Casanova
Erinnerungen
Casanova

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

Ich trete Agata dem Lord Percy ab. – Abreise nach Mailand. – Die Pilgerin in Pavia. – Gräfin A. B. – Enttäuschung. – Marchese Triulzi. – Zenobia. – Die beiden schönen Marchesinnen Q. – Der Venetianer Barbaro.

Indem Graf d'Aglié die Corticelli bei der Matrone unterbrachte, in deren Haus Redegonda wohnte, hatte er sie keineswegs bestraft, sondern im Gegenteil allem Anschein nach ihr eine Aufmunterungsprämie gegeben. Ich, ärgerte mich jedoch keineswegs darüber; denn ich beneidete sie nicht um ihr Glück, wenn ich nur nichts mehr mit ihr zu tun hatte. Sie war Redegondas vertraute Freundin geworden und tat was sie wollte; denn ihre Duenna war viel nachsichtiger als die Pazienza.

Niemand wußte etwas von dem argen Streich, den Percy mir gespielt hatte, und ich sagte natürlich keinem Menschen etwas davon. Der Lord gab jedoch seinen Plan, Agata in seinen Besitz zu bringen, keineswegs auf; er war zu heftig in sie verliebt. Um nun seinen Zweck zu erreichen, machte er folgendes: wie ich bereits gesagt habe, war Percy sehr reich und gab sein Geld auf wahnsinnige Weise aus; wenn er seine Leidenschaften befriedigen wollte, kannte er kein Sparen. Ich gestehe, daß ich in dieser Beziehung ihm nichts vorzuwerfen hatte; natürlich öffneten in einem Lande, wo das Geld immer selten ist, seine Guineen ihm alle Türen.

Vier oder fünf Tage nach jenem Ballabend kam Agata zu mir und sagte mir, der Theaterdirektor von Alessandria sei bei ihr gewesen und habe ihr vorgeschlagen, sie für die ganze Zeit der Messe als zweite Tänzerin zu engagieren. »Er hat mir sechzig Zechinen geboten, und ich habe ihm eine Antwort für morgen früh versprochen. Rätst du mir, sein Anerbieten anzunehmen?«

»Wenn du mich liebst, liebe Agata, wirst du mir dies beweisen, indem du ein Jahr lang keinen Vertrag irgend welcher Art annimmst. Du bist doch überzeugt, daß ich es dir an nichts werde fehlen lassen. Ich werde den besten Lehrer bezahlen, um dich in deiner Kunst zu vervollkommnen, so daß du mit Recht eine Stellung als erste Tänzerin mit einem Jahresgehalt von fünfhundert Zechinen wirst beanspruchen können.«

»Mama meint, wenn ich den Vorschlag annehme, so wird der Tanz auf der Bühne meine Fähigkeiten weiter ausbilden; dieses hindert ja nicht, daß ich bei einem guten Lehrer weiter studiere, übrigens glaube auch ich, daß das Auftreten vor dem Publikum mich vorwärts bringen würde.«

»Was du da sagst, liebe Freundin, ist ganz richtig, aber du hast keine sechzig Zechinen nötig. Wenn du dieses geringe Gehalt annimmst, entehrst du mich; außerdem schadest du dir selber für deine Zukunft; denn du wirst nicht wagen können, viel zu verlangen, nachdem du so wenig angenommen hast.«

»Aber sechzig Zechinen sind gar nicht so wenig für einen kurzen Karneval.«

»Du kannst sagen, was du willst; aber die sechzig Zechinen kannst du bekommen, ohne zu tanzen. Kurz und gut, wenn du mich lieb hast, sagst du dem Direktor, du wollest ein Jahr lang nicht tanzen.«

»Es soll geschehen wie du willst, lieber Freund, aber mich dünkt, ich täte besser, ihn abzuschrecken, indem ich eine übertriebene Summe von ihm verlangte.«

»Du hast recht. Dein Vorschlag gefällt mir. Sage ihm also, du wollest erste Tänzerin sein, und verlange fünfhundert Zechinen.«

»Dein Wunsch soll morgen erfüllt werden; ich bin überglücklich, dir gehorchen zu können und dadurch dir zu beweisen, daß ich dich von ganzem Herzen liebe.«

Agata hatte viel natürlichen Geist und ein gesundes Urteil, das nur durch Belehrung und Weltkenntnis entwickelt zu werden brauchte. Mit diesen Gaben und mit der Schönheit, die der Himmel ihr verliehen hatte, mußte sie unter allen Umständen das Glück fesseln. Man wird sehen, daß sie glücklich wurde, und gewiß, sie verdiente es!

Der Abrede gemäß kam sie am nächsten Morgen. Sie sagte mit lautem Lachen: »Der Direktor war allem Anschein nach über meine Ansprüche gar nicht erstaunt. Nachdem er zwei Minuten sich besonnen hatte, sagte er zu mir, er müsse sich die Sache überlegen und werde mich wiedersehen. Es wäre spaßhaft, lieber Freund, wenn der gute Mann mich beim Worte nähme.«

»Allerdings! Aber dann müßte man sich erkundigen, ob er nicht etwa verrückt oder ein Lump ist, der die Absicht hat, Bankerott zu machen.«

»Du hast vollkommen recht. Wenn er nun aber im Gegenteil ein solider Mann ist?«

»Dann wirst du annehmen müssen.«

»Das ist bald gesagt und bald getan; wenn ich nun aber den Antrag annehme, werde ich dann auch Talent genug haben, um meine Stellung auszufüllen? Kein Tänzer wird mit mir tanzen wollen.«

»Der Tänzer wird im Gegenteil nicht schwer zu finden sein, dies nehme ich auf mich. Talent hast du mit deiner Figur und mit deiner Anmut mehr als nötig sein wird, um das Publikum zufrieden zu stellen; aber du wirst sehen, aus der Sache wird nichts.«

Eine gewisse Ahnung sagte mir, daß ich mich täuschte, und so war es auch. Der Direktor kam am nächsten Tage zu ihr und bot ihr den Vertrag an. Sie erschrak darüber und ließ mich holen. Ich hatte sofort den wohlbegründeten Verdacht, daß das Engagement der Person Agatas gelte und nicht ihrem Talent. Ich ging zu ihr und fragte den Unternehmer, den ich bei ihr fand, welche Kaution er als Sicherheit für den Vertrag anbiete.

Er antwortete, der mir bekannte Bankier Martin würde den Vertrag unterzeichnen und sein Bürge sein. Ich konnte hiergegen keinen Einwand erheben. Der Vertrag wurde in aller Form doppelt ausgefertigt.

Das Herz ein wenig traurig, verließ ich Agata und ging zum Chevalier Raiberti, um ihm die Geschichte zu erzählen. Er war ebenso erstaunt wie ich, daß Herr Martin für diesen Unternehmer bürgte, den er kannte und der keine sehr guten Geschäfte machte. Aber am nächsten Tage fand sich des Rätsels Lösung; denn obwohl Percy Geheimhaltung verlangt hatte, erfuhren wir, daß der Unternehmer auf seine Veranlassung gehandelt hatte. Ich konnte dem Engländer sein Glück zerstören, indem ich mit Agata weiterlebte, trotz den fünfhundert Zechinen, die er zahlen mußte. Ich war jedoch genötigt, gleich nach Ostern wieder nach Frankreich zu reisen, wo Frau von Urfé mich erwartete; außerdem wollte ich mir den Friedensschluß zunutze machen, um England zu besuchen. Ich beschloß also Agata frei zu geben und ihr von ihrem neuen Liebhaber eine beträchtliche Summe aussetzen zu lassen. Ich gewann mir die Freundschaft des Lords, indem ich ihn in meine Gesellschaft zog. Übrigens war ich auch neugierig, wie er es anfangen würde, um die Huld des jungen Mädchens zu gewinnen, das ihn nicht liebte; denn er war nicht von verführerischem Aussehen.

In weniger als acht Tagen waren wir sehr gute Freunde; wir speisten jeden Abend zusammen entweder bei ihm oder bei mir, und stets waren Agata und ihre Mutter bei uns. Ich erkannte bald, daß Percys Aufmerksamkeiten Agata endlich rühren würden und daß auch sie ihn schließlich lieben würde, wenn sie sich geliebt und glücklich sähe. Dies war für mich genug, um nicht dem Glücke des einen und dem Vorteil der anderen in den Weg zu treten, und ich entschloß mich, viel früher, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, nach Mailand zu reisen. Infolgedessen sagte ich dem Lord, als ich eines Tages mit ihm allein frühstückte: »Wie Sie wissen, Mylord, liebe ich Agata zärtlich und mache sie glücklich; ich bin jedoch Ihr Freund geworden, und da Sie sie anbeten, so will ich Ihnen schnell zu Ihrem Glücke verhelfen, und zwar ohne Tausch und ohne Draufgeld. Ich werde Ihnen nächster Tage meinen Schatz überlassen; aber Sie müssen mir versprechen, Agata unter keinen Umständen zu verlassen, ohne ihr zweitausend Guineen zu schenken.«

Er schloß mich in seine Arme und rief: »Mein lieber Freund, wenn Sie wünschen, werde ich sie ihr sofort geben.«

»Nein, Mylord, ich wünsche sogar, daß sie von unserer Abrede nichts erfährt, so lange sie Sie glücklich macht.«

»Es soll nach Ihrem Wunsch geschehen; ich werde Ihnen eine Verschreibung übergeben, durch die ich mich verpflichte, ihr diese Summe auszuzahlen, wenn ich mich von ihr trenne.«

»Auch das ist überflüssig; Ihr Engländerwort genügt. Da wir jedoch den Ereignissen nicht zu gebieten vermögen und sterben können, bevor wir unsere Angelegenheiten in Ordnung gebracht haben, so treffen Sie bitte die Maßnahmen, die Ihnen geeignet erscheinen, damit für den Fall Ihres Todes ihre Lage gesichert ist.«

»Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

»Das genügt; aber ich habe an diese für mich schmerzliche Abtretung noch eine Bedingung zu knüpfen.«

»Welche?«

»Daß Sie zu Agata vor meiner Abreise nichts davon sagen.«

»Ich schwöre es Ihnen.«

»Gut! Übrigens verspreche ich Ihnen, sie vorzubereiten.«

»Ausgezeichnet!«

Gleich an demselben Tage machte der Engländer, der immer mehr verliebt wurde, Agaten und ihrer Mutter Geschenke, was ich unter anderen Umständen durchaus nicht geduldet haben würde.

