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Deutschland als führender Weltstaat

Gezeiten gibt's in menschlichen Geschäften,
Nimmt man die Flut wahr, führt sie zum Erfolg. (Shakespeare)

Ein Freund – ein Deutscher – fragt sich und darum auch mich, offenbar besorgt, ob zu hoffen stehe, ein siegendes Deutschland werde die politische Reife besitzen, »Führer der Welt« zu werden? Mich rührt es tief, daß ein Mann inmitten der Siegesfreude diese bange Frage an seine Seele richtet; das ist echt deutsch; wenn Manche so denken und fragen, dann kann man mit Zuversicht in die kommende Friedenszeit hoffen. Jedenfalls verdient die Frage eine Antwort; die meinige soll in folgenden Zeilen angedeutet werden.

Es ist nicht leicht, in diesen Tagen Ruhe bewahren: ruhig sehen, ruhig urteilen, ruhig reden. Und doch ist's gefährlich, es nicht zu tun; denn Bedeutendes wird nicht in und aus dem Rausche geboren, sondern aus Klarheit, Besonnenheit, Willenskraft. Die deutschen Siege verdanken sich nicht bloß, ja, nicht in erster Reihe, dem so viel genannten furor teutonicus; vielmehr liegt ihnen die stille, treue, fähige und zielbewußte Arbeit von Jahrzehnten zugrunde. Von Vertrauen erweckender Seite erfahre ich, der ganze jetzige Feldzugsplan rühre bis ins Einzelne vom alten Moltke her; dieser habe sowohl den Krieg nach zwei, wie den nach drei Fronten ausgearbeitet; diese Vorarbeit habe dann in nie rastendem Fleiße der Generalstab auf dem Laufenden erhalten, die neuen Verkehrsmittel – wie Kraftwagen und Flugschiff – in Rechnung gebracht, die neuen Waffen desgleichen usw., das Gegebene weiter ausbauend; außerdem natürlich die Bereitschaft von Tag zu Tag geprüft und erhalten. Wir haben also zuerst die Tat des Genies, sodann die nie nachlassende, schweigende Pflichterfüllung der Vielen. Und erst zuletzt greift dann dasjenige entscheidend ein – das Dritte – was jenen beiden anderen Faktoren in Wirklichkeit als Element zugrunde liegt: die sonst verborgene Volkskraft, eine ideal-reale Größe, welche die geistige Glut genialer Empfindungsart mit der stummen Hingebung des Gehorchenden noch ungeschieden in sich vereinigt. Wir sehen: damit eine Nation wahrhaft Großes leiste, dazu muß dreierlei zusammentreffen – wurzelfeste Tüchtigkeit des Volkes als eines Ganzen, hohe Begabung Einzelner, methodische Durchbildung Vieler. Doch liegt es auf der Hand, daß das bloße Vorhandensein dieser Kräfte nichts nützt, wenn sie nicht in der Art ineinander wirken, daß jede zur vollen Geltung kommen kann.

Hier haben wir aber schon den Finger auf die schwache Stelle im politischen Deutschland des heutigen Tages gelegt. Wie in keinem Lande der Welt ist Alles da, Alles, was nötig wäre, um auch auf diesem Gebiete unerhört Großes zu schaffen; die Teile arbeiten aber nicht ineinander: Kraftverschwendung, Zeitverschwendung, Menschenverschwendung. Was hätte ein Moltke genutzt, wenn man ihn als »abgesägten« General in einer Provinzstadt hätte verschimmeln lassen? So verschimmeln die besten Kapazitäten Deutschlands. Was sollte ein Volk bewirken, das nie Gelegenheit hat, sich spontan und einstimmig als »Kraft« zu offenbaren, sondern sich jahraus, jahrein von Winkeladvokaten und Bierbankpolitikern dumm reden lassen muß über Dinge, die es nicht versteht, um sich dann in zwanzig Parteien zu spalten, die sich gegenseitig in den Haaren liegen? Wie herrlich groß, ja, sprechen wir es ruhig aus, wie heilig groß steht doch das deutsche Volk da, sobald jene obengenannten drei Elemente zusammenwirken! Wir Glücklichen, wir erleben es heute wieder einmal! Jeder Glaube bricht wieder plötzlich hervor; jede Hoffnung – auch die verwegenste – scheint berechtigt; erleben wir es doch, daß das Unmögliche möglich wird! Wie in der Armee, so auch im Friedenswerk gibt es nichts, was Deutschland nicht erreichen könnte. Und welche glorreiche Aussicht für die Zukunft der Menschheit, dem Einfluß eines solchen Deutschland als führenden Staates zu unterstehen! Und dennoch vermögen manche Männer in dieser Beziehung wenig Zuversicht zu hegen: der Abstand zwischen dem kriegführenden Deutschland und dem politischen Deutschland ist gar zu empfindlich.

