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II.

Pesca's Gesicht und Benehmen, als wir an jenem Abende am Gartenpförtchen meiner Mutter einander gegenüberstanden, genügten vollkommen, um mir zu sagen, daß sich irgend etwas Außergewöhnliches zugetragen habe. Es war indessen ganz nutzlos, augenblickliche Aufklärung von ihm zu fordern. Ich konnte nur, während er mich bei beiden Händen in's Haus zog, vermuthen, daß er, mit meinen Gewohnheiten vertraut, jenen Abend, um mich sicher zu treffen, dort hinausgekommen, und daß er nur irgend eine Neuigkeit von ungewöhnlich angenehmer Beschaffenheit mitzutheilen habe.

Wir stürzten Beide sehr plötzlich und in einer die gute Sitte verletzenden Weise in's Zimmer. Meine Mutter saß lachend und sich fächelnd am offenen Fenster. Pesca war ein besonderer Liebling von ihr, und seine wildesten, excentrischesten Streiche waren in ihren Augen immer verzeihlich. Arme, liebe Seele! vom ersten Augenblicke an, wo sie entdeckte, daß der kleine Professor ihrem Sohne zugethan, öffnete sie ihm ohne allen Rückhalt ihr Herz, fand sich in alle seine sonderbaren ausländischen Eigenthümlichkeiten, ohne auch nur zu versuchen, eine einzige von ihnen zu verstehen.

Meine Schwester Sara schloß sich trotz ihrer Jugend seltsamerweise bei Weitem schwerer an. Sie ließ Pesca's herrlichen Gemüthsanlagen alle Gerechtigkeit widerfahren, aber sie konnte seine Eigenthümlichkeiten nicht so unbedingt, wie meine Mutter, um meinetwillen hinnehmen. Bei ihren echt insularischen Begriffen von Schicklichkeit empörte sie sich fortwährend gegen Pesca's angeborene Verachtung äußerer Sitten, und sie war immer mehr oder weniger unverhohlen erstaunt über die Vertraulichkeit ihrer Mutter mit dem excentrischen kleinen Ausländer.

Ich habe nicht allein bei meiner Schwester, sondern auch bei Anderen die Bemerkung gemacht, daß wir von der jüngeren Generation lange nicht so herzlich und empfänglich sind wie unsere Eltern. Ich sehe oft alte Leute in der Erwartung irgend eines in Aussicht stehenden Vergnügens aufgeregt und bewegt, während ihre ruhigen Enkel ungerührt bleiben. Es fragt sich wirklich, ob wir wohl ebenso natürlich in unserer Knaben- und Mädchenzeit waren, wie unsere Großeltern zu ihren Zeiten gewesen sein mögen. Hat der große Fortgang in der Erziehung etwa einen zu langen Schritt gethan, oder sind wir nicht etwa in diesen modernen Tagen ein klein wenig zu wohlerzogen?

Ohne zu versuchen, diese Fragen mit Bestimmtheit zu beantworten, darf ich wenigstens berichten, daß ich meine Mutter und Schwester nie zusammen in Pesca's Gesellschaft sah, ohne die erstere für die jüngere von Beiden zu halten. Heute zum Beispiel lachte meine Mutter herzlich über die knabenhafte Manier, in der wir in's Zimmer stürzten, während Sara mit gestörter Gemüthsruhe die Scherben einer zerbrochenen Theetasse vom Boden aufnahm, die der Professor in seinem eiligen Laufe nach der Thür mir entgegen niedergeworfen hatte.

»Ich weiß wirklich nicht, was sich noch ereignet hätte, Walter, wärst du noch langer ausgeblieben,« sagte meine Mutter, »Pesca ist halb wahnsinnig geworden vor Ungeduld, und ich vor Neugierde. Der Professor hat irgend eine wunderbare Neuigkeit mitgebracht, die, wie er sagt, dich betrifft, und er war grausam genug, uns auch nicht die kleinste Andeutung davon geben zu wollen, ehe sein Freund Walter käme.«

»Sehr ärgerlich, es macht das Service unvollständig,« murmelte Sara vor sich hin, indem sie trauernd wie ein in's weibliche übersetzter Marius auf die Trümmer der zerbrochenen Tasse schaute.