Ich zögerte nicht lange, Agata und ihre Mutter auf das bevorstehende Ereignis vorzubereiten; es ging ihnen nahe, aber ich wußte wohl, daß sie sich bald in ihre neue Lage finden würden. Agata gab mir nicht den geringsten Anlaß zur Klage, sondern wurde immer zärtlicher gegen mich, je eifriger sich der Engländer um sie bewarb. Aufmerksam hörte sie alle Ratschläge an, die ich ihr hinsichtlich ihres Verhaltens gegen ihren neuen Liebhaber und gegen die Leute gab, und versprach mir, sie zu befolgen. Diesen Ratschlägen verdankte sie zum Teil ihr Glück, denn Percy machte sie reich. Die Bühne verließ sie jedoch erst in Neapel, wo wir sie einige Jahre später wiederfinden werden.

Ich war nicht der Mann, von meinesgleichen Geschenke anzunehmen; Percy erriet dies ohne Zweifel, fand aber ein Mittel, mir auf eigentümliche Art ein ganz herrliches Geschenk zu machen. Als ich ihm eines Tages sagte, ich gedächte zum ersten Mal England zu besuchen und er würde mir einen großen Gefallen tun, indem er mir einen Brief an seine Mutter, die Herzogin, mitgäbe, zog er ein in wundervolle Brillanten gefaßtes Bild der Dame aus der Tasche und reichte es mir mit den Worten: »Hier, lieber Freund, haben Sie den besten Empfehlungsbrief, den ich Ihnen geben kann; morgen werde ich meiner Mutter schreiben, Sie werden ihr das Portrait persönlich geben, vorausgesetzt, daß sie es Ihnen nicht lassen wolle.«

»Mylady wird sehen, daß ich nach dieser ehrenvollen Gunst strebe.«

Es gibt gewisse Ideen, die nur in englischen Köpfen entstehen können.

Graf A. B. rief mich nach Mailand, und seine Frau bat mich in einem reizenden Brief, ihr zwei Stücke Taft mitzubringen, deren Muster sie mir schickte. Nachdem ich mich von allen Bekannten verabschiedet hatte, nahm ich einen Kreditbrief auf den Bankier Greppi und reiste nach der Hauptstadt der Lombardei.

Bei der Trennung von Agata vergoß ich Tränen, aber nicht so viele wie sie. Ihre Mutter weinte ebenfalls sehr heftig, denn sie liebte mich und war dankbar für alles Gute, das Agata mir verdankte. Sie sagte mir oft, sie hätte niemals eine andere Nebenbuhlerin als ihre eigene Tochter dulden können, während diese mir unter Schluchzen versicherte, sie wäre glücklich gewesen, wenn sie sich niemals von mir hätte zu trennen brauchen.

Passano, den ich nicht liebte, hatte seine Familie in Genua; ich schickte ihn dorthin, indem ich ihn mit Mitteln zu seinem Unterhalt bis zu meiner Ankunft versah. Meinen Kammerdiener entließ ich aus guten Gründen; da ich einen brauchte, so nahm ich einen anderen; aber seitdem ich meinen Spanier verloren hatte, konnte keiner mir jenes Vertrauen einflößen, das die notwendigen Beziehungen zwischen einem Herrn und seinem Diener weniger unangenehm macht.

Ich reiste mit einem gewissen Chevalier von Rossignan, dessen Bekanntschaft ich gemacht hatte, und wir fuhren über Casale, um dort die Komische Oper zu besuchen.

Rossignan war ein sehr schöner Mann, ein guter Offizier, Liebhaber von Weinen und Weibern, und obgleich er keinen Anspruch auf Gelehrsamkeit machte, wußte er doch die ganze göttliche Komödie von Dante auswendig; weiter wußte er aber auch nichts, denn er hatte niemals ein anderes Buch gelesen. Die göttliche Komödie war denn auch sein Schlachtroß, das er bei allen Gelegenheiten tummelte, indem er die Verse in dem Sinne auslegte, der auf die augenblickliche Gelegenheit paßte. Diese Manie machte ihn in Gesellschaft unausstehlich lächerlich; unter vier Augen aber wurde er sehr unterhaltend für Leute, die den großen Dichter kannten und dessen zahlreiche erhabene Schönheiten zu bewundern wußten. Indessen nötigte er mich doch, innerlich die Wahrheit des Sprichwortes zuzugestehen, welches besagt: Hüte dich vor dem Menschen, der nur ein einziges Buch gelesen hat! Übrigens war der Chevalier Rossignan ein kluger Kopf, ein Staatsmann und ein liebenswürdiger Mensch. In Berlin, wo er als Gesandter des Königs von Sardinien war, stand er in gutem Ruf.

Da ich in der Oper von Casale nichts Interessantes fand, reiste ich gleich nach Pavia weiter; obwohl ich dort keinen Menschen kannte, wurde ich sofort der Marchesa Corti in ihrer großen und schönen Loge vorgestellt, in der sie alle Fremden empfing, die nach etwas aussahen. Im Jahre 1786 lernte ich ihren würdigen Sohn kennen, einen ausgezeichneten Mann, der mich mit seiner Freundschaft beehrte; er ist schon in jungen Jahren in Flandern als Generalmajor gestorben. Ich habe bitterlich um ihn geweint; aber Tränen sind nur eine leere Huldigung; sie geben uns die Teuren, um die sie fließen, nicht zurück. Seine Tugenden hatten ihn allen, die ihn kannten, wert gemacht. Wäre er am Leben geblieben, so hätte seine Tüchtigkeit ihn zu den höchsten Stufen der militärischen Ehren emporgehoben.

Ich hielt mich in Pavia nur zwei Tage auf; aber es war vom Schicksal bestimmt, daß ich trotz dieser kurzen Zeit von mir sollte reden machen.

Im zweiten Ballett der Qpernaufführung reichte eine als Pilgerin gekleidete Tänzerin bei ihrem pas de deux ihren Hut zu den Logen empor, wie wenn sie um ein Almosen bitten wolle. Ich saß in der Loge der Marchesa Corti. Als die junge Tänzerin mir ihren Hut hinstreckte, zog ich meine Börse und ließ sie in einer Anwandlung von Prahlsucht und Wohltätigkeit, deren Wirkung ich natürlich vorher nicht berechnet hatte, in den Hut hineinfallen. Die Börse enthielt etwa zwanzig Dukaten. Die Pilgerin nahm sie, dankte mir mit einem Lächeln, und das Parkett klatschte stürmischen Beifall. Ich fragte den Marchese Belcredi, der neben mir saß, ob sie einen Geliebten habe.

»Sie hat«, antwortete er mir, »einen französischen Offizier, der keinen Heller besitzt.« Zugleich zeigte er mir diesen im Parkett.

In meinen Gasthof zurückgekehrt, speiste ich mit Herrn Basili, einem Oberst im Dienste des Herzogs von Modena, zu Abend, als die Tänzerin in Begleitung ihrer Mutter und einer jüngeren Schwester kam, um sich bei mir zu bedanken, daß ich für ihre Familie ein Bote der Vorsehung gewesen sei; »denn«, sagte die Pilgerin, »wir sind sehr arm.«

Da ich mit dem Essen beinahe fertig war, lud ich sie alle drei für den nächsten Abend nach der Vorstellung zum Essen ein. Ich hatte dabei keine weitere Absicht, als ihnen etwas Gutes zu tun. Sie versprachen mir zu kommen.

Es freute mich, daß ich ein Mädchen mit so geringen Kosten hatte glücklich machen können, ohne die geringsten Nebenabsichten auf sie zu haben. Der Wirt, bei dem ich das Essen für mich und die drei Armen bestellt hatte, war gerade eben hinausgegangen, als mein Kammerdiener Clairmont eintrat und mir sagte, ein französischer Offizier verlange mich zu sprechen. Ich ließ ihn eintreten und fragte ihn, was ihm zu Diensten stehe.