Von den drei Kräften, die dem kriegführenden Deutschland seine unüberwindliche Gewalt verleihen, kommt im politischen höchstens die mittlere zur Geltung. Hut ab vor dem deutschen Beamtentum! Und doch, in welche Bahn der Verdrossenheit und Freudelosigkeit ist auch dieses geraten! Ein Beamtentum wie das deutsche, wissenschaftlich und methodisch zu höchsten Leistungen befähigt, braucht innere Freiheit, um froh seine Pflicht zu vollbringen, und diese Freiheit gewähren ihm nur genial gestellte Aufgaben, zu deren Lösung Jeder seine ganze Persönlichkeit einsetzen muß. Der Beamte – soll Großes geleistet werden – müßte sich in Friedenszeiten in ähnlich gehobener Lage befinden wie der Offizier in Kriegszeiten: von oben beflügelt, von unten getragen. Dazu müßten aber genial vorgezeichnete neue Wege kühn und sicher begangen werden. Neue Ideale sind nicht auf alten Wegen zu erreichen; die deutsche Heeresorganisation war zuerst eine Idee in den Hirnen einzelner Männer, ehe sie im kaufe eines Jahrhunderts zu dem wurde, was wir heute staunend bewundern; und weil sie eine Idee war, darum haben Tausende freudig an ihrer Verwirklichung gearbeitet.

Nicht dürfte die deutsche Volkskraft sich selbst parodieren in der unerträglich trivialen Gestalt des Deutschen Reichstages. Welches Satyrspiel auf die heroisch tragischen Ereignisse des Jahres 1914 jene Zaberndebatte, die ihnen voranging, endend mit dem schmählichen, zugleich lächerlichen Mißtrauensvotum! Man wirft vielleicht ein, der Reichstag habe sich jetzt gut benommen? So verhält es sich aber nicht. Das ganze deutsche Volk ist es, das wie ein Mann in seiner einzigen Größe sich emporrichtete; diesem urgewaltigen Vorgang gegenüber konnte kein Reichstag bestehen; nicht Reichstagsmitglieder ergriffen des Kaisers Hand, sondern deutsche Männer; als deutsche Männer handelten sie unbeirrbar. Doch tritt der Reichstag von neuem zusammen, so fängt sofort das alte Elend von vorn wieder an; Alles stockt, Alles erstickt, und das politische Leben ist ein trojanisches Trümmerfeld. Will Deutschland als politische Macht ähnliche Erfolge erzielen wie als militärische Macht, so muß es hier gründlich aufräumen und für neue Bedürfnisse neue Formen, neue Methoden finden und erfinden. In Wahrheit sind alle Nationen der Erde satt der Parlamente, satt des hochheiligen, allgemeinen Stimmrechtes, satt der unerschöpflich quillenden Redekaskaden, unter denen die gesamte zivilisierte Welt wie unter einer neuzeitlichen Sintflut dem Tode durch Ersaufen entgegengeht. Schweigen ist Kraft: man frage bei Generalquartiermeister von Stein an, ob ich recht habe; Schwatzen schwächt bis zu völliger Verblödung: das wird das Endergebnis unserer heutigen Parlamente sein. Und fragt man, welche Rolle dem Volk als Gesamtheit in der Ökonomie des neu zu gestaltenden politischen Ganzen zukäme, so antworte ich: das Volk wird das unbewußte, allnährende Wurzelbett bilden, den schlummernden Kräftehort, und wird sich dann ebenso bewähren, wie es sich jetzt im deutschen Heere bewährt. Sobald man nämlich das Volk schweigen läßt, redet es vernehmlich. Seine Rede ist keine Dialektik, sondern etwas viel Höheres. Einen Monarchen kann man vertreten, einen Stand, ein Gewerbe kann man vertreten, – man kann nicht ein Volk »vertreten«; Volk ist Natur, und ein Herr Müller oder Meyer kann es ebenso wenig vertreten, wie er einen Berg oder einen Wald vertreten kann. Diese angebliche »Volksvertretung« tut nichts weiter als die eigentliche Volkskraft vernichten und ein Chaos herbeiführen: sie schafft unaufhörliche Ruhelosigkeit und daher Beängstigung; sie zernagt jede Wurzelfaser, die zum Leben getaugt hätte; sie rationalisiert durch ihr Hin- und Hergerede und entseelt durch ihr Gezänk alle großgedachten Pläne. Dazu verschluckt sie wie ein ungeheurer Drache Berge von Kraft und Ozeane von Zeit – die alle dem Nationalleben für immer verloren bleiben. Das wahre Volk ist der instinktive Erkenner und Förderer großer Persönlichkeiten; die Reichstage sind die unfehlbaren Verkenner jeder über das Mittelmaß hervorragenden Begabung: man lese Bismarck's Reden und lese dann die Reden, welche die Mitglieder des »Hohen Hauses« darauf folgen ließen. Es ist die Schule des Ekels! Jedoch es hat etwas zu sagen und bedeutet ein gutes Zeichen, wenn wir unter allen Parlamenten der Welt gerade im Deutschen Reichstag das unerträglichste erkennen müssen; daraus entnehmen wir, wie undeutsch diese Erbschaft aus der französischen Revolution ist. Freilich richtet auch die französische Kammer ihr Land allmählich zugrunde; immerhin geht es in ihren Räumen ungleich geistvoller und kurzweiliger zu als im Deutschen Reichstag; Rede und Gegenrede hin und wieder wie einen Ball werfen, liegt der französischen Begabung gut, nicht minder das theatralische Wesen solcher abgekarteter Debatten, zu denen die Zuschauer beiderlei Geschlechts hinströmen wie ins Theater. Dem deutschen Wesen dagegen steht das Alles ganz und garnicht. Auch das englische Parlament eilt mit rasender Schnelle einer Katastrophe zu seit dem Tage, wo es aufhörte, der Versammlungsort unabhängiger Gutsbesitzer und geistiger Kapazitäten zu sein, um die Beute der politisierenden Rechtsanwälte zu werden; doch leben noch große Traditionen aus dem echten alten Germanentum in dieser Versammlung fort und schenken ihr vielleicht mehr als den bloßen Schein einer Würde, die dem Deutschen Reichstag abgeht.

