Felix Dahn
Kämpfende Herzen
Felix Dahn

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Reinhart und Fatme.

(1854)

Erstes Kapitel.

Der Überfall.

– »Was giebt's hier? – Deutsche Hiebe!«
                                            Fiesko

Wenige Tagereisen hinter Antiochia, da, wo die letzten Ausläufer des Gebirges sich in die große syrische Sandebene verlieren, liegen einander zwei kleine Hügel in naher Nachbarschaft gegenüber, so daß sie eine Art Engpaß bilden, der von den Arabern der Umgegend ›die Pforte der Wüste‹ genannt wird. Der heiße Atem dieser nachbarlichen Wüste läßt keinen saftigen Pflanzenwuchs dort aufkommen; nur die begnügsamen zähen Stauden des syrischen Heidekrauts überziehen die Höhen.

Eine schlanke Cederpalme ragt einsam auf des steileren Hügels Gipfel, ihre plastische Gestalt scharf abzeichnend in dem hellen fast immer blauen Himmel und nur manchmal träumerisch die gefiederten Blätter im Winde leise bewegend.

Hinter diesem Hügel lagerte eine Schar von etwa fünfzig Gewaffneten, lauernd und sorgfältig verhütend, daß die Spitzen ihrer Speere oder ihre hellen Helme über die bergende Erhöhung hinaus blitzten. Wann einer der Reisigen dies versah, ward er rasch und kräftig von einem der drei Ritter, die den Zug führten, zur Vorsicht gemahnt. Das rote Kreuz auf der linken Schulter ihrer Waffenröcke bezeichnete sie als zu dem Heere gehörig, das unter dem frommen Gottfried soeben Antiochien erobert, die zu spät eingetroffenen Entsatztruppen des türkischen Feldherrn Korboga geschlagen und nun unter schweren Leiden den Zug durch die Wüste nach seinem heiligen Ziel angetreten hatte.

Nur mühevoll und äußerst langsam konnten die ›Franken‹, unkundig des Weges, ungewohnt des Klimas und der Wüstenfahrt, im feindlichen Land, überall von den kühnen und schlauen Feinden umschwärmt, vorrücken.

Schon viele Tausende der Kreuzfahrer waren auf dem kurzen Wege von Antiochia den Beschwerden des Zuges und den Listen der Araber erlegen, Beutesucht, Abenteuerlust und ungemessener Kampfdurst verleiteten gar oft die Ritter, sich in kleinen Zügen von der Straße des Hauptheeres hinweg in das Innere des Landes zu wagen und selten, fast nie kamen diese Streifzügler glücklich ins Lager zurück; sie ließen sich von verstellter Flucht der saracenischen Reiter oder von scheinbar günstiger Beutegelegenheit weit von dem Heere hinweglocken, bis sie, in einen Hinterhalt der überlegenen Feinde geraten, kläglich und ohne Nutzen für den großen Zweck des Zuges untergingen. Die Macht der Christen schmolz täglich mehr zusammen und drohte, tropfenweise zu verbluten.

Deshalb verbot der Herzog von Lothringen, der ohnehin seine liebe Not hatte, das aus den trotzigen, hochmütigen Edelleuten so vieler Völker locker zusammengefügte Heer nur einigermaßen in Frieden beisammenzuhalten, diese vereinzelten Streifzüge der Ritter aufs strengste. Er hatte sogar ein von allen Fürsten des Heeres beschworenes Kriegsgesetz erwirkt, daß jeden der Tod treffen solle, der auf eigene Faust von dem Zuge des Heeres sich entferne.

Allein auch diese blutige Drohung schreckte die kampflustigen Ritter nicht ab; sie wußten, daß im Fall ihrer glücklichen Wiederkehr, mit Sieg und Beute die Strafvollziehung an der allgemeinen Gesinnung des Heeres kräftigem Widerstand begegnete.

So war auch dieser Streifzug ohne Wissen und Willen des Oberfeldherrn unternommen worden. Vor einigen Tagen war ein arabischer Überläufer zum Christenheer geflohen und hatte dort die deutschen Ritter, auf deren Abteilung er zufällig gestoßen war, aufgefordert, einen alten Emir, der aus der von den Franken beherrschten Nähe von Antiochien mit einer reizenden Tochter und mit vielen reichen Schätzen auf Kamelen durch die Wüste in das Innere der Gebirge flüchten wolle, auf seinem Zug zu überfallen; die Schilderungen, die er von der Beute machte, hatten bald Teilnehmer für das Abenteuer gewonnen und Mustapha selbst erbot sich, sie an den besten, gelegensten Ort zu führen. Er war es auch, der mit der größten Ungeduld immer wieder hinter dem Stamme der Palme hervor nach der Richtung spähte, in der man die Karawane erwartete.

Die drei Ritter lagen auf ihren Mänteln in dem Schatten, den ihre gesattelt und gezäumt harrenden Rosse warfen, die mit wenig Behagen die trockenen Ranken des Heidekrautes benagten.

Der älteste unter jenen, ein stämmiger Westfale mit trunkgerötetem Antlitz und feistem Wanst, der am meisten unter der glühenden Hitze des arabischen Mittags zu leiden schien, war in Schlaf verfallen und schnarchte gewaltig.

Der jüngste dagegen, der kaum zwanzig Jahre zählen mochte, lag in sinnender Betrachtung seiner kunstvoll und reich gestickten himmelblauen Schärpe, deren goldene Fransen er langsam durch die Finger gleiten ließ. Mit einem fast schüchternen Blick schaute er um sich: als er sich unbeachtet sah, preßte er die Stickerei rasch an die Lippen und strich sich dann, wie in träumerischer Weltvergessenheit, die hellen blonden Locken aus dem Gesicht, die ihm in langen Ringen bis auf die Schulter wallten.

Der dritte, ein Jüngling von etwa fünfundzwanzig Jahren, dem sein schlanker Wuchs und das kurzlockige kastanienbraune Haar ein kühnes Ansehen gaben, das der feurige Blick des dunkeln Auges verstärkte, schien die Ungeduld des arabischen Spähers oben auf dem Hügel am lebhaftesten zu teilen. Sein Anzug war nicht so zierlich wie der des jüngsten, und mehr kriegerisch knapp als der des ältesten seiner Genossen. Er griff bald an das Schwert in der Scheide, bald an den Dolch im Gurt und rief endlich, indem er klirrend aufsprang und auf einen fern am Horizont auftauchenden Schatten hinwies: »Sie kommen!«

Auf dies Wort geriet die ganze Schar in Bewegung; die Gelagerten richteten sich auf und ergriffen ihre Waffen, Mustapha aber eilte von dem Hügel herunter, winkte ihnen, innezuhalten, und warf sich auf die Erde, das Ohr fest auf den trockenen Sand pressend. Nach kurzem Lauschen sprang er auf und rief, die Gefährten beschwichtigend: »Sie sind es nicht!«

»Wie?« rief der mittelste der Ritter, der schon im Sattel seines Brabanter Rappen saß. »Ich sah deutlich flüchtige Schatten vieler Gestalten im Norden auftauchen – da, ich sehe sie noch dahinschweben.« – »Es ist ein Rudel flüchtiger Gazellen. Ich habe ihren leichten Galoppsprung deutlich erkannt: das ist nicht der gleichmäßige Schritt des Kamels der Karawane. Der Wüstensand trägt die Erschütterung so weit – es sind aufgeschreckte Gazellen! Seht, der Schattenzug nimmt seine Richtung seitwärts, nicht hierher. Doch vielleicht sind sie die Vorboten des Zuges, der sie aufgescheucht haben mag.« »Plagt dich der üble Höllenwirt, Reinhart!« schrie der dicke Westfale dem jungen Ritter zu, der mißmutig von seinem Tiere sprang, »daß du ehrliche Leute aus ihrem Mittagsschlaf aufschreckst mit deiner thörichten Kinderfreude auf harte Hiebe? Ach, mir träumte so schön! Ich lag im tiefsten Altkeller meines Schlosses bei Paderborn unter dem Spundloch des edelsten Fasses und sperrte den Rachen auf und ließ mir den vollen Strahl Rheinwein in die Gurgel rinnen. Und du weckst mich auf zur Glut dieses ausgetrockneten heidnischen Backofens.« »Mich wundert schon lange, Herebrant, wie Ihr dazu gekommen seid, das Kreuz zu nehmen,« entgegnete lachend der Gescholtene. »Was hat Euch hinter Euren alten Rheinweinfässern hervorzutreiben vermocht?« Das rote lustige Gesicht Herebrants legte sich plötzlich in finstere Falten, er schlug ein ungeschlachtes Kreuz, daß sein Harnisch klirrte und murmelte dabei: »Stauf, das verstehst du nicht. In deinem Alter, du junger Schlagetot, und bei deinem heißen Blut bedurfte es freilich nichts als dir zu sagen: ›die Damascenersäbel der Araber sind schärfer als unsere blauen Kölner Klingen,‹ um dir die Haut zu kitzeln und dich vom Rhein an den Jordan zu treiben. Ich aber,« fuhr er ernster fort, »ich bin hier ins gelobte Land gezogen, – es ist eigentlich recht und billig, daß Ihr's wißt, damit Ihr mich danach mögt lieb behalten oder laufen lassen – ich bin hier, weil ich ein Pfäfflein erschlagen habe!« Reinhart blieb ruhig bei diesen Worten und warf nur einen raschen Blick seiner dunklen Augen auf Herebrant. Der Blondlockige aber fuhr einen Schritt zurück und rief: »Wie? Herebrant von Tiefentrunk ein Mörder?« – »Mord? Nein, bei Sankt Hubertus, beruhige dein blondes, bleichsüchtiges Gewissen, Arnold von Lichtenau! Ich brauchte dem Kerl nicht von hinten zu kommen, der um den Bauch nicht so dick war als ich um den Hals. Kein Mord, ehrlicher Totschlag in ehrlichem Zorn und Rausch. Zudem – es liegt bei uns im Blut. Bin ich doch nicht der Namengeber des Hauses Tiefentrunk: – ich muß trinken, weil meine Väter getrunken haben. Hätte mein Vater dem feurigen Hubertusberger nicht so zugesprochen, – das Pfäfflein möchte heute noch leben und Messe singen und ich säße nicht unter dem Palmbaum der Wüste.« »Wie seid Ihr zu dem Unglück gekommen?« fragte Arnold noch immer befremdet. »Ei, in Hitze und Hast, dem bösen Gast. Ich lag zu Paderborn in der Stadt, das Pfingstfest dort zu feiern. Heiß glühte die Sommersonne auf die alten Dächer, ich floh mit ein paar Gesellen in den kühlen luftigen Keller des Bischofs; am Samstag vor Pfingsten stiegen wir hinunter und nicht mehr vom Fleck gerührt bis die Feiertage schier um waren; wir haben Messe vertrunken und Hochamt. Da kam am Pfingstmontag Abend der Burgpfaff von Paderborn und wollte uns aufstöbern, schalt uns und schmähte, und meinte, wir sollten wenigstens jetzt noch die Vesper hören. Wir blieben sitzen, lachten und tranken; ich wies auf ein riesig Altfaß von köstlichem Hubertus und sagte: ›Pfäfflein, bis das Faß nicht leer ist, rühr' ich mich nicht vom Fleck, und ob alle himmlischen Heerscharen Vesper sängen in Paderborn.‹ Da ward das kleine Männlein ganz zornig und schrie: ›Fahr aus, du Weinteufel!‹ und denkt euch! sprang auf das Faß zu und riß den Spundhahn heraus, daß der edle Saft armsdick auf die Kellersteine schoß; das zürnte mich mächtig, daß der Tropf die gute Gottesgabe so vergeudete; und der Wein von den drei Tagen ward auch heiß in meinem Kopf, und ich warf dem Pfäfflein den steinernen Humpen an die Schläfe, daß es hinfiel und nicht mehr aufstand. Mir that's leid, sowie's geschehen: denn es war ein gar frommer und gelehrter Herr.

Meine Freunde aber rissen mich herauf in den Hof und gaben mir einen Gaul, und ich jagte durch die Stadt, die Meßkrämer rührten die Blutglocke, die Weiber warfen mir, als ich über den Markt sprengte, ihre Töpfe nach und alle Straßenjungen und alle Hündlein von Paderborn sprangen schreiend und bellend hinter mir drein. Aber ich spornte mein Rößlein und jagte zum Petersthor hinaus, ehe der Wärter das Fallgitter herabwerfen konnte, und fort auf meine Burg.

Der Herzog in Sachsen nun hatte nicht viel Aufhebens gemacht von der Sache, wie er denn ein ritterlicher und gerechter Herr ist. Aber unsere heilige Mutter, die Kirche, und die Herren von der Tonsur, die gaben nicht nach; sie luden mich nach Paderborn dreimal und als ich natürlich nicht kam, da ruhten sie nicht, bis ich in des Reiches Acht und Aberacht lag und mit ihrem Kirchenbann gaben sie der Suppe das Salz. Und dauerte nicht lang, lagen die Achthelfer zu dreihundert Mann, lauter Bürger von Paderborn, vor meiner guten Burg, und wollten mich heraustreiben mit Feuer und Schwert, wie man den alten Fuchs aus seinem Bau brennt, und der fromme Bischof von Paderborn trieb selbst seine Beichtkinder zum Sturm auf meine morschen Wälle und ritt ihnen voran, den Psalter in der Linken und den Streitkolben in der Rechten. Da ging's uns nachgerade hart, mir und den Meinen; wir hatten nichts mehr zu beißen als unsere Lederwämser und nichts zu trinken als Cisternenwasser. – Pfui Teufel! – Und konnte mich doch nicht ergeben an die Kittelschneider von Paderborn. Da, zu meinem Glück, ging durch alles Land das Geschrei vom heiligen Grab und seiner Not und wie Papst und Kaiser Bann und Acht lösten, wenn einer gegen die Heiden zöge nach Morgenland. Da nahm ich mit meinen Gesellen das Kreuz. Und der Bischof ließ mich ziehen mit seinem Segen. Doch mußte ich vorher mein Schloß und Gut mit Wasser und Weide, mit Wunn und Wald, mit Höfen und Hufen Unserer Lieben Frau zu Paderborn für den Fall meines Todes im Morgenlande verschreiben; und der dürre Saracene, der mich einmal auf seine Lanze spießt, der ahnt nicht, daß er sich den Dank des Marienstifts in Alt-Paderborn daheim erwirbt.« »Alter Freund,« sprach Reinhart und schritt auf ihn zu, »du bist mir nicht minder wert ob deines Unglücks; mir ist, dergleichen könnte jedem von uns begegnen. Aber das schwöre ich dir, du ehrliche Haut: der Heide, der dich totschlägt, erschlägt auch mich – oder ich ihn.« Er schüttelte ihm die Hand.

Herebrant war gerührt: »Gott lohn' dir deine Treu', du wackrer Junge.« Auch Arnold trat hinzu: »Verzeiht mir, Tiefentrunk: ich will Euch wohl, wenn ich auch Eure Art nicht verstehe und nicht teile; ich bin von anderem Stoff als ihr beiden.« »Oho,« lachte der Alte, »Reinhart wird sie nicht Wort haben wollen, die Ähnlichkeit mit mir, der junge Wanderfalk mit mir alten Rohrdommel. Du bist ein guter Bursch, aber noch gar jung; und die verfluchte Verliebtheit, die macht dich gar zu fein; willst immer hübsch gelinde fahren in dieser harten Welt und weißt noch nicht recht, was für ein starkes Ding das Blut ist im Menschen. Wie kamst du in deinen jungen Tagen schon soweit vom Nest? Bist ja kaum flügge.« Der Jüngling errötete, er schien, unentschlossen, zu bedenken, ob er auf die Frage Auskunft geben solle. Endlich strich er mit einer anmutigen Bewegung die gelben Locken aus der Stirn und begann: »Und warum auch ihr Freunde, solltet ihr nicht wissen, was mein Herz bewegt? Ich denke, meine Aufrichtigkeit soll mir nicht schaden, sie soll mir nützen in eurer Meinung; ihr werdet es hinfort leichter begreifen und entschuldigen, wenn ich träumerisch bin und achtlos meiner Umgebung. In wenigen Worten ist mein Los erzählt: mich führte die fromme Pflicht der Liebe her.

