Casanova
Erinnerungen
Casanova

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Fünftes Kapitel

Meine Ankunft in Marseille. – Frau von Urfé. – Meine Nichte wird von Frau Audibert freundlich aufgenommen. – Ich schaffe mir meinen Bruder und Passano vom Halse. – Regeneration. – Abreise der Frau von Urfé. – Marcolina bleibt mir treu.

Meine Nichte, die meine Geliebte geworden war, wuchs mir jeden Tag mehr ans Herz, und ich dachte nicht ohne Grauen daran, daß Marseille das Grab unseres Glückes sein würde, ich meine: meiner Liebe. Da ich nun einmal nach Marseille mußte, so schob ich wenigstens den Augenblick der Ankunft so weit wie möglich hinaus, indem ich nur ganz kleine Tagereisen machte. Obgleich wir von Antibes nach Fréjus nicht einmal drei Stunden brauchten, fuhr ich doch nicht weiter. Nachdem ich Passano und meinem Bruder gesagt hatte, sie möchten sich’s für die Nacht nach ihrem Belieben bequem machen, bestellte ich für mich und meine beiden schönen Nymphen ein leckeres Abendessen und die besten Weine. Wir erhielten eine schlemmerhafte Mahlzeit, die wir bis Mitternacht zu verlängern wußten; hierauf legten wir uns zu Bett, und in den nächsten zwölf Stunden wurde der süßeste Schlummer nur durch die süßesten Wonnen der Liebe unterbrochen. Ebenso machte ich es in Luc, Brignoles und Aubagne, wo ich die sechste und letzte Nacht des Glückes verbrachte.

Sofort nach unserer Ankunft in Marseille führte ich meine schöne Nichte zu Frau Audibert, während ich Passano und meinen Bruder in den Gasthof zu den »Dreizehn Kantonen« schickte. Ich befahl ihnen, das strengste Stillschweigen über meine Angelegenheiten zu beobachten, da ich nicht wollte, daß Frau von Urfé, die seit drei Wochen auf mich wartete, meine Ankunft von anderer Seite erführe als durch mich selber.

Bei Frau Audibert hatte meine Nichte Croce kennen gelernt. Die Dame war ränkesüchtig und sehr klug; sie liebte meine Freundin schon seit ihrer Kindheit und hatte einigen Einfluß auf deren Familie; durch ihren Einfluß hoffte daher meine Nichte von ihrem Vater wieder zu Gnaden angenommen zu werden. Wir hatten vereinbart, daß ich meine Marseillerin und meine Venetianerin im Wagen lassen und allein zu Frau Audibert gehen sollte, die ich gelegentlich meiner letzten Durchreise kennen gelernt hatte. Ich sollte mit der Dame verabreden, auf welche Weise meine Nichte so lange untergebracht werden könnte, bis sie die nötigen Schritte zur Durchführung unseres Planes getan hätte.

Frau Audibert hatte mich aus dem Wagen steigen sehen. Obwohl sie mich nicht erkannte, war sie doch neugierig, wer so mit der Post bei ihr vorführe; darum ging sie mir entgegen und empfing mich auf der Türschwelle. Nachdem ich mich ihr zu erkennen gegeben hatte, erklärte sie sich auf das freundlichste bereit, mir eine geheime Unterredung zu gewähren, und führte mich in ein Kabinett, wo wir allem Anschein nach ungestört sein mußten.

Ich verlor keine Zeit mit langen Vorreden, sondern erzählte ihr geschwind die ganze Geschichte: wie das Unglück Croce gezwungen hätte, Fräulein Crosin in Stich zu lassen, wie ich das Glück gehabt hätte, ihr nützlich sein zu können, und wie endlich ein günstiger Zufall es gefügt hätte, daß sie unterwegs einen reichen und vornehmen Mann gefunden, der sich in sie verliebt hätte und vor Ablauf von vierzehn Tagen nach Marseille kommen würde, um bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten. Zum Schluß wünschte ich mir Glück, daß es mir vergönnt sei, ihren Händen ein so liebenswürdiges Geschöpf anzuvertrauen, dessen Ritter ich gewesen sei.

»Wo ist sie denn?« rief Frau Audibert.

»Sie sitzt in meinem Wagen, dessen Vorhänge ich heruntergelassen habe.«

»Holen Sie sie geschwind und überlassen Sie es mir, die ganze Geschichte in Ordnung zu bringen. Kein Mensch wird erfahren, daß sie bei mir ist, und ich bin glücklich, sie umarmen zu können.«

Froher als ein König, wie das Sprichwort sagt, war ich mit einem Sprunge am Wagen. Nachdem ich ihr hübsches Gesicht mit der Kapuze ihres Mantels verhüllt hatte, führte ich meine Nichte ihrer Freundin in die Arme. Es war für mich eine köstliche Szene! Zärtliche Umarmungen, Küsse hin und her, Tränen des Glückes und der Reue. Ich aber vergoß Tränen der Rührung, der Befriedigung und des Bedauerns.

Da Clairmont unterdessen das Gepäck meiner Nichte ins Haus gebracht hatte, so entfernte ich mich, indem ich ihr versprach, sie jeden Tag zu besuchen.

Ich hatte noch eine andere, nicht weniger wichtige Angelegenheit zu erledigen: nämlich meine Venetianerin unterzubringen. Ich befahl den Postillonen, mich zu dem braven alten Manne zu führen, in dessen Hause ich so glückliche Stunden mit meiner Rosalie verlebt hatte. Marcolina weinte über die Trennung von ihrer Freundin.

Ich ging zu dem guten Alten hinein und machte in aller Eile mit ihm einen Vertrag, wonach meine neue Eroberung wie eine Prinzessin wohnen, speisen und bedient werden sollte. Er zeigte mir die Zimmer, die er für sie frei hatte: sie waren einer kleinen Marquise würdig. Zugleich sagte er mir, er werde sie von seinen eigenen Nichten bedienen lassen, und außer mir werde kein Mensch zu ihr kommen.

Nachdem dies alles nach meinem Wunsche abgemacht war, ließ ich meine schöne Venetianerin heraufkommen und übergab ihr die Wohnung. Auch händigte ich ihr ihr Geld ein, das ich in Gold umgewechselt und auf einen Betrag von tausend venetianischen Silberdukaten erhöht hatte.

»Du wirst das Geld nicht brauchen,« sagte ich zu ihr, »aber hebe es dir sorgsam auf, denn in Venedig werden tausend Dukaten dir eine gewisse Bedeutung verleihen. Weine nicht, mein Engel! Ich lasse dir mein Herz, und morgen Abend werde ich mit dir speisen.«

Nachdem der Alte mir einen Haustürschlüssel gegeben hatte, fuhr ich nach dem Gasthof zu den »Dreizehn Kantonen«. Dort wurde ich bereits erwartet, und meine Zimmer stießen unmittelbar an diejenigen der Frau Urfé.

Sobald ich mich eingerichtet hatte, überbrachte Bourgnole mir die Komplimente ihrer Herrin und sagte mir, diese sei allein und erwarte voll Ungeduld den Augenblick, wo ich sie besuchen könnte.

Ich werde meinen Lesern nicht die einzelnen Umstände dieser Zusammenkunft beschreiben, denn sie würden weiter nichts erfahren als die geistige Verwirrung dieser armen Frau, die bis zum Wahnsinn sich in die falscheste aller Doktrinen verrannt hatte; leider hüllte ich meinerseits sie in ein Gewebe von Lügen, die nicht einmal das Verdienst der Wahrscheinlichkeit hatten. Ich war in mein Wüstlingsleben versunken und liebte ein Dasein, wie ich es führte; darum machte ich mir den Wahnsinn der Frau zunutze, die sich doch nur bemüht hätte, sich von einem anderen betrügen zu lassen, wenn ich sie nicht betrogen hätte; denn im Grunde betrog sie doch nur ihr eigener Geist, da für sie ihr Irrtum gleichbedeutend war mit ihrem Leben. Ich gab mir selber den Vorzug, weil jeder Mensch bei der Wahl zwischen einem Unbekannten und sich selber doch nur sich selber vorzieht; außerdem aber auch, weil ich wußte, daß ich keinem Menschen unrecht tat, wenn ich mir die Verrücktheit dieser sehr reichen Dame zunutze machte, und schließlich, weil für mich der Vorteil außerordentlich groß war.

Kaum erblickte sie mich, so fragte sie: »Wo ist Querilint?« Sie zitterte vor Freude, als ich ihr antwortete: »Er befindet sich mit uns unter einem Dache.«

»So wird er mich in mir selber verjüngen! Mein Genius versichert es mir jede Nacht. Fragen Sie Paralis, ob die Geschenke, die ich für ihn vorbereitet habe, würdig sind, von Semiramis einem Haupte der Rosenkreuzer dargebracht zu werden?«

Da ich nicht wußte, worin diese Geschenke bestanden, und da ich von ihr nicht verlangen konnte, sie mir zu zeigen, so antwortete ich ihr: bevor wir Paralis mit diesen Fragen beschäftigten, müßten die Geschenke in den Planetenstunden geweiht werden, die dem von uns vorzunehmenden Kultus angemessen wären, Querilint selber dürfe sie nicht sehen, bevor sie geweiht seien. Infolgedessen ließ sie mich in das Nebenzimmer eintreten, wo sie aus einem Schrank sieben Pakete hervorholte, die in Gestalt von Opfergaben an die Planeten für den Rosenkreuzer bestimmt waren.

Jedes Paket enthielt sieben Pfund des Metalls, das dem betreffenden Planeten geweiht war, und sieben Edelsteine, die ebenfalls dem Planeten entsprachen, und die je sieben Karat wogen: es waren Diamanten, Rubinen, Smaragde, Saphire, Chrysolithe, Topase und Opale.

Ich war fest entschlossen, es so einzurichten, daß der Genuese von allen diesen Sachen nichts in die Hände bekäme: darum sagte ich der Schwärmerin, wir müßten uns in bezug auf die Methode ganz und gar nach Paralis richten und die Weihung damit beginnen, daß jedes Paket in ein eigens dafür angelegtes Kästchen gelegt würde. Es könne täglich nur eines geweiht werden, und es müsse mit der Sonne angefangen werden.

Da wir einen Freitag hatten, so mußten wir bis zum Sonntag warten, denn das ist der Tag, der der Sonne geweiht ist. Am Samstag ließ ich den Kasten anfertigen, der die sieben Kästchen enthielt.

Um diese Weihungen vorzunehmen, verbrachte ich jeden Tag drei Stunden unter vier Augen mit Frau von Urfé. Der Kultus war daher erst am nächsten Samstag beendigt. Während dieser Woche ließ ich Passano und meinen Bruder mit Frau von Urfé und mir speisen. Mein Bruder verstand kein Wort von allem, was die gute Schwärmerin uns sagte; darum tat er den Mund nicht auf, so daß er für einen Stummen des Serails hätte gelten können. Frau von Urfé fand ihn blöd, bildete sich aber ein, wir wollten die Seele eines Sylphen in seinen Leib versetzen, um dadurch ein Geschöpf zu zeugen, dessen Natur zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen stehen würde. Als sie mir diese schöne Entdeckung ihrer Phantasie anvertraut hatte, sagte sie mir, sie würde mit der Operation einverstanden sein, aber unter der Bedingung, daß er nachher wie ein vernunftbegabtes Wesen aussähe.

