird zugestanden.»

«Das dritte», hob Thulun wieder an, «wirst du so gern gewähren, als wir es empfanden. Wir drei Balten haben nicht gelernt, in der Hofburg die Häupter zu bücken: Das Dach ist uns zu niedrig hier. Amaler und Balten leben am besten weit voneinander – wie Adler und Falk. Und das Reich bedarf unsres Arms an seinen Marken. Die Nachbarn wähnen, das Land sei verwaiset, seit dein großer Vater ins Grab stieg. Awaren, Gepiden, Sklavenen springen ungescheut über unsre Grenzen. Diese drei Völker zu züchtigen, rüstest du drei Heere, je zu dreißig Tausendschaften, und wir drei Balten führen sie als deine Feldherrn nach Osten und nach Norden.»

Die ganze Waffenmacht obendrein in ihre Hände: nicht übel! dachte Cethegus. «Bewilligt», rief er lächelnd.

«Und was bleibt mir», fragte Amalaswintha, «wenn ich all das euch dahingegeben?»

«Die goldene Krone auf der weißen Stirn», sagte Herzog Ibba.

«Du kannst ja schreiben wie ein Grieche», begann Thulun aufs neue. «Wohlan, man lernt solche Künste nicht umsonst. Hier dies Pergament soll enthalten – mein Sklave hat es aufgezeichnet – was wir fordern.»

Er reichte es Witichis zur Prüfung: «Ist es so? Gut. Das wirst du unterschreiben, Fürstin. – So, wir sind fertig. Jetzt sprich du, Hildebad, mit jenem Römer.»

Doch vor ihn trat Teja, die Rechte am Schwert, zitternd vor Haß: «Präfekt von Rom», sagte er, «Blut ist geflossen, edles, teures, gotisches Blut. Es weiht ihn ein, den grimmen Kampf, der bald entbrennen wird. Blut, das du büßen» – der Zorn erstickte seine Stimme.

«Pah», rief, ihn zurückschiebend, Hildebad – denn er war der baumlange Gote, «macht nicht so viel Aufhebens davon! Mein goldner Bruder kann leicht etwas missen von überflüssigem Blut. Und der andre hat mehr verloren, als er missen kann. Da, du schwarzer Teufel», rief er Cethegus zu und hielt ihm ein breites Schwert dicht vor die Augen, «kennst du das?»

«Des Pomponius Schwert!» rief dieser erbleichend und einen Schritt zurückweichend. Amalaswintha und Cassiodor fragten erschrocken: «Pomponius?»

«Aha», lachte Hildebad, «nicht wahr, das ist schlimm? Ja, aus der Wasserfahrt kann nichts werden.»

«Wo ist Pomponius, mein Nauarch?» rief Amalaswintha heftig.

«Bei den Haifischen, Frau Königin, in tiefer See.»

«Ha, Tod und Vernichtung!» rief Cethegus, jetzt fortgerissen vor Zorn, «wie geht das zu?»

«Lustig genug. Sieh, mein Bruder Totila – du kennst ihn ja, nicht wahr? – lag im Hafen von Ancona mit zwei kleinen Schiffen. Dein Freund Pomponius, der machte ihm seit einigen Tagen ein so übermütiges Gesicht und ließ so dicke Worte fallen, daß es selbst meinem arglosen Blonden auffiel. Plötzlich ist er eines Morgens mit seinen drei Trieren aus dem Hafen entwischt. Totila schöpfte Verdacht, setzt alle Leinwand auf, fliegt ihm nach, holt ihn ein auf der Höhe von Pisaurum, stellt ihn, geht zu ihm an Bord mit mir und ein paar andern und fragt ihn wohinaus?»

«Er hatte kein Recht dazu, Pomponius wird ihm keine Antwort gegeben haben.»