Vom Knaben auf liebte ich die Gespielin meiner Kindheit, das holdseligste Mädchen des blühenden Frankenlandes, Anna von Rineck; nachbarlich grüßten sich die Burgen unserer Väter; doch ach, unsere Herzen trennte ein unzerbrechlicher Riegel: ein Gelübde, wodurch Annas Mutter in tödlichen Geburtsschmerzen ihr Kind der heiligen Anna verlobte, wenn diese durch ihre mächtige Hand beider Leben erhalten wollte; Mutter und Kind genasen aus der Gefahr und Anna ward dem Kloster geweiht; vergebens alle Bemühungen unserer Eltern, die unsere Liebe entdeckten und mit Freude billigten, die geistlichen Bande zu lösen. Die Äbtissin wies jeden Loskauf zurück und bestand auf Erfüllung des Gelübdes; schon war Annas achtzehnter Geburtstag nahe herangekommen, der Tag, der ihr Haupt mit dem Schleier umhüllen, – sie meinen Augen auf ewig entziehen sollte. Da drang auch in unsere grünen Hügel die Predigt von dem heiligen Grab und wie der heilige Vater zu Rom Dispens und Ablaß jedem spende, der da pilgern wollt' ins Morgenland und mit den Saracenen kämpfen. Wir trugen dem Generallegaten des Papstes den Fall jenes Gelübdes vor, er schrieb nach Rom und bald kam der Bescheid zurück: ›Die heilige Anna verzichtet auf ihr Recht zu gunsten des Heilands und seines Grabes. Der Jüngling ziehe ins Morgenland und lege die blonde Stirnlocke seiner Geliebten auf das befreite Grab zu Jerusalem. Damit sei das Gelübde gelöst und er kehre heim und freie seine Braut; diese aber harre seiner im Sankt Annakloster und fällt er im Morgenland, so muß sie ihr Gelübde erfüllen und beider Erbe verfällt dem Stift. –‹ Der Kaiser erließ mir die fehlenden Jahre, er schlug mich zum Ritter und so brach ich auf ins Morgenland; in diese blaue Schärpe eingenäht trag' ich die heilige Locke der Geliebten; und ihr werdet nun die stille Sehnsucht mir vergeben, die mich so oft beschleicht; viel teure Augen härmen sich um mich daheim, und es ist billig, daß ich den Seufzern Antwort gebe, die jeder Abendwind mir aus dem fernen Franken bringt.«

»Armer Junge!« sprach Herebrant, ihm die Hand reichend. »An Eurer Stelle,« lachte Reinhart, »hätte ich die blonde Anna zuerst gefreit und erst nach der Hochzeit mich auf die lange Reise gemacht.« »Man sieht, Stauf,« erwiderte Arnold verletzt, »daß Ihr das Wesen der echten Minne nicht kennt. Sonst wüßtet Ihr, daß es mich selig macht, eine Probezeit opfernder Entsagung zu bestehen; nun und nimmer kann ja sündiger Mann wie wir die Liebe reiner Frauen verdienen. Und wird sie auch niemals mein, – ich weiß, sie liebt mich: mein war der erste Dufthauch ihrer aufgeknospten Seele: – gleichviel, ob ich die Blume pflücke oder nicht, – für mich hat sie geblüht, das ist mir genug. Doch was red' ich zu Euch! Ich weiß, Ihr verachtet die Frauen und hasset die Minne.«

»Ich pflege nicht zu verachten und zu hassen, was ich nicht kenne und niemals kennen lernen will!« sagte Reinhart kurz und wandte sich von den Genossen, wieder seinen Späherplatz unter der Palme einnehmend. »Oho,« rief ihm Herebrant nach, »nur nichts verschwören, du wilder Fall. Du findest auch noch die weiche, weiße Hand, die dich kirre macht und dir das stolze Flügelschlagen abgewöhnt. Die Minne ist der Engpaß, durch den jeder muß, der ein echter Mann werden will. Man muß nur nicht drin stecken bleiben, wie unser Freund Arnold. Sie ist eine Kinderkrankheit, über die man lachen darf, wenn man sie bestanden hat, wie ich; du jedoch, du hast kein Recht, darüber zu lachen; in deinen dunkeln Augen schläft ein Funke, der giebt einen Höllenbrand, wird er entzündet. Aber sprich: weshalb hast du den rauschenden Rhein vertauscht mit dem schleichenden Jordan?« Reinhart achtete der Frage nicht: – er sah, die gepanzerten Arme auf der Brust gekreuzt, scharf nach dem Feinde aus. »Ich will's euch sagen, ihr Herren,« sprach der alte Knappe, der bisher schweigend dem Gespräch der drei Ritter gelauscht und nun näher kam; »ich will's euch nur sagen. Denn von meinem stolzen Eisensohn da oben erfahrt ihr doch nichts. Er liebt die Worte nicht.« – »Aber Ihr liebt sie desto mehr, Gottschalk, wenn Ihr von Eurem jungen Herrn reden könnt! Nun, nur zu, lobt ihn nur. Denn bei Euch ist von ihm sprechen und ihn loben eins.« »Bin nicht der einzige darin, Ritter Herebrant,« schmunzelte der Alte. »Niemand sucht die Gunst der Menschen weniger, als mein Reinhart und niemand findet sie so reich auf allen seinen Wegen. Aber er verdient es auch, mein Reinhart mit seinem goldigen Herzen! Keiner kennt ihn so wie ich; ich habe ihn erzogen von klein auf, ich habe ihm den ersten Pfeil geschnitzt, habe ihn zuerst mit heimlich aufs Pferd gesetzt und zur Jagd geführt ohne Wissen der seligen Gräfin. War eine schöne Frau, die Gräfin. Ich sehe es noch heute, wie Graf Stauf, der tapfere Ghibelline, für Kaiser Heinrich Piacenza eroberte, das die zähen Colonnas, die stolzen Guelphen, drei Monate lang verteidigt hatten. Nachdem der alte Colonna bei einem Ausfall erschlagen worden, führte seine zwanzigjährige Tochter Fiammetta die Belagerten; und als wir endlich die Mauern erstiegen, fand sie Graf Stauf auf dem höchsten Turm mit Banner und Schwert. Er entriß ihr die Waffen und nahm sie gefangen. Acht Wochen später war sie sein Weib und saß am blauen Rhein auf Staufenberg. Von ihr hat unser Reinhart das dunkle Haar und das heiße Blut. Sie erzog ihn allein, denn den Vater verlor er früh. Von ihm hat er das weiche Herz, – das Gemüt wie ein Kind. Aber das trotzige, welsche Blut schämt sich der guten, milden Art, er will nichts hören von seiner eigenen Empfindung, er stellt sich böser und härter als er ist. Nur gegen die Weiber, – da ist er wirklich spröd und hart; hat aber auch seinen guten Grund: hat ihm noch keine von unseren helllockigen Edelfräulein gefallen wollen. Die Mutter drängte ihn oft schon zur Freite, weil sie dachte, ein holdes Weib würde ihn am leichtesten zu Hause halten und ihm die feurige Kriegslust austreiben, die ihn alle Fehden vom ganzen Reich mitfechten hieß, die ihn gar nichts angingen. Aber wann er heimkam von den Festspielen und Turnieren, wo gar manches schöne Auge den spröden Eisenritter verfolgte, der allein keiner Dame Farben und Schärpe trug und der so oft den Siegesdank mit ruhigem Herzen aus einer zitternden Fräuleinshand nahm, – wann er da heimkehrte und ihn die Mutter fragend ansah, da schüttelte er stolz die krausen Locken und wies auf die nachtlockigen Italienerinnen, die in dem Ahnensaal des Schlosses hängen, die weibliche Sippe seiner Mutter, von welschen Meistern mit glühenden Farben auf Goldgrund oder Elfenbein gar prachtvoll gemalt, weit schöner als unsere Meister es können zu Mainz; auf diese schwarzen Dominä wies er und lachte: ›Ehe nicht eine unter diesen heruntersteigt von der Wand, siehst du keine Schwiegertochter, Mutter! Mir ist, diese Wachsgebilde aus dem Elsaß und aus Schwaben müßten zerschmelzen bei meinem ersten Kuß. Sie langweilen mich mit ihren Taubenseelen.‹ Und dann mußte ihm die Mutter erzählen von ihren Gespielinnen, den dunklen Schönen von Welschland, und ihrer glühenden Minne, wie sie wandeln unter Lorbeern, Myrten und Palmen. Die gute Frau, sie sollte gar keine Tochter begrüßen! Als sie gestorben war, stürzte sich Reinhart von Fehde zu Fehde, den Schmerz um die heißgeliebte Mutter zu vergessen. Und als in Deutschland überall Friede war, zogen wir über die Alpen, den Ghibellinen dort drüben zu helfen gegen den guelphischen Papst; wir kamen bis vor Rom am gelben Tiber, und schon freute sich Reinhart auf einen frischen Sturm gegen die Engelsburg, da erscholl die Kunde vom heiligen Grab und von der Pflicht aller Christenritter, dem Heiland zu helfen aus der heidnischen Gefangenschaft. Flugs schlossen die Ghibellinen Frieden, und wir knieten vor dem heiligen Vater, den wir mit Feuer und Schwert zu bekämpfen gekommen waren, und ließen uns das rote Kreuz anheften und zogen ins Morgenland, bloß deshalb, weil es daheim keinen Krieg mehr giebt und keine lustige Hantierung mit Schwert und Lanze.« »Nun,« meinte Herebrant, »wenn ihr der Streiche halber gekommen seid – da seid ihr nicht fehlgegangen. Denn diese Heiden, – sie mögen unrichtig beten, aber sie schlagen sich ganz richtig. Doch zu dieser heutigen Abenteuerfahrt hat deinen spröden Reinhart nicht die Kampflust allein getrieben.« – »Was denn sonst?« – »Als der Heide zu unseren Zelten kam – Gott verdamm' ihn, daß er uns soweit in diese Glühhitze geführt hat, der letzte Schluck aus meinem Schlauch geht zu Ende! – und uns soviel von den blitzenden Juwelen und dem roten Golde des alten Emirs erzählte, blieb Reinhart ganz ruhig bei seinem isländischen Falken, den er zur Beize schirrte. Wie aber Mustapha die schöne Fatme zu schildern begann in seinen langatmigen Gleichnissen, wie sie die Perle der Wüste sei, mit ihren purpurnen Lippen und den schwarzen Brauen, schön gewölbt wie der Regenbogen – da blitzte sein Auge oft von der Falknern zu uns herüber, bis er endlich den Vogel auf die Querstange warf und, zuerst von uns allen, ausrief: ›Ich reite aus gegen die Karawane, mit euch oder allein.‹ Sieh', wie er da oben späht, die Arme auf der Brust verschränkt, als wollt' er sein Herz am Pochen verhindern. Freund Gottschalk, ich glaube, diese Ungeduld gilt nicht dem Schwert und nicht den Schätzen des Emirs, sie gilt seiner Tochter!« »Der Heidin?« rief Gottschalk entsetzt und schlug ein Kreuz; »mögen Gott und alle seine Heiligen ihn schützen!« – »Nun, es wäre nicht das erste Mal, daß ein Kreuzritter die Minne . . . –«

»Haltet ein, Herebrant,« unterbrach lebhaft und mit geröteter Wange Arnold, »vollendet nicht die Lästerung! Die sündhafte Lust, die manchen aus unserer Mitte zu jenen üppigen Weibern zog, Minne zu nennen! Minne! Sie ist mir das Heiligste! Sie ist mir meine Frömmigkeit, mein Glaube selbst.« – Und er drückte die blaue Binde innig an die Brust.

»Jetzt kommen sie!« rief Mustapha, von der Palmenhöhe herunter – »sie sind's! – Der Boden zittert unter den schreitenden Kamelen: – schon hör' ich auch die hellen Glocken klingen: – da tauchen ihre Schatten empor am Horizont. – Auf, ihr tapferen Frankenherren, zu den Waffen!«

Und diesmal war es wirklich die erwartete Karawane, die sich nun mit auffallender Raschheit näherte. Ein Zug von etwa zwanzig Reitern, der die Vorhut bildete, schien die ganze bewaffnete Bedeckung zu sein. Es folgten in zwei dichten Reihen je fünf hochbeladene Kamele, auf deren Häuptern stattliche Federbüsche, mit silbernen Glöcklein behangen, schwankten und den gleichmäßigen, gravitätischen und doch ergiebigen Schritt der merkwürdigen Tiergestalten mit klingendem Nicken begleiteten. Neben und vor den Kamelen schritten Führer und Sklaven unbewaffnet zu Fuß einher. Der Zug mochte nicht über sechzig Köpfe zählen, soweit man ihn bei der Krümmung des Weges überschauen konnte; denn die Karawane war eben zwischen zwei Hügeln, ähnlich dem Standort der Christen, aufgetaucht.

»Das wird leichte Arbeit!« rief Reinhart, der schon wieder im Sattel saß und den Helmsturz herabließ. »Bleibt Ihr aus dem Kampf mit Euren Leuten, Herebrant: laßt mich und Arnold mit unsern zwanzig Reisigen den Strauß allein ausfechten: das Dritteil der Beute soll Euch doch bleiben. Auf, Gottschalk, stoß' ins Horn! Sie sollen nicht sagen, wir hätten sie ungewarnt überfallen!« »Recht, meinetwegen!« rief Herebrant. »Bin nicht mehr eifersüchtig auf die Gelegenheiten, Scharten in meine alten Knochen zu bekommen. Aber komm, Gottschalk, hilf mir erst aufs Pferd. Halt, erst noch ein Schluck aus dem Schlauch. – So, der Rest wird getrunken, euren Sieg zu grüßen.« So sprechend, ließ sich der schwerleibige Westfale von Gottschalk mit Hilfe der beiden Steigbügel, deren Schaufeln den großen Schalen einer Wage glichen, auf seinen breitknochigen Hengst heben. Endlich saß er fest und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ah! so, jetzt sitzen wir. Es dauert lange, bis man mich hinaufbringt. Aber dann kriegt mich auch so leicht keiner aus dem Sattel. Vorwärts.«

Und er folgte den beiden Jünglingen, die schon mit den zum Angriff bestimmten Reitern aus dem Engpaß hervorgesprengt waren. Sie standen nun auf freiem, gleichem Boden mit der Karawane. Gottschalk stieß auf Reinharts Wink laut in das Horn, das einen drohenden Kriegsruf scholl.

Aber wie erstaunten die christlichen Angreifer, als plötzlich zwischen den Kamelen die bisher von dem Rücken der Hügel verdeckte Nachhut der Karawane hervorbrach: eine Schar von über dreihundert wohlberittenen und wohlgewaffneten Saracenen, die augenscheinlich unter bester Führung in ruhiger Ordnung gegen die Christen anrückten. Die Kamele hatten Halt gemacht und zu ihrem Schutz blieb, außer den Fußgängern, eine starke Reiterschar zurück.

»Das ist Verrat! Mustapha, du Hund!« schrie Reinhart und fiel dem Pferd des Überläufers, der dicht neben ihm ritt, in die Zügel. »Aber du sollst nicht entrinnen, mit deinen Brüdern über unseren Fall zu frohlocken.« »Thörichter Christ!« antwortete der Saracene mit funkelnden Augen, »ich bin getäuscht wie du. Ich dachte die Karawane Ibrahims allein zu finden: sie hatten beschlossen, allein zu ziehen. Der jene vielen Reiter führt, ist mein Todfeind, mehr wie Eurer, Rodvan, vom Stamm Hasar, dem ich im Himmel nicht begegnen möchte; ich wußte nicht, daß er den Zug seiner Braut geleiten würde.«

»Seiner Braut?« fragte Reinhart, ihm die Zügel freigebend. »Und wenn wir dir nun nicht glauben?« rief Herebrant, heranreitend. »Wenn wir in dir einen listigen Schlingenleger sehen und dich in deiner eigenen Schlauheit erwürgen?« – »Thut, wie Ihr wollt und könnt. Mir gilt es gleich. Mein Glück ist doch erloschen. Die Rose meines Wunsches ist verwelkt. Ich will sterben.« »Warum?« rief Reinhart. »Welchen Wunsch hast du gehegt? Was führte dich zum Abfall von den Deinen?« »Jene dort!« antwortete Mustapha glühend, auf eine Frauengestalt deutend, die in leuchtend weiße Schleiergewande gehüllt auf einem der Kamele thronte. »Wer ist das?« fragte Reinhart rasch, mit der Rechten an den Schwertgriff fassend. »Fatme ist's, die Tochter Ibrahims, die Perle von Serad! Sie war meines Stammes. Ich liebte sie schon als Knabe. Die Glut für sie hat mein Gehirn verbrannt. Ich warb um sie und ward verschmäht. Dem dunklen Rodvan, vom mächtigen Stamme Hasar, hat sie ihr Vater bestimmt; so scheint es, wenn sich nicht zuvor ein dunkles Orakel erfüllen wird, das der Alte, der Wunderliche, über das Schicksal seiner Tochter in den Sternen gelesen haben will. Ich verriet ihren Zug an euch, auf daß sie gefangen würde und durch eure Hilfe mein, als mein Anteil an der Beute. Vergebens! Der dunkle Rodvan giebt ihnen Geleit. Das war nicht beschlossen. Jetzt ist alles aus. Aber zu ihren Füßen will ich sterben.«

So sprechend gab er plötzlich seinem edlen Roß den Sporn und schoß, ehe ihm Herebrant wehren konnte, wie ein Pfeil über die Ebene, das krumme Damascenerschwert über dem Turban schwingend und kreischend in gellender Stimme: »Fatme, mein ist Fatme!« So jagte er gegen die Reiterschar, deren Führer, auffallend ausgezeichnet gegen alles Herkommen der hell und bunt gekleideten Orientalen durch vollständig schwarze Rüstung, ihm ruhig entgegenritt, Ihre Klingen schlugen aneinander; hell blitzten sie einen Augenblick im Sonnenschein, noch einmal scholl das gellende »Fatme!« aus Mustaphas Mund – dann stürzte er plötzlich wie blitzgetroffen in den Sand von dem Hengst, der ihn getragen und der nun, des Reiters ledig, weitausgreifend, mit gesenktem Hals und mit wallender Mähne hinausjagte in die Wüste.

