Raphael Kühner
Cato oder Von dem Greisenalter
Raphael Kühner

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XVII. 59. Zu vielen Dingen sind Xenophon'sXenophon aus Athen, ein Schüler des Sokrates, geb. 447 v. Chr., gest. nicht vor 355. Die hier erwähnte Schrift Xenophon's, den Οικονομικός, die uns vollständig erhalten ist, hat Cicero in seinem einundzwanzigsten Jahre aus dem Griechischen in's Lateinische übersetzt. S. Cicer. Off. II. 24, 87, wo man Beier p. 166 vergleiche. Weiter unten (Kap. 9, §. 30 u. Kap. 22) wird eine Stelle aus seiner Cyropädie (Κύρου παιδεία) erwähnt, in der er unter der Person des älteren Cyrus das Musterbild eines Fürsten aufstellt. Schriften ungemein nützlich. Lest sie eifrig, wie ihr es thut. Mit welcher Rednerfülle lobt er den Landbau in der Schrift von der Besorgung des Hauswesens, die Oekonomikus überschrieben ist! Und damit ihr einsehet, daß ihm Nichts so königlich scheint als die Beschäftigung des Landbaues, so erfahrt, wie Sokrates sich in dieser SchriftXenophon. Oecon. 4, 20–25. mit dem KritobulusKritobulus war ein Schüler des Sokrates. unterredet. Cyrus der JüngereDer jüngere Cyrus, Statthalter von Kleinasien, jüngerer Sohn des Darius Nothus, Königs von Persien, Bruder des Königs Artaxerxes II., bekriegte diesen, um ihn vom Throne zu stoßen, fiel aber in der Schlacht bei Kunara in der Nähe Babylons (400 v. Chr.)., sagt er, ein königlicher Prinz Persiens, hervorragend durch Geist und Herrscherruhm, habe sich, als der Lacedämonier LysanderLysander, Feldherr der Lacedämonier, besiegte die Athener in der Schlacht bei Aegospotamos im Hellesponte 405 v. Chr., machte durch Eroberung Athens dem Peloponnesischen Kriege ein Ende und brachte die oberste Gewalt Griechenlands in die Hände der Lacedämonier., ein Mann von ausgezeichneter Tapferkeit, zu ihm nach Sardes kam und ihm Geschenke von den Bundesgenossen brachte, sowol in anderer Hinsicht artig und menschenfreundlich gegen Lysander benommen, als auch ihm einen umzäunten und sorgfältig bepflanzten Garten gezeigt. Als aber Lysander den schlanken Wuchs der Bäume und die in Gestalt einer FünfzahlLat. directos in quincuncem ordines, in der Gestalt der Römischen Fünf (V) in schrägen Reihen, nämlich so: ·.·, und in Verbindung mehrerer Bäume so: :·: Uebrigens hat Cicero nicht wörtlich übersetzt, sondern nach der Weise, wie die Römer ihre Baumpflanzungen anordneten. Bei Xenophon Oecon. 4, 21 steht: ορθοὶ δὲ οι στίχοι τω̃ν δένδρων, ευγώνια δὲ πάντα καλω̃ς είη, d. h. die geraden Reihen der Bäume, in der Gestalt von rechten Winkeln geordnet. geordneten Reihen derselben, den gelockerten und reinen Boden und die Lieblichkeit der Düfte, die ihm aus den Blumen zuströmten, bewunderte: da habe er gesagt, er bewundere nicht nur die Sorgfalt, sondern auch die Kunstfertigkeit des Mannes, der dieses Alles ausgemessen und angeordnet habe; und Cyrus habe ihm geantwortet: »Nun, ich habe dieses Alles ausgemessen; mein Werk sind die Reihen, mein Werk die Anordnung; auch viele dieser Bäume sind von meiner Hand gepflanzt.« Da habe Lysander, einen Blick auf sein Purpurgewand und die glänzende Schönheit seines Körpers und auf den Persischen Schmuck mit vielem Golde und vielen Edelsteinen werfend, gesagt: »Ja, mit Recht preist man dich glücklich, weil mit deiner Tüchtigkeit das Glück in Verbindung steht.«

60. Ein solches Glück zu genießen ist nun den Greisen gestattet, und nicht hindert das Alter die Liebe sowol zu anderen Beschäftigungen als auch ganz besonders zu dem Landbau bis zur letzten Zeit des Greisenalters beizubehalten. So haben wir zum Beispiel von Marcus Valerius CorvusMarcus Valerius Corvus, einer der berühmtesten Römer, war sechsmal Consul, das erste Mal im J. 348 v. Chr., als er erst dreiundzwanzig Jahre alt war, das sechste Mal 299; zweimal Dictator, (342 und 301). Im H. 350 tödtete er als junger Kriegstribun einen Gallier, der den tapfersten Römer zum Zweikampf herausgefordert hatte; seinen Beinamen Corvus erhielt er von dem Raben, der ihm bei diesem Zweikampfe behülflich gewesen war (Livius 7, 25 sq.). Uebrigens hat sich Cicero verrechnet, wenn er sagt, daß zwischen dem ersten und sechsten Consulate 46 Jahre verflossen seien, da es 49 Jahre sind. vernommen, er habe seine Liebe zum Landbau bis zum hundertsten Jahre fortgeführt, indem er in schon weit vorgerücktem Alter auf dem Lande lebte und es bebaute. Zwischen seinem ersten und sechsten Consulate verflossen sechsundvierzig Jahre. Es war also bei ihm die Laufbahn der Ehrenämter so lang, als nach Rechnung unserer Altvordern der Zeitraum des Menschenalters bis zum Anfange des GreisenaltersDas Alter der Jugend rechneten die alten Römer bis zum 46sten Jahre; alsdann trat das Alter der seniores, d. h. der Bejahrten, ein; das eigentliche Greisenalter, die senectus, begann erst mit dem 61sten Jahre. ist. Und der letzte Abschnitt seines Lebens war um so glücklicher als der mittlere, weil er mehr Ansehen, Arbeit hingegen weniger hatte.