»Herr Venetianer, ich will Ihnen drei Vorschläge machen, unter denen Sie nach Ihrem Belieben die Wahl treffen können: bestellen Sie das für heute Abend angesetzte Souper ab, oder laden Sie mich dazu ein, oder gehen Sie mit mir hinaus, um unsere Degen zu messen.«

Clairmont, der gerade beim Feueranmachen war, ließ mir keine Zeit, dem verrückten Menschen zu antworten: er ergriff ein brennendes Scheit und stürzte sich auf den Offizier, der es nicht für ratsam hielt, ihn zu erwarten. Zum Glück für ihn war meine Zimmertür offen geblieben. Der Lärm, den er machte, als er die Treppe hinunterpolterte, rief den Kellner herbei; dieser glaubte, er hätte etwas gestohlen, und hielt ihn fest; Clairmont, der ihn mit seinem Feuerbrand verfolgte, ließ ihn in Freiheit setzen.

Diese Geschichte wurde sofort Stadtgespräch. Mein Diener war stolz auf seine Heldentat und kam, meiner Billigung sicher, zu mir. Er sagte mir, ich könne ohne Furcht ausgehen; der Offizier könne nur ein feiger Prahlhans sein, denn sonst würde er seinen Degen gezogen haben, als der Kellner ihn so derb am Kragen packte; dieser hätte nur das landesübliche Messer im Gürtel getragen. Für alle Fälle werde er mich aber begleiten, wenn ich ausgehe. Ich sagte ihm, er habe in diesem Falle recht gehandelt; in Zukunft solle er sich jedoch nicht wieder in meine Angelegenheiten einmischen.

»Gnädiger Herr, Ihre Angelegenheiten dieser Art sind auch die meinigen; in allen übrigen werde ich niemals über die Grenzen meiner Pflicht hinausgehen.«

Ich fand diese Worte sehr vernünftig, obgleich ich es ihm nicht sagte. Er nahm meine Pistolen, und als er die Pfanne der einen ohne Zündkraut fand, schüttete er neues auf, wobei er mich mit einem lächelnden Blick ansah.

Die französischen Bedienten – ich meine: die guten, und ich muß anerkennen, daß sie im allgemeinen besser sind als andere – alle guten französischen Bedienten, sage ich, gleichen Clairmont; sie sind intelligent und treu, aber sie halten sich alle für klüger als ihre Herren, was sie oft genug auch sind; wenn sie ihrer Sache sicher sind, werden sie die Herren ihrer Herren, tyrannisieren diese und behandeln sie oftmals sogar auf eine verächtliche Art, was Dummköpfe übersehen zu müssen glauben. Wenn der Herr sich Respekt zu verschaffen weiß, sind die Clairmonts ausgezeichnet.

Der Wirt des Gasthofes von San Marco, wo ich wohnte, machte einen ausführlichen Bericht an die Polizei, und der französische Offizier wurde noch an demselben Tage ausgewiesen. Beim Mittagessen ließ der Oberst Basili sich die Geschichte von mir erzählen; er sagte, nur ein französischer Offizier sei imstande, einen fremden Menschen aus so nichtigem Anlaß in seiner Wohnung anzugreifen. Ich war nicht derselben Meinung und antwortete: »Die Franzosen sind tapfer; aber sie sind im allgemeinen höflich und haben ein ausgezeichnetes Taktgefühl. Armut und Liebe, mit falscher Tapferkeit vereint, führen in der ganzen Welt zu Ausschreitungen.«

Beim Abendessen dankte die Pilgerin mir dafür, daß ich sie von dem lästigen armen Teufel befreit hätte, der sie langweilte und erschreckte, indem er ihr fortwährend drohte, sich das Leben zu nehmen. Sie war eigentlich nicht schön, konnte aber wohl fesseln; denn sie war anmutig, freundlich und klug, hatte einen reizenden Mund und sehr lebhafte große Augen. Ich glaube, ich hätte sie billig bekommen können, denn die Dankbarkeit hatte bereits der Liebe den Weg gebahnt; da ich jedoch meinen Aufenthalt in Pavia nicht verlängern wollte, vielleicht auch mir ein bißchen darauf zugute tat, ohne Hintergedanken freigebig gewesen zu sein, so ließ ich sie nach dem Abendessen gehen, indem ich ihr vielmals für ihre Gefälligkeit dankte. Sie schien über meine Höflichkeit ein wenig verlegen zu sein, entfernte sich jedoch unter wiederholten Versicherungen ihrer Dankbarkeit.

Am nächsten Tage speiste ich in der berühmten Certosa bei Pavia; gegen Abend kam ich in Mailand an, wo ich beim Grafen A. B. abstieg, der mich erst für den folgenden Tag erwartet hatte.

Die Gräfin, deren Bild ich in meiner Phantasie mit den allervollkommensten Reizen geschmückt hatte, täuschte meine Erwartung auf das bitterste. So geht es fast immer, wenn die Leidenschaft der Phantasie die Zügel schießen läßt. Die Gräfin war hübsch, wenn auch zu klein, und ich hätte sie trotz meiner Enttäuschung wohl lieben können; aber sie hatte beim ersten Anblick etwas Ernstes, das zu meiner Stimmung nicht paßte und mich gegen sie einnahm.

Nach den üblichen Komplimenten sagte ich ihr, man werde ihr die beiden Stücke Taft zustellen, mit deren Besorgung sie mich freundschaftlichst beauftragt habe. Sie dankte mir und sagte, ihr Priester werde mir sofort den Preis erstatten, den ich dafür bezahlt habe. Hierauf führte der Graf mich auf mein Zimmer, wo er mich bis zum Abendessen allein ließ. Das Zimmer war schön und gut eingerichtet; aber ich fühlte mich nicht behaglich darin und war entschlossen, gleich am nächsten Tage auszuziehen, wenn die Spanierin nicht einen anderen Ton anschlüge. Ich konnte ihr nur vierundzwanzig Stunden bewilligen.

Beim Abendessen waren wir zu vieren. Der Graf war heiter; er war bemüht, mich zur Geltung zu bringen und mir die verdrießliche Laune seiner Frau zu verbergen; er sprach darum unaufhörlich mit mir. Ich ging auf alles ein, richtete aber stets das Wort an seine Frau, um diese einem Schweigen zu entreißen, das ihr in meinen Augen nur schaden konnte. Verlorene Mühe! Die kleine Frau hatte für meine Bemerkungen nur ab und zu ein Lächeln, das kaum ihre Lippen kräuselte, oder eine einsilbige Antwort, von einer Kürze, die mich zur Verzweiflung brachte. Sie erhob ihre Augen nicht von ihrem Essen, das sie schlecht zubereitet fand. Ihre Klagen darüber richtete sie an den Priester, der der vierte bei Tisch war; doch brachte sie ihre Beschwerden in liebenswürdigem Ton vor.

Obgleich ich den Grafen sehr gern hatte, war ich doch genötigt, seine Frau allzu mürrisch zu finden, und dies tat mir leid. Ich betrachtete sie aufmerksam, in der Hoffnung wenigstens in ihrer Schönheit einen Grund zu finden, um ihr ihre unangenehme Laune zu verzeihen. Ich sah jedoch, daß sie ihr Gesicht dem Abbate zuwandte, um ihm irgend etwas Belangloses zu sagen, sobald sie merkte, daß ich ihr Profil studierte; sie entzog sich also meinen Blicken mit einer zur Schau getragenen Absichtlichkeit. Dies ärgerte mich nicht wenig, aber ich lachte innerlich über ihre Geringschätzung sowohl wie über ihre etwaigen Absichten, denn da sie mir keine herzliche Teilnahme eingeflößt hatte, so fühlte ich mich sicher vor der Qual, die eine tyrannische Behandlung mir sonst vielleicht hätte verursachen können. Nach dem Essen wurden die beiden Stücke Taft gebracht, woraus sie sich einen Reifrock-Domino nach der damaligen übertriebenen Mode machen lassen wollte.

Der Graf sah mit Schmerz, daß seine Frau seinen Lobsprüchen so wenig Ehre machte; er begleitete mich auf mein Zimmer, bat mich, ihr ihre spanische Laune zu verzeihen, und versicherte mir, ich würde sie freundlich finden, sobald wir besser bekannt geworden wären.

Der Graf war arm, sein Haus war klein, dessen Einrichtung schäbig, die Livree seines Lakaien war fadenscheinig, seine Tischwäsche abgenutzt, das Geschirr war von Fayence, und eine von den Mägden der Gräfin versah die Stelle des Küchenmeisters. Er hatte keine Equipage, nicht einmal ein Reitpferd. Ich erfuhr dies alles von Clairmont, der mir sagte, er sei in einem Kämmerchen neben der Küche untergebracht und teile diesen Raum mit dem Bedienten, der bei Tisch aufwarte.

Ich selber war, da ich nur ein einziges Zimmer hatte, mit meinen drei großen Koffern sehr schlecht untergebracht; ich beschloß daher, mir anderswo eine Unterkunft zu suchen, die meinen Lebensgewohnheiten besser entsprach.

Am nächsten Tage kam der Graf, um mir guten Morgen zu sagen und mich zu fragen, was ich gewöhnlich zum Frühstück nähme.