Der Besieger Mustaphas sah auf die Leiche.

»Keine Fatme für Verräter! Vorwärts, Brüder! Wehe den fränkischen Räubern!« –

Die Lage der Christen war verzweifelt.

»Zurück, ihr Jungen,« rief der erfahrene Herebrant, »zurück in den Engpaß! Den halten wir Schwergewaffneten wie eine gute Burg wohl lange Zeit gegen dies luftige Gesindel, gegen diese Stechmücken der Wüste. Zurück, Reinhart!« – »Ich weiche keinen Schritt, diese Hunde sollen meinen Rücken nicht sehen.« – »Wenn du hier bleibst, wirst du umzingelt und zerrissen von der Überzahl, wie der Eber von der Meute. Du kannst hier nicht bleiben.« »Dann will ich vorwärts!« rief Reinhart. Und den Helm auf die Brust beugend, mit dem langen dreieckigen Schilde sich deckend, die Lanze fest eingelegt unter dem rechten Arm, sprengte er auf seinem brustgepanzerten Roß allen Christen voran, mitten in die heransausenden Feinde. Bald verschwand er den Augen seiner Genossen in einem dichten Schwarm der saracenischen Reiter.

»Arnold, mein Jung', jetzt, glaub' ich, gilt's nur mehr einen ehrlichen Tod. Zurück in den Engpaß flüchten, unsern heißblütigen Freund in der Klemme lassen, – Schande wär's! Da! Wir sind auch schon umzingelt und abgeschnitten vom Engpaß! Hätte ich doch den Rest Rheinwein noch ausgetrunken! Denn das war doch mein letzter Schluck auf Erden. Mir ist, ich sehe mein gut, alt Schloß bei Paderborn so wenig mehr, als du deine blonde Anna.« – »Gern will ich sterben, ich sterbe für sie!« – »Gern sterben? – Müßt's lügen! Eine Weile wollen wir uns noch unserer Haut wehren.«

So sprechend ordnete er die Christen, die jetzt die Angegriffenen waren, in einem engen Kreis, dessen äußerste Reihe aus den Bestbewaffneten gebildet war, die Schilde wie eine Mauer aneinanderschließend, die langen Lanzen daraus drohend hervorstreckend, blieb das kleine Häuflein eine Zeitlang gesichert gegen die leichten Waffen der Saracenen, die keinen Angriff in geschlossenen Reihen versuchten, sondern sie auf flüchtigen Rossen unaufhörlich umkreisten, mit Pfeilen und Wurfspeeren einzelne Unvorsichtige aus der Ferne zu erlegen und so den Kreis zu sprengen suchten.

Herebrant ermahnte die Seinen mit lautem Zuruf, sich sorglich zu decken, – nicht durch verstellte Flucht sich zur Verfolgung der gewandten Feinde und zur Entfernung aus dem allein schützenden Kreise verlocken zu lassen. Und mancher Saracene, der sich zu keck in den Bereich seines ungeheuren Schlachtschwertes, das er dann manchmal mit beiden Händen regierte, gewagt, fiel zerspalten vom hurtigen Roß, worauf jedesmal ein lauter Jubelruf des bedrängten Häufleins erscholl. Ein solcher Jubel war es, der den schwarzgewaffneten Führer der Saracenen aus unentschiedenem Zweikampf mit Reinhart abrief; er wandte sich und sah wieder einen seiner Reiter unter Herebrants wuchtigem Streich fallen. »Wir treffen uns wieder!« rief er drohend Reinhart zu, und jagte an ihm vorbei gegen den eingeschlossenen Kreis der Christen. Arnold von Lichtenau hatte er sich ausersehen; aus weiter Ferne schleuderte er den Wurfspeer auf den Glockenhelm des jungen Ritters, daß der Helmgupf klirrend zersprang, und Haupt und Antlitz sichtbar wurden, prächtig umflutet von den langen, goldenen Locken. Schon jagte der Saracene dicht heran, aus dem Gürtel die lange, starke Schlinge von Palmenbast reißend und sein gelenkes Tier immer enger um den Ritter tummelnd. Da stieß Arnold, sein Roß ungeduldig aus dem Kreise spornend mit der eingelegten Lanze nach ihm, sich weit vorbeugend mit Brust und Hals. Aber wie ein Pfeil war der Rappe Rodvans, herumgewendet, in seinem Rücken: die Bastschlinge flog, sich verstrickend in dem reichen Gelock, um Arnolds Nacken: mit beiden Händen fuhr er nach dem Knoten, sich zu befreien. Da traf der krumme Säbel des Saracenen die weiße Stirn und mit dem Ruf: »Heilige Anna!« stürzte der Jüngling vom Pferde.

»Fahr wohl! Du reine Seele,« rief ihm Herebrant nach. »Du Heidenhund! So fängt man Wildkatzen, aber nicht Christenritter. Das ist kein ehrlich Gefecht! Bleibt beisammen, Leute, bleibt im Kreis!«

Zu spät! In die Lücke, die Arnolds Fall gebrochen, waren im Nu die Saracenen eingedrungen, der Kreis war gesprengt und rasch fielen nun die Christen, Mann für Mann, vereinzelt, vor der Übermacht: zuerst die Flüchtigen, dann auch die noch in kleinen Gruppen beisammen Haltenden. Gottschalk hielt zuletzt allein noch neben Herebrant aus: da brach sein Streitkolben: er ward gefangen. Herebrant, erschöpft und mehrfach von Pfeilen verwundet, konnte nur mühsam noch sein wuchtig Schwert regieren; er schaute sich nach Reinhart um: er sah dessen Helm noch immer hoch über dem Gewimmel der Turbane ragen, die ihn umgaben. »Halloh, Reinhart, mein braver Jung', laß uns zusammen sterben!« So rief er und spornte sein Pferd nach jener Richtung; doch die Kraft des pfeilwunden Tieres war erschöpft: im ersten Ansatz brach es zusammen, Herebrant mit, und vor Reinharts Augen, der den Ruf des Freundes wohl vernommen, traf ihn Rodvan tödlich zwischen Helm und Brünne in den durch den Fall entblößten Hals. Laut jauchzten die Saracenen und sprengten nun alle auf Reinhart zu, der allein noch übrig war. Bis jetzt hatte er, Dank seiner guten Rüstung und seiner zähen, gelenken Tapferkeit, wie ein eiserner Turm allen Angriffen der ihn umschwärmenden Saracenen widerstanden. Jetzt aber ging's zum Ende. Längst war seine Lanze zerbrochen: auch den treuen Schild hatte er müssen fallen lassen: er konnte den von unzähligen Pfeilen und Speeren gespickten mit dem müden Arme nicht mehr halten; zwar auch jetzt traute sich keiner der Saracenen an sein gefürchtetes Schwert: noch jeder hatte dies Wagnis mit dem Leben bezahlt.

Aber da sprengte Rodvan von der Leiche Herebrants weg auf ihn zu. »Du siehst, du bist verloren, tapferer Christ. Du bist der letzte deiner Schar: ergieb dich mir in ritterliche Haft!« – »An dich, Wüstengeier? An keinen Sterblichen!« – »Stolzer Franke, hüte dich! Rodvan hat deine beiden Freunde besiegt in ritterlichem Kampf!« – »Ermordet hast du sie! Den einen mit dem Werkzeug des Henkers, den andern in wehrloser Ohnmacht. Was weißt du vom Rittertum!« – »Dich zu treffen, du Übermütiger!« Und ihre Klingen kreuzten sich. Rodvan ließ das Schwert fallen, aus seinem Schuppenpanzer am rechten Arm schoß Blut.

»Nimm das auf Abschlag! Der Rest kommt nach!«

Während Rodvan von den Seinen aus dem Sattel gehoben wurde, und die andern grimmig, aber scheu, auf Reinhart blickten, entstand eine kurze Pause. Reinhart richtete sich hoch in den Bügeln auf und schaute um sich; schon waren rings Bogen und Schleudern und Wurfspeere auf ihn gerichtet. Es war aus.

Da fiel sein Auge auf die Kamele, die sich jetzt, nachdem der Kampf zu Ende schien, näherten; etwa fünfzig Schritte weit sah er eine weiße Schleiergestalt auf dem vordersten der Tiere heranreiten; ein rascher Blick auf die Feinde ringsum: er schlug das Visier seines Helms auf. »Sterben muß ich. Aber eh' ich sterbe, will ich ihr Antlitz sehen!« So sprechend spornte er sein Roß und sprengte durch die vor ihm haltenden Reiter, die erschrocken auseinanderprallten, auf den Zug der Kamele los.

Lautes Geschrei, Pfeile und Speere folgten ihm nach, aber schon hatte er das Kamel mit der Frauengestalt erreicht; zwei Sklaven, die sich ihm in den Weg warfen, flogen unter die Hufe seines Rosses. Er hob sich hoch in den Bügeln und riß den weißen Schleier von der Gestalt, die sich ängstlich zurückbog: ihr Antlitz ward frei: sie sahen sich Auge in Auge. Da plötzlich stürzte Reinhart, der einen Moment wie in Verzückung erstarrt war, nach vorwärts aus dem Sattel: ein Pfeil hatte ihn von hinten unter die Schulterschiene des aufgehobenen Armes getroffen. Er lag zu den Füßen des Kamels; da sprengte der glückliche Schütze heran und schwang wütend den krummen Säbel über dem erbleichenden Gesicht des Gefallenen. Doch die Saracenin war rasch auf dem Nacken einer Sklavin von ihrem Hochsitz herabgeglitten und breitete eilig ihren weißen Mantel schützend über Reinhart.

»Halt ein, Hassan, ich schütze diesen Franken!« Der Angeredete trat grimmig zurück. »Wie? Ist das mein Dank? Den Mörder vielleicht meines Sohnes Rodvan? Den schützt Fatme, deren Schleier er zerrissen? Nimmermehr!« Und er schwang das Schwert. »Mein Vater Ibrahim, hilf deinem Kinde!« rief Fatme flehend zu einem hohen Greise, der, von einem der Kamele herabsteigend, herantrat; sein reicher silberweißer Bart reichte bis an den purpurnen Priestergürtel, ein Ausdruck tiefer Ruhe und hoher Milde thronte auf seiner Stirn. »Laß sie gewähren, Hassan. Gnade üben ist das Recht aller Menschen und Milde die erste Pflicht des Weibes.« »Wohl,« sprach Hassan finster, »so laß uns weiterziehen, unser Zug hat Eile; laßt ihn hier liegen, den Christenhund, ob ihm sein Gott helfen mag.« Und er ging, die Reiter zum Aufbruch zu sammeln.

»Das wäre grausamer als der rasche Schlag deines Schwertes, Hassan!« rief ihm Fatme nach. »Vater, ich heische den Christen als meinen Gefangenen; ich habe ein Recht auf ihn: keinen von euch hat er so schwer verletzt als mich: er hat meinen Schleier gelüftet, der Mann, der unserem Stamme fremd; gieb ihn mir zur Pflege, er ist mein Sklave.« Ibrahim küßte seiner Tochter schöne Stirn. »Es sei, wie du es willst, vielmehr wie es die Sterne wollen, die jedes Schicksal längst vorher gefügt; sei nicht zu grausam gegen deinen Sklaven, harte Herrin!« Fatme errötete. Ibrahim wandte sich zu seiner Umgebung: »Auf, legt die Häupter der gefallenen Gläubigen gen Osten, daß sie der Engel der Morgensonne finde, wann es wieder tagt. Schon tauchen dort die ersten Sterne auf, die Nacht wird hell und kühl für unsere Reise. Brechen wir auf!« Und er ging mit seinen Sklaven, die Toten zu mustern und, so gut es thunlich, zu bestatten.

Der bewußtlose Reinhart ward auf eines der Kamele gehoben, das am sanftesten ging. Fatme ritt neben ihm; sie hatte den Pfeil selbst aus der Wunde gezogen und diese mit kundiger Hand gepflegt; sie wandte kein Auge von seinem bleichen Antlitz; aber seine Augen blieben geschlossen in tiefer Nacht der Betäubung.

Als sie aufbrachen, sprach Ibrahim zu ihr: »Auch Rodvan ist verwundet, meine Tochter!« – »Er hat der Pfleger und der Freunde viele; des Gefangenen Pfleger bin nur ich, mein Vater.« – Ibrahim schwieg. Und nun verfolgte die Karawane wieder ihren weiten Weg, voran eine kleine Vorhut, die Kamele in der Mitte; die Reiterbedeckung mit den Gefangenen und Verwundeten schlossen den Zug.

Hell leuchteten oben die Sterne des südlichen Himmels, laut klangen die silbernen Glocken der Kamele mit eintönigem Takt in die sinkende Nacht. Bei dem Engpaß der Palmen, an der »Pforte der Wüste« lagen bleich und still die Gefallenen, Christ und Saracene; von weitem her kamen in kreisenden Zügen die Geier der Wüste, gelockt von dem Geruch des Blutes und der Leichen.

Und im fernen Frankenland, in frommer Klosterzelle, falteten sich zu dieser Stunde zwei weiße Hände: sie beteten für Arnold von Lichtenau.

 


 

Zweites Kapitel.

Heiße Liebe.

»Das Auge sieht den Himmel offen
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.«
                                    Die Glocke.

»Du schönste Tochter Ismael, wie süß bist du zu schauen,
Des Morgenlandes Prachtjuwel, die strahlendste der Frauen!
Gesegnet der Araberpfeil, der mich vom Rosse fällte,
Weil er gefangen, mir zum Heil, dir, Fatme, mich gesellte.

Dein dunkles Haar ist wie die Nacht, Granaten deine Lippen,
O selig ihre rote Pracht in heißem Kuß zu nippen,
Wie weiß ist deiner Stirne Glanz, dein Wuchs ist gleich den Palmen,
Dein Hauch ist Duft, dein Schritt ist Tanz, dein Wort Musik der Psalmen.

Dein Aug' ist dunkelmeeresblau, und schwarz sind deine Brauen;
Du bist die allerschönste Frau in allen Erdengauen!
Wie schal, wie reizlos ist das Weib daheim im Land der Franken:
Ihr Blick ist matt und arm ihr Leib und ihre Glieder kranken.

Du süßes Saracenenkind, du Schwester der Gazelle,
Die Ceder ist dein Spielgesind', der Löwe dein Geselle!
Laß mich in deinem weichen Arm vom Mund den Hauch dir trinken,
Und Ritterpflicht und Pilgerharm versinken laß, versinken.