Es machte mir Spaß, zu sehen, wie mein Bruder darüber in Verzweiflung war, daß Frau von Urfé ihn für einen Idioten hielt, und daß er ihr doppelt idiotisch erschien, wenn er ausnahmsweise einmal etwas sagte, um ihr dadurch zu beweisen, daß er kein Idiot sei. Ich mußte innerlich darüber lachen; denn wenn ich ihn ausdrücklich gebeten hätte, diese Rolle zu spielen, so würde er sie schlecht gespielt haben. Indessen kam der Bursche dabei nicht zu kurz; denn die gute Marquise machte sich einen Spaß daraus, ihn mit dem ganzen bescheidenen Luxus zu kleiden, den ein Abbé aus einer der erlauchtesten Familien Frankreichs hätte entfalten können.

Am unangenehmsten war das Zusammenspeisen mit Frau von Urfé dem Dichter Passano, der oft auf die erhabensten Fragen antworten mußte und zuweilen, wenn er keinen Ausweg aus dem Labyrinth wußte, beträchtlichen Unsinn redete.

Da er sich nicht zu betrinken wagte, so gähnte er zuweilen und beobachtete nicht immer jenen höflichen Anstand, auf den man in Frankreich mehr Wert legt als in anderen Ländern. Frau von Urfé sagte mir, dem Orden müsse irgendein großes Unglück drohen, da der große Mann so zerstreut sei.

Nachdem ich die Kiste zu Frau von Urfé hatte bringen lassen, traf ich mit ihr gemeinsam alle Vorbereitungen, um die Beschwörung der Planeten vorzunehmen. Ich ließ mir von meinem Orakel befehlen, sieben Nächte hintereinander auf dem Lande zuzubringen, mich jeden Umgangs mit einem sterblichen Weibe zu enthalten und jede Nacht zu der Stunde, die dem Monde geweiht ist, auf freiem Felde diesem Planeten einen Kultus darzubringen, um dadurch die Fähigkeit zu erlangen, selber ihre Regeneration vorzunehmen, falls Querilint aus göttlichen Gründen nicht imstande sein sollte, die Operation in eigener Person zu vollziehen.

Infolge dieses Befehles konnte Frau von Urfé es nicht nur nicht übelnehmen, daß ich außer dem Hause schlief, sondern sie war mir sogar dankbar dafür, daß ich mir soviel Mühe gab, um ihrem Unternehmen einen glücklichen Ausgang zu sichern.

Am Samstag, dem Tage nach meiner Ankunft in Marseille, ging ich zu Frau Audibert, wo ich zu meiner Freude sah, daß meine Nichte sehr befriedigt war von der Teilnahme, womit ihre Freundin sich ihrer Angelegenheit angenommen hatte. Sie hatte mit ihrem Vater gesprochen, und diesem gesagt, seine Tochter sei in ihrem Hause und hege den sehnlichsten Wunsch, seine Verzeihung zu erlangen, um in den Schoß ihrer Familie zurückzukehren und binnen kurzem die Gattin eines reichen Genuesen zu werden, der sie zur Ehre seines Hauses nur aus den Händen ihres Vaters empfangen wolle. Der wackere Mann war ganz glücklich, seine geliebte Tochter wiederzufinden und das verirrte Schaf zur Herde zurückzuführen; er hatte ihr geantwortet, er werde sie am übernächsten Tage selber abholen und zu einer seiner Schwestern bringen, die in Saint Louis, zwei kleine Stunden von Marseille, ein eigenes Haus bewohne. Wenn sie sich dort ruhig verhalte, könne sie die Ankunft ihres künftigen Gemahls abwarten, ohne irgendwelchen Anlaß zu Gerede zu geben. Meine Nichte war überrascht, daß ihr Vater noch keine Briefe von dem jungen Mann erhalten hatte, und ich glaubte an ihr ein Zeichen von jener gewissen Ängstlichkeit zu bemerken, die aus dem Zweifel erwächst. Ich bestärkte sie in ihren Hoffnungen und versprach ihr, Marseille nicht früher zu verlassen, als bis ich an ihrer Hochzeit teilgenommen hätte.

Von ihr ging ich zu Marcolina. Es verlangte mich, das schöne Kind an mein Herz zu pressen. Sie empfing mich in einer Art von Freudentaumel. Sie sagte mir, sie würde sich ganz glücklich fühlen, wenn sie sich nur verständlich machen und wenn sie selber verstehen könnte, was ihre Aufwärterin zu ihr sagte. Ich sah wohl ein, daß diese Lage eine Qual war, besonders für ein Weib; aber ich sah für den Augenblick keine Abhilfe, denn ich hätte ihr eine italienisch sprechende Magd besorgen müssen, und deren Gegenwart wäre sehr lästig gewesen. Sie weinte Freudentränen, als ich ihr Grüße von meiner Nichte bestellte und ihr sagte, daß diese am nächsten Tage schon in den Armen ihres Vaters liegen werde. Daß sie nicht meine Nichte war, wußte sie schon, seitdem sie sie in meinen Armen gefunden hatte.

Das lecker und fein zusammengestellte Abendessen, das der gute Alte uns besorgt hatte, bewies sein gutes Gedächtnis und rief auch mir die Erinnerung an Rosalie zurück. Marcolina hörte die Erzählung mit großem Vergnügen und sagte mir zum Schluß, ich scheine nur darum die Welt zu bereisen, um unglückliche junge Mädchen glücklich zu machen, vorausgesetzt, daß ich sie hübsch fände.

»Ich möchte es selber fast glauben«, antwortete ich ihr; »jedenfalls ist es wahr, daß ich mehrere glücklich gemacht habe, und daß ich mir nicht vorzuwerfen habe, auch nur eine einzige unglücklich gemacht zu haben.«

»Gott wird dich dafür belohnen, mein lieber Freund.«

»Vielleicht lohnt sich dies bei mir nicht der Mühe.«

Wenn Marcolina mich durch ihre Schönheit, ihren natürlichen Geist und ihre Liebenswürdigkeit entzückte, so gefiel sie mir nicht weniger wegen ihres ausgezeichneten Appetits; denn wie der Leser weiß, war der Appetit eines Weibes immer eine meiner Schwächen. Übrigens ist in der Provence und besonders in Marseille das Essen ganz ausgezeichnet, abgesehen vom Geflügel, das nichts taugt; allerdings muß man einen Geschmack für Knoblauch haben, denn dieses Gewürz wird an alles getan. Wenn man gerecht sein will, so muß man wirklich sagen, daß es, mit Maß angewandt, ein Reizmittel sondergleichen ist.

Marcolina war reizend im Bett. Seit acht Jahren hatte ich nicht mehr so recht mit vollem Behagen die venetianischen Ausgelassenheiten genossen, und das Mädchen war ein Meisterwerk, vor welchem Prariteles auf die Knie gefallen wäre. Ich lachte über meinen tölpelhaften Bruder, mußte ihm aber zugleich verzeihen, daß er sich in sie verliebt hatte. Da ich sie nirgends hinführen konnte, aber doch den Wunsch hatte, daß sie sich amüsierte, so bat ich meinen gefälligen Alten, sie jeden Tag mit seiner Nichte in die Komödie gehen zu lassen und jeden Abend eine Mahlzeit für mich bereit zu halten. Ich kaufte ihr eine glänzende Ausrüstung an Kleidern, damit sie elegant auftreten könnte, und sie belohnte mich für diese Aufmerksamkeit mit verdoppelter Zärtlichkeit.

Als ich ihr am nächsten Tage meinen zweiten Besuch machte, kam sie gerade aus dem Theater, als ich bei ihr eintraf; sie sagte mir, die Vorstellung habe sie sehr interessiert, obgleich sie kein Wort von dem Gesprochenen verstanden habe. Am Tage darauf überraschte sie mich sehr durch die Mitteilung, daß mein Bruder sich zu ihr in die Loge gesetzt und so viele unverschämte Bemerkungen gemacht habe, daß sie ihn würde geohrfeigt haben, wenn sie sich nicht erinnert hätte, daß sie nicht in Venedig sei.

»Ich glaube,« fügte sie hinzu, »der Bursche ist mir nachgegangen, und ich fürchte, von ihm beunruhigt zu werden.«

»Sei nur ruhig; ich verspreche dir, für Ordnung zu sorgen.«

Als ich in meinen Gasthof zurückgekehrt war, ging ich sofort in das Zimmer des Abbate und sah vor Passanos Bett einen Mann, der Charpie und chirurgische Instrumente zusammenpackte.

»Was heißt das? Sind Sie krank?«

»Ich habe mir eine häßliche Krankheit geholt, die mich lehren wird, in Zukunft vernünftig zu sein.«

»Mit sechzig Jahren ist das ein bißchen spät.«

»Besser mit sechzig Jahren als noch später.«

»Sie sind ein alter Narr! Sie stinken ja nach Quecksilber.«

»Ich werde mein Zimmer nicht verlassen.«

»Das wird einen sehr schlechten Eindruck auf die Marquise machen, die Sie für den allergrößten Adepten hält, und in deren Augen Sie daher über alle Schwächen erhaben sein müssen.«

»Ich pfeife auf die Marquise! Lassen Sie mich in Ruhe!«

In solchem Tone zu mir zu sprechen, hatte der Kerl sich bis dahin niemals erlaubt. Ich glaubte meine Wut verbergen zu müssen und trat zu meinem Bruder heran, der in einer Ecke saß.

»Was wolltest du gestern im Theater von Marcolina?«

»Ich habe sie an ihre Pflicht erinnert und ihr gesagt, daß ich nicht der Mann sei, den gefälligen Liebhaber zu spielen.«

»Du hast sie beschimpft und auch mich, du elender Dummkopf, der du alles dem reizenden Mädchen verdankst, denn ohne sie hätte ich dich nicht einmal angesehen. Und nach alledem wagst du es noch, auf sie einzudringen und beleidigende Bemerkungen zu machen?«

»Ich habe mich ihretwegen zugrunde gerichtet, und ich kann nicht mehr nach Venedig zurückkehren. Ohne sie kann ich nicht leben, und du nimmst sie mir weg, raubst sie mir! Welches Recht hast du, dich ihrer zu bemächtigen?«

»Das Recht der Liebe, Vieh, das Recht des Glückes und das Recht des Stärkeren. Woher kommt es, daß sie sich bei mir glücklich fühlt und daß sie von mir gar nicht wieder würde wegwollen?«

»Weil du sie durch dein glänzendes Auftreten geblendet hast.«

»Und weil sie bei dir nur Elend und Hunger fand.«

»Ja, und später wirst du sie verlassen, wie du es mit so vielen anderen gemacht hast; ich aber würde sie geheiratet haben.«

»Geheiratet, du Renegat! Du bist doch Priester! Ich persönlich denke gar nicht daran, sie fortzuschicken; sollte ich aber doch jemals mich von ihr trennen, so wird sie reich sein.«

»Nun, tu was du willst, aber ich habe sicherlich das Recht, überall wo ich sie finde, mit ihr zu sprechen.«

»Ich hatte es dir verboten, und verlaß dich darauf, du hast zum letzten Male mit ihr gesprochen! Du wirst sehen, daß ich Wort halte.«

Mit diesen Worten ging ich hinaus, stieg in einen Fiaker und fuhr zu einem Advokaten, um ihn zu fragen, ob ich einen fremden Abbé, der mir Geld schuldig sei, verhaften lassen könne, obwohl ich keine Beweisstücke besäße, aus denen mein Anspruch hervorginge.