61. Die Krone des Greisenalters ist aber das Ansehen. Wie groß war dieses bei Lucius Cäcilius MetellusUeber Lucius Cäcilius Metellus s. zu Kap. 9, §. 30.! wie groß bei Atilius CalatinusAulus Atilius Calatinus, ein höchst vortrefflicher Mann, im ersten Punischen Kriege zweimal Consul, (258 und 254 v. Chr.), 249 Dictator, 247 Censor., auf den man jene bekannte Grabschrift gemacht hat: »Daß dieser Eine der erste Mann des Volkes war, darin stimmen alle Volksstämme überein.« Diese auf sein Grabdenkmal eingehauene Inschrift ist bekannt. Mit Recht gilt also der Mann für ehrwürdig, da über seine Vorzüge bei Allen nur Eine Stimme herrschte. Welchen Mann sahen wir an Publius CrassusUeber Publius Licinius Crassus s. zu Kap. 9, §. 27., der jüngst Hoher Priester war, welchen an Marcus LepidusMarcus Aemilius Lepidus, 179 v. Chr. Censor, 187 und 175 Consul, seit 180 Hoher Priester. Vgl. Orelli Onomastic. h. v. p. 338., der späterhin dasselbe Priesteramt bekleidete! Was soll ich von Paullus oder AfricanusUeber Lucius Aemilius Paullus und über den älteren Scipio Africanus s. zu Kap. 9, 29. sagen? oder, wie schon vorher, von MaximusUeber Quintus Fabius Maximus s. zu Kap. 4, §. 10.? Nicht allein in ihrem Urtheile, nein, auch in ihrem Winke thronte das Ansehen. Das Greisenalter hat, zumal, wenn es mit Ehrenämtern bekleidet ist, ein Ansehen, das von höherem Werthe ist als alle Sinnengenüsse der Jugend.

XVIII. 62. Aber bedenkt, daß ich in meinem ganzen Vortrage nur dasjenige Greisenalter lobe, welches auf die Grundlage des Jünglingsalters gebaut ist. Hieraus folgt das, was ich einmal mit allgemeinem Beifalle sagte: »Traurig sei das Greisenalter, das sich durch eine Rede vertheidigen müsse.« Nicht graue Haare, nicht Runzeln können plötzlich das Ansehen an sich reißen, sondern das frühere ehrenhaft geführte Leben ärntet als seine letzten Früchte das Ansehen ein. 63. Denn selbst die Dinge sind ehrenvoll, die für geringfügig und gewöhnlich gelten: daß man uns grüßt, uns aufsucht, uns ausweicht, vor uns aufsteht, uns von und nach Hause begleitet, uns um Rath fragt: Gebräuche, die man sowol bei uns als auch in anderen Staaten um so sorgfältiger beobachtet, je gesitteter sie sind. Der Lacedämonier Lysander, dessen ich ebenKap. 17, §. 59. gedachte, soll öfters gesagt haben, Lacedämon sei der ehrenvollste Wohnsitz des Greisenalters. Denn nirgends erweist man dem Alter so viel Achtung, nirgends ist das Greisenalter geehrter. Sogar die Geschichte liefert uns einen Beweis dafür. Als in Athen zur Zeit der öffentlichen Spiele ein bejahrter Mann in das Schauspielhaus kam, wo eine große Menschenmenge beisammen saß; so wurde ihm von seinen Mitbürgern nirgends ein Platz eingeräumt. Als er sich aber den Lacedämoniern näherte, die als Gesandte auf einem bestimmten Platze saßen; so standen sie alle auf und räumten dem Greise einen Sitz ein. 64. Da wurde von der ganzen Versammlung ein vielfaches Beifallklatschen erhoben, und Einer in der Versammlung äußerte, die Athener wüßten wohl, was recht sei, aber sie wollten es nicht thun.

Unser AugurenrathDas Amt der Auguren bestand darin, daß sie aus dem Fluge, den Stimmen und dem Fressen der Vögel, sowie auch aus der Beobachtung anderer Thiere und aus Himmelserscheinungen weissagten. Ihr Amt war lebenslänglich. Unter Romulus bestand ihr Collegium aus drei, unter Servius Tullius aus vier und seit Sulla aus funfzehn Mitgliedern. Cicero hatte eine Schrift de auguriis verfaßt, die aber verloren gegangen ist. S. Adam's Röm. Alterthüm. Bd. I. S. 329 ff. besitzt viele herrliche Einrichtungen, aber ganz besonders ragt die hervor, um die es sich jetzt handelt, daß nämlich, sowie Einer an Alter vorgeht, er das Recht hat seine Stimme vor den Anderen abzugeben, und daß ältere Auguren nicht allein vor denen, die ein höheres Ehrenamt verwalten, sondern auch vor denen, die mit dem Oberbefehlqui cum imperio sunt. Das imperium (den Oberbefehl), das die höchste militärische und richterliche Gewalt umfaßte, hatten nur die höheren Staatsbeamten, die Dictatoren, Consuln und Prätoren. bekleidet sind, den Vorrang haben. Sind nun wol sinnliche Vergnügungen mit den Auszeichnungen des Ansehens zu vergleichen? Wer diese auf glänzende Weise genossen hat, der scheint mir das Stück seines Lebens ausgespielt zu haben, ohne, wie ungeübte Schauspieler, im letzten Aufzuge durchgefallen zu sein.