»Mein lieber Graf, ich habe ausgezeichnete Turiner Schokolade für die ganze Familie. Trinkt die Frau Gräfin sie gerne?«

»Sehr gerne; aber sie trinkt sie nur, wenn sie von ihrer Kammerfrau zubereitet ist.«

»Hier sind sechs Pfund; machen Sie mir das Vergnügen, sie zu deren Annahme zu bewegen; aber sagen Sie ihr bitte, ich würde die Schokolade wieder nehmen, wenn sie etwa den Versuch machen sollte, sie mir zu bezahlen.«

»Sie wird sie annehmen, und ich bin überzeugt, sie wird Ihnen dafür danken. Ist es Ihnen recht, wenn ich dafür sorge, daß Ihr Wagen in einer Remise untergebracht wird?«

»Sie tun mir einen Gefallen damit, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen schönen Mietswagen besorgen wollten und außerdem einen Lohndiener, für den Sie bürgen könnten.«

»Sie werden das Gewünschte erhalten.«

Kaum war der Graf hinaus, so kam der Abbate, der mit uns zu Abend gegessen hatte, und machte mir seine Aufwartung. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, ein Hausgeistlicher, wie man deren in Italien findet, der zum Lohn für die Beaufsichtigung des Haushaltes bei seiner Herrschaft wohnte und aß. Morgens las er in einer benachbarten Kirche die Messe; den Rest des Tages beschäftigte er sich mit dem Haushalt oder machte den ganz ergebenen Diener der gnädigen Frau.

Sobald der Abbate allein mit mir war, bat er mich ohne Umstände, ich möchte der Frau Gräfin sagen, er hätte die dreihundert Mailänder Lire, die die beiden Stücke Taft kosteten, an mich bezahlt, falls sie mich fragen sollte, ob ich das Geld erhalten hätte.

»Alle Wetter, Herr Abbate,« antwortete ich ihm lachend, »Sie begehen da eine Handlung, die in starkem Widerspruch zu ihrem Amte steht. Wie? Sie raten mir zu lügen? Nein, mein werter Herr, wenn die gnädige Frau diese ungezogene Frage an mich stellen sollte, werde ich ihr die Wahrheit antworten, und es soll mir Spaß machen, dies zu tun.«

»Sie wird danach fragen, das weiß ich bestimmt, und Sie werden schuld sein, daß sie mich auszankt.«

»Dies, Herr Abbate, wird kein großes Unglück sein, wenn sie recht hat.«

»Leider wird sie aber unrecht haben.«

»Nun, so sagen Sie ihr, ich schenke ihr den Stoff; sollte sie ihn aber nicht annehmen wollen, so sei es mit der Bezahlung nicht eilig.«

»Ich sehe, mein Herr, Sie kennen die Dame nicht und haben von den Verhältnissen des Hauses keine Ahnung. Ich werde mit ihrem Mann sprechen.«

Eine Viertelstunde darauf kam der Graf mit traurigem Gesicht und sagte mir, er sei mir viel Geld schuldig, er hoffe mir dieses im Laufe der Fastenzeit zurückgeben zu können und bitte mich, den Preis der beiden Stück Taft noch hinzuzurechnen. Ich umarmte ihn und antwortete, er solle sie nur selber auf die Rechnung setzen, denn es sei nicht meine Gewohnheit, Geldbeträge anzuschreiben, die ich mit dem größten Vergnügen ausgebe, um meinen Freunden gefällig zu sein. »Und wenn die gnädige Frau mich fragt, ob ich dieses Geld erhalten habe, so werde ich sagen, Sie hätten mich zufriedengestellt. Darauf können Sie sich verlassen.«

Er entfernte sich mit Tränen der Freude und Dankbarkeit; ich dagegen glaubte ihm Dank schuldig zu sein für das Vergnügen, das es mir machte, ihm einen Dienst erweisen zu können; denn er verdiente es, und ich hatte ihn gern.

Da ich wußte, daß die Gräfin vor dem Mittagessen nicht sichtbar sein würde, so setzte ich mich an ein Tischchen, um zu schreiben. Unterdessen breitete Clairmont eine Anzahl meiner Sachen auf den Stühlen aus: es waren mehrere Anzüge von mir, Damenmäntel und ein prachtvolles Kleid von weinrotem Grosgrain von Tours, das reich mit Zobelpelz besetzt war; es war ursprünglich für die unglückselige Corticelli bestimmt gewesen. Ich würde es meiner Agata geschenkt haben, wenn ich noch länger mit ihr zusammengelebt hätte; dies wäre aber unrichtig gewesen, denn ein so prachtvolles Kleid paßte nur für eine vornehme Dame.

Um ein Uhr erhielt ich abermals einen Besuch des Grafen, der mir meldete, daß seine Frau mir den besten Freund des Hauses vorstellen wolle. Dies war der Marchese Triulzi, ein großer stattlicher Herr, ungefähr von meinem Alter; er schielte ein wenig, hatte aber gewandte Manieren und trat durchaus wie ein vornehmer Herr auf. Er sagte mir, er komme nicht nur, um die Ehre zu haben, meine Bekanntschaft zu machen, sondern auch, um sich ein bißchen zu wärmen, denn im ganzen Hause sei nur ein einziger Kamin, und zwar in meinem Zimmer.

Da alle Stühle mit Sachen belegt waren, zog der Marchese die Gräfin an sich und setzte sie wie eine Puppe auf seinen Schoß; sie aber wehrte sich errötend, und es gelang ihr schließlich, sich loszumachen. Als der Marchese laut über die Verlegenheit der Gräfin lachte, sagte sie zu ihm: »Ist es möglich, daß ein Mann in Ihrem Alter noch nicht gelernt hat, eine Frau wie mich zu respektieren?«

»Aber ich respektiere Sie ja sehr, Gräfin, wenn ich Sie nicht stehen lasse, während ich sitze.«

Während Clairmont die Stühle freimachte, betrachtete der Marchese die Mäntel und das schöne Kleid; hierauf fragte er mich, ob ich irgend eine Frau erwarte.

»Nein, aber ich hoffe in Mailand die Frau zu finden, die dieser Geschenke würdig sein wird. – Ich kannte in Venedig den Fürsten Triulzi. Ich denke mir, er gehört zu Ihrer Familie?«

»Er sagt es, und es ist wohl möglich; aber ich glaube nicht zu der seinigen zu gehören.«

Dieser Witz deutete nur an, daß ich den Fürsten nicht mehr erwähnen dürfte.

»Sie sollten zum Essen bleiben, Marchese!« sagte Graf A. B. zu ihm; »und da Sie nur Speisen essen wollen, die von Ihrem Koch zubereitet sind, so lassen Sie doch Ihr Essen holen.«

Der Marchese erklärte sich einverstanden, und wir erhielten ein gutes Essen. Der Tisch war mit schöner Wäsche gedeckt und mit schönem Silbergeschirr besetzt; es wurden zahlreiche Flaschen von guten Marken aufgetragen, und die Bedienten waren flink und gut gekleidet. Dies genügte für mich, um zu merken, welche Stellung der Marchese im Hause einnahm. Er leitete geistvoll und heiter die ganze Unterhaltung und verschonte auch die Gräfin nicht mit seinen Scherzen; sie warf ihm fortwährend die Vertraulichkeit vor, womit er sie behandelte. Der Marchese hatte jedoch keineswegs die Absicht, sie zu demütigen, denn er liebte sie; er wollte sie nur wegen ihres übel angebrachten Hochmutes zurechtweisen. Als er sah, daß ein Ausbruch ihres Zornes nahe bevorstand, beruhigte er sie mit den Worten, es gäbe in ganz Mailand niemanden, der ihr treuer ergeben wäre als er und größere Ehrfurcht vor ihrer Schönheit und vor ihrer vornehmen Geburt hätte.

Nach Tisch meldete man einen Schneider, der der Gräfin das Maß zu dem Domino nehmen sollte, den sie zwei Tage später auf dem Ball tragen wollte. Als der Marchese die Farben und die Schönheit der Stoffe lobte, sagte die Gräfin ihm, ich hätte ihr die beiden Stücke von Turin mitgebracht; bei diesem Anlaß fragte sie mich, ob man mir das Geld gegeben habe.

»Ihr Gatte hat die Angelegenheit erledigt, gnädige Frau; aber Sie haben mir eine Lektion gegeben, die ich nicht vergessen werde.«

»Was für eine Lektion«, fragte der Marchese mich.

»Ich hatte gehofft, Frau Gräfin würde mich für würdig halten, ihr dieses bescheidene Geschenk zu machen.«

»Und sie hat es zurückgewiesen? Hahaha! Das ist lächerlich!«

»Darüber sollten Sie nicht lachen,« rief die Gräfin, »aber Sie lachen ja über alles.«

Während der Schneider ihr Maß nahm, stand sie im Mieder mit entblößtem Busen da. Sie beklagte sich über die Kälte. Um sie zu erwärmen, legte der Marchese mit ganz natürlicher Miene und wie wenn er an derartige Vertraulichkeiten gewöhnt wäre, seine Hände auf ihre Brust. Die Spanierin, die sich ohne Zweifel in meiner Gegenwart schämte, wurde wütend und schalt ihn auf eine schreckliche Weise aus. Der Marchese ließ diese Flut von Schimpfworten lachend über sich ergehen; offenbar war er der Mann, die Gewitter nach seinem Belieben zu beschwichtigen. Ich wußte nun zur Genüge, in welchem Verhältnis sie zueinander standen.

Wir blieben bis zum Abend beisammen. Der Marchese führte die Gräfin in die Oper, und ich ging mit dem Grafen auf mein Zimmer, um dort zu warten, bis mein Wagen bereit wäre, um uns ebenfalls dorthin zu bringen. Die Oper hatte bereits begonnen, als wir ankamen. Das erste, worauf mein Blick fiel, als ich auf die Bühne sah, war meine teure Teresa Palesi, die ich in Florenz gelassen hatte. Dieses Wiedersehen war mir angenehm, denn ich sah voraus, daß wir während unseres Aufenthaltes neue süße Zusammenkünfte haben würden.

