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Der Graf Cagliostro

Bis zu seinem Auftreten in Mitau

Was die vorhergegangenen Schrittmacher Cagliostros und der allgemeine mystisch-schwärmerische Zug der Zeit an Möglichkeiten geschaffen hatten, das alles nützte der sizilianische Gaukler mit einer Unverschämtheit aus, die fast etwas Imponierendes hat. Frech, wie nur je ein Abenteurer es gewesen, der von seiner Keckheit leben mußte, gewissenlos und mit dem ganzen Geschick des an Erfahrungen immer reicher werdenden Menschenkenners trat er auf, ein Universalgenie in der Kunst des höheren Schwindels. Sierke nennt ihn den »Fürst aller Gauner und Betrüger, die ihre Erfolge auf die Leichtgläubigkeit und Borniertheit des Publikums begründen«. Dabei ist es jedoch zweifelhaft, ob Cagliostro wirklich immerdar nur Betrüger war, und ob er nicht allmählich angefangen hatte, selber an das zu glauben, was er von sich behauptete. Man kann bei den Hochstaplern – wie jeder Kriminalist weiß – nie genau feststellen, von welchem Punkte an bei ihnen das Bewußtsein ihres Schwindels abzunehmen beginnt, bis sie zuletzt in ihrer Rolle genau so völlig aufgehen, wie ein guter Schauspieler, der, wenn er erst »warm« geworden, gar nicht mehr das Bewußtsein hat, eine angenommene Rolle zu spielen, sondern einfach der ist, den er darstellt. Nur so ist es zu erklären, daß der Hochstapler mit so unglaublicher Sicherheit auftritt: Pelmann sagt in seinen »Psychischen Grenzzuständen«: »Im Augenblick des Schwindelns kann der Hochstapler ganz vergessen, daß er schwindeln will. Er lebt sich so in seine Rolle hinein, daß er sie tatsächlich erlebt, und in der Treue, mit welcher er sie spielt, liegt das Geheimnis seines Erfolges. der Berliner Friseurgehilfe als Husarenoberleutnant, Baron und Rennstallbesitzer, und der obskure Sizilianer Balsamo als preußischer Obrist, Goldmacher, Logenreformator, Geisterbeschwörer und spanischer Graf Cagliostro. Ein so lange fortgesetztes Täuschungssystem, wie es Cagliostro befolgte, führt überdies durch die Länge der Zeit allein schon zur Selbsttäuschung. Wo Glück und Umstände so wunderbar den Betrüger begünstigen, erwacht in ihm der Glaube an das Glück, und der Aberglaube, mit dem ein Gaukler so lange als einem Instrument gespielt hat, rächt sich, indem er Herr wird über seinen Meister und ihn selbst beherrscht. Ohne alle Inspiration, ohne Selbstlüge, ist es psychologisch schwer zu denken, wenigstens noch nicht vorgekommen, daß ein Betrüger durch so lange Jahre und vor so vielen Zeugen seine Rolle in der Art durchgeführt haben sollte. So oft entdeckt, dem Publikum als Betrüger angezeigt, mit furchtbaren Rückerinnerungen, die, wenn sie an die Öffentlichkeit kamen, ihn vernichten mußten, bot er den Stürmen doch unerschütterlich eine trotzige Stirn. Das war nur möglich durch einen ebenso unerschütterlichen Glauben an seine Unfehlbarkeit, und dieser Glaube ist von einer Inspiration, von einer Schwärmerei schwer zu trennen. Unter allen Wundern in Cagliostros Geschichte ist das eben das wunderbarste, daß er so oft bloßgestellt, entlarvt, vor dem Publikum vernichtet wird, und doch von neuem in neuem strahlendem Glanze wieder auf der großen Schaubühne auftritt. Selbst vor den Schranken der römischen Inquisition gab er den Mut, die Hoffnung noch nicht ganz auf. Er träumte von einer Möglichkeit, daß seine zahlreichen Freunde ihn befreien, daß Europa, daß wenigstens Frankreich, das eben seine Fesseln gebrochen, sich seiner annehmen könne. Diese Elastizität des Mutes wäre bei einem gewöhnlichen Betrüger etwas Außergewöhnliches; sie spricht von einem Wahn, welcher ihn selbst benommen hat. Selbst vor seinen päpstlichen Richtern, die, wie er wußte, ihn verdammen würden, wenn er als Abtrünniger, als Ketzer und Gotteslästerer erkannt würde, gab er sich bei aller von dem Selbsterhaltungstrieb ihm auferlegten Zurückhaltung doch als etwas, das Gott näher steht als die übrigen Menschen. Er war Betrüger von Anbeginn und war es geblieben bis zuletzt, aber von den heraufbeschworenen dämonischen Gaukelbildern glüht seine Stirn doch fieberhaft, die Eitelkeit ruft ihm ins Gedächtnis, was er vor der Welt gewesen, und selbst vor diesen Richtern erhebt er sich zuzeiten in dem erhabenen Selbstgefühl einer Würde, die ihm zur Mission geworden. Er tobt und rast, daß man ihm nicht glaubt, ihn verkennt, wo doch sein Verstand ihm hätte sagen müssen, daß seiner Verteidigung damit schlecht gedient war. Cagliostro erduldete vor dem römischen Tribunal Seelenschmerzen, die kein gemeiner Gaukler und Hochstapler aus demselben Grunde gelitten hätte. Aus dem bloßen Gauner war allmählich ein Phantast geworden, der an seine höhere Mission glaubte. Das die Auffassung Wilhelm Härings, die dieser in seinem Cagliostroaufsatz im Neuen Pitaval vertritt; die verdienstvolle Arbeit habe ich im wesentlichen meiner Schilderung des Lebens Cagliostros zugrunde gelegt.

Es drängt sich hier natürlich die Frage auf, wie es möglich war, daß Cagliostro im achtzehnten Jahrhundert sein unerhörtes Gaukelspiel mit so wunderbarem, lange dauerndem Erfolg treiben konnte. Die Antwort darauf ist zum Teil vorweg bereits in dem vorhergehenden Abschnitt gegeben worden: Cagliostro war von der Mode der Zeit getragen, er war geradezu ein Produkt seiner Zeit. Und ebenso, wie wir den Gaukler nur im Zusammenhang mit ihr begreifen können, so ist umgekehrt nichts geeigneter, uns diese Zeit verständlich zu machen, als das Leben unseres Betrügers: alle jene ungesunden mystischen Phantastereien, die damals die Köpfe mit dem tollsten übersinnlichen Unsinn verwirrten, spiegeln sich getreu in Cagliostros Laufbahn ab. Aber nicht nur, daß Cagliostro »der Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen und der Hoffnung, im Verkehr mit den Verstorbenen ihr und unser Schicksal zu vernehmen« Pelmann, »Psychische Grenzzustände«, Seite 274. entgegenkam, wir müssen uns vergegenwärtigen, daß, was heute unmöglich wäre, damals eben erst geschehen war: die Überflutung Europas mit politischen Abenteurern. Die Epoche dieser berühmten Männer, die mit Nichts anfangend, durch kecke Behauptungen und unverschämte Miene, oft mit ebenso geringen Kenntnissen als Mitteln, die Schwächen und Grillen der Fürsten und Strömungen der Volksneigung benützten, um sich zu einer Höhe und einem Einfluß emporzuarbeiten, wie neben ihnen nur noch die berühmten Mätressen absoluter Herrscher. Das Bürgertum, das keinerlei Anteil am öffentlichen Leben hatte, hielt sich desto eifriger ans Desorganische, je mehr ihm das Organische verschlossen blieb, und verfolgte die Kometenbahnen, dieweil ihm das Sonnensystem gleichgültig und verborgen war. Die welterschütternden Bewegungen, die sich vorbereiteten, um von jenseits des Atlantischen Meeres anhebend, in Frankreich die alte Zeit umzugestalten, waren für sie Dinge »draußen fern in der Türkei« ohne Einfluß auf ihr ferneres Wohlergehen. Ein schottischer Schwindler dagegen, der Papier in Gold verwandelte, ein Renegat, der in den Barbareskenstaaten in Proteusgestalt spukte, ein westfälischer Edelmann, der in Korsika eine Königsrolle spielte, ein deutscher Arzt, der Dänemark reformierte, waren weit wichtigere Gegenstände für die Aufmerksamkeit; nicht um der Sache, um des Zweckes willen, sondern um des Wunderbaren, das sich an die Person dieser kühnen Abenteurer knüpfte. –

Man wird die Bedeutung eines Mannes nicht ableugnen können, den Schiller zum Gegenstand seines »Geistersehers« machte, und der einem Goethe wichtig genug erschien, um seine Jugendgeschichte nebst Stammbaum mit ängstlicher Sorgfalt festzustellen und ihm im »Großkophta« ein literarisches Denkmal zu setzen, wie denn auch Katharina II. nicht eines, sondern drei Lustspiele über Cagliostro schrieb, um die betörte Welt zu ernüchtern. Ein Proteus, dieser Gaukler, der als Humbugmacher erkannt und verfolgt, mit unerhörter Dreistigkeit statt zu verschwinden, in immer höhere Kreise seine Tätigkeit verlegte; der als Reformator des Freimaurerordens auftrat, die Logen desselben durch Vorschützung einer albernen Fabel sich dienstbar machte, Millionen von Eingeweihten sagt er, (Tausende behaupten seine Zeitgenossen) so von seinen neuen Mysterien zu berauschen wußte, daß sie auf ihren Knien vor ihm lagen, ihn anbeteten, ihn den Göttlichen nannten, an seine Worte wie Orakel glaubten – und es waren nicht die Schlechtesten ihrer Zeit. Ein Proteus, der seinen Jüngern ewiges Leben versprach, Wanderung durch die Sphärenwelt, sich selbst zu einem Heiland erhebend, der im Triumphzuge als Beglücker der Menschheit Europa durchreiste, Geister aus ihrem Grabe rief und mit den Menschen umgehen ließ, der, verwickelt in die Halsbandgeschichte, mit an den Geschicken wirkte, die Frankreich und Europa umgestalteten. Der aus der Bastille entlassen, eben noch verachtet und bespöttelt, jetzt aufs neue der Abgott der Modewelt wurde, von London aus der französischen Nation ihre Revolution voraussagen konnte, und endlich, nachdem sein Glücksstern schon zu verlöschen anfing, denunziert von allen Seiten, verfolgt, umherirrend, doch der päpstlichen Macht noch so wichtig erschien, daß sie, einen Prozeß gegen ihn führend, vor seinen Einflüssen besorgt blieb, und sich endlich bewogen fand, – ein unerhörter Fall, – vor Europa durch Veröffentlichung dieses Prozesses ihr Verfahren zu rechtfertigen! Rom mußte ihn richten, den Weltverbrecher, den eine Katharina von Rußland nur durch Spott zu bekämpfen für angemessen fand, der den Gerichtshöfen der zivilisierten Länder trotzig die Stirn bot, und selbst mit Triumph aus den Kerkern der Bastille hervorgegangen war. Dies ist das Siegel, aufgedrückt der Bedeutung eines Betrügers, der zu einer Höhe hinanklomm, wie noch kein Abenteurer vor ihm.

