Conrad Ferdinand Meyer
Angela Borgia
Conrad Ferdinand Meyer

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Letztes Kapitel

Nach soviel Trauer waren fünf Jahre über Ferrara gegangen, ohne daß die tragische Muse von neuem das Herrscherhaus besucht hätte. Ja, das Leben wollte sich zur Idylle gestalten, immerhin die Unruhe eines kurzen Krieges ausgenommen, der aber rasch über den ferraresischen Boden dahinfuhr.

Der Mörder des Großrichters Herkules Strozzi war, ungeachtet vielfacher polizeilicher Nachforschungen und der augenscheinlichen Bemühung des Herzogs selber, unentdeckt geblieben.

Der Oberrichter wurde mit der größten Feierlichkeit bestattet, und der Herzog ließ es sich nicht nehmen, als erster der Trauernden vor dem gerührten Volke dem mit Lorbeer überschütteten Sarge nachzuschreiten.

Auch die junge Witwe, denn der Anbeter Lukrezias hatte in standesmäßiger Ehe gelebt, besuchte Don Alfonso mit fürstlicher Teilnahme und trachtete ihren wilden Schmerz mit weiser Rede zu dämpfen. Die blühende Barbara Torelli aber war untröstlich und redete mit heftiger Gebärde bald davon, ihren Gemahl an seinem Mörder zu rächen, wenn sie ihn finde, bald verlangte sie, sich in ein Kloster zu begraben; in beiden Fällen aber gelobte sie dem toten Gatten ewige Treue.

Wenn nun der Herzog nichts über sie vermochte, so war es Ludwig Ariost vorbehalten, diese leidtragende Barbara aufzurichten. Er war ein Freund Strozzis gewesen und hatte schon dessen Mutter, eine stattliche Frau, herzlich verehrt. Jetzt bemühte er sich um die Witwe des verblichenen Freundes und suchte sie mit dem Leben zu versöhnen. Diese freundliche Aufgabe löste er in Jahrefrist so vollkommen, daß Barbara Torelli sich erbitten ließ, dem Dichter in sein neuerbautes Heim zu folgen und an seiner Seite jenes einfache Haus zu bewohnen, dessen Bescheidenheit Ariost in einem weltbekannten Distichon gepriesen hat.

Gleichgeblieben war sich auch das Gefängnis Don Giulios in dem »vergessenen« Turm, welcher von dem frühern engen Mauerkreis als ein unzerstörbares Wahrzeichen alter Wehrkraft stehengeblieben war und später von dem wachsenden Klosterhof der Klarissen eingeschlossen wurde.

Dieser fast unzugängliche Turm war selten bewohnt. Fensterlos nach dem Gäßchen, und auf der Seite des Nonnengartens von verwilderten Brombeerstauden und kletternden Schlingpflanzen bis zu seiner halben Höhe überwuchert, war er in das unbeachtete Weben der Natur zurückgekehrt.

Nur selten wurde er für ungefährliche Staatsgefangene benützt, deren Andenken sich verlor und deren Dasein in dem »vergessenen« Turm vergessen werden sollte.

Lange hatte sich die Oberin der Klarissen dagegen gesträubt, in den auf ihrem Gebiet stehenden Turm eine hohe Person mit unerbaulicher Legende, wie Don Giulio, eintun zu lassen. Sie kannte die Schwächen des leeren Nonnenherzens: Neugier, Mitleid, Lust an Heimlichkeiten, und fürchtete deshalb den gefährlichen Nachbar.

Auch war ihr der wahre Grund der Entfernung des blinden Este aus Fenestrella nicht unbekannt geblieben.

Zwar wurde ihr gesagt, die vor der Mündung des Po im Meere liegende kleine Festung sei in diesem Zeitlaufe gefährdet und werde sowohl von der Flotte des heiligen Markus als von den Schiffen St. Petri bedroht: aber sie hatte noch eine ganz andre Geschichte in Erfahrung gebracht. Die junge Frau des Gefangenenwärters, sagte man ihr, habe sich in den hübschen Prinzen trotz seiner Blindheit sterblich verliebt und ihren Mann bewogen, Don Giulio in einem Boote nach Venedig zu entführen. Darüber habe sie der Schloßvogt, ein Hauptmann aus der strengen Schule des weiland Don Cesare, überrascht und die Schuldigen, Mann und Weib, in das Meer versenkt.

In ein ebenso tiefes Stillschweigen wurde jetzt das Dasein Don Giulios im »vergessenen« Turme begraben.

Der Herzog hatte bei den schwersten Strafen sowohl dem Reisegefolge als dem neuen Kerkermeister seines Bruders verboten, die Gegenwart des Gefangenen zu verraten oder auch nur seinen Namen zu nennen. Und daß die Äbtissin und der Beichtiger des Klosters, welcher auch der Don Giulios war, schwiegen wie das Grab, darum war der Herzog unbesorgt.

Auch Angela schwieg von ihrer traumhaften Begegnung mit dem Blinden an der Turmpforte, als von etwas, das ihrem Herzen allein gehörte.

So wurde es möglich, daß die kluge Donna Lukrezia von der Rückkehr Don Giulios nach Ferrara nichts erfuhr, auch durch den Herzog nicht, dem die Herberge des blinden Bruders eine stete Sorge war. Ihn in den Kerkern seiner Stadtburg, gleichsam unter seinen Füßen, zu verwahren und über dem Haupte des Geblendeten ein heiteres Dasein zu führen, das brachte er doch nicht über sich. Legte er ihn aber in eine Landfestung, so war er gewiß, Don Giulios Leiden, seine Güte und die ihn umwebende Sage werde ihn bald so beliebt machen, daß ein Befreier nicht lange ausbleiben könne.

Der »vergessene« Turm neben den Klarissen war seine letzte Auskunft gewesen.

Hätte Lukrezia ihn über das Verbleiben Don Giulios befragt, sie würde die Wahrheit erfahren haben; aber sie hütete sich wohl, die wunden Punkte in der Seele ihres Gemahls, den Verlust Ippolitos und den Kerker des Blinden, unnötig zu berühren.

So fuhr sie fort, ohne zu ahnen, wer in ihrer Nähe wohnte, sich jährlich wenigstens in der Adventszeit auf einige Tage zu den Klarissen zurückzuziehen, wohin sie Donna Angela jedesmal begleitete. Ja, diese suchte sie dort, so lange als möglich, zurückzuhalten, denn die Zusprüche des Beichtigers der Klarissen, Pater Mamette, hatte den Sturm ihrer warmen Seele auf immer beruhigt, wie auch Donna Lukrezia viel von der einfachen Seelsorge des Franziskaners hielt.

