Casanova
Erinnerungen, Band 3
Casanova

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Sechstes Kapitel

Frau von Urfé macht sich irrtümliche und widerspruchsvolle Begriffe von meiner Gewalt. – Mein Bruder verheiratet sich; ich entwerfe an seinem Hochzeitstag einen neuen Plan. – Ich gehe im Auftrage der Regierung in Geldangelegenheiten nach Holland. – Der Jude Boas gibt mir eine Lehre. – Herr von Affry. – Esther. – Ein anderer Casanova. – Ich finde Teresa Imer wieder.

Der Prinz von Turenne war von den Blattern völlig genesen; Graf de la Tour-d'Auvergne hatte ihn daher wieder verlassen, und da er die Vorliebe seiner Tante für die abstrakten Wissenschaften kannte, so wunderte er sich nicht, daß ich bei ihr wie zu Hause war und ihr einziger Freund geworden war.

Ich sah ihn, wie überhaupt alle Verwandten der Marquise mit um so größerem Vergnügen als Tischgäste, da mich ihr edles Benehmen gegen mich entzückte. Es waren ihre Brüder, die Herren von Pont-carré und de Viarme, der soeben zum Vorsteher der Kaufmannschaft erwählt worden war, sowie dessen Sohn. Die Tochter der Marquise war, wie ich bereits erzählte, Frau du Châtelet; aber ein unglücklicher Prozeß hatte sie zu unversöhnlichen Feindinnen gemacht; ihr Name wurde niemals erwähnt.

Nachdem la Tour-d'Auvergne zu seinem Regiment hatte abgehen müssen, das in der Bretagne in Garnison lag, speisten die Marquise und ich fast alle Tage unter vier Augen, und ihre Leute sahen mich als ihren Mann an, obgleich dieses kaum denkbar erschien; aber sie glaubten es sich nur auf diese Weise erklären zu können, daß wir so lange Stunden miteinander verbrachten. Frau von Urfé hielt mich für reich und hatte sich in den Kopf gesetzt, ich hätte nur deshalb die Stellung bei der Lotterie angenommen, um unerkannt zu bleiben.

Nach ihrer Meinung besaß ich nicht nur den Stein der Weisen, sondern stand auch mit allen Elementargeistern in Verkehr. Sie zog daraus den ganz natürlichen Schluß, daß es nur von mir abhinge, die ganze Welt auf den Kopf zu stellen und Frankreich glücklich oder unglücklich zu machen. Daß ich inkognito bleiben mußte, erklärte sie sich aus meiner berechtigten Furcht, verhaftet und eingesperrt zu werden; denn dieses Schicksal mußte mir nach ihrer Meinung unfehlbar widerfahren, sobald der Minister erführe, wer ich in Wirklichkeit wäre. Diese Ungeheuerlichkeiten wurden ihr nachts von ihrem Genius offenbart; mit anderen Worten, es waren Träume ihrer erhitzten Phantasie, die ihr dann von ihrer betörten Vernunft als Wirklichkeiten dargestellt wurden. Auf den allereinfachsten Gedanken verfiel sie nicht – nämlich darauf, daß keine Macht der Erde mich hätte festhalten können, wenn ich wirklich die von ihr vermutete Gewalt gehabt hätte. Denn dann hätte ich ja alles vorausgesehen und gewußt; außerdem konnte meine Macht durch Schloß und Riegel nicht beschränkt werden, denn meine Kraft beruhte auf meinem Wissen, und dieses konnte kein Tyrann mir entreißen, ohne mich zu vernichten; mich zu vernichten aber mußte unmöglich sein, wenn mir die Macht der Geister zu Gebote stand. Alle diese Erwägungen waren ungeheuer einfach; aber Leidenschaft und Voreingenommenheit sind der Vernunft unzugänglich.

Bei einem unserer Gespräche sagte sie mir eines Tages allen Ernstes, ihr Genius habe sie überzeugt, daß ich ihr den Verkehr mit den Geistern nicht verschaffen könne, weil sie Weib sei; denn die Geister könnten nur mit Männern Verkehr pflegen, deren Natur weniger unvollkommen sei. Ich könne aber mittels einer Operation, die mir bekannt sei, ihre Seele in den Leib eines männlichen Kindes übergehen lassen, das aus der philosophischen Paarung eines Unsterblichen mit einer Sterblichen oder eines gewöhnlichen Mannes mit einem Weibe von göttlicher Art hervorgegangen sei.

Wenn ich geglaubt hätte, der Marquise ihren Irrtum benehmen und sie zu einem vernünftigen Gebrauch ihrer Kenntnisse und ihres Geistes zurücklenken zu können, so würde ich dies wahrscheinlich versucht haben, und dies wäre ein verdienstliches Wert gewesen; aber ich war überzeugt, daß ihre Betörung unheilbar war, und glaubte daher nichts Besseres tun zu können, als auf ihren verrückten Gedanken einzugehen und meinen Nutzen daraus zu ziehen.

Wenn ich ihr als anständiger Mensch gesagt hätte, alle ihre Ideen seien albern, so würde sie mir nicht geglaubt haben; sie hätte angenommen, ich wäre neidisch auf ihre Kenntnisse; und wenn sie mich auch darum nicht für weniger gelehrt gehalten haben würde, so hätte ich doch in ihren Augen eingebüßt. Hiervon überzeugt, wußte ich nichts Besseres zu tun, als die Sache ihren Gang gehen zu lassen.

Übrigens konnte ich mich in meinem Selbstgefühl nur geschmeichelt fühlen, daß eine berühmte Frau, die im Rufe bedeutender Kenntnisse stand, die mit den ersten Familien Frankreichs verwandt war, und außerdem aus ihren Wertpapieren ein noch höheres Einkommen hatte als die achtzigtausend Lires Rente, die ein herrliches Landgut und eine Anzahl schöner Häuser in Paris ihr eintrugen – daß eine solche Frau, sage ich, mich als den tiefsinnigsten Rosenkreuzer und als den Mächtigsten aller Sterblichen ansah. Ich wußte auf das bestimmteste, daß sie im Notfalle mir nichts hätte verweigern können; und obgleich ich keinen bestimmten Plan hatte, um mir ihre Reichtümer ganz oder zum Teil zunutze zu machen, so empfand ich doch ein gewisses Vergnügen bei dem Gedanken, daß es in meiner Macht stände, dies zu tun.

Trotz ihrem ungeheuren Vermögen und ihrem Glauben, daß sie Gold machen könne, war Frau von Urfé geizig; denn sie gab jährlich kaum dreißigtausend Franken aus und spielte mit ihren Ersparnissen, die mehr als das Doppelte betrugen, an der Börse. Ein Börsenmakler brachte ihr Staatspapiere, wenn diese niedrig standen, und verkaufte sie wieder für sie, wenn der Kurs stieg. Da sie in der Lage war abzuwarten und die günstigsten Augenblicke der Baisse und Hausse benutzen konnte, so hatte sie ein beträchtliches Vermögen in Papieren erworben.

Mehrere Male hatte sie gesagt, sie sei bereit, mir ihr ganzes Vermögen zu geben, um Mann zu werden, und sie wisse, daß dies nur von mir abhänge. Als sie eines Tages wieder in jenem Tone der Überzeugung, der so leicht ansteckt, mit mir darüber sprach, sagte ich ihr: ich müsse ihr gestehen, daß ich allerdings imstande sei, diese Operation zu vollziehen; ich könne mich aber nicht entschließen, sie an ihr vorzunehmen, weil ich zu diesem Zwecke genötigt sein würde, sie sterben zu lassen. Ich glaubte, diese Erklärung würde ihr die Lust benehmen, einen solchen Versuch zu machen; man stelle sich meine Überraschung vor, als ich sie sagen hörte: »Ich weiß es. Ich kenne sogar die Todesart, die mir beschieden sein würde, aber ich bin bereit.«

»Wirklich? Und was für eine Todesart wäre dieses?«

»Ich werde an demselben Gift sterben, woran Paracelsus starb.«

»Und glauben Sie, daß Paracelsus zur Hypostase gelangt ist?«

»Nein; aber ich weiß auch, warum nicht.«

»Wollen Sie mir dies wohl sagen?«

»Weil er weder Mannn noch Weib war und weil eine gemischte Natur die Hypostase ausschließt; man muß um diese zu erreichen ganz das eine oder das andere sein.«

»Das ist wahr. Aber wissen Sie, wie man dieses Gift bereitet? Wissen Sie, daß dies ohne Beihilfe eines Salamanders nicht möglich ist?«

»Das kann sein; ich wußte es nicht. Ich bitte Sie, die Kabbala zu befragen, ob es in Paris eine Person gibt, die dieses Gift besitzt.«