»Wenn er ein Fremder ist, so können Sie es tun; jedoch müssen Sie Kaution stellen. Sie lassen ihm verbieten, den Gasthof zu verlassen, worin er sich befindet, und Sie können ihn zwingen, Sie zu bezahlen, es wäre denn, daß er nachweise, Ihnen nichts schuldig zu sein. Haben Sie viel von ihm zu fordern?«

»Zwölf Louis.«

»Gehen Sie mit mir zur Behörde. Sie hinterlegen zwölf Louis und sind dann im selben Augenblicke berechtigt, ihn bewachen zu lassen. Wo wohnt er?«

»In demselben Gasthof wie ich; da ich ihn nicht dort verhaften lassen will, so werde ich ihn nach Sainte-Baume schicken. Dort werde ich ihn bewachen lassen. Hier haben Sie einstweilen die zwölf Louis für die Kaution; besorgen Sie sich jetzt den Verhaftbefehl; zur Mittagstunde werden Sie mich wiedersehen.«

»Nennen Sie mir seinen Namen und den Ihrigen.«

Schnell fahre ich nach den Dreizehn Kantonen zurück, wo ich dem Abbate begegne. Er ist geschniegelt und gebügelt, und will gerade eben ausgehen.

»Komm mit,« sage ich zu ihm; »ich werde dich zu Marcolina führen; du kannst dich in meiner Gegenwart mit ihr auseinandersetzen.«

»Mit Vergnügen.«

Er steigt zu mir in den Fiaker, und ich befehle dem Kutscher, uns nach dem Gasthof von Sainte-Baume zu fahren. Als wir dort angekommen waren, befahl ich ihm, mich zu erwarten; ich wolle Marcolina holen und werde bald mit ihr zurückkommen.

Ich stieg wieder in den Fiaker und ließ mich zum Advokaten fahren. Er hatte bereits den Haftbefehl und übergab ihn einem Polizeigefreiten, der sofort nach Sainte-Baume eilte, um den Befehl auszuführen. Ich kehrte nach den Dreizehn Kantonen zurück, ließ seine Sachen in einen Koffer packen und brachte sie ihm nach seinem neuen Aufenthalt. Ich fand ihn dort in einem Zimmer nebst einem Wachtposten, der ihn nicht aus dem Auge ließ. Er sprach auf den sehr erstaunten Wirt ein, der von dem ganzen Theater nichts verstand. Zunächst erzählte ich nun mein Märchen dem Wirt; ich übergab ihm den Koffer und sagte ihm, er brauche in bezug auf die Verzehrung des Abbés nichts zu befürchten, denn er werde gut bezahlt werden. Das war alles, was er zu wissen wünschte, und mehr verlangte er nicht.

Hierauf trat ich bei meinem Bruder ein und teilte ihm mit, er solle sich bereit halten, am nächsten Morgen Marseille zu verlassen; die Reise bis nach Paris würde ich bezahlen. Wenn ihm das nicht passe, so könne er tun, was er wolle; dann aber würde ich ihn unerbittlich seinem Schicksal überlassen und binnen drei Tagen würde er aus Marseille ausgewiesen sein.

Der Feigling brach in Tränen aus und sagte mir, er werde nach Paris gehen.

»Du wirst also morgen früh nach Lyon abreisen; zuvor aber wirst du mir eine Anweisung auf zwölf Louis unterzeichnen, die bei Sicht zahlbar ist.«

»Warum?«

»Weil ich es will. Wenn du es tust, so verspreche ich dir, dir vor deiner Abreise zwölf Louis zu geben und in deiner Gegenwart deinen Wechsel zu zerreißen.«

»Ich bin gezwungen, alles zu tun, was du willst.«

»Das ist das beste, was du tun kannst.«

Als er mir den Schuldschein unterschrieben hatte, bestellte ich für ihn einen Platz in der Schnellpost; am nächsten Tage erschien ich kurz vor der Abfahrt mit meinem Advotaten vor der Behörde, ließ den Haftbefehl aufheben und mir meine zwölf Louis zurückzahlen. Diese übergab ich meinem Bruder, als er bereits im Postwagen saß. Zugleich gab ich ihm einen Empfehlungsbrief an Herrn Bono, den ich darauf aufmerksam machte, daß er ihm kein Geld geben dürfe, und daß er ihn mit derselben Post weiterschicken solle. Hierauf zerriß ich seinen Schuldschein und wünschte ihm gute Reise.

Auf diese Weise schaffte ich mir den Dummkopf vom Halse. Einen Monat darauf sah ich ihn in Paris wieder. Ich werde später erzählen, wie ich ihn nach Venedig zurückschickte.

Am Tage der Verhaftung meines Bruders speiste ich unter vier Augen mit Frau von Urfé; vor dem Essen ging ich zu Passano, um die Ursachen seiner üblen Laune zu erfahren.

»Übler Laune bin ich deshalb, weil ich überzeugt bin, Sie werden sich einer Summe von zwanzig- oder dreißigtausend Talern in Diamanten und Gold bemächtigen, die die Marquise für mich bestimmt hatte.«

»Das kann wohl sein; aber ob ich mich dieser Summe bemächtigen werde oder nicht, das können Sie nicht wissen. Aber so viel kann ich Ihnen sagen: ich werde unter allen Umständen zu verhindern wissen, daß die Marquise Ihnen das Gold oder die Diamanten gibt. Wenn Sie glauben, Ansprüche darauf erheben zu können, so beschweren Sie sich doch bei der Marquise; ich werde Sie nicht daran verhindern.«

»Ich soll mir also gefallen lassen, bei Ihren Betrügereien als Helfershelfer zu dienen, ohne daß es mir irgend welchen Nutzen bringt! Das sollen Sie nicht behaupten können! Ich verlange tausend Louis.«

»Suchen Sie einen, der sie Ihnen gibt!«

Damit drehte ich ihm den Rücken zu und ging zur Marquise; ich sagte ihr, das Essen sei angerichtet; wir würden jedoch allein speisen, weil zwingende Gründe mich genötigt hätten, den Abbate fortzuschicken.

»Er war ein Dummkopf. Aber Querilint?«

»Nach Tisch wird Paralis uns alles sagen, was diesen betrifft. Ich hege starken Verdacht, den wir aufklären müssen.«

»Ich auch. Der Mann kommt mir verändert vor. Wo ist er?«

»Er liegt zu Bett und hat eine Krankheit, die ich Ihnen nicht zu nennen wage.«

»Der Fall ist recht sonderbar. Es ist ein Werk der Schwarzen, wie es vielleicht niemals früher vorgekommen ist.«

»Soviel ich weiß, niemals; aber lassen Sie uns speisen; wir werden heute nach der Weihung des Zinns viel zu arbeiten haben.«

»Um so besser. Wir müssen Dromasis einen Sühnekult weihen; denn denken Sie sich, wie entsetzlich: in vier Tagen sollte er mich regenerieren, und so würde er die Handlung in diesem abscheulichen Zustande vorgenommen haben!«

»Lassen Sie uns essen, sage ich Ihnen!«

»Ich fürchte, die Stunde des Jupiter wird uns überraschen.«

»Fürchten Sie nichts; ich sorge für alles.«

Nachdem wir den Jupiterkult abgehalten hatten, verschob ich den Kultus des Dromasis auf einen andern Tag, um eine Menge kabbalistische Berechnungen anzustellen, die die Marquise in Buchstaben übertrug. Das Orakel sagte: sieben Salamander hätten den wahren Querilint nach der Milchstraße gebracht; der Querilint, der im Nebenzimmer im Bett läge, wäre der schwarze Saint-Germain, den eine Gnomide in jenen ekelhaften Zustand versetzt hätte, um ihn zum Mörder der Semiramis zu machen, die vor der Entbindung an derselben Krankheit gestorben sein würde. Das Orakel sagte ferner: Semiramis solle dem Paraliseo Galtinardo – das war ich – die ganze Sorge überlassen, den schwarzen Saint-Germain beiseite zu schaffen. Am glücklichen Erfolg der Regeneration dürfe sie nicht zweifeln, denn in der siebenten Nacht eines Mondkultus werde mir von dem wahren Querilint selber das Verbum von der Milchstraße her geschickt werden. Das letzte Orakel zeigte uns an, daß ich zwei Tage nach der Beendigung der Mondkulte Semiramis inokulieren müsse, nachdem eine reizende Undine uns im Bade gereinigt hätte. Nachdem ich mich auf diese Weise verpflichtet hatte, meine gute Semiramis zu regenerieren, traf ich meine Vorsichtsmaßregeln, um keine traurige Figur zu spielen. Die Marquise war schön, aber alt, und es konnte mir zustoßen, daß ich nicht imstande war, das Werk zu vollenden. Ich war achtunddreißig Jahre alt und begann zu bemerken, daß ein solches Unglück nicht ausgeschlossen war. Die schöne Undine, die ich vom Monde erhalten sollte, war meine Marcolina, die während des Badens durch den Anblick ihrer schönen Formen und durch ihre Berührungen mir die nötige Zeugungskraft verschaffen sollte. Ich kannte bereits ihre Macht und konnte daher nicht an dem Erfolge zweifeln. Der Leser wird sehen, wie ich es anfing, um sie vom Himmel herunterkommen zu lassen.

Ein Briefchen von Frau Audibert lud mich ein, bei ihr vorzusprechen. Ich ging zu ihr, bevor ich Marcolina besuchte. Sobald sie mich erblickte, kam sie mir freudestrahlend entgegen und sagte mir, der Vater meiner Nichte habe von dem Vater des Genuesen einen Brief erhalten. Er erbitte für den einzigen Sohn die Hand seiner Tochter, die jener bei Herrn und Frau Petri kennen gelernt und die ihm durch ihren Oheim vorgestellt worden sei, nämlich den Herrn Chevalier de Seingalt, der sie nach Marseille zurückbegleitet habe.

»Der wackere Mann«, sagte Frau Audibert, »glaubt Ihnen zum größten Dank verpflichtet zu sein; er betet seine Tochter an und weiß, daß Sie wie ein Vater auf das zärtlichste für sie gesorgt haben. Seine Tochter hat von Ihnen die interessanteste Schilderung entworfen, und er wünscht sehr lebhaft, daß ihm die Ehre zuteil werde, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sagen Sie mir, wann Sie bei mir zu Abend speisen können; der alte Herr wird da sein, seine Tochter jedoch nicht.«

»Ich bin über ihre Worte hocherfreut; denn der Gatte meiner teuren Nichte wird seine Frau nur um so höher achten, wenn er hier findet, daß ich der Freund ihres Vaters bin. Am Abendessen kann ich jedoch nicht teilnehmen. Bestimmen Sie selber einen Tag, ich werde um sechs Uhr kommen und bis acht bleiben; auf diese Weise wird unsere Bekanntschaft vor der Ankunft des künftigen Schwiegersohnes gemacht sein.«

Da Frau Audibert die Wahl des Tages mir überließ, so setzte ich die Zusammenkunft auf den übernächsten Tag fest; hierauf ging ich zu meiner schönen Venetianerin. Ich erzählte ihr alle diese Neuigkeiten und sagte ihr, auf welche Weise ich mir in den nächsten Tagen den Abbate vom Halse schaffen wollte.

Zwei Tage darauf gab mir die Marquise im Augenblick, wo wir zu Tisch gehen wollten, einen Brief Passanos, der in schlechtem Französisch geschrieben, trotzdem aber leicht verständlich war. Er hatte acht Seiten vollgeschmiert, um ihr zu sagen, daß ich sie betrüge. Um sie von dieser Wahrheit zu überzeugen, teilte er ihr die ganze Geschichte mit, ohne einen einzigen Umstand auszulassen, der zu meinen Ungunsten sprach. Außerdem schrieb er ihr, ich sei in Marseille mit zwei Mädchen angekommen; er wisse zwar nicht, wo ich diese versteckt halte, aber sicherlich bringe ich mit ihnen alle Nächte zu.