Unterdessen schleppte Pesca in seliger Unkenntnis des unverbesserlichen Schadens, den seine Hände angerichtet, einen großen Lehnstuhl zum anderen Ende des Zimmers, um uns alle Drei übersehen zu können, wie ein öffentlicher Redner seine Zuhörer überschaut. Nachdem er die Rückseite des Stuhles uns zugedreht, sprang er hinein und redete höchst aufgeregt aus dieser improvisirten Kanzel seine kleine Gemeinde von Dreien an.

»Jetzt, meine guten Lieben,« begann Pesca (der stets »guten Lieben« sagte, wenn er »meine lieben Freunde« meinte), »hört mir zu. Die Zeit ist gekommen – ich erzähle meine gute Neuigkeit – ich spreche endlich.«

»Hört, hört!« rief meine Mutter – wie ein Unterhausmitglied – auf den Scherz eingehend.

»Das Nächste, was er zerbrechen wird, Mama,« flüsterte Sara, »wird der Rücken unseres besten Lehnstuhles sein.«

»Ich gehe in meinem Leben um ein wenig zurück und richte meine Rede an das edelste aller erschaffenen Wesen,« fuhr Pesca fort, indem er über den Stuhl hinweg heftig meine unwürdige Wenigkeit apostrophirte, »der mich todt (durch Krampf) am Boden des Meeres fand und mich wieder in die Höhe zog; und was sagte ich, als ich wieder in's Leben und in meine eigenen Kleider zurückkehrte?«

»Weit mehr, als nothwendig war,« entgegnete ich so verdrießlich wie möglich, denn die geringste Ermuthigung in Bezug auf diesen Gegenstand diente nur dazu, daß sich des Professors Gemüthsbewegung in eine Thränenfluth auflöste.

»Ich sagte,« fuhr Pesca beharrlich fort, »daß mein Leben hinfort meinem lieben Freunde Walter gehöre – und das thut es. Ich sagte, daß ich nie wieder glücklich sein werde, bis ich irgend ein gutes Etwas für Walter gethan – und ich bin nie zufrieden mit mir gewesen, bis auf den heutigen, gesegneten Tag. Jetzt,« schrie der begeisterte, kleine Mann aus vollem Halse, »jetzt dringt nur das überströmende Glück wie Schweiß aus jeder Pore meiner Haut; denn bei meiner Treue, meiner Seele, meiner Ehre, dieses Etwas ist endlich geschehen, und das einzige Wort, das uns zu sagen übrig bleibt, ist: richtig-Alles-richtig!«

Es dürfte vielleicht nothwendig sein, hier zu wiederholen, daß Pesca sich etwas darauf zugute that, in seiner Sprache sowohl wie in seiner Kleidung, seinen Manieren und Vergnügungen ein vollkommener Engländer zu sein. Da er einige unserer gebräuchlichsten Redensarten aufgegriffen, streute er sie in seine Unterhaltung ein, wie sie ihm eben einfielen, indem er sie in der Freude seines Herzens an ihrem Klange und seiner allgemeinen Unwissenheit über ihre Bedeutung in nach eigener Erfindung zusammengesetzten, auch wohl wiederholten Wörtern von sich gab und sie dabei ineinander laufen ließ, als ob sie aus einer einzigen langen Silbe beständen.