Der Herzog irrte nicht, wenn er glaubte, daß das Wohl Don Giulios viele Seelen beschäftigte. Nicht nur der ferraresische Dichter legte damals an der bekränzten Pforte eines der Gesänge seines »Rasenden Roland« ein rührendes Fürwort für den im Kerker schmachtenden Blinden ein, auch ein Geringerer im Reiche der Geister ergab sich diesem mit Leib und Seele.

Eines Tages nämlich erschien an dem Tore des »vergessenen« Turmes ein kleiner, dürrer Greis, der unter jedem seiner Arme einen gewichtigen Folianten trug. Er legte seine Last auf die hohe Steinschwelle nieder und begann mit einem dicken Kiesel, den er aufraffte, an die stumme Pforte zu pochen.

Vergeblich! Denn diese öffnete sich nicht, und inwendig rührte sich nichts Lebendiges. Der Alte setzte seine Bemühungen beharrlich fort, daß er nicht bemerkte, wie eine kleine Schar herzoglicher Söldner in den Halbkreis des einsamen Gäßchens einlenkte, bis er von ihnen umringt und ergriffen war.

Jammernd bat er um Schonung für seine Bücher, die sie mit ihren Spießen untersuchen wollten,. und deckte seinen Schatz mit dem Leibe. Zu seinem Heil erschien in diesem Augenblicke der Herzog hoch zu Roß, der mit einem kleinen Gefolge von Sachkundigen einen Pulverturm auf seine Feuerfestigkeit hin untersucht hatte und jetzt auf dem kürzesten Wege in seine Stadtburg zurückkehrte.

Der Greis warf sich vor ihm nieder:

»Erhabener Herr, den ich erzogen habe«, rief er, »befreie mich mit meinen Freunden Plutarch und Seneka aus den Händen deiner Krieger!«

»Was hast du hier zu schaffen, Magister?« fragte der Herzog streng und zog die Brauen zusammen.

»Ich fühle mich berufen, einen erblindeten Zögling zu besuchen und seine Nacht mit der Weisheit der Alten zu erhellen!«

»Woher weißt du, daß der Blinde hier sitzt?« fuhr ihn der Herzog an.

»Von Liebe zu dem abtrünnigen Sohne der Wissenschaft erfüllt, und nachdem ich erfahren, daß er in Unglück und Dunkel gestürzt sei, verfolgte ich seine Spur bis nach Fenestrella. Dort sagten sie mir, daß er nach einer unverschuldeten Tragödie weggeführt worden sei, und das Gerücht berichtete, er sei in deine Nähe und unter deine persönliche Hut zurückgekehrt. Hier in Ferrara pochte ich, von meinem sokratischen Dämon geführt, an die Tür jedes Turmes, und dieser ›vergessene‹ ist der letzte, den ich finde.«

Ein geheimes Lächeln stahl sich in die Augen des Herzogs, und der Gedanke durchblitzte ihn, seinem ungücklichen Bruder die Gesellschaft ihres gemeinsamen, wie er wohl wußte, vollkommen harmlosen alten Lehrers zu gönnen. »Wenn hier wirklich ein blinder Schüler von dir wohnt, Mirabili, so magst du ihn meinetwegen allwöchentlich einmal besuchen und mit ihm deine unterbrochenen Lektionen fortsetzen.«

Auf seinen Wink stieß ein Leibwächter mit dem Holze seiner Lanze unter dem Rufe: »Auf! Im Namen des Herzogs!« so nachdrücklich gegen die verschlossene Tür, daß innen die Schlüssel augenblicklich rasselten und die Riegel zurückgingen.

Der Herzog ließ den erstaunten Kerkermeister an sein Pferd treten und befahl ihm leise und streng:

»Einmal wöchentlich öffne dem Alten diese Pforte zu Einlaß und Auslaß. Niemals am Tage, sondern vor Morgengrauen oder nach dem Ave Maria.«

Von Don Giulio mit Dank und Rührung empfangen, enthielt sich Mirabili, das zerstörte Angesicht, dessen Schönheit in früherer Zeit ihn beglückt hatte, lange zu prüfen. Ohne Zögern machte er sich ans Werk, den Gefangenen in die Herrlichkeiten der stoischen Schule einzuführen und ihm die Triumphe der Selbstüberwindung zu zeigen.

Wenn er ihm dann nach langer Sitzung die hohen Vorbilder pries, die ihn begeisterten, einen Zeno, einen Epiktet und vor allen den Kaiser mit dem Philosophenbart, den göttlichen Marc Aurel, sagte wohl der Blinde, der indessen an seinem Strohgeflecht gesessen hatte, traurig und müde:

»Ach, Mirabili, ich kenne diese vornehmen Herren nicht, und es will mir nicht gelingen, mich mit ihnen auf den Thron der Tugend zu setzen.«

Einen kräftigeren Trost reichte dem Blinden der Sohn des heiligen Franziskus, Pater Mamette. Auch er, wie der alte Mirabili, obwohl ein noch grünender, feuriger Mann, gehörte zu Don Giulios Jugenderinnerungen.

Aus einer Bauernfamilie Pratellos gebürtig, wurde er als ein verwaistes, ganz junges Blut von seinen älteren Brüdern, die nicht gesonnen waren, ihr Erbe mit ihm zu teilen, ins nahe Kloster geliefert, wo das unschuldige Kind unbeachtet, aber von den Mönchen wohlgelitten, aufwuchs. Dem Kleinen geriet, wie dem verkauften Joseph, alles zum besten, und sein von freudigen Augen beleuchtetes Angesicht war das Wohlgefallen und der Trost aller, die ihn kannten.

Als Don Giulio zum Jüngling erwuchs und sein prächtiges Pratello baute, war Mamette im Laufe guter und böser Tage zum Manne geworden und ein fertiger Franziskaner.

Don Giulio sah ihn eines Tages unter seinen Bauleuten, als er einem verunglückten Maurer beistand, ihn in seine Arme nahm und den Sterbenden mit mehr als mütterlicher Liebe in den Himmel hob.

Damit fiel er dem Este auf und berührte die wohllautendste Saite seiner Seele. Weil aber der Leichtfertige nach der Hofsitte einen Beichtvater haben sollte und man ihn längst beschuldigte, dieses Herkommen zu vernachlässigen, so entschloß er sich kurz und wählte Pater Mamette.

Außer zu den kirchlich gebräuchlichen Zeiten hatte er ihn übrigens nie rufen lassen, auch nach seinem Sturze ins Elend nicht. Erst da er das Todesurteil erwartete, ließ er ihn zu sich in den Kerker kommen und sich dann von ihm auf das Schafott begleiten.

Nach seiner Rückkehr aus Fenestrella wurde nun Pater Mamette der beste Freund seiner Gefangenschaft, und der von allen Seiten Gerufene und Begehrte zählte die Stunden nicht, die er zur Tröstung des Unglücklichen im vergessenen Turme zubrachte.