Nachdem ich den Brief mit der größten Ruhe gelesen hatte, fragte ich sie, ob sie die Geduld besessen habe, den Brief von A bis Z zu lesen. Sie antwortete mir, sie habe ihn überflogen, aber nichts davon verstanden, denn dieser Schwarze schreibe ja gotisch; übrigens liege ihr nichts daran, ihn zu verstehen, denn er könne ihr nur Lügen geschrieben haben, um sie in einem Augenblick zu verlocken, wo sie es am allernötigsten habe, sich zu keinem Irrtum verleiten zu lassen. Diese Weisheit gefiel mir außerordentlich, denn die Marquise durfte durchaus keinen Verdacht auf die Undine haben, deren Anblick und Berührungen für mich unerläßlich waren, um das große Werk zu vollbringen, das mir bevorstand.

Nachdem wir gespeist hatten, veranlaßte ich alle Kult- und Orakelsprüche, deren ich bedurfte, um mein armes Opfer in ihrem Glauben zu bestärken. Hierauf ging ich zu einem Bankier und nahm eine Anweisung von hundert Louis auf Lyon an die Ordre des Herrn Bono. Ich schickte ihm diese Anweisung mit dem Auftrag, den Betrag an Passano auszuzahlen, wenn dieser einen eigenhändig von mir geschriebenen Brief vorzeigen würde; dies müßte jedoch an dem Tage geschehen, der in dem Briefe vermerkt sei, und nicht später.

Nachdem ich dies erledigt hatte, schrieb ich den Brief, den Passano überbringen sollte. Er lautete folgendermaßen: »Herr Bono, zahlen Sie bei Sicht an Herrn Passano, aber nur an ihn selber, nicht an seine Ordre, die Summe von hundert Louisd'or, wenn diese Anweisung Ihnen im Laufe des dreißigsten April 1763 vorgezeigt wird; nach diesem Tage wird mein Auftrag hinfällig.«

Mit diesem Briefe in der Hand ging ich in das Zimmer des Verräters, dem eine Stunde vorher die eine Leistenseite aufgeschnitten worden war.

»Sie sind ein niederträchtiger Verräter,« sagte ich zu ihm; »aber Frau von Urfé, die Ihren ekelhaften Zustand kennt, hat Ihren Brief nicht lesen wollen. Ich aber habe ihn gelesen und biete Ihnen nun folgende Belohnung: Sie haben zu wählen; auf Gerede lasse ich mich nicht ein, denn ich habe es eilig. Entweder entschließen Sie sich, unverzüglich sich ins Hospital bringen zu lassen, denn wir wollen Pestkranke von Ihrer Sorte hier nicht haben; oder fahren Sie in einer Stunde nach Lyon ab und reisen Sie, ohne sich unterwegs aufzuhalten, denn ich bewillige Ihnen nur sechzig Stunden, die übrigens mehr als genug sind, um vierzig Poststationen zurückzulegen. Im Augenblick, wo Sie in Lyon ankommen, bringen Sie diesen Brief Herrn Bono; er wird Ihnen hundert Louis übergeben, die ich Ihnen schenke. Hierauf können Sie machen, was Sie wollen; denn Sie sind nicht mehr in meinem Dienste. Ich schenke Ihnen den Wagen, den Sie für mich in Antibes gekauft haben, und gebe Ihnen fünfundzwanzig Louis für Ihre Reise. Das ist alles. Wählen Sie. Ich mache Sie jedoch auf eines aufmerksam: wenn Sie sich für das Krankenhaus entscheiden, werde ich Ihnen nur ein Monatsgehalt auszahlen; denn mit diesem Augenblick entlasse ich Sie aus meinen Diensten.«

Nachdem er einen Augenblick überlegt hatte, sagte er, er wolle nach Lyon gehen, obgleich ihm dies sein Leben kosten könne, denn er sei sehr krank.

Ich sagte zu ihm: »Du mußt die Strafe für deine Verräterei erleiden, und wenn du stirbst, so wird dies ein Vorteil für deine Familie sein, denn sie wird erben, was ich dir schenke, allerdings nicht, was ich dir geschenkt haben würde, wenn du ein treuer Diener gewesen wärst.«

Das »Du« schien Eindruck auf ihn zu machen, denn sonst hatte ich ihn immer »Sie« genannt. Ich verließ ihn und suchte Clairmont auf, dem ich befahl, Passanos Koffer zu packen. Dann sagte ich dem Wirt, daß der Mann abreisen werde, und bat ihn, sofort Postpferde holen zu lassen.

Hierauf übergab ich Clairmont meinen Brief an Bono nebst fünfundzwanzig Louis und befahl ihm, beides dem Passano einzuhändigen, sobald er im Wagen säße und zur Abfahrt bereit wäre.

So war denn diese große Angelegenheit erledigt und mit Hilfe des starken Hebels Gold, das ich nötigenfalls zu verschwenden wußte, zum guten Ende geführt worden, und ich konnte meiner Liebe nachgehen. Ich mußte Marcolina, in die ich mich mit jedem Tag mehr verliebte, für ihre Rolle abrichten. Sie wiederholte mir unaufhörlich: um sich vollständig glücklich zu fühlen, brauche sie weiter nichts als einige Kenntnisse der französischen Sprache und einen Schimmer von Hoffnung, daß ich sie vielleicht mit mir nach England nähme.

Ich hatte ihr niemals Hoffnung gemacht, daß meine Liebe so weit gehen werde; trotzdem empfand ich eine tiefe Traurigkeit, wenn ich daran dachte, daß ich ein Wesen verlassen mußte, das so ganz und gar von Wollust durchdrungen war, das von der Natur dazu bestimmt zu sein schien, selber alle Wonnen des Lebens zu genießen und sie einem Manne von meiner Sinnesart tausendmal süßer zu machen. Sie war hocherfreut, daß ich mich meiner beiden abscheulichen Begleiter entledigt hatte, und beschwor mich, ich möchte doch manchmal mit ihr ms Theater gehen; »denn,« sagte sie mir, »alle Leute erkundigen sich, wer ich sei, und die Nichte meines Alten zankt fortwährend mit mir darüber, daß ich ihr nicht erlauben will, zu antworten.«

Ich versprach ihr, im Laufe der nächsten Woche ihr dieses Vergnügen zu bereiten, und fügte hinzu: für den Augenblick sei ich ganz und gar von einer Angelegenheit in Anspruch genommen. Diese lasse mir gar keine Ruhe, und um sie nach Wunsch durchzuführen, würde ich ihrer Beihilfe bedürfen.

»Ich werde tun, was du willst, mein lieber Freund.«

»Gut, so höre: ich werde dir einen sehr eleganten leichten Jockeyanzug machen lassen. In dieser Verkleidung wirst du zu einer Stunde, die ich dir angeben werde, vor die Marquise treten, mit der ich zusammenwohne, und du wirst ihr einen Brief übergeben. Wirst du den Mut haben, dies zu tun?«

»Ganz gewiß! Wirst du dabei sein?«

»Ja. Sie wird mit dir sprechen, aber du darfst nicht antworten, da du für stumm gelten sollst. In dem Briefe wird stehen, daß du stumm bist, und zugleich, daß du dich erbietest, sie in dem Bade zu bedienen, das ich mit ihr zusammen nehmen muß. Sie wird dein Anerbieten annehmen, und sobald sie es dir befiehlt, wirst du sie völlig entkleiden. Wenn du mit ihr fertig bist, entkleidest du dich ebenfalls; hierauf reibst du die Marquise von den Fußspitzen bis zum Gürtel, aber nicht höher. Während du sie recht zart reibst, werde ich mich entkleiden und hierauf die Marquise eng umschlingen. Du wirst uns dabei zusehen, indem du dich so stellst, daß ich alle Teile deines hübschen Leibes gut sehen kann.

»Dies ist aber noch nicht alles, meine entzückende Freundin: wenn ich mich von ihr getrennt habe, wirst du mit deinen zarten Händen die Körperteile waschen, die der Liebe dienen; hierauf wirst du sie mit einem feinem Battisttuch abtrocknen, das zu diesem Zweck bereit liegen wird. Dann verrichtest du an mir denselben Dienst, indem du versuchst, mich wieder zu beleben. Ich werde dann die Marquise abermals umarmen. Zum Schluß wirst du dieselben Abwaschungen vornehmen, und wenn du damit fertig bist, wirst du die Marquise küssen. Hierauf wirst du auch mich umarmen und mit deinen venetianischen Küssen das Werkzeug bedecken, womit ich das Opfer vollbracht habe. Wenn ich wieder ins Leben zurückgekehrt bin, werde ich die Marquise zum dritten Male umarmen, und während dieser letzte Kampf stattfindet, wirst du uns so lebhaft wie möglich liebkosen, bis der Akt vollständig ist. Endlich wirst du uns zum dritten Male abwaschen. Hierauf kleidest du dich an, nimmst, was sie dir geben wird, und kehrst in diese Wohnung zurück, wo ich eine Stunde später wieder bei dir sein werde.«

»Du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde ganz genau alles tun, was du mir befiehlst; aber du begreifst, welche Überwindung mir das kosten wird.«

»Nicht mehr als mir: denn ich würde bei dieser alten Frau unvermögend sein, wenn du mir nicht die nötige Glut mitteiltest.«

»Ist sie sehr alt?«

»Fast siebzig Jahre.«

»Oh, mein armer Freund, wie bedaure ich dich! Aber nach dieser harten Fron wirst du doch zum Abendessen hierher kommen und hier schlafen?«

»Ganz gewiß.«

»Nun, dann geht es doch wenigstens.«

Am verabredeten Tage traf ich bei Frau Audibert den Vater meiner seligen Nichte. Ich erzählte ihm in einer sehr freundschaftlichen Unterhaltung alles, was seine Tochter betraf, außer den näheren Umständen unseres Liebesverhältnisses, denn solche Dinge erzählt man natürlich keinem Vater. Der brave Mann wußte nicht, wie er mir seinen Dank bezeigen sollte; er umarmte mich mehrere Male, nannte mich seinen Wohltäter und sagte, ich hätte für seine Tochter mehr getan, als er selber hätte tun können. Hierin hatte er in gewisser Hinsicht recht. Er sagte mir: »Ich habe von meinem Geschäftsfreund einen zweiten Brief erhalten. Zugleich schreibt mir auch der Sohn auf die zärtlichste und ehrfurchtsvollste Weise. Er verlangt von mir keine Mitgift, und das ist zu unserer Zeit gewiß etwas Seltenes; aber ich werde ihr hundertfünfzigtausend Franken mitgeben und werde außerdem die Hochzeit rüsten, denn diese Heirat ist sehr ehrenvoll und ist besonders nach dem Davonlaufen meines armen, wilden Mädchens als ein großes Glück anzusehen. Ganz Marseille kennt den Vater meines künftigen Schwiegersohnes, und morgen werde ich meiner Frau alles sagen; ich bin überzeugt, daß sie im Interesse eines glücklichen Ausganges volle Verzeihung gewähren wird.«

Ich mußte ihm versprechen, zur Hochzeit zu kommen. Er lud dazu auch Frau Audibert ein, die mich als großen Spieler kannte und daher erstaunt war, daß ich nicht zu ihren Abenden kam, da bei ihr stets eine große Partie stattfand. Aber ich war damals in Marseille, um zu schaffen, nicht um zu zerstören. Jedes zu seiner Zeit!

Ich ließ Marcolinen eine bis zur Hüfte reichende Jacke von grünem Samt machen, dazu Kniehosen von demselben Stoff mit Strumpfbändern von silberner Tresse, grünseidene Strümpfe und Schuhe aus Maroquinleder von der gleichen Farbe. Ein spanisches Haarnetz aus grüner Seide mit silberner Troddel nahm ihre schönen schwarzen Haare auf. In dieser Kleidung sah das junge Mädchen mit seinem schlanken anmutigen Wuchs, mit seinen runden, zur Liebe geschaffenen Formen so wundervoll aus, daß ihr alle Leute nachgelaufen sein würden, wenn sie sich in den Straßen von Marseille hätte sehen lassen; denn trotz der Männerkleidung konnte es keinem Menschen entgehen, daß sie ein Mädchen war. Ich führte sie in ihrer gewöhnlichen Kleidung in meine Wohnung, um ihr zu zeigen, wo sie sich nach verrichteter Sache verstecken sollte.

