Felix Dahn
Vom Chiemgau
Felix Dahn

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Drittes Buch.

I.

Wenige Tage später ward das ungebotene, das will sagen: ohne besonderes Gebot, nach Ablauf bestimmter Frist, von selbst zusammentretende Gericht abgehalten auf der breiten Hügelkrone hoch über der Alz auf dem linken Ufer, oberhalb des Gehöfts der Arninge. Damals war die Höhe dicht mit Wald bestanden: aber vor dem Südsaume des Waldes ragten auf weitem Wiesanger drei riesige alte Eichen, deren mittelste und höchste schon seit etwa hundert Jahren, seit die Bajuvaren hier eingewandert und angesiedelt waren, der Dingbaum der Markgenossen war.

Fünf mächtige breite Felsquadern, drei senkrecht in die Erde gegraben, zwei wagrecht darüber gelegt, bildeten an dem Fuße des Stammes einen ungefügen Altar von halber Manneshöhe: dunkelrote tief eingesogene Flecken in der hellgrauen Kalkplatte bezeugten den langjährigen hier gepflogenen Opferdienst.

Von der ragenden Hochfläche aus schweifte der Blick frei über den See hin zu den fernen Bergen, wo im Süden die zinnenstolze Kampenwand das Bild mit breiter Wucht abschloß. Im Norden und Westen begrenzte der nahe Wald die Aussicht.

Weither aus der Runde strömten schon am frühen Morgen des Gerichtstages die Dinggenossen zusammen, rechtzeitig zu erscheinen: denn bei klimmender Sonne begann der Dingbann. Über den See her kamen sie in Segel- und Ruderbooten; dann auf den gar wenigen Fahrwegen – den alten noch vielfach erhaltenen, aber oft durch überwachsenden Wald unterbrochenen Legionenstraßen: die wichtigste darunter zog von Salzburg über Traunstein hierher, überschritt die Alz bei Bedaium und zog von da nordwestlich nach Augsburg: hier mochten auch Wagen fahren, die Frauen und Kinder brachten, nicht als Dinggenossen, aber um außerhalb der Gerichtsschranken an den Festen, den Spielen, den Schmausen, dem Tauschhandel teilzunehmen und dem ganzen regen Verkehr, der an solchen Tagen außerhalb des Dingkreises neben den Rechtshandlungen herging.

Am häufigsten aber wurden benutzt die schmalen Waldwege, die nur je einen Reiter oder Fußgeher die dichten Urgehölze durchdringen ließen. Auf einem solchen Pfade ritt an jenem Morgen an dem Seeufer auf Bedaium zu ein kleiner Zug von Männern. Der Führer, reich gewandet und gewaffnet, zügelte einen prachtvollen Rapphengst südgallischer Zucht, aber auch die Begleiter tummelten auserlesene schöne Streitrosse, meist des gleichen Schlages und der gleichen Farbe.

Unzufrieden, grollend blickte der Gefolgsherr vor sich hin: die scharf geschnittenen vornehmen Züge wären gar schön zu nennen gewesen, hätten nicht wilde Leidenschaften sie früh und tief durchfurcht; in finsterem Brüten neigte er das Haupt tief auf den Hals des Pferdes, daß ihn die tiefbraunen Schwingen des Geierfalken auf der Sturmhaube nahezu streiften. Die dunkle Farbe von Haar, Haut und Augen, auch die raschen Bewegungen der geschmeidigen Glieder, der feinen Gelenke schienen nicht ungemischt germanische Abstammung zu bezeugen.

Nun mündete der schmale Pfad aus dem Dichtwald in eine breitere Freiung; der nächste Reiter hinter ihm spornte sein Pferd bis an des Rappen linke Seite und sprach, das Antlitz des Führers mit langem Blicke musternd: »Du scheinst dich nicht sonderlich auf den Opferschmaus zu freuen, Ragino, mein Patronus?« – »Ich schmause und trinke gern nur mit meinesgleichen! – Und wär's nur das! Aber diesen überweisen, übergerechten Arno da im blauen Richtermantel auf dem Richterhochstuhl sich spreizen sehen, die Beine verschränkt, den linken Fuß geschlagen über den rechten, den weißen Richterstab in der Hand und so großmächtig Ding halten, und Urteil finden lassen über seine Besseren, – der Sperling über den Adler! Und sich dann fügen müssen dem biederen Urteil, das die mehrere Menge findet: immer hundert Gemeine gegen fünf Edle!– das läßt mich zornig knirschen in die harten Zügel des Rechts hier zu Lande.«

»Ja, ja, Patrone,« meinte der Freigelassene, ein echter Sohn des Südens mit voll romanischer Erscheinung – er sprach auch fast nur Vulgärlatein – »bei mir daheim, im schönen Aquitanien – zwischen Loire und Pyreneus Mons: – da war das Leben lustiger! Da fragte kein König – der war ein Schwächling oder weit weg! – danach, lag ein Gemeinfreier irgendwo tot am Wege – Römer meist, doch auch Franken! – von eines Nobilis raschem Schwertstoß! Kein Herzog that euch Edeln was zu leide: halfet ihr ihm doch mit euren Waffen und Gefolgen, wollte der Königsgraf ihm zu scharf auf die Finger sehn. Das Recht der Starken waltete – soweit als seine Stärke reichte. Bei Sankt Martin von Tours! Manch lustigen Fehderitt haben wir geritten, du Patrone, und . . .« – »Und du stets dicht hinter mir, das muß ich rühmen, Nantine, mein getreuer Mariskalk. Und Sankt Martin und die andern Heiligen, an die du so eifrig glaubst, haben dich noch nie von Frechheit und Kühnheit abgehalten. Wie reimst du dir das eigentlich zusammen?« – »Ist doch einfach! Hat man die Heiligen durch einen Raub zum Beispiel ein wenig verzürnt, schenkt man ihnen ein redlich Teil der Beute. Dann werden sie wieder ganz gut.« »Bah,« lachte der Adaling, »bin besser dran. Glaube nicht an sie: so brauch' ich nicht mit ihnen teilen.« – »So glaubst du an die andern, . . . die die Leute hier zu Land verehren?« – »Bei Leibe!«

»Aber Herr, wie mochte es geschehen, daß du so ganz anders geworden bist als diese deine starken und tapfern, aber – vergieb dem Aquitanier! – doch herzlich plumpen Bajuvaren, ungefüg an Gliedern, Sprache, Sinn . . . –« »Laß ab, sie zu schmähen,« unterbrach Ragino, die Stirne furchend. »Oft mein' ich, mir wäre wohler – mir und den Weibern und Männern, die ich auf meinen Wegen fand! – wär' ich nicht aus der Bajuvaren Art geschlagen. Aber freilich wohl, – ich bin's. Wie das kam? Nun, meine Mutter war ja eine Arleserin.« – »Und das will sagen: eine hohe Schönheit!« – »Und ich zählte nicht sechzehn Winter, als der Vater mich an den Hof des Merowingen brachte nach Metz. Da ward ich vor allem in die Capella gesteckt und der kluge Bischof Aigulf unterwies mich selbst in den Lehren des neuen Glaubens. Gar bald hatte mich der Überlegene überzeugt, daß es nichts sei mit den Göttern, um deren Willen ich bisher Treue und Ehre gehalten und Meinthat gemieden, und ich weigerte mich nicht der Taufe, die auch der Vater nahm. Denn, witzelte ein Priester am Hof, eher geht ein Kamel in ein Nadelöhr als ein Ungetaufter in ein Hofamt bei den Herrn Königen. Also den alten Glauben hatten sie mir gar bald gründlich ausgerissen. Ich höhnte über Wuotan und Donar. Aber bald spottete ich auch über Christus und die Heiligen. Die dummen Wundergeschichten, die uns aus dem Buch eines Bischofs von Tours vorgelesen wurden – Gregor hieß er, mein' ich – machten mich lachen. Da sollte es ein Wunder sein, fiel einer, der nicht schwimmen konnte, ins Wasser und ersoff, und ein anderes, fiel einer, der schwimmen konnte, ins Wasser und schwamm heraus. Und aber das Ärgste: an all meiner Bösheit ist ein Weib schuld.«