Ich konnte leicht erraten, daß sie im Besitze des Giftes zu sein glaubte; und ich ließ es ohne Zögern sie in der Antwort finden, die die Pyramide erteilte. Ich stellte mich erstaunt; sie aber sagte ganz stolz: »Sie sehen, es ist nur noch das Kind nötig, das das aus einem unsterblichen Geschöpf entsprossene männliche Verbum enthält. Ich habe die Belehrung empfangen, daß dieses nur von Ihnen abhängt, und ich glaube nicht, daß es Ihnen aus falschem Mitleid mit meinem alten Leichnam an dem nötigen Mut dazu fehlen kann.«

Bei diesen Worten stand ich auf und trat an das nach dem Quai hinausgehende Fenster ihres Zimmers; dort stand ich eine gute Viertelstunde und dachte über ihre Tollheit nach. Als ich wieder an den Tisch zurückkam, wo sie sitzen geblieben war, sah sie mich aufmerksam an und sagte ganz gerührt: »Ist es möglich, lieber Freund? Ich sehe. Sie haben geweint.«

Ich suchte ihr nicht ihren Irrtum zu benehmen, nahm meinen Degen und Hut und ging mit einem Seufzer hinaus. Ihr Wagen, der stets zu meiner Verfügung stand, hielt vor der Tür; ich stieg ein und fuhr auf den Boulevards spazieren, bis es Zeit war, ins Theater zu gehen; aber ich konnte mich nicht von dem Erstaunen erholen, in das diese außerordentliche Frau mich versetzt hatte.

Mein Bruder war nach der Ausstellung eines von allen Kennern bewunderten Schlachtenbildes einstimmig in die Malerakademie aufgenommen worden. Die Akademie kaufte das Bild für fünfhundert Louis.

Er hatte sich in Coralina verliebt und würde sie geheiratet haben, wenn sie ihm nicht untreu geworden wäre. Dies brachte ihn so sehr gegen sie auf, daß er acht Tage darauf, um ihr jede Hoffnung auf eine Aussöhnung zu benehmen, eine Figurantin vom Ballett der italienischen Komödie heiratete. Der Schatzmeister der geistlichen Pfründen, Herr von Sanci, richtete die Hochzeit aus; er hatte das Mädchen sehr gern, und aus Dankbarkeit für die gute Tat, die mein Bruder vollbrachte, indem er sie heiratete, verschaffte er ihm bei allen seinen Freunden Bestellungen auf Bilder; dadurch bahnte er ihm den Weg zu dem großen Vermögen und hohen Ansehen, die er sich erwarb.

Der Bankier Corneman war auf der Hochzeit meines Bruders; er beschäftigte sich viel mit mir und sprach unaufhörlich von dem großen Geldmangel. Er bat mich dringend, mit dem Generalkontrolleur zu sprechen, um Mittel zur Abhilfe ausfindig zu machen, und sagte mir: wenn man einer Vereinigung von Amsterdamer Kaufleuten königliche Papiere zu einem anständigen Preise gäbe, so könnte man dafür Papiere irgend eines anderen Staates nehmen, dessen Kredit weniger erschüttert wäre als der französische; solche Papiere würden dann leicht zu verkaufen sein. Ich bat ihn, mit keinem anderen Menschen über die Sache zu sprechen, und versprach ihm, mich zu bemühen.

Der Gedanke hatte mir eingeleuchtet, und ich beschäftigte mich die ganze Nacht damit. Schon am nächsten Tage begab ich mich nach dem Palais Bourbon, um mit Herrn von Bernis darüber zu sprechen. Er fand die Idee ausgezeichnet und riet mir, mit einem Empfehlungsbrief des Herzogs von Choiseul an den Gesandten im Haag, Herrn d'Affry, nach Holland zu reisen; man könnte diesem einige Millionen in königlichen Staatspapieren überweisen, um sie in bares Geld umzusetzen, wenn es mir gelänge, günstige Bedingungen zu erlangen. Er forderte mich auf, mich zunächst mit Herrn de Boulogne zu beraten, jedoch vor allen Dingen mit Zuversicht aufzutreten. »Sobald Sie nur kein Geld zum voraus verlangen, wird man Ihnen so viele Empfehlungsbriefe geben, wie Sie nur wünschen können.«

Diese Unterredung stieg mir in den Kopf; noch am gleichen Tage suchte ich den Generalkontrolleur auf, der meinen Plan sehr gut fand und mir sagte, der Herzog von Choiseul würde am nächsten Tage im Invalidenhause sein; ich müßte ihn unverzüglich aufsuchen und ihm einen Brief übergeben, den er schreiben würde. »Ich werde unverzüglich für zwanzig Millionen Schatzanweisungen an unseren Gesandten schicken; sollte Ihr Unternehmen nicht den erhofften Erfolg haben, so wird er diese Papiere nach Frankreich zurücksenden.«

»Er wird sie nicht zurückschicken, wenn man sich mit einem anständigen Preise begnügt.«

»Der Friede wird geschlossen werden, das ist sicher; daher dürfen Sie die Papiere auch nur mit einem sehr geringen Verlust abgeben. Doch über diesen Punkt werden Sie sich mit dem Botschafter verständigen, der von uns alle erforderlichen Weisungen erhalten wird.«

Ich fühlte mich von diesem Auftrag so geschmeichelt, daß ich die ganze Nacht vor Nachdenken nicht schlafen konnte. Ich ging ins Invalidenhaus, und Herr von Choiseul, der ja wegen seiner schnellen Entschlüsse berühmt war, hatte kaum den Brief des Herrn von Boulogne gelesen und sich einige Minuten mit mir über die Sache unterhalten, so ließ er einen Brief an Herrn d'Affro aufsetzen, den er las und unterzeichnete, ohne mir von dem Inhalt Kenntnis zu geben. Sobald der Brief versiegelt war, übergab er ihn mir und wünschte mir glückliche Reise.

Ich beeilte mich, mir von Herrn von Berkenrode einen Paß ausstellen zu lassen, und verabschiedete mich an demselben Tage von Frau Baletti und allen meinen Freunden, außer der Marquise d'Urfé, mit der ich den ganzen nächsten Tag verbringen sollte. Ferner gab ich meinem treuen Geschäftsführer Vollmacht, alle Lose meines Lotteriebureaus zu unterzeichnen.

Etwa einen Monat vorher hatte ein sehr hübsches und anständiges Mädchen aus Brüssel sich unter meiner Protektion mit einem italienischen Bildertrödler, namens Gaetano, verheiratet. Dieser eifersüchtige rohe Mensch mißhandelte sie ohne Sinn und ohne Verstand, und die reizende unglückliche Frau kam daher jeden Augenblick zu mir und beklagte sich. Ich hatte sie mehrere Male miteinander versöhnt und war gewissermaßen ihr Mittelsmann. Gerade an dem Tage, an dem ich meine Vorbereitungen zur holländischen Reise traf, kamen sie zu mir und luden sich bei mir zum Essen ein. Mein Bruder und Tiretta waren zufällig bei mir, und da ich noch immer als Junggeselle lebte, so nahm ich sie alle zu Laudel mit, wo man ausgezeichnet aß. Tiretta hatte seinen eigenen Wagen; er ruinierte seine Exjansenistin, die immer noch über alle Maßen in ihn verliebt war.

Tiretta, der ein hübscher, lustiger Junge war und gerne einen Spaß machte, fing während des Essens an, mit der schönen Vlamin, die er zum erstenmal sah, zu kokettieren. Die gute Kleine dachte sich nichts Böses dabei und ging darauf ein; wir alle hätten darüber gelacht und alles wäre vortrefflich gegangen, wenn der Ehemann vernünftig und höflich gewesen wäre; aber der Unglückselige war eifersüchtig wie ein Tiger und schwitzte vor Wut. Er aß nicht, wechselte zehnmal in einer Minute die Farbe und warf seiner armen Frau fürchterliche Blicke zu, die ihr andeuten sollten, daß er keinen Spaß verstände. Zur Vervollständigung seines Unglücks trieb Tiretta auch noch seinen Spaß mit ihm. Ich sah voraus, daß es zu unangenehmen Auftritten kommen würde, und suchte seine Heiterkeit und seine Spottlust zu mäßigen; aber vergebens. Eine Auster fiel auf den schönen Busen der Frau Gaetano, und Tiretta, der neben ihr saß, schlürfte sie schnell und gewandt mit seinen Lippen fort. Wütend sprang Gaetano auf und versetzte seiner Frau eine so kräftige Ohrfeige, daß seine Hand nicht nur ihre Wange, sondern auch die ihres Nachbarn berührte. Nun wurde auch Tiretta wütend; er sprang auf, packte den Eifersüchtigen um den Leib und warf ihn zu Boden. Gaetano, der keine Waffe hatte, stieß mit Händen und Füßen um sich; wir ließen ihn machen, weil er uns nicht treffen konnte. Als der Kellner hinzukam, warfen wir den Flegel hinaus, um der Sache ein Ende zu machen.