Das Leben Cagliostros ist vielfach in ein Dunkel gehüllt, das selbst die reiche Literatur nicht zu lichten vermochte, die für und wider ihn in allen Sprachen schon zu seinen Lebzeiten erschien, nachdem er angefangen, in der Öffentlichkeit Europas eine Rolle zu spielen. Diese Schriften sind großenteils anonym veröffentlicht worden, und da ihre Verfasser mitunter außer ihrer Stellungnahme zu Cagliostro noch ihre besonderen Absichten mit ihren Publikationen verfolgten, auch Mystifikationen mit unterliefen und der ganze Wust legendärer Erfindungen, die sich um den Wundermann gruppierten, in dieser Literatur eine Aufnahme fand, so kann man sich vorstellen, welche Verwirrung in dem allgemeinen Urteil über Cagliostro Platz griff und wie schwer es ist, im einzelnen heute festzustellen, was als erwiesen gelten kann und was nicht. Aber wenn wir auch gezwungen sind, den Schleier, der über vieles in Cagliostros Leben ausgebreitet ist, liegen zu lassen, in anderem auf Mutmaßungen angewiesen sind, so ist uns doch genügend zuverlässiges Material überliefert worden, um einen Einblick in die wichtigsten Abschnitte dieses großartigen Schwindlerlebens zu tun. Unschätzbar sind die Enthüllungen Elisas von der Recke, die in den folgenden Seiten ungekürzt wiedergegeben werden; sie sind ein Dokument ersten Ranges, von unbezweifelbarer Glaubwürdigkeit, und sie decken so viel von Cagliostros Methoden auf, daß wir von seinem Mitauer Auftreten Schlüsse auf sein Vorgehen an anderen Orten ziehen können. Eine sehr wertvolle Ergänzung der Mitteilungen Elisas von der Recke haben wir in der anonymen Schrift des Grafen Mosczynski über Cagliostros Aufenthalt in Warschau: »Cagliostro démasqué à Varsovie ou relation authentique de ses opérations alchimiques«. Auch diese Veröffentlichung darf den Anspruch auf völlige Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit erheben; sie ist auf Grund eines Tagebuches geschrieben, und der polnische Graf war ein kenntnisreicher Chemiker, der in der Lage war, die Alfanzereien Cagliostros alsbald zu durchschauen. Aber nun sind die ganz zuverlässigen Darstellungen aus erster Hand auch schon erschöpft! Was sonst an zerstreuten Nachrichten über Cagliostro in den damaligen deutschen Zeitschriften veröffentlicht war, hat der Königsberger Kirchenrat Borowski in der Seite 13 genannten Schrift zusammengefaßt und kritisch beleuchtet. Sie erschien während des römischen Prozesses gegen Cagliostro und enthält viel schätzbares Material. Es folgt die nach den Akten des Inquisitionsgerichtes zu Rom von dem Jesuitenpater Marcellus kurz nach dem Prozeß, 1791 veröffentlichte offiziöse Darstellung des Lebens Cagliostros unter dem Titel »Compendio della vita e delli gesti di Giuseppe Balsamo il denominato conte Cagliostro«. »Darstellung des Lebens und der Taten des Joseph Balsamo, genannt Graf Cagliostro.« Es ist kennzeichnend für den »europäischen Ruf« des Gauklers, daß die Schrift allsogleich deutsch, französisch, englisch, holländisch und russisch herauskam. Wir erfahren daraus, was Cagliostro über sein Leben und seine Gaunerstreiche, die er in früheren Jahren seines Umherstreifens durch allerlei Länder verübt, bekannt hat. Im übrigen, sagt Häring, »hängt das mönchische Gewand zu faltenreich über der Schrift«, als daß sie nicht mit Vorsicht zu gebrauchen wäre; sie übergeht vieles, was der römischen Macht nicht bequem war, und es liegt in den damaligen politischen Verhältnissen begründet, sowie in dem Zweck der Schrift: die Rechtfertigung des römischen Urteils gegen Cagliostro, daß sie nicht als eine völlig lautere Quelle angesehen werden darf. Goethe schreibt darüber: »Wer hätte geglaubt, daß Rom einmal zur Aufklärung der Welt, zur völligen Entlarvung eines Betrügers soviel beitragen sollte, als es durch Herausgabe jenes Auszugs aus den Prozeßakten geschehen ist! Denn obgleich diese Schrift weit interessanter sein könnte und sollte, so bleibt sie doch immer ein schönes Dokument in den Händen eines jeden Vernünftigen, der es mit Verdruß ansehen mußte, daß Betrogene, Halbbetrogene und Betrüger diesen Menschen und seine Possenspiele jahrelang verehrten, sich durch die Gemeinschaft mit ihm über andere erhaben fühlten und von der Höhe ihres gläubigen Dünkels den gesunden Menschenverstand bedauerten, wo nicht gering schätzten.« Schließlich sei noch des Memorandums erwähnt, das Cagliostros Anwalt Thilorier an das französische Parlament richtete, als sein Klient in den Halsbandprozeß verwickelt war. Es führt den Titel: »Mémoire justificative pour le comte de Cagliostro, accusé, contre Monsieur le Procureur-Général, accusateur.« Diese Schrift ist deshalb von besonderem Interesse, weil hier Cagliostro die absurdesten Lügen über seine mysteriöse Herkunft aus Arabien zum Besten gibt, und die Dreistigkeit hervorsticht, mit der er, als Angeklagter, vor einem Parlament, als seinem zuständigen Gerichtshofe, auftrat.

 

Noch bevor die römische Inquisition durch Pater Marcellus die Geständnisse Cagliostros der Öffentlichkeit übergab, hatte sich eine Nachricht verbreitet, daß er aus Sizilien stamme, ein entsprungener Mönch niedrigen Herkommens und von Jugend auf zu schlechten Streichen geneigt gewesen sei. Man nannte als wahren Namen des Betrügers Giuseppe Balsamo. Im Frühjahr 1787 war Goethe in Palermo, und an der Wirtstafel hörte man sehr viel von Cagliostro reden. Er war soeben aus der Bastille befreit und, von der Mitschuld in der Halsbandgeschichte losgesprochen, nach London gegangen. Aus dem Norden war ein Kupferstich, Cagliostro darstellend, nach Palermo gelangt, und man glaubte, in ihm den üblen Burschen Balsamo zu erkennen, der vor Jahren aus der Stadt seiner schlechten Streiche wegen verbannt worden war.

Solche Bedeutung schenkte man Cagliostro, daß ein Goethe, zu ganz andern Zwecken in Italien, es sich angelegen sein ließ, diesem Gerüchte nachzugehen. Er stellte folgendes fest: Ein Rechtsgelehrter hatte im Auftrag des französischen Hofes Wohl im Zusammenhang mit dem Halsbandprozeß. einen Stammbaum der Familie Balsamo angefertigt, und konnte nach anderweitigen Ermittelungen kaum zweifeln, daß Giuseppe mit dem Wundermann Cagliostro identisch sei. Die Familie gehörte dem ehrbaren Bürgerstande an, die des Vaters war vermutlich jüdischer Abkunft. Eine Tante, welche Giuseppes Pate gewesen, führte ihres Mannes Namen Cagliostro, den der Wundermann wahrscheinlich von ihr später entlehnt hat.

Mit dem erwähnten Rechtsgelehrten zusammen machte Goethe nun einen Besuch bei der Familie Balsamo, worüber er in der Italienischen Reise unterm 13. und 14. April 1787 ausführlich berichtet, und Alessandro Graf Cagliostro war der Giuseppe Balsamo, von dem Goethe erzählt. Er war am 8. August 1743 geboren und seine Jugendgeschichte in den römischen Akten stimmt mit Goethes Bericht aus Palermo überein. Schon im Kloster, wo er besonders in der Apotheke beschäftigt war, verriet Cagliostro seine verdorbene Gemütsart. Als Vorleser bei Tische übte er den Mutwillen, in der Geschichte der Märtyrer statt des Namens der heiligen Blutzeugen die der bekannten und berüchtigten Freudenmädchen unterzuschieben. Später widmete er sich der Zeichenkunst; seine Aufführung ward nicht besser. Bei allen Schlägereien war er tätig, bei allen Händeln der Jugend mit den Polizeidienern. Er verfälschte Theaterbillets, bestahl seinen eigenen Oheim, trug Liebesbriefe für und zu seiner Cousine, wobei er den Liebhaber gehörig prellte. Sehr bedenklich war seine Gabe, alle Handschriften nachzuahmen. Er fälschte eine alte Urkunde, das Testament des Marchese Maurigi, wodurch eine fromme Stiftung zu Schaden kam. Selbst der Verdacht der Ermordung eines Kanonikus ruhte damals auf ihm.

Mehrmals angeklagt und zur Untersuchung gezogen, mußte er endlich fliehen. Er hatte einem Goldschmied Marano sechzig Unzen Goldes abgelockt, um ihm einen Schatz zu heben. Statt des Schatzes aber waren mehrere Teufel aus der Höhle hervorgesprungen – Balsamos verkappte Freunde – und hatten den Goldschmied tüchtig durchgeprügelt. Marano hatte ihm dafür den Tod geschworen, wenn nicht durch die Gerichte, so vermittelst seines Dolches.