«Doch, Vortrefflicher, er gab ihm eine. Wie der sah, daß wir zu sieben allein auf seinem Schiff, da lachte er und rief: ‹Wohin ich segle? Nach Ravenna, du Milchbart, und rette die Regentin aus euren Klauen nach Rom.› Und dabei winkte er seinen Leuten. Da warfen aber auch wir die Schilde vor, und hui, flogen die Schwerter aus den Scheiden. Das war ein harter Stand, sieben gegen dreißig. Aber es währte zum Glück nicht lang, da hörten unsre Bursch im nächsten Schiff das Eisen klirren, und flugs waren sie mit ihren Booten heran und erkletterten wie die Katzen die Wandung. Jetzt waren wir die mehreren: aber der Nauarch – gib dem Teufel sein Recht! – ergab sich nicht, focht wie ein Rasender und stieß meinem Bruder das Schwert durch den Schild in den linken Arm, daß es hoch aufspritzte. Da aber ward mein Bruder auch zornig und rannte ihm den Speer in den Leib, daß er fiel wie ein Schlachtstier. ‹Grüßt mir den Präfekten›, sprach er sterbend, ‹gebt ihm das Schwert, sein Geschenk, zurück und sagt ihm, es kann keiner wider den Tod: sonst hätte ich Wort gehalten.› Ich hab's ihm gelobt, es zu bestätigen. Er war ein tapferer Mann. Hier ist das Schwert.»

Schweigend nahm es Cethegus.

«Die Schiffe ergaben sich, und mein Bruder führte sie zurück nach Ancona. Ich aber segelte mit dem schnellen hierher und traf am Hafen mit den drei Balten zusammen, gerade zur rechten Zeit.»

Eine Pause trat ein, in welcher die Überwundnen ihre böse Lage schmerzlich überdachten. Cethegus hatte ohne Widerstand alles bewilligt in der sicheren Hoffnung auf die Flucht, die nun vereitelt war.

Sein schönster Plan war durchkreuzt, durchkreuzt von Totila: tief grub der Haß diesen Namen in des Präfekten Seele. Sein grimmiges Rachesinnen ward erst durch den Ausruf Thuluns gestört: «Nun, Amalaswintha, willst du unterzeichnen? Oder sollen wir die Goten zur Wahl eines Königs berufen?»

Rasch fand bei diesen Worten Cethegus die Fassung wieder: er nahm die Wachstafel aus der Hand des Grafen und reichte sie ihr hin: «Du mußt, o Königin», sagte er leise, «es bleibt dir keine Wahl.» Cassiodor gab ihr den Griffel, sie schrieb ihren Namen, und Thulun nahm die Tafel zurück.

«Wohl», sagte er, «wir gehn, den Goten zu verkünden, daß ihr Reich gerettet ist. Du, Cassiodor, begleitest uns, zu bezeugen, daß alles ohne Gewalt geschehen ist.»

Auf einen Wink Amalaswinthens gehorchte der Senator und folgte den gotischen Männern hinaus auf das Forum vor dem Schlosse. Als sie sich mit Cethegus allein sah, sprang die Fürstin heftig auf: nicht länger gebot sie ihren Tränen. Leidenschaftlich schlug sie die Hand vor die Stirn. Ihr Stolz war aufs tiefste gebeugt. Schwerer als des Gatten, des Vaters, ja selbst Athalarichs Verlust traf diese Stunde ihr Herz. «Das», rief sie laut weinend, «das also ist die Überlegenheit der Männer. Rohe, plumpe Gewalt! O Cethegus, alles ist verloren.»

«Nicht alles, Königin, nur ein Plan. Ich bitte um ein gnädiges Andenken», setzte er kalt hinzu, «ich gehe nach Rom.»

«Wie? Du verläßt mich in diesem Augenblick? Du, du hast mir all diese Versprechungen abgewonnen, die mich entthronen, und nun scheidest du? O besser, ich hätte widerstanden, dann wär' ich Königin geblieben, hätten sie auch jenem Rebellenherzog die Krone aufgesetzt.»