Wohl läßt sich in Jerusalem ein Himmelreich erwerben,
Fürs heilge Grab, für Bethlehem ruft Gottfried uns zu sterben,
Die Brüder all' mit Schwert und Spieß viel Rühmliches vollbringen,
Sich einst ums Haupt im Paradies den Lilienkranz zu schlingen: –

Du sollst ins Haar die Rosen rot mir von Damaskus flechten,
Das Leben will ich, nicht den Tod, will küssen und nicht fechten:
Was Bethlehem, was Golgatha, was Heilgen Grabes Streiter, –
Wer in dein blaues Auge sah, braucht keinen Himmel weiter.«

So sang im blühenden Schloßgarten der kurdischen Feste Dschabar der gefangene Reinhart; er sang zu den hellen Tönen der maurischen Laute, die er in den süßen Wochen seiner Gefangenschaft spielen gelernt. Er saß unter dem Schatten der schlanken Ceder, die, wie erstaunt über das Bild, das sie überragte, die zart gegliederte Blätterkrone leise schüttelte; die schweren Eisenwaffen, längst von dem geschwächten Körper des Schwerverwundeten gelöst, hingen in einer Felsengrotte des Gartens, von Rosen und Epheu überrankt; um den ehernen Knauf des früher schmucklosen Helmes schlang sich nun, wie ein lebendiger Helmbusch, ein blühender Rosenzweig; sein Haupt, in einen leichten Turban von weißer Seide gehüllt, lag in Fatmes Schos. – – – –

Als das Lied zu Ende war, ließ er die Laute aus den Händen in den weichen Rasen des Gartens gleiten und, sich rückwärts neigend, breitete er beide Arme nach Fatmes schönem Haupt aus. »Was sinnst du, Geliebte?« rief er. »Dein Auge ist verloren in ein fernes Träumen. Du achtest meines Liedes, meiner Gegenwart nicht!« – »Nicht doch, – ich sann nur nach, wie lange du, mein Stern, so leuchtend über meinem Haupte stehen wirst.« – »Wie lange? Ewig, Geliebte!« – »O nein, Reinhart. Seligkeit, wie die meine, ist gleich der wundervollen Blume der Wüste: – sie blüht nur einmal alle hundert Jahre und dann – nur eine Nacht!« – »Bist du doch so schön, so gut – wie könnte ich von dir lassen! Was soll uns trennen? Ich fürchte keine Macht der Erde!« – »Aber ich scheue die Mächte des Himmels! Mir ist, von unserer Liebe stand in den Sternen nichts geschrieben, Gott hat uns als Feinde geschaffen, fremd einander an Glaube, Sinn und Sitte: – wir haben die Schranken durchbrochen, die er zwischen uns errichtet.« – »O du böse, schöne Zweiflerin, was quälst du dich und mich! Der Himmel will das Glück seiner Menschen, und sind wir nicht glücklich? Muß ich dich mahnen an all die süßen Stunden unserer Seligkeit? Glaube mir, nichts soll der Mensch, als atmen und glücklich sein. Lange hab' ich mich, wie du, mit Gespenstern gequält, die nicht sind, mit den Wolkenschatten der Ritterpflicht, des Waffenruhms . . . – ich suchte, ich wußte nicht was. Deine Liebe, die helle Sonne, hat die leeren Gewölke vor meiner Seele zerstreut und ich bade selig im blauen Himmel des Glückes; dich küssen, Fatme, ist wohlgethan und alles andere Thorheit!« Und er umschlang sie glühend und sie schwieg beglückt und beruhigt. –

»Was war ich ehedem für ein gebundener Mann,« – fuhr er fort. »Unser Glaube, unsere Sitte hat ein Netz mit hunderttausend Maschen um uns geworfen; bei jedem Schritt fühlte ich die drückenden Fäden: ›das ist nicht christlich‹, hieß es, wenn ich dem heißen Drang des Herzens folgen wollte in Liebe und Haß; – ›das ist nicht Rittersitte‹ – hieß es, – wollte ich ein Mensch sein. Die blöden wasserblütigen Gesellen verstanden die Glut nicht, die in mir loderte. Da ward ich stolz und verachtete sie, die Schwächlinge von Männern und Weibern; und meine einzige Lust war, jenen auf die Köpfe zu schlagen und diesen das Liebesgeseufze zu versagen, das sie für ihre armselige Schönheit, für ihre mattherzige Empfindung als Zoll forderten.« – »Stolzer Mann! Kannst du dich denn nicht beugen? Kannst nur verachten, nicht verehren?« – »Ja, Fatme, ich kann verehren: dich bete ich an, dir beug' ich mich, und der göttlichen Macht deiner Liebe; du hast ein Herz, das in ganzen, vollen Schlägen geht, wie das meine! Du kannst dich und Welt und alles vergessen über der brausenden Begeisterung des Augenblicks. Du hast den Mut, frei und ganz du selbst zu sein. Sieh, ehe eines von jenen wohlanständigen Ritterfräulein meiner Heimat gewagt hätte, den Feind ihres Glaubens und Volkes, gegen das enge Gebot der Frauensitte, selbsthandelnd, vor der gerechten Rache ihrer Sippe zu schützen, sein Leben zu retten und zu hüten, nicht achtend der höhnischen, beleidigenden Rede der Leute, sich frei zu ihrer Liebe zu bekennen und dafür Verachtung und Spott zu ertragen, – lieber hätte jedes von diesen edelen Fräulein den Mann ihres Herzens tausendmal in der Wüste verschmachten lassen! Du aber, du hast all dies gewagt, hast mich gerettet und gepflegt mit weichen Händen lange Wochen, hast dem Zorn der Deinen getrotzt – und all dies um einen halbtoten, bewußtlosen Mann, der deine Liebe nicht erkennen, nicht erwidern konnte.«

»Ich hatte dein Auge gesehen: – es war der Stern, den ich solange geahnt in dem Nachthimmel meines Lebens; ich mußte thun, was ich that; dein Auge hat mich gezwungen. Und hört' ich doch oft in deinem Fieberschlaf meinen Namen aus deinem Munde: – das war mir süßer und lieblicher als dir der Balsam, welchen ich deiner Wunde gab.«

»Mustapha hatte dich mir gerühmt – die Leidenschaft malt gut! – Dein Anblick war der letzte Sonnenstrahl meines Bewußtseins gewesen; er schimmerte fort in der Nacht meiner Betäubung; mit halb träumenden Augen sah ich deine schöne Gestalt über mir walten. Und als ich nun genas, und sich der ganze Himmel deiner Schönheit, deiner Liebe mir aufthat, da fühlte ich erst, daß die suchende Frage meines Lebens in dir gelöst sei. Du warst meinesgleichen: glühend, begeistert, stark; die Netze meiner heimatlichen Formen fielen von meinem Haupt, und frei und glücklich ward meine Seele. Und ich schwör' es dir, wie du mir alles geopfert, was die schwachen Menschen bindet: Glaube, Sitte, Rücksicht, deine ganze Vergangenheit, – so will ich dir alles opfern; nicht Christ, nicht Ritter mehr will ich sein: nur Mensch, nur dein Geliebter. Und so, losgelöst von allen Fesseln, welche die blöden Schwächlinge für unzerreißbar halten, frei von all den Ketten, die Zeit und Raum und Gewohnheit um die Menschen schmieden, schweben wir beiden, ganz allein, hoch über den Vorurteilen der Menschen, in dem sonnigen, schrankenlosen Äther unserer Liebe!«

Sie sah entzückt in sein leuchtendes Auge: sie umarmten sich in seliger Vergessenheit der Welt. Aber die Ceder über ihnen schüttelte im Abendwind ihr Haupt.

 


 

Drittes Kapitel.

Warnungen.

Oft warnt das Schicksal,
eh' es strafen will.

Die Liebenden hatten sich getrennt, als die Gestirne der mittleren Nachtstunden aufgegangen waren. Reinhart geleitete Fatme an das Thor der inneren Burgräume und wandte sich von da zurück in den Garten, die luftige Grotte aufzusuchen, in welcher er schlief.

Als er in einen schmalen von dichten Rosenbüschen eingeschlossenen Wiesenpfad einlenkte, trat wenige Schritte vor ihm eine dunkle Gestalt aus dem Dickicht, eine Waffe blitzte im hellen Mondschein und der Ruf: »Stirb, Christ!« schlug an Reinharts Ohr. Er sprang rasch seitwärts: hart an seinem Halse vorbei fuhr ein Wurfspeer sausend in die hochstämmige Platane, die am Wege stand; noch zitterte der Speer in dem zerspaltenen Baum und schon lag der Mörder bezwungen auf der Erde. Reinhart kniete auf seiner Brust und schwang den krummen Säbel, den er ihm aus der Hand gerungen, über seinem Haupt; es war Belek, der schwarze Sklave Hassans. »Wieviel hat dir dein Herr versprochen für meinen Kopf?« frug Reinhart. »Nichts. Belek ist kein Lohnmörder. Belek hörte, wie sein Herr in seinem Morgensegen und seinem Nachtgebet je siebenmal den Namen des Christen verfluchte: und Belek wollte töten, wen sein Herr hasset: aber Allah hat es nicht gewollt, sein Name sei gepriesen.« »Das ist es, was die Menschen Glaube nennen!« sagte Reinhart. »Komm, Sklave, ich will dich morgen Fatmes Vater zeigen, der sie so gewaltig rühmt, seine Wüstensöhne, und will ihn fragen, ob seine milde Weisheit auch hierfür einen milden Namen weiß.«

Er nahm den Widerstandslosen mit sich, band ihn an die Eingangspfosten seiner Grotte mit dem festen Seidentuch seines Turbans, legte sein blankes Schwert zu sich auf das weiche Pfühl und versank bald darauf in ruhigen Schlummer; der gebundene Mohr sah stumpf und schweigend in die Mondnacht.

Der nächste Morgen fand die Besatzung der Feste im Hofraum als Gericht versammelt, den gebundenen Belek in der Mitte. Reinhart trat als Ankläger auf; ihm zur Seite stand Fatmes Vater, ihnen gegenüber Hassan und dessen Sohn Rodvan.

Als Reinhart den Vorfall kurz erzählt und die Bestrafung des Meuchlers verlangt hatte, sprach Hassan zu seinem Sohne gewandt. »Mein Rodvan! Sage, hat nicht eine Fliege hier gesummt vor dem Ohre der Gläubigen?« »Nein,« entgegnete Rodvan, funkelnden Auges. »Nein, der hochmütige Christ hat seine Zunge erhoben: er hat eine Unthat verkündet und ihre Strafe verlangt. Und Strafe muß der feigen That werden, soll nicht ein ewiger Makel liegen auf dem Stamm Hassans von Hasar.« »Mein Sohn,« entgegnete Hassan, »wenn es auch Verbrechen gäbe gegen Ungläubige – es giebt nichts gegen sie Verbotenes, als die Liebe – so fehlt die Stimme des Anklägers; das Wort des Christen ist ein Mückengesumm im Rate der Moslem; ich höre keine Stimme, die sich erhebt.« »So höre denn meine Stimme, du finsterer Eiferer,« fiel Ibrahim ein: »meines Wortes mußt du achten: ich bin der Priester des Gottes, den du so wenig kennst. Und ich erhebe mein Wort und klage die blinde That des Werkzeugs nicht, ich klage dich, den dumpfen Sinn klag' ich an, der dies Werkzeug beseelt hat.« Da sprach Hassan: – »Wohl ziemt sich's in der Sitte der Moslem, daß der Schwäher spricht für seinen Eidam; der Christ aber mag ihr Buhle sein, der Gatte deiner Tochter ist er nicht. –« Die ganze Schar der Saracenen bezeugte ihren Beifall durch Worte und Mienen.

Reinhart fuhr zusammen und griff ans Schwert.

Doch würdevoll erhob sich Ibrahim, Feuer lohte in seinem klaren Auge und wie eine weiße Flamme wallte sein langer Bart. »Ihr Knechte des Wahnes und der Wut: – euer giftiges Wort trifft euch selbst, nicht mich, noch mein Kind! So könnt ihr mir's denn nicht vergeben, daß mein Auge, das in der Beobachtung der Gestirne Klarheit und Weite gelernt hat, auch außer den Zelten unserer Horde Menschen, Brüder sieht, daß ich an Wert und Tugend glaube, auch da, wo nicht des Propheten grüne Fahne weht? Ich kenne alle Sterne: – auf keinem habe ich die grüne Fahne entdeckt; sollen sie deshalb verflucht sein auf ewig?« – »So glaubst du nicht an den Propheten?« – »Ich glaube an ihn: aber auch an Zoroaster und an Pythagoras und an Moses und an den milden Mann von Nazareth, dem dieser Jüngling dient. In Granada, in Tolosa, wo ich der Unsern wie der Christen weise Meister hörte, lernte ich vergleichen und gleich der Biene den Honig der Weisheit saugen aus allen Blumen in dem Garten der Menschheit. Könnt ihr mir's nicht verzeihen, daß ich die schöne Lilie Menschlichkeit, mit der mein Kind den Todeswunden pflegte, gern in der Liebe rote Rose sich verwandeln sah? Nur einer unter euch darf mir drum zürnen: Rodvan der Edle, der Fatme liebt und sich in traurig Schwarz zu kleiden schwur, bis ihre Liebe seine Nacht erhelle. Er aber trägt sein Leid mit Stolz und edlem Schweigen; vergieb mir, mein Sohn, Rodvan, ich kann dir's nicht ersparen! Denn in den Sternen, jenen heiligen Büchern, die mir noch wahrer reden als der Koran, hab ich's gelesen schon über Fatmes Wiege, daß einst ein Jüngling aus dem Westen kommen werde: sein Leben – ihr Leben, und sein Los – ihr Los. Mir aber war dies sternenverkündete Schicksal ein freundlich Wahrzeichen für meinen liebsten Glauben: einst werden die Schranken fallen, welche die Thorheit der Menschen zwischen Volk und Volk, zwischen Sitte stellt und Sitte. Ja, dies junge Paar ist mir ein Sinnbild einstiger Versöhnung, eine Verheißung, daß Morgenland und Abendland, die sich jetzt um die leere Gruft des Nazareners streiten, sich einst umarmen im Geiste jener Liebe, die da aus aller Propheten Munde spricht; dann wird Ein Hirt und Eine Herde sein.«

»Weh mir,« sprach Rodvan leise, »solchem Wahn soll ich die Rose meines Lebens opfern!«

»Ibrahim,« begann Hassan, »du schwärmst! Weil du in Büchern und in Sternen belesener bist, als wir, schiltst du uns thöricht: du irrst, du selber bist der Thor! Es mag dein Recht im Reich der Sterne gelten, dein Glaube mag in deinen Büchern leben, – bei uns, auf Erden, gilt er nicht! Wir wollen nicht von unseres Volkes Weise lassen, von seinem Hassen, seinem Lieben, seinem Recht.«

»Aber auch nach dem Recht unseres Volkes trifft den Meuchler der Tod!« rief Rodvan; »der Christ soll nicht sagen, unser Haß wähle solche Wege; man frage Belek auf der Folter, ob mein Vater, ob ich ihn gedungen habe.« »Sein Schweigen würde mich nicht bekehren, wenn ich das glaubte!« fiel Reinhart ein. »Aber ich glaube es nicht, vielleicht nur darum nicht, weil ich dich nicht verachten möchte, Rodvan! Auf deinem Haupte ruht das Blut meiner Freunde: – ich fühl' es, daß ich den treuen Herebrant, den reinen Arnold noch blutig an dir rächen muß und ich bekämpfe lieber, was mutig als was feige.« »Wohlan denn,« rief Rodvan aufflammend, »hinaus mit mir in den Garten! Ein rascher Schwertschlag durchhaut den Knoten, der uns alle umschnürt hat; komm!« Reinhart wollte ihm folgen, doch Hassan ergriff den Arm seines Sohnes: »Mitnichten! Das Schwert Rodvans soll nicht über einem Haupte funkeln, das demnächst dem Beil des Gesetzes verfällt.« »Welches Gesetz der Erde,« rief Reinhart zornig, »droht mit dem Beil einem makellosen, ritterlichen Haupt?« – »Das unsere, stolzer Christ, und kein anderes gilt in diesen Räumen! In vierzehn Tagen beginnt der heilige Monat Ramadan, in welchem der Prophet den Koran aus dem siebenten Himmel auf die Erde brachte. Du weißt es selbst, Ibrahim, bei Ausbruch dieses Krieges mit den Franken ward das Gebot verkündet und feierlich beschworen: der Tod trifft jedes ungläubige Haupt, das in dem Monat des Propheten unter einem Dache mit den Gläubigen weilt. Ihr beruft Euch auf unser Recht – wohlan, Ihr sollt es haben: – Belek stirbt, aber der Christ stirbt auch.« »Das blutige Gesetz,« sprach Ibrahim, »trifft nur den Christen, der mit freiem Willen das Dach der Moslem teilt. Reinhart ist nicht schuldig dieses Willens, er ist Gefangener, er muß hier weilen.« »Der Christ ist frei!« schrie Hassan. »Glaubst du, wir wissen es nicht, daß schon vor vielen Wochen ein Heerführer der Ungläubigen, Graf Robert von Flandria, der die Gefangenschaft deines Schützlings erfuhr, hierher zu dir gesandt und dir sieben gefangene Saracenenfürsten der besten Stämme zum Lösegeld für ihn geboten hat? Du warst bereit zum Tausch, wir alle wollten ihn freigeben! Der Christ aber – möge sein Gott ihn dafür strafen! – der Christ zog die Knechtschaft der Freiheit vor: – frage deine Tochter, mit wieviel Küssen sie es ihm gelohnt. Der Christ aber ist unser, ist mein Gefangener; mein Pfeil hat ihn vom Rosse geworfen: und ich, wir lassen ihn frei.« »Ich hab' ihn für mein Priesterteil verlangt,« sprach Ibrahim. »Hüte dich, uns an dein Priesteramt zu mahnen! Wer an den Nazarener, an griechische Schwärmer nicht minder als an den Propheten glaubt, der ist kein Priester Allahs mehr. Unser, des Stammes, ist der Christ und wir, wir geben ihn frei um das gebotene Lösegeld; wollt ihr das, ihr Männer vom Stamme Hasar?« »Ja, wir wollen es. – der Christ sei frei!« schrieen sie wild zur Antwort. Sicher hofften sie, den Einsamen auf seinem langen Weg durch die Wüste zu morden, sowie er dem Schutze Ibrahims entrückt war. »Du hörst es, Christ!« mahnte Hassan. »Auf, sattle nun dein rasches Roß und reite ledig aus den Thoren dieser Burg: sie stehen dir offen.« Ibrahim aber fiel ein: »Er bleibt! – Er ist, wenn nicht mein Gefangener, mein Gast: – er bleibt.« – »Gut – er bleibe noch! Doch hüte er sich, daß er zu lange bleibe! Wenn nach vierzehn Tagen der Mond den heiligen Ramadan beginnt und unser Auge erspäht ihn in unserer Mitte, so schützt ihn weder dein Priesteramt mehr noch das Gastrecht; ihr wißt es nun: – so hütet euch. Jetzt, Belek, auf zum Tode. – Du bist der Vorgänger des Christen: der Meuchler wird lebendig eingesargt.« »Er lebe!« rief Reinhart schaudernd, »mir graut vor dem blutigen Wahn, den Ihr Euer Recht nennt.« – »Wohl denn, er bleibe leben! Doch deute das nicht als ein Beispiel für dein Schicksal. – Auf Wiedersehen, Christ, in dieser Versammlung am ersten Tag des Monats Ramadan.« Und Hassan schritt mit den Männern an Reinhart und Ibrahim vorüber. Niemand bezeugte dem greisen Priester, der langsam und ernst, aber ungebeugt aus der Halle wandelte, den Gruß der Verehrung; sein Ansehen und Einfluß war tief erschüttert durch die heutige Versammlung, durch sein ziemlich offenes Lossagen von dem Islam, durch seine eifrige Verteidigung Reinharts, auf welchen aus manchem dunkelen Saracenenauge glühende Blicke tödlichen, aber schweigenden Hasses fielen. – Nur Rodvan trat zu ihm heran und sprach:

»Du hast es nicht um mich verdient, du Übermütiger! Und doch will ich dich warnen: fliehe, fliehe bald! Ich selbst will dir das Roß satteln, will dich geleiten durch der Saracenen Gebiet bis in den sicheren Schutz der Deinen: nur geh', nur flieh' aus ihrer Nähe: bleibst du, so wird es dein, wird ihr Verderben. Sieh', freudig war mein Leben, eh' du kamst. Ich war der unbesiegte Stolz meines Stammes, Fatmes, meiner Jugendgenossin Freundschaft, ihre Verehrung war mein, und mein, ich fühl' es, wäre ihre Liebe geworden. Mein Gewand trug die Farbe der Trauer, weil ich ihre Liebe entbehrte: doch mein Herz trug die Farbe der Hoffnung, ihre Liebe bald zu gewinnen. Da kamst du: – ein flammender Unglücksstern tratst du in den Himmel meines Ruhmes, meiner Liebe. Dein Arm hat mir die Unbesiegtheit, deine Seele hat mir die Blüte meines Lebens, hat Fatme mir geraubt: all meine guten Gestirne sind erblaßt vor deinem roten Feuer – und doch: ich habe nicht einmal die Kraft, dich zu hassen, wie du es verdienst, du Mörder meines Glückes. Ich bange für dich, wie für ein Freundeshaupt, wenn meine grimmen Brüder dein Herzblut heischen; sei so edel, Christ, wie du stolz bist. Sieh', ich, dein Todfeind, ich bitte dich: weiche, Unglücksstern, aus einem Raume, der ein heiterer Himmel des Friedens war, eh' du gekommen.«

Seine Stimme zitterte; – Reinhart sah ihn an, fast mit Rührung: »Rodvan, halt inne! Du verschwendest Offenheit und Güte. Sie entwaffnen mich nicht. Fast könnt' ich gehen um deinetwillen: – aber Fatme!« – »Fatme wird sich selbst wiederfinden, wenn du ferne bist. Glaubst du, daß deine Liebe sie zum Glücke führen werde? Nimmermehr! Zu viele Schranken liegen zwischen euch, die ungestraft kein Sterblicher überfliegt; von ihrem Volk, ihrem Glauben, ihrer Heimat reißt sie deine Liebe. Und wird sie ihr Ersatz bieten? Nein, wie der wilde Bergbach die losgerissene Rose wirst du sie einige schwanke Augenblicke tragen und dann versinken lassen in dem tosenden Strudel deines Lebens. Der Engel, der Fatmes Glück zu bauen hat, – schon in der Wiege hat er mein dabei gedacht. Ich bin der heimatliche, der jugendtraute Stamm, um den sich diese Ranke schlingen muß, soll sie gedeihen. Gehe, und Fatme wird das selbst erkennen. Ich will – sieh', so getreu ist meine Liebe! – ich will noch jetzt vergessen, daß sie in thörichter Liebesverirrung dich geliebt, dich geküßt hat. Ich will, wie einen Traum, aus ihrem Dasein diesen Irrtum löschen; noch jetzt will ich die starke Hand ihr bieten, die allein sie rettet, sicher durch das Leben führt.« – »Gutmütiger Thor! Trotz all den Schranken, die du aufgezählt, haben wir beide gefühlt, daß uns der höhere Wellenschlag unserer Herzen zusammenführt hoch über all euern ohnmächtigen Gesetzen. Wir, die wir zusammenpassen, wie Helm und Haupt, – wir sollten unserer Liebe vergessen, wie eines irren Fiebertraumes? Wer im Himmel zu Gaste saß, vergißt seiner Freuden nicht mehr. Eine Fatme löscht die Liebe ihres Herzens nicht aus wie eine herabgebrannte Kerze. Und das Weib, das einen Reinhart geliebt hat, tröstet sich nicht in den Armen eines Rodvan.« – »Hochmütiger! Schon wieder leuchtet in deinem Auge, spielt um deinen stolzen Mund jenes frevle Selbstgefühl, mit dem du deine Zauber wirkst. Dieser Wahn deines Wertes ist es, der Fatme bestrickt, der Ibrahim verblendet, der oft mich selbst und meinen Haß betäuben will. Mit welchem Rechte denn überhebst du dich so hoch, daß du auf uns heruntersiehst, und selbst Fatmes Liebe, die unschätzbare, wie ein selbstverständlich, ein wohlverdientes Beutestück betrachtest?« – »Das sei mir fern! Fatmes Liebe ist ein freies Gottesgeschenk, wie Leben, Sonnenschein, Frühling: – sie kann man nur dankbar empfangen, nicht verdienen. Mit welchem Recht aber ich mich erhebe über dich, über euch alle? Hei, ich will dir's sagen: mit dem Recht des Adlers über die Geier! Von edlerem Stamme, von besserem Stoff bin ich geartet als ihr alle. Ich bin ein Christ, ein Ritter, ein Deutscher. Kein dumpfer heißer Wüstenwind hat meine Gedanken erstickt von Jugend auf wie dir; ich bin von dem Volk, dessen König der Kaiser aller Völker ist, der rechte Arm Gottes, der die Welt beherrscht; im Lande der edlen Sitte bin ich aufgewachsen, wo edles Maß und sanfte Form und höfische Bildung walten; ihr aber, ihr seid plündernde Barbaren; eure Tugenden sind die der Wüstentiere: ein toller Mut und eine trotzige Freiheit; Räuberkunst ist all dein Rittertum; unebenbürtig seid ihr mir an Glaube, Stamm und Sitte. Kein Wunder, daß Fatme, die Perle unter den Kieseln, sich nach dem Edelsteine sehnt, fort aus eurer Mitte.« »Genug des Hohns!« rief Rodvan wütend. »Welcher Widerspruch! Christ! Ritter! Deutscher! All das willst du ja verleugnen, mußt du abwerfen, Fatme zu gewinnen! Aber du rufst doch immer wieder diese Namen an! Du kannst dich gar nicht von ihnen lösen! Welcher Übermut! Für jedes stolze Wort in deiner Rede trifft dich ein tödlicher Streich von meinem Arm: – Haß dir und Rache dir!«

Und er stürzte wütend aus der Halle.

»So recht, Tiger der Wüste,« rief ihm Reinhart nach. »Zeige deine Krallen, das steht dir besser an als Edelsinn. Geduld! Ich höre schon mit ehernem Fuß die Stunde heranschreiten, die unsern Zwist zu blutigem Ende bringt.«

 


 

Viertes Kapitel.

Liebesproben.

»Denn die Liebe glaubt alles, und hofft alles.
Sie duldet alles und überwindet alles.«

Früh am andern Morgen trat Ibrahim an seiner Tochter Lager; er war reisefertig gegürtet und sein Morgengruß war ein Lebewohl. Auf ihre angstvolle Frage entgegnete er, noch in der Nacht sei ein fliegender Bote vom saracenischen Hauptlager gekommen: – sein überhetztes Tier stürzte tot im Hofe zusammen.

»Seine Botschaft? Ich kann sie dir nicht enthüllen. Sie würde dich nutzlos quälen und deinen Geliebten foltern. Aber diese Nachricht ruft mich und Hassan gleich mächtig, wenn auch mit entgegengesetztem Eifer, hinweg. Nun höre mich: das Schicksal Reinharts, sein Leben und sein Tod, liegt in seiner, vielmehr in deiner Hand.« – »Wie das, mein Vater?« – »Die tiefe Grube, die ihm die Arglist der Feinde gegraben, kann der Goldschacht für euch werden, darin ihr für immer den Schatz eures Glückes findet. Der erste Tag des Ramadan ist Reinharts Tod, wenn er ihn als Christen, er ist seine Rettung, wenn er ihn als Muselmann begrüßt.« – »Ich verstehe dich wohl: – aber wird Reinhart. . . –?« – »Er wird es. Denn er liebt dich. Und es ist der einzige Weg, euch beide zu retten! Brauche nun die Gewalt, die du über seine Seele gewonnen. Zu seinem Heile überliste ihn. Du weißt: – kein anderer Wunsch als der eures Glückes redet aus mir. Nicht der Priester des Koran, – ich bin der Schüler der leuchtenden Gestirne und hoch, wie von dem Rand des Morgensterns herab, betrachte ich der Menschen Wahn und Aberglauben; ich sehe nicht Franken und Muselmänner, ich sehe nur meine Brüder, Menschen überall. Nicht umsonst habe ich in Granada und in Rom, in Paris und in Toulouse und in Byzanz, in Bagdad von Menschen und von Büchern gelernt. Die reine, schöne Menschheit darzustellen, sie loszulösen von all den entstellenden Verschiedenheiten, die Glaube und Stamm und Sitte um sie werfen, das ist mein Ziel. Sage ihm . . . – doch ich brauche dich nicht zu lehren, wie du den Geliebten gewinnen sollst; deiner Klugheit, deiner Liebe anvertraue ich sein Los. Lebewohl, mein Kind.«

Und rasch war er geschieden. Auch Hassan mit der größten Zahl der Besatzung brach auf. Mächtige Aufregung hatte alle Saracenen ergriffen. Ein großer Schlag in den Kriegsereignissen mußte geschehen sein oder bevorstehen. Aber trotz aller Bemühung konnten die Liebenden den Schleier nicht lüften, der, undurchdringlich ihrem Blick, von den Muselmännern über den Gang der Weltgeschicke gebreitet wurde. Seit Monden hatte Reinhart nichts mehr von dem Kreuzheer, seiner Stellung, seinem Glück oder Unglück gehört. Er hatte über dem Himmel seiner Liebe die ganze Erdenwelt aus den Augen verloren. –

Der Abend desselben Tages fand die Liebenden im Garten an der gewohnten Stätte ihres Glücks; Fatme trug ein schmuckloses, weißes Schleiergewand; sie hatte das dunkle, weiche Haar in einer schlichten Welle hinter das zierliche Ohr gelegt. Nur eine dunkelrote, volle Rose war ihr Schmuck; die edle Bildung der weißen Schläfe trat weiß und blendend hervor: Reinhart hatte sie nie so herzgewinnend schön gesehen. Er lag an ihre Brust geschmiegt und sah in ihr Antlitz, nicht ermüdend, ihre große Schönheit zu schauen. Und nun begann sie, nach kurzer Mitteilung der Abschiedsworte des Vaters, ihre heiße, schwere Bitte vorzutragen. Bei dem ersten Verständnis ihrer Absicht sprang Reinhart sprachlos, wie in entsetztem Staunen, auf. Sanft zog sie ihn mit weichen Armen, mit einem Blick höchster Liebe zu sich nieder. Willenlos folgte er ihrer stummen Bitte, weiter zu hören.

»Sieh, mein Geliebter,« fuhr sie fort, »mein Vater sprach mir von dem Zauber, von der Liebeskunst, die ich üben sollte an deinem Willen. Ich habe nur Eine Kunst: die meiner vollen Liebe, nur Einen Zauber: – die innigste Ergebung. Wenn sie dich nicht gewinnen, vermag ich nichts. Ich will dich nicht mahnen, wie auch ich dir alles geopfert, was vor dir der Schmuck meines Daseins war. Es war kein Opfer. Ich gab eine Dämmerung für die Sonnenhelle deiner Liebe. Ich will dich nicht schelten, wenn du noch andere Götter neben unserer Liebe ehrst, wenn du dich scheust, mir für ein ganzes Leben voller Glück den Namen eines Glaubens zu opfern, an dem dein Herz, ich weiß es, nicht mehr hängt. Ich will dir nur sagen: es ist der einzige Weg, der uns zum Ziele führt, der uns vereinen kann. Ihn mußt du gehen oder von mir scheiden auf ewig. Kannst du das? Kannst du von mir scheiden?« Und sie beugte sich gegen sein Antlitz und sah ihm ins Auge.

»Nie, niemals!« rief er, sie glühend umarmend. »Aber auch diesen Pfad gehen kann ich nie! Meine Ehre, mein Rittertum!«

»Deine Ehre? Du selbstischer Mann! Wo war deine Ehre, das blutlose Gespenst, dem du das Leben meines Herzens opfern willst, wo war es, als du im Fiebertraum alles, alles vergessen hattest außer meinem Namen? Als meine Hand allein den schwachen Funken deines Lebens glimmend erhielt? Wo war dein Rittertum, als du dann später, genesen, selig in meinen Armen lagst und mir schwurst, jetzt erst seiest du ein Mensch, jetzt seiest du wiedergeboren? Verbot dir deine Ritterehre nicht, die Opfer meiner Seele anzunehmen, und will sie dir nun verwehren, Opfer zu bringen? Ich bin zu stolz, das Recht geltend zu machen, das ich an dir habe. Ich will dich nur bitten, um deinetwillen bitten, glücklich sein zu wollen, abzustreifen den Zwang unwahrer Formeln und, wie ich es dich gelehrt, ein Mensch, nur ein Mensch zu sein.«

»Nein, Fatme, nein! Bei deinen Worten wächst mir ein Gefühl zu immer hellerer Klarheit. Niemals, niemals laß ich von meinem Christenglauben! Er ist die tote Formel nicht, die nie mein Herz gefangen hielt. Er ist meine Jugend, mein Leben, mein Denken und mein Sein. Ha, nun erkenn' ich erst, wie weit, wie furchtbar weit diese Liebe mich von dem Mittelpunkt meines Lebens geführt hat. Diese entsetzliche Bitte, dies Wort: ›Werde ein Muselmann!‹ erweckt mich erst aus dem schweren, schwülen Traum. Hinweg, du heißer Wüstenqualm! – O nur einen Atemzug deutscher, frischer Waldluft, o nur ein Hauch kühlen Nordwindes! Hinweg, du weiche Üppigkeit!« – Und so rufend, riß er die weiße Seidenbinde von seinem Haupte: – da fiel sein Auge auf sein Schwert, das an der Wand der Grotte unter Rosenzweigen hing – er eilte hinzu, riß es aus der Scheide, küßte den Kreuzesgriff mit Inbrunst, dann schwang er es hoch ob seinem Haupte. »Nein, Fatme, ich bin ein Christ in jeder Faser meines Herzens: – ich bin ein Christ, ein Ritter, ein Deutscher, und will es bleiben!« »Entsetzliche Bewegung,« sprach Fatme, »die dich ergreift! Du willst dich von mir scheiden, – scheiden um eines Wortes willen!« – »Es ist nicht ein Wort! Es ist meine ganze Vergangenheit, aus der ich geworden, was ich bin; der Boden, auf dem ich stehe, mit dem ich fallen muß. Du selbst würdest mich nicht mehr lieben, hätte ich diesen Kern meines Selbst verloren. Was dich mir gewonnen hat vor all den Wackern deines Stammes, – was dich an mich gezogen hat mit starken Banden – es ist nicht mein armes Ich! Es ist der Adel meines Volkes, es ist der höhere Geist der Art und Sitte, der aus meinem Glauben in mich überging; den Christen, den Ritter, den Deutschen Reinhart hast du geliebt: zerstöre nicht die Säulen deiner Liebe.« – »Dein Glaube ist es, der uns ewig trennt.« – »Nein, Fatme. Er ist es, der uns ewig eint! Du selbst bist eine Christin unbewußt. Dein reinerer, hellerer Sinn steht sternenhoch über den Frauen deines Stammes, die Sklavinnen sind, wo sie lieben: du bist die ebenbürtige, freie Genossin meiner Seele. Demut, Reinheit und Ergebung und das sehnende Gemüt sind die christlichen Weibestugenden: – du hast sie alle! Dein edler Vater, der bei uns im Abendlande christliche, abendländische Weisheit in sich aufgenommen, hat dich erzogen in seinem, in unserem Sinne, nicht wie die Töchter eures Volkes heranwachsen in Dumpfheit. Du warst schon halb Christin, eh' du mich geliebt und unsere Liebe hat dich ganz gechristnet. Und so entscheidet diese Stunde über uns, aber anders, als du es gedacht: nicht ich dir – du – du folgest mir. Trennen kann uns nichts! Aber meine Hand, stärker als die deine, zieht dich auf meine Seite des Bandes, das wir beide halten. Du kommst mit mir ins Christentum, ins Abendland.«

Und starken Armes hob er sie von dem weichen Rasen empor an seine Brust.