Er hatte aber schon damals auch wirkliche Zauberei getrieben (sagen seine Richter Das Folgende ist alles den römischen Akten entnommen. ), denn einst auf dem Lande bei Freunden verlangten diese zu wissen: in welcher Stellung in diesem Augenblicke wohl eine gewisse Dame sich befinden möge? Balsamo verhieß es ihnen zu zeigen. Er zeichnete ein Viereck auf die Erde, machte mit den Händen verschiedene Bewegungen in der Luft, und die Gestalt der Dame erschien, wie sie mit drei Freunden Trasset spielte. Man schickte einen Eilboten nach ihrem Schloß, und es war so, wie die Erscheinung es besagte.

Dies wurde den Inquisitoren während der Untersuchung aus Sizilien geschrieben und sie notierten es als wichtigen Beleg zu ihren künftigen Schlüssen.

Für das Folgende, bis zu seiner Ankunft in Rom, fehlten auch den Richtern alle andern bestätigenden Umstände, und sie mußten sich auf Balsamos Bekenntnis verlassen. Er war von Palermo nach Messina entflohen, hatte dort den mythischen Althotas kennen gelernt, der selbst nicht wußte, ob er Grieche oder Spanier war, sich aber für einen großen Chemiker ausgab. Beide schifften sich nach Alexandrien ein, wo Althotas viele chemische Operationen machte, aus Hanf und Flachs Seidenzeuge verfertigte und daran viel Geld verdiente. Von Alexandrien gingen sie nach Rhodus, dort durch ähnliche Operationen Geld machend. Nachdem widrige Winde sie, statt nach Tunis, nach Malta geführt, arbeiteten sie daselbst im Laboratorium des Großmeisters Pinto. Dort starb Althotas. Balsamo ging in Gesellschaft eines Malteserritters und mit Geldunterstützungen des Großmeisters nach Neapel, erwarb sich dort die Zuneigung eines der Chemie ergebenen Fürsten, lebte einige Zeit auf dessen Lehngütern in Sizilien, erneute verschiedene schlechte Bekanntschaften und gelangte endlich nach Rom.

Mit Empfehlungen versehen, hatte er, bald als Abbé, bald als Weltmann gekleidet, Zutritt in verschiedenen angesehenen Häusern. Er ernährte sich durch seine Industrie – er verfertigte mit der Feder und Tusche Zeichnungen, daß sie Kupferstiche schienen und verkaufte sie als solche; ein seltsamer Industriezweig – fand aber bald weit vorteilhaftere Erwerbsmittel in Lorenza Feliciani, einem jungen Dienstmädchen, das er mit Zustimmung ihrer Eltern heiratete. Er lehrte der ebenso schönen als jungen und unschuldigen Frau die Kunst, zu gefallen und zwang sie, dieselbe nach seinem Willen und seiner Anleitung zu benutzen. Als Lorenza bei dem ersten von ihrem Manne veranstalteten Rendezvous der Versuchung widerstanden hatte, empfing er sie mit den bittersten Vorwürfen und Drohungen, indem er ihr erklärte: der Ehebruch einer Frau ist keine Sünde, insofern sie einem Dritten sich nicht aus Liebe, sondern nur zum Nutzen ihres Mannes überläßt! Balsamos Frau, von ihrem Gewissen gepeinigt, des langen Lasterlebens, zu dem ihr Mann sie gezwungen, überdrüssig, trat als Zeugin gegen ihn auf. Cagliostro mußte ihre Enthüllungen bestätigen. – Der erste Lohn für diese Gefälligkeiten fiel indessen für Balsamo nur gering aus.

Wahrscheinlich betrieb er demnächst die Kunst, falsche Wechsel zu schreiben. Gewiß ist, daß er von seinem Freunde und Lehrer darin, einem Marchese Agliata (ein anderer Lehrer und Freund, Ottavio Nicastro, endete später als Mörder am Galgen), der sich selbst für einen Obrist in preußischen Diensten ausgab, ein Patent als Offizier des Königs von Preußen empfing, und daß er selbst den Namen König Friedrichs darunter gezeichnet hat. Vermöge dieses Dokuments kleidete er sich und reiste später als preußischer Offizier.

Mit Agliata und dessen Sekretär unternahm das Ehepaar eine Reise, deren Endzweck ohne Zweifel Gaunereien und Anbringung falscher Wechsel waren. Die Verfertigung der letztern hat Balsamo zwar fortdauernd geleugnet, aber nach den Aussagen seiner Frau und einzelner Zeugen war kaum daran zu zweifeln. In Bergamo, wo sie verhaftet wurden – der Marchese Agliata war glücklich vorher entsprungen – hatte er seiner Frau ein Päckchen mit Wechseln in den Busen gesteckt, mit der Anweisung, es im ersten unbewachten Augenblick zu verschlingen. Sie fand Zeit, es in kleine Stücke zu zerreißen. Auf der ganzen Reise lebte zu Cagliostros großer Zufriedenheit seine Frau als Agliatas Geliebte, während er dessen jungen Sekretär zu sich nahm.

Aus Bergamo verwiesen, befanden sich die Eheleute im größten Elend; Agliata hatte auf der Flucht alle wertvollen Gegenstände mitgenommen. Sie zogen Pilgerkleider an, um nach San Jago in Galizien (Spanien) zu pilgern, ihrer Sünden wegen, sagte Cagliostro vor seinen Richtern. Unterwegs sagte er, es wäre ihnen zur Buße wegen einer Winkelehe verordnet. Als die Almosen der Frommen nur sehr magere Kost einbrachten, zwang er abermals seine Frau, für bessere zu sorgen. »Was nützt dir deine Tugend? Steht dir Gott bei aller deiner Tugend bei?« – Die Offiziere der Garnison von Antibes fanden Donna Lorenza reizend, und mit dem erworbenen Gelde setzten sie ihre Reise bis Barcelona fort. Lorenza wird von den Inquisitoren als von mittlerer Größe, sehr weißem Teint, rundem Gesicht und einer edlen, elastischen Fülle geschildert. Ihre feurigen Augen bei einem sanften, einnehmenden Betragen und einer interessanten Gesichtsbildung mit einem etwas melancholischen Ausdruck wären wohl geeignet gewesen, Begierden zu erwecken.

In Spanien scheint seine Gattin Cagliostros einziges Erwerbsmittel gewesen zu sein. Die bessere Natur siegte in der Frau, so lange sie nicht gezwungen wurde. Balsamo fügte aber seinen Drohungen und Mißhandlungen, wodurch er sie zwang, zu den Männern zu gehen und sich denen wieder anzubieten, welche sie vorher zurückgewiesen, noch die Infamie hinzu, daß er sie selbst dann und wann den Käufern zuführte, für Lorenza das Ja sprach, demütig abtrat, die bestimmte Belohnung, oft eine sehr geringfügige Summe, in Empfang nahm, und sich gehorsam erkundigte, wann er seine Gattin wieder zur Exzellenz führen solle? – So trieb er es in Barcelona, in Madrid, in Lissabon.

Das Theater schien ihm aber hier zu klein, vielleicht auch für seine andere Tätigkeit zu eng. Nachdem er seine Frau gezwungen, bei einer abenteuernden Engländerin, mit der er selbst in Lissabon Umgang pflog, die englische Sprache zu erlernen, siedelte er 1771 nach London über. Sein Hauptgeschäft ging hier vortrefflich. Die südländischen Reize der schönen Römerin fanden reiche Käufer. Cagliostro verstand sich aber auch auf den Betrug, welcher für schlaue Ehemänner schöner Frauen bei den englischen Ehegesetzen so einträglich ist, und daher nur zu oft gespielt wird. Unter andern überraschte er einen Quäker bei seiner Lorenza, und ließ sich nur durch Aushändigung seiner Börse mit hundert Pfund Sterling beschwichtigen; eine Szene, welche der Pater Marcellus in Rom mit besonderer Vorliebe ausmalt, vermutlich um den Quäkern einen Seitenhieb zu geben.

Aber schon damals war der Hang zur Eitelkeit und zur Verschwendung mächtig in ihm. Die Einnahmen zerrannen ebenso schnell als sie leicht gewonnen waren. Im Bunde mit Betrügern ward er von ihnen wieder betrogen und bestohlen. Er kam ins Schuldgefängnis; ein rechtlicher Mann befreite ihn daraus auf Bitten der schönen Lorenza. Er nahm ihn sogar zu sich ins Haus und Balsamo verführte zum Dank dafür die Tochter seines Wohltäters. Cagliostros Richter können nicht oft genug ihre Verwunderung wiederholen, wie ein Mann von so wenig einnehmendem, ja abstoßendem Wesen, eine Rolle wie er in der Welt spielen konnte; noch mehr setzte sein oft gerühmtes Liebesglück bei den Frauen sie in Erstaunen, bis sie durch schärferes Inquirieren, möglicherweise auch nur durch seine Frau, erfuhren, daß die Frauen, welche Cagliostro gewann, sämtlich entweder häßlich, verwachsen oder schon alt waren.

Dies war Cagliostros erste Reise nach England. Sie fällt in die Jahre 1771 und 1772. Er ging von London nach Frankreich, wo er in einem Herrn Duplesir einen neuen Verehrer seiner Frau fand, welcher in der Artigkeit so weit ging, daß er sogar äußerlich die schöne Lorenza als Gattin behandelte. Auf der Reise von Calais nach Paris fuhr sie mit Duplesir in der Chaise, und Balsamo ritt hinterher. Der Freund, entrüstet über Balsamos Unersättlichkeit im Fordern, gab der schönen Frau den Rat, sich von einem solchen Gatten zu trennen, und entweder zu ihren Eltern nach Italien zurückzukehren, oder, wenn sie so fortleben wolle, es lieber auf eigne Rechnung zu tun. Sie folgte dem Rat, bezog ein eignes Quartier, wo Duplesir sie auffand, aber auch Balsamo, der einen Verhaftsbefehl Ludwigs XV. gegen sie erwirkte, und sie einige Monate für diese Treulosigkeit in St. Pelagie einsteckte.