»Unter den stolzen Häusern Londons, in denen ich die Sprache meines Vaterlandes lehre,« sagte der Professor, indem er ohne ein Wort weiterer Vorrede sich mitten in die so lange von ihm verschobene Erklärung stürzte, »ist ein mächtig vornehmes auf dem großen Platze, genannt Portland. Ihr wißt Alle, wo das ist? Ja, ja, steht-versteht-sich. Das vornehme Haus, meine guten Lieben, beherbergt eine vornehme Familie. Eine Mama, die blond und stark ist; drei junge Misses, die blond und stark sind; zwei junge Misters, die blond und stark sind, und ein Papa, der blondeste und stärkste von Allen, der, ein mächtiger Kaufmann, bis an den Hals in Gold steckt – einst ein schöner Mann, doch – da er jetzt einen nackten Kopf und ein Doppelkinn besitzt – gegenwärtig nicht mehr schön. Jetzt gebt Acht! Ich lese mit den jungen Misses den göttlichen Dante, und ach! Güte-du-meine-Güte! – keine menschliche Sprache vermag zu sagen, wie sehr der göttliche Dante die drei hübschen Köpfe verwirrt! Einerlei – Alles zu seiner Zeit – und je mehr Stunden, desto besser für mich. Jetzt gebt Acht! Stellt Euch vor, daß ich die drei jungen Misses heute, wie gewöhnlich, unterrichte, wir sind alle viere unten zusammen in Dante's Hölle. Beim siebenten Kreise – aber einerlei: den drei blonden und starken jungen Misses sind alle Kreise gleich – beim siebenten Kreise dessenungeachtet bleiben meine Schülerinnen stecken; und ich, um sie wieder in Gang zu bringen, declamire, erkläre und rede mich in unnützer Begeisterung in die glühendste Hitze hinein, als – da hört man einen Stiefel knarren draußen im Corridor, und herein tritt der goldene Papa, der mächtige Kaufmann und glückliche Besitzer des nackten Kopfes und des doppelten Kinnes. – Ja! meine guten Lieben, ich bin der Sache jetzt näher, als ihr glaubt. Habt ihr so lange Geduld gehabt? oder habt ihr zu euch selbst gesagt: Teufel – zum – Teufel! Pesca ist heute Abend langweilig?« Wir erklärten, daß er uns im höchsten Grade unterhalten habe. Der Professor fuhr fort:

»In seiner Hand hält der goldene Papa einen Brief, und nachdem er sich entschuldigt, daß er uns in unseren höllischen Regionen mit gewöhnlichen Tagesangelegenheiten störe, wendet er sich zu den drei jungen Misses, beginnt, wie ihr Engländer Alles, was ihr in dieser gesegneten Welt Zu sagen habt, beginnt mit einem großen O. ›O, meine Lieben,‹ sagte der mächtige Kaufmann, ›ich habe hier einen Brief von meinem Freunde Mr...... Wohlgeboren‹ (der Name ist mir entfallen, doch einerlei, wir werden darauf zurückkommen; ja, ja – richtig-Alles-richtig). Also der Papa sagt, ›ich habe hier einen Brief von meinem Freunde, dem besagten Wohlgeboren, er wünscht, daß ich ihm einen Zeichenlehrer empfehle, der zu ihm auf sein Landhaus kommen kann.‹ Güte – du – meine – Güte! Als ich den goldenen Papa diese Worte sagen hörte, hätte ich, wenn ich groß genug gewesen wäre, um zu ihm hinaufzureichen, seinen Hals mit meinen Armen umschlungen und ihn in einer langen, dankbaren Umarmung an meine Brust gedrückt! So aber zuckte ich nur auf meinem Stuhle zusammen. Ich saß auf Kohlen, und meine Seele brannte zu sprechen, aber ich hielt den Mund und ließ den Papa fortfahren. ›Vielleicht wißt ihr,‹ sagt dieser gute Mann des Geldes, indem er seines Freundes Brief zwischen seinem goldenen Daumen und Zeigefinger hin und her dreht, ›vielleicht kennt ihr einen Zeichenlehrer, meine Lieben, den ich empfehlen könnte.‹ Die drei jungen Misses sehen einander an und sagen dann (indem sie mit dem unvermeidlichen großen O anfangen): ›O nein, Papa! aber da ist Mr. Pesca – .‹ Bei dieser Erwähnung meiner kann ich nicht länger an mich halten – der Gedanke an euch, meine guten Lieben, steigt mir wie Blut in den Kopf – ich springe von meinem Stuhle, wie wenn plötzlich ein Speer aus dem Boden durch den Sitz desselben emporgefahren wäre – ich wende mich zu dem mächtigen Kaufmann und sage (englische Redensart): Lieber Herr, ich habe Ihren Mann! den ersten, allerersten Zeichenlehrer der Welt. Empfehlen Sie ihn heute Abend mit der Post und schicken Sie ihn morgen mit Sack und Pack (wieder eine englische Redensart) mit dem Zuge ab! ›Halt, halt,‹ sagt der Papa, ›ist er ein Ausländer oder ein Engländer?‹