Seine Frau weinte bittere Tränen; sie blutete, wie auch Tiretta, aus der Nase und bat mich, sie irgendwo unterzubringen; denn sie fürchtete für ihr Leben, wenn sie zu ihrem Mann zurückkehrte. Ich ließ Tiretta und meinen Bruder zurück, stieg mit ihr in einen Fiaker und begleitete sie auf ihren Wunsch zu einem Verwandten, einem alten Sachwalter, der am Quai de Gèvres im vierten Stock eines sechsstöckigen Hauses wohnte. Der brave Mann empfing uns höflich, ließ sich die Geschichte erzählen und sagte: »Arm wie ich bin, kann ich leider für die Unglückliche nichts tun; aber wenn ich nur hundert Taler hätte, so würde ich alles in Ordnung bringen.«

»Darauf soll es nicht ankommen«, sagte ich, zog dreihundert Franken aus der Tasche und gab sie ihm.

»Hiermit, mein Herr, werde ich den Ehemann zu Grunde richten; es wird ihm niemals gelingen, zu erfahren, wo seine Frau ist.«

Die Frau versicherte mir, der Alte werde sein Versprechen halten. Nachdem sie mich ihrer Dankbarkeit versichert hatte, verließ ich sie.

Wenn ich wieder von meiner Reise zurück bin, wird der Leser erfahren, was aus ihr wurde.

Als ich der Marquise d'Urfé mitteilte, daß ich im Interesse Frankreichs nach Holland ginge und in den ersten Tagen des Februars wieder zurück sein würde, bat sie mich, mehrere Aktien der Indischen Kompagnie von Gotenburg mitzunehmen und für sie zu verkaufen. Sie besaß Aktien im Werte von sechzigtausend Franken, die sie an der Pariser Börse nicht verkaufen konnte, weil dort kein Geld war. Außerdem wollte man ihr die Zinsen nicht mitbezahlen, und diese waren beträchtlich, denn seit drei Jahren war keine Dividende bezahlt worden.

Da ich einverstanden war, ihr diesen Dienst zu leisten, so mußte sie mich zum Inhaber und sogar durch einen Verkaufsvertrag zum Eigentümer dieser Aktien machen; dies tat sie noch am gleichen Tage durch Erklärung vor einem Notar, zu dem wir uns zusammen begaben.

In ihre Wohnung zurückgekehrt, wollte ich ihr eine Bescheinigung ausstellen, wodurch ich ihr das Eigentum an diesen Papieren sicherte und mich verpflichtete, bei meiner Umkehr nach Frankreich ihr den Wert zu übergeben; aber hiervon wollte sie nichts wissen, denn sie war fest von meiner Ehrlichkeit überzeugt.

Ich ging zu Herrn Corneman, der mir einen Wechsel von dreitausend Gulden für den israelitischen Hofbankier Boas im Haag gab. Hierauf reiste ich ab. In zwei Tagen kam ich nach Antwerpen, wo ich eine segelfertige Jacht fand; ich schiffte mich ein und schlief am nächsten Tage in Rotterdam. Den Tag darauf begab ich mich nach dem Haag, wo ich im »Englischen Hof« abstieg und mich sodann Herrn d'Affry vorstellte. Als ich ankam, las er gerade den Brief von Herrn de Choiseul, der ihn von dem mir erteilten Auftrag unterrichtete. Er behielt mich zum Essen da, an welchem auch Herr von Kauderbach, der Resident des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen, teilnahm. Er forderte mich auf, mir die größte Mühe zu geben, sagte mir jedoch, daß er am Erfolg zweifle, weil die Holländer aus guten Gründen glaubten, daß der Friede nicht so bald geschlossen werden würde.

Von der Wohnung des Gesandten ließ ich mich zu Boas führen, den ich bei Tische im Kreise seiner zahlreichen und häßlichen Familie fand. Er las meinen Brief und sagte mir, er habe soeben auch von Herrn Corneman empfangen, der sich sehr lobend über mich ausspreche. Er sagte mir im Scherz, da es Weihnachtsabend wäre, würde ich ohne Zweifel das Jesuskindlein wiegen wollen; aber ich antwortete ihm, ich sei gekommen, um mit ihm das Fest der Makkabäer zu feiern; diese Bemerkung fand den Beifall der ganzen Familie, und er lud mich ein, ein Zimmer in seinem Hause anzunehmen. Ich nahm sein Anerbieten ohne Zögern an und sagte meinem Lakai, er solle mein Gepäck zum Bankier bringen lassen. Ehe ich ging, bat ich ihn noch, während der paar Tage, die ich in Holland zu bleiben gedächte, mich bei irgend einem guten Geschäft so etwa zwanzigtausend Gulden verdienen zu lassen.

Er nahm die Sache ernst und antwortete mir, er wolle daran denken; die Sache sei sehr wohl möglich.

Am anderen Morgen nach dem Frühstück sagte Boas zu mir: »Ich habe das gewünschte Geschäft für Sie; kommen Sie mit, ich will darüber mit Ihnen sprechen.«

Er ging mit mir in sein Arbeitszimmer, wo er mir dreitausend Gulden in Gold und Wechseln auszahlte; dann sagte er, es läge nur an mir, binnen acht Tagen die bewußten zwanzigtausend Gulden zu verdienen.

Ich war sehr überrascht über die Leichtigkeit, womit man in Holland Geld verdient, denn ich hatte mir mit dem Juden nur einen Spaß machen wollen; ich dankte ihm für diesen Beweis des Wohlwollens und hörte ihm zu.

»Hier sehen Sie«, begann Boas, »eine Mitteilung, die ich vorgestern von der Münze erhielt. Man meldet mir, daß man vierhunderttausend Dukaten frisch geprägt hat und bereit ist, sie zum laufenden Preise des Goldes zu verkaufen, der glücklicherweise augenblicklich nicht hoch ist. Jeder Dukaten ist fünf Gulden und zwei und drei Fünftel Stüber wert. Hier ist der Wechselkurs auf Frankfurt am Main. Kaufen Sie die vierhunderttausend Dukaten, bringen oder schicken Sie sie nach Frankfurt, nehmen Sie dort Wechsel nach Amsterdam und Ihr Geschäft ist gemacht. Sie verdienen an jedem Dukaten ein und ein Neuntel Stüber, das macht 22 222 holländische Gulden. Sichern Sie sich die Dukaten noch heute; in acht Tagen haben Sie Ihren Gewinn flüssig. Da haben Sie, was Sie wünschen.«

Ich war ein wenig erstaunt und sagte zu ihm: »Aber werden denn die Herren von der Münze nicht einige Schwierigkeiten machen, mir eine solche Summe anzuvertrauen, die mehr als vier Millionen Livres Tournois beträgt?«

»Das werden sie natürlich tun, wenn Sie nicht gegen bar kaufen oder den Betrag in guten Papieren hinterlegen.«

«Ich besitze, mein werter Herr, weder so viel Geld noch so viel Kredit.«

»In diesem Falle werden Sie niemals zwanzigtausend Gulden in acht Tagen verdienen. Nach der Bemerkung, die Sie gestern machten, habe ich Sie für einen Millionär gehalten.«

»Es tut mir wirklich sehr leid, daß Sie sich geirrt haben.«

»Ich werde das Geschäft noch heute von einem meiner Kinder machen lassen.«

Nachdem Herr Boas mir diese etwas derbe Lektion gegeben hatte, ging er in sein Kontor, und ich ging auf mein Zimmer, um mich umzukleiden.

Herr d'Affry war in den englischen Hof gegangen, um mir einen Besuch zu machen; da er mich nicht gefunden hatte, schrieb er mir ein Briefchen und bat mich bei ihm vorzusprechen. Ich ging hin; er behielt mich zum Essen und teilte mir einen soeben erhaltenen Brief des Herrn de Boulogne mit. Dieser beauftragte ihn, mich die zwanzig Millionen nur mit einem Verlust von höchstens acht Prozent hergeben zu lassen, weil der Friede, so schrieb er, unmittelbar vor dem Abschluß stände. Wir lachten beide über diese scherzhafte Versicherung eines Pariser Verwaltungsbeamten, während wir in einem Lande, wo das Interesse den Blick für die Staatsangelegenheiten schärfte, das Gegenteil erfuhren.