65. »Aber die Greise sind mürrisch, ängstlich, zornsüchtig, grämlich.« Ganz recht, und wenn wir weiter forschen, auch geizig. Aber das sind Fehler der Gemüthsart, nicht des Greisenalters. Indeß lassen das mürrische Wesen und die eben angeführten Fehler einige Entschuldigung zu, allerdings keine wohlbegründete, doch eine solche, welche annehmbar zu sein scheint: sie meinen nämlich, man verachte, verschmähe, verspotte sie; außerdem ist bei einem gebrechlichen Körper jede Beleidigung widerwärtig. Doch alle diese Fehler werden durch gute Sitten und wissenschaftliche Bildung gemildert, wie man es sowol im Leben sehen kann, als auch auf der Bühne an den Brüdern, die in den AdelphenAdelphen (Adelphi d. h. Brüder) hieß ein dem Griechischen Komiker Menander nachgebildetes Lustspiel des Publius Terentius aus Karthago (um 192–155 v. Chr.), ein Freigelassener des Terentius Lucanus, ein Freund des Scipio und Lälius. vorkommen. Wie groß ist bei dem Einen die Härte, bei dem Anderen die Freundlichkeit! So verhält sich die Sache. Wie nicht jeder Wein, so wird auch nicht jede Gemüthsart durch die Länge der Zeit sauer. Strengen Ernst billige ich am Greisenalter; doch er muß, wie Anderes, gemäßigt sein; Bitterkeit auf keine Weise. 66. Was aber der Geiz im Greisenalter bedeuten soll, sehe ich nicht ein. Kann es denn wol etwas Ungereimteres geben als, je weniger Weg noch übrig ist, desto mehr Reisegeld zu suchen?

XIX. Es ist noch der vierteS. Kap. 5, 15. Grund übrig, der unser Alter am Meisten zu ängstigen und zu bekümmern scheint, die Annäherung des Todes, der sicherlich vom Greisenalter nicht weit entfernt sein kann. O wie bedauernswerth ist ein Greis, der während eines so langen Lebens nicht eingesehen hat, daß der Tod zu verachten ist! Denn entweder ist er gänzlich außer Acht zu lassen, wenn er den Geist ganz auslöscht, oder er ist sogar zu wünschen, wenn er ihn irgendwohin führt, wo er ewig sein wird. Nun kann aber ein Drittes sicherlich nicht gefunden werden. 67. Warum soll ich nun fürchten, wenn es meine Bestimmung ist nach dem Tode entweder nicht elend oder sogar glückselig zu sein? Und doch, wer ist so thöricht, daß er, so jung er auch sein mag, es für ausgemacht halten sollte, er werde bis zum Abende leben? Ja, dieses Alter hat sogar ungleich mehr Todesgefahren als das unserige. Junge Leute fallen leichter in Krankheiten, liegen schwerer darnieder, werden schwieriger geheilt. Daher gelangen nur Wenige zum Greisenalter, und wäre dieß nicht der FallWenn nicht so viele Menschen in der Jugend stürben, so würde es mehr Greise geben und somit auch mehr Klugheit und Weisheit unter den Menschen herrschen., so würde man besser und vorsichtiger leben. Denn Verstand, Vernunft und Klugheit finden sich bei den Greisen, und wären nie solche gewesen, so würde es gar keine StaatenVgl. oben Kap. 6, §. 20. geben.

Doch ich kehre zu dem bevorstehenden Tode zurück. Was ist das für ein Vorwurf für das Greisenalter, da ihr seht, daß es dieses mit dem Jünglingsalter gemein hat? 68. Ich empfand bei meinem vortrefflichen SohneCato's Sohn starb im J. 152 v. Chr., als er zum Prätor ernannt worden war., du bei deinen zur höchsten Würde berechtigten BrüdernLucius Aemilius Paullus, der leibliche Vater des jüngeren Scipio Africanus, verlor seine beiden jüngsten Söhne im Jahr 167 v. Chr. innerhalb acht Tagen, den einen in einem Alter von zwölf, den anderen von 14 Jahren., mein Scipio, daß der Tod jedem Alter gemein ist.

»Aber der Jüngling hofft, er werde lange leben, was der Greis auf gleiche Weise nicht hoffen kann.« Unweise hofft er es. Denn was ist thörichter als Ungewisses für Gewisses zu halten, Falsches für Wahres?