»Ich meinte, viele Weiber?« »Nicht übel!« lachte Ragino, die weißen Zähne zeigend. »Gallischer Witz! Da! Diese Spange dafür. – Aber nein: vor allem eine.« – »Welche? Chlodoswintha oder Aurelia oder Bertoalda oder Camilla?« – »Du hast ein besser Gedächtnis als ich. Nein! Eine, die ich nie geküßt, ob sie mir das Herz heiß entzündet hatte. Die schönste von allen: – die Walandine.« »Fredigundis!« sprach Nantinus und schlug ein Kreuz. »Ist's ein Weib!« rief Ragino und hob sich im Sattel. »So flammenzündend und so eiskalt, so schön, so schlau, so fromm und so teuflisch böse! Ich durfte sie einmal aufs Roß heben, sie fuhr mir durch's krause Haar und bat mich flüsternd, den Präfekten von Paris zu erschlagen: am andern Abend lag er tot. – Bis an die feinen Knöchel in Mordblut watend, und dabei die freigebigste, frömmste Knierutscherin vor den Heiligen und vom Glücke begleitet wie von einer zahmen Taube! Nein, sagte ich mir, kann man so ruchlos sein und so fromm, so macht dieser Glaube nicht gut. Ist auch gleich, – hätt' ich nur ihr Glück! Der Bischof hat mir die Götter ausgetrieben und Frau Fredigundis die Heiligen. Jetzt folg' ich nur meines Herzens Gelüsten: da weiß ich doch, daß mir's lustig geht. – So lange es geht!« schloß er rasch mit wildem Lachen. »Alt wird man wohl nicht dabei! Aber was liegt hinter der Jugend? Die Tugend: das heißt die Langeweile, die Schwäche! Zur Hölle mit ihr! Oder nach Hel! Wohin sie lieber fährt.« – »Ja an was glaubst du denn nun – oder an wen?« – »Nichts glaub' ich! Oder an mein Glück, mein Schwert, meine List. Eia, Nantine, haben wir durch Kraft und Frechheit und List zwischen Rhone und Garonne unter den Weibern gewirtschaftet! Gar manche schöne Aquitanerin haben wir davon geführt auf windschnellem Roß! Sie sträubten sich – im Anfang! – Alle: aber die meisten fügten sich dann doch in das Geschehene. Nur zwei freilich . . .« er brach finster ab. »Ja, Patrone, die keusche Adalfrida sprang nach der ersten Nacht in die Aude. Und ich höre immer noch das seltsame Getöse, wie die schöne Venantia, die Gattin des Grafen Leonardus, sich von dem Turm zu Carcassonne auf die Felsen stürzte: der Kopf zuerst schlug auf: es klang sonderbar. Sancte Martine,« sprach er, sich andächtig bekreuzend, »grolle nicht, daß ich sie hatte entführen helfen: du weißt, nur der Patronus ward des Weibes froh.« »Die Närrinnen!« grollte Ragino. »Hatten es doch alle gut bei mir, die sich drein fanden! Viel rot Gold hatte mir mein Vater, Herr Faganwalt, vererbt, der, aus Bajuvarenland zu König Chlothachar gezogen, von dem zum Patricius von Marseille erhoben war. Und gingen nach des Vaters Tod Geld, Schmuck, Gewand rasch zur Neige . . .« – »So waren wir nicht faul und nahmen's zu Hauf den lieben Nachbarn ab, den reichen Westgoten von Narbonne . . .« – »Und warfen's daheim in Burg Cap-Ariet den Schönen in den Schos! Eia! Warm glühte dort zu Lande die Sonne, dunkel glühte der schwarzrote Wein und manche heißblütige Domina, Hier ist alles naß, kalt, friedsam, tugendsam, öd und fad!« – »Ei, warum bliebst du nicht, Patrone, wo wir waren? Ich bat so sehr! Ist ja halb auch deine Heimat. War doch deine Mutter ein Kind des Sonnenlandes. Warum . . .?« – »Narr, als ob du's nicht wüßtest! Hast vergessen? Zuletzt hatten wir's doch zu arg getrieben. König Guntchramn, den sie den Guten nennen . . .« – »Bald wird er der Heilige heißen! Schon thun die Fransen seines Mantels Heilwunder an Aussätzigen und Lahmen!« Und der fromme Wale schlug sein Kreuz. – »All seine Grafen, von Orleans bis Toulouse, hatten uns bei ihm verklagt: Frauenraub und Herireita, – weil wir mehr als zweiundvierzig Helme zählten! – Friedbruch, Scharmützel, Heimsuchung und Infidelitas: alles Teufelszeug sollten wir verübt haben. Lange noch bestach ich seine Bischöfe und Palatine: aber zuletzt hatte ich nicht mehr genug, sie – nach ihrem Gelüst – zu bestechen: den Rest nahmen sie mir lieber durch Einziehung ab und der König sprach mir all mein Land in seinem Reiche ab.« – »Bah, dann wär' ich zu den Wasconen gegangen, seinen alten Grenzfeinden! Nur in die warme Sonne!« – »Und ins Elend? Nein, doch lieber nach Haus in dies Wasser- und Nebelheim, wo mir des Vaters weit gedehntes Erbe liegt an Mangfall und Inn, bis dahin von Oheim Fagano gar treulich und wirtlich verwaltet. Hier hab' ich doch zu leben.« – »Leben? Ist das gelebt hier?« – »Bei Loge, nicht lustig, gedenk' ich der Provence. Keine Schätze bringende Fehde, im Frieden nur Jagd, im Krieg nur Slovenen, bei denen es weder Ruhm noch Beute zu holen giebt.« »Nein, aber Läuse!« lachte der Welsche, sich über das kurzkrause schwarze Haar streichend. »Geh, Patrone! Es zieht dich Halbblut ja doch zu uns, – dein besser Teil – von der Mutter her – gehört uns.«

»Ja, oft spür' ich's nur allzuheiß in den Adern, dies Walenblut. – Vorab: hier giebt's nicht Weiberlust! Denn die Slovenenmädchen, die wir zuweilen fangen . . .« »Muß man erst zu lange waschen, bevor man sie küssen kann! – Freilich,« meinte er nach einer Weile: er beugte sich vor im Sattel und sah seinem Herrn listig in die dunkeln Augen, »es giebt wohl auch hier zu Lande Mägdlein, weißarmige, die . . .« »Die man zu Tode küssen möchte,« rief Ragino wild und spornte den Rappen, daß er stieg. Dann spannte er die Muskeln des rechten Armes: »Und zerdrücken in diesen Armen, in ihrem Ringen heißer noch die Lust verspürend. Ah, schlanke Arntrud, fast noch ein Kind: weh dir – und wohl dir! – lernst du an dieser Brust die Liebe.« »Puh,« meinte der Freigelassene, »das wird dir wohl nicht werden. Die wird des Nachbarsohnes sittig, blondgezöpft, flachsspinnend Weib.« – »Des Pflugtölpels? Nimmermehr! Ich reiße sie ihm mitten im Brautlauf weg und Nachtelb trägt sie flugs davon. Nicht wahr, mein Rößlein?« Und er klopfte dem Rappen den Hals: freudig wieherte der. »Wie paßte sie zu dem Lümmel!« »Ja, ja,« meinte der Wale schürend, »mag schon sein, daß ihr im Wunsch und Traum ein viel Feinerer vorschwebt. Wie sie vielleicht ihm, dem zieren Edeling.« – »Adalfrid, der Ausbund aller Tugenden? Der möchte wohl, aber er wagt nicht. Nie läßt sie ihn der Ohm als Gemahlin führen in seinen Edelhof: eine Königstochter will der für den schönen einzigen Sohn. Und daß er sich das, was er begehrt, nimmt, zu rascher Lust, wie man die süße Beere vom Strauche reißt, – dazu ist der Vetter viel zu zahm gezeugt und zu artig gezogen, der Thor, mit seinem bajuvarischen Fischblut in den Adern. Ah, Bursche, du hast mich heiß gemacht mit deinen Reden! Weshalb hetzest du mich so zu Gewalt? Was hast du davon?«