»O Gott, mein Reinhart! Ich fühl's, ich kann nicht widerstreben, wenn du mich ziehst! Aber ist es zum Heile? Sieh, schön ist's auch in meinem Vaterland, im Schatten meiner Edelpalmen. Auch meine Jugend wurzelt in der Heimat, in dem Vaterglauben. Du reißest mich los von meinem Lebensboden. Traust du dir zu, Ersatz dafür zu bieten?«

»Ja, Fatme, ja. Ich biete dir Ersatz; deines Gatten Liebe wird dir Vater, Volk und Glaube sein. Euer ist die Wüste, unser ist die Welt! Ich führe dich in mein Deutschland. Mein edles Weib, du wirst die Königin aller deutschen Frauen! In meinen grünen Buchenwäldern sollst du wandeln und fahren auf dem breiten Rhein, wann von der frommen Klosterglocke das Ave Maria schallt. Von dem Erker meines Schlosses sollst du schauen weit in mein schönes, deutsches Vaterland. Und wenn du dann aus meiner Liebe, aus der Welt unserer Sitte wirklich nach deiner Heimat Sehnsucht fühlst, dann führe ich dich zurück, dann bist du die Fatme nicht, die mich geliebt. Wirst du Heimweh haben?«

»Nein, Reinhart – du, dein Herz ist meine Heimat – führe du mich, ich folge dir.« Sie lag an seiner Brust: – die Bekehrerin war bekehrt. – –


Reinhart aber war wie umgewandelt von dieser Stunde. Sein fester Entschluß, mit Fatme zu dem Kreuzheer und von da nach der Heimat zu entfliehen, schien wie ein Windstoß das schwüle Gewölk des Genusses, das so lang sich über seine Kraft gebreitet hatte, plötzlich zerstreut zu haben. Er legte von Stund an die leichten, orientalischen Gewande ab, hüllte sich in seine Eisenrüstung und trug das rote Kreuz auf der linken Schulter, wie herausfordernd, unter all den Saracenen zur Schau. Er benützte die größere Freiheit, die man ihm seit der gefährlichen Versammlung gönnte, – da man sein Entweichen mehr zu fördern als zu hindern wünschte – sorgfältig dazu, die nächste Umgebung der Bergfeste kennen zu lernen und Nachrichten über den jetzigen Standort des Kreuzheeres einzuziehen. So erfuhr er denn bald, daß ein Weg von einer halben Tagereise von der Burg an eine Bucht des Meeres, Al Irm genannt, führte, wo häufig christliche, namentlich byzantinische, Galeeren frisches Wasser zu holen pflegten: – doch ließ sich auf dies Ungefähr kein sicherer Plan der Flucht bauen. Auch brannte Reinhart vor Verlangen, nach so langem Schlummer seiner Kraft wieder im Verein mit seinen Waffenbrüdern den heiligen Kampf, zu dem er ausgezogen, fortzukämpfen, sein Gelübde zu lösen, und Jerusalem erobern zu helfen. Begierig ergriff er daher einen andern Ausweg, der ihn zum Ziele zu führen verhieß. Er vernahm, daß etwa drei Tagereisen von der Feste auf dem Wege nach Jerusalem ein Kreuzesfürst mit einer kleinen Abteilung ein der Burg Dschabar ähnliches Bergschloß genommen hatte und besetzt hielt. Nach der Beschreibung konnte er nicht zweifeln, daß dieser Heerführer kein anderer war als Graf Robert von Flandern, ein alter Waffengenosse seines Vaters und Reinharts väterlicher Freund und Schützer auf der ganzen Kreuzfahrt. Zu ihm gedachte er mit Fatme zu entfliehen und durch dessen mächtigen Einfluß die Wiederaufnahme in das Kreuzheer zu erwirken. Hatte doch noch jüngst der Versuch des edlen Grafen, Reinhart auszuwechseln, die alte Treue seines Wohlwollens bewährt.

Er selbst wagte nicht, Fatme zu verlassen. Er sandte daher den alten Gottschalk, der die Gefangenschaft seines Herrn treulich geteilt, aber die Liebe zu dem Heidenkind, wie er die schöne Fatme schmähte, mit tausend Flüchen und Thränen verabscheut hatte, auf Kundschaft aus. Er sollte den Grafen von Flandern zu erreichen suchen und mit ihm Zeit und Art der Flucht genau verabreden. Wenn er ihn nicht fände, sollte er suchen, Kunde von Standort und Schicksal des christlichen Heeres einzuziehen, und vor allem nicht versäumen, rechtzeitig, das heißt, vor dem ersten des heiligen Monats Ramadan zurückzukehren, der wie eine schwarze Wetterwolke immer näher rückte; noch waren es zehn Tage bis dahin. In sechs Tagen konnte Gottschalk leicht zurück sein. Das Paar zählte jede Stunde seiner Entfernung mit bangen Herzensschlägen.

Rodvan hatte, wenn nicht den ganzen Plan durchschaut, doch scharfen Verdacht geschöpft. Spähend lag sein scharfes Auge auf den Liebenden. Und während Reinhart allein stundenweit vom Schlosse sich entfernen durfte, fühlte sich Fatme bei jedem Schritt aus ihren Gemächern in den hochummauerten Garten bewacht. Alle Ausgänge des Burgraumes waren Tag und Nacht von Wachen besetzt. Doch schreckte dies Reinhart nicht. Er hatte schon in der ersten Woche seiner Genesung in der Felsengrotte, darin er schlief, einen großen Stein in der Gartenmauer, die ins Freie führte, leicht aushebbar befunden und denselben insgeheim so bearbeitet, daß er eine versteckte und nicht allzu unbequeme Flucht ermöglichte. Aus dieser Grotte wollte er mit Fatme fliehen, sobald Gottschalk zurückgekommen. Ohne jede Hilfe, ohne nahe Deckung durch christliche Scharen die Flucht zu wagen, war unmöglich: die Rache Rodvans hätte auf der mindestens drei Tage langen Reise die Flüchtigen gar rasch überholt. Aber Tag um Nacht verstrich und Gottschalk kam nicht zurück. Umsonst ritt Reinhart ihm meilenweit entgegen auf den Wegen, wo er ihn erwarten konnte. Umsonst spähte Fatme mit nimmermüden Augen von hoher Warte: – kein Gottschalk wollte kommen. Und immer näher kam der verderbliche Monat und immer tödlicher wuchs der Haß gegen Reinhart in den Blicken der Saracenen. – –

Der Vorabend der Entscheidung war gekommen; Reinhart sah die Sonne sinken mit ernstem, aber festem Blick. Er grüßte das Abendrot, – zum letztenmal vielleicht! Er gedachte seiner toten Mutter, der fernen Heimat, er dachte an den blauen Rhein und wie jetzt sein Schloß wohl friedlich leuchte im goldnen Abendlicht! Sein Herz wurde weich: aber er zerdrückte die Thräne, die in sein Auge dringen wollte, als er eine weiche Hand auf seiner Schulter fühlte, »Reinhart,« sprach Fatme leise, »verzweifelst du?« »Nein, Geliebte,« antwortete er mit fester Stimme; »niemals, solange du mich liebst.« – »O Reinhart, hättest du mich nie gesehen! Ich war dein guter Engel nicht! Du lebtest frei und fröhlich, wäre ich nicht,« – »Lästre nicht unsre Liebe! Auch ist noch nicht alles verloren. Gottschalk ist treu: wenn er lebt, kommt er zurück: vielleicht schon morgen. Wäre nur Zeit, nur der morgige Tag gewonnen!« »Nur der morgige Tag?« sprach Fatme nachsinnend. »Da du sterben sollst, weil du Christ? Halt,« rief sie plötzlich leuchtenden Auges, »Nur Zeit, sagst du? Ich weiß ein Mittel, Zeit, den morgigen Tag zu gewinnen.« – »Welches Mittel?« »Vielleicht beschleunigt es unser Verderben. Es ist höchst gefährlich!« fuhr sie nachsinnend fort. »Aber wir haben wenig Wahl.« – »Sprich, welches Mittel?« Mit einem heitern Lächeln sah sie ihm ins Auge.

»Mein Geliebter, ich habe dir mein ganzes Dasein blind vertraut: vertraue auch du mir einmal und laß mir mein Geheimnis.« Besiegt von einem Ausdruck hohen Seelenadels in ihren Zügen, küßte Reinhart ihre schöne Stirn und sprach: »Ich vertraue dir.« –

Und der gefürchtete Tag brach an. Mit dem ersten Sonnenstrahl stürzte eine lärmende Rotte in das Schlafgemach Rodvans, das Blut des Christen heischend.

»Müssen wir dich zur Rache mahnen?« schrieen sie. »Wer hat mehr Grund ihn zu hassen als du? Willst du den Buhlen deiner Braut beschützen?«

»Nein beim Propheten! Das will ich nicht,« rief Rodvan aufspringend. »Er war genug gewarnt. – Das Burgthor stand ihm offen noch diese Nacht. – Wenn er geblieben ist, hat er sich selbst gemordet.« »Er ist geblieben!« schrie die Schar. »Er wandelte die ganze Nacht im Garten. Jetzt ruht er in der Grotte. Gieb uns Befehl, Erlaubnis, und wir zerreißen ihn mit unseren Händen.« »Haltet ein!« sprach Rodvan, »ihm widerfahre Recht, nicht Gewalt! Zwei von euch entbieten ihn vor Gericht. Ihr andern folgt mir in die Burghalle.« Während sich Rodvan auf die Stufen des erhöhten Richterthrones stellte und die Saracenen mit klirrenden Waffen die Rundhalle erfüllten, trat Reinhart in die Pforte. Er war in voller Rüstung, in allen seinen Waffen erschienen. Sein stolzer Helm überragte selbst Rodvan auf den Richterstufen. Ruhig blickte sein Auge im Kreise umher. Ein Lächeln der Verachtung spielte um den seinen Mund.

Rodvan begann: »Im Namen Hassans halt' ich Gericht im Stamm Hasar. Wer bist du, Fremdling, an der Pforte dort! Du bist von unserem Stamme nicht: bist du ein Christ?« Unbeweglich antwortete Reinhart: »Siehst du das rote Kreuz auf meiner Schulter nicht?« – »Wohlan denn, Christ! Du wußtest das Recht unseres Volkes, was es spricht von diesem heutigen Tag, du warst gewarnt, warst frei und hast diesen Tag unter unserm Dach erwartet. Du wirst erkennen, was dein Recht ist, wie dein Richter sprechen muß.« – »Mein Richter ist im Morgenland nur Gottfried von Bouillon! Im Abendland der deutsche König in seinem Lehenshof, zu Aachen, mit zwölf untadeligen, ritterbürtigen Lehensschöffen, meinen Heerschildgenossen. Mein Recht ist rheinisch Recht, das trag' ich überall mit mir. Und wer mich richten will, muß es nach diesem Recht. Ende darum diese Possen, Rodvan von Hasar! Hier gilt Gewalt, nicht Recht. Brauch' deine Macht! Ihr seid nicht meine Richter: ihr seid Räuber und Barbaren.« »Nieder mit ihm!« brüllte die Schar der Saracenen und stürmte mit wild geschwungenen Waffen auf ihn ein, Rodvan an der Spitze: – Reinhart erwartete sie mit Schild und Schwert.

Da rief plötzlich eine wohlbekannte Stimme von der Pforte her: »Trefft auch mich, ihr Mörder!« und Fatme stürzte flatternden Gewandes, gelösten Haares, ohne Schleier, mitten unter die grimmigen Männer. Mit beiden Armen umfing sie Reinharts Brust, wie ein zweiter Schild ihn vor den Streichen der Feinde deckend. Alle standen wie gelähmt vor Staunen: ungeheuer, überweiblich schien die That. Die meisten sahen Fatmes entschleiertes Antlitz zum erstenmal und waren wie geblendet von ihrer Schönheit. Rodvan senkte den gezückten Säbel und sprach mit tonloser Stimme: »Unselige! – Wie sie ihn lieben muß! – Was beginnst du, was willst du hier?«

»Nicht ihn retten, Rodvan! Fürchte das nicht. Nur mit ihm sterben!« »Fatme!« riefen Reinhart und Rodvan zugleich.

»Ja, sterben mit dir, mein Geliebter! Sprich, Rodvan, du gerechter Richter! Ist nicht sein Haupt dem Tode verfallen, weil er, ein Christ, an diesem Tag unter eurem Dache ist?« »Du sagst es,« antwortete Rodvan, »und er soll nicht leben!« – »Wohl denn, Rodvan, schwinge dein Schwert, erfülle das Gesetz. Aber nicht an ihm allein. Erfüll' es an mir. Denn ich bin eine Christin!« »Fatme!« jubelte Reinhart, die Todesgefahr vergessend in der Begeisterung über ihre That. »Mein Weib! Mein herrliches Weib!« »Fatme! – eine Christin – du –?« stammelte Rodvan entsetzt. Ein dumpfes, drohendes Gemurmel durchlief die Saracenenschar. »Nicht mehr Fatme,« sprach sie, mit tiefer Innigkeit in Reinharts Augen blickend, der selig ihr schönes Haupt an seine Brust drückte. »Maria ist mein Name. Der Gottesmutter Namen will ich tragen, die voller Schmerzen war und voller Liebe. Du hast mir Herrliches von ihr erzählt. In dieser Nacht habe ich im Angesicht der heiligen Sterne am Quell unseres Gartens mich selbst getauft in brünstigem Gebet. Und wie ich diesen Schleier hier zerreiße, so zerreiße ich jedes Band, das mich an Mohammed gebunden. Und wie ich diesen Mann umschlungen halte, fest, untrennbar, so halte ich an dem Kreuzeszeichen, das hier auf seinem Schwerte prangt.« Und sie löste Reinharts Schwert aus seiner stählernen Hand und hielt den Kreuzesgriff mit erhobener Rechten wie schützend, hoch vor beider Haupt. »Maria, mein Weib, niemals will ich von dir lassen!« rief Reinhart.

Sprachlos standen die Saracenen – Rodvan bedeckte sein Antlitz mit beiden Händen.

Triumphierend fuhr Maria fort: »Du siehst, Rodvan, soll hier das Recht walten, so mußt du mein Haupt, das abtrünnige, zuerst treffen!« »Nieder mit beiden!« scholl es in der Runde. Doch nun erhob sich Rodvan, der sich inzwischen gefaßt.

»Ruhig, meine Freunde! Verlaßt die Halle. Ich bürge euch dafür, daß das Recht walte; laßt mich mit diesem Paar allein. – Ich will's!« Sie gingen schweigend, drohend.

»Reinhart – ein Wort mit dir allein.«

Fatme ging mit einem seelenvollen Blick auf Reinhart.

Die beiden Männer traten abseits an ein Fenster: »Jenes Weib hat eine Riesenthat der Liebe gethan. – Sie hat gesiegt. Das Recht kann nur euch beide treffen. Und sie – muß ich schonen! Denn ich glaube fast, ich liebe sie noch immer! Wenn nicht Haß ist, was hier brennt. Aber wir beide können nicht mehr zusammen atmen auf einer Erde. Drum laß uns das Mittel wählen, das längst, wie unser Schicksal, über unserm Haupte schwebt. Stelle dich zum tödlichen Gefecht, aus dem nur einer zurückkehren soll.« »Wohl gesprochen!« rief Reinhart. »Ich folge dir. – Komm!«

Doch in diesem Augenblick scholl wüster, verworrener Lärm an ihr Ohr. Geschrei, Rossewiehern, Waffenklirren ertönte aus dem Hofraum; Saracenen mit wütenden Geberden stürmten herein und rissen Rodvan hinunter in den Hof, wo ihn Reinhart vom Fenster aus sofort von staubbedeckten Boten umringt sah. Eine furchtbare Aufregung hatte alle, hatte auch Rodvan ergriffen. Reinhart wollte hinunter eilen, die große Nachricht zu erkunden. Da trat ihm am Portal eine Gestalt entgegen, in härenes Gewand gehüllt, einen Strick um die Lenden, die Spuren der Geißel auf dem entstellten Leib.

»Gottschalk!« rief Reinhart entsetzt. »Was ist mit dir? Wo warst du, woher kommst du endlich?«

»Ich komme von Jerusalem!« sprach feierlich der Büßer.

»Von Jerusalem? Von den Heiden? Was hast du dort gethan?« – »Jerusalem ist in der Christen Hand! Es fiel vor sieben Tagen; auf dem Tempel Salomos weht die Fahne Gottfrieds von Bouillon.« »Jerusalem erobert – ohne mich!« schrie Reinhart und stürzte verzweifelnd auf sein Angesicht: das Weh schlug ihn wie ein Blitz danieder.