Nachdem am Samstag alle Kultushandlungen zu Ende gebracht waren, setzte das Orakel den nächsten Dienstag für die Regeneration meiner Semiramis fest, und zwar sollte sie in den Stunden der Sonne, der Venus und des Merkur stattfinden, die in dem planetarischen System der Magier, wie in der Phantasie der ptolemäischen Lehre aufeinanderfolgen. Die Stunden entsprachen an jenem Tage der neunten, zehnten und elften Morgenstunde; denn da es ein Dienstag war, so mußte die erste Stunde dem Mars gehören. Da die Stunden zu Anfang des Monats Mai fünfundsechzig Minuten lang sind, so wird mein Leser, wenn er von Magie auch nur eine Ahnung hat, wissen, daß ich die große Operation an Frau von Urfé von zweieinhalb bis fünfzehn Minuten vor sechs Uhr vollziehen mußte. Ich hatte mir Zeit genommen, weil ich voraussah, daß ich derselben bedürfen würde.

Am Montag hatte ich mit Einbruch der Nacht in der Stunde, die dem Monde geweiht ist, Frau von Urfé an das Meeresufer geführt. Clairmont trug die fünfzig Pfund schwere Kiste mit den Opfergaben.

Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß wir von keinem Menschen gesehen würden, sagte ich zu Frau von Urfé, der Augenblick sei da. Ich befahl Clairmont, die Kiste zu unseren Füßen niederzustellen und dann nach unserem Wagen zurückzukehren, um uns dort zu erwarten. Nachdem wir allein geblieben waren, richteten wir ein feierliches Gebet an Selenis. Dann warfen wir die Kiste ins Meer, zur großen Befriedigung der Marquise, aber zu meiner eigenen noch größeren, wie der Leser begreifen wird: denn die ins Meer geworfene Kiste enthielt nur fünfzig Pfund Blei. Die echte Kiste, die, worin der Schatz war, befand sich, vor jedem Blick verborgen, in meinem Zimmer.

Ich begleitete die Marquise nach den Dreizehn Kantonen zurück und ließ sie dort allein, nachdem ich ihr gesagt hatte, ich würde erst dann wieder in den Gasthof kommen, nachdem ich an demselben Ort und zu derselben Stunde ruhig meine sieben Kulte gefeiert und eine Beschwörung an den Mond vorgenommen hätte.

Ich log nicht: denn ich ging zu Marcolina. Während sie sich als Jockey kleidete, schrieb ich mit einem Alaunkristall in verschlungenen großen Buchstaben auf weißes Papier folgende Worte: Ich bin stumm, aber nicht taub; ich komme aus dem Rhône, um Euch zu baden. Die Stunde des Oromasis hat begonnen.

»Dieses Briefchen«, sagte ich zu Marcolina, »wirst du der Marquise übergeben, sobald du dich ihren Blicken zeigst.«

Nach dem Abendessen gingen wir zu Fuß aus und kamen in unseren Gasthof, ohne von einem Menschen gesehen worden zu sein. Ich versteckte Marcolina in einem großen Schrank; hierauf zog ich meinen Schlafrock an und ging zur Marquise, um ihr anzukündigen, daß Selenis die Regeneration auf den nächsten Tag vor drei Uhr angesetzt habe; um fünfeinhalb Uhr müsse sie beendet sein, damit wir nicht in die Stunde des Mondes hineingerieten, die auf die des Merkur folgte. Diese dürfe nicht in die Regeneration hineingemischt werden, weil diese dadurch zunichte gemacht oder jedenfalls beeinträchtigt würde.

»Sie werden, gnädige Frau, veranlassen, daß vor dem Mittagessen die Badewanne hier neben Ihrem Bett bereit steht, und Sie müssen sich vergewissern, daß Brongnole nicht vor der Nacht Ihr Zimmer betritt.«

»Ich werde ihr Erlaubnis geben, einen Spaziergang zu machen. Aber Selenis hatte uns doch eine Undine versprochen?«

»Richtig! Ich habe aber noch keine gesehen.«

»Befragen Sie doch das Orakel!«

»Gern!«

Sie stellte selber die Frage, indem sie zugleich abermals zum Geiste Paralis betete, die Operation möchte nicht aufgeschoben werden, wenn auch die Undine nicht erschiene; denn sie sei bereit, allein zu baden.

»Die Befehle des Oromasis sind unwandelbar,« antwortete das Orakel, »und ihr habt gefehlt, indem ihr dem Zweifel Raum gegeben habt.«

Sofort stand die Marquise auf und verrichtete einen Sühnekultus. Hierauf befragte sie wieder das Orakel und erhielt die Antwort: Oromasis ist befriedigt.

Ich konnte mit der alten Frau kein Mitleid haben, denn sie war mir zu lächerlich. Sie umarmte mich und sagte zu mir mit ganz besonderer Feierlichkeit: »Morgen, mein lieber Galtinardo, werden Sie mein Gatte und mein Vater sein! Fordern Sie die Gelehrten auf, dieses Rätsel zu erklären!«

Nachdem ich in mein Zimmer zurückgekehrt war und meine Tür sorgfältig verschlossen hatte, beeilte ich mich, die Undine aus ihrem Gefängnis zu erlösen. Sie entkleidete sich und legte sich zu Bett, und da sie wohl begriff, daß ich meine Kräfte schonen müsse, so drehte sie mir den Rücken zu, und wir verbrachten in weiser Enthaltsamkeit die Nacht, ohne uns auch nur einen Kuß zu geben; denn ein einziger Funke hätte eine ganze Feuersbrunst hervorrufen können.

Am andern Morgen ließ ich sie frühstücken, bevor ich Clairmont hineinrief, und schloß sie dann wieder in ihr Versteck ein. Hierauf hörte ich ihr noch einmal ihre Lektion ab und ermahnte sie zu Pünktlichkeit, Ruhe, Heiterkeit und Schweigen.

»Du wirst mit mir zufrieden, sein, mein liebes Herz; sei ruhig!«

Nachdem ich das Mittagessen auf Punkt zwölf Uhr bestellt hatte, trat ich bei Semiramis ein. Sie war nicht in ihrem Zimmer, aber die Badewanne stand an ihrem Platz, und das Bett war hergerichtet wie ein Altar der Cypris.

Einige Minuten darauf kam die Marquise aus einem Nebenzimmer: ihr Gesicht war bemalt wie ein Miniaturbild und strahlte vor Freude. Sie trug ein prachtvolles Spitzenröckchen; ein Mäntelchen von Blonden bedeckte ihren Busen, der vierzig Jahre früher einer der schönsten von ganz Frankreich gewesen war. Ein altes, aber sehr reiches Kleid, ein Paar Ohrringe mit herrlichen Smaragden und ein Halsband von sieben Aquamarinen vom schönsten Wasser mit dem herrlichsten Smaragd, den man sich denken kann, umgeben von zwanzig Brillanten von je anderthalb Karat, vervollständigten ihren Schmuck. An der Hand trug sie den Karfunkel, den ich bereits kannte und den sie auf eine Million schätzte, während er in Wirklichkeit nur eine glänzend gelungene Nachahmung war.

Als ich Semiramis so zum Opfer geschmückt sah, glaubte ich ihr meine Ehrfurcht bezeigen zu müssen. Ich ging ihr daher entgegen und beugte das Knie, um ihr die Hand zu küssen; sie ließ dies jedoch nicht zu, sondern öffnete ihre Arme und küßte mich.

Nachdem sie ihrer Kammerfrau Brougnole gesagt hatte, sie gäbe ihr Urlaub bis sechs Uhr, unterhielten wir uns von unseren Mysterien, bis das Essen aufgetragen wurde. Nur Clairmont durfte uns bei Tisch sehen, und Semiramis aß an diesem Tage nur Fisch. Um halb zwei Uhr sagte ich zu Clairmont, ich sei für niemanden zu Hause, da ich allein arbeiten wolle; zugleich gab ich ihm einen Louis und sagte ihm, er könne sich bis zum Abend amüsieren.

Die Marquise begann unruhig zu werden, und auch ich stellte mich, wie wenn ich etwas besorgt würde. Ich sah nach meinen Uhren, berechnete die Minuten der planetarischen Stunden und sagte von Zeit zu Zeit: »Wir sind noch in der Stunde des Mars; die Stunde der Sonne hat noch nicht begonnen.«

Endlich schlug es halb drei auf der Stutzuhr, und zwei Minuten später sahen wir die schöne Undine eintreten. Lächelnden Gesichtes ging sie mit langsamen Schritten auf Semiramis zu, ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder und reichte ihr das Papier. Da sie sah, daß ich nicht aufstand, blieb auch die Marquise sitzen; aber sie hob mit freundlicher Anmut die Wassernixe auf und nahm ihr das Blatt ab, das sie zu ihrer großen Überraschung völlig weiß fand.

Schnell reichte ich ihr eine Feder, damit sie sich an das Orakel wenden könnte. Sie stellte die Frage, was dieser Bote zu bedeuten habe. Ich nahm ihr die Feder ab und baute die Zahlenpyramide ihrer Frage. Sie zog die Antwort heraus und fand folgende Worte: »Was im Wasser geschrieben ist, kann nur im Wasser gelesen werden.«

»Ich verstehe«, rief sie aus. Sie ging zur Badewanne, tauchte das Blatt hinein und las in Schriftzügen, die noch weißer waren als das Papier, folgende Worte: Ich bin stumm, aber nicht taub; ich komme aus dem Rhône, um Euch zu baden. Die Stunde des Oromasis hat begonnen.

»So bade mich also, göttlicher Genius!« rief Semiramis, indem sie das Blatt Papier auf den Tisch legte und sich auf das Bett setzte. Meiner Weisung getreu entkleidete Marcolina die Marquise und setzte deren Füße in die Badewanne; dann warf sie, gewandt wie ein Sylphide, im Handumdrehen ihren hübschen Anzug ab und stand bis zu den Knien im Badewasser. Welchen Gegensatz bildeten diese beiden Leiber! Aber der Anblick des einen gab mir das Leben, das ich an dem anderen erlöschen sollte.

Das entzückende Geschöpf unverwandt betrachtend, entkleidete ich mich. Als ich aber nur noch das Hemd auszuziehen hatte, sagte ich zu ihr: »Oh, reizender Genius, trocknet Semiramis die Füße ab und seid der göttliche Zeuge meiner Vereinigung mit ihr, die ich zum Ruhme des unsterblichen Oromasis, des Königs der Salamander, vollziehe!«

Kaum hatte ich diese Bitte ausgesprochen, so beeilte sich die Undine, die stumm, aber nicht taub war, meinen Wunsch zu erfüllen, und ich vollzog meine erste Vereinigung mit Semiramis, indem ich die Schönheiten Marcolinas bewunderte, die ich nie zuvor so deutlich gesehen hatte.

Semiramis war schön gewesen, aber sie war damals wie ich jetzt bin, und ohne die Undine wäre die Operation mißlungen. Da jedoch die Semiramis zärtlich und sehr sauber war, und nichts von jenem Ekelhaften an sich hatte, das oft dem Alter anhaftet, so mißfiel sie mir nicht, und die Operation wurde vollständig vollzogen. Als die Milch über den Altar ausgegossen war, sagte ich zu ihr: »Jetzt müssen wir die Stunde der Venus abwarten.«

Die Undine vollzieht die Waschungen, umarmt die Braut und erweist mir mit verliebter Glut denselben Dienst.