Aus Zartgefühl sprach ich mit dem Grafen weder über die Schönheit seiner Frau, noch über seine häuslichen Angelegenheiten. Ich sah, daß der Platz schon besetzt war, und das launische Wesen der Gräfin bewahrte mich davor, mich in sie zu verlieben. Nach dem zweiten Akt gingen wir auf den Ridotto, wo ich fünf oder sechs Pharaotische sah; ich spielte, hörte aber auf, nachdem ich, gewissermaßen zum Willkommen, etwa hundert Dukaten verloren hatte. Beim Abendessen schien die Gräfin weniger mürrisch zu sein. Sie bedauerte mich wegen meines Verlustes, und ich antwortete ihr, ich wünsche mir zu diesem Verluste Glück, da ich ihm ein Kompliment von ihr verdanke.

Als ich am nächsten Morgen nach dem Erwachen klingelte, meldete Clairmont mir, daß eine Frau mich zu sprechen wünsche.

«Ist sie jung?«

»Jung und schön, gnädiger Herr.«

»Vortrefflich, laß sie hereinkommen.«

Ich sah ein einfach gekleidetes Mädchen, das mich an Lia erinnerte. Sie war so schön wie diese, groß und wohlgebaut, aber ihr Wesen war nicht so anspruchsvoll wie das der Jüdin, denn sie kam nur in der Absicht, sich mir zur Besorgung meiner Wäsche und zur Ausbesserung und Reinigung meiner Spitzen anzubieten. Ich verliebte mich sofort in sie. Da ich meine Schokolade trank, die Clairmont mir gerade gebracht hatte, so lud ich das schöne Mädchen ein, sich auf mein Bett zu setzen; sie antwortete mir jedoch bescheiden, sie wolle mir nicht lästig fallen und werde wiederkommen, wenn ich aufgestanden sei.

»Wohnen Sie weit von hier, Fräulein?«

»Ich wohne hier im Hause, im Erdgeschoß.«

»Sind Sie allein?«

»Nein, gnädiger Herr; ich lebe bei meinen Eltern.«

»Wie heißen Sie?«

»Zenobia.«

»Ihr Name ist ebenso hübsch wie Sie. Wollen Sie mir Ihre Hand zum Küssen geben?«

»Nein, mein Herr!« rief sie lachend; »denn meine Hand ist bereits vergeben.«

»Sie sind verlobt?«

»Ja, mit einem Schneider, der mich vor Ablauf des Karnevals heiraten wird.«

»Ist Ihr Bräutigam reich und schön?«

»Weder schön noch reich.«

»Warum heiraten Sie ihn denn?«

»Um Herrin im eigenen Hause zu sein.«

»Das begreife ich. Ich biete Ihnen meine Freundschaft an. Holen Sie mir schnell Ihren Schneider; ich will ihm Arbeit geben.«

Sobald sie hinaus war, stand ich auf und befahl Clairmont, meine Wäsche auf einen Stuhl zu legen. Kaum war ich angezogen, so trat bereits Zenobia mit ihrem Schneider ein. Ich war erstaunt über den Kontrast, denn er war ein kleines verkümmertes Männchen, dessen Anblick unwillkürlich zum Lachen reizte.

»Nun, Herr Schneider, Sie wollen dieses reizende Mädchen heiraten?«

»Jawohl, gnädiger Herr. Das Aufgebot ist bereits erlassen.«

»Sie müssen mit einer Glückshaube geboren sein. Wann heiraten Sie sie?«

»In zehn oder zwölf Tagen.«

»Warum nicht morgen?«

»Sie haben es sehr eilig, Illustrissimo.«

»Jedenfalls würde ich es in Ihrer Stelle sehr eilig haben«, rief ich lachend. »Sie werden mir zu morgen für den Ball einen Domino machen.«

»Gerne, gnädiger Herr; aber Euer Exzellenz müssen mir den Taft geben, denn in ganz Mailand ist kein Kaufmann, der mir Kredit geben würde, und ich bin nicht reich genug, um so viel Geld auslegen zu können.«

»Wenn Sie verheiratet sind, werden Sie Geld und Kredit haben; einstweilen nehmen Sie diese zehn Zechinen.«

Er entfernte sich freudestrahlend über dieses unverhoffte Glück.

Nachdem ich Zenobia Spitzen zum Ausbessern gegeben hatte, fragte ich sie, ob sie hoffe, daß ihr Gatte nicht eifersüchtig sein werde.

»Er ist weder eifersüchtig noch verliebt; er heiratet mich nur, weil ich mehr verdiene als er.«

»So, wie die Natur Sie geschaffen hat, hätten Sie Anspruch auf ein besseres Glück machen können.«

»Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt und habe lange genug gewartet. Ich bin meines Mädchenstandes müde. Übrigens ist mein Schneider allerdings ja nicht schön, aber er ist klug, und das ist vielleicht mehr wert als schöne Glieder.«

»Sie zeigen selber sehr viel Geist. Aber warum schiebt er die Heirat mit Ihnen hinaus?«

»Weil er kein Geld hat; er will aber seiner Verwandten wegen eine schöne Heirat machen. Die Wahrheit zu sagen, gefällt mir das.«

»Auch darin gebe ich Ihnen wieder recht; aber ich begreife nicht, welches Vorurteil Sie veranlassen kann, einem ehrenwerten Mann auf seine Bitte einen Handkuß zu verweigern.«

»Dies war nur so eine Wendung von mir, um Ihnen bei der Gelegenheit sagen zu können, daß ich mich verheirate. Im übrigen bin ich von dummen Vorurteilen frei.«

»Das ist recht. Ich achte Sie jetzt um so höher. Sagen Sie Ihrem Bräutigam, wenn er mich zum Brautvater nehme, wolle ich alle Kosten bezahlen.«

»Im Ernst?«

»Ja, im Ernst. Ich werde ihm fünfundzwanzig Zechinen geben, aber unter der Bedingung, daß das ganze Geld für die Hochzeit ausgegeben wird.«

»Fünfundzwanzig Zechinen! Da werden die Leute reden; aber daraus machen wir uns nichts. Ich werde Ihnen morgen die Antwort geben.«

»Und jetzt gleich einen herzlichen Kuß!«

»Sehr gern!«

Zenobia entfernte sich freudestrahlend; hierauf ging ich aus, um mich mit meinem Bankier bekannt zu machen und um meine liebe Teresa aufzusuchen. Als ich bei dieser reizenden Frau eintrat, die ich stets zärtlich geliebt habe, nahm ihre hübsche Kammerzofe, die mich erkannt hatte, mich bei der Hand und führte mich an das Bett ihrer Herrin, die gerade aufstehen wollte. Sie empfing mich mit jener Zärtlichkeit und Rührung, die uns des Wortes beraubt und uns nur so viel Kraft läßt, um uns umarmen zu können.

Nachdem unsere gegenseitigen Entzückungen sich besänftigt hatten, sagte Teresa mir, seit sechs Monaten lebe sie nicht mehr mit ihrem Gatten, der ihr unerträglich geworden sei; um ihn los zu werden, zahle sie ihm ein Jahrgeld, und er lebe jetzt in Rom.

»Wo ist Cesarino?« fragte ich sie.

»Er ist hier in Pension, mein lieber Freund, und du wirst ihn sehen, sobald du willst.«

«Bist du glücklich?«

»Sehr glücklich. Man sagt, ich habe einen Liebhaber; aber das ist unwahr, und du kannst mich in voller Freiheit besuchen, so oft du Lust hast.«

Wir verbrachten zwei köstliche Stunden damit, uns unsere Abenteuer seit unserem letzten Beisammensein zu erzählen. Ich fand sie frisch und schön, wie in den ersten Zeiten unserer Liebe, und fragte sie, ob sie ein Gelübde getan habe, ihrem Gatten treu zu sein.

»In Florenz«, antwortete sie mir, »war ich noch verliebt in ihn; hier aber können wir, wenn ich dir noch gefalle, unsere Beziehungen erneuern und bis in den Tod zusammen bleiben.«

»Ich kann, meine teure Teresa, dir auf der Stelle beweisen, daß du in meinem Herzen nichts verloren hast.«

Statt aller Antwort überließ sie sich meinen Liebkosungen.

Nachdem ich mich ausgeruht hatte, verließ ich sie verliebt, wie vor achtzehn Jahren; aber meine Glut fand zu viele Ablenkungen, um lange dauern zu können.

Die Gräfin A. B. begann zartere Töne aufzuziehen.

