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Sonderbare Begebenheit, und Gefahr, in die Periander durch eine vornehme Courtisane gerieth.
Ein feines Betragen, ein prächtiger Anzug und glänzende Einrichtung des Hauses verdecken oft viele Fehler; denn es ist unmöglich, daß ein feines Betragen beleidigt, ein reicher Schmuck widerwärtig wird, und die schöne Einrichtung eines Hauses keinen angenehmen Eindruck macht.
Alles Dies besaß Hippolita, eine vornehme Courtisane, die an Reichthum mit der im Alterthum berühmten Flora Friedrich Notter (aaO., S. 228) merkt hierzu an: »Die römische Blumengöttin hat bekanntlich einen sehr zweideutigen Ursprung. Sie soll eigentlich das gewesen sein, was Hippolyta war, aber wegen Vermachung ihres großen Vermögens an das römische Volk den Namen einer Gottheit erhalten haben. – Die prachtvolle Einrichtung der vornehmern römischen Courtisanen zur Zeit, worin unser Roman spielt, ist bekannt. Man erinnere sich, daß ein spanischer Gesandter, der einer solchen Dame in Rom einen Besuch machte, seinem Diener ins Gesicht spukte, weil er, wie er sagte, es nicht wage, irgend einen Theil des prachtvollen Hauses durch Verrichtung dieses Bedürfnisses zu entweihen.« ( Anm.d.Hrsg.) wetteifern konnte, und an Höflichkeit mit der guten Lebensart selbst. Die, welche sie kannten, konnten sie nicht geringschätzen; ihre Schönheit war bezaubernd, durch ihren Reichthum verschaffte sie sich Achtung, und wegen ihrer Liebenswürdigkeit wurde sie, wenn der Ausdruck passend ist, hochverehrt.
Wenn die Liebe mit diesen Eigenschaften ausgerüstet ist, überwindet sie stählerne Herzen, öffnet die mit Erz verschlossenen Börsen, und besiegt die Festigkeit des Marmors, vorzüglich wenn sie mit den genannten Vorzügen auch noch Trug und Schmeichelei verbindet; diese unentbehrlichen Erfordernisse für Jene, die durch ihre Anmuth öffentlich Etwas gelten wollen. Gibt es wol einen Mann, sei er noch so verständig, der, wenn ihm eine dieser Schönen, die ich eben schilderte, zu Gesichte kommt, die Augen vor ihren Reizen verschließt, und Betrachtungen über ihr verworfenes Gewerbe anstellt? Die Schönheit verblendet entweder, oder erleuchtet; der, welche blendet, folgt das Verlangen nach, und der, welche erleuchtet, der Gedanke der Besserung.
An alle diese Dinge dachte Periander gar nicht, indem er Hippolita's Haus betrat; da aber die Liebe zuweilen auf die Grundlage der Unvorsichtigkeit ihr Gebäude stützt, so gründete sie auch dies auf Perianders Sorglosigkeit, und nicht auf seine, sondern Hippolita's Überlegung. Denn bei diesen Frauen, die sich dem Laster widmen, braucht es nicht viel Mühe, um Ursach zur Reue zu finden, ohne daß jene bereuen.
Hippolita war Periander öfter auf der Gasse begegnet, und seine Schönheit und Freundlichkeit hatten ihr Gemüth in Aufregung gebracht; besonders aber der Gedanke, daß er ein Spanier war, da sie sich nun von seiner Großmuth die reichsten Geschenke und glänzendsten Vergnügungen versprach. Sie vertraute ihre Wünsche dem Zabulon, und bat ihn, den Jüngling in ihr Haus zu führen, das sie so prächtig und geschmackvoll ausschmückte, daß es mehr einem Hochzeithause, als einer Pilgerherberge glich.
Die Signora Hippolita, so wurde sie in Rom genannt, als ob sie wirklich eine vornehme Dame sei, hatte einen Geliebten, Namens Pirro; er war ein Calabrese, ein Raufer, Zänker und Händelsucher. Sein Reichthum bestand in der Schärfe seines Degens, der Geschicklichkeit seiner Hände, und den Kunstgriffen Hippolita's; durch ihren Beistand nämlich erlangte er oft was er wollte, ohne sich vor irgend Jemandem zu demüthigen. Die Sicherheit seines Lebens vertraute Pirro aber noch öfter der Schnelligkeit seiner Füße, die ihm auch bessere Dienste thaten als die Hände. Das, worauf er sich im meisten einbildete, war, daß er es verstand, Hippolita stets in Furcht zu erhalten, bei jedem neuen Verhältniß, das sich ihr darbot, mochte sie es nun eingehen, oder zurückweisen. So fehlt es diesen umherflatternden Täubchen nie an einem Geier, der sie verfolgt, und an Raubvögeln, die sie verschlingen. O beklagenswerther Stand dieser irdisch gesinnten und eitlen Seelen!