Da geschah es oft, daß der Pater den Blinden bei beiden Händen ergriff und ihm sagte: »Ihr kennt noch nicht den unerschöpflichen Born des Glücks: es ist das Geheimnis der Armut. Mein heiliger Franziskus, der mit ihr aufs innigste vermählt war, offenbarte es mir einst zur Rettung aus den Abgründen der Seele.

Erst wenn Ihr nichts mehr zu eigen habt, könnt Ihr die Liebe Gottes empfangen. Und wenn Ihr empfanget, könnt Ihr geben. Das ist meine Pforte zum Glück und zur Freiheit! Tretet mit mir ein! Werdet arm und ärmer, damit Ihr empfangen und geben könnt, wie ein Brunnen, der Schale um Schale überfließend füllt.«

Don Giulio fand anfangs, daß es für ihn, einen Beraubten und aus dem Lichte Gestoßenen, schwer sei, noch ärmer zu werden; er verstand nicht, daß er sich auch des Reichtums seiner selbstsüchtigen Schmerzen entschlagen müsse – immerhin drang das Geheimnis des heiligen Franziskus in eine Tiefe seiner liebedurstigen Seele, die weder Ariost noch Mirabili, weder der Dichter noch der Philosoph hatten erreichen können.

So vergingen drei der Kerkerjahre, aber auch Jugendfrische und Gesundheit des Blinden vergingen. Er welkte. Die dumpfe Luft des Sommers und die Feuchtigkeit des Winters, die Klosterspeise, die ihm geboten wurde und die er, anderes gewöhnt, oft unberührt ließ, die Entbehrung heftiger Leibesübungen, wilder Ritte, des Ballspiels, der Fechtkunst und, mehr als alles das, die Aussichtslosigkeit der Befreiung erschlaffte und lähmte ihn; denn er wußte – das Wort des Herzogs stand fest –, daß er bei dessen Leben den Kerker nicht verlassen werde.

Er selbst ergab sich in sein Los, aber dem alten Mirabili schnitt es in die Seele. Der zerfallende Greis konnte nicht sterben, ohne seinen Liebling befreit zu haben.

So entschloß er sich, ohne das Wissen und die nicht zu erhaltende Einwilligung Don Giulios, etwas Wirksames, zur Entscheidung Führendes zu unternehmen. Nach vielem Denken und einigen schlummerlosen Nächten brachte er das wichtige Werk zustande. Es war ein im reinsten Latein verfaßtes Schreiben, denn die italienische Schriftsprache war ihm nicht geläufig, noch erschien sie ihm zu seinem großen Zwecke erhaben genug. Nachdem Mirabili alle berühmten Gefangenen des Altertums, besonders alle unschuldig von Tyrannen in grausamen Kerkern gehaltenen, erwähnt hatte, ging er auf Don Giulio über, den Liebenswürdigsten und Unschuldigsten von allen, und beschwor den Herzog bei dem Gerichte der Unterwelt und der Nachwelt, seinen leiblichen Bruder zu befreien, indem er persönlich seine Ketten löse und sich auf öffentlichem Markt vor dem Volk mit ihm versöhne.

Kurz, es war ein herzlich ungeschickter und unheilvoller Brief, welcher den Herzog aufbringen mußte, und leider dieses ungewollte Ziel nicht verfehlte.

Schlimmer noch! Der Herzog wurde mißtrauisch. Er sah hinter dem Anschlage des Alten den des gefangenen Bruders, was freilich ein großer Irrtum war.

Er ließ Don Giulio seine herzogliche Ungnade und die Unwiderruflichkeit seines Kerkers wissen und stürzte diesen, dem damals auf der andern Seite ein süßer Stern der Hoffnung aufgegangen war, in tieferes Elend und auf das Krankenlager.

Gleichgeblieben, wie der Kerker Don Giulios, war sich auch der Stand der flavianischen Güter, die der Fiskus zu genießen fortfuhr, da die Gerichte über deren endgültigen Besitz noch nicht gesprochen hatten. Gleichgeblieben war sich die mühselige Werbung des Grafen Contrario um Donna Angela.

Gleichgeblieben, nein, gestiegen war ihre Abneigung gegen diesen unsträflichen Freier, dem sie, aufs äußerste getrieben, verzweiflungsvoll erklärte: sie liebe die Gerechten und Tugendhaften gar nicht – mehr schon die ringenden Bösen – am meisten aber die Barmherzigen, wenn sie die Sünder mit starken Armen emporziehen; über welche unerhörte Rede Graf Contrario sich mit Recht entsetzte.

Auch der Herzog hatte zuzeiten an der Gründlichkeit des Wissens und an der kritischen Ader des Grafen kein Vergnügen mehr, besonders wenn dieser mit Kennermiene das nach neuen Erfindungen gegossene Geschütz seines Gastfreundes prüfend umwandelte und jeden einzelnen Teil des Stückes einer eingehenden und vernichtenden Kritik unterwarf.

Dann preßte der Herzog den strengen Mund zusammen und ließ den Grafen allein. Nur der Wunsch, Donna Angela, dieses Hindernis der Rückkehr des Kardinals, zu verheiraten und damit wegzuräumen, verlieh ihm die Geduld, den unermüdlichen Tadler zu ertragen, solange es sein mußte.

Selbst im Bereiche Lukrezias bestrebte sich der Graf, unliebenswürdig zu werden; doch alle diese Versuche wurden an ihrer anmutigen Geschicklichkeit zunichte, wie sich eine streitsüchtige Brandung an einem sanften Ufer verliert.

Da ihm Lukrezia ihr Wittum, die flavianischen Güter, als mögliche Mitgift ihrer jungen Base vorspiegelte, überkam ihn aus Widerspruchsgeist ein großer Ärger, das, was in seinen Augen der rechtmäßige Besitz war, einem Weibe danken zu müssen, und er erhob sich gegen dieses Ansinnen mit männlicher Würde.

Lukrezia aber, die diese Entrüstung nicht für seinen Ernst hielt, antwortete lächelnd:

»Und wenn wir beide, die wir uns darum streiten, die flavianischen Güter in zwei Hälften schnitten und friedlich unter uns teilten, den Richtern zum Verdruß? ... Ich sage es nicht versuchungsweise, wie einst König Salomo, um Euer Herz zu prüfen, Ettore! Ist doch die Erde kein lebendes Kind mit einem unteilbaren Blut und Leben in den Adern, sondern bestimmt, in Stücke zerrissen, verteilt oder geraubt zu werden!«

Der Graf hätte sogleich zugegriffen, wäre er sich selbst über seine Gefühle für Donna Angela klargewesen. Am liebsten hätte er die flavianischen Güter ohne sie besessen. Er hatte das edle Mädchen von Anfang an als ein eigenwilliges und unerzogenes Geschöpf betrachtet – doch, o Wunder, seit einiger Zeit geschah etwas mit Angela. Ihre Härte und Herbigkeit verschwand wie die einer schwellenden Frucht, die an der Sonne reift, und welche andre Sonne konnte sie gezeitigt haben, als die Sonne der Liebe? Welcher Sterbliche aber konnte dieses stolze Herz besitzen, wenn nicht Graf Contrario?