»Ich weiß,« sagte sie mit einer Miene der Befriedigung, »wo Sie zwei Stunden zugebracht haben; aber wenn Sie diese Dame lieben, so dürfen Sie sie nicht mehr besuchen, denn ihr Liebhaber würde sie verlassen.«

»Wenn er sie verließe, gnädige Frau, so würde ich seine Stelle einnehmen.«

»Sie haben ganz recht, daß Sie sich vergnügen, indem Sie Frauen suchen, die Ihre Geschenke zu verdienen wissen. Ich weiß, daß Sie solche Geschenke erst machen, nachdem Sie deutliche Beweise ihrer Zärtlichkeit empfangen haben.«

»Das ist mein Grundsatz, Frau Gräfin.«

»Es ist das beste Mittel, niemals betrogen zu werden. Der Liebhaber der Dame, der Sie einen Besuch gemacht haben, hatte früher eine Dame unserer Gesellschaft. Sie ist durch ihn sehr wohlhabend geworden, aber wir verachten sie.«

»Warum, wenn ich bitten darf.«

»Finden Sie nicht, daß sie sich weggeworfen hat? Greppi ist ein Mann von niedrigster Geburt.«

Ohne mich über den Namen Greppi zu wundern, antwortete ich ihr, ein Mann brauche nicht von Adel zu sein, um ein ausgezeichneter Liebhaber zu sein; dazu sei nur ein schönes Äußeres und Gold nötig. Frauen, die aus solchen Gründen eine ihresgleichen verachteten, wären entweder durch ihren Stolz lächerlich, oder würden von Neid verzehrt; ich sei überzeugt, sie alle würden sich glücklich schätzen, sich wegwerfen zu können, wenn sie einen Greppi fänden.

Ohne Zweifel wollte sie mir ärgerlich antworten, denn meine Bemerkung hatte sie allerdings verletzt; aber sie wurde daran durch die Ankunft des Marchese Triulzi verhindert. Sie fuhr mit diesem aus, während ich mit ihrem Manne in ein Haus ging, wo wir einen Mann fanden, der etwa hundert Zechinen vor sich liegen hatte und mit dieser kleinen Summe eine Pharaobank hielt.

Ich nahm ein Buch Karten und spielte wie die anderen mit kleinen Einsätzen. Nachdem ich zwanzig Dukaten verloren hatte, hörte ich auf.

Als wir nach der Oper gingen, sagte mein armer Graf zu mir, ich sei die Veranlassung, daß er zehn Dukaten auf Wort verloren habe, und er wisse nicht, wie er es anfangen solle, um diese am nächsten Tage zu bezahlen. Er tat mir leid, und ich gab ihm die Dukaten, ohne ein Wort zu sagen, denn Armut hat mir stets Achtung eingeflößt. In der Oper verlor ich noch zweihundert Dukaten an derselben Bank, wo ich am Tage vorher hundert verloren hatte. Ich lachte über die Betrübnis meines armen Grafen, der nicht wußte, daß ich hunderttausend Franken bei jenem Greppi hatte, der in den Augen seiner hochmütigen Frau zur niedrigsten Klasse des Volkes gehörte. Ebensowenig wußte er, daß ich für mehr als hunderttausend Franken Schmucksachen besaß.

Die Gräfin, die mich hatte verlieren sehen, glaubte mich fragen zu dürfen, ob ich mein schönes Zobelkleid verkaufen wolle. »Man sagt, es sei tausend Zechinen wert.«

»Das ist richtig, gnädige Frau, aber ich würde eher alles andere verkaufen, als Sachen anrühren, die ich Ihrem schönen Geschlecht bestimmt habe.«

»Marchese Triulzi hätte große Lust, es zu kaufen, um jemandem ein Geschenk damit zu machen.«

»Es tut mir aufrichtig leid, Frau Gräfin, Ihnen das Kleid nicht verkaufen zu können.«

Sie sagte nichts mehr, ich sah aber an ihrem Gesicht, daß meine abschlägige Antwort ihr sehr ärgerlich war.

Als ich die Oper verließ, traf ich Teresa, die gerade in ihre Sänfte einsteigen wollte. Ich ließ den Grafen stehen, um ihr zu sagen, ich sei überzeugt, daß sie mit ihrem Freunde zu Abend speisen werde. Sie flüsterte mir ins Ohr, sie würde allein zu Abend essen oder mit mir, wenn ich den Mut hätte zu kommen. Es war für sie eine angenehme Überraschung, als ich die Einladung annahm, und sie sagte mir, sie werde mich erwarten. Ich lud den Grafen ein, sich meines Wagens zu bedienen, nahm einen Tragstuhl und traf bei Teresa in dem Augenblick ein, wo sie ihre Wohnung betrat.

Welch glücklicher Abend! Wir lachten von ganzem Herzen, indem wir unsere Gedanken austauschten.

»Ich weiß,« sagte sie zu mir, »daß du in die Gräfin A. B. verliebt bist, und ich war sicher, daß du es nicht wagen würdest, bei mir zu Abend zu essen.«

»Und ich, meine Liebe, weiß, daß Greppi dein Liebhaber ist, und habe dich in Verlegenheit zu bringen geglaubt, indem ich deine Einladung annahm.«

»Greppi ist mein Freund, und wenn er für mich etwas anderes empfindet als eine freundschaftliche Liebe, so bedaure ich ihn, denn bis jetzt hat er noch nicht das Geheimnis gefunden, mich zu verführen.«

»Glaubst du, daß ihm dies je gelingen könnte?«

»Schwerlich; denn ich bin reich.«

»Aber Greppi ist noch reicher als du.«

»Allerdings, aber ich bezweifle, daß er mich mehr liebt als sein Geld.«

»Ich verstehe dich, wundervolles Weib! Du wirst ihn glücklich machen, wenn er hinlänglich verliebt ist, um sich zugrunde zu richten.«

»Du hast es erraten; aber dieser Fall wird nicht eintreten. – So sind wir also, mein lieber Freund, nach einer Trennung von fast zwanzig Jahren wieder beisammen! Du wirst mich unverändert finden, davon bin ich überzeugt.«

»Es ist ein Vorrecht, das die Natur nur deinem Geschlecht bewilligt hat. Mich wirst du verändert finden; nur mein Herz hat sich nicht verändert. Es wird die Veränderung beklagen; aber du wirst Wunder wirken.«

Dies war nur eine galante Schmeichelei; denn Wunder wirkte sie nicht. Nach einem leckeren Mahle verbrachten wir zwei Stunden im süßesten Sinnestaumel; dann aber bemächtigte Morpheus sich unserer Sinne. Als wir erwachten, erneuten wir mit Erfolg unsere Liebeskämpfe; ich verließ sie erst nach einem Morgengruß, der ebenso kräftig war wie der Gutenachtgruß, der uns fünf oder sechs Stunden Schlaf verschafft hatte.

In meiner Wohnung fand ich die schöne Zenobia. Sie sagte mir, ihr Schneider sei bereit, sie am nächsten Sonntag zu heiraten, wenn mein Anerbieten kein bloßer Scherz sei.

»Um dich vom Gegenteil zu überzeugen, schöne Freundin, nimm diese fünfundzwanzig Zechinen!«

Voll Dankbarkeit ließ sie sich in meine Arme sinken, und ich verzehrte mit meinen Feuerküssen ihren Mund und ihren herrlichen Busen. Teresa hatte mich erschöpft; ich suchte daher den Scherz nicht weiter zu treiben. Zenobia aber mußte wohl meine Zurückhaltung der offenen Tür zuschreiben. Eine sorgfältige Toilette erfrischte mich wieder, und um meine Kräfte völlig wieder herzustellen, machte ich eine lange Spazierfahrt in einem offenen Wagen.

Bei meiner Rückkehr fand ich bei dem Grafen A. B. den Marchese Triulzi, der nach seiner Gewohnheit die Gräfin ärgerte. Die Tafel war an diesem Tage von ihm bestellt worden; das Mahl war daher reichlich und fröhlich. Das Gespräch kam auf mein Kleid, und die Gräfin machte die unvorsichtige Bemerkung, ich hätte es für die Dame bestimmt, die mich verliebt und glücklich machen würde.

Der Marchese erwiderte hierauf mit ausgesuchter Höflichkeit, ich verdiene die Huld schöner Frauen um billigeren Preis.

»Allem Anschein nach,« sagte die Gräfin zu mir, »werden Sie es der Dame schenken, bei der Sie die Nacht verbracht haben.«

»Unmöglich, Frau Gräfin, denn ich habe die Nacht am Spieltisch verbracht.«

In diesem Augenblick trat Clairmont ein und meldete mir, daß ein Offizier mich zu sprechen wünsche. Ich ging hinaus und sah einen schönen Jüngling, der mich sofort umarmte. Ich erkannte in ihm Barbaro, den Sohn eines venetianischen Nobile und Bruder der schönen und berühmten Frau Gritti Sgombro, von der ich vor zehn Jahren sprach, und deren unglücklicher Gatte in der Zitadelle von Cattaro starb, wohin er als Staatsgefangener gebracht worden war. Mein junger Landsmann war ebenfalls in Ungnade bei diesen despotischen Staatsinquisitoren. Wir waren in Venedig in dem Jahr vor meiner Gefangenschaft Freunde gewesen, aber ich hatte nichts mehr von ihm gehört.

Barbaro erzählte mir die hauptsächlichsten Ereignisse seines ziemlich abenteuerlichen Lebens und sagte mir dann, er stehe augenblicklich im Dienste des Herzogs von Modena, der in Mailand als Gouverneur residierte.

»Ich habe Sie an Cananos Bank unglücklich spielen sehen, und die Erinnerung an unsere alte Freundschaft hat mich veranlaßt, Ihnen ein sicheres Mittel vorzuschlagen, um viel Geld zu verdienen. Zu diesem Zweck müssen Sie mir erlauben, Sie einer zahlreichen Gesellschaft von reichen jungen Leuten vorzustellen, die das Spiel lieben und nur verlieren können.«

»Wo ist diese Gesellschaft?«

»In einem sehr angenehmen Hause. Wenn Ihnen mein Vorschlag recht ist, werde ich selber abziehen, und ich bin sicher zu gewinnen. Ich brauche Sie nur, um die Betriebsmittel für die Bank zu liefern, von deren Gewinn Sie mir nur ein Viertel abgeben sollen.«

»Ich errate: Sie verstehen es, die Karten zu halten.«

»Da irren Sie sich nicht.«

Mit anderen Worten also, Barbaro schlug geschickte Volte oder verbesserte das Glück, wie man es auch zu nennen pflegt. Zum Schluß sagte er mir, ich würde in dem Hause Damen finden, die meiner Aufmerksamkeiten würdig wären.

