Clemens von Brentano
Italienische Märchen
Clemens von Brentano

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Das Märchen von dem Baron von Hüpfenstich

In dem ehrlichen Lande regierte der König Haltewort, ein sehr guter, aber noch viel strengerer Herr, dann und wann auch sehr grob. Er hatte sehr viel zu tun, denn er hielt Wort, und seine Vorfahren waren so vielversprechende Herrn gewesen, daß er alle Hände voll hatte, für sie Wort zu halten, besonders da einer manchmal das Gegenteil vom andern versprochen hatte. Aber das machte ihn nicht irr. Er hielt immer recht wacker zu Wort. Sonst kümmerte er sich um nichts und war gar nicht neugierig; denn er fürchtete immer, er möchte ein neues Versprechen erfahren, das er halten müsse, und das wäre ihm fatal gewesen. Er lebte sehr friedlich in seinem Lande und hatte mit allen Königen der Welt einen Frieden geschlossen, welcher in den Worten bestand: Tue mir nichts, ich tue dir auch nichts.

Dieser gute König hatte eine Tochter, die sehr neugierig war und überall mit ihrem Näschen vornedran sein mußte. Sie war so neugierig gewesen zu wissen, wie es auf der Welt aussähe, daß ihre Mutter ihr noch gar die Wiege nicht zurechtgemacht hatte, als das Kind schon vom Himmel herab der Frau Mutter entgegenhüpfte, worüber die gute Königin, die gern alles in der Ordnung hatte, vor Schrecken starb, indem sie ihr Töchterlein ans Herz drückte und sprach: »Mein Kind will wissen, wie es auf der Welt aussieht, drum muß ich sehen, wie es im Himmel aussieht. Möge die Woche, um die du mir zu früh gekommen bist, dir einstens treue Dienste leisten.« Nach diesen Worten starb die Königin, und die umstehenden Frauen zeigten dem herbeigerufenen König Haltewort den Tod der Königin und die Geburt seiner Tochter an.

Der König fragte vor allem: »Wie lauteten die letzten Worte meiner Gemahlin, damit ich sie ihr halten kann, da sie selbst gestorben ist.« Da sagte die älteste Hofdame: »Sie sprach: Mein Kind will wissen« – »So soll die Prinzessin heißen«, sagte der König; »sie soll Prinzeß Willwischen heißen, weil die sterbende Mutter sie so angeredet.« – Nun ließ er sich noch die übrigen Worte der Verstorbenen sagen; aber da war nichts bei zu halten, nur daß die Woche, um die sie zu früh gekommen, ihr große Dienste leisten solle; das konnte er nicht recht begreifen und nahm sich vor, viel darüber nachdenken zu lassen.

Nun ließ er die gute Königin ins Grab und das Kind Willwischen in die Wiege legen.

Eine große Sorge hatte der gute König jetzt, die plagte ihn sehr: er hatte seiner Gemahlin versprochen, er wolle, wenn sie vor dem Kinde sterbe, Mutterstelle an ihm vertreten. Wie er das machen sollte, wenn er Wort halten wollte, wußte er nun gar nicht, er ließ auch darüber stark nachdenken. Und sieh da! nach einer halben Stunde kam der Hofnachdenker herein und sprach: »Ihro Majestät! haben Sie etwas heraus?« Der König sagte: »Haben Sie etwas?« Der Nachdenker sagte: »Ihro Majestät, ich habe nichts heraus«, und der König sagte: »Ich habe auch nichts.« Da sagte der Nachdenker: »Da haben wir also alle beide nichts heraus«, und nun gingen sie wieder frisch ans Nachdenken.

Nach einigen Stunden kamen sie ebenso zusammen und gingen ebenso auseinander. Nun hätten die Hofdamen dem Kind Willwischen gern eine Amme gegeben; aber Haltewort gab es nicht zu und sagte, er wolle schon Wort halten und selbst Mutterstelle vertreten.

Zur größten Verwunderung schien das Kind Willwischen gar keine Nahrung zu bedürfen, es ward dick und gesund, und der König glaubte, daß es bloß von seinem Nachdenken lebe. Endlich fiel es ihm einmal in der Nacht ein, daß eine gute Mutter manchmal nachts nach dem Kinde sehen müsse; das ließ er sich nicht zweimal einfallen, sondern sprang gleich beim ersten Mal mit gleichen Beinen aus dem Bett und ging in die Nebenstube, wo die Wiege stand.