Als Herr d'Affry erfuhr, daß ich bei einem Israeliten wohnte, riet er mir, mich nicht mit Juden einzulassen; »denn«, sagte er, »im Handel ist der ehrlichste Jude nur der geringste Betrüger. Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen eine Empfehlung an Herrn Pels in Amsterdam geben.« Dies nahm ich dankbar an. In der Hoffnung, mir beim Verkauf meiner Gotenburger Aktien behilflich sein zu können, stellte er mich dem schwedischen Gesandten vor, der mir eine Empfehlung an Herrn d'O. gab.

Da ich die große Freimaurerversammlung am Johannes-Winterfest mitmachen wollte, so blieb ich bis zum Tage nach den Festen.

Graf Tott, den ich im Haag traf, ein Bruder des Barons, der sein Glück im Serail verfehlte, führte mich ein. Es war mir sehr angenehm, diese Versammlung mitzumachen, zu der sich die Auslese der besten Gesellschaft von ganz Holland eingefunden hatte.

Herr d'Affry stellte mich der Regentin vor, der Mutter des Statthalters, der erst zwölf Jahre alt war und den ich viel zu ernst für sein Alter fand. Die Mutter war eine sehr ehrenwerte und sehr leidende gute Frau; sie schlief beim Sprechen jeden Augenblick ein. Sie starb bald darauf, und als man die Leiche öffnete, fand man, daß sie die Gehirnwassersucht hatte, wodurch jedenfalls ihre große Schlafsucht veranlaßt worden war. Ich fand bei der hohen Dame den Grafen Philipp von Zinzendorf, der für die Kaiserin zwölf Millionen suchte, die er ohne Mühe zu fünf Prozent Zinsen fand. Im Theater saß ich neben dem türkischen Gesandten, der Herrn de Bonneval gekannt hatte. Ich glaubte, er würde sich totlachen, und das ging folgendermaßen zu:

Man gab Iphigenie, das schöne Meisterwerk Racines. Mitten auf der Bühne stand die Statue der Diana. Am Ende eines Aktes ging Iphigenie mit ihren Priesterinnen hinaus, und als sie an dem Bilde der Göttin vorüberkamen, machten alle eine tiefe Verbeugung. Der Lampenputzer, ein guter holländischer Christ und vielleicht ein Spaßvogel, kam einen Augenblick darauf und machte der Bildsäule dieselbe Verbeugung. Hierüber erfreuten sich Parkett und Logen, und von allen Seiten des Theaters erscholl lautes Gelächter. Ich mußte dem Türken den Anlaß der Heiterkeit erklären, und er wurde darüber von einem solchen Lachkrampf ergriffen, daß ich glaubte, er würde platzen. Man mußte ihn fast besinnungslos, aber fortwährend lachend, hinaustragen und in seinen Gasthof schaffen.

Ich gebe zu, es wäre vielleicht ein Zeichen von Dummheit gewesen, bei dem plumpen Spaß des Holländers vollkommen gleichgültig zu bleiben; aber nur ein Türke konnte darüber dermaßen lachen. Man könnte freilich mir vielleicht einwenden, daß ein großer griechischer Philosoph vor Lachen gestorben ist, als er ein zahnloses altes Weib Feigen essen sah. Hierauf würde ich antworten, daß zwischen einem Türken und einem Griechen, und besonders einem Griechen des Altertums, ein ungeheurer Unterschied ist. Wer viel lacht, ist glücklicher als einer, der gar nicht lacht; denn das Lachen erschüttert das Zwerchfell und wirkt günstig auf das Blut; aber ein jedes Ding will seine Zeit und alles muß mit Maß und Ziel geschehen.

Ich fuhr in einem zweiräderigen Postwagen mit meinem Bedienten nach Amsterdam. Zwei Meilen vor der Stadt begegneten wir einem vierräderigen Wagen, der wie der meinige mit zwei Pferden bespannt war, und worin ein schöner junger Mann mit seinem Bedienten saß. Der Kutscher dieses Wagens rief dem meinigen zu, er solle ausweichen; mein Kutscher aber erwiderte, er könne dies nicht tun, weil er Gefahr laufe, mich in den Graben zu werfen. Der andere bestand jedoch auf seinem Verlangen. Ich wandte mich an den Herrn und bat ihn, seinem Kutscher zu befehlen, daß er mir ausweiche. »Ich fahre mit der Post, mein Herr; außerdem bin ich ein Fremder.«

»Mein Herr,« erwiderte jener, »wir in Holland erkennen kein Postrecht an, und wenn Sie Fremder sind, so müssen Sie doch zugeben daß Sie weniger Rechte haben als ich, da ich mich in meinem Lande befinde.«

Das Blut schoß mir ins Gesicht; ich öffnete mit der einen Hand den Wagenschlag, während ich mit der anderen den Degen ergriff, sprang in den knietiefen Schnee, zog blank und forderte den sonderbaren Holländer auf, mir Platz zu machen oder sich zu verteidigen.

Er war ruhiger als ich und antwortete mir lächelnd, wegen einer so lächerlichen Ursache schlage er sich nicht; ich könne wieder einsteigen, er werde mir Platz machen. Der sichere, aber freundliche Ton des jungen Mannes hatte etwas an sich, was meine Teilnahme erregte. Ich stieg wieder in meinen Wagen und kam mit Einbruch der Nacht in Amsterdam an, wo ich im »Morgenstern«, einem ausgezeichneten Gasthofe, abstieg. Am nächsten Morgen ging ich auf die Börse, wo ich Herrn Pels fand, der mir sagte, er wolle sich meinen Vorschlag überlegen. In demselben Augenblick kam Herr d'O. dazu, der mich mit einem Kaufmann aus Gotenburg bekannt machte. Dieser erbot sich, mir meine sechzehn Obligationen mit zwölf Prozent Zinsen zu diskontieren; Herr Pels sagte mir jedoch, ich möchte warten, und versprach mir, mir fünfzehn zu verschaffen. Er lud mich zum Essen ein, und als er sah, daß ich seinen Kapwein ausgezeichnet fand, sagte er mir lachend, er mache ihn selber, indem er Bordeauxwein mit Malaga mische.

Da Herr d'O. mich für den nächsten Tag eingeladen hatte, begab ich mich zu ihm und fand ihn mit seiner Tochter Esther, einem jungen Mädchen von vierzehn Jahren, die für ihr Alter sehr reif entwickelt und eine vollkommene Schönheit war, abgesehen von ihren Zähnen, welche unregelmäßig standen. Herr d'O. war Witwer und hatte nur diese Tochter, so daß Esther die Erbin eines ungeheuren Vermögens war. Ihr Vater, ein ausgezeichneter und sehr liebenswürdiger Mann, liebte sie abgöttisch, und sie verdiente es. Esther hatte eine sehr weiße, leicht gerötete Haut, ebenholzschwarzes Haar und die schönsten Augen, die man sich denken kann. Sie bezauberte mich. Ihr Vater hatte ihr eine glänzende Erziehung geben lassen; sie sprach tadellos französisch, spielte ausgezeichnet Klavier und las leidenschaftlich gern.

Nach dem Essen zeigte Herr d'O. mir den unbewohnten Teil seines Hauses; denn seit dem Tode seiner immer noch geliebten Frau bewohnte er nur das sehr bequem eingerichtete Erdgeschoß. Er zeigte mir mehrere Zimmer, wo er einen wahren Schatz von altem Porzellan verwahrte. Wände und Fensterrahmen waren mit Marmortafeln verkleidet, jedes Zimmer von verschiedener Farbe, und die Fußböden, die mit herrlichen Perser Teppichen bedeckt waren, bestanden aus Mosaik. Der sehr große Speisesaal war ganz mit Alabaster bekleidet; die Tische und Kredenzschränke waren von Zedernholz. Das ganze Haus glich einem Marmorblock; denn das Äußere war ebenso wie das Innere damit bekleidet; es mußte ungeheure Summen gekostet haben. Am Sonnabend standen ein halbes Dutzend Mägde auf Leitern und wuschen die prachtvollen Mauern. Da diese Mädchen große Reifröcke trugen, mußten sie Hosen anziehen, denn sonst würden sich die neugierigen Vorübergehenden zu sehr für sie interessiert haben.

Nachdem wir das Haus besichtigt hatten, gingen wir hinunter, und Herr d'O. ließ mich in dem Vorzimmer, wo er sonst mit seinen Schreibern arbeitete, mit Esther allein; an jenem Tage war niemand anwesend, weil Neujahrstag war.