Keine Nation der Welt ist annähernd so reich wie Deutschland an vielfältigen politischen Gebilden; es braucht wahrlich nicht, sich von außen Regierungsformen zu borgen. Wie tot ist Frankreich, mit der einen einzigen Stadt, wo Politiker, Künstler, Gelehrte, Kokotten, Alle auf einem Haufen leben, ringsherum von 500 000 Quadratkilometer öder Philisterei umgeben, ohne Kunst, ohne Wissenschaft, ohne Gesellschaft, »agri deserti« in jeder geistigen Beziehung! Welches ungestaltete monströse Chaos stellt Rußland dar; ein nur dank dem Trägheitsgesetz zusammenhängendes Konglomerat! Welch schwaches Ideal im schönen Österreich, nur durch die Loyalität gegen das Haus Habsburg aneinander gekittet zu sein, sonst alle Teile feindlich auseinanderstrebend! Und wie ist England gesunken, seitdem es das angestammte aristokratische Regierungsprinzip aufopferte, um nur noch nach Geld zu fragen! Hingegen lebt jeder einzelne Fleck Deutschlands, weil mannigfaltigste historische Tradition hier überall noch webt und gestaltet, weil hier allein die Gegenwart aus der Vergangenheit hervorwächst. Die Königtümer, die Herzogtümer, die Freien Städte, die demokratischen und die aristokratischen Regierungsformen: aus dem allen sprießt ja ein Leben, wie es noch nie gesehen wurde. Um Gotteswillen keine Unifizierung und Uniformierung; Deutschland ist darum eine wahre, organische Einheit, weil es aus Teilen besteht! Das heutige Deutsche Reich ist ein völlig neues Gebilde in der Geschichte der Menschheit; darum kann und soll und muß und wird es neue Formen des politischen Lebens gebären (hat es auch zum Teil schon getan). Weg mit französischen und englischen Vorbildern!