Ganz sachte, sachte machte er die Türe auf; aber welche Wunder sah er da! Eine ziemlich alte Frau hatte das Kind Willwischen an der Brust, und sieben andere Wickelkinder lagen vor ihr hübsch eingefatscht wie sieben Backfische in einer Reihe an der Erde. »Ei! das ist keine Kunst«, schrie der König, »wenn Ihr dem Kinde zu trinken gebt; aber es geht platterdings nicht an, ich habe versprochen, Mutterstelle zu vertreten, und darum dürft Ihrs nicht, also marsch fort! Nehmt Eure sieben Backfische nur in der Schürze mit, und laßt Euch nicht mehr hier sehen.« – »Gebt mir meinen Wochenlohn«, sagte die Frau und gab dem Willwischen frische Windeln und legte es in die Wiege; da gab ihr der König seine Traumbörse; denn er nahm immer einen Beutel voll Geld mit ins Bett, um, wenn ihm in der Nacht jemand im Traum vorkam, dem er bei Tag Geld versprochen hatte, Wort halten zu können.

Nun sagte die Frau zum König: »Haltewort! ich verlasse dein Kind, jetzt ist ohnedies meine Zeit aus, es ist gleich zwölf Uhr, und die neue Woche geht an; aber weil du mir meinen Wochenlohn so ehrlich gezahlt hast, so will ich dir auch sagen, wie du an dem Kind Mutterstelle vertreten kannst. Du mußt mir aber versprechen, dem ersten Verbrecher, der dich beleidigt, und sollte er dich auch bis aufs Blut stechen, zu verzeihen und ihn mit dem Besten, was du hast, zu ernähren.« – »Bis aufs Blut stechen!« sagte der König; »das ist ein starkes Stück; aber ich verspreche es dir aus mütterlicher Liebe.« – »Wohlan!« sagte die Frau, »so ernähre den Verbrecher, und du wirst dein Kind ernähren«, und verschwand.

Der König aber fühlte einen Stich in dem Arm und erwachte; da sah er, daß ihm nur geträumt hatte, denn er lag ganz breit in seinem Bette. Der heftige Stich, den er am linken Arm fühlte, machte, daß er dahin faßte, und was ergriff er da? Einen sehr großen Floh. Erzürnt rieb der König ihn zwischen den Fingern und wollte ihn soeben mit dem Nagel totknicken, als ihm sein Versprechen, das er der Frau im Traum gegeben, einfiel; er wolle dem Verbrecher nicht allein verzeihen, sondern ihn sogar mit seinem Besten ernähren. Er setzte daher den Floh in ein leeres Medizinglas gefangen und sprach: »Dir soll verziehen sein und du sollst mein Blut trinken.« – Dieses tat er besonders, weil er seine Traumbörse nicht mehr fand, und also gewiß glaubte, er habe sie der Frau gegeben, und es müßte doch mehr als ein leeres Traumgebild sein.

Er dachte einige Stunden lang über diese Sache nach und betrachtete den Verbrecher in dem Arzneiglas; der schien zu schlafen. Er schüttelte das Glas, da wurde der Floh wach, und das Kind Willwischen weinte in der Nebenstube. Er wiegte das Arzneiglas, da hörte er auch die Wiege des Kindes sich bewegen, und Floh und Kind schliefen ein, und Haltewort auch. Morgens weinte das Kind wieder, und der Floh war sehr unruhig im Glase, der König setzte den Floh auf seinen Arm und ließ ihn sein Blut trinken, da ward auch das Kind Willwischen still.

Genug, der König merkte, daß alles, was er dem Floh tat, der Prinzessin auch geschah, und deswegen ließ er dem Floh nichts abgehen, und auch das Kind Willwischen ward groß und stark. Der Verbrecher im Arzneiglas aber ward bald so dick und fett, daß er keinen Platz mehr in dem Glase hatte und in eine große Flasche mußte gesetzt werden. Der König tat alles dieses sehr insgeheim, und niemand hatte den Floh bis jetzt gesehen. Bald war auch die Flasche nicht mehr groß genug, und der König setzte ihn in seinen Stiefel; aber nun wurde es dem König unmöglich, ihn länger zu ernähren, denn er wurde selbst ganz krank und mager darüber. Er fing daher an, das Kind Willwischen mit Mehlbrei zu füttern, und gab dem Floh Ochsenblut.