Im Streite seiner Gedanken erbat er sich ein Jahr Bedenkzeit.

Während Angela, immer stiller werdend, am Hofe von Ferrara in der demütigenden Gewißheit lebte, daß der Herzog ihr Dasein als Übel empfand, dessen er sich gern entledigt hätte, trat Donna Lukrezia auf die Höhe ihres Glücks.

Sie hatte Don Alfonso zwei wohlgebildete und begabte Knaben gegeben, und er war ihr dafür, sie täglich höher haltend, von Herzen dankbar.

Fast ebensosehr liebte er die wunderbare Klugheit, mit welcher sie in der denkbar schwierigsten Lage, während des venezianischen Krieges, da der Herzog im Lager und die Fortdauer des Staates Ferrara bedroht war, ohne den Beistand des genialen Kardinals die Regentschaft führte.

Nicht, daß dieser für das Schicksal Ferraras gleichgültig geworden wäre. Er riet und wirkte von Mailand her mit brüderlicher Gesinnung zugunsten des Herzogs, soweit seine Macht reichte. Seine Körperkräfte aber verzehrten sich darüber, und er litt an häufigen Rückfällen seines verderblichen Fiebers.

Donna Lukrezia lenkte indessen auch ohne ihn das Staatsruder nicht nur mit weitester Umsicht, sondern im entscheidenden Augenblick auch mit männlicher Entschlossenheit. So war es kein Wunder, daß Ferrara und sein Herzog Lukrezia Borgia fast vergötterten.

Aber die kühle, besonnene Fürstin führte mit Bescheidenheit ihren Triumphwagen und hörte den hinter ihr stehenden lästernden Sklaven wohl, der, nach dem Gebrauche des römischen Triumphes, ihr jegliche Schmach ihrer Vergangenheit ins Ohr raunte und nichts vergaß, was sie beschämen konnte.

Da sie nun ihren Ruf vor der Welt gereinigt und wiederhergestellt hatte, war sie auch darauf bedacht, sich den Himmel zu versöhnen. Um so mehr gehorchte sie diesem Antrieb, da sie ihre Kinder mit Schmerzen gebar und oft von einer Ahnung frühen Todes beschlichen wurde.

Sie unternahm auch dieses Werk auf eine ganz sachliche Weise. Gleichwie ihr Vater in ungeheuerlicher Naivität nie an den Dogmen und Wundern einer Kirche gezweifelt hatte, deren Haupt und Schande er war, hatte sich auch Lukrezia in einer geistig heidnischen Welt niemals von den kirchlichen Formen und Vorstellungen entfernt.

Verständig wie sie war, täuschte sie sich nicht über die Summe und Schwere ihrer Sünden und dachte bescheiden von ihren Verdiensten, den frommen Übungen und Almosen, die sie zwar täglich zu vermehren trachtete, die aber gegenüber der Art und Größe ihrer Schuld vor ihren klugen und scharfen Augen täglich wieder zerrannen. Sie war eine Danaide, die unermüdlich Wasser in ein rinnendes Gefäß schöpfte. Nur der Verdammnis zu entgehen hoffte sie und mit Hilfe der kirchlichen Rettungsmittel einen untersten Raum des Fegefeuers zu gewinnen. Einmal dort, so überredete sich die Kluge in liebenswürdiger Torheit, würde es ihr durch die Vermittlung der Heiligen gelingen, eine höhere Stufe zu erreichen.

Pater Mamette, den die Herzogin, sooft sie bei den Klarissen wohnte, als einen Sachkundigen in den Angelegenheiten ihrer Seele zu Rate zog, war in der göttlichen Mathematik erfahren, nach welcher die Großen klein sind und die Armen alles besitzen, und sah wohl, daß sie zu den Reichen gehörte, die schwerlich ins Himmelreich kommen. Ihr Ursprung schon, im Schoße der Kirche, mußte ihm ein Herzeleid sein. Doch nicht hierin noch in ihrer schauerlichen Jugend sah er den Felsblock, der ihr die niedrige Pforte der göttlichen Armut verschloß. Wohl aber in ihrer Schlangenklugheit, mit der sie sich selbsttätig durch alle Spalten emporwand.

Doch erkannte er dankbar den Segen, den ihre geschmeidige Lebensweisheit und Staatskunst dem ferraresischen Hause und Staate brachte, und im übrigen getröstete er sich mitleidig damit, daß bei Gott kein Ding unmöglich sei.

Und wenn sie ihm klagte, sie könne Gott nicht lieben, sagte er ihr, der Anfang der Werbung gebühre dem Manne, und sie müsse in Geduld und Almosen ausharren, bis Gottes Liebe um sie freie.

Im vertrauten Umgange mit dem Franziskaner ließ es sich die Herzogin nicht entgehen, ihn auch über Angelas Herz zu beraten. Sie klagte über der jungen Base eigenartiges und gegen die Kirche unbotmäßiges Gewissen, das ihr einrede, sie sei der Ursprung und die Verkettung einer Menge von Unheil, das durch keine kirchliche Buße zu sühnen sei. Diese hochmütige Trauer über eine eingebildete oder willkürlich vergrößerte Schuld sei das Hindernis einer glänzenden Versorgung, die sie für das Mädchen im Auge habe. Es sei die Pflicht Pater Mamettes, dieses übertriebene Gewissen zur Bescheidenheit zurückzuführen und ihr den Verstand des Lebens beizubringen.

Des Paters dunkle Augen lachten, als er erwiderte:

»Es ist wahr, Erlaucht, das Gewissen Eurer Base ist vorlaut und aufrichtig, wie der erste Schlag der Morgenglocke, der zur Messe ruft. Doch in einem irrt Ihr, sie scheut die kirchliche Buße nicht . . . ich habe ihr die richtige auferlegt.«

Und er beurlaubte sich, der Herzogin den Segen erteilend.

Lukrezia ergriff in klösterlicher Demut die Hand des Franziskaners, um sie zu küssen, streifte dann aber, nachdem sie flüchtig zwischen der Hand und dem Ärmel gezaudert, mit dem zarten Munde die eigenen Finger.