»Aber der Greis hat nicht einmal Etwas zu hoffen.« Nun, um so besser ist er daran als der Jüngling, weil er das, was dieser noch hofft, schon erlangt hat. Dieser will lange leben, jener hat lange gelebt. 69. Doch, o gute Götter, was heißt im menschlichen Leben lange? Setze das äußerste Lebensziel, laß uns das Alter des Königs von TartessusArganthonius, König von Tartessus, einer Stadt am Ausflusse des Bätis (Guadalquivir), und von Gades (Kadix), lebte zur Zeit des älteren Cyrus. Herod. I. 163: (οι Φωκαιέες) προσφιλέες εγένοντο τω̃ βασιλέϊ τω̃ν Ταρτησσίων, τω̃ ούνομα μὲν η̃ν ’Αργανθώνιος, ετυράννευσε δὲ Ταρτησσου̃ ογδώκοντα έτεα, εβίωσε δὲ πάντα είκοσι καὶ εκατόν, woselbst man Bähr nachsehe T. I. p. 320 sq. ed. II. erwarten. Es lebte nämlich, wie ich geschrieben finde, ein gewisser Arganthonius zu Gades, der achtzig Jahre herrschte und hundertundzwanzig lebte. Aber mir scheint nicht einmal Etwas lang, was ein Ende hat; denn wenn dieses gekommen ist, dann ist das, was vergangen ist, verflossen; nur so viel bleibt zurück, als man sich durch Tugend und edle Handlungen erworben hat. Stunden entweichen und Tage und Monate und Jahre, und nie kehrt die vergangene Zeit zurück, noch kann man wissen, was folgt. Soviel Zeit Jedem zum Leben verliehen ist, damit soll er zufrieden sein. 70. Denn sowie der Schauspieler sein Stück nicht durchzuspielen braucht, um zu gefallen, wenn er in irgend einem Aufzuge, in dem er auftritt, Beifall einärntet; so braucht auch der Weise nicht bis zum »Klatschet!«D. h. bis zum Schlusse des Stückes, wo durch den Ausruf: plaudite (klatscht) die Zuschauer zum Beifall aufgefordert wurden. zu kommen. Denn eine kurze Lebenszeit ist lang genug zu einem guten und rechtschaffenen Leben. Ist man aber weiter vorgeschritten, so ist es eben so wenig zu beklagen, als es die Landleute beklagen, wenn nach vergangener Anmuth der Frühlingszeit der Sommer und Herbst kommt. Denn der Frühling bezeichnet gleichsam das Jünglingsalter und zeigt die künftigen Früchte; die übrigen Jahreszeiten aber sind zum Einärnten und Genießen der Früchte geeignet. 71. Die Frucht des Greisenalters aber besteht, wie ich schon oft gesagt habe, in der reichen Erinnerung der vorher erworbenen Güter. Alles aber, was naturgemäß geschieht, muß man für ein Gut halten. Was ist aber so naturgemäß, als daß die Greise sterben? Dieß widerfährt aber auch jungen Leuten mit Widerstand und Widerstreben der Natur. Daher scheinen mir junge Leute so zu sterben, wie wenn die Gewalt der Flamme durch eine Menge Wasser erstickt wird, Greise hingegen so, wie wenn ein von selbst, ohne Anwendung von Gewalt, sich verzehrendes Feuer erlischt. Und gleichwie das Obst, wenn es noch unreif ist, sich nur mit Mühe von den Bäumen abreißen läßt, wenn es aber reif und durch die Sonne gezeitigt ist, abfällt; so nimmt jungen Leuten die Gewalt, alten die Reife das Leben. Und diese ist mir wenigstens so erfreulich, daß, je näher ich dem Tode rücke, ich gleichsam Land zu sehen und nach einer langen Seefahrt endlich einmal in den Hafen zu kommen glaube.

XX.Zu Anfang dieses Kapitels standen in älteren Ausgaben die Worte: Omnium aetatum certus est terminus. Sie finden sich aber in keiner einzigen glaubwürdigen Handschrift. Daher hat sie schon Manutius als einen unächten Zusatz aus dem Texte entfernt. Vgl. Madvig Opusc. II. p. 277. 72 Das Greisenalter hat aber keine bestimmte Gränze, und man lebt in demselben gut, so lange man seine Berufspflicht erfüllen und behaupten kannNach den Worten: quod munus officii exsequi et tueri possis werden in den älteren Ausgaben (auch noch bei Klotz) die Worte: mortemque contemnere hinzugefügt. Halm hat sie als unächt in Klammern eingeschlossen. Daß der Zusatz sowol in kritischer Hinsicht als wegen des verkehrten Gedankens zu verwerfen sei, zeigt Madvig Opusc. II. p. 278 auf das Deutlichste.. Daher kommt es, daß das Greisenalter sogar beherzter und muthvoller ist als die Jugend. Hieraus läßt sich jene Antwort erklären, die Solon dem Machthaber PisistratusUeber Solon s. zu Kap. 8 §. 26. Pisistratus herrschte von 560–510 v. Chr. über Athen. gab. Als nämlich dieser ihn fragte, auf welche Hoffnung er ein so großes Vertrauen setze, daß er so kühnen Widerstand leiste, soll er geantwortet haben: »Auf mein Alter.«

[73] Aber das ist das beste Lebensende, wenn bei ungeschwächter Geisteskraft und gesunden Sinnen die Natur selbst das Werk, das sie zusammengefügt hat, auch wieder auflöst. Sowie ein Schiff, sowie ein Gebäude eben der am Leichtesten niederreißt, der es gebaut hat; ebenso löst auch den Menschen die Natur, die ihn zusammengefügt hat, am Besten wieder auf. Nun läßt sich aber jede noch frische Zusammenfügung nur mit Mühe, eine altgewordene hingegen mit Leichtigkeit auseinanderreißen. Hieraus folgt, daß Greise jenen kurzen Ueberrest des Lebens weder begierig suchen noch ohne Grund aufgeben dürfen. Daher verbietet PythagorasUeber Pythagoras s. zu Kap. 7. §. 23. Der hier ausgesprochene Gedanke findet sich auch bei Cicer. Tuscul. I. 30, 74: Vetat enim dominans ille in nobis deus injussu hinc nos suo demigrare, und Platon Phaedon. p. 62, B: ως έν τινι φρουρα̃ εσμεν οι άνθρωποι καὶ ου δει̃ δὴ εαυτὸν εκ ταύτης λύειν ουδ' αποδιδράσκειν, wo man Stallbaum p. 30 sq. ed. 3 nachlese. ohne Geheiß des Heerführers, das heißt Gottes, von dem Wachtposten des Lebens abzutreten. Von dem weisen Solon gibt es freilich eine Grabschrift, in der er erklärt, er wünsche nicht, daß sein Tod des Schmerzes und der Klagen seiner Freunde entbehreDas Distichon aus einem elegischen Gedichte Solon's, das Cicero hier als eine Grabschrift bezeichnet, findet sich bei Plutarch. Comp. Solon. c. Popl. c. 1:

Μηδέ μοι άκλαυστος θάνατος μόλοι, αλλὰ φίλοισι
    Καλλείποιμι θανὼν άλγεα καὶ στοναχάς.