Semiramis war entzückt von ihrem Glück; ganz hingerissen von den Reizen der Undine forderte sie mich auf, sie zu bewundern, und ich fand, daß kein sterbliches Weib ihr gleiche. Von diesen wollüstigen Vorstellungen erregt, fühlt Semiramis ihre Zärtlichkeit wieder erwachen. Die Stunde der Venus beginnt, und von der Undine ermutigt, unternehme ich den zweiten Sturm, der der heftigste sein mußte, denn die Stunde dauerte fünfundsechzig Minuten.

Ich betrat den Kampfplatz und arbeitete eine halbe Stunde, von Schweiß triefend und Semiramis ermüdend, ohne doch fertig werden zu können. Ich schämte mich indessen, sie zu betrügen. Sanft sich in ihr Schicksal ergebend, trocknete das Opfer mir die Stirn ab; die Undine aber, die mich erschöpft sah, belebte durch ihre aufreizenden Liebkosungen, was die Berührung mit dem alten Körper ertötet hatte. Gegen das Ende der Stunde überwältigte mich die Anstrengung; ich konnte es nicht mehr aushalten und entschloß mich daher, so zu tun, wie wenn ich am Ziel wäre; so erheuchelte ich denn alle jene Zuckungen, zu denen sonst wirkliche Wollust zwingt. Ich ging als schaumbedeckter Sieger mit allen Zeichen meiner Kraft aus dem Kampf hervor und ließ Semiramis keinen Zweifel an meinem Triumph. Die Undine selber wurde davon getäuscht, als sie die zweite Abspülung an mir vornahm. Doch schon hatte die dritte Stunde begonnen, und es galt, Merkur zu befriedigen. Ein Viertel von dieser Stunde blieben wir im Bade. Die Undine entzückte Semiramis durch Liebkosungen, um die der Herzog von Orleans, der Regent von Frankreich, sie beneidet haben würde. Die gute Marquise glaubte, bei den Flußgöttinnen sei dies so Sitte, und ließ gerne alles geschehen, was die Undine an ihr vornahm. Von Dankbarkeit erfüllt, bat Semiramis sie, auch mich mit ihren Schätzen zu beglücken, und nun entfaltete Marcolina den ganzen Reichtum der venetianischen Schule. Sie war eine vollendete Lesbierin. Bald war es ihr gelungen, mich wieder zum kräftigsten Leben zu erwecken, und Semiramis forderte mich auf, dem Merkur zu opfern. Ich ging ans Werk; leider aber drohte ich nur noch mit dem Blitz, hatte jedoch nicht mehr die Kraft, ihn zu schleudern. Ich sah, wie schmerzlich der mitfühlenden Undine der Anblick meiner vergeblichen Anstrengung war; auch bemerkte ich, daß Semiramis die Anstrengungen, die ich ihr verursachte, nicht mehr aushalten konnte und das Ende des Kampfes herbeisehnte. So faßte ich denn den unvermeidlichen Entschluß, sie abermals zu betrügen: ich verfiel in Zuckungen, die mit einer vollständigen Unbeweglichkeit endigten, wie sie wohl die natürliche Folge einer Leistung war, die nach der Meinung der Semiramis, wie sie mir später sagte, weit über die Kräfte eines gewöhnlichen Sterblichen ging.

Nachdem ich mich gestellt hatte, wie wenn ich wieder zur Besinnung käme, warf ich mich in die Badewanne, in der ich aber nur so lange blieb, um die nötige Abspülung vorzunehmen; hierauf kleidete ich mich an. Marcolina reinigte die Marquise und half ihr dann beim Anziehen. Ich überraschte Semiramis auf einer neidischen Bewunderung der reizenden Undine, die sich zum Schluß mit der ganzen anmutigen Gewandtheit und Schnelligkeit eines jungen Mädchens ankleidete. Einer glücklichen Eingebung ihres Genius folgend, nahm Semiramis ihr prachtvolles Halsband ab und hängte es der schönen Badedienerin um den Hals, die ihr einen venetianischen Kuß gab, verschwand und sich in den Schrank versteckte.

Semiramis fragte das Orakel, ob die Operation vollständig gelungen sei. Erschreckt durch diese Frage ließ ich ihr antworten, das Verbum der Sonne sei in ihrer Seele, und sie werde zu Anfang des Monats Februar mit ihrem anderen Ich niederkommen, das dem Geschlecht des Erzeugers angehören werde; damit jedoch die Einflüsse der feindlichen Geister nicht dem Erfolg schaden könnten, wäre es unbedingt notwendig, daß sie hundertundsieben Stunden ununterbrochen ruhig in ihrem Bett bliebe.

Außer sich vor Glück, fand die gute Marquise, die ich entsetzlich ermüdet hatte, diesen Befehl, daß sie sich ausruhen solle, von göttlicher Weisheit und von bester Vorbedeutung. Ich umarmte sie und sagte ihr, ich würde auf dem Lande übernachten, um den Rest der Kräuter abzuholen, die bei den von mir dem Monde dargebrachten Kulten übrig geblieben wären; aber ich versprach ihr, am nächsten Tage mit ihr zu Mittag zu speisen.

Ich schloß mich mit Marcolina in meinem Zimmer ein, und wir waren in fröhlicher Stimmung beisammen, bis die Nacht anbrach; denn bei Tage konnte sie in ihrem schönen Undinenkleide nicht mehr ausgehen. Ich zog meinen prachtvollen Hochzeitsanzug aus, und als wir endlich ausgehen konnten, ohne die Blicke der Neugierigen fürchten zu müssen, brachte ein Fiaker uns beide nebst der von mir so wohl verdienten Kiste mit den Opfergaben für die Planeten zu Marcolina.

Wir waren halbtot vor Hunger, aber das leckere Abendessen, das uns erwartete, gab uns die Sicherheit, daß wir am Leben bleiben würden. Kaum waren wir in ihrem Zimmer, so warf Marcolina schnell ihren schönen, grünen Anzug beiseite und zog ihre Mädchenkleider wieder an. »Ich fühle, lieber Freund,« sagte sie zu mir, »daß ich nicht dazu geschaffen bin, Hosen zu tragen. Da sieh das schöne Halsband, das deine Närrin mir gegeben hat!«

»Ich werde es verkaufen, schöne Undine, und dir den Erlös geben.«

»Ist es denn viel wert?«

»Mindestens tausend Zechinen. Wenn du nach Venedig zurückkehrst, wirst du mindestens fünftausend Dukaten Kurant besitzen; du kannst dir einen Gatten aussuchen, mit dem du als wohlhabende Bürgersfrau leben wirst.«

»Behalte alles, mein Freund, und nimm mich mit dir; ich brauche nichts. Ich werde dir gewiß nicht zur Last fallen; ich werde alles tun, was du willst, und werde dich lieben wie meine eigene Seele. Ich verspreche dir, niemals eifersüchtig zu sein und dich zu pflegen wie mein Kind.«

»Davon wollen wir später sprechen, schöne Marcolina; jetzt aber, da wir gut gespeist haben, laß uns zu Bett gehen, denn ich habe dich niemals meiner Huldigungen so würdig gefunden wie in diesem Augenblick.«

»Aber du mußt doch ermüdet sein.«

»Ermüdet – ja; aber nicht erschöpft; denn ich habe meinen Lebenssaft nur ein einziges Mal vergießen können; dafür danke ich der Liebe.«

»Ich glaubte, du hättest zweimal auf diesem alten Altar geopfert. Die arme Frau! Sie ist sehr liebenswürdig für ihr Alter, und ich glaube gern, daß sie vor fünfzig Jahren vielleicht die erste Schönheit Frankreichs war. Aber ach! Welch ein Wahnsinn, noch an Liebe zu denken, wenn man alt ist!«

»Du befeuertest mich, aber sie kühlte mich noch stärker ab.«

»Bedarfst du immer des Reizmittels eines jungen Mädchens, um zärtlich mit ihr zu sein?«

»Nein; denn die anderen Male kam es nicht darauf an, ihr einen Jungen zu machen.«

»Hast du dich etwa verpflichtet, sie zu schwängern? Oh, wie lächerlich! Vielleicht bildet sie sich sogar ein, empfangen zu haben?«

»Ohne allen Zweifel; diese Hoffnung macht sie glücklich.«

»Sonderbare Schwärmerei! Aber warum hast du dich verpflichtet, die Leistung dreimal zu wiederholen?«

»Ich wollte eine Herkulesarbeit vollbringen, und ich glaubte, meine Kraft würde ausreichen, wenn ich dich sähe. Ich habe mich sehr getäuscht!«

»Ich beklage dich, daß du soviel gelitten hast.«

»Du wirst mich verjüngen.«

Ich weiß nicht, ob die Vergleichung mit der Alten besonders stark auf mich wirkte, aber ich verbrachte in der Tat mit meiner schönen Venetianerin eine der köstlichsten Nächte, die ich nur mit den Liebesnächten vergleichen kann, die ich in Parma mit Henriette und auf Murano mit meiner unvergleichlichen Nonne verlebt hatte. Wir blieben vierzehn Stunden im Bett, und von diesen wurden wenigstens vier darauf verwandt, den Schimpf wieder gut zu machen, den ich der Liebe angetan hatte.

Nachdem ich Toilette gemacht und meine Schokolade getrunken hatte, sagte ich Marcollinen, sie möchte sich elegant kleiden und mich zum Theater erwarten. Ich hätte ihr kaum ein größeres Vergnügen machen können.

Frau von Urfé fand ich in ihrem Bett liegen, mit gesuchter Eleganz gekleidet und wie eine jung vermählte Frau frisiert. Auf ihren Zügen lag ein Ausdruck von Befriedigung, wie ich ihn niemals an ihr gesehen hatte.

»Ich weiß, mein vielgeliebter Galtinardo, daß ich Ihnen mein ganzes Glück verdanke«, sagte sie zu mir, indem sie mich umarmte.

»Ich bin glücklich, göttliche Semiramis, daß ich dazu beigetragen habe; doch war ich nur das Werkzeug, dessen die Geister sich bedient haben.«

Die Marquise begann nun in der vernünftigsten Weise mit mir zu sprechen; leider aber war ihr ganzes Gedankengebäude auf die verrückteste aller Torheiten gegründet.