»Will dir's wohl sagen, Patrone: ganz offen! Im Frieden bring' ich's hier zu nichts: da kann ich nicht, wie drüben an der Garonne, dir zeigen wie nütz, wie unentbehrlich ich dir bin. Abenteuer, wildes Streiten sind der Boden, aus dem allein mir Gewinn aufwuchert: Beute, Lust, Lob für mein rasches Schwert! Und du? Du bekommst das blonde Kind auch nicht in die Arme ohne schroffsten Rechtsbruch. Frauenraub! Darauf steht . . .« »Im Frieden! Ja! Aber es kann ja auch,« – und hier blitzten die schwarzen Augen, – »Fehde auflodern zwischen uns Faganos und den Ackerern da unten an der Alz. Dann greife ich mir das süße Ding als Beute, dann ist sie meine speergefangene Magd und mein ist ihr Leib und ihr Leben.« »Gewiß!« lachte der Wale. »Und deshalb . . .« »Deshalb darf der Rechtshandel um den Rosseschaden, der heute vor das echte Ding kommt, nicht in Frieden enden, wie sicher die beiden Tugendweisen, der Ohm und der Richter, raten werden, sondern Fehdegang statt Rechtsgang soll entscheiden. Das hab' ich längst geplant.« – »Und ich – hab's geahnt. Aber ich wollt' es hören aus deinem eignen Munde, Patrone!« – »Schweig – gegen alle! Schau, dort auf der Höhe ragen schon die Firste der Arninge, der trotzigen Dörfler. Ah, bald sollen sie in roten Flammen stehn. Und bei Hausbrand verschwindet mancherlei: Mensch, wie Tier, wie Habe. Komm, Nantine, laß die Rößlein springen! Sie sollen's einmal sehen, diese Ackerschnecken, was reiten heißt. Ihre Gäule sind ja nur elende Angernager. Drauf, Nachtelb!« Und in rasendem Jagen, wie zu feindlichem Überfall, sprengten die Reiter gegen das friedlich im Morgenschein liegende Dorf.

*

 

II.

Einstweilen hatten sich allmählich an der Dingstätte schon viele der Markgenossen eingefunden.

In einem weiten, gegen den See geöffneten Halbkreise waren die Dingschnüre gezogen, an Speeren oder auch an mannshohen Haselstäben; außerhalb dieser Umhegung, zumal gegen das Dorf hinab, den Hag hinunter, hatten Weiber, Kinder, Unfreie sich aufgestellt, oder auf dem Rasen gelagert.

Unter der mittelsten Eiche war nun vor dem Altar der hohe Stuhl des Richters aufgestellt, er gewährte den Blick nach Osten: noch war er leer. Arno stand im weitfaltigen dunkelblauen Richtermantel, den weißen, der Rinde entschälten Stab in der Hand, neben Iso, seinem Rechtweiser, der den Dingspeer und den Dingschild trug; die Dinggenossen standen nach Sippen gegliedert – daher alle Faganos beisammen – innerhalb der Umschnürung um den Richterstuhl her: das Gewoge der Stimmen glich dem Summen eines Bienenschwarms.

Eine Weile noch wartete Arno, sah nach dem Wipfel der Eiche empor, winkte dann Iso und beide schritten nun zu dem Richterstuhl: Arno ließ sich auf ihm nieder. Der Fronbote, ein Freigelassener des Richters, stieß den Speer rechts von ihm in den Rasen, hing den runden Schild daran und that mit einem Steinhammer uralter Überkommenschaft drei dröhnende Schläge auf das Erz.

Nur ein wenig hob jetzt Arno den Stab: – sofort verstummte das Gewoge der Stimmen.

Nun wandte sich der Richter an Iso und fragte: »Sage mir, du Weiser des Rechts, und weise, ist dies der rechte Tag, die rechte Stunde, der rechte Ort für die Markgenossen des Untersees, zu hegen und halten von Rechts wegen ein Echteding? Weise mir das Recht der Mark!«

Feierlich hob Iso die Rechte: »Ich weise das Recht, wie bestens ich weiß, so helfe mir Forasizo: dies ist der rechte Tag: ein Tag des Eru, dreißig Nächte nach dem letzten ungebotnen Ding: die rechte Stunde, da die Sonne den Wipfel des Dingbaums küßt: der rechte Ort: auf dem Eichenbühl unter der Dingeiche oberhalb der Seebrücke.« – »Und wer ausbleibt von dem Ding?« – »Wer ausbleibt ohne echte Not, zahlt fünfzehn Solidi Wette dem Richter.« – »Weise mir, Rechtweiser, das Recht: wie soll ich halten das Ding?« – »Als ein echter Richter: niemand zu Gunst, niemand zu Gram, niemand zu Lieb, niemand zu Leide, wissend, daß du richtest vor Forasizos Angesicht und aller Götter. Gelobe zu richten nach der Gerechtigkeit, nicht nach Geldgier. Geldgier greift dem Gesetz an die Gurgel.« – »So gelob' ich bei diesem meinem Stabe.« Und er legte feierlich die Rechte auf dessen Griff, der in eine geschnitzte Hand auslief. »Und wenn ich unrecht richte?« – »Und wenn du unrecht richtest, sollst du's doppelt vergüten und dem Herrn Herzog vierzig Goldsolidi büßen.« – »Und also sei's. So lege ich das Märkerding offen, verbiete Rede sonder Richters Urlaub, verbiete Scheltwort, Streitwort, Waffenzücken, gebiete Schweigen, Zucht und Rechtsgehorsam: bei des Ostgaugrafen Bann gebiete ich Dingfrieden. – Nun sind Eintrachtsachen und Streitsachen an das Ding gebracht. Welche muß ich zuerst verhandeln, Rechtweiser?« – »Eintracht geht vor Streit.« – »Wohl, so thun wir zuerst nach dem Begehr des Fagano, der Schatzwurf werfen will. Hier, außerhalb des Dingkreises, stehen zwei Unfreie von ihm, Slowenen, bei dem letzten Streifzug jenseit der Landmark von ihm speergefangen: er will sie beide frei geben und will sie dann die Ehe schließen lassen nach Volksrecht. Denn er lobt sie als treu und willig. So kommt nun ein in die Schnüre und du, edler Fagano, tritt vor.«

Die beiden braunen Menschen, er in ein Wolfsfell, sie in Lammfell gehüllt, schlüpften, strahlend vor Dank und Freude, unter den Schnüren durch, warfen sich vor dem Fagano auf die Kniee und reckten ihm auf der flachen Rechten je einen Denarius hin, ohne ein Wort zu sprechen; der Fagano schlug jedem der beiden die Münze aus der Hand: »Losgekauft seid ihr, Zwentopluck und du, Dowina, aus meinem Eigentum: ich schenk' euch den Kaufpreis, leset ihn auf.« Das ließen sich beide nicht zweimal sagen und eilig schlüpften sie, Hand in Hand, wieder hinaus.

»Dann hat sich Truchtwalt, Sohn des Truchtlacho, gemeldet: er ist aus des Vaters Hofwehre geschieden, er hat sich eine Hofstätte gerodet mit schallender Axt: – nicht heimlich: die Axt ist ein Rufer, nicht ein Dieb! – in dem Alzwald und er will sich heute hier vor den Markgenossen verloben mit Berthfrida, der Tochter des Berahto, der ist des zufrieden. Tretet vor.« Der Jüngling, das Mädchen und dessen Vater schritten nun vor den Richterstuhl: der junge Truchtwalt sprach: »Ich hab' einen Hof, so will ich ein Weib. Ich zähle dreißig Jahre: Berahto will mir die Tochter geben: die Mundschaft lös ich ihm ab: ich biete dir hundert Solidi und zwanzig Rinder nach deiner Auswahl, bist du's zufrieden?« – »Ich bin's zufrieden und binnen Jahr und Tag führ' ich sie dir als Frau ins Haus: und der Brautwagen soll hoch beladen sein: denn – man weiß es in der Mark! – reich ist der Berahtinge Hof und Habe.« »Ihr alle, Markgenossen,« sprach der Bräutigam, »seid der Verlobung Zeugen: hier ist ihr Finger beringt« – er schob ihr einen Bronzering an den vierten Finger der Rechten: da fiel der Richter ein, – »nun ist die Braut dir bedingt.« Darauf streifte sich Truchtwalt den Schuh vom rechten Fuß und stellte ihn vor ihr nieder: errötend that sie das gleiche und hob das schmale Füßlein und stellte es in seinen Schuh, darin es fast verschwand: Arno aber sprach, den Stab über ihr Haupt reckend. »Nun trat die Traute dir schon in den Schuh: mit zwiefachem Zwang dir bind' ich die Braut.« Fröhlich schieden die drei aus dem Dingkreis.