Cicero hat dasselbe Tuscul. I. 49, 117 so übersetzt:

Mors mea ne careat lacrimis; linquamus amicis
    Moerorem, ut celebrent funera cum gemitu.
. Er wünscht, glaub' ich, den Seinigen theuer zu bleiben. Aber schöner drückt sich vielleicht EnniusUeber Ennius s. zu Kap. 4, §. 10. Bei Cicer. Tuscul. I. 15, 34 steht das vollständige Distichon:
Nemo me lacrumis decoret nec funera fletu
    Fexit. Cur? Volito vivus per ora virum.
also aus:

Niemand möge mit Thränen mich ehren noch klagend bestatten!

Er urtheilt, der Tod sei nicht zu betrauern, auf den die Unsterblichkeit folge.

74. Nun kann beim Sterben wol einige Empfindung stattfinden, doch nur auf kurze Zeit, zumal bei einem Greise. Nach dem Tode aber ist die Empfindung wünschenswerth, oder es ist keine vorhanden. Aber man muß sich von Jugend auf durch Nachdenken darauf vorbereiten, daß man sich um den Tod nicht kümmere. Denn ohne diese Vorbereitung kann Niemand ruhigen Gemüthes sein. Sterben muß man ja gewiß; nur das ist ungewiß, ob nicht noch an demselben Tage. Wer nun den zu allen Stunden bevorstehenden Tod fürchtet, wie kann der eine feste Stimmung behaupten?

75. Hierüber scheint mir nicht eben eine lange Erörterung nöthig zu sein, wenn ich mir vergegenwärtige, nicht etwa den Lucius BrutusLucius Junius Brutus, der bei der Befreiung seines Vaterlandes von der Herrschaft des Tarquinius Superbus besonders thätig gewesen war, wurde nach Vertreibung des Tarquinius aus Rom im J. 509 zum ersten Consul erwählt, fiel aber in einer Schlacht gegen die Vejenter und Tarquinier in einem Zweikampfe mit Aruns, einem Sohne des Tarquinius, der gleichfalls sein Leben verlor., der bei der Befreiung des Vaterlandes getödtet wurde; nicht die beiden DecierUeber die beiden Decier s. zu Kap. 13, §. 43., die zum freiwilligen Tode ihre Rosse anspornten; nicht den Marcus AtiliusMarcus Atilius Regulus wurde in dem ersten Punischen Kriege als Proconsul in Afrika 255 v. Chr. gefangen genommen und 250 wegen Auslösung der Gefangenen nach Rom geschickt, nachdem er den Eid geleistet hatte, wenn die Gefangenen nicht zurückgegeben würden, nach Karthago zurückzukehren. Zu Rom angelangt, widerrieth er selbst die Auslösung und kehrte nach Karthago zurück, wo er auf die grausamste Weise getödtet worden sein soll. Vgl. Cicer. Offic. III. 26, 99 sqq. Uebrigens erzählen die Schriftsteller den Tod des Regulus verschieden; der für diese Zeit wichtigste Historiker, Polybius, erwähnt Nichts. Daher ist in neueren Zeiten die Wahrheit der Erzählung von dem grausamen Tode des Regulus vielfach bezweifelt worden. Das steht aber historisch fest, daß Regulus in der Gefangenschaft der Karthager starb., der zur Todtenmarter abreiste, um sein dem Feinde gegebenes Wort zu erfüllen; nicht die beiden ScipionenUeber die beiden Scipionen s. zu Kap. 9, §. 29., die den Puniern sogar mit ihren Leibern den Weg versperren wollten; nicht deinen Großvater Lucius PaullusUeber Lucius Aemilius Paullus s. zu Kap. 9, §. 29., der die Verwegenheit seines Amtsgenossen in der Niederlage bei Cannä mit dem Tode büßte; nicht den Marcus MarcellusMarcus Claudius Marcellus, der in seinem ersten Consulate (222 v. Chr.) die Gallier bei Clastidium im Cispadanischen Gallien besiegte, ihren König Viridomarus in einem Zweikampfe tödtete, im zweiten Punischen Kriege (216) den Hannibal bei Nola in Kampanien in die Flucht schlug, dann Syrakus belagerte und eroberte (212), zuletzt in dem Treffen bei Venusia in Lucanien, von Hannibal besiegt, fiel (208)., dessen Tod nicht einmal der grausamste Feind der Ehre des Begräbnisses entbehren ließS. Livius 27, 28. Plutarch. Marcell. c 30: επιθαυμάσας τὸ παράλογον τη̃ς τελευτη̃ς τὸν μὲν δακτύλιον αφείλετο, τὸ δὲ σω̃μα κοσμήσας πρέποντα κέσμω καὶ περιστείλας εντίμως έκαυσε., sondern unsere Legionen, die, wie ich in meiner UrgeschichteS. zu Kap. 11, 38. niedergeschrieben habe, sich mit freudigem und aufgerichtetem Muthe oft an Orte begaben, von wo sie nie zurückzukehren glaubten. Was also junge Männer, und zwar nicht allein ungebildete, sondern auch Leute vom Lande gering achten, davor sollten sich gebildete Greise fürchten?