Engländer bis ins Rückenmark, entgegnete ich. ›Respectabel?‹ sagt Papa. Sir! sage ich (denn diese letzte Frage empört mich sehr und ich bin nicht länger vertraulich mit ihm), Sir! das unsterbliche Feuer des Genies brennt im Busen dieses Engländers, und was noch mehr ist, sein Vater besaß es schon vor ihm. ›Einerlei,‹ sagt dieser goldene Barbar von einem Papa, wir sprechen nicht von seinem Genie, Mr. Pesca. Wir verlangen in diesem Lande kein Genie, wenn es nicht zugleich auch respectabel ist – dann aber freuen wir uns sehr, es zu besitzen, sehr. Kann Ihr Freund Zeugnisse beibringen – Briefe, die seinen Charakter verbürgen?‹ Ich mache eine nachlässige Handbewegung. Briefe? sage ich. Ja! Güte-du-meine-Güte! Das wollt' ich meinen, wahrlich! Bände von Briefen und Portfolios voller Zeugnisse, wenn Sie es wünschen? ›Eins oder zweie werden genügen,‹ sagt dieser Mann des Geldes und des Phlegmas. ›Lassen Sie ihn mir dieselben zuschicken, mit Angabe seines Namens und seiner Adresse. Und halt, halt, Mr. Pesca – ehe Sie zu Ihrem Freunde gehen, nehmen Sie lieber ein Billet mit.‹ Cassenbillet! sage ich entrüstet. Kein Cassenbillet, bis mein braver Engländer es verdient hat, wenn ich bitten darf. ›Cassenbillet!‹ sagt Papa in großem Erstaunen; ›wer spricht denn von Cassenbilleten? Ich meine ein Billet, enthaltend die Bedingungen – ein Memorandum von dem, was man von ihm verlangt. Fahren Sie in Ihrem Unterrichte fort, Mr. Pesca, und unterdessen will ich Ihnen den nothwendigen Auszug aus meines Freundes Briefe machen.‹ Der Mann der Waaren und des Geldes geht und nimmt Feder, Tinte und Papier zur Hand, und ich steige wieder in Dante's Hölle hinab und meine drei jungen Misses mir nach. In zehn Minuten ist das Billet geschrieben, und Papas Stiefel knarren wieder den Corridor entlang. Von diesem Augenblicke an weiß ich bei meiner Treue, meiner Seele und Ehre weiter nichts. Der herrliche Gedanke, daß ich endlich Gelegenheit gefunden, mich meinem theuersten Freunde in der Welt erkenntlich zu erweisen, und daß der Dienst bereits so gut wie schon geleistet ist, steigt mir zu Kopfe und macht mich trunken. Wie ich mich und meine jungen Misses wieder aus den höllischen Regionen heraufziehe, wie ich dann meine übrigen Geschäfte abmache und wie mein bißchen Mittagessen in meinen Hals hinabgleitet, weiß ich ebensowenig wie der Mann im Monde. Genug, ich bin hier, mit dem Billet des mächtigen Kaufmannes in der Hand, in Lebensgröße, heiß wie Feuer und froh wie ein König! Ha! ha! ha! richtig-Alles-richtig-richtig!« Hier schwenkte der Professor das Memorandum der Bedingungen über seinem Kopfe und endete seine lange, geläufige Rede mit seiner gellenden italienischen Parodie eines englischen »Cheers«.