Im fünften Lenz der Gefangenschaft Don Giulios suchte die Herzogin zu ungewöhnlicher Zeit die Klosterstille. Sie hatte ein totes Kind geboren und zog sich zu den Klarissen zurück, um zu trauern über das verlorene, und zu danken für ihr eigenes, gerettetes Leben.

Doch nach einer Reihe stiller Tage wurde ihr Aufenthalt unversehens gestört und abgekürzt.

Die Ereignisse bewegten sich um den »vergessenen« Turm, der bisher in seiner Blätterwildnis von ihr unbeachtet geblieben war.

Eines Tages fehlte die alte Äbtissin im Refektorium bei der Hauptmahlzeit, an welcher die Herzogin mit Angela aus besonderer Güte teilzunehmen pflegte. Sie lag krank. Infolge eines plötzlichen Schreckens war ihr die Gicht aus den geschwollenen Füßen in die Brust gestiegen, und sie atmete mühsam. Die Schwestern aber waren verstört wie eine Schar hirtenloser Schafe.

In der Verwirrung vergaßen sie sogar die Klosterregel des Schweigens und erzählten sich wispernd die unglaublichsten Geschichten, die im Frühlicht dieses Tages sich im »vergessenen« Turnre ereignet und die hochwürdige Mutter dem Tode nahegebracht haben sollten. Der verlarvte Prinz, der dort seit Jahren sein Wesen treibe, sei in der vergangenen Nacht entführt, andre sagten – erdrosselt worden.

Eines sei sicher, der alte Mirabili, der allein in das Verlies sich habe einschleichen können, sei vor Sonnenaufgang mit schweren Ketten beladen und mit sterbendem Angesicht am Klostertore vorübergeführt worden. Schwester Consolazione habe mit eigenen Augen gesehen, wie der jammernde Greis, mit Eisen belastet, sich kaum habe weiterschleppen können. Er habe unter unverständlichen Hilferufen die gefesselten Hände nach ihr ausgestreckt. Sie hätte blutige Tränen darüber weinen mögen.

»Wer ist dieser Vermummte, das Gespenst des ›vergessenen‹ Turmes?« wandte sich die Herzogin an Angela, indem sie sich mit ihr aus der verwirrten Nonnenschar des Refektoriums in ihre Zelle zurückzog. »Mirabili? Ist das nicht der Name des alten Lehrers meines Herrn und der Prinzen, seiner Brüder? ... Sollte Don Giulio ...«

Eine schnelle Entdeckung erhellte und beschämte ihren Geist. »Taucht der Verschollene wieder auf? Und hier? Und sie sagen, daß er schon lange da ist! Wie konnte mir das entgehen und so lange verborgen bleiben!« –

Ohne sich weiter um die tief errötete Angela zu kümmern, schloß sie sich in ihre Zelle ein und schrieb an den Herzog.

Sie meldete ihm, der Friede des Klosters sei durch eine Verhaftung gestört worden. Ein rätselhaftes Begegnis, dessen Erklärung allein seine Hoheit ihr geben könne, mache eine Zwiesprache zwischen ihr und ihrem Gemahl wünschbar und beendige ihren Aufenthalt bei den Klarissen. Er möge sie morgen in der ersten Abendstunde zurückerwarten.

Lukrezia verließ an jenem Abend ihre Zelle nicht mehr. Sie erkundigte sich durch eine Zofe nach dem Befinden der Äbtissin und erfuhr, Donna Angela besuche eben die Kranke, der es besser gehe. Pater Mamette sei angekommen und das Kloster in seine Ruhe zurückgekehrt.

Lukrezia wollte die Klarissen nicht verlassen, ohne den Wolf zu kennen, der die fromme Herde in Aufruhr gebracht hatte.

So beschied sie auf eine Frühstunde des nächsten Tages, statt der kranken Äbtissin, Pater Mamette, dessen Ankunft ihr gelegen kam, auf ihre Zelle.

Sie wollte ihn über seine geheime Mitwissenschaft an diesen Dingen, die sie vermutete und die sie ihm verdachte, zur Rede stellen und, wenn es nötig wäre, ihn mit den verfänglichsten Fragen martern.

Die Lenznacht war schwül und mit dem Dufte unzähliger Blüten beladen.

Die Herzogin fand keine Ruhe, sie erhob sich und setzte sich an das geöffnete Fenster.

Der die weiten Gastzellen enthaltende Anbau bildete eine Seite des vergrößerten Klosterhofes und war durch dessen südlichen, mit dem üppigen Laube der Feigen und Limonen dichtgefüllten Winkel von dem »vergessenen« Turme getrennt. Über dem Blätterdache trat die schwere, durch Verfall und Überwucherung formlos gewordene Masse des gewaltigen Rundbaues in den Hof hinein. Lukrezia erinnerte sich, früher zur Nachtzeit eines der kleinen zwei oder drei, kaum sichtbaren, auf ungleicher Höhe in die Mauer gebrochenen Fensterchen schwach erhellt gesehen zu haben. Heute war das Innere des Turmes dunkel. Von außen aber war er überglänzt von den hohen Sternbildern und an seinem Fuße umschwärmt und umtanzt vom Funkenspiele zahlloser Leuchtkäfer.

Stundenlang belauschte die Schlaflose die Stille der Nacht und das Rauschen des Hofbrunnens.

Da war es, als knickten die Zweige und rauschten leichte Tritte auf dem Rasen. Es wurde wieder still. Jetzt präludierte leise eine Laute. Und jetzt vernahm Lukrezias Ohr aus der Tiefe des Turmes und einer männlichen Brust einen sanft beginnenden und in Sehnsucht anschwellenden Gesang:

»Ich glaube, daß im Maienduft der reine

Gestirnte Himmel glänzt, ich kann's nicht schauen!

Ein einz'ger Stern darf meinen Himmel zieren ...

Und, wehe, meinen Stern muß ich verlieren,

Dich, treues Weib, die Liebende, die Meine!

Mein Leben kehrt zurück in stummes Grauen!

Der Freund war mein Verderben.

Ich muß vergehn und sterben,

Mißgünstig schickt der Bruder mich von dannen,

In öde, fremde Kerker mich zu bannen.«

Lukrezia war nicht im Zweifel, daß sie Don Giulios markige Stimme hörte; bevor sie aber die Bedeutung dieser in Wohllaut klagenden Worte erfassen konnte, antwortete eine andre Nachtigall aus den Feigenbäumen empor.

Auch diese weiche Altstimme war ihr wohlbekannt. Angela sang:

Getrost! An diesem Tag, der schon im Osten

Den Himmel bleicht, geb' ich Lukrezien Kunde

Von unsrer Treu', zerreißend feige Schleier,

Und wir begehen unsre Hochzeitsfeier,

Gemeinsam fürder Lieb' und Leid zu kosten,

Und wär' es auch in eines Kerkers Grunde!