»Da ist,« fuhr der Richter fort, »Hariger, des Harlacho jüngster Sohn: er und sein Vater verlangen, ich soll ihm die Schwertleite gewähren: komm, jung Hariger, weise hier vor den vielen, was du in den letzten Wochen mir allein gezeigt von deiner Waffenreife.«

Ein schöner blondlockiger Jüngling, fast ein Knabe noch, stürmte feuereifrig vor den Richterstuhl: Iso reichte ihm den Speer: hastig ergriff ihn Hariger: »Gebt Raum! Gebt Raum!« rief er den Umstehenden zu: auf starke Speerwurfweite war außerhalb des Dingringes an einem der vordersten Waldbäume ein kleiner Reiterschild, mit sieben ehernen Ringkreisen geschmückt zugleich und gefestet, angebracht: weitaus holte der Knabe: scharf zielte er und lang: sausend flog die Lanze: klirrend fuhr sie durch den mittelsten Schildring in den Stamm.

»Nicht übel, wahrlich,« sprach der Fagano, »für diesen Wurf schenk' ich dir . . .« »Ich nehme nichts von den Adalingen!« rief Hariger mit einem Blick auf seinen Vater, der beifällig nickte. Nun reichte jenem der Fronbote einen Schild und ein stumpfes Schwert ohne Spitze: der etwas ältere Sohn des Rimisto trat, gleich gewaffnet, vor und bei sechs Gängen, das heißt sprungweisen Angriffen, wehrte Hariger viermal dessen Schlag ab und traf selbst zweimal den Gegner. »Genug!« rief Arno von seinem Richterstuhl herab. »Die Markgenossen haben's gesehen. Hariger, des Harlacho Sohn, ist der Volkswaffen reif und wert. Wer widerredet? Kein Mund. So reiche ich dir Schwert, Speer und Schild: du legst sie fortab nicht mehr ab, auch in den Hügel folgen sie dir nach und nach Walhall. Trage sie mit Ruhm und Sieg für die Deinen.«

»Weiter,« fuhr Arno fort, »hat Hemmfrid, des Hemmo Sohn, seinen Hof bei dem Kleinsee dem Fagano verkauft und will ihn heute dem Käufer auflassen durch Stab, Gras und Erde. Tretet vor.«

Der Adaling und ein ärmlich gekleideter älterer Gemeinfreier erschienen nun vor dem Richterstuhl und der Verkäufer sprach mit trauriger Miene: »Ich rufe die Markgenossen zu Gesamtzeugen! Euch aber, Nachbarn, Pellwich und Halfing, zu Sonderzeugen« – hier faßte er die beiden nächststehenden Gemeinfreien am Ohrläppchen und zog daran – »ich ziehe euch am Ohre zu Zeugen, wie ich dem Fagano meinen Hof, der Hemminge altes Allod, mit Wunn und Weide, mit Wasser- und Waldrecht an der Almännde, mit Herde, Holz und Habe, mit Eigen und Almen auflasse zu eigen. Und sind die Marken, wie ihr alle wißt, im Aufgang das Ufer des kleinen Schilfsees, zu Mittag, da wo man es nennt ›im Thale‹, gen Niedergang bis zu der großen Buche – die ist noch mein gewesen, trägt meine Hausmarke – und gen Mitternacht bis an die Mitte des Binsenmoors, das zur andern Hälfte dem Pellwich gehört.« »Wir kennen den Hof und seine Markzeichen,« sprachen die beiden am Ohre Gezogenen. »Wohl,« mahnte der Richter, »nun laß auf.«

Mit einem Seufzer holte der Verkäufer aus seinem Wams ein etwa handlanges Stäblein von Erlenholz hervor, in dessen Rinde die Rune H (– ᚺ –) geschnitten war: der Käufer öffnete sein Wams an der Brust und Hemmfrid legte mit einer Art von Wurf das Stäblein in das Wams: »Wie dieser Stab, so ist mein Hof nun dein geworden. Und wie dieser Rasenstreif und diese braune Scholle und dieser Buchenzweig, die ich dir hier reiche, so sind meine Wiesen, meine Kornäcker und mein Waldgut nun dein eigen. Ach, sie waren solang in der Hemminge Hand!« Er trat zurück, das Haupt gesenkt. »Morgen,« sprach der Richter, »werde ich mit den Zeugen, dem neuen und dem früheren Eigner und dem Fronboten das Grundstück umschreiten, den Käufer einweisen und nach dem Hirseopfer für die Hauselben, ihm Friede wirken.«

Da rief eine rauhe Stimme: »Richter, gieb mir Urlaub zur Rede.«

Arno winkte Gewährung mit dem Stabe und Harlacho sprach, die Worte hastig hervorstoßend und wilde Blicke auf die Adalinge werfend: »Volkskundig ward nun, allen bekannt, der Verkauf des alten Freiguts. Aber nur wenigen ist kund der Grund, aus dem Hemmfrid der Greis die Scholle der Väter hat hingeben müssen. Sein Sohn Hemmovich ist ein rascher Jüngling: er hat, gereizt durch freche Zunge, am Hof zu Regensburg einen freien Saalfranken erschlagen. Das Wergeld beträgt zweihundert Solidi. Das sollten die Hemminge zahlen oder den Sohn dem Erben des Erschlagenen in Knechtschaft übergeben. Der Alte hat nicht den zehnten Teil davon an Habe. So muß denn Eigen und Erbe dran. Und der Adaling? – Hei, der griff gierig zu! – Wie immer, wenn er den weiten Grundbesitz seines Hauses noch mehr ausdehnen kann: es ist lang durchdachte Absicht darin: sie kaufen uns aus, wo irgend sie können, jede Not unsrer Wirtschaft machen sie sich zu Nutze. Das ist der Edelinge Edelsinn.«

Rot vor Grimm im Gesicht trat er zurück: drohende, zornige Rufe wurden laut unter den Freien.

»Schweigt im Ding!« gebot der Richter. »Wer reden will, frage an bei mir.« Da trat, Worturlaub heischend, der Fagano vor und, einen stolzen Blick auf Harlacho und jene Rufer werfend, sprach er: »Ich wußte nichts hiervon. Hemmfrid, komm her. Ich gebe dir den Hof zurück. Öffne den Brustlatz . . . –« – »Ich kann nicht, edler Fagano. Du hast ja lang vorausbezahlt – ich habe die Solidi schon hingegeben. Wie soll ich sie dir je ersetzen?« – »Ich schenke sie dir, das versteht sich. – Ihr aber da drüben, hütet eure Zungen, eh' ihr wieder die Edelinge unedler Gesinnung zeiht.« Und er schob dem Alten das Stäblein in das Wams und warf ihm Rasen, Erdscholle und Baumzweig wieder zu.

Nun erschollen in raschem Umschlag Beifallsrufe, auch unter jenen, die soeben gemurrt und die Stimmung wäre noch viel günstiger geworden, hätte nicht Ragino das Wort erbeten und, verächtlich die Lippen aufwerfend, gerufen: »Wundert dich das, Oheim? Niedrige Geburt zeugt niedrigen Sinn und wer gemein – ob auch ›gemeinfrei‹ – sieht auch bei Bessern nur Gemeines.«

Brausend, drohend entlud sich nun der Zorn der Geschmähten, mit Mühe, beschwichtete sie der Richter.

»Für dieses Scheltwort, Adaling, straf' ich dich um dreißig Solidi Richterwette. Ich werde sie verteilen unter die, deren Ernte der Hagel zerschlug. Die Eintrachtsachen sind geschlichtet, nun mögen die Streitsachen gerichtet werden. Es ist nichts geschehen seit dem letzten Markding, was Klage an den Richter gebracht hatte auf Wergeld oder Buße, niemand ist gemahnt oder gebannt, noch ist gar Fehdegang – den die Götter verhüten mögen! – gedroht.