Gottschalk rührte sich nicht, ihn aufzuheben und fuhr fort: »Den Grafen Robert fand ich nicht mehr in der eroberten Bergfeste. Sie war zerstört. Er hatte sich wieder in das Lager vor der heiligen Stadt begeben: denn lange schon lag das Kreuzheer, in sieben heißen Schlachten sich Bahn brechend, vor Jerusalem.« »Und ich habe nichts gethan, als ein Weib geküßt!« stöhnte Reinhart und sprang auf. – »Die Ankunft der Christen vor Jerusalem war die Botschaft gewesen, die Ibrahim und Hassan von hier fort rief, Hassan schlug sich durch in die belagerte Stadt, Ibrahim suchte bei den Moslems den Frieden zu vermitteln, das Blutbad an der heiligen Stätte zu verhindern. Auch gelang es ihm, Waffenstillstand zu erzielen. Doch der starke Wille unseres Gottes zerschlug den Vergleich. Man rüstete zum Sturm. Schon tönten die Streithörner, noch immer wollte Ibrahim die Kämpfenden versöhnen. Mit ausgebreiteten Armen stellte er sich zwischen die Stadt und die Angreifer. Er fiel, zugleich von vorn von einem Christenspeer und rückwärts von einem Saracenenpfeil durchbohrt. – Und über seiner Leiche wütete der Kampf. Der fromme Gottfried erstieg zuerst den Mauerkranz. Genommen ward die Stadt mit Sturm! Vierzigtausend Saracenen fielen, – von Hassans Schicksal weiß ich nichts. Ich kam am Tage nach der Eroberung. Ich war geflogen, nicht gewandert, über die Berge, durch die Wüste, um Euch Hilfe zu bringen. Ich suchte den Grafen Robert. Ich hörte, er sei gerade mit dem ganzen Heer, mit allen Fürsten in den Tempel des heiligen Grabes gezogen. Sie hielten dort feierliche Messe. Auch ich habe gekniet am Grabe des Erlösers. Und als ich erwachte aus Thränen und Gebet – da – mir schaudert! – da hört' ich Euren Namen nennen.« »Meinen Namen?« rief Reinhart, »wer nannte mich?« – »Fürst Bohemund von Tarent.« – »Mein Feind! Der arge Normann! Der Pfaffenknecht! Der nannte mich nicht zum Segen!« – »Nein, Unseliger, zum Fluch! Nach dem Hochamt des Dankes trat Bohemund auf die Stufen des Altars und verlas, im Namen des Feldherrn, die Liste all der Kreuzfahrer, die wissentlich und willentlich ihr Gelübde versäumt, vom heiligen Heere sich freiwillig getrennt. Eine lange, lange Reihe! Da schlug mir Euer Name furchtbar an das Ohr! Die zurückgekehrten Boten des Grafen Robert haben bezeugt, daß sie Euch in heidnischem Gewand, ruhend in den Armen der Heidin, getroffen, daß Ihr die Auswechselung, die Rückkehr zu unserem Lager mit gottlosen Worten ausgeschlagen. Noch viele Namen wurden genannt. Ich harrte, fiebernd, auf das Ende. Da sprach zum Schluß der Fürst das Urteil: Acht und Feuertod über alle die Abtrünnigen, die bis zum Fall Jerusalems gesäumt. Ihr Wappen wird durch Henkershand zerbrochen, ihr Name soll ein Schandwort sein in aller christlichen Ritterschaft. Und ihr Haupt des Todes, wo sie ein christlich Auge sieht.«

»O halt ein!« rief Reinhart. – Doch Gottschalk fuhr fort: »Als das Urteil zu Ende gesprochen war, widerhallte die Kirche von dem dreimaligen Achtruf des ganzen Heeres; kaum war dieser Ruf verstummt, da trat Bischof Gregor von Alkara auf die Stufen des Altars und sprach den Bannfluch der Kirche über die Gerichteten. Noch dröhnen die entsetzlichen Worte in meinen Ohren, mit denen er Eure Sünde, Eure Strafe schilderte! Er verfluchte Euch! Jedes Haar Eures Hauptes! Jeden Tropfen Eures Herzbluts! Jede Stätte, die Euch aufnimmt! Jede Speise, die Euch labt! Jede Hand, die Euch berührt! Und zum Schluß stieß er die brennende Fackel, die er in Händen hielt, zur Erde, daß sie erlosch, und schloß: ›ihre Seelen aber sollen verdammt sein und erlöschen in ewiger Finsternis, wie diese Fackel!‹« Da erhob Reinhart das Haupt: »Genug! Ihre blinde Wut giebt mir die Kraft wieder. Sie fordert meinen Trotz heraus. Hast du den Grafen nicht aufgesucht?« – »Herr! Wie leicht eilt Ihr hinweg von dem Wort ewiger Verdammnis! Mich, den der Schlag nicht getroffen, mich hält er noch betäubt! – Ich fand den Grafen endlich und sprach Eure Botschaft. Er gab mir dieses Schreiben an Euch. Und ich flog zu Euch zurück. – Noch immer hat Euch die Gnade des Himmels einen Weg der Rettung für Eure arme Seele gelassen.« Eilig erbrach Reinhart das Schreiben des Grafen und las: »Toller, unseliger Junge! Verdient hast Du's nicht um mich, das wissen Gott und Sankt Robert! Aber um Deines Vaters willen, der ein ganzer Mann war, und weil Du selber sonst ein frischer Gesell gewesen, will ich Dir noch einmal die Freundeshand reichen. Retten vor Acht und Bann konnte ich Dich nicht. Der giftige Normann, der Dir nie verzeiht, daß Dein Vater ihn einst in Welschland vom Gaul gerannt hat und daß Du selber in Antiochia unsere deutsche Fahne, weil sie zuerst den Wall gewann, hoch über dem Banner von Tarent aufgesteckt, hat meinen Boten, die ohne Dich heimkehrten, sogleich Deine ganze Schande abgefragt und seitdem Deinen Namen auf das Sünderregister geschrieben. Sein eigener Neffe, Held Tankred, bat für Dich: – umsonst. Du bist auch ein ganz heilloser Geselle! Aber noch einmal will ich's mit Dir versuchen. Wirf vom Augenblick an die Heidendirne aus Deinem Herzen, Deinem Leben. Fliehe noch diese Nacht nach Jerusalem. Eine Tagereise von Eurem Bergnest will ich Dich erwarten und sicher nach Europa schaffen, und zuletzt, wär's auch nur dem finstern Bohemund zum Trotz, Deinen Frieden durchsetzen mit Reich und Kirche. Du weißt, ich verheiße nichts, was ich nicht halten kann. Du bist in meinen Augen genug dadurch bestraft, daß Du hier vorgestern die heiße Sturmhetz nicht hast mitgemacht. Das war ein blutiges, schönes, christliches Werk! Aber höre wohl: – komm mir ohne Deine Heidenprinzessin, sonst schlage ich ihr eigenhändig den Kopf ab und sperr' Dich in ein Pfaffenkloster für Dein Leben. Denn Du bist kein Mann, kannst Du den süßen Minnequark nicht los werden. Höre auf mein Wort. Es ist die Stimme der Ritterehre. Sie ruft Dich zum letztenmal. Folgst Du nicht, so thust Du, wie wer den Kopf in eine Weiberschürze steckt, wann ihn das Hifthorn ruft zum letzten Streit. Komm! Ich erwarte Dich.«

Reinhart ließ das Pergament fallen. »Es ist wahr!« sprach er vor sich hin. »Zum letztenmal, ich fühl's, werd' ich gerufen.«

Da warf sich Gottschalk unter Thränen zu seinen Füßen. »O Reinhart, mein lieber Herr, mein Sohn! Gebt nach! Folgt seinem Ruf. Seht, als ich in der Kapelle stand und Eure schwarze Sünde schildern hörte und den grausen Bann vernahm, als die heilige Kirche Euch auf ewig ausstieß, da war mir's, als hätte sich mein Herz auf ewig von Euch gelöst. Habt Ihr doch auch mich ferngehalten von meinem Gelübde! Mit Grauen, fast mit Haß kam ich zurück zu Euch mit des Grafen Botschaft. Aber nun, da ich Euch wieder sehe, Eure Stimme wieder höre, – da wacht die alte Liebe wieder auf. Hab' ich Euch doch groß gezogen wie meinen Sohn. Gedenkt an Eure edle, tote Mutter! Mit tausend Ängsten schaut sie jetzt vom Himmel auf Euch nieder. Sie steht mit mir zu Euch. Laßt von diesem zauberischen Weib. Kehrt zurück zur Reinheit! Zu Eurer Ritterpflicht!« Und weinend umschlang der alte Mann Reinharts Knie.

»Laß ab, steh auf, du treuer Freund,« sprach dieser, ihn gerührt erhebend. »Es ist umsonst: – nichts trennt mich mehr von meinem Weibe. Und lägen Himmel und Erde, und – mehr als beide, – meine Mutter, wie du hier, flehend zu meinen Füßen: – ich werde nun und nimmer von ihr lassen! Ausgestoßen, tödlich verfolgt bin ich von Christ und Muselmann. Nichts, nichts habe ich mehr als Fatmes Seele. Und Treue gegen sie ist alle meine Pflicht fortan auf Erden. Graf Robert, edler Freund, Dank für dein rettend Wort – ich kann ihm nicht folgen.« So sprechend zerriß er des Grafen Brief. »O Gott,« stöhnte der Alte, »so zerreißt er seine arme Seele! – Und alles um eine Heidin!« »Diesen Dorn, mein Freund, kann ich aus deiner Brust ziehen!« lächelte Reinhart. »Sie ist Christin, getauft mit dem schmerzlichen Blut ihres Herzens! Sie ward Christin, nicht mein Leben, nur meinen Tod zu teilen.« – Und in raschen Worten erzählte er ihm den Versuch Marias, die Gefahr dieses Tages von seinem Haupte abzuwenden oder mit auf das ihre zu laden.

Diese That bewirkte eine mächtige Umwandlung in Gottschalks Gesinnung. Mit leuchtenden Blicken des Erstaunens begleitete er Reinharts Rede und unterbrach ihn mit freudigem Ausruf: »Wie? Das hätte sie gethan? Das Heidenkind hat soviel deutsche Treue, soviel christliche Liebe in sich? So ist es nicht die blinde, sündige Glut, 's ist echte Minne? Sterben wollte sie für Euch? Und ihre Liebe hat ihre Seele herübergerettet aus der brennenden Verdammnis in die himmlische Seligkeit? Segen über ihr Haupt! Nun bin ich wieder Euer mit jedem Tropfen meines Blutes. Ich hatte beschlossen, mein Leben am Grab des Erlösers, für Eure arme Seele betend, auszuleben. Jetzt aber weiß ich's besser zu verwenden. Euch will ich dienen und helfen mit aller Kraft. Und laßt mich nur gewähren! Ich sehe einen Pfad, der uns noch alle aus der Gefahr in die frohe Sicherheit der Heimat führen kann!«

 


 

Fünftes Kapitel.

Der Ausgang.

»Und aller Ausgang ist ein Gottesurteil.«
                                              Schiller.

Reinhart eilte zu der Geliebten, mit ihr den Tod ihres Vaters, von dem ihr die arabischen Boten berichtet haben mußten, zu beklagen. Er fand sie niedergesunken auf eine Rasenbank des Gartens in heißen Thränen. Lange, lange währte es, bis er ihre Gedanken von diesem Schmerze hinweglenken und sanft zu der neuerwachten Hoffnung hinüberleiten konnte.

Der Rettungsplan, welchen Gottschalk den Liebenden mitteilte, war auf die Kunde gebaut, die er unterwegs erhalten, daß eine byzantinische Galeere, die Kranke und Verwundete aus Palästina nach den heilbringenden Inseln Griechenlands zur Genesung führen sollte, in der Bucht Al Irm, etwa eine halbe Tagereise von der Feste Dschabar, vor Anker lag und nach Mittag des nächsten Tages unter Segel gehen wollte. Gottschalk hatte das Schiff auf seinem Rückweg von einer der nächsten Berghöhen mit eigenen Augen liegen sehen und verbürgte sich, die Flüchtigen den nächsten und sichersten Weg an den Ankerplatz zuverlässig führen zu können. In einem scharfen Ritt von sechs Stunden sei auf dem ihm infolge seiner letzten Wanderungen wohlbekannten Pfad die Küste zu erreichen. Und so ward denn beschlossen, um Mitternacht von der Felsengrotte aus die kühne Flucht zu wagen. Es schimmerte den Liebenden neue Hoffnung auf Leben, Freiheit, Glück. Den Gedanken Reinharts, nunmehr doch die von Graf Robert gebotene Hand zu ergreifen, da Fatme Christin geworden, und zu hoffen sei, daß der wackere Freund deshalb seine Gesinnung ändern würde, diesen Gedanken mußte man aufgeben, da Gottschalk – obwohl mit zögerndem Widerstreben – berichtete, wie der Graf einen grimmigen Eid geschworen habe, nimmermehr der Verführerin seines Freundes vergeben und ihr unter allen Umständen, wenn er ihrer habhaft werde, das zauberische Haupt abschlagen zu wollen.

Eben hatte Reinhart mit Gottschalk die nötigsten Vorbereitungen zur Flucht getroffen, Pferde und Wagen gerüstet, die natürliche Steinpforte der Gartengrotte erprobt, und in hoffnungsvoller Ungeduld sahen die drei Freunde die Sonne untergehen, als ein schwarzer Sklave Reinhart schweigend einen Zettel von Rodvan überbrachte. Reinhart las: »Die Botschaft des Falles von Jerusalem hat unseren Entscheidungskampf nur verzögert, nicht aufgehoben. Der Auftrag meines Vaters Hassan, der, dem Blutbad der Eroberung entronnen, ein großes Heer der Gläubigen zu neuem Kampfe führt und mir gebot, die Besatzungen der benachbarten Bergfesten zusammenzuziehen, hält mich für heute fern von Dschabar. Von Jerusalem aus zieht schon das Christenheer gegen uns heran und nahe unserem Schloß wird in den nächsten Tagen der letzte blutige Würfel fallen. Bis morgen aber, bei Sonnenaufgang, bin ich zurück und erwarte dich bei Tagesanbruch im Burghof zum letzten Kampf.«

Bleich, zitternd, ließ Reinhart das Blatt fallen. Er hatte über den Berichten, über den Fluchtplänen Gottschalks völlig Rodvans und der tödlichen Verabredung vergessen. Jetzt, an der Schwelle der Rettung, fiel ihm dies feindliche Verlöbnis schwer auf die Seele. »Flieht – flieht ihr beide – und rettet euch!« stammelte er. »Ich kann euch nicht begleiten! Ich bleibe.« – Er wankte und hielt sich mühevoll aufrecht an dem Stamm der Ceder, in deren Schatten sie weilten. Entsetzt rafften Maria und Gottschalk das unselige Schreiben auf und mit schmerzlichem Liebesblick fragte Maria: »Und warum? Sage, warum mußt du bleiben?« »Du fragst?« rief Reinhart. »Meinem Todfeind hab' ich mich zum Kampf verpflichtet! – Meine Ehre ist ihm verpfändet! – Soll ich Wort und Ehre brechen und entfliehen?« – »O, Reinhart, stellt sich denn immer dies Gespenst zwischen dich und meine Liebe? Meinen Glauben, mein Leben hab ich dir geopfert! Und du opferst mich dem toten Götzen, deiner Ehre!«

»Mehr ist die Ehre denn das Leben, Kind! Wie? Rodvan, dem ich mit höhnender Verachtung die Ritterlichkeit absprach, der großmütig die Gewalt, die er über seinen Todfeind hat, nicht brauchen will, sondern alles auf die freie Entscheidung unserer Waffen stellt, – vor ihm soll ich entfliehen? Soll er sagen, Reinhart von Stauf war ein Ritter in Worten, ein feiger Bube in Thaten! Nimmermehr!«

Schmerzvoll zweifelnd sprach Gottschalk. »In der That, die Frage kann ich nicht lösen. Ich kann nicht raten, zu fliehen und nicht, zu bleiben; diesen Zweifel kann ich nicht entscheiden!«

»Aber ich,« rief Maria begeistert, »ich kann ihn entscheiden! O Reinhart, glaube mir, nicht das selbstsüchtige Verlangen meiner Liebe redet aus mir! Ich möchte dich, meinen Stern, nicht um den Preis der Befleckung mir erhalten. Und doch sage ich dir: du darfst, du mußt für jetzt diesen Kampf vermeiden! Rette mich! Rette die Christin vor der Rache der Heiden, die sie verließ. Rette mich und dich! Tötest du Rodvan im Zweikampf, – nie lassen dich die Seinen entrinnen: sie morden dich! Rette uns zuerst. Und dann, muß es sein, ficht diesen Zweikampf aus, in Sicherheit vor Mördern.« – »Ja! Du hast recht! mag einstweilen Rodvan meinen, was er will! Sowie ich dich in Sicherheit gebracht, entbiete ich ihn zum Zweikampf.« – »O, mein Geliebter, laß uns diese Stunde noch genießen, festhalten. Sieh, die Abendsonne grüßt, scheidend, unsere Häupter mit letztem Strahl. Laß sie uns zur Zeugin nehmen und vor ihrem leuchtenden Antlitz bekennen, daß wir glücklich waren in unserer Liebe.« »Ja,« fuhr Reinhart fort, »glücklich sind wir gewesen. Ob unsere Freude schuldvoll war, – ich weiß es nicht. Mir ist, die Menschen werden sie so nennen. Vielleicht haben sie recht. Vielleicht ist es thöricht, vielleicht ist es frevelhafte Überhebung, so stolz fliegen zu wollen über alle die Schranken, welche Glaube und Sitte und angeborene, altvererbte Art aufgerichtet haben zwischen Volk und Volk. Vielleicht lebt sie nie und nirgend, jene Menschheit über allen Völkern, – jene Menschlichkeit, an welche dein edler Vater glaubte –. Aber wie er starb für seinen schönen Glauben – oder Wahn! – so wollen auch wir leben und, muß es sein, sterben für unsere Liebe. Diese war kein Wahn!« – »Du sprichst, als ob du keine Rettung mehr hofftest.« – »Ich hoffe, solang ich atme.« Und schweigend, Hand in Hand, in träumerisches Sinnen verloren, ließen sie die letzten Stunden des Abends vorübergleiten. –

Die Nacht, die entscheidungsvolle Nacht war gekommen. Still ward es in der Feste. Die Abwesenheit der meisten Saracenen mit Rodvan verödete die Räume und verhieß, indem sie die Zahl spähender Augen verminderte, leichteres Gelingen der Flucht. Um keinen Verdacht zu wecken, trennten sich die Liebenden zur gewohnten Stunde. Maria ging hinauf in die oberen Gemächer der Burg und suchte ihr Schlafgemach. Früh entließ sie ihre Sklavinnen. Um Mitternacht wollte sie rasch die Treppen hinunterschlüpfen und mit leisem Handschlag Reinhart ein Zeichen geben, der sie am Eingang des Gartens in Empfang nehmen und eilig in die Höhle führen sollte, in welcher sich der aushebbare Stein befand. Gottschalk erwartete sie mit zwei Rossen außerhalb der Ringmauer des Schlosses an der ihm genau bezeichneten Stelle der Felsengrotte.