76. Ueberhaupt verursacht, wie es mir wenigstens scheint, die Sättigung aller Lieblingsbeschäftigungen auch Sättigung des Lebens. Die Kindheit hat ihre bestimmten Lieblingsbeschäftigungen. Haben nun wol die Jünglinge Verlangen nach diesen? Auch das angehende Jünglingsalter hat solche. Sehnt sich wol nach ihnen das schon gesetzte Alter, das wir das mittlere nennen, nach ihnen zurück? Auch dieses Alter hat solche; aber auch nach diesen fragt das Greisenalter nicht. Zuletzt gibt es auch gewisse Lieblingsbeschäftigungen des Greisenalters. Sowie also die Beschäftigungen des früheren Lebensalters absterben, so sterben auch die des Greisenalters ab. Und erfolgt dieß, so bringt die Sättigung des Lebens den Zeitpunkt herbei, der uns zum Tode reif macht.

XXI. 77. Ich sehe nicht ein, warum ich es nicht wagen sollte euch meine Gedanken über den Tod vorzutragen, wovon ich eine um so bessere Einsicht zu haben meine, je näher ich demselben stehe. Ich bin der Ansicht, daß euere VäterLucius Aemilius Paullus Macedonicus (s. zu Kap. 6, §. 15) und Gajus Lälius. Freund und Kampfgenosse des älteren Scipio Africanus, im J. 190 v. Chr. Consul mit Lucius Cornelius Scipio Asiaticus., Publius Scipio, und du, Gajus Lälius, Männer, die das größte Ansehen besaßen und mir höchst befreundet waren, leben, und zwar ein Leben, das allein den Namen »Leben« verdient. Denn so lange wir in diese Schranken des Körpers eingeschlossen sind, verrichten wir ein gewisses Amt des unvermeidlichen Verhängnisses. Der himmlische Geist ist nämlich aus seiner so erhabenen Heimat herabgedrückt und gleichsam herabgesenkt auf die Erde, einen seinem göttlichen und ewigen Wesen unangemessenen Ort. Aber ich glaube, die unsterblichen Götter haben die Seelen in die menschlichen Körper eingepflanzt, damit es Wesen gebe, welche die Erde in Obhut nehmen und welche, die Ordnung der Himmelskörper betrachtend, dieselbe in Maßhaltung und Gleichmäßigkeit ihres Lebens nachahmenCicer. N. D. II. 14, 38: ipse autem homo ortus est ad mundum contemplandum et imitandum. Der Mensch soll nach der Lehre der Stoiker die vernünftige, durch die göttliche Vernunft bestehende Ordnung des Weltganzen, die Vernünftigkeit und Gesetzmäßigkeit der allgemeinen Natur in seinem ganzen Leben nachahmen. Dieß nannten sie έπεσθαι τη̃ φύσει (folge der Natur) oder ομολογουμένως τη̃ φύσει ζη̃ν (lebe in Uebereinstimmung mit der Natur). S. Schwegler Gesch. der Philos. S. 89. Zeller Gesch. d. Gr. Phil. Th. III S. 126 ff..

Und zu diesem Glauben hat mich nicht allein das Nachdenken und die wissenschaftliche Untersuchung angetrieben, sondern auch die Berühmtheit und das Ansehen der größten Philosophen. 78. Ich hörte, PythagorasUeber Pythagoras und die Pythagoreer s. zu Kap. 7, §. 23. und die Pythagoreer – ich möchte sie unsere Landsleute nennen, da sie ehemals Italische Philosophen genannt wurden – hätten niemals gezweifelt, daß wir Seelen hätten, die aus der göttlichen Weltseele entnommenex universa mente divina delibatos animos. Cicer. Divin. I. 49, 110: a qua (natura deorum) . . haustos animos et libatos habemus. Tuscul. V. 13. 38: humanus animus decerptus ex mente divina cum nullo nisi cum ipso deo comparari potest. Aus der Lehre des Pythagoras über die menschliche Seele führt Diog. L. VIII, 28 folgenden Satz an: ει̃ναι δὲ τὴν ψυχὴν απόσπασμα αιθέρος καὶ του̃ θερμου̃ καὶ του̃ ψυχρου̃ τω̃ συμμετέξειν ψυχρου̃ αιθέρος· διαφέρειν τε ψυχὴν φωη̃ς· αθάνατόν τε ει̃ναι αυτήν, επειδήπερ καὶ τὸ αφ' ου̃ απέσπασται αθάνατόν εστι. seien. Es wurde mir außerdem gezeigtin Plato's Phädon., was Sokrates am letzten Tage seines Lebens über die Unsterblichkeit der Seele gesprochen hatte, er, der durch Ausspruch des ApolloS. Platon. Apol. Socr. p. 21, A. Nach dem Scholiasten des Aristophanes (Nub. 144) lautete das Orakel also:

Σοφὸς Σοφοκλη̃ς, σοφώτερος δ' Ευριπίδης,
’Ανδρω̃ν δὲ πάντων Σωκράτης σοφώτατος.
für den Weisesten unter Allen erklärt worden war. Kurz, das ist meine Ueberzeugung, das mein Urtheil: »Da die Seele eine so große Schnelligkeit, eine so große Erinnerung an das Vergangene und Einsicht in das Zukünftige besitzt; da sie so umfangreiche Wissenschaften inne hat und so viele Erfindungen gemacht hat: so kann ein Wesen, welches solche Dinge umfaßt, nicht sterblicher Art sein. Und da die Seele sich in beständiger Bewegung befindet und keinen Anfang der Bewegung hat, weil sie sich selbst bewegt; so wird sie auch kein Ende der Bewegung haben, weil sie sich selbst nie verlassen wird. Und da das Wesen der Seele einfach ist und in sich nichts ihr Ungleiches und Unähnliches beigemischt enthält, so kann sie nicht getheilt werden, und wenn sie das nicht kann, so kann sie auch nicht untergehen. Und zum großen Beweise, daß die Menschen das Meiste schon vor ihrer Geburt wissen, dient der Umstand, daß sie schon als Kinder, wenn sie schwierige Wissenschaften lernen, unzählige Gegenstände so schnell auffassen, daß sie dieselben nicht jetzt erst zu empfangen, sondern sich dieselben nur durch Rückerinnerung zu vergegenwärtigen scheinen.« Das ist etwa die Ansicht Plato'sDie hier kurz aus Plato's Phädon zusammengestellten Ansichten über die Unsterblichkeit der Seele führt Cicero in dem ersten Buche der Tusculanen weiter aus..