Jawohl, dachte Cethegus, besser für dich, schlimmer für mich. Nein, kein Held soll mehr diese Krone tragen. – Rasch hatte er erkannt, daß Amalaswintha ihm nichts mehr nützen könne – und rasch gab er sie auf. Schon sah er sich nach einem neuen Werkzeug für seine Pläne um. Doch beschloß er, ihr einen Teil seiner Gedanken zu enthüllen, damit sie nicht auf eigne Faust handelnd jetzt noch ihre Versprechungen widerrief und dadurch Thulun die Krone zuwende. «Ich gehe, o Herrin», sprach er, «doch ich verlasse dich darum nicht. Hier kann ich dir nichts mehr nützen. Man hat mich aus deiner Nähe verbannt, und man wird dich hüten, eifersüchtig wie eine Geliebte.»

«Aber was soll ich tun mit diesen Versprechungen, mit diesen drei Herzogen?»

«Abwarten, zunächst dich fügen. Und die drei Herzoge», setzte er zögernd bei – «die ziehn ja in den Krieg – vielleicht kehren sie nicht zurück.»

«Vielleicht!» seufzte die Regentin. «Was nützt ein Vielleicht!» Cethegus trat fest auf sie zu: «Sie kehren nicht zurück sobald du's willst.» Erschrocken bebte die Frau: «Mord? Entsetzlicher, was sinnst du?» – «Das Notwendige. Mord ist das falsche Wort dafür. Es ist Notwehr. Oder Strafe. Hättest du in dieser Stunde die Macht, du hättest das volle Recht, sie zu töten. Sie sind Rebellen. Sie zwingen deinen königlichen Willen. Sie erschlagen deinen Nauarchen, den Tod haben sie verdient.»

«Und sie soll'n ihn finden», flüsterte Amalaswintha, die Faust ballend, vor sich hin, «sie soll'n nicht leben, die rohen Männer, die eine Königin gezwungen. Du hast recht – sie sollen sterben.» – «Sie müssen sterben – sie, und», fügte er ingrimmig bei, «und – der junge Seeheld!»

«Warum auch Totila? Er ist der schönste Jüngling meines Volkes.»

«Er stirbt», knirschte Cethegus, «oh, könnt er zehnmal sterben.»

Und aus seinem Auge sprühte eine Glut des Hasses, die, plötzlich aus der eisigkalten Natur brechend, Amalaswintha in Schrecken überraschte. «Ich schicke dir», fuhr er rasch und leise fort, «aus Rom drei vertraute Männer, isaurische Söldner. Die sendest du den drei Balten nach, sobald sie in ihren Heerlagern eingetroffen. Hörst du, du sendest sie, die Königin: denn sie sind Henker, keine Mörder. Die drei müssen an einem Tage fallen. – Für den schönen Totila sorge ich selbst! – Der Schlag wird alles erschrecken. In der ersten Bestürzung der Goten eile ich von Rom herbei. Mit Waffen, dir zur Rettung. Leb' wohl.»

Er verließ rasch die Hilflose, an deren Ohr in diesem Augenblick von dem Forum vor dem Palatium jubelndes Freudengeschrei der Goten schlug, die den Erfolg ihrer Führer, die Besiegung Amalaswinthas feierten.

Sie fühlte sich ganz verlassen.

Daß die letzte Verheißung des Präfekten kaum mehr als ein leeres Trostwort zur Beschönigung seines Abgangs war, ahnte sie mit banger Seele. Gramvoll stützte sie die Wange auf die schöne Hand und verlor sich eine Weile finster in ihren ratlosen Gedanken. Da rauschten die Vorhänge des Gemaches: ein Palastbeamter stand vor ihr: «Gesandte von Byzanz bitten um Gehör. Justinus ist gestorben: Kaiser ist sein Neffe Justinian. Er bietet dir seinen brüderlichen Gruß und seine Freundschaft.»

«Justinianus!» rief die ganze Seele der bedrängten Frau. Sie sah sich ihres Sohnes beraubt, von ihrem Volk bedroht, von Cethegus verlassen: ringsumher hatte sie in trüben Sinnen vergeblich Hilfe und Halt gesucht, und aufatmend aus tiefer Brust wiederholte sie jetzt: «Byzanz – Justinianus!»


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