»Mein lieber Landsmann, ich werde mich bezüglich Ihres Vorschlages erst entscheiden, wenn ich die Gesellschaft gesehen habe, der Sie mich vorstellen wollen.«

»Wollen Sie sich morgen um drei Uhr im Theatercafé einfinden?«

»Gern; aber ich hoffe die Ehre zu haben, Sie heute Nacht auf dem Ball zu sehen.«

Zenobias Bräutigam brachte mir meinen Domino; die Gräfin hatte bereits den ihrigen. Da der Ball erst nach der Oper begann, so besuchte ich diese, um Teresa singen zu hören. Nachdem ich im Zwischenakt abermals zweihundert Zechinen verloren hatte, ging ich nach Hause, um mich umzukleiden und dann auf den Ball zu fahren. Die Gräfin, die bereits fertig war, sagte mir, wenn ich die Gefälligkeit haben wolle, sie in meinem Wagen auf den Ball zu führen und auch wieder nach Hause zu bringen, würde sie den Wagen des Marchese Triulzi nicht holen lassen. Ich antwortete ihr, ich stände ganz zu ihren Diensten.

Ich dachte, die schöne Spanierin hätte mir nur darum den Vorzug gegeben, um mir Gelegenheit zu freiem Vorgehen zu verschaffen; ich sagte ihr daher, sobald wir in dem Wagen nebeneinander saßen: es liege nur an ihr, mein Kleid zu bekommen, und ich verlange dafür weiter nichts als die Ehre, eine Nacht bei ihr zu schlafen.

»Sie beschimpfen mich auf eine unerhörte Weise, mein Herr; ich wundere mich um so mehr darüber, da es nicht aus Unwissenheit geschehen kann.«

»Ich weiß alles, schöne Gräfin, aber wenn Sie klug sind, können Sie über die Beleidigung hinwegsehen, sie mir sogar verzeihen, indem Sie ein dummes Vorurteil beiseite schieben, sich mein Kleid verdienen und mich eine ganze Nacht hindurch glücklich machen.«

»Man kann das alles tun, wenn man liebt; aber Sie müssen zugeben, daß Ihre rohe Sprache mehr dazu angetan ist, Haß als Liebe zu erregen.«

»Ich habe diese Sprache angenommen, weil ich nicht gerne wie ein dummer Affe warte; langes Lauern ist mir zuwider. Geben Sie Ihrerseits zu, liebenswürdige Gräfin, daß es Ihnen Spaß machen würde, mich als schüchternen Liebhaber zu sehen.«

»Das wäre mir einerlei; denn, wie Sie sind, würde ich Sie niemals lieben können.«

»In dieser Hinsicht sind wir also vollkommen einig, denn ich liebe Sie ebensowenig wie Sie mich.«

»Bravo! Und trotzdem wollten Sie tausend Zechinen ausgeben, um eine einzige Nacht mit mir zu verbringen?«

»Nicht des Vergnügens wegen; denn ich möchte nur darum bei Ihnen schlafen, um Sie zu demütigen und um Ihren unerträglichen, übelangebrachten Stolz zu ducken.«

Gott weiß, was die stolze Spanierin mir geantwortet haben würde, wenn nicht in diesem Augenblick der Wagen vor der Tür des Theaters gehalten hätte. Wir trennten uns, und nachdem ich mich eine Weile in der Menge herumgetrieben hatte, ging ich nach dem Spielsaal hinauf, in der Hoffnung, meine Verluste von dem vorhergehenden Tage wieder einzuholen. Ich hatte mehr als fünfhundert Zechinen bei mir. Ich besaß ja reichliche Mittel, aber wenn es in diesem Tempo weiterging, war ich bald dem Abgrund nahe. Ich setzte mich an Cananos Tisch, und da ich bemerkte, daß niemand mich kannte außer meinem armen Grafen, der überall hinter mir herlief, so sah ich es als ein gutes Zeichen für den Abend an. Vier Stunden lang setzte ich immer wieder auf eine Karte, konnte aber weder das Geld verlieren, das ich bei mir hatte, noch tausend Zechinen gewinnen, wie es meine Absicht war. Als ich zuletzt das Glück zwingen wollte, wandte es sich gegen mich, und ich ließ all mein Gold der Bank. Ich ging in den Ballsaal zurück; dort traf ich die Gräfin, und wir fuhren nach Hause.

Sobald wir im Wagen saßen, sagte sie zu mir: »Ich habe Sie ein Vermögen verlieren sehen, und das freut mich. Der Marchese wird Ihnen tausend Zechinen für Ihr Kleid geben, und diese Summe wird Ihnen Glück bringen.«

»Und auch Ihnen; denn Sie werden doch mein Kleid bekommen?«

»Das kann wohl sein.«

»Gnädige Frau, durch dieses Mittel werden Sie es niemals erhalten; das andere kennen Sie. Tausend Zechinen verachte ich.«

»Und ich verachte Ihre Geschenke und Ihre Person.«

»Das steht Ihnen frei, mir aber steht es frei, Ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten.«

Unter diesen lieblichen Reden kamen wir zu Hause an. Als ich mein Zimmer betrat, fand ich dort den Grafen mit langem Gesicht. Offenbar hatte er Lust, mich zu beklagen; aber er wagte es nicht. Meine gute Laune machte ihm Mut, und er sagte zu mir: »Sie können tausend Zechinen von Triulzi haben; dadurch werden Sie Ihren Verlust ausgleichen.«

»Für mein Kleid, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ich möchte es lieber Ihrer Frau schenken; aber sie hat mir gesagt, sie würde es verschmähen, wenn sie es aus meinen Händen empfangen müßte.«

»Das wundert mich, denn sie ist ganz verrückt auf das Kleid. Ich weiß nicht, wodurch Sie ihren hochmütigen Sinn verletzt haben. Lassen Sie sich raten: verkaufen Sie das Kleid und nehmen Sie die tausend Zechinen.«

»Ich werde Ihnen morgen antworten.«

Nachdem ich vier oder fünf Stunden geschlafen hatte, zog ich meinen Überrock an und ging zu Greppi; denn ich hatte kein Geld mehr. Ich nahm tausend Zechinen, indem ich ihn bat, über meine Verhältnisse mit keinem Menschen zu sprechen. Er antwortete mir, meine Geschäfte wären auch die seinigen; ich könne mich auf seine Geheimhaltung verlassen. Er beglückwünschte mich wegen der guten Meinung, die Frau Palesi von mir habe, und sagte mir, er hoffe, wir würden miteinander bei ihr zu Abend essen. Ich antwortete, dies würde mir viel Vergnügen machen. Von Greppi begab ich mich zu Teresa, um ihr einen Besuch zu machen; da aber Leute bei ihr waren, so blieb ich nur wenige Augenblicke. Es war mir angenehm, zu bemerken, daß sie weder von meinen Verlusten, noch von meinen Geschäften überhaupt etwas wußte. Sie sagte mir, es sei Greppis Wunsch, mit mir bei ihr zu Abend zu essen; sie würde mir den Tag noch bekannt geben. Als ich nach Hause kam, fand ich den Grafen neben meinem Kaminfeuer sitzen.

»Meine Frau ist wütend auf Sie,« sagte er zu mir; »aber sie will mir den Grund nicht sagen.«

»Der Grund, mein lieber Graf, ist der, daß ich nicht will, daß sie das Kleid von einem anderen bekommt als von mir. Sie hat mir gesagt, sie würde es verschmähen, wenn ich es ihr schenken wollte; ist dies wohl ein Grund, um wütend zu sein?«

»Sie muß verrückt sein; sonst begreife ich nichts davon. Aber beachten Sie, bitte, was ich Ihnen sage: Sie verachten tausend Zechinen und ich wünsche Ihnen Glück dazu. Wenn Sie imstande sind, eine Summe zu verschmähen, die mich glücklich machen würde, so opfern Sie der Freundschaft eine, wie ich glaube, übel verstandene Eitelkeit. Nehmen Sie vom Marchese die tausend Zechinen; leihen Sie diese mir und gestatten Sie, daß meine Frau das Kleid bekommt, denn er wird es ihr ganz sicherlich schenken.«

Über diesen Vorschlag mußte ich laut auflachen; er war gewiß danach angetan, die Fröhlichkeit eines Hypochonders zu erregen, und ich war nichts weniger als ein Hypochonder. Ich wurde jedoch wieder ernst, als ich den armen Grafen ganz schamrot werden sah. Um ihn zu beruhigen, umarmte ich ihn herzlich; dann aber sagte ich ihm mit barbarischer Aufrichtigkeit: »Ich bin bereit, ohne die allergeringste Eitelkeit auf diesen Vorschlag einzugehen. Ich werde das Kleid dem Marchese verkaufen, sobald Sie wollen, aber ich werde Ihnen nicht tausend Zechinen leihen; ich werde sie Ihnen schenken, oder vielmehr: ich werde sie Ihrer Frau unter vier Augen geben. Aber wenn sie sie bekommt, muß sie nicht nur gut und gefällig, sondern auch sanft wie ein Lamm sein. Sehen Sie zu, mein lieber Graf, wie Sie die Geschichte in Ordnung bringen; dies ist mein letztes Wort.«

»Ich will's versuchen«, sagte der arme Ehemann; damit ging er.