Willkommen, junge Klarheit!

Willkommen, Tag der Wahrheit!

Von Haft zu Haft bis in das Reich der Schatten

Begleit' ich den geliebtesten der Gatten.«

Nach einer großen Überraschung und einer Aufwallung von Ärger, die ebensosehr ihrer eigenen jahrelangen Unaufmerksamkeit als dem Geschehenen galt, empfand die Herzogin, lebensklug, wie sie war, jene Beruhigung, die in der vollendeten Tatsache liegt. Denn, wie sie die Base kannte, war es für sie Gewißheit, daß der Zwiegesang am »vergessenen« Turme ein entschlossenes Opfer Angelas und eine vorangegangene Trauung bedeutete, und sie ahnte auch mit Sicherheit, welcher Priester diesen unwiderruflichen Akt vollzogen habe.

»Der gottlose Franziskaner«, schalt sie ganz im Ernste, indem sie sich auf ihr Lager zurückzog, wo sie, ihr leichtes Haupt auf das Kissen legend und ihre Gedanken abwerfend, entschlummerte.

Sie schlief in den hellen Morgen hinein, und als sie erwachte, erblickte sie Angela, die mit bittenden Augen an ihrem Lager kniete.

Sie aber schloß ihre Lider noch einmal, legte das blonde Haupt auf das Polster zurück und sprach abwehrend:

»Verschone mich mit deiner Bitte, die ich ungesagt kenne ... Du willst mich wieder bei den Klarissen zurückhalten, weil du der geistlichen Übungen nicht satt wirst, du Fromme! Diesmal kann es nicht sein ... ich erwarte die Verfügung des Herzogs. Und liegt dort nicht schon ein Schreiben Don Alfonsos? Du hast es mir während meines Schlummers gebracht? Gib es mir gleich!«

Sie löste das Siegel und überflog die Botschaft mit raschem Blicke. Ihr Gemahl hatte geschrieben:

»Geliebte Herzogin!

Beruhigt Euch über den Vorfall im Kloster. Es handelt sich einfach um die Torheit des altersschwachen Mirabili. Er verkehrte mit dem Blinden, der, wie Ihr vielleicht nicht wußtet, seit einigen Jahren den ›vergessenen‹ Turm bewohnte, ihn aber heute verläßt. Der Alte hatte sich in den Gedanken verbohrt, den Blinden, dem die Verführungskunst geblieben ist, in Freiheit zu setzen. Nachdem er vor zwei Jahren schon ein wunderliches und unehrerbietiges Schreiben an mich gerichtet, hat er vor kurzem, Torheit auf Torheit häufend, mit einer erbärmlichen Summe den Torwart zu bestechen versucht und nach einem Abdruck in Wachs einen Schlüssel des Turmes bei meinem Hofschlosser bestellt. Wenige Stunden später lag Bestechungssumme und Wachsabdruck auf meinem Tische. Ferne sei von mir, über meinen weiland Lehrer, der bei grünen Kräften mich zu meinem Heile und mit gutem Erfolg gezüchtigt hat, strenges Gericht zu halten! Er sitzt nun bei meinen Benediktinern in Modena, die ihn mit ihren Manuskripten und ihrem festen Hause aufbewahren.

Es ist gut, daß Ihr heute kommt. Graf Contrario wird mir von Stunde zu Stunde leidlicher. Nicht genug, daß er in meiner armen Fayencemalerei ein falsches Kunstprinzip erkennt, ist er mir gestern hinter meine Drehbank geraten und hat mir mit seinen eigensinnigen Fingern eine Hauptschraube verkrümmt. Kornmet, bevor er mir alles verdirbt, und bringet das Mädchen mit, daß wir sie heute noch zusammengeben und beide, nebst den flavianischen Gütern, endgültig loswerden.

Inzwischen Euer gnädiger und Euch herzlich liebender Gemahl.«

Lukrezia las diese Zeilen zwischen Lächeln und Besorgnis. »Große«, sagte sie – so pflegte sie die höhergewachsene Angela scherzend zu nennen –, »reiche mir das Morgengewand und mache mich fertig, daß wir mit lauterm Antlitz und geordneten Gedanken dein Bestes erwägen, denn, wisse, von deiner Zukunft handelt dieser Brief. Der Herzog wünscht dich noch heute mit Graf Contrario zu vermählen.«

Als Angela zusammenschrak, lächelte die Herzogin: »Frauenschicksal! ... Bist du denn ein Heiligtum, daß du eine redliche Werbung als Beleidigung empfindest, nicht anders, als schände dein Freier einen geweihten, oder betrete wenigstens einen fremden, verbotenen Boden?

Ich habe dich aus Rom nach Ferrara mitgenommen, um dir in dieser gewalttätigen Zeit durch eine ehrenvolle Heirat eine feste und hohe Stellung zu geben, und der Graf, den wir für dich erwählt haben, bietet dir, bei einigen unangenehmen Eigenschaften, alle diese bedeutenden Vorteile. Dazu ist er ein vollkommener Edelmann.«

»Edelmann?« spottete Angela, »und er würde mich heimführen ohne Liebe? Als Anhängsel der flavianischen Güter?«

»Was forderst du denn?« antwortete Lukrezia erbittert: »Willst du es anders haben, als wir alle? Was ist Männerliebe? Reiz, List, Begier, Gewalttat, Haß, Ekel! ... Ich habe nie einen Mann geliebt!« So bekannte Lukrezia Borgia.

Angela schwieg. Sie wußte es anders und besser. Dann sagte sie einfach: »Aber die Liebe, die aus Reue und Mitleid stammt?«

»Das ist die himmlische«, meinte Lukrezia, »ganz nach dem Katechismus!«

»Himmlisch oder irdisch!« bekannte Angela, »aus dieser Liebe bin ich das Weib Don Giulios geworden.«

Die Herzogin stellte sich erstaunter und erzürnter, als sie war:

»So konntest du dich gegen mich und den Herzog vergehen, du Arge! Du stürzest dich in die Schmach und das Dunkel, statt, wie es jedem edeln Weibe geziemt und angeboren ist, hoch und höher zu streben und durch verborgene Klugheit das Leben zu beherrschen! Du aber, Niedrige, suchst den Kerker eines Blinden und Verurteilten.«

»Wie ich mich so erniedrigen konnte, will ich dir erzählen, Lukrezia«, sagte Angela stolz und demütig.

»Am Abend, da Strozzi ermordet wurde, und ich zu dir ins Kloster floh, sah ich, wie Don Giulio in den ›vergessenen‹ Turm gebracht wurde, und schon damals hafteten meine Blicke an den erbarmungslosen Mauern und trugen mich meine Füße unter das im Grün verborgene Gitterfenster. Schon damals hätte ich gern zu ihm geredet, aber die Stimme versagte mir.