Alles gelang nach Wunsch.

Die Feste lag in Dunkel und Schweigen. Nur einmal glaubte Reinhart das große Burgthor sich öffnen zu hören. Die Nacht war finster und stürmisch geworden. Der schwache Neumond ging erst spät auf. Zerrissene Wolken jagten über den Himmel. Der Wind rüttelte mit Sausen an den Türmen des alten Schlosses. – Endlich kam die Mitternacht. In ihr weißes Nachtgewand gehüllt glitt Maria ungesehen, leise wie ein Geist, über die steinernen Gänge, durch Hallen und Treppen. Auf das gegebene Zeichen trat Reinhart aus dem Dickicht, faßte ihre zitternde Hand und zog sie eilig durch die Gebüsche.

Kein Wort wurde gesprochen. Mächtig schlug Marias Herz in Furcht und Hoffnung. In der Grotte angelangt, schlug Reinhart leise in die Hände, dem draußen harrenden Gottschalk ihre Nähe zu künden. Er lauschte auf Antwort, aber alles blieb still. Er wiederholte das Zeichen lauter. Ängstlich preßte er das Ohr an die Felsenspalte. Umsonst: keine Antwort erfolgte. »Wehe,« flüsterte Maria, »Gottschalk verläßt uns!« – »Das thut der Getreue nicht. Er wird in der Dunkelheit den Ort verfehlt haben. Er muß ganz in der Nähe stehen: ich will hinaus und ihn suchen.« – »Nein, Geliebter, laß mich nicht allein hier! Mich tötet die Angst!« Doch schon hatte Reinhart die Platte aufgehoben, war hinausgeschlüpft und hatte den Stein wieder hinter sich gesenkt. Maria stand nun in der Grotte, Reinhart im Freien. »Gottschalk,« rief er leise, »wo bist du?« Und sich überall in der Dunkelheit umsehend, trat er einen Schritt vorwärts. Da stieß sein Fuß an einen dunklen Körper. Er beugte sich nieder, der Mond trat aus ziehendem Gewölk: es war sein treuer Knappe, der vor ihm lag. »Gottschalk!« rief er, »steh' auf! Schläfst du?« »Nein, er ist tot!« antwortete eine laute Stimme, und eine schwarze Gestalt trat hinter dem Vorsprung der Mauerecke hervor. »Rodvan!« rief Reinhart und trat entsetzt zurück: – »Du hier?« – »Ja, falscher Franke! Ehrloser Flüchtling! Ich bin hier, deine Schmach, deinen Wortbruch aufzudecken und zu strafen. Böse Ahnung trieb mich noch vor Mitternacht nach Haus. Der Haß schläft sowenig als die Liebe und hell ist das Auge der Eifersucht. Ich sah die weiße Gestalt der Abtrünnigen durch die Gänge gleiten, im Garten mit dir nach der Grotte eilen. Ich ahnte alles. Ich ließ euch gewähren: ich wollte sehen, wieweit der stolze Ritter sein Ritterwort vergäße. Ich eilte vor die Mauern des Schlosses, deiner schmählichen Flucht, nachdem sie unleugbar geworden, im offenen Feld entgegenzutreten, da stieß ich auf den thörichten Graukopf hier mit den Pferden. Er wollte mich aufhalten, euch warnen. Er hat seine Kühnheit mit dem Leben bezahlt. Du siehst, du entrinnst meinem Schwerte nicht: – es ist dein Schicksal! – Zieh! Ich bin ganz allein! – Stehe mir.« »Rodvan,« sprach Reinhart mit tonloser Stimme, »geh' und gieb Raum! Laß mich erst Fatme retten. Dann, an sicherer Stätte, wollen wir uns treffen! Es ist nicht gut, den Verzweifelten aufzuhalten! – Gieb Raum! Gieb Raum!« – »Zieh', Feigling! oder ich haue dich nieder.« – »Du willst es. Komm denn und vollende dein Geschick.« Sie fochten. – Hell klangen ihre Schwerter aneinander. Mit Entsetzen vernahm Maria den Schall in der Grotte. »Reinhart,« rief sie, »Reinhart!« sich an den Felsen klammernd und umsonst an der schweren Platte rüttelnd, »Reinhart, was thust du? komm!«

Noch einmal klangen draußen die Schwerter. –

Dann ward es still. – Atemlos lauschte Maria. Da ward die Platte von außen gehoben, Reinhart stand vor der Öffnung, das nackte Schwert in der Rechten. »Komm,« rief er, »eile!«

Sie trat ins Freie, sie sah sich um. – Der Mond trat wieder aus einer Sturmwolke. Sie sah, daß sie an Gottschalks Leiche stand. – Einen Schritt vorwärts: – sie sah Rodvan mit blutiger Stirn zu ihren Füßen liegen. »O Himmel!« rief sie und trat entsetzt zurück. »Über Leichen geht mein Weg. Rodvan, armer Rodvan!« »Jetzt ist nicht Zeit, tote Feinde zu beklagen,« sprach Reinhart finster, »komm!« Er stand vor ihr, ehern wie sein blutiges Schwert. »Du bist furchtbar, Reinhart,« rief sie. »Es sind tote Menschen, die hier liegen! Armer, edler Rodvan – du starbst um mich.« – »Ihm ward sein Wille! Sein Haupt für drei meiner Freunde. Komm, es ist die höchste Zeit!« Mit diesen Worten ergriff er das bebende Weib und hob sie mit eisernen Armen auf eines der harrenden Rosse, schwang sich zu ihr in den Sattel und vorwärts jagte das Paar wild in die Nacht und den Sturm.

Sausend schlug der Wind des raschen Rittes Mariens Schleier und gelöste Locken in Reinharts Antlitz. Kein Wort ward gesprochen. Nur vorwärts, vorwärts spornte er das schnaubende Tier. Wohin der brausende Ritt sie trug, – sie wußten es selbst nicht! Nur fort von der feindlichen Burg, und die Richtung nach dem Meere einhaltend, eilten die Flüchtlinge. Den Weg zu verfolgen, welchen Gottschalk sie zu führen versprochen, war nach dem Verlust des treuen Alten unmöglich. Und mit diesem Weg gab Reinhart die Hoffnung auf, rechtzeitig die Meeresbucht Al Irm und das byzantinische Schiff zu erreichen. Es galt ihm jetzt nur, möglichst großen Vorsprung zu gewinnen vor der grimmigen Verfolgung, welche die Mannschaft aus Dschabar beginnen mußte, sobald sie die Flucht des Paares entdeckt, sobald sie Rodvan vermißt und als Leiche gefunden haben würde.

Manchmal hielt Reinhart den rasenden Lauf seines Rappen an und lauschte, ob er nicht im Rücken den Hufschlag der Verfolger vernehme.

Aber nichts vernahm sein Ohr als den Nachtwind, der in den Bergeichen sauste und von ferne das brandende Meer, dem sie sich in wilder Eile näherten.

Dann drückte er wohl einen brennenden Kuß auf Marias schönes Antlitz, die ihn fest umklammert hielt, sprach ein ermutigendes Wort, an das er selbst kaum glaubte, und vorwärts wieder jagte die hastende Flucht. – –

So waren sie stundenlang geritten. Der Tag begann zu grauen. Die freundliche, aber gefährliche Helle ließ nunmehr die Umgebung deutlicher unterscheiden. Reinhart sah, daß sie in die Vertiefung des Küstenthales geraten waren, das, von zwei felsigen Hügelreihen umschlossen, in das offene Meer auslief.

Mit den ersten Strahlen der Morgenröte erblickten sie von der Spitze eines der Hügel, die sie erreicht, vor sich die rauschende See, deren Morgenflut eben begann. Reinhart beschloß, eine noch höhere Felsklippe, die einen Bogenschuß vor ihnen und schon ganz im offenen Flutgebiet lag, zu erklimmen, ob nicht von dieser Warte aus die rettende Galeere vor Anker liegend zu sehen sei. Mit Mühe spornte er das müdegehetzte Tier die steile Felshöhe hinan, an deren Fuß schon die Wellen spülten und unter den Hufen des Pferdes spritzten.

Als sie den Gipfel gewonnen, bot sich ihnen der überraschende Anblick eines großen kriegerischen Lagers dar, das zu ihrer Linken lag und bisher von der Hügelreihe vor ihren Blicken verborgen gehalten worden war. Es war offenbar das Heer der Christen, das von Jerusalem aus zur Vernichtung der saracenischen Macht in diesen Gegenden herangezogen war. Mit einem aus Freude und Schrecken gemischten Gefühl sah Reinhart die wohlbekannten Fahnen im Morgenwinde wehen. Die Wappen der einzelnen Banner konnte er nicht unterscheiden, doch goldig leuchtete im Morgenlicht von den Spitzen ihrer Schafte das Kreuz.

Schon war es lebendig im Lager. Man sah die Reisigen Rosse zäumen, Waffen putzen, Befehle durch die Zeltgassen tragen. Bald hatte man das Paar auf der hohen Felsspitze entdeckt und einige Reiter der Vorhut näherten sich, soweit es die unterdessen noch gestiegene Flut gestattete. Mit schmerzlichem Blick betrachtete Reinhart die früheren Waffenbrüder, als ihn ein plötzlicher Schreckensruf Marias sich wenden ließ. – Er blickte um und sah von dem anderen Höhenzug des Thales, zu ihrer Rechten, plötzlich zahlreiche Scharen saracenischer Reiter herabjagen, deren Annäherung früher zu vernehmen das Getöse der rasch emporschwellenden Flut verhindert hatte. Bald erkannte er Hassan, der unter den vordersten ritt. Kurz nach Mitternacht war dieser mit der Vorhut der türkischen Reiterei in Dschabar angelangt, hatte die Gefangenen entflohen, seinen Sohn erschlagen gefunden. Wütend hatte er die Flüchtlinge und ihre Spur verfolgt und endlich hier, am Meeresstrand, eingeholt. Sofort hatten die Saracenen die beiden Gestalten auf der Klippe erkannt und ungesäumt jagte Hassan mit seinen Reitern in die Flut, den Felsen schwimmend zu erreichen. Mit Schrecken sah sie Maria näher und näher herankommen. Aber von dem Christenheere, das, sowie die Saracenen sichtbar geworden waren, sich eilfertig in Schlachtordnung gestellt hatte, schien den Flüchtlingen Rettung kommen zu sollen. Die Vorposten des Lagers hatten die offenbar feindlichen Absichten der Saracenen gegen das Paar auf dem Felsen erkannt und deshalb rasch beschlossen, den Feinden ihre Opfer zu entziehen. Gleichzeitig mit Hassan heransprengend hatten sich die Christen in Booten in die Fluten geworfen und mit kräftigen Ruderschlägen bald den mühsam schwimmenden Saracenenrossen Vorsprung abgewonnen.

»Seid gutes Mutes,« rief der Christen Führer von weitem aus dem Nachen Reinhart zu, »die Heiden sollen Euch nichts zu Leide thun.« »Wo ist Graf Robert von Flandern?« rief Reinhart. »Graf Robert führt die Nachhut aus Jerusalem herbei. Er trifft erst gegen Abend ein.« – »Wer befehligt die Vorhut? Wessen Leute seid ihr?« – »Uns führt Fürst Bohemund von Tarent!« Und mit Schrecken erkannte Reinhart die normannischen Farben und die Helmzeichen seines grimmigen Feindes: denn schon stiegen die Reisigen aus den Kähnen. »Aber wer seid Ihr da oben? Ihr tragt christliche Waffen?« Reinhard antwortete nicht: – er zog das Pferd von dieser Seite des Felsens zurück. Aber der zweite Normanne, der ans Land sprang, hatte ihn erkannt. »Bei Tankreds Schwert!« rief er dem ersten zu, »Guido! Das ist Reinhart von Stauf! Der Apostat! Der Herzog hat einen Preis von fünfzig Goldgulden auf das Haupt des Geächteten gesetzt. Und wer den von der heiligen Kirche Verfluchten erschlägt, erhält Ablaß für drei Todsünden. Den müssen wir haben!« Wild jubelten die Normannen Beifall. Ihr Führer rief Reinhart vom Fuße der Klippe aus zu, sich zu ergeben. Reinhart sah sich schweigend nach der rechten Seite um, von wo die Saracenen herandrangen. Hassan hatte nun den Felsenhügel erreicht und stürmte die steile Klippe herauf, den Seinigen voran und den Säbel schwingend mit dem Ruf: »Abtrünnig Weib! Mörder meines Sohnes! Nieder mit der Christenbrut!« »Maria!« sprach Reinhart, die Geliebte umarmend, »sollen wir uns ergeben? An Hassan? An die Normannen?« »Nein, Reinhart!« antwortete sie, seine Frage verstehend, »frei wie wir gelebt, wollen wir sterben, Gott wollen wir uns ergeben, nicht den Menschen!« Und sie wies hinaus auf das rauschende Meer. »Vergieb mir, Maria: ich war dein Verderben!« – »Und ich das deine. Und unser Verderben war unsere Seligkeit!« Fest umschlang sie mit beiden Armen seinen Nacken. »Ja, Geliebte! Nimm uns auf, du heiliger freier Ocean!« Und mit kräftigem Spornstoß, mit eiserner Hand riß er das schnaubende Roß empor zu schwindelndem Sprung. Hoch bäumte sich das edle Tier: es weigerte einen Augenblick den furchtbaren Dienst. Aber im nächsten schoß es, weit ausgreifend, hinaus in die rauschende Brandung, die, spritzend und schäumend, über ihm zusammenschlug.

Noch einmal tauchte Reinharts ragender Helm aus dem Strudel.

Noch immer sah man seinen Nacken umklammert von zwei weißen Armen. – Da rauschte eine hohe, schäumgekrönte Welle heran und begrub Roß und Reiter für immer in ihrem Schos. – –

Die Normannen waren, als sie den Fang entwischt sahen, zu ihren Kähnen und auf diesen zu dem Christenheere zurückgeeilt. Hassan erklomm ungestört den Gipfel der Klippe und sah die Flüchtlinge versinken. Einen Augenblick starrte er schweigend, finsteren Blickes, in die Fluten, als wollte er nicht glauben, daß ihm seine Opfer entrissen seien. Dann kehrte er düster zu den Seinen zurück, die ihn in einem Boote vom Felsen abholten.

Bald entbrannte in dem ganzen Meeresthal die grimmige Schlacht. Lange tobte, bis zur sinkenden Sonne unentschieden, der Kampf. Am Abend aber traf Graf Robert von Flandern mit der Nachhut auf der Walstatt ein. Da ward der Tag für die Christen entschieden. Hassan trug die grüne Fahne Mohammeds zum letzten Angriff. Er fiel und mit ihm sank die grüne Fahne.

Vergebens suchte Graf Robert, dem die Normannen den Untergang Reinharts von Stauf berichteten, als die Toten bestattet wurden, nach der Leiche seines noch immer geliebten jungen Freundes. Er wollte sie von den Gebeinen der »heidnischen Zauberin« trennen und, trotz Acht und Kirchenbann, feierlich in geweihter, christlicher Erde bestatten. Seine Leute durchforschten die ganze Umgebung des Felsens, die mit der abends eintretenden Ebbe wieder trockengelegt war.

Vergebens: – das stolze Meer gab die Liebenden, die sich ihm anvertraut, nicht wieder heraus; es hatte sie ungetrennt fortgetragen in seine ewig freien Tiefen.

 


 


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