Nachdem sie mir eine Sonate auf dem Klavier vorgespielt hatte, fragte Fräulein d'O. mich, ob ich ins Konzert gehen würde. Ich antwortete ihr: da ich das Glück habe, bei ihr zu weilen, so könne das Konzert mich nicht anziehen. »Aber Sie, mein Fräulein, gedenken Sie hinzugehen?«

»Ich würde es sehr gern besuchen, aber ich kann nicht allein gehen.«

»Wenn ich es wagen dürfte, Ihnen meine Begleitung anzubieten ...aber ich darf ja nicht hoffen, daß Sie dies annehmen würden.«

»Sie würden mir das größte Vergnügen machen. Und wenn Sie meinen Vater um Erlaubnis bäten, so bin ich fest überzeugt, er würde sie Ihnen nicht abschlagen.«

»Sind Sie dessen gewiß?«

»Vollkommen; denn da er Sie kennt, würde ein abschlägiger Bescheid eine Unhöflichkeit sein, und einer solchen ist mein Vater nicht fähig. Aber ich sehe. Sie kennen unsere Landessitten nicht.«

»Das muß ich zugeben.«

»Die jungen Mädchen genießen hier einer großen Freiheit; sie verlieren diese erst mit ihrer Verheiratung, Kommen Sie mit, Sie werden sehen.«

Mir war unbehaglich zu Mute. Indessen eilte ich sofort zu Herrn d'O. und trug ihm mein Anliegen vor, wobei ich innerlich vor Furcht zitterte, er könnte es mir abschlagen.

»Haben Sie einen Wagen?«

»Jawohl.«

»So brauche ich also nicht anspannen zu lassen, Esther!«

»Lieber Vater!«

»Zieh dich an, liebes Kind. Herr Casanova will die Freundlichkeit haben, dich ins Konzert zu führen.«

»Das ist sehr liebenswürdig. Ich danke Ihnen, mein guter Papa.«

Sie umarmte ihn und eilte hinaus, um sich umzukleiden. Nach einer Stunde erschien sie wieder, schön wie die Freude, die sich in allen ihren Zügen aussprach. Ich hätte sie gerne ein wenig gepudert gesehen; aber Esther war stolz auf das Ebenholzschwarz ihrer herrlichen Haare, die die Weiße ihrer Haut wundervoll zur Geltung brachten. Hauptsächlich um den Männern zu gefallen, legen die Frauen Wert auf eine sorgfältige Toilette; aber wie schlecht wissen die Männer im allgemeinen die Wirkung eines schönen Kleides zu beurteilen, im Vergleich zu dem angeborenen Geschmack der meisten Frauen!

Ein Spitzentuch von höchster Schönheit verschleierte einen Alabasterbusen, bei dessen Anblick mir das Herz klopfte.

Wir gingen hinunter; ich reichte ihr die Hand, um ihr beim Einsteigen in den Wagen zu helfen, und blieb stehen, weil ich glaubte, eine Kammerzofe oder Anstandsdame werde ihr folgen; als ich aber niemanden sah, stieg ich ebenfalls ein, und nachdem der Bediente den Wagenschlag geschlossen hatte, fuhren wir ab. Ich war ganz starr! Ein solcher Schatz allein mit mir! Ich war kaum imstande, einen Gedanken zu fassen. Ich fragte mich, ob ich mich erinnern solle, daß ich ein ausgemachter Wüstling sei, oder ob die Ehre von mir verlange, dies zu vergessen. Esther sagte mir fröhlich, wir würden eine Italienerin hören, die eine köstliche Stimme hätte; und als sie meine Einsilbigkeit bemerkte, fragte sie mich nach der Ursache. Ich wußte nicht, was ich ihr sagen sollte, und machte Ausflüchte; schließlich aber sagte ich ihr, sie erschiene mir als ein Schatz, dessen Hüter zu sein ich mich nicht würdig fühlte.

»Ich weiß, daß man sonst überall ein junges Mädchen nicht allein mit einem jungen Mann ausgehen läßt; aber hier in Holland lehrt man uns tugendhaft zu sein und uns selber zu beschützen.«

»Glücklich der Sterbliche, dem die Sorge für Ihr Glück zufallen wird! Und dreimal glücklich, wenn Sie Ihre Wahl schon getroffen haben!«

»Nicht an mir ist es, diese Wahl zu treffen; dies geht meinem Vater an.«

»Und wenn der, den er für Sie auswählt. Ihnen nicht gefällt, oder wenn Sie einen anderen lieben?«

»Es ist nicht erlaubt, einen Mann zu lieben, bevor man weiß, ob er der bestimmte Gatte sein wird.«

»Sie lieben also niemanden?«

»Nein, ich habe noch nicht das Bedürfnis gefühlt.«

»Ich kann Ihnen also die Hand küssen.«

»Warum nur die Hand?«

Sie zog ihre Hand zurück und bot mir ihre köstlichen Lippen. Ich erhielt einen Kuß, den sie mir in aller Bescheidenheit gab, der mir aber ins Herz drang. Meine Freude wurde allerdings ein wenig herabgestimmt, als sie mir sagte, sie würde auf meinen Wunsch dasselbe in Gegenwart ihres Vaters tun.

Im Konzertsaal fand Esther eine Menge junger Freundinnen, lauter Töchter reicher Kaufleute, die einen hübsch, die anderen häßlich, alle aber neugierig zu erfahren, wer ich sei. Die schöne Esther, die weiter nichts als meinen Namen wußte, konnte keine befriedigende Antwort geben. Plötzlich bemerkte sie in einiger Entfernung ein blondes junges Mädchen; sie machte mich auf sie aufmerksam und fragte mich, wie ich sie fände. Natürlich antwortete ich ihr, ich möchte die Blonden nicht.

»Trotzdem will ich Sie ihr vorstellen, denn möglicherweise ist sie Ihre Verwandte. Sie heißt wie Sie; der Herr dort ist ihr Vater. – »Herr Casanova,« sagte sie zu einem Herrn, »ich stelle Ihnen Herrn Casanova, einen Freund meines Vaters, vor.«

»Ist es möglich? Mein Herr, ich möchte wohl, Sie wären der meinige, denn wir sind vielleicht Verwandte. Ich stamme aus der neapolitanischen Familie.«

»Dann sind wir also Verwandte, obgleich nur entfernte; denn mein Vater war aus Parma. Haben Sie Ihren Stammbaum?«

»Ich werde ihn wohl haben; aber ich lege offen gestanden keinen besonderen Wert darauf. Die Münze törichten Geburtsstolzes hat in einer Kaufmannsrepublik keinen hohen Kurs.«

»Für vernünftige Leute ist es allerdings etwas sehr Nichtiges; aber trotzdem können wir uns wohl eine Viertelstunde unterhalten, nicht um damit zu prunken, sondern um nachher darüber zu lachen.«

»Nun gewiß, gern!«

»Ich werde die Ehre haben. Ihnen morgen einen Besuch zu machen, und werde Ihnen meine Ahnenreihe mitbringen. Würde es Ihnen unlieb sein, darin die Wurzel Ihres Stammbaumes zu finden?«

»Im Gegenteil, es würde mir Vergnügen machen. Ich werde selber die Ehre haben, morgen bei Ihnen vorzusprechen. Dürfte ich Sie fragen, ob Sie zu Hause ein Geschäft haben?«

»Nein, ich bin bei den Finanzen angestellt und diene der französischen Regierung. Ich bin an Herrn Pels empfohlen.«

Herr Casanova winkte nun seiner Tochter und stellte sie mir vor. Sie war eng befreundet mit meiner reizenden Esther; ich setzte mich zwischen die beiden, und das Konzert begann.

Nach einer schönen Symphonie, einem Violin- und einem Oboen-Konzert erschien die viel gerühmte Italienerin, die man Madame Trenti nannte. Man stelle sich meine Überraschung vor, als ich Teresa Imer erkannte, die Frau des Tänzers Pompeati, deren der Leser sich wohl noch erinnert. Ich hatte sie vor achtzehn Jahren kennen gelernt, und damals hatte der alte Senator Malipiero mir Stockschläge gegeben, weil wir kindliche Spiele miteinander getrieben hatten. Im Jahre 1753 hatte ich sie in Venedig wiedergesehen, und damals hatten wir uns ein bißchen ernsthafter belustigt. Sie war dann nach Bayreuth gereist, wo sie die Maitresse des Markgrafen war. Ich hatte ihr versprochen, sie zu besuchen, aber C. C. und meine schöne Nonne M. M. hatten mir weder Zeit noch Lust dazu gelassen. Da ich bald nachher unter die Bleidächer kam, so hatte ich an andere Sachen zu denken gehabt, als an mein Versprechen.

Ich wußte mich zu beherrschen und ließ mir meine Überraschung nicht merken. Sie sang mit einer Engelsstimme eine Arie, die mit den Worten begann:

Ecoti giunta alfiu, donna infelice!
So bist du endlich da, unseliges Weib!