Denn einen Zweifel des Immenrechts habe ich, mit des Rechtweisers Beirat, leicht in Güte geschlichtet. Wulfhari, dem Freigelassenen des Riezilo von dem Rizilaerehof, war ein Schwarm aus dem Bienenkobel entflohen und hatte sich auf den großen Ebereschenbaum auf dem Neubruch des Heigilo bei dem Berahtastein eingehaust. Wulfhari war ihm nachgelaufen mit brennendem Scheit und eherner Axt, hatte Feuer angemacht unter dem Baum, den Waisel durch den Rauch zu verscheuchen, und dreimal mit der Axt an den Stamm geschlagen. Zornig lief Heigilo herzu und wollte dem das wehren und den ganzen Imp als sein Eigen verlangen, den der Frilaz allmählich mit klingender Kuhschelle zurückrief in seinen Kobel. Aber ehe sie klagten, gingen sie mit mir zum Rechtweiser und der sprach: »Binnen drei Tagen mag der Impvater seine Immenbrut wieder holen aus fremdem Baum mit feuriger Fackel und hallender Hacke, aber nur mit stumpfem Stoß. Und Wulfhari schwor bei Donar, dem der Rotbeerenbaum geweiht ist, er habe nur mit gewendeter Axt, nicht mit beißendem Beil geschlagen. Da haben sie sich vertragen, – Wulfhari hat ihm in Güte sieben Waben geschenkt. Aber der Rechtweiser verlangt, daß ich die Sache hier auf dem Wallberg vorbringe, damit die Märker dies Immenrecht billigen. Ihr haltet's für Recht? Ja, ruft ihr, alle? So ist es denn Markrecht. Und ein paar andere Dinge, die da übel hätten verlaufen mögen, haben die guten Götter in Frieden beigelegt durch des edeln Fagano friederatend Wort.«

Da hob der die Rechte.

»Der Adaling ist der nächste zur Rede,« rief der Richter mit dem Stab auf ihn deutend.

»Nicht mein Verdienst war's,« sprach der. »Und wie's unadelig ist, unverdienten Tadel hinnehmen, so noch mehr unverdientes Lob einheimsen sonder Einspruch. Nicht mein, unseres Richters Zuspruch hat die Fehde verhütet unter zwei Geschlechtern: um geringer Ursach willen waren sie in Streit geraten: die Stöttinge im Stottohof, im Osten, und die Burginge, Burgramns Enkel, zu Burgham, im Westen des Sees, um den Lachsfang an dem Ausfluß der Alz: auf rasches Wort war rascher Schlag gefolgt: nahe drohte, daß Männerblut floß – um Fischblut! Denn in der Hitze des Zorns hatten sie sich hinweggesetzt über jene Markdingsatzung vom vorigen Herbstding, die Arno vorgeschlagen. Da hat der Richter – ich half ein wenig nach – den Hadernden die Thorheit dieser Fehde dargewiesen. Wir überzeugten sie, sie möchten sich vertragen, ohne daß man eine der Sippen der Feigheit zeihen könnte: denn gleichviel Speere zählen beide und gleich starke Arme, diese Speere zu schwingen; dort drüben stehen sie, versöhnt, nebeneinander. Dankt eurem Richter!«

Jene beiden, aber auch viele andere im Halbkreis riefen: »Heil Arno, heil dem Friedewart!«

Der aber erwiderte: »Dankt lieber dem Fagano, der in anderem Zwist nicht nur Worte, der freigebig, wie dem Adel ziemt, sein Gut spendete, den Frieden zu erhalten. Blut war geflossen im Jagdstreit zwischen denen vom Thietboldberg und den Ischilos um einen erlegten Auerstier, das heißt um das Recht, im Alzwald, über die Buchenleite hinaus, zu jagen. Hohe Buße verlangte da Thietbold: denn es war nicht nur Aderkratz, Gliedscharte, Beulenschlag oder Balgberstung, was nur sechs Solidi kostet, sondern ein Knochensplitter war ihm aus dem Beine geschlagen, so schwer, daß ihn die Zeugen auffallen hörten, wie er über die vier Ellen breite alte Walenstraße geworfen ward in einen ehernen Schild: ja, der Fuß war verkürzt, so daß er über dem Rasen nachstreifte. Wie nennt einen solchen Hinker das Recht der Bajuvaren, Rechtweiser?« – »Taustreifling! Und darauf stehen dreißig Solidi.« – »Die konnte Ischilo nie aufbringen, und Fehdegang drohte. Der Fagano erfuhr's und zahlte aus seinem Gut die Buße: – das war Adelthat.«

»Aber die Wette an den Richter, den neunten Teil der Buße« – nahm der Fagano das Wort, »wer zahlte sie? Ich bot sie an: – aber Arno zerbrach einen Halm vor meinen Augen und verzichtete. Das war Richterthat.«

Wieder riefen die Hörer laut Beifall.

Als der verrauscht war, flüsterte Ragino seinem Mariskalk ins Ohr: »Ist ja ganz rührend! Gleich küssen sich die beiden Tugendwettläufer. Aber wart! Ich werf' ihnen bittere Schlehen in ihren süßen Musbrei!«

»So ist,« fuhr der Richter fort, und der Ausdruck seiner Züge ward ernster, »nur Ein Rechtstreit heute zu verhandeln. Die Klage Harlachos im Weidicht wider Ragino den Adaling um Saatschaden. Doch ich vertraue, gutem Zuspruch, – drüben wie hüben, – wird es gelingen, auch diesen Zwist zu begleichen.« Er warf einen bedeutsamen Blick zu dem Fagano hinüber zu seiner Rechten, den dieser mit kaum merklichem Neigen des Hauptes erwiderte. Aber von links her aus der Reihe der Freien scholl ein lautes trotziges: »Nein! Das hoffe nicht! Daraus wird nichts!«

»Nachbar Harlacho,« verwies Arno ruhig, aber streng, »du sprachst sonder Richters Urlaub: in gehegtem Ding. Ich büße dich nach dem Recht um einen Solidus. Kannst du dies Urteil schelten? Du schweigst? So hast du dich verschwiegen. Nun rufe deine Klage.«

Da drängte und schob sich von links her der Geahndete durch die dichten Reihen: es war eine derbe, vierschrötige Gestalt, kürzer, gedrungener als die meisten, den dicken Schädel von einem dicken Wust zottigen, brandroten Haares umstarrt wie von einem Wollvließe, während der wirre, rote Bart, wenig gepflegt, vom Winde gezaust ward; ärmlicher als der andern war seine Gewandung, ein viel geflicktes Vließwams hielt ihm, statt stattlichen Wehrgurts der andern, ein altes Senknetz um die magern Hüften zusammen und statt des Kurzschwerts stak darin eine wuchtige dreizinkige Wurfgabel zum Lachsstechen im Seeeis, eine furchtbare Waffe. An seinen nackten, tiefbraunen, mit rotem Haar dicht bewachsenen Oberarmen glänzten nicht, wie an vieler, ein Breitring oder ein schlangenförmig gewundener Schmalreif aus Bronze; den alten Mantel, dem das Seewasser längst jede bestimmte Farbe ausgewaschen, hielt ihm über der linken Schulter nicht eine Spange, nur ein starker Zweig des Schwarzdorns zusammen.

»Nichts von Begleichen!« schrie er mit heiserer, vom Zorn erstickter Stimme, »keinem Zuspruch halt' ich still, so wenig wie der wütige Wisent. Mein Recht will ich, mein ganzes vollgerüttelt Maß, von der übermütigen Brut, die bei jedem Schritt den Fuß so hoch hebt, als solle er auf die Köpfe der Freien treten. Mein Recht von diesem Ragino: – er soll mir nicht entrinnen, wie weiland meinem Vater der seine! Wißt ihr's noch, ihr ältern unter den Märkern, – erzählt's den jüngern! – wie weiland Faganwalt, der Faganing, der auf den Höfen um den Inn saß, meinem Vater, den er beim Hechtfang im Adelwasser traf, westlich vom breiten Schilficht, auf offenem See mit dem Kurzbeil den Boden des Plattschiffs zerschlug? Elend mußte mein Vater ertrinken: denn der Adaling fuhr in seinem Einbaum mit seinen Gefolgen lachend davon.«

Grollendes Murren durchdrang die Reihen der Freien, zumal dort, wo die fünf Söhne des Fischers und dessen Magen beisammen standen.

