Conrad Ferdinand Meyer
Angela Borgia
Conrad Ferdinand Meyer

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Viertes Kapitel

Don Giulio erstieg langsam die Treppen und suchte, den Blick aufwärts wendend, sehnsüchtig das süße Blau, welches er im Traume für immer verloren hatte. Aber er suchte vergebens; denn der Himmel war von den trüben Dämpfen der Julihitze gänzlich verdüstert.

Als er den Fuß auf die oberste Stufe setzte, kam ihm aus der Halle des Hauses mit ungewissen Schritten der Oberrichter entgegen, bleich wie ein Toter und mit so unglücklich blickenden Augen, daß Don Giulio vom innigsten Mitleid ergriffen wurde und, den Arm um die Schulter des Freundes schlagend, ihn an das Terrassengeländer zog und mit ihm auf das Brunnenbecken und in das rauschende Spiel seiner Wasser niederblickte.

»Was geschah denn?« flüsterte er ihm ins Ohr. »Was ist dir begegnet?«

Strozzi erwidere mit schmerzlich verzogenem Munde: »Nichts. Du verreisest für zwei Jahre nach Venedig. Deine Sache ist beigelegt und kommt nicht vor Gericht. Deine Orgie in Pratello bleibt ungestraft. Wiederum und noch einmal eine unverurteilte blutige Tat! Auch der Herzog beklagt es und seufzt über euch, seine Brüder.«

»Auch über den Kardinal?«

»Über euch alle. Den Kardinal nannte er einen Eigenmächtigen, einen Gesetzlosen, einen dem Staate Ferrara unentbehrlichen Frevler, und befahl mir, seine Bande, wenn er sie nicht, wie er fest zugesagt, heute noch ablöhne und auflöse, mit Galgen und Rad zu verfolgen – unnachsichtlich! Dabei erhitzte er sich,« berichtete Strozzi weiter, »und sprach eifrig von dem Staate Ferrara, wie er ihn sich denke, als ein Staatswesen von unbedingter Gerechtigkeit, durchaus ohne Ansehen der Person, ohne Begünstigung, ohne Bestechung.

›Eine Justiz, wie sie Eure Republik besitzt‹, sagte er, sich zur Seite wendend, und ich erblickte in einer Fensternische den Venezianer, der gekommen war, vom Herzog Urlaub zu nehmen, und bescheiden in einem Buche blätterte, um meine Audienz nicht zu stören. Der Angeredete lächelte höflich.

›Vergebung, Bembo!‹ fuhr der Herzog fort. ›Ich weiß, Euer Reisezug wartet, denn Ihr wollt die Nachtkühle benützen zu Eurem Romritt, um der Julisonne auszuweichen. Verzeiht meinem Schreiber, daß der Langsame und Gewissenhafte Euch auf das Memorial warten läßt, das Ihr mir die Gunst erweisen wollt für mich in die Hände des Heiligen Vaters zu legen. Ein furchtbarer Mensch, dieser Julius. Er liebt mich nicht; empfehlt mich ihm. Und was werdet Ihr dem Schrecklichen sagen‹ – der Herzog lächelte – ›wenn er Euch fragen wird, was Euch bewog, Ferrara zu verlassen? Er weiß, daß ich von Männern, wie Ihr, nicht gerne verlassen werde. So gut als ich, schätzt er Euch als einen Bedeutenden und Zukunftvollen, den zu verkennen eine Schmach der Unbildung wäre, und der jedem italienischen Hofe zur Zierde gereicht. Nun, Bembo, saget mir, was werdet Ihr der Heiligkeit antworten?‹

›Die Wahrheit, Herzog‹, erwiderte der Venezianer mit seiner einschmeichelnden Stimme. ›Heiligkeit, werde ich sagen, ich verlasse Ferrara, weil ich den Herzog verehre und fürchte, die Herzogin zu lieben. Kein Sterblicher wird ihres täglichen Umgangs genießen, ohne von ihrem geheimnisvollen Wesen und von ihrer klaren Anmut gefesselt zu werden. Wo ist da die Grenze zwischen Bewunderung und Leidenschaft? Wo liegt das richtende Schwert, das die Körper und die Seelen trennt? Es tötet, ohne zu blitzen! Lieber aber verendete ich in tausend Qualen, als daß ich die hohe Frau durch eine auflodernde Flamme verletzte, oder an meinem edlen Gastfreunde, auch nur im Fiebertraume, Raub verübte. So werde ich zum Heiligen Vater reden‹ . . .«

»Kühn und auch klug gesprochen!« unterbrach hier Don Giulio den Erzählenden, indem er zum Spiel nach einem Wasserbogen haschte, dessen fallenden Regen ein Hauch des Südwindes ihm zutrieb.