Nicht weniger muß das politische Deutschland neue Wege in der ganzen Auffassung des Verhältnisses zu anderen Staaten einschlagen. Hier hat Bismarck den Weg vorgezeichnet. An Stelle der hergebrachten »Diplomatie« lehrte er Staatskunst üben, eine neue, echt deutsche Staatskunst: verschwiegen aber nicht verlogen, klug aber nicht machiavellistisch, mutig bis zur Tollkühnheit, doch in Wahrheit ebenso besonnen und berechnet wie ein Feldzugsplan des deutschen Generalstabes. Nach Bismarck's bedauerlich verfrühtem Abgang aber geriet Deutschland sofort wieder auf die fremden Irrwege. Man achtete nicht jene Hauptwahrheit: daß ein Staatsmann bei Gelegenheit einen vorzüglichen Diplomaten abgeben kann (siehe Bismarck in Petersburg und in Paris), niemals aber ein regelrechter Diplomat den Stoff zu einem echten Staatsmann in sich trägt. Kein größeres Unglück konnte Deutschland begegnen, als wieder unter Metternichsche Regierungsprinzipien zu geraten. Man werfe nicht ein, die Geschichte kenne nur einen Bismarck; Grundsätze wirken mit Macht, sobald sie klar erkannt und tapfer ergriffen werden; sie geben die Richtung und zeugen sich die richtigen Männer, genau so wie im Kriege auf einmal die genialen Generale auftauchen, die im Frieden kein Mensch erraten hatte. Nein, an richtigen Männern fehlt es Deutschland auch hier gewiß nicht; nur muß ihnen Platz gemacht werden. Darum vor Allem: hinweg mit der alten Diplomatenschule! Nicht einmal innerhalb dieser eigentlichen »Diplomatie« besteht irgendein Deutscher gegen die Grey's und Delcasse's und Iswolski's und wie sie Alle heißen; das Beste an dem falschen System der nachbismarckischen Zeit war noch, daß man auf die gefährlichsten Posten Männer sandte, die dem Charakter und der Intelligenz nach unfähig waren, sich auf dunkle Schleichwege verleiten zu lassen; so kam wenigstens ein deutscher Zug inmitten des ganzen undeutschen Gebarens zur Geltung. Jetzt aber muß es anders werden, sonst unterliegt das politische Deutschland trotz aller Siege des militärischen Deutschland. Um Gotteswillen, keine Botschafterkonferenzen mehr!

Hat Deutschland erst die Macht errungen – und daß es sie erringen möge, das wollen wir zuversichtlich erwarten – so muß es sofort darangehen, genial-wissenschaftliche Politik zu treiben. Genau so wie Augustus eine systematische Umgestaltung der Welt vornahm, so muß jetzt Deutschland dasGleiche tun – aber auf welchem höheren Plan! Und wie unvergleichlich ausgerüstet zu diesem Behuf! Nichts darf dem Zufall überlassen bleiben. Große Politik kann nur von Wenigen erdacht und in eiserner Konsequenz durchgeführt werden; es ist absurd zu glauben, ein ganzes Volk könne »Politik« treiben, und nun gar jene Politik, zu der einzig Deutschland befähigt ist und die ihm allein ziemt. Man redet heute viel von »Volk«, und schließlich sind es immer bestimmte Kreise, welche die Gewalt an sich reißen und sie in ihrem egoistischen Interesse ausnutzen. Deutschland darf ebensowenig ein Industrie- wie ein Finanz- oder Agrarstaat werden; es muß von Kreisen regiert werden, die außerhalb aller Parteien und Sonderinteressen stehen; nur unter dieser Bedingung ist eine genial-wissenschaftliche Politik möglich. Es hört sich das vielleicht utopisch an; doch verlangt eine neue Weltzeit neue Methoden. Man übersehe doch nicht, daß, wenn auch Deutschland) jetzt in Europa siegt,des Kampfes damit noch kein Ende ist; die Bevölkerungen anderer Weltteile stehen da; siegen wird am letzten Ende nur, wer die Probleme ebenso klar erkannt hat wie Moltke die möglichen Kriegslagen, und wer, wie der deutsche Generalstab, stark und bewußt und treu und unbeirrbar und – vor Allem – ohne irgend ein Dreinreden von schwatzhaften volksvertretenden und volkzertretenden Advokaten bestehen zu müssen den einmal festgesetzten Plan durchführt.

Der neuen Zeit die neuen Ziele und die neuen Methoden!

Bayreuth, 8. September 1914.

 


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