In Paris fing er jetzt ernstlicher an, sich mit seiner späteren Praxis zu beschäftigen. Er betörte ältere Frauen durch seine Liebesversicherungen und lockte ihnen Geld ab durch ein Wasser, welches die Haut elastisch machen und verjüngen sollte. Zwei angesehene Männer umstrickte er als Goldmacher und durch die Versicherung, daß er ein Geheimnis besitze, das menschliche Leben zu verlängern. Als sie mißtrauisch wurden, entwich er mit einer Beute von fünfhundert Louisdor aus Paris, floh mit falschem Paß nach Brüssel, irrte eine Zeitlang durch Deutschland und Italien und erschien plötzlich wieder in Palermo.

Hier aber entdeckte ihn der Goldschmied Marano. Er ward verhaftet, zugleich sollte ihm der Prozeß wegen des verfälschten Testamentes des Marchese Maurigi gemacht werden, und er wäre den Galeeren nicht entgangen, ohne »die Verwendung eines großen Herrn, von dem er verschiedene wirksame Empfehlungen hatte«. Von welcher Art deren Wirksamkeit war, wissen wir aus Goethe: Balsamos Frau hatte sich einem sizilianischen Prinzen überlassen müssen, der dafür den Prozess hintertrieb. So erhielt Guiseppe seine Freiheit wieder. Er ward aus dem Gefängnis entlassen, mit der Weisung, augenblicklich die Stadt zu verlassen.

Er schiffte sich wieder mit seiner Frau nach Malta ein. Seine Hauttinktur verschaffte ihm hier etwas Verdienst, mehr aber seine Kupplergeschäfte. Nach drei Monaten sehen wir ihn aber wieder nach Neapel zurücksegeln. Hier findet er zu seinen chemischen und kabbalistischen Studien einen gelehrigen Schüler in einem reichen Kaufmann, dem er mit Hilfe eines noch erfahrenern Mannes in seinen Künsten, eines Ordensgeistlichen, bedeutende Summen abschwatzt. Diese Kompagnieschaft gefiel ihm aber nicht, und indem er sein Geschäft ins Große zu treiben wünscht, zieht er einen jungem Bruder seiner Frau an sich, der, jung, schön, von einnehmendem Wesen, ein gelehriger Schüler wird und als Kavalier von hoher Geburt die Eheleute auf Reisen begleitet. Wir sehen die Kompagnieschaft wieder in Marseille, dort in einem der schmutzigsten Geschäfte tätig und erwerbend. Balsamo, hier wieder preußischer Offizier, wird der Liebhaber einer schon ziemlich bejahrten Dame von ansehnlichem Vermögen. Diese Dame wünscht indes nicht, um des neuen Verehrers willen einen älteren ganz vor den Kopf zu stoßen, welcher in seiner Jugend ihr sehr teuer gewesen, und auch jetzt noch die alten Neigungen, aber nicht seine Kräfte sich erhalten hat. Zudem ist er sehr reich und eifersüchtig auf die von Cagliostro gewonnene Gunst. Schnell verständigen sich indessen alle drei. Cagliostro verspricht, seinem Nebenbuhler die Jugendkraft wieder zu verschaffen, worüber die beiden Liebenden außerordentlich erfreut sind. Während der, natürlich kostspieligen, Operationen dazu wird aber noch ein anderes Geschäft projektiert. Sein Schwager, der liebenswürdige Kavalier, soll die reizende vierzehnjährige Tochter der alternden Dame heiraten. In Cagliostros Kopfe ging der Gedanke um, aus diesem jungen Mädchen eine ebenso einträgliche Erwerbsquelle als aus seiner Frau zu bereiten. Dieser Plan scheiterte indessen an dem festen Widerstande seiner Frau und seines Schwagers, man weiß nicht ob aus einer edlen Regung, oder weil die Sache ihnen zu gefährlich schien. Beide litten dafür furchtbar durch den rasenden Sizilianer. Inzwischen wurde der alte Liebhaber nicht jung, es bedurfte noch kostbarerer, von weither zu holender Kräuter, zugleich war Balsamos geliebter Schwiegervater in Lebensgefahr, und er mußte schleunigst nach Rom reisen. Beschenkt mit einem schönen Reisewagen und einer ansehnlichen Geldsumme sagte er den vielfach Geprellten Lebewohl.

Plötzlich ist die Gesellschaft in Spanien. Cagliostro operiert in Valencia und Alicante als Doktor Tischio aus Neapel, muß aber in letzterer Stadt demütigende Katastrophen erfahren. In Cadix entlockt er einem leidenschaftlichen Verehrer der Chemie für ein Rezept zum Stein der Weisen einen Wechsel von tausend Scudi. Außerdem soll er ihm noch wertvolle Sachen gestohlen haben. In dieser Stadt löste sich indes schon wieder die Kompagnieschaft mit seinem Schwager, von dem Cagliostro behauptete, daß er ihn bestohlen habe.

Mann und Frau gingen zum zweitenmal nach London. Hier eröffnete sich für ihn ein neuer Erwerbszweig. Einer Miß Fry und einem Mister Scott verkaufte er seine kabbalistische Wissenschaft, die Zahlen voraus zu berechnen, welche in der Lotterie herauskommen würden. Verklagt und verhaftet rettete er sich durch einen falschen Eid, indem seine Frau schwören mußte, daß er von den Klägern kein Geld empfangen habe. Vor Gericht erklärte er dagegen öffentlich, daß er durch Reduktion des astrologischen Kalküls die Lottozahlen voraus bestimmen könne.

Dabei kam noch ein anderes Kunststück zur Sprache. Der Wundermann hatte sich der Kunst gerühmt, Brillanten vergrößern und die Masse des Goldes vermehren zu können. Wenn man die kleinen Brillanten eine gewisse Zeit hindurch in der Erde vergraben liegen lasse, erweichten sie und schwellten auf. Mittelst eines stärkenden roten Pulvers – welches hier zum erstenmal zum Vorschein kommt – würden sie dann gehärtet und bei ihrem vergrößerten Umfang den hundertfachen Wert erreichen. Und die gläubige Miß Fry hatte ihm zu dem Experiment ein Halsband von zweiundsechzig kleinen Brillanten gegeben!

Diese Londoner Gaunereien wurden von ihm unter dem Charakter eines preußischen Obristen, aber schon unter dem Namen Cagliostro verübt. Zur selben Zeit ließ er sich in den Freimaurerorden aufnehmen und begann, jetzt zum Grafen erhoben, seine neue, umfassendere Wirksamkeit als Stifter des ägyptischen Ritus.

 

Mit der Aufnahme Cagliostros in die Londoner Freimaurerei trat ein Wendepunkt in seinem Leben ein; es begann für ihn eine neue Epoche. Ehe wir auf diese näher eingehen, seien den obigen Feststellungen seiner römischen Richter die Angaben gegenübergehalten, die Cagliostro in dem erwähnten Memorandum an das französische Parlament über seine Herkunft und Jugend der Welt unterbreitet.

Er kannte weder Geburtsland noch Eltern und schwankte in Zweifeln und Mutmaßungen. Alle seine vielen Nachforschungen hatten ihm über seine Geburt zwar eine hohe Meinung, aber doch nur ungewisse Nachrichten verschafft. War ihm doch die Nachfrage darüber ernstlich untersagt, als ob es ein Verbrechen wäre!

Im dritten Monat seines Lebens ward er, wie ihm sein Lehrer anzeigte, schon Waise, und brachte seine ersten Lebensjahre in der Stadt Medina in Arabien zu. Nach seiner Versicherung wohnte er in dem Palast des Mufti Selahaym, ging in türkischer Kleidung umher und ward unter dem Namen Acharat erzogen, den er auch viele Jahre hindurch auf seinen Reisen durch Asien und Afrika beibehalten. Von vier Personen ward er bedient; hatte einen Hauslehrer, Althotas, der in einem Alter von fünfundfünfzig bis etwa sechzig Jahren sein konnte; einen Kammerdiener, der ein Weißer war, und zwei Neger, deren einer sich Tag und Nacht um ihn befand. Durch seinen Lehrer bekam er nie Aufschluß über seine Herkunft und Geburt; nur bloß einige Winke darüber, daß seine Eltern von gutem Stande und Christen waren, auch ganz unbestimmte Äußerungen, daß er auf der Insel Malta geboren sei. Seines Jugendlehrers Althotas gedenkt er mit dankbarer Empfindung. Er glaubt von ihm, er habe alle Wissenschaften verstanden, von den abstrakten bis auf jene, die zum Vergnügen dienen – und sich gefreut, die guten Anlagen, die Cagliostro für die Wissenschaften früh schon äußerte, zu pflegen. Besonders verdankt er ihm außer botanischen und medizinischen Kenntnissen alle die Belehrungen, die er ihm erteilte, Gott anzubeten, den Nächsten zu lieben und ihm nützlich zu sein, auch allenthalben die Religion und Gesetze zu achten. Zwar habe er und sein Lehrer sich äußerlich zur Lehre Mahomeds bekannt, aber, wie er sagt, die wahre Religion sei in ihren Herzen gewesen. Der Mufti selbst, in dessen Hause er wohnte, besuchte den jungen Acharat oft und lehrte ihn die meisten orientalischen Sprachen. »Auch,« erzählt Cagliostro, »sprach er mit mir oft von den ägyptischen Pyramiden, von den ungeheuren unterirdischen Labyrinthen, in welchen die Ägypter ihre Schätze von Erkenntnissen verwahrten und gegen allen Verlust sicherten.« Hinweis auf das »wahre Geheimnis« der Maurerei, das viele in einer Pyramide verborgen glaubten.

Durch die Schilderung dieser Dinge hatte ihn der Mufti ganz bezaubert, und im zwölften Jahre wandelte nun unsern Helden die ernstliche Lust an, zu reisen und die Merkwürdigkeiten selbst kennen zu lernen. Medina und seine Jugendspiele hatten, nach seinem Bekenntnis, keinen Reiz mehr für ihn, und sein Lehrer Althotas verließ mit ihm Medina. Er ging mit einer Karawane, die der Lehrer veranstaltete, ab, kam nach Mekka und – wo anders, als in dem Palaste des Sherifs oder Fürsten von Mekka und des benachbarten Arabiens konnte er aufgenommen werden?