XXII. 79. Bei XenophonXenoph. Cyrop. VIII. 7, 17 sqq. S. zu Kap. 17, §. 59. aber spricht sich der ältere Cyrus nahe vor seinem Tode also aus: »Glaubt nicht, o meine theuersten Söhne, daß ich, wenn ich von euch geschieden bin, nirgends oder gar nicht mehr sein werde. Ihr saht ja auch, so lange ich bei euch war, meine Seele nicht; aber daß sie in diesem Körper wohne, erkanntet ihr aus den Handlungen, die ich verrichtete. Glaubt also, daß sie gleichfalls fortbestehe, wenn ihr sie auch nicht sehen werdet. 80. Und wahrlich, die Ehrenbezeigungen berühmter Männer würden nach ihrem Tode nicht fortdauern, wenn ihr Geist Nichts wirkte, wodurch wir das Andenken an sie länger bewahrtenBei Xenoph. l. d. §. 18: τοι̃ς δὲ φθιμένοις τὰς τιμὰς διαμένειν ετι ὰν δοκει̃τε, ει μηδενὸς αυτω̃ν αι ψυχαὶ κύριαι η̃σαν; d. h. glaubt ihr, daß den Todten die Ehrenbezeigungen verbleiben würden, wenn ihre Seelen über Nichts mehr Herren wären? Der Sinn unserer Stelle ist also: Ehrenbezeigungen berühmter Männer dauern fort, weil ihr Geist auch nach ihrem Tode auf die Menschen einwirkt.. Ich wenigstens konnte mich nie davon überzeugen, daß die Seelen, so lange sie in den sterblichen Körpern seien, lebten und, wenn sie aus denselben herausgegangen seien, dahinstürben; auch nicht, daß die Seele vernunftlos sei, wenn sie aus dem vernunftlosen Körper entwichen sei; sondern vielmehr, daß, wenn sie, von aller körperlichen Beimischung befreit, rein und lauter zu sein begonnen habe, dann erst weise sei. Auch ist es, wenn das Wesen des Menschen durch den Tod aufgelöst wird, deutlich, wohin jeder der übrigen Bestandtheile komme; es kehrt nämlich Alles dahin zurück, woher es entstanden ist; die Seele allein aber ist, weder wenn sie da ist, sichtbar, noch wenn sie weggeht. Ferner seht ihr, daß Nichts dem Tode so ähnlich ist als der Schlaf. 81. Nun aber thun die Seelen der Schlafenden am Meisten ihr göttliches Wesen kund; denn wenn sie losgespannt und frei sind, sehen sie Vieles von der Zukunft voraus. Hieraus ersieht man, wie sie beschaffen sein werden, wenn sie sich völlig von den Banden des Körpers losgemacht haben. Darum, fährt er fort, wenn dem so ist, verehrt mich wie einen Gott; ist es aber die Bestimmung der Seele, zugleich mit dem Körper unterzugehen, so werdet ihr doch aus Ehrfurcht vor den Göttern, die dieses schöne Weltall schirmen und leiten, das Andenken an mich fromm und unverletzt bewahren.«