Sie sagte zu mir: »Heiraten Sie mich; Sie bleiben Vormund meines Kindes, das zugleich Ihr Sohn ist. Auf diese Weise erhalten Sie mir mein ganzes Vermögen und werden außerdem Besitzer des Erbteils, das mir von meinem Bruder, Herrn von Pontcarré, zufallen muß. Er ist alt und kann nicht mehr lange leben. Im nächsten Februar soll ich als Mann wiedergeboren werden und in was für Hände werde ich da fallen, wenn Sie nicht für mich sorgen! Man wird mich für ein uneheliches Kind erklären und ich werde dadurch achtzigtausend Franken Rente verlieren, die Sie mir erhalten können. Vergessen Sie das ja nicht, mein lieber Galtinardo! Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich in meiner Seele schon als Mann fühle. Ich bin in die Undine verliebt, das muß ich Ihnen gestehen, und ich möchte wissen, ob ich in vierzehn oder fünfzehn Jahren bei ihr werde schlafen können. Wenn Oromasis es will, kann er es so fügen, und ich werde dann glücklich sein. Oh, was für ein reizendes Geschöpf! Haben Sie jemals ein so schönes Weib gesehen? Wie schade, daß sie stumm ist! Sie muß einen Wassermann zum Liebhaber haben. Aber alle Wassermänner sind stumm, denn im Wasser kann man nicht sprechen. Ich bin erstaunt, daß sie nicht taub ist. Ich begreife nicht, daß Sie keine Lust verspürt haben, sie anzurühren. Ihre Haut ist unglaublich weich; Samt und Atlas sind nichts im Vergleich damit! Ihr Atem ist so lieblich. Die Undinen haben eine mimische Sprache, die man lernen kann. Wie sehr würde es mich freuen, wenn ich mich mit diesem Wesen unterhalten könnte! – – Mein lieber Galtinardo, ich bitte Sie, das Orakel zu befragen, wo ich niederkommen soll. Wenn Sie mich nicht heiraten können, so scheint es mir nötig zu sein, daß ich all mein Hab und Gut verkaufe und daß ich für mein ganzes zweites Leben sichergestellt werde; denn in meinen ersten Kinderjahren werde ich natürlich nichts wissen, und es wird Geld erforderlich sein, damit ich eine Erziehung erhalte. Man könnte alles verkaufen und eine große Summe in Renten anlegen und diese sicheren Händen übergeben, um damit allen meinen Bedürfnissen zu genügen, ohne das Kapital anzurühren.«

»Das Orakel, Semiramis, muß unser einziger Führer sein, übrigens werden Sie mein Sohn sein, und wenn Sie als Mann wiedergeboren werden, werde ich niemals dulden, daß man Sie als Bastard erklärt.«

Diese Zusicherung beruhigte die erhabene Närrin.

Ohne Zweifel wird mehr als ein Leser der Meinung sein, ich hätte als ehrenhafter Mann der Frau ihren Irrtum benehmen sollen. Aber es tut mir leid, ihnen sagen zu müssen: die Sache war unmöglich. Ja, ich gestehe, selbst wenn ich es gekonnt hätte, würde ich es nicht gewollt haben, denn indem sie wieder vernünftig geworden wäre, hätte ich sie unglücklich gemacht. Wie ihr Geist nun einmal angelegt war, bedurfte sie fortwährender eitler Hoffnungen.

Ich wollte mit Marcolina ins Theater gehen, und da ich ihr gesagt hatte, daß sie sich aufs beste herausputzen solle, so legte auch ich einen meiner schönsten Anzüge an, damit meine Erscheinung zu der ihrigen passe.

Der Zufall führte in unsere Loge die beiden Schwestern Rangoni, die Töchter des römischen Konsuls. Da ich sie von meinem ersten Aufenthalt in Marseille bereits kannte, so stellte ich ihnen die Venetianerin als meine Nichte vor, die nur italienisch spreche. Da die beiden jungen Damen die Sprache Tassos sprachen, war Marcolina hoch entzückt. Die jüngere Rangoni, an Schönheit ihrer älteren Schwester weit überlegen, wurde wenige Jahre später Fürstin Gonzaga Solferino. Der Fürst, der sie heiratete, war ein wissenschaftlich gebildeter Mann, man kann sogar sagen, ein genialer Mann. Obwohl er der Familie Gonzaga angehörte, war er doch arm; denn er war der Sohn des ebenfalls sehr armen Fürsten Leopold und einer Medini, Schwester jenes Medini, der im Jahre 1787 in London im Gefängnis starb.

Babet Rangoni war zwar nur die Tochter eines Marseiller Kaufmanns, des römischen Konsuls, aber sie verdiente, Fürstin zu werden, denn sie hatte das Auftreten und die Manieren einer solchen. Sie glänzt mit ihrem Namen Rangoni unter den Fürsten, die im alten Almanach mitverzeichnet stehen. Ihr sehr eitler Gatte ist entzückt, daß die Leser dieser Almanache seine Gemahlin für eine Angehörige des erlauchten Hauses Medini halten. Dies ist eine unschuldige Eitelkeit, die der Welt weder nutzt noch schadet. Dieselben Almanache machen aus Medini den Namen Medici, was ebenso unschuldig ist. Diese Lügen haben ihren Ursprung in dem dummen Stolz des Adels, der sich allen Ernstes einbildet, von einer höheren Natur als die übrigen Menschen zu sein, weil er im Besitz von Namen und Würden ist, die nur zu oft durch niedrige Handlungen erworben wurden. Man muß ihm das hingehen lassen, weil die Dinge dieser Welt doch nur den Wert haben, den man ihnen beimißt, und weil man doch den stolzesten Adel sofort seines Glanzes entkleiden kann, wenn man ihn so sieht, wie er ist.

Dieser Fürst Gonzaga Solferino, den ich vor achtzehn Jahren in Venedig sah, lebte von einem leidlich hinreichenden Jahrgeld, das ihm die Kaiserin Maria Theresia ausgesetzt hatte. Ich hoffe, daß der verstorbene Kaiser Joseph ihm diese Pension nicht genommen hat; denn er verdiente sie wegen seines Geistes und wegen seiner literarischen Kenntnisse.

Während der Vorstellung plauderte Marcolina fortwährend mit der reizenden jungen Babet Rangoni, die mich dringend einlud, sie in ihrem Hause einzuführen; ich hatte jedoch meine Gründe, dies nicht zu tun.

Ich dachte über ein Mittel nach, wie ich Frau von Urfé nach Lyon schicken könnte; denn ich wußte nicht mehr, was ich in Marseille mit ihr anfangen sollte, und sie brachte mich nur in Verlegenheit. Da gab sie mir am dritten Tage nach der Regeneration eine Frage, die ich an Paralis richten sollte. Sie wollte wissen, wo sie geboren werden, das heißt sterben sollte. Ich ließ das Orakel antworten, sie müsse den Undinen zweier Flüsse gleichzeitig einen Kultus darbringen und je nach dem Ausfall dieser feierlichen Handlung werde die Frage entschieden werden. Außerdem müsse ich dem Saturn einen dreimaligen Sühnedienst widmen, weil ich den falschen Querilint zu hart behandelt habe. An diesen Sühnediensten brauche Semiramis nicht teilzunehmen, dagegen müsse sie bei dem Kultus der Wassergottheiten zugegen sein.

Während ich tat, wie wenn ich darüber nachdächte, wo zwei Flüsse so nahe beieinander wären, daß wir die Vorschriften des Orakels leicht ausführen könnten, sagte Semiramis aus eigenem Antriebe zu mir, Lyon liege am Rhône und an der Saône, und es sei daher nichts leichter, als den Kultus in dieser Stadt abzuhalten. Wie man sich denken kann, stimmte ich ihr sofort zu. Hierauf befragte ich Paralis, ob noch Vorbereitungen auszuführen seien. Er antwortete, vierzehn Tage vor der Vornahme des Kultus müsse eine Flasche Meerwasser in jeden der beiden Flüsse gegossen werden. Diese Zeremonie konnte Semiramis selber in der ersten Stunde vornehmen, wo der Mond bei Tage schien.

»Ich muß also«, sagte die Marquise zu mir, »die Flaschen hier mit Meerwasser füllen; denn alle andern Häfen Frankreichs sind weiter von Lyon entfernt. Ich muß unverzüglich abreisen, sobald ich das Bett verlassen kann. Ich werde Sie in Lyon erwarten; denn da Sie hier dem Saturn den Sühnedienst darbringen müssen, so können Sie nicht mit mir reisen.«

Ich gab die Richtigkeit dieser Anschauung zu, indem ich zugleich mein Bedauern aussprach, sie allein reisen lassen zu müssen. Am nächsten Tage brachte ich ihr zwei sorgfältig versiegelte Flaschen mit Meerwasser; ich befahl ihr, diese am fünfzehnten Mai in die Flüsse auszugießen, und versprach ihr, daß ich vor Ablauf der beiden darauffolgenden Wochen bei ihr sein werde. Ihre Abreise setzten wir auf den übernächsten Tag fest, das war der elfte Mai. Ich zeichnete schriftlich die Mondstunden auf und gab ihr ihren Reiseplan.

Sobald die Marquise abgereist war, verließ ich die Dreizehn Kantone und zog zu Marcolina. Ich gab ihr vierhundertundsechzig Louis in Gold, so daß sie mit dem in Biribi gewonnenen hundertundvierzig Louis jetzt sechshundert besaß. Mit dieser Summe von vierzehntausendvierhundert Franken konnte sie der Zukunft ruhig entgegensehen.

Am Tage der Abreise der Frau von Urfé kam der Bräutigam des Fräuleins Crosin in Marseille an; Rosalie hatte ihm einen Brief für mich mitgegeben, den er mir am selben Tage überbrachte. Sie bat mich, um unserer beider Ehre willen, ich möchte selber den Überbringer dem Vater der Braut vorstellen. Rosalie hatte recht; da aber die Verlobte nicht meine Nichte war, so war die Sache doch nicht so ganz einfach. Ich empfing meinen künftigen Stellvertreter sehr freundlich, sagte ihm aber, ich wolle ihn zunächst der Frau Audibert vorstellen und dann mit ihm zu seinem zukünftigen Schwiegervater gehen.

Der junge Genuese war in den Dreizehn Kantonen abgestiegen, weil er glaubte, daß ich dort wohnte. Er war entzückt, sich der Erfüllung seiner sehnlichsten Wünsche nahe zu sehen, und seine Freude wurde erhöht durch den Empfang, den Frau Audibert ihm bereitete.

Nachdem wir alle drei in meinen Wagen gestiegen waren, begaben wir uns zu dem zukünftigen Schwiegervater, der seinen Eidam mit Freuden aufnahm und ihn dann sofort seiner Frau vorstellte, die er bereits zu seinen Gunsten gestimmt hatte.

Ich war angenehm überrascht, als der wackere Kaufmann, der ein vernünftiger Mann und von Frau Audibert bereits vorbereitet war, mich seiner lieben Frau als seinen lieben Vetter vorstellte, den Herrn Chevalier de Seingalt, der sich ihrer Tochter auf der Reise so freundlich angenommen habe. Die tugendhafte Frau und gute Mutter war ebenso vernünftig wie ihr Gemahl: sie streckte mir ihre Hand entgegen, und damit waren wir über alle Verlegenheiten hinweg.

Mein neuer Vetter schickte sofort einen Boten zu seiner Schwester und ließ ihr mitteilen, er werde am nächsten Tage mit seiner Frau, seinem zukünftigen Schwiegersohn, Frau Audibert und einem Vetter, den sie noch nicht kenne, bei ihr speisen. Als der Bote fortgegangen war, lud er uns ein, und Frau Audibert übernahm es, uns hinauszufahren. Sie sagte ihm, ich habe noch eine zweite Nichte bei mir, die seine Tochter sehr lieb habe; sie werde sich daher sehr freuen, sie wiederzusehen. Der gute Papa war entzückt, seiner Tochter eine Freude machen zu können, indem er die Gesellschaft um einen angenehmen Gast vermehrte. Der glückliche Einfall der Frau Audibert machte mir viel Vergnügen; ich fühlte mich zu größtem Dank verpflichtet, daß sie meiner teuren Marcolina eine solche Freude bereitete, und sprach ihr daher aus vollem Herzen meine ganze Dankbarkeit aus.

Ich ging mit dem jungen Genuesen ins Theater. Hierüber freute sich Marcolina, die die Franzosen nicht liebte, weil sie sich nicht mit ihnen verständigen konnte. Er nahm in unserer Wohnung an einem ausgezeichneten Abendessen teil, in dessen Verlauf ich meiner Venetianerin von dem Vergnügen Mitteilung machte, das ihrer am nächsten Tage wartete. Ich glaubte, sie würde vor Freude den Verstand verlieren.