Hier gibt man ihm weit prächtigere Kleider, als seine bisherigen waren, stellt ihn am dritten Tage nach seiner Ankunft dem Fürsten vor – er wird von ihm mit ganz besonderer Zärtlichkeit empfangen – und vielleicht ist gar der Fürst von Mekka sein Vater. »Denn bei dem Anblick dieses Fürsten« sagt er, »wurden alle meine Sinne verwirrt, ich vergoß Tränen der Freude und sah, daß der Sherif die seinigen nur mit Mühe zurückhielt. Nie kann ich an diesen Augenblick ohne Rührung zurückdenken.« Drei Jahre blieb er zu Mekka, und mit jedem Tage nehmen die Äußerungen der Zuneigung und der Zärtlichkeit des Sherifs zu. Oft sieht der Jüngling die Augen des Alten voll auf sich geheftet und dann rührungsvoll zum Himmel erhoben. Das erregt sein Nachdenken, seine Neugierde: aber – vergeblich; nie, nie wird sie durch den Hofmeister, nie durch den Neger, der mit ihm in einem Zimmer schläft, nie durch andere, die er darüber fragt, befriedigt. Man ist gegen alle Fragen taub; doch bekommt er durch den Neger die Warnung, nie Mekka zu verlassen; täte er es, so würde er sich, besonders wenn er Trebisonde besuchte, den traurigsten Unglücksfällen ausgesetzt sehen.

Des einförmigen Lebens am Hofe zu Mekka überdrüssig, wünscht er weiter zu reisen. Der Fürst kommt in sein Zimmer; unter den herzlichsten Belehrungen, stets den Ewigen zu verehren und ihm treu zu dienen, unter den feurigsten Umarmungen versichert er ihn, er werde einst glücklich sein; unter Tränenergüssen entläßt er ihn mit dem Zuruf: »Lebe wohl, unglücklicher Sohn der Natur!« und nie sieht er den Fürsten wieder. Mit einer eigens für ihn veranstalteten Karawane geht er von Mekka, wohin er auch nie wiederkehrt, zuerst nach Ägypten. Wo konnte er leichter zu geheimen Kenntnissen und Wissenschaften kommen? Er besucht die berühmten Pyramiden; wird mit den Priestern der verschiedenen Tempel bekannt und vertraut, und diese führen ihn zu den tiefverwahrten Quellen aller Weisheit. »Nie,« sagt er mit der ihm eigenen Bescheidenheit, »betritt einer der gewöhnlichen Reisenden diese Orte.« – Von da bereist er drei Jahre hindurch die vornehmsten Länder in Asien und Afrika.

Auf der Insel Rhodus kommt er im Jahre 1766 mit seinem Hofmeister und dreien Bedienten an, und geht von da mit einem französischen Schiffe nach Malta. Alle anderen sonst aus der Levante kommenden Schiffe müssen hier Quarantäne halten; aber ihm wird es nach zwei Tagen erlaubt, auszusteigen. Der Großmeister Pinto gibt ihm, der immer an Paläste gewöhnt war, eine Wohnung in seinem Palaste, und Zimmer, die nahe beim Laboratorium des Großmeisters liegen. Dem Ritter Aquino, aus dem Hause der Fürsten von Caramanien, wird vom Großmeister der Auftrag erteilt, allenthalben unsern Helden zu begleiten und alles, was Gastfreundschaft heißt, ihm zu erweisen.

Hier legt unser Acharat zum erstenmal europäische Kleider an und mit den Kleidern wechselt er auch seinen Namen. Nicht mehr Acharat, sondern Graf Cagliostro nennt ihn sein Lehrer selbst, den jener, zu seinem Erstaunen, geistliche Kleider, mit dem großen Malteserkreuz bezeichnet, anlegen sieht. Der Ritter Aquino macht ihn mit allen Großkreuzern des Ordens bekannt, er speist an der Tafel der Vornehmsten, der Großmeister Pinto scheint von der Herkunft des Grafen Cagliostro zu wissen, äußert aber doch nichts Näheres und Bestimmtes darüber. Nur ausgezeichnete Hochachtung erweist er ihm und ermuntert ihn, die Ordensgelübde abzulegen.

Aber unser Held hat eine andere Laufbahn fest im Auge! Nur durch die Heilkunde will er groß oder eigentlich seinen leidenden Mitmenschen nützlich werden. Hier indessen auf der Insel Malta trifft ihn ein wichtiger Verlust. Sein Althotas stirbt, nachdem er ihm vorher die Hände gedrückt und zu ihm gesagt hat: »Mein Sohn! Fürchtet den Allerhöchsten und liebet Euren Nächsten. Bald wird sich die Wahrheit aller meiner Lehren, die ich Euch erteilte, rechtfertigen.« Nun ist ihm auch Malta zuwider – er dringt in den Großmeister, ihn weggehen und Europa durchreisen zu lassen, und dieser willigt nur unter der Bedingung ein, daß er dereinst wieder nach Malta zurückkehre. Der Ritter Aquino nimmt's auf sich, ihn zu begleiten und für seine Bedürfnisse zu sorgen.

Von einem solchen Ritter, der, wie wir vorher hörten, aus fürstlichem Stamme war, begleitet, geht Cagliostro zuerst nach Sizilien, und der Adel dieses Landes bewirbt sich um seinen Umgang und seine Freundschaft. Er besucht verschiedene Inseln im Archipelagus, kommt von da wieder durchs Mittelländische Meer zurück und landet zu Neapel, dem Vaterland des Ritters Aquino. Ohne diese Begleitung geht er nach Rom. Er will das strengste Inkognito beobachten; allein eines Morgens, da er einsam in seinem Zimmer war und sich mit Übungen in der italienischen Sprache beschäftigte, kündigte ihm sein Kammerdiener an, daß der Sekretär des Kardinals Orsini ihm seine Aufwartung machen wolle. Dieser nötigt ihn zum Kardinal, der ihn äußerst höflich empfängt und durch den er nun, ungeachtet seines Inkognitos, mit den römischen Prinzen, mit dem Kardinal York und besonders dem nachmaligen Papst Clemens XIV., Ganganelli, bekannt wird. Mit dem damals regierenden Papst Rezzonico aber kommt's bis zur Vertraulichkeit, und Graf Cagliostro hat mit ihm viele besondere Konferenzen.

Hier lernt er im Jahre 1770, da er zweiundzwanzig Jahre erreicht hatte, das Fräulein Seraphine Feliciani kennen. Sie erweckt bei ihm, durch ihre Reize, eine Leidenschaft, die in einer sechzehnjährigen Ehe noch immer gewachsen ist. Nun macht er in einer so angenehmen Begleitung Reisen durch ganz Europa, erscheint an allen Höfen und nennt uns in seinem Mémoire diejenigen, mit denen er genauere Bekanntschaften anknüpfte. Er ist in Spanien gewesen, und der Herzog von Alba, sein Sohn, der Herzog von Vascard, der Graf Prelato, der Herzog von Medinaceli, der Graf von Riglos, ein Anverwandter des Grafen von Aranda, spanischen Botschafters am französischen Hofe, werden seine Freunde. In Portugal wird er durch den Grafen St. Vincenti dem Hofe vorgestellt. In Holland verkehrt er mit dem Herzog von Braunschweig, in London mit dem »Adel und dem Volk«. Alle deutschen Höfe hat er ebenfalls aufgesucht. In Kurland zählt der Herzog zu seinen Vertrauten, in Petersburg sind seine Freunde der Fürst Potemkin und die Generale Narischkin und Gallizin. »Alle diese Personen,« setzt er hinzu, »von denen die meisten noch leben, haben mich gekannt. Sie alle mögen es laut bezeugen, ob ich jemals eine Gunst von ihnen begehrt; ob ich je die Protektion der Souveräne, die mich aus Neugierde kennen lernen wollten, erbettelt habe.«

 

Haben wir mit dem Auszug aus Cagliostros Mémoire an das französische Parlament den späteren Ereignissen vorgegriffen, so kehren wir jetzt zu seinem Londoner Aufenthalt zurück, der Cagliostro durch die Aufnahme in den Freimaurerorden aus einem gewöhnlichen Gauner und Zuhälter zu dem machte, was er jetzt rasch wurde: ein Mysterienschwindler größten Stiles.

Es steht fest, daß es damals in der Freimaurerei eine Menge von abergläubischen Phantasten und Schwärmern – nicht nur in London – gab, die darauf hinarbeiteten, in nähere Gemeinschaft mit Gott zu treten, indem sie zunächst mit der Geisterwelt in Verbindung zu kommen suchten, die den Verkehr zwischen Gott und den Menschen vermittele. Das Rosenkreuzertum und Swedenborgs Theosophie wurden mit diesem Schwärmertum verquickt zu einem magischen Blödsinn, der in der folgenden Weisheit gipfelte: die Welt steht in der Gewalt von Geistern, die stufenweis in ihrer Macht aufeinander folgen; alle unteren Stufen sind der höheren untertan, und die Geister der höchsten Stufe folgen nur den Befehlen Gottes. Je nach ihrer größeren oder geringeren Tugend wären die Menschen imstande, mit allerlei mystischen Hantierungen und Formeln, mit Kreuz, Dreieck und Zirkel, eine gebietende Macht über die Geister der einzelnen Stufen zu erlangen; wer so begnadet war, daß er Geistern einer der höchsten Stufen befehlen konnte, der vermochte Tote zu zitieren, besaß die Gabe des Hellsehens und verstand die Kunst, die materia prima zu bereiten. Das letztgenannte Geheimnis wurde indes nur solchen zuteil, die in der Tugend den höchsten Stand der Vollkommenheit erreicht hatten; es bestand darin, mit Hilfe Gottes und seiner mächtigsten Geister der obersten Stufe Quecksilber durch chemische Vorgänge in festes Silber zu verwandeln, das dann zu Golde wurde – ja, man konnte mit der materia prima überhaupt alle Metalle in Gold verwandeln! Solche Ideen fand Balsamo in den Londoner Logen vor, und da er zufällig bei einem Buchhändler einige Manuskripte eines gewissen George Cofton über die ägyptische Maurerei entdeckte, begann er, die Londoner Logen nach diesem ägyptischen Ritus zu »reformieren« und allmählich sein »System« zu bilden, das ihn am meisten in der Welt berühmt machte. Wir werden es später bei Cagliostros Aufenthalt in Mitau und dann in Lyon noch genauer kennen lernen. (Siehe Seite 169 ff. und 234 ff.)