XXIII. 82. So äußerte sich der sterbende Cyrus. Laßt uns nun, wenn es beliebt, einen Blick auf unsere Geschichte thun. Niemand wird mich, mein Scipio, je überzeugen, daß dein Vater PaullusS. zu Kap. 6, §. 15. oder deine beiden Großväter Paullus und AfricanusS. zu Kap. 9, §. 29. oder des AfricanusDie Brüder Publius Scipio, der der Vater des älteren Scipio Africanus war, und Gnäus Scipio. S. zu Kap. 9, §. 29. Vater oder Oheim oder viele andere ausgezeichnete Männer, die aufzuzählen nicht nöthig ist, so große Dinge unternommen hätten, die mit dem Andenken der Nachwelt in Beziehung stehen, wenn sie nicht in ihrem Geiste erkannt hätten, daß die Nachwelt mit ihnen in Beziehung stehe. Oder meinst du, – um auch von meiner Person nach Art alter Leute Etwas ruhmredig zu sagen, – ich würde so große Mühen bei Tage und bei Nacht im Frieden und im Kriege übernommen haben, wenn ich meinen Ruhm durch dieselben Gränzen, wie mein Leben, hätte beschränken wollen? Wäre es alsdann nicht ungleich besser gewesen mein Leben in Muße und Ruhe ohne alle Mühe und Anstrengung hinzubringen? Aber mein Geist, der sich, ich weiß selbst nicht wie, emporrichtete, blickte immer so auf die Nachwelt hin, als ob er dann erst leben würde, wenn er aus dem Leben herausgetreten wäre. Verhielte es sich nicht so, daß die Seelen unsterblich seien; so würden nicht die Seelen gerade der Edelsten am Meisten nach dem Ruhme der Unsterblichkeitad immortalitatis gloriam. So liest richtig Halm nach den Handschriften statt ad immortalitatem gloriae, das Orelli, Klotz und Andere aufgenommen haben. Gloria immortalitatis heißt ein Ruhm, der der Unsterblichkeit angehört, also ein ewiger Ruhm. streben. 83. Wie? daß gerade die Weisesten mit der größten Gemüthsruhe, die Thörichtesten mit dem größten Unmuthe sterben, scheint euch darin nicht ein Beweis zu liegen, daß der Geist, der mehr und weiter sieht, erkennt, er gehe zu einem besseren Leben über, während derjenige, dessen Blick minder scharf ist, es nicht erkennt? Ich wenigstens fühle mich von dem Verlangen gehoben euere Väter, die ich verehrt und geliebt habe, zu sehen. Aber ich wünsche nicht allein mit denen zusammenzukommen, die ich selbst kannte, sondern auch mit denen, von denen ich gehört, gelesen und selbst geschrieben habe. Und wenn ich mich auf dem Wege dahin befände, so dürfte mich wahrlich nicht leicht Jemand davon zurückbringen, noch wie den Pelias wieder aufkochenCicero hat hier den Pelias mit dem Aeson verwechselt. Aeson wurde von seinem Stiefbruder Pelias des ihm rechtmäßig zukommenden Königreichs Jolkos beraubt. Auf Bitten seines Sohnes Jason wurde der greise Aeson von der Medea, die dem Jason von Kolchos nach Jolkos gefolgt war, durch Zaubermittel wieder jung gemacht. Um sich an dem Pelias zu rächen, versprach Medea den Töchtern des Pelias diesen gleichfalls wieder jung zu machen. Sie ließ die Töchter ihren Vater zerstücken und mit Kräutern kochen, machte ihn aber nicht wieder lebendig. S. Nitsch-Klopfer Mytholog. Wörterb. Th. I. S. 90–92. Und wollte es mir die Gottheit verleihen aus diesem Alter in die Kindheit zurückzukehren und in der Wiege zu wimmern, so würde ich mich dessen weigern, und ich würde in Wahrheit nicht wünschen gleichsam nach durchlaufener Bahn vom Ziele wieder zu den Schrankenzu den Schranken, den Anfangspunkten der Rennbahn. Das Bild der Rennbahn wird bei den Alten oft auf das menschliche Leben übertragen. Vgl. Lael. 27, 101. Tusc. I. 8, 15. zurückgerufen zu werden.

84. Denn was hat das Leben für Annehmlichkeiten? was hat es nicht vielmehr für Mühseligkeiten? Aber mag es immerhin jene haben, so hat es doch gewiß auch seine Sättigung oder sein Maß. Denn ich habe keine Lust das Leben zu bejammern, wie es viele und zwar gelehrte Männer oft gethan haben; auch gereut es mich nicht gelebt zu haben, weil ich so gelebt habe, daß ich nicht umsonst geboren zu sein meine, und ich scheide so aus dem Leben wie aus einem Gasthause, nicht wie aus einem Wohnhause. Denn zum Verweilen hat uns die Natur eine Einkehr gegeben, nicht zum Wohnen. O des herrlichen Tages, an dem ich zu jener göttlichen Versammlung und Zusammenkunft der Geister gehen und aus diesem Gewühle und Gewirre scheiden werde. Denn ich werde nicht allein zu den Männern kommen, von denen ich zuvor sprach, sondern auch zu meinem CatoDem Sohne, der schon Kap. 6, §. 15 erwähnt worden ist. Er war der Schwiegersohn des Lucius Aemilius Paullus, unter dem er in der Schlacht gegen den Perseus kämpfte. Er starb als designirter Prätor im J. 153 v. Chr., dem edelsten, dem durch kindliche Liebe ausgezeichnetsten Manne, der je geboren ward, dessen Leichnam ich verbrannte, während er dem meinigen diesen Dienst hätte erweisen sollen. Sein Geist aber, der mich nicht verläßt. sondern nach mir zurückschaut, ist unstreitig in jene Räume hingegangen, wohin ich gleichfalls, wie er wußte, kommen muß. Diesen meinen Unfall sah man mich standhaft ertragen, nicht als ob ich ihn mit Gleichgültigkeit ertragen hätte, sondern ich tröstete mich selbst mit dem Gedanken, daß die Trennung und Scheidung zwischen uns von nicht langer Dauer sein werde.

85. Solche Vorstellungen, mein Scipio, – das war es ja, was du, wie du sagtestS. Kap. 2, §. 4., mit Lälius zu bewundern pflegtest, – machen mir das Alter leicht und nicht allein nicht beschwerlich, sondern sogar erfreulich. Wenn ich nun darin irre, daß ich an Unsterblichkeit der menschlichen Seele glaube, so irre ich gerne, und ich werde mir diesen Irrthum, an dem ich Freude finde, so lange ich lebe, nicht entreißen lassen. Sollte ich aber nach meinem Tode, wie gewisse kleinmüthige PhilosophenCato meint insbesondere die Epikureer, welche die Unsterblichkeit der Seele leugneten. meinen, kein Bewußtsein mehr haben, so fürchte ich nicht, daß die todten Philosophen diesen meinen Irrthum verspotten. Ist es nun auch unsere Bestimmung nicht unsterblich zu sein, so ist es doch für den Menschen wünschenswerth, daß sein Leben zu seiner Zeit erlösche. Denn die Natur hat, wie für alle anderen Dinge, so auch für das Leben ein gewisses Maß festgesetzt. Das Greisenalter ist aber der letzte Aufzug des Lebens, wie der eines Schauspieles, und in ihm müssen wir die Ermüdung meiden, zumal wenn Sättigung hinzutritt.

Das sind die Gedanken, die ich über das Greisenalter vorzutragen hatte. Möget ihr doch zu demselben gelangen, damit ihr das, was ihr von mir gehört habt, durch eigene Erfahrung bestätigen könnet.


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