Am nächsten Tage erschienen wir bei Frau Audibert so pünktlich wie Achill an einem Schlachttage. Da die Dame sehr gut italienisch sprach, fand sie meine Marcolina entzückend und machte mir liebenswürdige Vorwürfe, daß ich sie nicht schon früher mit ihr bekannt gemacht hätte. Um elf Uhr kamen wir in Saint-Louis an, und dort wurde ich Zeuge einer reizenden Szene. Meine frühere Nichte hatte eine würdevolle Miene, die ihr entzückend zu Gesicht stand. Sie empfing ihren künftigen Gatten auf das anmutigste; hierauf dankte sie mir mit dem angenehmsten Lächeln dafür, daß ich die Güte gehabt hätte, ihn ihrem Vater vorzustellen. Von der Würde sprang sie dann plötzlich zur Fröhlichkeit über und gab ihrer Freundin hundert Küsse, die sie mit Zinsen zurückerhielt.

Das Mittagessen war ausgezeichnet und wurde von froher Heiterkeit belebt. Ich allein überließ mich einer süßen Melancholie; doch mußte ich bei mir selber lachen, wenn man mich fragte, warum ich traurig sei. Man hielt mich wohl für traurig, weil ich nicht so gesprächig war wie gewöhnlich. In Wirklichkeit war ich durchaus nicht traurig; ich empfand im Gegenteil diesen Augenblick als einen der schönsten meines Lebens. Mein Geist war sozusagen vollständig von jener Ruhe durchdrungen, die das Gefühl einer guten Handlung verleiht. Ich sah in mir den Verfasser einer Komödie, deren Ausgang so außerordentlich glücklich war. Ich sah mit Freuden, daß ich, wenn eins gegen das andere abgewogen wurde, auf dieser Welt mehr Gutes als Böses anrichtete, und das ein günstiges Geschick mich, obgleich ich nicht als König geboren war, in die Lage versetzte, Menschen glücklich zu machen. Unter den Tischgästen war niemand, der mir nicht dankbar war, und wenigstens vier von ihnen, der Vater, die Mutter und die beiden Brautleute, verdankten mir ihr ganzes Glück. Diese Erwägung verbreitete in mir ein Gefühl friedlichen Glückes, dessen ich nur schweigend genießen konnte.

Fräulein Crosin kehrte mit ihren Eltern und ihrem Bräutigam, den der Vater in sein Haus eingeladen hatte, nach Marseille zurück. Ich fuhr mit Frau Audibert, die mir das Versprechen abnahm, mit meiner entzückenden Marcolina bei ihr zu Abend zu speisen.

Man hatte bestimmt, daß die Hochzeit stattfinden solle, sobald von dem Vater des Bräutigams die Antwort auf einen Brief eintreffe, den der Vater der Braut nach Genua geschrieben hatte. Selbstverständlich waren wir alle zur Hochzeit eingeladen. Marcolina war entzückt über alle diese Feste und verdoppelte die liebevolle Zärtlichkeit, mit der sie mich beglückte.

Beim Abendessen im Hause det Frau Audibert fanden wir einen reichen jungen Weinhändler, einen geistvollen Jüngling von unabhängigem Vermögen. Er saß neben Marcolina, die von witzigen Bemerkungen sprudelte, und der junge Herr, der ganz leidlich italienisch und sogar venetianisch sprach, weil er ein Jahr in Venedig zugebracht hatte, war offenbar sehr empfänglich für die Reize meiner neuen Nichte.

Ich bin, meinem Charakter entsprechend, stets sehr eifersüchtig auf meine Geliebten gewesenn, wenn ich aber voraussehen konnte, daß sie durch einen Nebenbuhler eine vorteilhafte Lebensstellung erhalten würden, machte meine Eifersucht einem edleren Gefühle Platz. An jenem Tage begnügte ich mich damit, mich bei Frau Audibert nach dem jungen Mann zu erkundigen, und ich vernahm mit großer Befriedigung, daß er in ausgezeichnetem Rufe stand, ein Vermögen von hunderttausend Talern nebst einem großen Geschäft besaß und vollkommen unabhängig war.

Am nächsten Tage besuchte er uns in unserer Loge im Theater, und ich war sehr erfreut über den liebenswürdigen Empfang, den Marcolina ihm bereitete. Um ihn noch näher kennen zu lernen, lud ich ihn ein, mit uns zu Abend zu speisen. Er nahm die Einladung an, und ein Benehmen wie sein Geist gefielen mir sehr. Er war gegen Marcolina zärtlich, aber ehrerbietig.

Als er fortging, sagte ich zu ihm, ich hoffe, es sei nicht das letzte Mal gewesen, daß er uns diese Ehre erwiesen habe, und als ich mit Marcolina allein war, wünschte ich ihr Glück zu ihrer Eroberung, indem ich ihr ein Los in Aussicht stellte, das dem des Fräulein Crosin nicht unähnlich sein werde. Anstatt mir jedoch zu danken, wurde das reizende Mädchen wütend. »Wenn du mich los sein willst,« rief sie, »so schicke mich nach Venedig, aber sprich mir nicht davon, mich verheiraten zu wollen!«

»Beruhige dich, mein Engel. Dich los sein wollen! Was ist das für eine Sprache? Hast du irgendwelchen Grund zur Annahme gehabt, daß du mir lästig seiest? Ich sehe da einen schönen, gut erzogenen, reichen jungen Mann; ich sehe, daß er dich liebt und daß er dir nicht mißfällt; und da ich dich sehr lieb habe, da ich dich glücklich und gegen alle Wechselfälle geschützt zu sehen wünsche, da ich endlich in diesem liebenswürdigen Franzosen alles zu finden glaube, was eine ehrbare Frau glücklich machen kann, so stelle ich dir alle diese Vorteile vor Augen. Du aber wirst grob gegen mich, anstatt mir dankbar zu sein! Weine nicht, meine reizende Freundin; du machst mich traurig.«

»Ich weine, weil du dir hast einbilden können, daß ich ihn liebe.«

»Das hätte wohl sein können, meine Liebe, und dies hätte mich, wenn es in allen Ehren geschah, nicht beleidigen können; aber sei ruhig, ich werde mir derlei Sachen nicht mehr vorstellen. Laß uns zu Bett gehen.«

Marcolina weinte nicht mehr, sondern lachte und überschüttete mich mit Küssen. Vom Weinhändler sprachen wir nicht mehr. Am nächsten Tage kam er in unsere Loge, um uns Gesellschaft zu leisten; aber das Bild hatte sich verändert: Marcolina war höflich, aber zurückhaltend, und ich wagte es nicht, ihn, wie am Tage vorher, zum Abendessen einzuladen. Als wir wieder zu Hause waren, dankte sie mir dafür, daß ich ihn nicht eingeladen hätte, uns zu begleiten; sie sagte, sie hätte davor Furcht gehabt.

Diese Andeutung genügte, und für die Zukunft richtete ich mich danach.

Am nächsten Tage machte Frau Audibert uns einen Besuch, um uns im Auftrage des Weinhändlers zum Abendessen einzuladen. Bevor ich eine Antwort gab, sah ich meine Venetianerin an, die meine Gedanken erriet und schnell erklärte, sie werde stets glücklich sein, mit Frau Audibert zusammen zu sein. Die Dame holte uns am Abend ab und fuhr mit uns zu dem Freier, der uns eine prachtvolle Mahlzeit gab, zu der er außer uns niemand eingeladen hatte. Wir sahen ein ausgezeichnet eingerichtetes Haus, dem nur eine Frau als Herrin und Wirtin fehlte. Der Hausherr behandelte beide Damen mit gleicher Aufmerksamkeit, und Marcolina benahm sich zum Entzücken. Ihr lustiges und doch anständiges Benehmen, ihre lebhafte und dabei stets maßvolle Unterhaltung – dies alles erweckte in mir die Überzeugung, daß sie den wackeren Weinhändler vollends entflammt hatte.

Am nächsten Tage erhielt ich ein Briefchen von Frau Audibert, die mich bat, einen Augenblick bei ihr vorzusprechen. Ich ging zu ihr, und sie bat mich im Auftrag des jungen Kaufmanns um Marcolinas Hand.

»Der Antrag, den Sie mir machen,« antwortete ich ihr, »ist mir sehr angenehm, und ich bin gern bereit, dem Mädchen dreißig tausend Franken mitzugeben, wenn diese durch gute Bürgschaft sichergestellt werden; aber ich kann es nicht übernehmen, mit ihr darüber zu sprechen. Ich werde das reizende Mädchen Ihnen zuschicken, gnädige Frau, und wenn Sie sie bestimmen können, einen Antrag anzunehmen, der sie ehrt und nach meiner Meinung sehr vorteilhaft für sie ist, so können Sie auf mich zählen. Ich werde mein Wort halten, aber Sie dürfen nicht in meinem Namen mit ihr sprechen, denn das könnte alles verderben.«

»Ich werde sie abholen, und wenn es Ihnen recht ist, so wird sie bei mir zu Mittag essen, und Sie holen sie dann abends zum Theater ab.«

Am nächsten Tage erschien sie pünktlich zur verabredeten Stunde, und Marcolina, der ich Bescheid gesagt hatte, ging mit ihr zum Essen. Gegen fünf Uhr holte ich sie ab, und da ich sie in der heitersten Laune fand, so wußte ich nicht, was ich davon denken sollte. Die Damen waren allein, und da Frau Audibert mich nicht beiseite rief, so bezwang ich meine Neugier und ging, ohne etwas erfahren zu haben, mit Marcolina fort, als es Zeit zum Theater wurde.

Unterwegs sang Marcolina unaufhörlich das Lob der Dame, aber von dem Antrag, den diese ihr doch ohne Zweifel gemacht haben mußte, sagte sie kein Wort. Etwa in der Mitte der Vorstellung glaubte ich jedoch des Rätsels Lösung gefunden zu haben; denn ich sah den jungen Mann im Parkett, und er erschien nicht in unserer Loge, obgleich in dieser zwei Plätze frei waren.

Wir kehrten in unsere Wohnung zurück, ohne über den Kaufmann oder Frau Audibert auch nur eine Silbe gesprochen zu haben; da ich jedoch der Tatsache sicher war, so fühlte ich mich zur Dankbarkeit gestimmt, und Marcolina war hochbeglückt, mich zärtlicher denn je zu finden. In der höchsten Wonne unserer Liebeskämpfe erzählte Marcolina mir endlich alles, was zwischen ihr und der Dame vorgefallen war. »Sie sagte mir alles mögliche Schöne und Vernünftige, ich aber beschränkte mich darauf, ihr zu antworten, ich würde mich nur verheiraten, wenn du es mir beföhlest. Indessen danke ich dir von ganzem Herzen für die zehntausend Taler, die du mir zu schenken bereit wärest. Du hast die Entscheidung mir zugeschoben, und ich habe dir den Ball zurückgeworfen. Wenn du deine Gründe hast, mich nicht mit nach England zu nehmen, so werde ich nach Venedig gehen, sobald du es willst; verheiraten aber werde ich mich nicht. Allem Anschein nach werde ich den jungen Herrn nicht mehr sehen, der übrigens sehr liebenswürdig ist und den ich, glaube ich, lieben könnte, wenn ich dich nicht kennte.«

Der junge Mann ließ sich nicht mehr sehen, und ich schätzte ihn darum hoch; denn ein Mann, der seinen eigenen Wert kennt, muß sich mit einer Tatsache abzufinden wissen.

Bald darauf fand die Hochzeit meiner Nichte statt. Marcolina nahm mit mir daran teil; sie trug keine Diamanten; sonst aber war sie mit allem Luxus geschmückt, der ihre Schönheit ins rechte Licht setzen und meinem Selbstgefühl schmeicheln konnte.


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