Kehren wir indes noch einmal nach London zurück, wo Cagliostro seinem Leben die entscheidende Wendung gab. Der Welt war er bis dahin unbekannt geblieben; etwas mehr wußte von ihm nur die Polizei zahlreicher europäischer Städte. Da begann um die Mitte der siebziger Jahre die Kunde von einem außerordentlichen Wundermann von London her sich zu verbreiten. Er war ein Italiener dem Namen und der Sprache nach, und galt für einen Obristen in preußischen Diensten. Er hatte, wie er selbst eingestand, durch die Verhältnisse veranlaßt, verschiedene Namen in den verschiedenen Ländern geführt, deren er sich auch später noch gelegentlich bediente, als Marchese Pellegrini, Marchese d'Anna, Marchese Balsamo, Conte Fenix, aber derjenige, den er zumeist führte und zuletzt beibehielt, war Conte Alessandro Cagliostro. Der preußische Obrist Graf Cagliostro leugnete gegen seine Verehrer nicht, daß auch dieser Name ein nur durch die Umstände ihm aufgedrungener sei, daß ein Geheimnis über seiner Geburt, seinem Stande und seinem Alter schwebe. Vertrauten sagte er wohl, er glaube, daß die Insel Malta sein Geburtsort sei. Gegen andere ließ er Winke fallen, daß er das Kind einer geheimnisvollen Liebe und seine Eltern der Großmeister des Malteserordens und eine Fürstin von Trebisonde seien. Drang man in ihn, so versank er in ein seltsames Schweigen. Zuweilen fuhr er wie aus tiefem Nachdenken auf und rief mit Stolz: »Ich bin, wer ich bin.« Dann ergriff er ein Papier und zeichnete seine Devise: eine Schlange, im Munde einen Apfel; der Schwanz lief in einen Pfeil aus. Dies war seine Antwort auf die dringender an ihn gerichteten Fragen.

Häufiger sprach er von seinen Reisen, seinen Kenntnissen und wunderbaren Studien. Er war in den fernsten Weltteilen gewesen und dort bewandert. Am liebsten aber verweilte er bei seinem Aufenthalt in Mekka und unter den Pyramiden. Dort hatte er seine Wissenschaft erworben und war in die Geheimnisse der Natur eingedrungen.

Erschienen seine Angaben den Zuhörern bedenklich wegen des weit zurückgesetzten Datums, so schwebte ein bedeutungsvolles Lächeln über seine Lippen. Er konnte alles dieses und noch mehr erlebt haben, denn einigen Gläubigen hatte er vertraut, daß er als Gast bei der Hochzeit von Kanaan gewesen, andere wußten, daß er schon vor der Sintflut gelebt. Hierin zeigte er nichts unerhört Neues, denn schon der Graf von St. Germain zeigte in seinem Stammbuch einen Spruch, den ihm Montaigne vor mehreren hundert Jahren auf sein Bitten eingeschrieben, und auch dieser berühmte Mann war ja bei jener Hochzeit anwesend gewesen.

War es schon ungewiß, wer Cagliostro war, so war es noch ungewisser, was er vermochte. Fast schien es, daß diesem Manne eine Allwissenheit und eine Macht über alle Gebiete der Natur, auch in ihren noch von keinem Sterblichen betretenen Regionen, zu Gebote stand. Er war ein Arzt, und man sprach von wunderbaren Kuren, die er verrichtet. Man erzählte sich, daß er keine Bezahlung dafür nehme, denn er brauche kein Geld. Er war in der Kabbala bewandert und wußte durch Reduktion des astrologischen Kalküls die Lottozahlen vorauszubestimmen, welche herauskommen würden. Er verstand die Kunst, die Brillanten zu vergrößern und die Masse des Goldes zu vermehren. Ob er Gold wirklich machen konnte, ob er den Stein der Weisen besaß, wurde nicht geradezu behauptet, aber man durfte mit Grund mutmaßen, daß er auf dem Wege zu dieser Kenntnis und diesem Besitze sei. So viel ist gewiß, er besaß eine Flüssigkeit, welche er Ägyptischen Wein nannte, und Pulver, welche unter dem Namen der Erfrischenden Pulver des Grafen Cagliostro bekannt waren, die beide ihm außerordentlichen Zuspruch und große Gunst verschafften, da sie die Lebenskräfte um ein Bedeutendes zu steigern vermochten. Außerdem führte er mit sich ein Wasser oder eine Pomade, welche die Haut der Frauen wieder frisch und runzellos machte, die außerordentlich gesucht wurde.

Daß auch schon damals manche Zweifel an diesen Wunderdingen und seiner Persönlichkeit auftauchten, darf nicht in Abrede gestellt werden; und es sei hier im voraus eingeschaltet, daß er später bekannte, wie sein ägyptischer Wein aus gewöhnlichem Weine, nur mit vielem Gewürz angemacht, bestanden, wirksam allerdings, jedoch nur um sinnliche Begierden zu erwecken; und daß die Erfrischenden Pulver aus Endivien, Wegewart, Salat und andern gemeinen Kräutern bereitet gewesen. Auch wurden seine Heilerfolge und Prophezeiungen nicht allgemein geglaubt; im Gegenteil sah er sich sogar gerichtlichen Verfolgungen und unangenehmen Prozessen ausgesetzt. Aber seinem Rufe konnte dies keinen Abbruch tun; London ist eine große Stadt, und wer in diesem Viertel als Charlatan erkannt ist und vor Gericht gestanden hat, mag in einem andern als desto größeres Licht wieder auftauchen. Zudem erschien er unter verschiedenen Namen, mit großer vornehmer Keckheit, und die Londoner Polizei war in jenem Fache nicht besonders gewitzigt. Was ihm dagegen glückte, ward von seinen Anhängern, deren er sich schon hier eine ungemein große Anzahl erworben, vielfach verbreitet, und auf solchen Wegen, wo weder die Polizei noch die Kritik Einfluß haben. Und doch war auch hier schon die Presse, und zwar die Zeitungspresse gegen ihn aufgetreten. Aber Cagliostro war mit kecker Stirn ihren Anfeindungen entgegengetreten, und sie hatte weder ihm noch seinem Rufe etwas anhaben können.

Und wie sollte das auch sein? Der Graf Alessandro Cagliostro war ein vornehmer Mann, der im Glanz des Reichtums, im Umgang mit hohen, ausgezeichneten Personen lebte, der verschwenderisch Almosen austeilte, Arme und Reiche, die zu ihm kommen mußten, heilte, und ohne Bezahlung! Er konnte jene Anschuldigungen verachten; er war aber nicht allein reich und vornehm, sondern auch im Besitz einer schönen und jugendlichen Gattin, der Gräfin Seraphine Feliciani, welche alle verführerischen Reize einer Römerin besaß, und zu ihren Füßen Anbeter aus den höchsten Ständen sah.

Doch alle jene Künste und Vollkommenheiten waren zu den Beziehungen, welche er zu der unfaßbaren Welt hatte, nur Stückwerk. Er mochte das Leben anderer durch physische Mittel verlängern können, er mochte selbst ein hohes Alter durch jene geheimnisvollen Kräfte zu verbergen wissen; daß aber sein Blick und sein Wille bis in das Reich der unerschaffenen Geister reiche, daß er sie sehe, höre, daß er vielleicht die Macht habe, auch andere, die sich ganz seiner Führung hingaben, zu dieser himmlischen Erkenntnis zu führen, ahnten die Halbeingeweihten, und die Menge blickte den Propheten mit staunender Verwunderung an.

Da ließ er sich in den Freimaurerorden aufnehmen. Nicht um zu lernen, sondern um zu lehren. Bald trat er als völliger Reformator auf und zeigte denen, welche ihn in ihre Weisheit einweihen wollten, daß sie selbst der echten Weisheit entbehrten, daß ihr Orden von seiner ursprünglichen Bestimmung abgewichen und seine ursprüngliche Reinheit verloren habe, daß eine Rückkehr, eine Palingenesie notwendig sei. Er sei berufen, die Versunkenen wieder zu erheben, und zum uralt ägyptischen Ritus zurückzuführen, da aus Ägypten, wie er aus den Pyramiden wisse, der Freimaurerorden hervorgegangen. Sein Anhang wuchs nun rasch ins Große. Er wurde von seinen Verehrern nahezu vergöttert, sein (und seiner Frau) Bildnis trug man auf Fächern, in Medaillons und Dosen, mit der Unterschrift Divo Cagliostro, der göttliche Cagliostro.

Der sizilianische Gauner und Zuhälter hatte seinen wahren Beruf entdeckt und die »Lebenslinie« gefunden. Seit Cagliostro in London die »wahre«, die »ägyptische« Freimaurerei gestiftet hatte, gewann er als Hüter solcher Logen und Verwalter der tiefsten und ältesten Geheimnisse in diesen Kreisen überall eine hervorragende Stellung.

Von London reiste er nach dem Haag, wo er sofort mit seinem ägyptischen System die Führung der Freimaurerschaft an sich riß. Einer der Sätze des neuen Systems war: daß auch die Frauen in den Orden aufgenommen werden könnten. Auf Andringen der Brüder stiftete er im Haag eine Loge für das weibliche Geschlecht. Die Gräfin Cagliostro ward die Großmeisterin.

So nach seinen Angaben vor dem Richter. Derselbe hat aber noch mehr über seinen Aufenthalt im Haag ermittelt. Balsamo entzifferte hier auch aus den Sternen die Nummern, welche in der nächsten Lotterie in Brüssel herauskommen würden. Während ein Holländer, ein eifriger Freund des Lottos, nach Brüssel reiste, um die Nummern dort zu besetzen, verließ indes auch Cagliostro mit seiner Gattin den Haag, und zwar mit vierhundert bis fünfhundert Talern, welche der Holländer ihm gezahlt, und wir finden ihn zunächst in Venedig wieder. Als Marchese Pellegrini treibt er chemische Kunststücke mit einem venetianischen Kaufmann. Er will ihn lehren, das Quecksilber zu fixieren, Hanf in Seide zu verwandeln und – Gold zu machen, wofür er tausend Zechinen von ihm erhalten hat. Da das Quecksilber flüssig, der Hanf Hanf blieb, und Gold nicht aus dem Tiegel kam, hielt es der Marchese für angemessen, schleunigst die Inselstadt und auch Italien zu verlassen, und sich nach Deutschland zu wenden, wo er wieder als Graf Cagliostro auftrat.