Der Richter aber fuhr fort: »Don Alfonso schien durch das Bekenntnis seines Gastes befriedigt und mit dessen Abreise einverstanden. ›Ich könnte Euch solche freimütige Rede an den Heiligen Vater nicht verargen,‹ sagte er, ›sie hätte nichts Unziemliches, sondern ehrt uns alle. Schreibt uns zuweilen, Bembo!‹ Dann aber wurde er drohend und wies auf mich. ›Dieser Mensch‹, sagte er, ›krankt an dem gleichen Übel, ohne so weise zu sein, wie Ihr, und ein Heilmittel zu suchen. Redet zu ihm und gebet ihm Rat.‹

Da erhob ich zornig das Haupt und versetzte: ›Solches, Herzog, gestehe ich nicht ein mit dem Munde; meine Gedanken aber anerkennen keinen Richter. Wenn solches wäre, ich wüßte mir Rat, so gut wie Bembo. Laßt mich ziehen, Herzog! Die Luft von Ferrara erstickt mich. Ich bin noch zu jung mit meinen zwanzig Jahren, die heilige Wage der Themis zu halten; ich bin ein noch unfertiges Metall, eine flüssige Lava. Noch kämpfen um mich verschiedene Gesetze und Anbetungen! Gebt mir Urlaub! Ich will die Hochschule von Paris besuchen, wohin ich schon lange trachte, und ich werde einst Euch und dem Staate Ferrara reifer und brauchbarer zurückkehren, als ein Mann des Rechts, den nichts mehr besticht und blendet.‹

Der Herzog entgegnete mir ernst: ›Keine Rede davon, daß Ihr Euer kaum angetretenes Amt verlasset. Unter meinen Augen begannet Ihr eine Reform unseres Gerichtswesens, und ich ertrage es nicht, daß in Ferrara eine unternommene öffentliche Arbeit leichtsinnig unterbrochen und verspätet werde. Wohin würde uns solche Gewissenlosigkeit führen? – Was aber die Sklaverei betrifft, in der Ihr schmachtet, so leugnet Ihr sie mit dem Munde, aber mit Blicken und Gebärden legt Ihr sie auf eine ärgerliche Weise an den Tag. Darum bitte ich unsern scheidenden Freund,‹ er ergriff den Venezianer bei der Hand, ›Euch über Euern gefährlichen innern Zwist aufzuklären. Er ist Euch glaubwürdig; denn, wie Dante im wilden Walde, ist er angstvoll den reißenden Bestien entronnen. Seid sein Führer, Bembo. Redet in meiner Gegenwart ohne Zwang und Schleier. Es besteht kein Geheimnis unter uns, wir kennen unsere Gesichter und Masken.‹ – So quälte uns der grausame Pedant, und wir knirschten unter der Marter!«

– »In der Tat, ein genialer Gedanke des Ehemannes, in seiner Gegenwart den einen Anbeter seiner Frau durch den andern abkanzeln zu lassen!‹ lachte Don Giulio. »Das gleicht dem Bruder! Ich sehe, wie du in verhaltenem Ingrimm die Augen rollst, und wie der schlangengewandte Venezianer seine zerrissene Seele zu einem schmerzlichen rhetorischen Meisterstücke stimmt. Was sagte er denn?«

– »Zuerst zog er die feinen Brauen zusammen und schwieg eine Weile. Dann trat er zu mir und ergriff mitleidig meine Hand. ›Herkules,‹ begann er, ›die Zeit drängt; meine Rosse stampfen vor dem Tore, und mein Geist ist schon unterwegs. Möge diese meine letzte Minute Frucht tragen mit der Hilfe Gottes! Ich habe keine Zeit, meine Worte zu wägen; und da die Hoheit selbst es ausgesprochen hat, daß hier kein Geheimnis walte, so enthülle ich schonungslos das Antlitz der Dinge. Dein Leiden ist ein wundersamer Fall. Nicht wie mich armen Sünder besiegt dich die Übergewalt des weiblichen Reizes. Du bist weit gefährlicher krank; denn dein Übel entspringt auf dem Gebiete deines stolzen und eigenwilligen Geistes. Dein strenger Rechtssinn verdammt das, was dein Auge beglückt und das Feuer deines Herzens entzündet. Das ist dein Widerspruch und dein Irrsal. Der Richter wird entflammt für die von ihm Gerichtete. Besieh dir doch ihr Schicksal! Ein kindliches Weib, in unselige Abhängigkeiten hineingewachsen, schuldig schuldlos, wie die liebliche Frauenschwachheit ist, flieht, von innerer Klarheit erhellt, mit zitternden Füßen aus dem Banne des Bösen und ergreift die ihr gebotene Hand eines seltenen, ja einzigen Mannes, der dein Fürst ist, o Strozzi! Und ein weiser Erforscher der Menschennatur. Er erkennt die edle Anlage Lukrezias und zieht sie in göttlicher Weise mit sich empor. Nun werden ihre Schritte täglich sicherer, und immer größeres Wohlgefallen gewinnt sie an der Tugend und an ihren belohnten Kämpfen. Da kommst du, Unseliger, siehst die Emporgehobene in den Armen ihres Schutzengels, verurteilst sie zu den Höllenkreisen und stürzest dich auf sie, um dein Urteil selbst auszuführen. Wehe dir, du bist ihr verfallen! Du umklammerst ihre Knie; sie aber wird sich von dir lösen, und du stürzest allein in die Tiefe! Armer Ixion, du umschlingst statt der Göttin die Wolke, und daß dein Frevel völlig unausführbar und unmöglich ist, das allein entschuldigt ihn. Frage dein Herz, Strozzi!‹ und der Venezianer drückte mir in Tränen die Hand. ›Fühlst du nicht, wie rührend und geschmackvoll die neue Lukrezia ist, die in ihrer stillen und bedachten Weise das schlichte Gute tut und ohne prunkende Buße sich mit den allgemeinen Tröstungen der Kirche begnügt? Wenn du die einfache Anmut dieser Erscheinung betrachtest, beschleicht dich nicht der Zweifel, ob die Verleumdung, das Laster unserer Zeit – denn wir alle verleumden und werden verleumdet – sich nicht an diesem erlauchten Weibe mehr als an andern vergangen und das menschlich natürliche Bild einer Dulderin ins Dämonische verzerrt habe?‹« . . .