»Das war das alte strenge Recht wider die Fischwilderer,« sprach Arno. »Erst nach dieser Anwendung ward's durch Märkersatzung aufgehoben. Übrigens bot dir der Thäter, – unverpflichtet! – auf seines Bruders Mahnung, das volle Wergeld für den Toten. Du schlugst es aus.« – »Soll ich die Seele des Vaters, die der grünzahnige Neck hinab in die Binsen zog, im Geldgurt umhertragen? Nein! Ich lasse mir meinen Haß nicht abkaufen und nicht meine Rache: die Stunde kommt.« »Aber hübsch langsam, scheint's,« höhnte Ragino und warf dem Richter einen Solidus in den Schos. »Da, Markrichter, die Buße für die urlaublose Rede.«

Während die Gefolgen Raginos und manche der Adalinge lachten und unwillig Gemurmel von links her drang, blieb Arno ruhig, öffnete den Mantel, der seine Kniee bedeckte und ließ die Münze klirrend zur Erde fallen. »Für diesen kecken Unglimpf, diese Dingverachtung fordere ich bei dem Ding von Ragino, Faganwalts Sohn, zwanzig Solidi Buße für Forasizos Opferfest. Reckt die Hände!«

Alle Gemeinfreien, auch viele Adalinge, so der Fagano, – ausgenommen die Schar um Ragino, – erhoben die Hände. »Das Bußurteil steht. Nun hebe deine Klage, Harlacho.«

»Ich klag' um Schaden, pfandbewiesenen Schaden, durch Ragino, seine Gefolgen und seine Rosse. Ihr wißt: leidig lebt, wer Fische fängt: viel Wind und Wasser werden ihm und wenig Gewinn: ›für viel Fleiß wenig Flossen‹ – 's ist ein alter Fischerspruch. Und an Bauland hat der Harlachinge Hof nur wenig Schollen Zubehör, wie an Wiesweide meist schlechte saure Wiesen, neben dem Binsenzipfel: alten Seegrund: – und gar oft, wächst der See groß, abermals überfluteten Seegrund! Denn der Neck giebt nicht dem Land heraus, was er nicht muß. Oder trockener Seesand ohne Nährboden auch nur für Hafer. Seit ein paar Wintern hatte ich mit meinen Söhnen, zwölf Hände zusammen, ostwärts von der Isinge Hof vier Tagwerke, oben auf der Bühlleite nach den Storflingen zu: – fetten Boden! – gerodet mit Feuer: – ihr kennt es als markkundig – guten Weizengrund gab die Asche. Reich gedieh die junge Saat: mich freute es und meine Buben, wogte sie im Frühlingswind: schon sahen wir sie dereinst im Herbstmond in goldnen Ähren wallen, – wann Gott Frô auf dem goldborstigen Eber über sie hinreiten werde, befruchtend, nicht schädigend durch des Tieres Tritt. Sorglich hatten wir die liebe Saat eingehegt gegen weidend Vieh der Isinge und der andern Nachbarn durch einen hohen Zaun von festem Pfahlwerk: am Eingang warnte ein Strohband, jedem Eindringenden die Pfändung drohend. Und ich hatte Frô sein Goldferch dargebracht gegen Hagelschlag: allein gegen Adelbosheit hatte ich nicht geopfert!« »Hüte dich, Frechling!« knirschte Ragino; aber sein Freigelassener mahnte: »Getrost, Patrone. Großes Maul macht kleiner Stich stumm.«

»Gar oft ritt dieser Ragino da zur Jagd in den Bannwald bei uns vorüber mit seinen zuchtlosen Gasinden und Barskalken: sie sahen uns an der Arbeit wie wir uns mühten im Schweiße. Freche Hohnworte warfen sie über den Pfahlzaun. Einmal – ich stand im Einlaß – klopfte der Faganing seinem Rappen den Hals und rief, des Tieres Kopf über die Wehre richtend: – ›Freu' dich, Nachtelb, da wächst dir Fraß. Schwer schwitzt der Ackerfurcher: – für dich!‹ Meine Söhne schalten: – ich achtete sein nicht. Aber ein paar Nächte darauf, als wir bei klimmender Sonne zu der Arbeit hinaufgingen, fanden wir den Zaun niedergebrochen, zerrissen und zerstreut das Strohbündel, den Wiff, an der Thüre, den Zugang von Pferdehufen zerstampft, die Ettergerte, die den oben zusammenschließt, zerhackt, und – – abgeweidet, bis an die Wurzeln, zertreten die ganze Weizensaat!«

Grollend, drohend brauste es durch die Reihen zur Linken des Richters.

»Da es in Einer Nacht geschehen, mußte es ein ganz Geschwader von Gäulen gewesen sein: wir durchsuchten nach einer sicheren Spur für den Beweis für andre – wir Harlachinge wußten freilich den Thäter! – in dem ganzen Gehege: endlich fanden wir im hintersten Grunde, von den Führern beim raschen nächtlichen Aufbruch vergessen, eine der schwarzen Schandmähren.«

»Ah,« flüsterte Ragino, »edler denn du zehnmal ist das Roß.« »Also dort,« klagte sein Mariskalk leise, »dort verblieb Helhengst, den wir seither so bitter vermißt!«

»Das Tier war von aquitanischer Zucht. Ich nahm's sofort in Pfand, den Beweis zu sichern, den Unschuldeid auszuschließen. Seine Haut trug die Hausmarke Raginos: ihr kennt sie alle, Märker! Frag' ihn, Richter, ob er die Marke verleugnet?«

Arno winkte: Ragino sprach, den Helm mit den Geierfedern zurückwerfend: »Ich meine, sie kennen weithin den trabenden Wolf und fürchten ihn; zumal die Schafe.«

Seine Gasinden lachten: Fagano wehrte ihnen mit erhobener Hand.