Nur mit einigen Freimaurern hatte er in Venedig Bekanntschaft gemacht. Im Gasthause in Nürnberg traf er mit einem vornehmen Edelmanne zusammen, den er und der ihn durch die gewechselten Zeichen sofort als Bruder erkannte. Der Kavalier merkte bald aus dem Gespräche mit dem Fremden, daß er es mit einem nicht allein tief in die Geheimnisse des Ordens eingeweihten Priester, sondern vielleicht mit dem inkognito reisenden Großmeister des Ordens zu tun habe. Als Cagliostro ihm die Schlangendevise zeigte und in den Chiffern seinen Namen lesen ließ, stieg des Edelmanns Erstaunen und Ehrfurcht vor dem Unbekannten dermaßen, daß er ihn bat, einen kostbaren Diamantring als Zeichen der Verehrung von ihm anzunehmen.

Cagliostro kam nach Leipzig, eine Stadt, berühmt durch Schrepfers verhängnisvollen Ausgang. Die Begierde nach den Mysterien schien dadurch noch nicht getilgt. Aber die Freimaurerlogen fand er in einem traurigen Zustande. Die Ordensbrüder waren in Gottlosigkeit befangen und gaben sich mit Zauberkünsten ab. Die Brüder von der strengern Observanz besuchten ihn und erkannten bald, welchen außerordentlichen Mann voll tiefer Kenntnisse ihnen das Schicksal zugeschickt. Bei den festlichen Gastgelagen, welche ihm zu Ehren gegeben wurden, war die Zahl Drei, nach Sitte der Leipziger Freimaurer, in allen Gegenständen bei Tische beobachtet. Die Flaschen, die Schüsseln, die Trinkgläser, die Salzfässer, die Kuchen, immer zu drei aufgestellt! Übrigens wurde die Loge stets bei Tische abgehalten, und Cagliostro ermangelte nicht, erbauliche Anreden über sein ägyptisches Lehrgebäude zu halten und gegen die Gottlosigkeit der Leipziger Ordensbrüder zu eifern.

Als Cagliostro aus Leipzig abreiste, fand er im Gasthofe seine Rechnung schon durch seine bewundernden Anhänger bezahlt. Außerdem gaben sie ihm ein ansehnliches Geschenk an Geld mit auf den Weg.

Er kam nach Berlin. Nach der Angabe der römischen Akten wäre er von Nürnberg über Berlin nach Leipzig gereist. Auf die Topographie kam es den Inquisitoren nicht an. Hier hielt er sich nur kurze Zeit auf. Er wagte keine Neuerungen in dem Berliner Freimaurerorden zu versuchen, weil – sagt Pater Marcellus, mit einem Seitenhiebe auf Friedrich II. – die dortigen Logen unter dem furchtbaren Schutze der Bajonette standen.

In Danzig ward Cagliostro von den Freimaurern mit den ausgezeichnetsten Ehrenbezeigungen empfangen. Er besuchte alle Logen der strengern Observanz, und seine Reden über den ägyptischen Ritus wurden mit allgemeinem Beifall aufgenommen. Diese Reden, wie der Gefangene noch mit Stolz die Richter versicherte, dauerten immer, voll Salbung und Erhabenheit, eine, oft zwei, drei Stunden und umfaßten alle geistlichen und weltlichen Wissenschaften. Das war die Wirkung einer besondern Gunst von oben. Gott stand ihm unwandelbar bei und leitete ihn bei seiner Reinigung des Freimaurerordens, wobei es seine große Absicht war, die katholische Religion fortzupflanzen, indem er den Glauben an das Dasein Gottes und an die Unsterblichkeit der Seele durch Worte und Taten lehrte und gegen das abergläubische, zauberische System der entarteten Freimaurer eiferte – sagte Cagliostro seinen Richtern! Die Zuhörer wurden oft so davon ergriffen, daß sie die Reden niederschrieben, und die Abschriften als Losung des Glaubens bei sich trugen.

Rußland war das Ziel seiner Reise. In der Hauptstadt des großen Reichs, mit seinen reichen Großen und einer erhabenen Kaiserin, welche mit ihrem alles umfassenden Genius die alte Barbarei reformierte, hoffte er den rechten Wirkungskreis für seine Taten zu finden. Am 25. Februar 1779 war er in Königsberg in Preußen eingetroffen. Hier können wir die römischen Berichte beiseite lassen; andere Zeugen helfen uns von nun an weiter. Nach dem Fremdenanzeiger war der Graf Cagliostro, von Rom nach Petersburg reisend, im Gasthause bei Schenk in der Kehrwiederstraße abgestiegen. Er machte keine Sensation. Man hatte von ihm gehört, man kannte ihn aber noch zu wenig. Er ward bald inne, daß die philosophische Luft seinem System nicht zuträglich war. Mit dem Volke konnte er nicht in Berührung kommen, da er nicht Deutsch konnte. Er ward in den Häusern einiger Vornehmen empfangen, aber seine Erscheinung machte nicht den erwarteten Eindruck.

Das Porträt, welches Pater Marcellus von ihm entwirft, ist folgendes: Wer ihn sah, konnte in seinem Äußern ebensowenig etwas Anziehendes entdecken, als es sein Umgang war. Klein von Gestalt, braun von Farbe, mit einem ansehnlichen Bauche, mit Augen, die schielten, sprach er Italienisch und Französisch in einer sizilianischen Mundart, daß es wie hebräisch klang. Ihm mangelte alles, was in der feinen Welt besticht.

Im wesentlichen dasselbe Bild entwirft uns der Königsberger Kirchenrat Borowski, der die Zeugnisse verschiedener Personen, welche ihn auf seinen Reisen gesehen, zusammenfaßt. Cagliostro war ein kleiner, dicker, sehr breitschultriger Mann, mit rundem Kopf und schwarzen Haaren, gedrungener Stirn, starken, feingeränderten Augenbrauen, schwarzen, glühenden, trübschimmernden, stets rollenden Augen; einer etwas gebogenen, fein zugerundeten, breitrückigen Nase. Die Lippen waren rund, dick, auseinandergerissen, das Kinn fest, hervorstrebend, mit runder, eiserner Kinnlade. Ein feines, kleines Ohr, eine kleine, sehr fleischige Hand, ein kleiner schöner Fuß. Er war überaus vollblütig, rotbraun von Teint, mit einer gewaltig klingenden, vollen Stimme. – Diese Schilderung läßt sich wohl in Einklang bringen mit der seiner Verehrer, die von einer Gestalt sprechen, welche Verstand und Genie verkündigen sollte, und von alles beherrschenden Feueraugen.

Der Kanzler von Korff, welcher in Königsberg durch seine Urteile den Ton angab, erklärte in einer Gesellschaft: »Kinder, der Kerl ist wahrhaftig ein verkleideter Bedienter, trauet ihm nicht.« – Ein andermal äußerte er: »Er mag den Henker ein Graf oder dergleichen sein – ein Jesuit oder ihr Emissär mag er sein.« Von nun an sprach man von der Pöbelhaftigkeit seiner Sitten. Nur von einigen wenigen ward er besucht, welche doch etwas Außergewöhnliches von ihm erwarteten, aber ohne besondere Befriedigung wieder fortgingen. Von dem Eindruck, den seine Gattin hervorgebracht, verlautet hier gar nichts. Er fuhr noch vor die Tür einiger angesehener Männer, ward aber nicht angenommen.

Unwillig verließ er Königsberg nach kurzem Aufenthalte und schüttelte den Staub der Stadt vor dem Roßgärtener Tor von seinen Sohlen, um nach Kurland zu reisen.

Er selbst sagte vor der Inquisition aus, daß er in Königsberg ebenso verfahren, und es ihm ebenso gegangen sei, als in Danzig, Leipzig und den andern Orten. Überall säete er den Samen der wahren Gottesfurcht unter den Freimaurern aus, und fand dagegen unter ihnen Atheismus, Zauberei und die offenbare Absicht: alle monarchische Gewalt herabzuwürdigen.

Von Königsberg fuhr Cagliostro nach Mitau, wo er im März 1779 eintraf. »Wenn überhaupt,« so schreibt Sierke, »über die Art und Weise Genaueres bekannt geworden ist, mit der Balsamo in dieser zweiten Periode seines fahrenden Schwindlertums zu Werke gegangen ist, um die Gemüter zu betören und daraus Nutzen zu ziehen, so verdanken wir diese Kenntnis den verdienstvollen Aufzeichnungen einer ebenso edlen als gewissenhaften Frau, der bekannten Freifrau von der Recke Nachdem Elisa von der Recke ihre Schrift hatte erscheinen lassen, bekam sie mehrere sehr anerkennende Briefe deswegen von Katharina II. In einem schreibt die kluge Frau: »Es ist freilich tief zu beklagen, daß am Ende des achtzehnten Jahrhunderts sich neuerdings Meinungen ausbreiten, die schon seit Jahrtausenden als falsch und vernunftwidrig anerkannt und als solche von allen anständigen Leuten verachtet und verworfen worden sind. Allein wenn auch schon die Schar der Betrüger wieder überhand genommen und die Zahl der Betrogenen gleichmäßig zugenommen hat, so ist dennoch zu hoffen, daß allen diesen Anhängern der Isis-Tempelei, ihrem Aberglauben und allen damit verbundenen Träumen eben der Verfall bevorstehe, dem sie vorzeiten unterworfen gewesen; absonderlich, wenn so gute Federn, wie die Ihrige den Schleier des Unsinns, worin sich diese geheimen Gaukeleien einhüllen, von denselben abzunehmen und den Weltbürgern so kräftige Gegengründe dawider darzureichen, fortfahren werden.« .« Aber so wertvoll auch die Enthüllungen und Geständnisse der Frau von der Recke sind, mancherlei Rücksichten zwangen sie doch, nicht alles zu sagen, was sie wußte, und sie wußte auch nicht alles, was über Cagliostros Treiben in Mitau zu sagen war, und bevor ich den Wortlaut der Reckeschen Schrift hier einfüge, sei kurz noch erwähnt, was Pater Marcellus aus den römischen Akten, d. h. Cagliostros und seiner Frau Geständnissen und Aussagen über den Aufenthalt in Mitau berichtet.