Das laute Gelächter seines Freundes unterbrach ihn. »Das ist stark!« rief Don Giulio. »O Jahrhundert unverschämter Wahrheit und gründlicher Lüge!«

Da zuckte er leicht zusammen, denn ein leiser Fingen berührte seinen freien Nacken. Kurz wandte er sich um und blickte in das abgezehrte und feindliche Gesicht des Kardinals, dessen langsames Emporsteigen das Springen der Wasser übertönt und verborgen hatte.

»Ich glaube, der Herzog erwartet uns beide«, sagte Ippolito, über das Wort seines jungen Bruders, das er noch aufgefangen hatte, unwillkürlich lächelnd. »Folget mir ohne Verzug!« Und er verschwand in der Villa.

»Ich verlasse dich, Herkules!« sagte der Este. »Nur eines muß ich noch wissen: Woher deine tödliche Blässe, die mich erschreckte, da ich dir hier entgegentrat?«

»So höre denn das Ende des Auftritts und das Meuchelwort des Herzogs! Zuerst sagte er ruhig und finster: ›Euer Bildnis der Herzogin, Bembo, ist treffend und nicht geschmeichelt.‹ Er fixierte uns beide. Mit meiner Miene schien er nicht zufrieden. Es erhob sich etwas Heißes in ihm, und er wandte sich drohend gegen mich. ›Ich frage mich, Strozzi‹ sagte er, ›ob Eure Leidenschaft nicht gelegentlich Euern Gehorsam gegen den Fürsten und das Gesetz zu Euerm Unheil ins Wanken bringen könnte! Nicht zwar auf Euerm eigensten Boden in Rechtsfragen, da halte ich Euch für unbestechlich und unterordne mich Eurem Urteil. So bin ich zum Beispiel überzeugt, daß Ihr in dem Erbstreite meines Fiskus mit dem Grafen Contrario das Rechte finden werdet. Auch wird Euch hier die Herzogin trotz ihrer Begünstigung des Grafen nie irreleiten; aber es gibt einen Fall und eine Stunde, die sie ihres klaren Sinnes berauben werden. Ihr verderblicher Bruder wird Italien wiederum betreten und uns verwirren. Ich werde meinen Untertanen jede Verknüpfung mit ihm verbieten. Doch meine erste Untertanin, die Herzogin, wird nicht gehorchen; denn sie kann es nicht, es steht nicht in ihrer Macht. Mit den härtesten Strafen werde ich verhüten, daß sie kein Werkzeug finde, und doch wird sie eines finden . . . Euch wird sie ergreifen, Herkules Strozzi. Damit ist Euer Haupt verwirkt. Ich werde Euch richten. Nicht öffentlich, denn es ist eine Familiensache und eine Staatssache, die beide das Geheimnis fordern. Man wird Euch tot auf der Straße finden.‹ – Hier erblaßte Bembo, und du sagst, daß auch ich blaß geblieben bin. – Unbeirrt und gemessen jedoch fuhr der Herzog fort: ›Bembo, Ihr seid vor Gott und Menschen mein Zeuge, daß dieser nicht ungerichtet stirbt. Du aber, Herkules Strozzi, siehe zu, wie du der Herzogin und mir entrinnest!‹ Jetzt brachte ein furchtsamer Schreiber die Rolle für den Papst, und wir waren entlassen. Ich begleitete den Venezianer zu seinen Dienern und Pferden. Den Fuß schon im Steigbügel, flüsterte er mir zu: ›Hüte dich vor dir selber, Herkules!‹«

Don Giulio schauderte. Strozzi berührte flüchtig seine Lippen und sagte: »Nun reise auch du schnell und glücklich!«

»Diesen Abend noch!«

»Nein, sobald du aus dem Schlosse trittst!« sprach der Richter und stieg die Treppe hinunter, während der andere seinem Bruder, dem Kardinal, nacheilte.


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