Sobald er geendet, erhob sich meine Mutter mit gerötheten Wangen und glänzenden Augen. Sie ergriff beide Hände des kleinen Mannes.

»Mein lieber, guter Pesca,« sagte sie, »ich zweifelte nie an Ihrer wahren Zuneigung für Walter – jetzt aber bin ich mehr als je davon überzeugt!«

»Gewiß, wir sind Professor Pesca um Walters willen sehr dankbar,« fügte Sara hinzu. Sie erhob sich halb von ihrem Sitze, wie sie sprach, als ob sie ebenfalls an den Lehnstuhl treten wollte; sowie sie aber gewahr wurde, daß Pesca voller Entzücken meiner Mutter Hände küßte, blickte sie ganz ernst und blieb an ihrem Platze. »Wenn der familiäre kleine Mensch meine Mutter schon so behandelt, wie würde er da erst mich behandeln?« Gesichter sprechen zuweilen die Wahrheit, und das war ohne alle Frage Saras Gedanke, als sie sich wieder setzte.

Obgleich ich selbst die Herzensgüte in Pesca's Beweggründen dankbar anerkannte, so war ich doch über die Aussicht auf künftige Beschäftigung lange nicht so erfreut, als ich hätte sein sollen. Sobald der Professor mit den Händen meiner Mutter fertig war und ich ihm für sein Verwenden zu meinen Gunsten herzlich gedankt hatte, bat ich, das Memorandum über die Bedingungen sehen zu dürfen, das sein achtungswerther Beschützer zu meiner Durchsicht aufgesetzt hatte.

Pesca überreichte es mir mit einem triumphirenden Schwenken der Hand.

»Lies!« sagte der kleine Mann majestätisch. »Ich verspreche dir, mein Freund, daß das Schreiben des goldenen Papas wie mit Trompetenschall für sich selber redet.«

Das Memorandum war jedenfalls deutlich, offen und verständlich. Es unterrichtete mich –

Erstens, daß Frederik Fairlie, Esquire, zu Limmeridge House, Cumberland, während eines Zeitraumes von wenigstens vier Monaten der Dienste eines durchaus tüchtigen Zeichenlehrers bedürfe.

Zweitens, daß die Pflichten, welche dem Lehrer obliegen würden, zweierlei seien. Er sollte den Unterricht zweier junger Damen in der Kunst der Wasserfarbenmalerei beaufsichtigen und dann seine Mußezeit dazu verwenden, eine werthvolle Sammlung von Zeichnungen, die ganz in Unordnung und vernachlässigt war, zu ordnen und aufzukleben.

Drittens, daß das Honorar, welches Demjenigen geboten werde, der sich diesen Pflichten gewissenhaft zu unterziehen anheischig mache, vier Guineen wöchentlich sei; daß er in Limmeridge House wohnen und dort wie ein Gentleman behandelt werden solle.

Viertens und letztens, daß Niemand sich um diese Stelle zu bemühen brauche, der nicht die untadeligsten Ausweise über Charakter und Fähigkeiten beibringen könne. Diese Ausweise solle man Mr. Fairlie's Freunde einsenden, der bevollmächtigt sei, das Uebereinkommen abzuschließen. Dann folgten noch Name und Adresse von Pesca's Gönner auf dem Portlandplatze – und damit endete das Memorandum.

Die Aussicht, welche dieses Anerbieten darbot, war allerdings eine anziehende – die Beschäftigung aller Wahrscheinlichkeit nach leicht und angenehm; sie wurde mir in der Herbstzeit des Jahres vorgeschlagen, wo ich am wenigsten zu thun hatte, und das Honorar war nach meinen persönlichen Erfahrungen in meinem Berufe außerordentlich anständig. Ich wußte dies; ich wußte, daß ich Ursache haben würde, mich glücklich zu schätzen, falls ich mir die angebotene Beschäftigung sicherte – und dennoch hatte ich kaum das Memorandum gelesen, als ich schon eine unerklärliche Unlust verspürte, irgend etwas in der Sache zu thun. Ich hatte noch nie in allen meinen früheren Erfahrungen meine Pflicht und meine Neigung sich so in mir streiten gefühlt, als bei dieser Gelegenheit.