»Sage, Rechtweiser, darf ich um dieser Ursach willen den Adaling kampflich grüßen?« fragte Harlacho mit grimmigem Blick und griff nach seiner dreizinkigen Waffe. – »Nicht doch! Er leugnet ja nicht.« »Ich würde,« höhnte der, den Kopf zurückwerfend, »wohl wegen der paar Maulvoll Grünzeug auf den Kampfsand treten? Einen Lohnkämpfer würde ich ihm stellen, einen ehrlosen, an dem sollte er seinen Zorn verkühlen.« »Also dein Mund ist dessen gichtig,« fragte der Richter, »daß deine Rosse die Saat Harlachos abgeweidet?« – »Gewiß! Und gut ist's ihnen gediehen!« – »Wie gerieten sie hinein. Durch Zufall? Windbruch des Zauns?« – »Behüte! Der Eschenzaun war gute, feste Arbeit von sechs Männern! Auf mein Geheiß führte mein Mariskalk hier die guten Gäule hinein zu leckrer Weide. Was braucht der Schollenpatscher Weizen zu fressen? Besser steht das edle Goldkorn zu des Adalings Roß als zu seinem schnöden Wanst. Er kann ja Weißfische fangen! Aber wo – wo birgt der Kläger das Pfand? Her mit meinem lieben Hengst, der solang in seinem Rinderstall den Stank der Kühe schmecken mußte. Her damit! ich löse ihn nach Recht und büße den Schaden, – mit lachender Lust! – weil der Dickschädel, der rote, umsonst sich gemüht. Her meinen Hengst!« »Da hast du ihn,« schrie Harlacho grell und flammenrot fuhr ihm der Zorn ins Gesicht. »Da, alles, was übrig ist von ihm.« Damit griff er in den Mantel und warf ihm eine abgezogene Pferdehaut vor die Füße. »Du Vieh selber! Du hast das Tier gemordet? geschlachtet? gefressen?« schrie Ragino und fuhr ans Schwert. »O nein! dessen haben wir den Gaul des Faganing nicht gewürdigt. Erst haben wir – meine fünf Söhne und ich – den Gefesselten so lange gepeitscht, bis ihm die Haut in blutigen Fetzen vom Bauche hing . . .« »Bestia! Bestia canina!« schrie Nantinus, der in der Wut nur in seiner Sprache schimpfen konnte. »Wir meinten nämlich, wir hätten seinen Herrn vor uns!« Da ging ein Schrei des Zorns durch die Adalinge: viele davon sprangen vor, auch einer der Hachilinge, aber Fagano zog sie am Arme zurück. – »Dann banden wir der verendenden Mähre die vier Füße zusammen und warfen sie in den See, daß sie elend ersoff.« »O die Hunde!« grollte Ragino. »Lecker hätte sie wohl geschmeckt, – nichts essen wir lieber, als jungen gesunden Hengstes Fleisch! – Aber was dir gehört, dem Gott opfern und als Opferschmaus verzehren, – nein! Das war des Adalings Tier nicht wert. Jedoch die Haut mit der Marke haben wir dem Aas abgestreift, da liegt sie dir zu Füßen.« Sprachlos vor Zorn umgriff Ragino mit beiden Händen den Wehrgurt, sich vor dem Waffenzücken zu hüten. Da sprach der Richter: »Die Marke ist volkskundig, der Beklagte thatgeständig. Da braucht's kein Urteil zu finden; es fand sich selbst. Ist's nicht so, Rechtweiser?« – »So spricht das Recht der Bajuvaren.« – »Wie hoch schätzt Harlacho den Wert des Weizens? Wie hoch Ragino das Pfand? Das durfte der Pfänder nicht töten! Ist's nicht also, Rechtweiser?« – »So spricht das Recht der Bajuvaren.« Harlacho rief: »Acht Stunden weideten die Gäule. Wert war mir die Saat. Ich verlange hundertsechzig Solidi: – der Adaling selber kostet ja nur zweihundertdreißig, wenn ihn einer erschlägt. Und ich wünsche: hätten doch nie die Götter – Frô war's ja wohl! – das verfluchte Roß geschaffen, der hochmütigen Adalinge hochmütig Gleichnis. Den Pflug führt das geduldige Rind ebenso gut und besser. Hel schlinge alle Rosse hinab!« »Sie haben euch doch schon oft herausgerissen,« sprach der Fagano leise vor sich hin, »wo euch kein Fußkämpfer mehr hatte helfen mögen. Verwünscht sie nicht!« »Und wie hoch wertest du das Pferd? Schätze es laut im offnen Ding!« fragte der Richter. »Das will ich,« sprach Ragino scharf, aber verhalten. »Ein Adalroß ist mehr wert als ihr Harlachinge alle sechs miteinander: einer von euch gilt hundertsechzig: so schätze ich den Helhengst auf das siebenfache: auf elfhundertzwanzig Solidi.« Da brach ein wildes Tosen los unter den Freien, das der Richter mit Mühe dämpfte. »Neffe Ragino, meistre die Zunge! – Harlacho, wohlan, ich werde die hundertsechzig Solidi zahlen und meinem Neffen den Wert des Hengstes, – aber nach Schätzung unsrer Sippe – und so den häßlichen Zank begraben.« »Nein!« schrie Harlacho. »Nein, Ohm!« rief Ragino. – »Nur von dem Neffen nehm' ich die Buße!«

»Nur wenn Harlacho mir einen seiner Söhne ausliefert, daß ich ihn peitsche, wie sie mein Roß gepeitscht, bin ich zufrieden.«

Abermals brach wilde Empörung unter den Gemeinen aus: – zusehends wuchs die Erbitterung, stieg die Gefahr blutigen Zusammenstoßes.

»Und wenn dieser – unmögliche! – Rechtsgang versagt,« fragte Arno, »was dann?«

»Fehde! Fehde! Fehdegang!« schrieen zuerst hüben Harlacho und die Seinen, auch der junge Isanbert, die gewaltige Faust ballend, und drüben die meisten der Adalinge. »Ja, Fehde,« sprach Harlacho, »grimme Todfehde der ganzen verhaßten Geierbrut. Richter, ich heische das Handmehr. Und – hörst du! – vergiß mir ja nicht den weisen Beschluß, – du selbst hast ihn ja verlangt –! daß fortab zwar nur das Mehr die Fehde beschließen, nicht eine Sippe sie ansagen kann, daß aber an der so beschlossenen Fehde alle Sippen, auch die dawider die Hand erhoben, teilnehmen müssen. Ich frage dich, rechtskundiger Iso, – ist das Markrecht?« Mit einem betrübten Blick auf Arno sprach der: »Das ist – seit neun Monden – Markrecht. ›Arnos Weisheit‹ nannten wir damals den Schluß.«

Der Richter schloß einen Augenblick, vom Weh überwältigt, die Augen: er sah bei der wild aufgehetzten Stimmung links und rechts das Ergebnis der Befragung voraus und erkannte mit Schmerz, wie er sich durch seinen eignen in der Absicht, alle Fehde zu verhüten, durchgesetzten Vorschlag gezwungen hatte, an der ihm abgerungnen Fehde teilzunehmen.

»Nun wohl,« frohlockte Harlacho, »so mag der Richter denn heute zuerst die Früchte seiner Weisheit ernten! Ich verlange das Handmehr, sag' ich, Richter! Willst du deines Amtes nicht walten, so räume andern den Stuhl.« Traurig zögernd sprach Arno: »Wer diese unselige, götterverhaßte Fehde will unter den Markgenossen, der hebe die Hand!« Augenblicks fuhren fast alle Hände in die Höhe. Frohlockend fuhr Harlacho fort: »Ah, da braucht's kein Zählen! Endlich soll sich das Eisen im Blut der Hochfärtigen baden! Wie viel lieber als den Lachs werd' ich den Adaling spießen!« Er riß die scharfe Stechgabel aus dem Netzgürtel und hob sie drohend gegen Ragino. »Hund,« rief der zurück, »ich greife dich lebendig und Hand und Fuß zusammengebunden, ersäuf ich dich wie du mein gutes Roß.«

Da brach's los von beiden Seiten. »Fehde! Fehde! Fehdegang!« Waffen blitzten: die Ergrimmten sprangen widereinander.

»Halt! Schweigt,« scholl da eine alles überdröhnende Stimme. »Nieder die Waffen!«

Der Richter war aufgesprungen vom Stuhl, er stand mitten zwischen den Tobenden, hoch über ihren Häuptern schwang er seinen weißen Stab, warf ihn dann vor sich nieder und rief: »Der Dingfriede ist gebrochen! Noch Ein Wort und ich zerbreche diesen Stab und banne euch vor den Herzog, daß der euch friedlos lege.«

Ehrfürchtig wichen die Gemeinfreien vor ihrem Richter zurück, aber Ragino und seine Gefolgen senkten noch die Waffen nicht; Nantinus zückte einen spitzen welschen Dolch wider Arno: da trat der Fagano an dessen Seite, legte ihm die Rechte auf die Schulter und deckte ihn so mit dem eignen Leibe. »Zurück!« rief er. »Die Klingen in die Scheiden! Schämt euch, ihr Edeln, vor den Gemeinen. Sie folgen rascher dem Recht als ihr!«

»Aber die Ehre, Ohm!« trotzte Ragino. –

»Ehre? Pflichttreue – über das äußerste Maß der Pflicht hinaus; – das ist Ehre, Neffe. Gehorche!« Und der Heißblütige barg übermeistert das Schwert und trat zurück, desgleichen seine Trucht. Nun bückte sich der Fagano, hob den Stab auf und reichte ihn Arno: »Nimm ihn wieder zur Hand, den Stab, den keine Hand so würdig trägt wie deine.«