Dieser Ritter also, denn so nannte er sich aus Anmaßung, befand sich in Hippolita's Hause, als Periander und der Jude zu ihr kamen. Hippolita nahm den Pirro bei Seite, und sprach zu ihm:
»Geh mit Gott, Freund, und nimm diese goldene Kette mit auf den Weg, die mir jener spanische Pilger heute früh durch Zabulon sandte.«
»Nimm Dich in Acht, Hippolita,« erwiederte Pirro; »denn wie mir scheint, ist dieser Pilger wirklich ein Spanier, und daß er diese Kette, die über hundert Scudi werth ist, aus den Händen lassen sollte, ohne nur die Deinigen berührt zu haben, scheint mir was Außerordentliches, und tausend Schrecken erfüllen mich.«
»Nimm nur die Kette, guter Pirro,« sagte sie, »und überlaß es mir, sie zu behalten und nicht zurück zu geben, und wäre er zehn Mal ein Spanier.«
Pirro nahm die Kette von Hippolita an, die sie nur für diesen Zweck denselben Morgen hatte kaufen lassen, und die ihm nun den Mund stopfte und ihn schnell aus dem Hause schaffte.
So wie Hippolita von ihrem Halseisen und ihren Fußschellen befreit war, ging sie Periander entgegen und umarmte ihn sogleich mit der größten Heiterkeit und Freiheit, indem sie sprach:
»Nun will ich doch sehen, ob die Spanier so brave Leute sind, wir man von ihnen sagt.«
Als Periander diese Unverschämtheit sah, war ihm, als stürze das ganze Haus auf sein Haupt nieder; mit ausgestreckter Hand hielt er Hippolita von sich ab, und sagte:
»Dies Kleid, Signora Hippolita, darf nicht entweiht werden, wenigstens werde ich dies auf keine Weise gestatten. Und ein Pilger, sei er auch ein Spanier, hat nicht nöthig; brav zu sein, wo es nicht hingehört. Befehlt aber, Signora, wodurch ich meinen Muth beweisen soll; und kann ich es thun, ohne daß es uns Beiden nachtheilig ist, so werde ich Euch gern gehorchen.«
»Ihr scheint mir,« erwiederte Hippolita, »nicht nur dem Kleide, sondern auch der Gesinnung nach, ein ächter Pilger zu sein. Da Ihr aber, wie Ihr sagt, mir gehorchen wollt, wo dies für uns Beide nicht nachtheilig ist, so kommt jetzt mit mir hier herein, auf daß ich Euch meine Zimmer und Säle zeige.«
Periander entgegnete: »Obwol ein Spanier, bin ich doch etwas kleinmüthig, und fürchte mich mit Euch allein mehr, als stände ich einem ganzen Kriegsheer gegenüber. Befehlt, daß uns noch Jemand begleite, und führt mich dann wohin Ihr wollt.«
Hippolita rief zwei ihrer Mädchen, und befahl ihnen und dem Juden Zabulon, der bei Allem gegenwärtig war, sie in den Saal zu begleiten. Die Thüren wurden geöffnet, und dieser Saal vereinigte, wie Periander hernach erzählte, Alles, was nur kostbar und geschmackvoll in der Welt sein kann, und was dem Hause des größten Fürsten Ehre gemacht hätte. Parrhasius, Polygnot, Apelles, Zeuxis und Timantes schienen hier die Geschicklichkeit ihres Pinsels bewiesen zu haben, durch Hippolita's Schätze belohnt. Mit ihnen wetteiferten der fromme Raphael von Urbino und der göttliche Michel Angelo; Kleinodien, die auch den Palast eines großen Königs zieren dürften.
Königliche Gebäude, stolze Paläste, prächtige Tempel und herrliche Gemälde sind die echten und eigentlichen Zeugnisse von dem hohen Sinn und Reichthum der Fürsten. Sie sind Denkmäler, an denen die Flügel der Zeit erlahmen, und die ihren Fuß hemmen, um, ihr zum Trotz, in künftige Jahrhunderte den Ruhm der Gegenwart hinüberzutragen.