Im Herbste dann, zur Adventszeit, erreichte sie ihn. Der Nordwind hatte einen Haufen welken Laubes ergriffen, wirbelte es empor und jagte es durch das Kerkerfenster zu dem Este hin, so daß die morschen Blätter ihn raschelnd überschütteten und, wenn er danach tastete, in seinen Händen zerbrechen mußten. Da erschien es mir unendlich grausam, daß die Natur dem Elenden ihren Tod über das Haupt streute. Ich erhob meine Stimme und rief:

›Don Giulio, Euer Unglück ist da! Es folgt Euch in Liebe.‹

Er aber erkannte meine Stimme und antwortete: ›Sei mir willkommen! ...‹ Damals und später, sooft ich mich ihm nähern konnte, erkärte er mir sein Inneres folgendermaßen:

›Als du mich einst in Pratello aufstörtest, sagte ich dir, du könntest mein Vergangenes nicht ändern und meine Augen nicht wiederschaffen; aber jetzt sind mir geistige aufgegangen. Ich sehe‹ – er lächelte –, ›ich sehe mit ihnen, daß, wenn mich dein zufälliges Wort geblendet hat, es zu meinem Heile geschah; zwar auf eine schmerzliche und gewaltsame Weise, wie eine Mutter ihr schreiendes Kind einem Räuber aus den Armen reißt! Denn ich wäre in dumpfer Lust zugrunde gegangen, während ich jetzt mit hellen Sinnen lebe, wenn auch als ein Verminderter, da mir das edle Augenlicht genommen ist, und ich beschränkt bin bis auf ein dunkles Tagewerk. Nur sehne ich mich freilich nach der Waldluft und dem Erdgeruch meines Pratello und auch nach den Hunderten, die es bebauen und denen ich gerne ein guter und gerechter Vater wäre.‹«

Und Angela begann mit überschwenglichen Worten Don Giulios neues Wesen zu preisen und auch ihr Glück ... Doch das Unaussprechliche ließ sich nicht sagen, und sie schloß damit, Lukrezia zu umhalsen und bis zum Ersticken zu küssen.

Während sich diese der Umarmung zu entziehen suchte, trat Pater Mamette mit schuldlosem und hellem Angesicht ein.

Die Herzogin aber wandte sich entrüstet gegen ihn.

»Ruchloser Mönch!« redete sie ihn an, »wie durftest du es wagen, deinen Herzog mit so frechem Eingriff in seine vormundschaftliche Macht über diese hier zu beleidigen?«

»Ihr meint, erlauchte Frau, damit, daß ich Don Giulio d'Este mit Donna Angela Borgia getraut habe?« sagte er bescheiden. »Ich tat es im Dienste einer höheren Gewalt als der des Herzogs. Es handelte sich um das Leben Don Giulios und um den Frieden dieses Herzens!« – er blickte auf Donna Angela.

»Im Grunde des ›vergessenen‹ Turmes liegt eine enge Kapelle, die zum Dienste der Gefangenen bestimmt ist und durch ein hochgelegenes, schmales, mit schweren Eisenstäben vergittertes Fenster kaum erhellt wird.

Dorthin führe ich allsonntäglich Don Giulio und lese für ihn die Messe. Da erhob ich einmal vor Jahren während der heiligen Gebräuche den Blick zum Fenster, wo sich etwas, wie die Schwinge eines Vogels, geregt hatte. Zwischen dem grünen Blattwerk sah ich braunes Kraushaar und zwei andächtig leuchtende Augen. Es konnte ein Engel sein, welcher der heiligen Messe beiwohnte ... er störte mich nicht.

Als ich dann den Kerker verließ, begegnete mir in der Klosterkirche Donna Angela, deren Beichte ich hören sollte.

Ich erschrak bei ihrem Anblick; denn ihre Stirne trug in tiefen blutroten Striemen das Zeichen des Kreuzes.

Was konnte es anders sein als der Eindruck des Fenstergitters der Turmkapelle? Ich erriet, daß die Jugendliche, das verschlungene Geäst der Feigenbäume benützend, im Laubdunkel verborgen, die Stirn auf die harten Eisenstäbe gestützt hatte, um in die Kapelle hinunterzublicken.

In ihrer Beichte quoll ihr Elend empor. Tiefer und blutiger, als es auf ihrer Stirne stand, hatte sich das Gefängnis Don Giulios in ihr Herz eingeschnitten. Die ganze Schuld an der Blendung des Este und nicht minder die Schuld seines Hochverrats lag auf ihrem Gewissen. Sie war die Ursache seines Kerkers.

Sehnsüchtig verlangte sie nach einer Sühne, die unmöglich war, und nach einer Buße, welche die Höhe ihrer Schuld niemals erreichen konnte. Seine Augen konnte sie nicht neu schaffen, und ihr Verlangen, wenigstens, mit ihm verurteilt, sein Kerkerdunkel zu teilen, konnte ihr die irdische Gerechtigkeit nicht gewähren. Aus diesem Inhalt ihres Herzens erkannte ich die große Liebe zu Don Giulio: Denn Liebe schlägt gering an, was sie gibt, hoch, was sie verschuldet, und bedarf einer großen Vergebung.

Was aber das Recht nicht verleihen kann, das gewährt die Barmherzigkeit der Kirche. So mußte und durfte ich unwürdiger Priester durch das Sakrament der Ehe die beiden in eine Schuld und in eine Buße vermählen.

Das Staatsgesetz übertraten sie bei der Trauung in keiner Weise. Der Gefangene verließ den Turm nicht, er stand in der Kapelle, und Donna Angela stützte wieder ihre Stirne an das Gitterkreuz, durch welches die von mir gesegneten Ringe gewechselt wurden ...«

»Solche Ehe ist verwerflich und ungültig«, behauptete die Herzogin empört.

»So blieb es«, fuhr der Franziskaner ruhig fort, »bis Don Giulio nach dem unglücklichen Briefe Mirabilis von einem verderblichen Fieber aufs Lager gestreckt wurde. Wie war es möglich, die eines Gewordenen im Sterben zu trennen! ... Er genas unter Donna Angelas Pflege. Die Ehe blieb verborgen, da Angela damals länger als sonst und allein bei den Klarissen blieb, während Eure Erlaucht zur Zeit des venezianischen Krieges in Abwesenheit des Herzogs vom Morgen bis zum Abend dem Wohle des Staates lebte. Die Stunde der Entdeckung stellte ich, wie unser ganzes Los, in Gottes Hand.«

»Das Eurige könnte leicht ein schlimmes werden, ehrwürdiger Vater, wenn ich mich nicht herablasse, bei Don Alfonso für Euch einzutreten und fürzusprechen!« sagte Donna Lukrezia mit einem Zuge der Verachtung um den feinen Mund.