– Worte, die eigens für die Gelegenheit gemacht zu sein schienen.

Der Beifall wollte nicht enden. Esther erzählte mir, man wisse nicht, wer sie sei, aber man behaupte, sie habe eine berühmte Vergangenheit und befinde sich in sehr schlechten Umständen. »Sie bereist die holländischen Städte, singt in allen öffentlichen Konzerten und bekommt weiter nichts, als was die Zuhörer ihr auf den Teller legen, mit welchem sie zwischen den Sitzreihen herumgeht.«

»Findet sie ihre Einnahme leidlich?«

»Das bezweifle ich, denn alle haben schon das Eintrittsgeld bezahlt. Wenn sie dreißig oder vierzig Gulden einnimmt, so ist es viel, übermorgen wird sie im Haag sein, den Tag darauf in Rotterdam, darauf kehrt sie wieder hierher zurück. Seit mehr als sechs Monaten führt sie dieses Leben, und man hört sie stets wieder mit Vergnügen.«

»Hat sie einen Liebhaber?«

»Man behauptet, sie habe junge Leute in allen drei Städten; aber diese Geliebten bereichern sie nicht, sondern machen sie arm. Sie geht stets in schwarz, nicht nur weil sie Witwe ist, sondern auch wegen eines großen Kummers, den sie nach ihrer Behauptung gehabt hat. Sie werden sie bald durch die Reihen gehen sehen.«

Ich zog meine Börse und zählte in meinem Muff zwölf Dukaten ab, die ich in Papier wickelte. Dabei klopfte mir das Herz auf eine Weise, die lächerlich war; denn ich sah keinen Anlaß zu irgend welcher Aufregung.

Als Teresa an der Reihe vor der unserigen vorüberkam, heftete ich einen Augenblick meine Blicke auf sie und bemerkte, daß sie mich überrascht ansah. Ich wandte unauffällig den Kopf ab, um etwas zu Esther zu sagen. Als sie vor mir stand, legte ich ohne sie anzusehen mein Goldröllchen auf ihren Teller, und sie ging vorüber. Ein kleines Mädchen von vier bis fünf Jahren folgte ihr und kam, als sie am Ende der Reihe waren, zurück, um mir die Hand zu küssen. Ich konnte nicht verkennen, daß es mein Ebenbild war; aber ich verbarg das Gefühl, das ich empfand. Die Kleine stand unbeweglich vor mir und sah mich fest an. Ich war beinahe in Verlegenheit und fragte sie: »Willst du Zuckerplätzchen, mein schönes Kind?« Mit diesen Worten gab ich ihr meine Bonbonniere, die ich gerne hätte in Gold verwandeln mögen. Die Kleine nahm sie mit anmutigem Lächeln, machte mir einen Knix und ging.

»Wissen Sie auch, Herr Casanova,« sagte Esther lächelnd zu mir, »daß dieses Kind Ihnen ähnelt, wie ein Tropfen Wasser dem anderen?«

»Das ist wahr,« sagte nun auch Fräulein Casanova, »die Ähnlichkeit ist auffallend.«

»Der Zufall bringt oft ohne jeden Grund Ähnlichkeiten hervor.«

»Das ist möglich,« sagte Esther boshaft; »aber Sie erkennen doch die Tatsache als richtig an?«

»Ich bin selber überrascht gewesen, obgleich ich über die Ähnlichkeit nicht so gut urteilen kann wie Sie.«

Nach dem Konzert übergab ich Herrn d'O., der sich ebenfalls eingefunden hatte, seine Tochter und ging in meinen Gasthof. Ich wollte vor dem Schlafengehen noch eine Schüssel Austern essen, als plötzlich Teresa, ihre Kleine an der Hand haltend, vor mir stand. Obgleich ich ihren Besuch nicht am selben Abend erwartet hatte, war ich doch nicht überrascht, sie zu sehen. Natürlich stand ich auf, um sie willkommen zu heißen und zu umarmen, als sie plötzlich ohnmächtig auf ein Sofa sank. Ihre Ohnmacht konnte echt sein; jedenfalls tat ich, was die Umstände erheischten: ich brachte sie wieder zum Bewußtsein, indem ich sie mit frischem Wasser bespritzte und sie an Lucienwasser riechen ließ. Als sie wieder zu sich gekommen war, sah sie mich an, ohne ein Wort zu sprechen. Ihr Schweigen wurde mir unangenehm, und ich fragte sie, ob sie zu Nacht speisen wolle. Sie bejahte, ich klingelte und bestellte drei Gedecke und ein gutes Abendessen. Wir saßen bis sieben Uhr morgens bei Tische und erzählten uns unsere Glücks- und Unglücksfälle. Sie kannte meine letzten Abenteuer zum größten Teil; ich wußte von den ihrigen gar nichts, und sie brauchte fünf oder sechs Stunden, um sie mir zu erzählen.

Sophie, so hieß die Kleine, schlief bis zum Morgen fest in meinem Bette; ihre Mutter sparte den besten Bissen ihrer langen Geschichte bis zum Schluß auf: sie sagte mir, Sophie sei meine Tochter, und zeigte mir ihren Taufschein. Die Geburt des Kindes stimmte mit der Zeit, zu der ich mit Teresa Umgang gehabt hatte, und die vollkommene Ähnlichkeit konnte mir kaum einen Zweifel lassen. Ich machte daher durchaus keine Schwierigkeiten, sondern sagte der Mutter, ich sei überzeugt, daß Sophie mir ihr Leben verdanke; und da ich mich in der Lage befinde, ihr eine gute Erziehung geben zu lassen, so sei ich bereit, dafür zu sorgen und Vaterstelle bei ihr zu vertreten.

»Sie ist für mich ein zu kostbares Kleinod; ich müßte sterben, wenn ich mich von ihr trennen sollte.«

»Aber wenn ich mich der Kleinen annehme, sichere ich ihr ein glückliches Los.«

»Mein Sohn ist zwölf Jahre alt, lieber Freund; ich bin nicht in der Lage, ihm eine gute Erziehung zu geben; sorgen Sie für ihn anstatt für Sophie.«

»Wo ist er?«

»Er ist in Pension, oder vielmehr als Pfand in Rotterdam.«

»Wieso als Pfand?«

»Ja; denn man will ihn mir nicht herausgeben, wenn ich nicht dem, der ihn zu sich genommen hat, meine ganze Schuld bezahle.«

»Wieviel sind Sie schuldig?«

»Achtzig Gulden. Sie haben mir zweiundsiebzig gegeben; geben Sie mir noch vier Dukaten, so gehört mein Sohn Ihnen, und ich werde die glücklichste Mutter. Ich werde Ihnen meinen Sohn nächste Woche im Haag übergeben, wohin Sie ja kommen.«

»Gut, meine teure Teresa; und hier haben Sie zwanzig Dukaten statt vier.«

»Wir werden uns im Haag wiedersehen.«

Ihre Dankbarkeit hatte keine Grenzen, aber ich empfand für sie nur Teilnahme und Mitleid, und meine Sinne blieben trotz ihren lebhaften Umarmungen kalt. Als sie sah, daß ihre leidenschaftlichen Ergüsse an mir verloren waren, seufzte sie, vergoß Tränen, nahm ihre Tochter und verließ mich mit einem Lebewohl, worin Zärtlichkeit und Verdruß sich mischten. Nachdem sie noch einmal wiederholt hatte, daß sie mir bestimmt ihren Sohn im Haag übergeben würde, entfernte sie sich.

Teresa war zwei Jahre älter als ich; sie war noch hübsch, sogar schön; sie war blond, voller Geist und Talent; aber ihre Reize besaßen nicht mehr die erste Frische, und da ich für sie niemals etwas anderes empfunden hatte, als ein vorübergehendes Begehren, so war es nicht zu verwundern, daß sie keine Macht mehr über mich hatte. Ihre Erlebnisse während der sechs Jahre, seitdem ich sie zuletzt gesehen hatte, würden sicherlich meine Leser interessieren und würden eine meiner eigenen Geschichte würdige Episode bilden; ich würde sie gerne niederschreiben, wenn ich sicher wäre, mich der Umstände genau zu erinnern; aber da ich keinen Roman schreibe, so will ich, daß meine Schriften nur Wahres enthalten. Von dem verliebten und eifersüchtigen Markgrafen der Untreue überführt, war sie von ihm fortgeschickt worden. Sie hatte sich von ihrem Gatten Pompeati getrennt und war mit ihrem neuen Liebhaber nach Brüssel gegangen. Dort hatte Prinz Karl von Lothringen eine vorübergehende Laune für sie empfunden; durch ihn hatte sie ein eigentümliches Privilegium erhalten: er verschaffte ihr nämlich die Direktion aller Theater in den österreichischen Niederlanden. Dies war ein riesiges Unternehmen, das ihr ungeheure Kosten verursachte, so daß sie allmählich alle ihre Diamanten und Spitzen verkaufte und schließlich gezwungen war, nach Holland zu flüchten, um nicht ins Gefängnis zu kommen. Ihr Mann hatte sich in Wien in einem Wutanfalle infolge von Schmerzen in seinen Eingeweiden auf eine schreckliche Art das Leben genommen; er hatte sich mit einem Rasiermesser den Bauch aufgeschlitzt und sich selber die Eingeweide herausgerissen.