O Hippolita! die Du in nichts achtungswerth bist, als in diesen äußern Dingen! Könntest Du unter so vielen Herrlichkeiten nur eine einzige Tugend aufweisen, so würdest Du die des edeln Periander nicht in Versuchung führen!
Dieser stand betäubt, verwirrt und erstaunt da, erwartend was aus dieser Fülle sich erzeugen würde. Er sah nämlich in diesem Saal eine glänzende Tafel, die von oben bis unten mit lauter Gesang bedeckt war. In schimmernden Käfigen nämlich standen verschiedenartige Vögel darauf, die eine verworrene, aber liebliche Melodie ertönen ließen.
Periander glaubte, Alles, was er je von den Gärten der Hesperiden, von dem Palast der Fee Falerina In den Zaubergarten der Fee Falerina gerät Roland in Boiardos Versepos » Orlando Innamorato« (›Der verliebte Roland‹ II, IV)., und von den hängenden Gärten der Semiramis gehört habe, ja, Alles, was nur je in der Welt berühmt gewesen, könne sich nicht mit dem Zauber vergleichen, der ihn umgab. Sein Herz schlug heftig, aber Dank sei seiner Tugend, die es niederdrückte, und ihm die Wesenheit und nicht den Schein Dessen vorhielt, was er erblickte.
Ermüdet so viel Schönes zu sehen, was nur nach seinem Verderben zielte, entschloß er sich, die Höflichkeit hintan zu setzen und sich zu entfernen. Er hätte es auch sogleich gethan; aber Hippolita vertrat ihm den Weg, so daß er sich genöthigt sah, sich ihr mit starken Händen und unfreundlichen Worten zu widersetzen. Sie hielt ihn an seinem Pilgerkleide fest, sein Wamms ging vorn voneinander, und das Kreuz von Diamanten wurde sichtbar, das so vielen Gefahren entgangen war, und nun die Augen und die Seele Hippolita's dermaßen verblendete, daß sie, in der Angst, dieser Schatz könne, trotz ihrer sanften Gewalt, ihr entgehen, einen Entschluß faßte, der, hätte sie ihn mit mehr Kraft und Schnelligkeit ausgeführt, dem armen Periander übel bekommen wäre. Dieser ließ seinen Mantel in den Händen der neuen Egypterin, und entfloh ohne Hut, Stab, Gürtel und Mantel aus dem Hause; denn der Sieg in dieser Art von Gefechten wird eher durch Entweichen, als durch Standhalten gewonnen.
Hippolita riß das Fenster auf, und rief den Leuten auf der Straße laut zu:
»Haltet den Dieb fest, der sich unter dem Schein der Demuth in mein Haus schlich, und mir ein himmlisches Kleinod raubte, das eine Stadt werth ist.«
Zwei von der päpstlichen Garde gingen gerade durch die Straße, die Jeden, der auf der That ertappt wird, festnehmen dürfen. Da sie nach einem Diebe rufen hörten, wollten sie ihr Recht geltend machen, und ergriffen Periander bei der Brust, sie nahmen ihm das Kreuz weg, und schleppten ihn, ohne den geringsten Anstand zu beobachten, mit Gewalt fort; denn so pflegt die Justiz mit ungeübten Verbrechern umzugehen, deren Schuld noch nicht erwiesen ist.