Barbaro war pünktlich; er erwartete mich bereits am verabredeten Ort. Ich ließ ihn in meinen Wagen steigen, und er führte mich in ein Haus, das am anderen Ende von Mailand lag. Wir gingen in das erste Stockwerk, wo er mich einem schönen Greise und einer Dame von sehr ehrenwertem Aussehen, sowie zwei reizenden Basen vorstellte. Er sagte, ich sei ein Venetianer, der wie er das Unglück habe, bei den Staatsinquisitoren in Ungnade gefallen zu sein; da ich jedoch reich und Junggeselle sei, so könne ich mich über Gunst oder Ungunst der hohen Herren hinwegsetzen.

Er gab mich für reich aus, und ich sah allerdings so aus. Mein Luxus war blendend. Meine Ringe, Tabaksdosen, diamantenbesetzten Uhrketten, mein Kreuz von Diamanten und Rubinen, das ich an einem breiten dunkelroten Band um den Hals trug, gaben mir das Aussehen eines Mannes von Bedeutung. Dieses Kreuz war der Orden vom goldenen Sporn, den ich vom Papst erhalten hatte; da ich jedoch den Sporn hatte herausnehmen lassen, so erriet man nicht, was es bedeutete, und dies schmeichelte meiner Eitelkeit. Neugierige wagten es nicht, sich bei mir selber zu erkundigen; denn man fragt einen Kavalier ebensowenig, was das für ein Orden sei, den er trage, wie man eine Dame fragt: Wie alt sind Sie? Ich hörte 1765 auf, dieses dumme Kreuz zu tragen, als in Warschau der Fürst Palatin von Rußland mir unter vier Augen sagte, ich würde wohl daran tun, diesen Bettel abzulegen. »Es dient nur dazu, Dummköpfe zu blenden,« sagte er zu mir, »hier aber brauchen Sie mit solchen nichts zu tun zu haben.«

Ich folgte seinem Rat, denn er war ein großer Denker. Trotzdem war er es, der den ersten Stein aus dem Sockel brach, worauf das Königreich Polen ruhte. Er stürzte es eben durch die Mittel, durch die er es größer machen wollte.

Der alte Herr, welchem Barbara mich vorstellte, war ein Marchese. Er sagte mir, er kenne Venedig, und da ich nicht von patrizischem Range sei, könne ich in anderen Ländern nur glücklicher leben. Er stellte mir sein Haus zur Verfügung und bot mir alle Dienste an, die in seinen Kräften ständen.

Die beiden jungen Damen hatten mich entzückt; sie waren zwei vollkommene, beinahe ideale Schönheiten. Ich beschloß, mich bei jemandem zu erkundigen, der sie näher kannte; denn zu Barbara hatte ich kein Vertrauen.

Eine halbe Stunde darauf begannen Besucher zu Fuß und im Wagen anzukommen. Unter ihnen waren mehrere sehr hübsche und gut angezogene junge Damen; gut gekleidete junge Herren wetteiferten, den beiden Basen den Hof zu machen, die einen dieser, die anderen jener, je nachdem sie aus Liebe oder aus Höflichkeit der einen oder der anderen den Vorzug gaben. Wir waren alles in allem etwa zwanzig Personen. Die Gesellschaft setzte sich an einen großen Tisch und begann ein Spiel, das Bankerott genannt wurde. Nachdem ich mich ein paar Stunden unterhalten und einige Zechinen verloren hatte, entfernte ich mich mit Barbaro, und wir gingen in die Oper.

»Die beiden jungen Marchesinen«, sagte ich zu meinem Landsmann, »kommen mir vor wie zwei Engel von Fleisch und Blut. Ich werde ihnen meine Huldigungen darbringen und in ein paar Tagen werde ich sehen, ob sie für mich erreichbar sind. Für das Spiel will ich Ihnen zweihundert Zechinen leihen; aber ich will diese nicht verlieren, Sie müssen mir daher in gesetzlicher Form Bürgschaft dafür leisten.«

»Damit bin ich herzlich gern einverstanden; ich bin völlig sicher, sie Ihnen mit starken Zinsen wiedergeben zu können.«

»Außerdem will ich, daß Sie nicht fünfundzwanzig vom hundert des Gewinnes, sondern die Hälfte erhalten; ich mache jedoch zur Bedingung, daß niemand von meiner Beteiligung an dem Spiel eine Ahnung haben kann; denn wenn ich den geringsten Verdacht bemerke, werde ich für meine eigene Rechnung starke Sätze machen.«

»Sie können sich auf meine Verschwiegenheit um so sicherer verlassen, da ich ein Interesse daran habe, daß die Spieler glauben, das Kapital der Bank sei mein eigenes Geld.«

»Ich verstehe. Kommen Sie also morgen früh bei guter Zeit, bringen Sie mir annehmbare Sicherheit, und ich werde Ihnen das Geld geben.«

Er umarmte mich in der Freude seines Herzens.

Die Bilder der beiden schönen Marchesinen gingen mir im Kopf herum; ich gedachte mich bei Greppi nach ihnen zu erkundigen, als ich Triulzi im Parkett der Oper bemerkte. Zu gleicher Zeit sah er auch mich, und da ich allein war, so kam er heran und sagte fröhlich zu mir, er sei überzeugt, daß ich schlecht zu Mittag gegessen habe, und ich werde ihm ein Vergnügen machen, wenn ich alle Tage bei ihm speise.

»Ich muß erröten, Herr Marchese, daß ich noch nicht bei Ihnen war, um Ihnen meine Aufwartung zu machen, wie es meine Pflicht gewesen wäre.«

»Es gibt keine Verpflichtungen unter Lebemännern, die die Welt nach ihrem wahren Wert zu schätzen wissen.«

»Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht.«

»Da fällt mir ein – ich habe gehört, Sie seien bereit, mir das Kleid abzulassen; ich bin Ihnen sehr dankbar dafür und werde Ihnen die fünfzehntausend Lire, die es kostet, geben, sobald Sie es wünschen.«

»Sie können das Kleid morgen früh abholen lassen.«

Er erzählte mir noch in aller Kürze mehrere Anekdoten in bezug auf Damen, die wir in den ersten Logen sahen und nach denen ich ihn gefragt hatte. Ich benutzte diesen günstigen Umstand und sagte: »Ich habe in einer Kirche zwei junge Schönheiten im höchsten Sinne des Wortes gesehen. Jemand, der neben mir stand, sagte mir, es seien zwei Basen, die Marchesina Q. und die Marchesina F. Kennen Sie sie? Die jungen Damen haben mich sehr neugierig gemacht.«

»Ich kenne sie; sie sind reizend. Es ist nicht schwer, in ihrem Hause eingeführt zu werden, und ich glaube, sie sind tugendhaft, denn bis jetzt ist über sie noch nicht geredet worden. Ich weiß allerdings, daß Fräulein F. einen Liebhaber hat; aber dies ist ein tiefes Geheimnis, denn er ist der einzige Sohn einer unserer ersten Familien. Unglücklicherweise sind die jungen Damen nicht reich; da sie aber, wie man mir versichert hat, viel Geist besitzen, so können sie erwarten, gute Partien zu machen. Wenn Sie neugierig sind, werde ich Sie mit jemandem bekannt machen, der Sie bei ihnen einführt.«

»Ich bin noch nicht fest entschlossen; denn möglicherweise vergesse ich sie leicht wieder, da ich sie nur flüchtig gesehen habe. Übrigens bin ich Ihnen unendlich verbunden für Ihr liebenswürdiges Anerbieten.«

Nach dem Ballett ging ich in den Spielsaal hinauf. Ich hörte drei oder vier Stimmen sagen: »Da ist er!«

Der Bankhalter nickte mit dem Kopf und bot mir einen Platz an seiner Seite an. Ich setzte mich, und statt eines Buches gab er mir ein ganzes Spiel Karten. Ich begann zu setzen und zwar mit einem so beständigen Unglück, daß ich in weniger als einer Stunde siebenhundert Zechinen verlor. Wahrscheinlich hätte ich auch den Rest verloren, wenn nicht Canano, der aufstehen mußte, die Karten einem Mann gegeben hätte, dessen Gesicht mir mißfiel. Ich stand auf, ging nach Hause und legte mich sofort zu Bett, um nicht genötigt zu sein, meine üble Laune zu verbergen.

Am anderen Morgen in aller Frühe holte Barbaro sich die zweihundert Zechinen, die ich ihm versprochen hatte. Er gab mir Sicherheit für diese Summe, indem ich das Recht erhielt, bis zur vollständigen Tilgung seiner Schuld seine Einkünfte in Beschlag zu nehmen. Ich glaube nicht, daß ich im Fall des Unglücks mich hätte entschließen können, von meinen Rechten Gebrauch zu machen; aber ich wollte ihn im Zaum halten. Hierauf ging ich aus und begab mich zu Greppi, bei dem ich zweitausend Zechinen in Gold nahm.


 << zurück weiter >>