Cagliostro betrug sich in Mitau, nach seinem Selbstzeugnis, »wie große Weltmänner zu tun pflegen«. Er stand im nächsten Umgange mit allen Großen der Stadt und des Landes. Er beherrschte sie dermaßen, daß er ihnen (sagt er) Abneigung gegen ihren Herzog einflößte. Ihre blinde Verehrung stieg zu einer solchen Höhe, daß sie ihm (sagt er) den Thron anboten, und den rechtmäßigen Herzog verstoßen wollten. Aber aus schuldiger Achtung gegen den Souverän (sagt er) widerstand er der Versuchung und schlug das Anerbieten aus. – Seine Frau versicherte, seine Weigerung sei aus der Überlegung entsprungen, daß er auf dem Throne von Kurland nicht allzu fest sitzen werde, und daß ihm seine Maske früh oder spät dürfte abgerissen werden Cagliostros Frau räumt also die Tatsache ein, daß ihm der Thron angeboten wurde! .

Ein Thron ward ihm angeboten, aber (mußte er zugleich bekennen) es hatte sich auch ein Großer daselbst in seine Frau verliebt und Cagliostro riet ihr an, da er sehr reich war, seinen Wünschen sich zu ergeben. Mit vielen Geschenken an Silber, Gold und Juwelen, und noch reicher, meinte er, an Ruhm, verließ er Kurland und reiste nach der nordischen Hauptstadt.

So Cagliostro über seinen Aufenthalt in Mitau vor den Richtern in Rom.

Ein weiteres Zeugnis haben wir in einem Brief des Mitauer Professors Ferber an den Berliner Buchhändler Nicolai, vom März 1787, worin der erstere als ehemaliges Mitglied der Cagliostro-Loge in Mitau schreibt: »Cagliostro hat nie gut geredet, konnte keine einzige Sprache recht, fraß viel und gerne, war also nicht mäßig, war Libertin, obschon Elisa es nicht weiß, und brauchte sein Weib durch ihre verliebten Lockungen bei gewissen Leuten, um sie zu gewinnen, war übrigens ein ungezogener und ungeschliffener Kerl.« Damit wollte Ferber, der das Manuskript der Reckeschen Schrift von Nicolai zur Durchsicht erhalten hatte, einige Unrichtigkeiten und Lücken in demselben richtigstellen. Später hat Ferber an Nicolai noch das folgende geschrieben, was Elisa von der Recke wohl aus Schamgefühl verschwiegen hat: Bei der Aufnahme in die Loge d'Adoption der drei gekrönten Herzen mußte jede Frau Cagliostro fünf Küsse geben und ebenso die Logenbrüder küssen. Bei Logenfestlichkeiten ordnete Cagliostro öfters an, daß der Nachbar die Nachbarin, und so die ganze Reihe durch, zu küssen habe. Ferber hebt hervor, daß wenn Frau von der Recke abwesend war, Cagliostro in Äußerungen sowohl wie Handlungen auch noch um einiges weiter ging; Cagliostro hätte sich in der Recke Anwesenheit verstellt, so daß ihr seine unmoralischen Gesinnungen größtenteils verborgen geblieben wären. Tatsächlich hat sie denn auch den Schwindler als nicht so gemein in Lebensgewohnheiten und Lebensgenüssen, als nicht so grob, anmaßend und albern in seinen mystischen Behauptungen geschildert, als er es in Wirklichkeit war.

Da auch die Frau von der Recke in Cagliostro ein gefährliches Werkzeug der Jesuiten erblickte, so ist hier wohl der Ort, einiges über die damalige Jesuiten-Riecherei zu sagen. Es wurde schon bemerkt, daß die Reaktion gegen die Aufklärung, die berechtigt war, soweit Ansprüche des Herzens sich gegen den nüchternen Verstand geltend machten, die Farbe der Mystik annahm, die in Geheimgesellschaften gepflegt wurde. Nicht lange vorher hatte Papst Clemens XIV. den Jesuitenorden aufgehoben, und es ist kennzeichnend, daß sein dreizehn Monate später erfolgter Tod vielfach als Racheakt der Jesuiten angesehen wurde; die Jesuiten hatten den Papst mit Gift beseitigt. Es ist heute schwer zu sagen, wie weit die Jesuitenfurcht nach Aufhebung des Ordens berechtigt war und wie weit sie eben nur als das Produkt der Angst und der Einbildung zu gelten hat. Es ist aber kaum zweifelhaft, daß die jesuitische Gefahr maßlos übertrieben wurde – wie z. B. die Spionagegefahr zu Beginn des Krieges – und es ist ebenso zweifellos, daß die Jesuiten die Hinneigung zur Mystik unterstützt und gefördert haben, um ihren Einfluß aufs neue zu begründen. Der Glaube an die neue Magie, die okkulte Richtung der geheimen Gesellschaften waren ihren Zwecken sehr dienlich, denn in der dünnen Höhenluft rationalistischer Denkart können jesuitische Pläne nicht gedeihen. Tatsächlich haben auch damals mystisch-katholisierende Bücher wie »Des Erreurs et de la Vérité« und »Saint Nicaise« in protestantischen Ländern Bewunderer gefunden, und der Katholizismus gewann erneut Macht über die Gemüter in Deutschland. Aufgeklärte Schriftsteller übertrieben derartige Tatsachen in ihrem Bestreben, eine neue drohende Verfinsterung der Vernunft abzuwehren, und in den Kreisen der Aufklärer und Aufgeklärten brach eine wahre Epidemie von Jesuitenriecherei aus. Swedenborgs theosophische Träume, Lavaters süße, gläubige Verzückungen, Jung-Stillings Seelenverwandtschaft mit der Geisterwelt hatten für sie ebenso einen jesuitischen Ursprung wie die »Wunder« eines Mesmer, Schrepfer und Gaßner. Überall sahen sie verkappte Jesuiten und geheime, vom Protestantismus abgefallene Katholiken; und ganz in der Art des Don Quijote kämpften sie gegen die große, wohl organisierte, nirgends faßbare aber überall wirksame Verschwörung des Jesuitismus, von deren Vorhandensein sie ebenso überzeugt waren, wie heutigentages viele an den weltumspannenden jüdischen Geheimbund glauben. Im Mittelpunkt dieser Bewegung stand der Berliner Buchhändler und Schriftsteller Nicolai, der spätere Verleger von Elisas Cagliostroschrift. Nachdem dann gar einige der damals so überaus zahlreichen deutschen kleinen Fürsten zur römischen Kirche übergetreten waren, erreichte die Jesuitenriecherei ihren Höhepunkt, und es ist eine grimmige Ironie, daß die Aufgeklärten und Aufgeklärtesten, gerade die, die an die Geister Schrepfers, Swedenborgs und Cagliostros am wenigsten glaubten, rings um sich die Gespenster der Jesuitenverschwörung sahen.

Auch Elisa von der Recke ist, was bei ihren nahen Beziehungen zu Nicolai nicht wundernehmen kann, erfüllt von der Vorstellung der mächtigen unterirdischen Jesuitenorganisation, und es ist nicht mit Unrecht, daß man ihr beim Bekanntwerden ihrer Cagliostro-Schrift vorgeworfen hat, sie sei von einem Extrem ins andere gefallen: »aus der Geisterseherei in Nicolaitische Gespensterseherei und Jesuitenriecherei.«

Irgend ein Beweis dafür, daß Cagliostro nicht ganz auf eigene Faust, sondern im Dienste irgend einer geheimen Gesellschaft gehandelt, ist nie erbracht worden, nicht einmal ein hinreichendes Verdachtsmoment liegt vor. Man hat die Annahme verbreitet, Cagliostro sei den Jesuiten zu groß und mächtig und für ihre Sache gefährlich geworden, indem er ihnen aus der Hand glitt, und sie hätten ihn fallen lassen und eingesperrt, um ihm den Mund zu verschließen; aber dem widerspricht, von allem anderen abgesehen, schon allein die Erwägung, daß die Jesuiten, die jederzeit über die feinsten Köpfe verfügten, sicherlich niemals eines so unzuverlässigen Menschen wie Cagliostro sich bedient haben würden. Und wenn man Cagliostros Verbindung mit den Jesuiten damit glaubhaft machen will, daß man alles Gewicht auf die Frage legt, wie er denn seinen großen Aufwand ohne die Geldhilfe seiner geheimen Auftraggeber hätte treiben können, so ist doch zu bedenken, daß sicher nur der allerkleinste Teil gerade von Cagliostros Geldschneidereien bekannt geworden ist und er mit seinen Prellereien, namentlich bei angesehenen Leuten, Unsummen »verdient« hat, ohne daß die Betrogenen den Mut gefunden hätten, ihre Verluste anderen einzugestehen. Auch hier ist von besonderer Bedeutung, und berechtigt zu weiteren, verallgemeinernden Schlüssen, was Elisa von der Recke uns von den achthundert Dukaten des Herrn von der Howen enthüllt, und der Graf Mosczynski, der den Wundermann in Warschau unmöglich machte, berichtet, daß er hinter gewaltige Prellereien Cagliostros kam, aber die polnischen Magnaten wollten lieber zu allem stillschweigen, als zugestehen, daß ein Halunke wie Cagliostro sie übers Ohr gehauen hätte. Die Furcht vor der Blamage bei den Betrogenen ist einer der besten Bundesgenossen der Betrüger; er schützt sie oft gänzlich vor der Entlarvung. Mir ist z. B. aus jüngster Zeit ein typischer Fall bekannt, wo ein gewisser Heinrich Michalski mit dem schwindelhaften Projekt, aus dem Plankton unserer Gewässer Speisefett zu gewinnen, einen Millionär um einen großen Betrag prellte. Der Betrogene war aber nicht zu bewegen, Anzeige zu erstatten; er schämte sich seiner Leichtgläubigkeit und fürchtete den Spott darüber, daß er sich so tief in die Planktonbutter gesetzt hatte.

Wir kommen nun zu dem lehrreichsten, die tiefsten Aufschlüsse bietenden Dokument zur Geschichte Cagliostros, den Enthüllungen Elisas von der Recke. Sie bilden den folgenden Abschnitt.


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