Die Geschäfte, die ich hatte, gestatteten mir nicht, mich zu Bett zu legen. Herr Casanova machte mir einen Besuch und lud mich zum Mittagessen ein; er bat mich, ihn auf der Börse abzuholen. Dieses ist für einen Fremden wirklich ein wunderbarer Ort. Es gibt dort viele Millionäre, die wie Knoten aussehen. Jemand, der nur hunderttausend Gulden besitzt, ist so arm, daß er nicht für eigene Rechnung Geschäfte zu machen wagt. Ich fand auf der Börse Herrn d'O., der mich für den nächsten Tag zum Mittagessen nach seinem Lusthäuschen an der Amstel einlud. Herr Casanova bewirtete mich fürstlich. Nachdem er meinen Stammbaum gelesen hatte, der mir in Neapel so große Vorteile verschaffte, holte er den seinigen, der sich als genau gleich erwies; aber er machte sich nichts daraus und lachte nur darüber, ganz im Gegensatz zu Don Antonio in Neapel, der so hohen Wert darauf legte, und mir dies in so freundschaftlicher Weise bewies. Indessen bot mir auch Herr Casanova seine Dienste an und bat mich, in allen Fragen, die den Handel beträfen, mich um Auskunft an ihn zu wenden, wenn ich es nötig haben sollte. Seine Tochter erschien mir hübsch, und sie war es in der Tat; aber weder die Reize ihrer Person noch die ihres Geistes machten Eindruck auf mich. Mich beschäftigte nur Esther, und ich sprach beim Essen so viel von ihr, daß ich meine Kusine zu der Bemerkung veranlaßte, sie sei nicht hübsch. O Weiber! was ihr durchaus nicht verzeiht, ist die Schönheit. Eine Frau, welche weiß, daß sie hübsch ist, triumphiert, wenn sie einen Mann zum Schweigen bringen kann, der ihr eine andere rühmt, die nach ihrer Meinung sich mit ihr nicht vergleichen läßt. Fräulein Casanova war Esthers Freundin; trotzdem konnte sie nicht vertragen, daß ich ihre Vollkommenheiten pries.

Nach dem Essen suchte ich wieder Herrn d'O. auf; er sagte mir, wenn ich ihm meine Obligationen mit fünfzehn Prozent geben wollte, würde er sie nehmen; ich würde dadurch die Kosten für Makler und Notar ersparen, und er würde einen günstigen Augenblick abwarten, um die Papiere wieder loszuschlagen. Da ich das Angebot vorteilhaft fand, schloß ich sofort ab; ich verkaufte ihm die Papiere unter Privatsiegel und nahm einen Wechsel an seine Ordre auf Tourton & Baur. Nach dem Hamburger Wechselkurs erhielt ich zweiundsiebzigtausend Franken, während ich für die Obligationen mit den fünfzehn Prozent nur neunundsechzigtausend erwartet hatte. Dieser Extragewinn machte mir die größte Ehre bei Frau von Urfé, die vielleicht eine so große Uneigennützigkeit von meiner Seite nicht erwartet hatte.

Am Abend fuhr ich mit Herrn Pels in einem Segelschlitten nach Zaandam. Ich fand diese Fahrt seltsam, aber wirklich köstlich. Der Wind war ziemlich stark und wir hatten fünfzehn englische Meilen in der Stunde machen können. Die Bewegung scheint so schnell wie die eines Pfeiles, der die Luft durchschneidet. Man kann sich kein bequemeres, solideres und gefahrloseres Fahrzeug denken. Niemand würde etwas dagegen haben, in einem solchen Segelschiff auf einem vollkommen glatten Eismeer eine Fahrt um die ganze Erde zu machen. Allerdings muß man den Wind von hinten haben, denn gegen den Wind oder mit Seitenwind kann man nicht segeln, da kein Steuerruder vorhanden ist. Ein großes Vergnügen und zugleich eine wirkliche Überraschung bereitete mir die Genauigkeit, womit die beiden Matrosen das Segel gerade im richtigen Augenblicke einzogen; denn der Schlitten lief noch eine weite Strecke fort und blieb genau am Ufer stehen. Hätte man das Segel eine Minute später heruntergelassen, so hätte der Schlitten am Ufer zerschellen können, so groß ist die Schnelligkeit der Bewegung. Wir aßen ausgezeichnete Barsche. Leider verhinderte der allzuheftige Wind uns, einen Spaziergang zu machen. Ich kam noch ein zweites Mal nach Zaandam; aber da dieser Ort allgemein bekannt ist als Zufluchtsstätte der holländischen Kaufleute, die, wenn sie Millionäre geworden sind, sich des Lebens auf ihre Art freuen wollen, so brauche ich nicht davon zu sprechen. Die Rückfahrt machten wir in einem schönen zweispännigen Schlitten, der Herrn Pels gehörte. Er behielt mich zum Abendessen bei sich, und ich verließ ihn erst um Mitternacht. Dieser Ehrenmann, dem Aufrichtigkeit und Freimut auf der Stirn geschrieben standen, sagte zu mir: da ich sein Freund und der des Herrn von O. geworden sei, so solle ich mich nicht der Gefahr aussetzen, mit meinem großen Geschäft in die Hände der Juden zu fallen, sondern solle mich rückhaltslos an sie beide wenden. Diese Mitteilung war mir angenehm; sie ebnete viele Schwierigkeiten für einen Neuling auf dem Gebiete der Finanzen. Man wird später sehen, welche Folgen daraus entstanden.

Am nächsten Morgen ging ich schon in der Frühe bei dichtem Schneegestöber zum Herrn von O. und fand Esther in einer entzückenden Stimmung. Sie empfing mich sehr gut und zog mich in Gegenwart ihres Vaters damit auf, daß ich die ganze Nacht mit Madame Trenti verbracht hätte.

Vielleicht hätte dies mich ein bißchen verlegen gemacht; aber ihr Vater sagte ihr, es sei nichts dabei, worüber man sich zu schämen hätte; denn nichts hindere einen Ehrenmann, das Talent zu lieben.

Hierauf wandte er sich an mich: »Sagen Sie mir, bitte, Herr Casanova, wer ist diese Frau?«

»Sie ist eine Venetianerin, deren Mann sich vor kurzer Zeit das Leben genommen hat; wir kannten uns schon als Kinder, aber seit sechs Jahren hatte ich sie nicht mehr gesehen.«

»Sie sind gewiß angenehm überrascht gewesen, als Sie so unvermutet Ihre Tochter sahen?« fragte Esther mich.

»Warum soll denn dies Kind meine Tochter sein? Madame Trenti hatte damals ihren Mann.«

»O! die Ähnlichkeit ist zu auffallend! Außerdem sind Sie ja gestern Abend bei Herrn Pels eingeschlafen.«

»Mein Einschlafen war sehr natürlich; denn ich hatte eine schlaflose Nacht verbracht.«

»Ich beneide jeden, der sich einen süßen Schlaf zu verschaffen weiß; denn seit längerer Zeit wird ein solcher mir erst zu teil, nachdem ich stundenlang vergeblich auf ihn gewartet habe; und auch dann ist er mir nicht willkommen, denn beim Erwachen finde ich meinen Geist nicht freier, sondern fühle mich betäubt und von der Unlust bedrückt, die eine Folge der Ermüdung ist.«

»Versuchen Sie einmal, Fräulein, sich eine Nacht hindurch die lange Geschichte von jemand, der Sie interessiert, und zwar aus seinem eigenen Munde, erzählen zu lassen, und ich verspreche Ihnen, Sie werden die nächste Nacht mit Vergnügen einschlafen.«

»Dieser Jemand existiert nicht.«

»Ja, weil Sie erst vierzehn Lenze zählen; später wird dieser Jemand vorhanden sein.«

»Vielleicht; aber jetzt, glaube ich, brauche ich Bücher und den Beistand von jemand, der meine Wahl leiten könnte.«

»Dies wäre nicht schwierig für jemand, der Ihren Geschmack kennt.«

»Ich liebe Geschichte und Reiseschilderungen; aber wenn ein Buch mir gefallen soll, so muß ich sicher sein, daß keine Fabelei darin ist; denn beim geringsten Zweifel in dieser Hinsicht werfe ich das Buch fort.«

»Nun, so glaube ich, Ihnen meine Dienste anbieten zu können; und wenn Sie diese freundlich annehmen wollen, so hoffe ich, Ihren Geschmack zu treffen.«

»Ich nehme Ihr Anerbieten an; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich es niemals verzeihe, wenn man mir nicht Wort hält.«

»So etwas brauchen Sie nicht zu befürchten; ich werde Ihnen vor meiner Rückkehr nach dem Haag bewiesen haben, daß ich halte, was ich verspreche.«

Sie machte noch einige Scherze über das Vergnügen, das mir im Haag bevorstände, wo ich Madame Trenti wiedersehen würde. Ihre Offenheit und Fröhlichkeit und ihre außerordentliche Schönheit entflammten mich, und Herr d'O. lachte herzlich über den Krieg, den seine reizende Tochter gegen mich führte. Um elf Uhr bestiegen wir einen sehr bequemen und eleganten Schlitten und fuhren nach dem Lusthäuschen. Sie sagte mir, ich würde dort Fräulein Casanova mit ihrem Bräutigam finden.