»O Walter, dein Vater hat nie ein solches Glück gehabt!« sagte meine Mutter, nachdem sie das Memorandum gelesen und mir zurückgehändigt hatte.

»Solche vornehme Leute kennen zu lernen!« bemerkte Sara, sich auf ihrem Stuhle aufrichtend – »noch dazu unter so angenehmen Verhältnissen der Gleichheit!«

»Ja, ja; die Bedingungen sind in jeder Beziehung verführerisch genug,« erwiderte ich ungeduldig. »Aber he ich meine Zeugnisse einsende, möchte ich ein wenig Zeit haben, um zu überlegen –«

»Ueberlegen!« rief meine Mutter aus. »Ei, Walter, was ist mit dir?«

»Ueberlegen!« rief meine Schwester aus. »Welch eine sonderbare Idee unter so günstigen Umständen!«

»Ueberlegen!« stimmte der Professor ein. »was ist da weiter zu überlegen? Beantworte mir dies! Hast du nicht über deine Gesundheit geklagt und hast du dich nicht nach einem Schlucke Landluft gesehnt, wie du es nennst? Nun! das Papier da in deiner Hand bietet dir unausgesetzte Schlucke Landluft für vier Monate. Ist dem nicht so? Ja? Dann – du brauchst Geld. Nun! Sind vier Guineen die Woche gar nichts? Meine-Güte-du-meine-Güte. Gebe sie nur Einer mir – und meine Stiefel sollen, wie die des goldenen Papas, mit einem Bewußtsein des überwältigenden Reichthums des Mannes, der in ihnen geht, knarren! Vier Guineen die Woche, und was noch mehr ist, die reizende Gesellschaft zweier junger Misses; und was noch mehr ist, dein Bett, dein Frühstück, dein Mittagsessen, deine üppigen englischen Thees und Gabelfrühstücke und dein schäumendes Bier, alles umsonst – wie, Walter, mein lieber, guter Freund – Teufel-zum-Teufel! – zum ersten Male in meinem Leben habe ich nicht Augen genug im Kopfe, um dich anzusehen und mich über dich Zu verwundern!«

Weder meiner Mutter offenbares Erstaunen über mein Betragen noch Pesca's eifrige Aufzählung der Vortheile, welche mir die neue Beschäftigung in Aussicht stellte, erschütterten meine scheinbar ungerechtfertigte Abneigung, nach Limmeridge House zu gehen. Nachdem ich alle kleinlichen Einwendungen aufgeworfen, die ich nur gegen meine Reise nach Cumberland erdenken konnte, und nachdem mir dieselben der Reihe nach zu meiner eigenen Niederlage beantwortet waren, versuchte ich, ein letztes Hindernis mit der Frage aufzurichten, was aus meinen Schülern in London werden sollte, während ich Mr. Fairlie's junge Damen nach der Natur zeichnen lehrte. Die einleuchtende Antwort hierauf war, daß der größere Theil derselben auf ihren Herbstreisen sein werde, und die wenigen, die dableiben würden, der Obhut eines Collegen anvertraut werden könnten, dem ich seine Schüler einst unter ähnlichen Verhältnissen abgenommen hatte. Meine Schwester erinnerte mich daran, daß dieser Herr nur ausdrücklich für diese Saison seine Dienste angeboten, falls ich die Hauptstadt zu verlassen wünschte; meine Mutter bat mich ernstlich, doch nicht meine eigenen Interessen und meine Gesundheit durch eine einfältige Grille zu gefährden, und Pesca flehte mich in jammervollen Tönen an, ihm nicht bis in's innerste Herz weh' zu thun, indem ich das erste dankbare Dienstanerbieten ausschlüge, das er dem Freunde und Lebensretter zu machen im Stande gewesen.