Da Periander sah, daß er so ohne Kreuz gezwungen ward, sein Kreuz zu tragen, sagte er diesen Deutschen in ihrer eigenen Sprache: er sei kein Dieb, sondern ein vornehmer Mann; dies Kreuz gehöre ihm, und sie möchten bedenken, daß Hippolita keine Kostbarkeit von so hohem Werth besitzen könne. Er bat sie endlich, ihn zum Gouverneur zu führen, da er hoffe, diesem leicht die Wahrheit Dessen, was er gesagt hatte, beweisen zu können. Zugleich bot er ihnen Geld an, und dies sowol als die Töne ihrer Muttersprache, die Alle, welche sich nicht kennen, einander näher bringen, machte auch die Deutschen geschmeidiger; sie kümmerten sich nicht weiter um Hippolita, und brachten Periander vor den Gouverneur. Hippolita verließ das Fenster, und sprach, sich fast das Gesicht zerfleischend, zu ihren Dienerinnen:
»Ach! ich Unglückliche! was habe ich gethan! Den habe ich gekränkt, dem ich Gutes thun wollte! und Den beleidigt, dem ich gern gedient hätte! Als Räuber führen sie ihn in's Gefängniß, der mir die Seele geraubt hat! Ist das Liebe, ist das Freundlichkeit, den Freien zu fesseln, und den Redlichen zu beschimpfen?«
Sie erzählte darauf ihren Mädchen, wie zwei von der päbstlichen Garde den Pilger gefangen genommen hätten. Schnell ließ sie ihre Kutsche anspannen, um ihm sogleich zu folgen und seine Unschuld bekannt zu machen. Es war ihr unmöglich, ihr eignes Herz im tiefsten Gefühl so zerreißen zu lassen; und sie wollte lieber sich selbst öffentlich für eine Lügnerin erklären, als eine Grausamkeit begehen, vor der sie sich auf keine Weise vor ihrem eignen Herzen rechtfertigen konnte. Für ihre Lüge aber glaubte sie in der Liebe eine Entschuldigung zu finden, die durch tausenderlei Thorheiten ihre Macht offenbart, und oft Denen wehe thut, die sie anbetet.
Als sie zum Gouverneur kam, fand sie ihn, das Kreuz in der Hand haltend, und Periander vor ihm stehen, den er ausforschte. So wie dieser Hippolita erblickte, sprach er zum Gouverneur:
»Diese Dame, die hier erscheint, sagt, ich habe ihr das Kreuz geraubt, was Euer Gnaden in der Hand hält, und ich will zugeben, daß sie die Wahrheit gesprochen hat, wenn sie mir sagen kann, wie dieses Kreuz beschaffen ist, wie großen Werth es hat, und die Zahl der Diamanten, aus denen es besteht; denn wenn ein Engel, oder irgend ein anderer Geist es ihr nicht offenbart, so kann sie es nicht wissen, da sie es nie gesehen hat, außer auf meiner Brust, und nur einen einzigen Augenblick.«
»Was sagt nun die Signora Hippolita?« fragte der Gouverneur, indem er das Kreuz bedeckte, damit sie es nicht sehen solle. Sie aber antwortete:
»Wenn ich erkläre, daß ich verliebt, blind und toll bin, wird dieser Pilger wol frei sein; und ich will erwarten, welche Strafe der Herr Gouverneur meiner aus Liebe entsprungenen Schuld zuerkennt.«
Darauf erzählte sie Punkt für Punkt, was ihr mit Periander begegnet war, und der Gouverneur staunte, sowol über Hippolita's Liebe, wie über ihre Verwegenheit; aber dergleichen Damen verfallen leicht in diese lasterhaften Thorheiten. Dieser Vorfall gereichte ihr nicht zum Ruhm. Sie bat Periander um Vergebung; er wurde frei gesprochen und bekam das Kreuz wieder. In diesem Proceß wurde also keine Feder eingetunkt, was für ein nicht geringes Glück zu rechnen ist.
Der Gouverneur fragte: wer die Pilger wären, die so große Kostbarkeiten für jenes Gemälde geboten hatten? Auch wer Periander und Auristela wären, wünschte er zu wissen. Periander antwortete:
»Das Gemälde ist das Bildniß meiner Schwester Auristela, die Pilger können wol Dinge von noch größerem Werth besitzen, das Kreuz gehört mir, und wenn die Zeit sich findet, und die Noth mich zwingt, werde ich auch sagen, wer ich bin. Es jetzt zu entdecken, steht nicht bei mir, sondern hängt von meiner Schwester ab. Das Bild, was Ihr an Euch genommen, habe ich dem Maler schon für eine anständige Summe abgekauft, ohne daß dabei Hinterlist angewendet wäre, welche oft die Grillen und Launen des Käufers benutzt.«
Der Gouverneur erklärte, er wolle das Gemälde für denselben Preis behalten; denn es sei für Rom eine Zierde, ein Kunstwerk zu besitzen, das die Werke der berühmtesten Maler übertreffe.
»Ich schenke es Euch, mein gnädiger Herr,« sprach Periander;« da ich glaube, dem Bilde keine größere Ehre erzeigen zu können, als wenn ich es einem solchen Herrn überlasse.«
Der Gouverneur dankte ihm. Arnaldo und der Herzog wurden in Freiheit gesetzt, und erhielten ihre Ketten und Edelsteine wieder. Der Gouverneur aber behielt das Bild, da es doch unbillig gewesen wäre, hätte er nicht auch Etwas bekommen.