»Nichts,« erwiderte ich ihr, »kann mich so sehr interessieren wie Sie.« – Sie antwortete mir nicht, aber ich konnte leicht merken, daß meine Versicherung ihr angenehm war.

Das Brautpaar kam uns trotz dem Schnee auf der Straße entgegen. Wir stiegen aus, legten unsere Pelze ab und betraten einen Salon. Ich sah den Bräutigam an; dieser musterte mich einen Augenblick und sagte dann Fräulein Casanova etwas ins Ohr. Diese lächelte und flüsterte Esther etwas zu. Esther aber ging zu ihrem Vater und sagte leise etwas zu ihm. Plötzlich lachten alle. Ich war überzeugt, daß es sich um mich handelte; aber ich spielte den Gleichgültigen, ich durfte mich durch ihr Lachen nicht verlegen machen lassen, und die Höflichkeit verlangte von mir, sie anzureden.

»Man kann sich auch irren,« sagte Herr d'O.; »es ist sogar notwendig, die Sache aufzuklären. – Herr Casanova, ist Ihnen auf Ihrer Reise vom Haag nach Amsterdam nicht etwas Merkwürdiges begegnet?«

Bei diesen Worten werfe ich meinen Blick auf den Bräutigam und errate, worum es sich handelt.

»Nichts Merkwürdiges weiter als ein Zusammentreffen mit einem netten Herrn, der gerne mein Wägelchen im Graben sehen wollte, und den ich jetzt hier zu sehen glaube.«

Bei diesen Worten verdoppelte sich das Lachen, und wir umarmten uns; nachdem er aber unser Zusammentreffen getreulich geschildert hatte, nahm seine Geliebte eine etwas zornige Miene an und sagte ihm, er hätte sich schlagen müssen. Esther war vernünftiger als sie und sagte, ihr Freund habe mehr Tapferkeit bewiesen, indem er Vernunft angenommen habe. Herr d'O. trat mit aller Entschiedenheit der Meinung seiner Tochter bei; die kriegerische Geliebte aber brüstete sich mit allerlei romantischen Ideen und fing an, mit ihrem Bräutigam zu schmollen. Infolgedessen eröffnete ich einen Krieg gegen sie, an welchem Esther viel Vergnügen fand.

Um die frohe Stimmung wieder herzustellen, rief die reizende Esther lustig: »Vorwärts, hinaus! Legen wir unsere Schlittschuhe an und schnell hinaus auf die Amstel; denn ich fürchte, das Eis wird schmelzen.«

Ich schämte mich, sie zu bitten, sie mögen mir dies erlassen, obwohl ich es sehr gerne getan hätte; aber was vermag nicht die Liebe! Herr d'O. verließ uns. Der Bräutigam des Fräulein Casanova schnallte mir Schlittschuhe an. Die Damen trugen kurze Röcke und zum Schutz gegen gewisse Unfälle schwarze Samthosen. Wir gingen nach dem Fluß hinunter, und da ich ein völliger Neuling war, so kann der Leser sich wohl vorstellen, welche Figur ich spielte. Da ich trotz meiner Ungeschicklichkeit durchaus weiter laufen wollte, so fiel ich zwanzigmal auf den Rücken und war in Gefahr, mir das Kreuz zu brechen. Ich hätte es aufgeben sollen; aber davon hielt die Scham mich ab, und ich hörte erst auf, als man zu meiner großen Freude uns zum Essen rief. Ich mußte das Vergnügen teuer bezahlen; denn als wir vom Tisch aufstehen wollten, war ich wie gelähmt an allen Gliedern. Esther bedauerte mich und sagte mir, sie würde mich wieder heilen. Sie lachten sehr, und ich ließ sie lachen, denn ich merkte, daß die ganze Schlittschuhpartie nur unternommen worden war, um auf meine Kosten zu lachen. Ich wollte Esther in mich verliebt machen, und deshalb spielte ich den Liebenswürdigen; denn ich war überzeugt, daß meine Gefälligkeit mich sicher zum Ziel führen würde. Den Nachmittag verbrachte ich mit Herrn d'O., während die jungen Leute bis zum Dunkelwerden allein auf der Amstel Schlittschuh liefen.

Wir sprachen von meinen zwanzig Millionen, und ich erfuhr, daß ich sie nur bei einer Gesellschaft von Kaufleuten würde diskontieren können, die mir dafür andere Papiere in Tausch geben würden, und daß ich selbst bei dieser Operation gewärtig sein müßte, starke Verluste zu erleiden. Als ich ihm sagte, ich würde das Geschäft gerne mit der Indischen Kompagnie von Gotenburg abschließen, sagte er mir, er wolle mit einem Makler darüber sprechen und Herr Pels könne mir dabei sehr nützlich sein.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, glaubte ich dem Tode nahe zu sein. Ich litt ein wahres Martyrium. Es kam mir vor, wie wenn der untere Teil des Rückgrates, das sogenannte Os sacurum, in Stücke zerbrochen sei, obwohl ich beinahe einen ganzen Topf Pomade, welche Esther mir zu dem Zweck gegeben hatte, zu Einreibungen verbraucht hatte. Trotz meinen Schmerzen hatte ich jedoch nicht das Versprechen vergessen, das ich ihr gegeben hatte. Ich ließ mich zu einem Buchhändler tragen und kaufte alle Bücher, von denen ich glaubte, daß sie sie unterhalten könnten. Ich schickte sie ihr, mit der Bitte, mir diejenigen, die sie vielleicht schon gelesen hätte, wieder zurückzusenden. Sie tat dies sofort und ließ mir mit vielem Dank sagen: wenn ich ein schönes Geschenk haben wolle, möchte ich sie vor meiner Abreise noch einmal besuchen, um sie zu umarmen.

Es wäre unnatürlich gewesen, einer solchen Einladung nicht zu folgen. Ich besuchte sie daher in aller Frühe und ließ meine Postkutsche vor ihrer Tür warten.

Ihre Gouvernante führte mich an ihr Bett, worin sie lachend und schön wie eine Venus lag. »Ich bin überzeugt,« sagte sie zu mir, »Sie wären nicht gekommen, wenn ich Ihnen nicht hätte sagen lassen, Sie möchten mich umarmen.« Kaum hatte sie dies gesagt, so preßte ich meine Lippen auf ihren Mund, auf ihre Augen und auf alle Züge ihres schönen Gesichtes. Als sie sah, daß während dieses süßen Liebesspiels meine Blicke auf ihren Busen fielen, erriet sie, daß ich den Versuch machen würde, mich desselben zu bemächtigen. Sofort hörte sie auf zu lachen, setzte sich zur Wehre und sagte boshaft zu mir: »Gehen Sie doch! Gehen Sie nach dem Haag und amüsieren Sie sich mit der schönen Trenti, die ein so hübsches Pfand Ihrer Zärtlichkeit besitzt.«

»Teure Esther, ich reise nach dem Haag nur, um mit dem Gesandten über Geschäfte zu sprechen; spätestens in sechs Tagen werden Sie mich wiedersehen, und dann wird es mein einziges Bestreben sein, Ihnen meine Liebe zu beweisen und Ihnen zu gefallen.«

»Ich rechne auf Ihr Wort; täuschen Sie mich nicht!«

Sie reichte mir ihren Mund und gab mir einen so feurigen und süßen Abschiedskuß, daß ich mit der Gewißheit abreiste, ich würde nach meiner Rückkehr glücklich sein.

Am Abend kam ich um die Stunde des Essens bei Boas an.


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