Hoch erhob ihn Arno und nahm wieder auf dem Stuhle Platz: »So ist sie denn beschlossen, die Fehde! Was bedeutet das Wort? Tote Männer und brennende Firste und zerstampfte Saaten! Und um was? Um ein paar Weizengarben und ein Roß!« »Nein, um die Ehre!« rief es rechts. »Nein, um den Haß,« schrie es links. »Zum Glücke beginnt,« fuhr Arno fort, »alsbald die heilige Friedenszeit Frau Berahtas: heute, bei Frührot, fuhr ihr heiliger Wagen auf breitem Schiff vom Lindeneiland ab, und umsegelt so alles Uferland des Sees. Solange ruhet aller Streit, die Waffen werden geborgen: den Schrecken Hels geweiht ist, wer Kampf reizt in diesen Tagen. Und ich frage dich, Rechtweiser, wer hat nach des Untersees Markrecht den Beginn der Frist zu setzen?« »Der Richter vom Eichending,« sprach Iso. »Das ist der Märker Recht.« – »Wohlan: so eröffne ich die Friedensfrist, sobald der Dingschild hier den Boden streift.« Im selben Augenblick sprang er auf von dem Stuhl und schlug mit seinem Stab den Speer samt dem Schild nieder. Klirrend schlug der Erzschild auf. »Das Ding ist gelöst.« Er stieß den Stuhl um: »Der Dingfriede erloschen, Berahtas Friede aber hat schon begonnen: er währt einundzwanzig Nächte: des gedenkt auf dem Heimweg: und der strafenden Göttin gedenkt.« »Ein weiser Einfall zu rechter Stunde!« sprach der Fagano. »Deine Hand, Richter, wir wollen fest zusammenstehen.« – »Das wollen wir: denn wahrlich! es thut not. Edler Fagano, tritt unter mein Dach, sein geehrtester Gast!«

*

 

III.

Es war schon spät am Tag, als der Gast und der Wirt sich von dem runden glänzend weißen Ahorntisch erhoben, auf dem sie das einfache Mahl genossen, – allein; denn die beiden Töchter hatten die Halle verlassen, nachdem sie auf die Tischplatte ein von Arntrud gewebtes, zierlich rot gesäumtes Tuch gespreitet und das schlichte Hausgeschirr aufgesetzt hatten: die Bierkrüge aus gebranntem Thon und die irdenen Fleischschüsseln; der einzige, schön henkelige Erzkrug – für den Met – war ein Stück alter Römerbeute. Am Weine gebrach's: den bezogen nur die Adalinge aus dem Etschthal.

Freundlich hatte der Gast die Rechte auf den Scheitel der Kleinen gelegt: »Hast du auch, Krausköpflein,« fragte er, »mitgeholfen am Braten?« – »Will's meinen! Sonst wär' er nicht so gut worden! Hab' Trudis geholfen beim Begießen. Der Wildeber will trinken.« – »Weißt du aber auch, warum für den Dingstag Wildeberfleisch sich ziemt?« – »Freilich! Es mahnt an der Götter Schmaus.«

»Ein klug Kind, wohl gelehrig und wohl belehrt.«

»Ja aber . . .«

»Willst du wohl schweigen?« drohte mit dem Finger der Vater, dem Unheil ahnte. »Sprich nur! Du siehst, der Vater hat's erlaubt.« Er hatte ihm den erhobenen Finger herabgebeugt.

»Wenn die Götter und die armen Helden, da oben – die sind gar hungrig, mein' ich, weil sie immer Kampfspiele spielen! – Tag um Tag nichts als Schweinefleisch bekommen? Ich könnte das nicht so oft hinunterwürgen! Warum sind sie nicht schon lang auf die Erde herabgestiegen? Da könnten sie doch bald bei dir vorsprechen, bald bei uns?« Der Fagano lachte: »Du junger Fürwitz!« Dann schloß er ernst: »Götter und Göttinnen wandern gar oft über die Menschenerde. Auch in meiner Halle haben sie schon gegastet vor alters.« – »O, zu uns kommen sie auch. Die sind nicht stolz, wie dein schwarzer Neffe. So ist Frau Berahta im Traum der Trudis hier erschienen und hat ihr deinen . . . Ja, was ich sagen wollte, wo steckt Adalfrid? Lange hab' ich ihn nicht mehr gesehn. Sonst war er immer um die Wege hier.«

»Ja,« fiel Arntrudis ein, die lichten Augen voll aufschlagend, und dem Gefragten frei ins Antlitz schauend: »wo ist er, der Liebe, Gütevolle? Fehlt er, so ist's, wie wenn der Sonnengott zu Rüste stieg hinter den Westerwäldern! Er versprach mir doch, als er mir das Vöglein brachte, – da haben wir ihn zuletzt gesehn! – er wolle bald wieder kommen. Der Nachtsänger singt so schön, so heiß, so eigen! – Wo ist Adalfrid?«

Unfreundlich zuerst hatte der Vater des so warm Vermißten die Brauen in die Höhe gezogen. Allein unter dem Eindruck dieser vollsten Unbewußtheit des eigenen so reinen Gefühls schwand gar rasch das Gewölk und er erwiderte ernst, aber ohne Strenge: »Mein Sohn ist fern. Im Palatium zu Regensburg.« »So? Was hat er denn aber da zu suchen?« meinte das Kind. »Nun – vielleicht eine Braut!« Scharf sah er Arntrudis in die Augen: der Vater warf einen besorgten Blick auf seine Tochter.

Arntrudis jedoch strahlte vor Freude und rief sofort: »O, das ist prächtig! Das ist recht! Gewiß ist sie elbenschön – wie er selbst! – So muß seine Braut sein! Wie freu' ich mich, ihr den Kranz zu flechten aus meinen liebsten Bergblumen: Speik, Marbel und Madaun! Und auch Rosen haben wir im Gärtchen, noch von des Secundus Eltern her. Die streue ich ihr bei dem Brautlauf.«

Die beiden Männer betrafen sich dabei, wie jeder verhohlen des andern Miene prüfen wollte.

Aber die Kleine war unzufrieden: »O je! Wenn er eine Frau hat, bringt ihm der Adebar gleich viele, viele Kinder. Und dann spielt er mit denen und kommt gar nicht mehr zu uns.« »Das wäre hart,« sprach Arntrud ganz langsam nachdenklich vor sich hin: und in ihre Augen traten Thränen. Ihr Vater sah's – wie der Gast – und rief: »Nun fort mit euch! Wir haben noch zu reden.« Und aufspringend öffnete er die Thür und schob beide hinaus. »Dein Kind ist rein und hold wie ein Sonnenstrahl,« sprach der Gast innig. »Möge ihr Lebenspfad sonnig bleiben! Und er wird es. Es ist im Thale wohnlicher als auf den Höhen.« – »Ja; jedoch manche Seele erfüllt ein Gott mit Sehnen nach den Höhen.« Der Edeling schüttelte das Haupt: »Berg und Thal haben die Götter selbst geschieden. Sie sollen nicht zusammen kommen.«

»Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber die Menschen: – so geht ein alter Spruch in unsrem Volk.« – »Wohl! Und so wird denn mein Sohn zusammenkommen mit der ihm gleichgebornen Braut: des Langobardenkönigs Tochter.« – »Trägt sie schon seinen Ring?« – »Bald wird er ihn ihr anstecken zu Ticinum. – Wir beiden aber, wir wollen, wie besprochen, treu zusammenstehen, die glimmenden Funken dieser unsinnigen Fehde auszutreten, bevor sie in Flammen auflohen und euch verbrennen – wie uns. Bändige du deinen wüsten Nachbar, ich werde meinen wilden Neffen zügeln. Was darüber hinaus geht an Wünschen, . . . – das muß schweigen. Der Edle, – wie der Richter! – nicht für sich sollen sie wünschen: für die Mark, für das Volk. So hat mein Sohn zum Beispiel jene Königstochter nie gesehen: – aber er wird sie zur Gattin nehmen. Denn er wird einsehen, wieviel der Langobarden Freundschaft für unsere Südmark wert ist. Nicht für uns leben wir, wackerer Richter, für andere. Leb' wohl. Du meinst es gut. Hab' Dank für – – für alles.«

Als der Fagano sich in den Sattel schwang, sah er von fern, wie an dem offenen Fenster ihres Schlafgemachs Arntrudis saß, die Hände im Schoß: die Nachtigall vor ihr im Käfig sang ihr glühend Lied: das schöne Mädchen lauschte, in Träumen und Sinnen versunken. »Ein wunderhold Geschöpf, bei Berahta,« dachte der Alte, »man muß ihr gut sein – von Herzen gut, ja von ganzem Herzen! Aber – es geht nicht!«


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