»Tut, was Ihr dürft!« erwiderte der Franziskaner und beurlaubte sich.

Als am Abend in der Dämmerung die Sänfte der scheidenden Herzogin, aus dem Kreise der Nonnen fortgehoben, ins Freie trat, erschien vor dem Tore des »vergessenen« Turmes der Pater noch einmal. Mit erbleichtem Angesicht hielt er die Träger auf und flüsterte der Herzogin zu:

»Der Gefangene ist verschwunden. Ich weiß, daß der Hauptmann der herzoglichen Leibwache verlarvt bei ihm erschien und ihn unter einer dunkeln Maske weggeführt hat. Tretet für ihn ein, Madonna, wie Ihr es mir verhießet!«

Als die beiden Frauen den erleuchteten Festsaal der Burg betraten, fanden sie dort Don Alfonso, der, die Herzogin erwartend, auf und nieder schritt und sich zuweilen mit einem Blick und einem Rat an der Schachpartie beteiligte, welche ein grauer Höfling mit langer ehrwürdiger Nase gegen den Grafen Contrario spielte.

»Schach und matt!« krähte der Graf triumphierend und trat, während sein Gegenpart vernichtet auf das verlorene Spiel starrte, den Frauen ritterlich entgegen.

Aber schon hatte der Herzog Donna Lukrezia zu einem entfernten Ruhesitz geführt und begann, nachdem er sie kurz begrüßt hatte, ihr ein Schreiben mitzuteilen. Es kam aus Mailand. Der Kardinal Ippolito hatte es mit zitternder Hand geschrieben, und es lautete:

»Geliebtester Bruder, ich bereite mich zum Sterben. Ein inneres Geschwür tötet mich. Ich leide unerträglich. Mich quält der Gedanke: Vielleicht könnte ich leichter scheiden, wenn Don Giulio, mit dem ich mich oft beschäftige, seinen Kerker verließe.

Erweise mir diesen letzten Dienst und lebe wohl.«

»Du begreifst«, sagte der Herzog, »daß ich sofort willfahrte. Aber wohin nun mit dem Blinden? Gib mir deinen Rat, Lukrezia, was ich mit ihm anfange. Er wird sogleich hier erscheinen. Ich habe Befehl gegeben, mir ihn vorzuführen.«

»Das Schicksal hat sich seiner angenommen«, sagte sie. »Erstaune! Seit zwei Jahren ist er vermählt. Zur Schande meiner Klugheit sei es eingestanden, mit meiner aus der Art geschlagenen Base, die im Schatten unseres Klösterchens den ›vergessenen‹ Turm besuchte. Strafe gehört ihr. Wir grenzen die beiden im Gebiete von Pratello ein und geben ihm Angela zur Hüterin.«

Ein wunderliches Gemisch von Entrüstung und Befriedigung erschien auf den Zügen des Herzogs. »Doch was fangen wir mit diesem an?« sagte er höhnend und deutete auf die Mitte des Saals, wo der Graf in längerer und sorgfältig begründeter Rede um die Hand der verstummten Angela warb.

Jetzt aber öffnete sich die Tür, und der Blinde erschien auf der Schwelle.

»Vergebt, Herr – da ist mein Gemahl!« rief Angela selig und eilte zu ihm.

Don Giulio trat ein mit einer leichten Binde über den Augen, aber mit sicheren, männlichen Schritten, von Angela unmerklich an der Hand geführt.

Er erreichte den Herzog, bog das Knie, faßte seine Hand und sprach:

»Bruder, ich habe mich schwer an dir vergangen, da ich dir« ... vielleicht wollte er sagen »nach dem Leben stand« – aber der Bruder ließ den Bruder nicht ausreden, sondern hob ihn zu seinem Munde empor, und die Männer küßten sich und überschwemmten sich mit Tränen.

Der Herzog faßte sich bald.

»Mein Wort bleibt!« sagte er. »Du bist mein Gefangener im Umkreis deines weiten Pratello, und diese setze ich dir zur Hüterin.«

»Er wird Euer Gebot nicht übertreten«, sagte Angela. »Weder dort noch anderswo; denn seinen dunkeln Kerker kann er niemals verlassen. Er trägt ihn überall mit sich.«

»Nicht wahr, Bruder«, bat Don Giulio, »du tötest mir meinen alten Mirabili nicht?«

»Was denkst du von mir, Julius? Ich sollte einen Mann töten, der uns die stoische Weisheit gelehrt hat! ... Er sitzt wie im Paradiese bei unsern gelehrten Benediktinern in Modena!«

Graf Contrario hatte Mühe, an das zu glauben, was er vor sich sah. Er empfand nur den dunkeln Trieb, dem leidensvollen Paare etwas Unangenehmes zu sagen. So warf er noch zwei Steine, die sich aber in Rosen verwandelten.

Er wandte sich zuerst an den Blinden.

»Ich wünsche Glück, Prinz!« sagte er. »Aber erlaubt mir den Mut meiner Meinung. Ich denke, ein wahrer Edelmann, ein ganz vollendeter Edelmann hätte sich wohl gefragt, ob es zart gehandelt sei, wenn ein Blinder eine Sehende an sich fesselt und sie mit verliebten Armen selbstsüchtig in sein Grab niederzieht. Blieb Euch das verborgen oder von Euch unerwogen?«

»Graf!« antwortete Don Giulio glücklich, »sie nahm mir die Augen und gibt mir dafür die ihrigen. Sie gibt gern, und ich nehme gern. Sie ist selig im Geben und ich im Nehmen.«

Angela aber jubelte im Übermaß der Liebe: »Deine schönen blauen Augen werden wieder erstrahlen, mein Geliebter ... Du schicktest mich einst fort aus Pratello, weil ich sie nicht neu schaffen könne. Deine Augen werden heller und jünger leuchten als zuvor ... aus dem Angesichte deiner Kinder, wenn sie mir Gott gibt!«

Sie erschrak über ihre Kühnheit und wurde Glut.

Darauf warf der Graf einen zweiten Stein.

»Madonna«, tadelte er, »es gibt Dinge, die eine gebildete Dame kaum zu denken wagt, geschweige, daß sie solche ausspricht!«

Angela antwortete mit festlichen Augen – schade, daß der Blinde nicht hineinblicken konnte! –: »Was wollet Ihr, Graf? Ich bin eine Borgia und bleibe eine Borgia, da müsset Ihr mir schon etwas zugute halten.«

Es entstand eine Pause. Graf Contrario aber wandte sich mit edelm Entschlusse an die Herzogin.

»Erlauchte Frau«, sagte er, »ich willige in die von Euch vorgeschlagene Teilung der flavianischen Güter.«


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