Die offenbare Liebe, welche diese Vorstellungen eingab, hätte auf jeden Mann Eindruck gemacht, der nur ein Atom von richtigem Gefühle besaß. Obgleich ich meine unbegreifliche Wunderlichkeit nicht überwinden konnte, so hatte ich doch wenigstens so viel Tugend in mir, mich jenes Vorurtheils zu schämen und die Erörterung damit zu enden, daß ich nachgab und Alles Zu thun versprach, was man von mir verlangte. Der Rest des Abends verging dann fröhlich genug unter heiteren Zukunftsplänen und Muthmaßungen über meine Stellung bei den jungen Damen in Cumberland. Pesca, von unserem nationalen Grog begeistert, der ihm auf wunderbare Weise, fünf Minuten, nachdem er seine Kehle hinunter gegangen, zu Kopf zu steigen schien, behauptete seine Ansprüche, als ein vollkommener Engländer angesehen zu werden, indem er in schneller Aufeinanderfolge eine Reihe von Reden hielt; die Gesundheit meiner Mutter ausbrachte, die meiner Schwester, die meinige und zusammen die Gesundheit von Mr. Fairlie und den beiden jungen Misses; worauf er gleich hinterher für die ganze Gesellschaft eine pathetische Dankesrede hielt.

»Ein Geheimnis, Walter,« sagte mein kleiner Freund vertraulich, als wir zusammen nach Hause gingen. »Ein Geheimnis sei dir vertraut. Ich glühe bei der Erinnerung an meine Beredsamkeit. Meine Seele vergeht vor Ehrgeiz. Eines Tages werde ich in euer edles Parlament eintreten. Es ist der Traum meines ganzen Lebens, der »Ehrenwerthe Pesca M. P« (Mitglied des Parlaments) zu werden!«

Am folgenden Morgen sandte ich des Professors Patrone auf dem Portlandplatze meine Zeugnisse ein. Drei Tage vergingen, und ich schloß daraus mit geheimer Genugthuung, daß meine Papiere nicht ausreichend genug befunden worden. Am vierten Tage kam jedoch eine Antwort. Dieselbe kündigte mir an, daß Mr. Fairlie meine Dienste annehme und mich ersuche, augenblicklich nach Cumberland aufzubrechen. Alle nothwendigen Instructionen betreffs meiner Reise waren sorgfältig und deutlich in einem Postscriptum beigefügt.

Ich traf ziemlich mißmuthig meine Vorbereitungen, früh am folgenden Tage London zu verlassen. Gegen Abend kam Pesca, im Begriffe in sine Mittagsgesellschaft zu gehen, zu mir, um mir Lebewohl zu sagen.

»Ich werde meine Thränen während deiner Abwesenheit mit dem schönen Gedanken trocknen,«, sagte er fröhlich, »daß es meine Hand war, die deinem Glücke in dieser Welt den ersten Schub vorwärts gegeben hat. Geh', mein Freund. Wenn deine Sonne in Cumberland scheint (englisches Sprichwort), da mache ja dein Heu, um's Himmels willen. Heirate eine der beiden jungen Misses, erbe die fetten Güter Fairlie's, werde Ehrenwerther Hartright M. P., und wenn du auf der obersten Stufe der Leiter angelangt bist, erinnere dich, daß Pesca, der unten steht, dir zu dem Allen verholfen hat!«

Ich versuchte, mit meinem kleinen Freunde über seinen Abschiedsscherz zu lachen, aber ich konnte meine üble Laune nicht bemeistern. Etwas in mir schlug einen fast schmerzlichen Mißton an, während er seine heiteren Abschiedsworte sprach.

Als ich wieder allein war, blieb mir nichts zu thun übrig, als nach dem Häuschen in Hamstead zu gehen und meiner Mutter und Schwester Lebewohl zu sagen.


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