Und so wuchs die Prinzessin und der Floh heran, ohne sich persönlich zu kennen; der Floh war schon so groß geworden wie ein Rind, und Willwischen sechzehn Jahre alt, als ein unglücklicher Zufall sie bekannt machte.

Willwischen war ganz erstaunlich neugierig und guckte durch alle Schlüssellöcher. Nun hätte sie längst gern gewußt, was der König nur immer in seiner Schlafkammer verborgen habe; denn nie wollte er sie hineinlassen, und doch hörte sie oft ein gewaltiges Geschnurre und Geklapper darin, als wenn ein Geißbock darin herumspränge. Die Neugier ließ sie nun gar nicht mehr ruhen, und so lauschte sie einstens in der Nacht an der Tür des Königs, der folgendes Gespräch mit dem Floh hielt, von dem sie aber nicht wußte, daß es ein Floh war. Der König sprach: »Sag mir einmal, du Bengel! was soll ich nun mit dir anfangen? Du wächst mir über den Kopf und machst mir die Stube fast zu eng.« Da antwortete der Floh: »Bester König! ich kann es auch gar nicht mehr vor Langerweile hier aushalten; ich dächte, du gäbst mir eine hübsche Livree und machtest mich zum Edelknaben bei meiner Schwester Willwischen.« – »Schwester? Wie meinst du das? Unterstehst du dich, die Prinzessin deine Schwester zu nennen?« sagte der König; und der Floh sprach hierauf: »Bin ich etwa nicht von königlichem Geblüt?« – »Gewissermaßen wohl«, erwiderte der König, »aber ich verbitte mir, davon zu sprechen.« – »Was braucht es vieler Worte?« sagte der Floh; »ich verlange standesmäßigen Unterhalt; ich mag nicht länger unter Euerm Bett neben alten Pantoffeln schlafen, es liegt ein juchtenledernes Felleisen da unten, dessen Geruch mir schrecklich zuwider ist; ich sage dir, König, läßt du mich nicht zu Willwischen, so steche ich mich selbst tot.« – »Gut«, sagte der König, »es soll geschehen. Jetzt schlaf wohl, mein Herr von Hüpfenstich!« – »Ich danke für den Titel, Herr König Haltewort! Schlafet wohl!« sprach der Floh.

Nun ward es still in des Königs Kammer, und Willwischen legte sich zu Bett; aber schlafen konnte sie nicht; die Neugier, wer ihr Bruder gewissermaßen sei, wer ihr Edelknabe werden wolle, ließ sie nicht ruhen.

Am andern Morgen ward der Hofschneider zum König gerufen. Als er herauskam, rief ihm die Prinzessin: »Heda, Herr Höllenfleckel! was hat der König bestellt?« Der Schneider sagte: »Einen vollständigen Anzug für Herrn von Hüpfenstich, Ihre königliche Hoheit.« – »Wer ist Herr von Hüpfenstich?« sagte die Prinzessin. »Ach, ein sehr munterer Herr«, sagte der Schneider, »ich habe ihm über Tisch und Bett nachspringen müssen, als ich ihm das Maß nahm; aber die Arbeit pressiert, untertänigster Diener!« und so lief er fort. Nun kam der Schuster aus des Königs Zimmer. »Heda, Herr Schlappenpech!« rief Willwischen, »was hat der König bestellt?« – »Tanzschuhe und Sammetstiefel für den Herrn von Hüpfenstich«, sagte er. »Wer ist das?« sagte sie. »Ei! ein Herr von ungemeiner Leichtfüßigkeit, ich mußte ihm über Tisch und Bänke nachsetzen, ihm das Maß zu nehmen; aber die Arbeit pressiert, gehorsamer Diener!« sagte der Schuster.

Nun kam der Perückenmacher heraus, und mit dem ging es ebenso. Endlich kam der König und fand Willwischen ganz betrübt in der Ecke des Saales sitzen. »Was fehlt dir, mein Kind Willwischen?« sagte er. »Ei, ich habe einen kuriosen Traum gehabt«, sagte sie »und den mußt du mir erfüllen, Vater! sonst werde ich krank.« – »Wenns möglich ist, soll es geschehen«, sagte der König, und Willwischen sagte nun, sie habe geträumt, daß sie einen sehr schönen und flinken Edelknaben gehabt, und der habe ihr unendliche Freude gemacht mit seiner großen Leichtigkeit und Geschicklichkeit; aber sie habe gar nicht erfahren können, wo er her sei, und nun solle ihr der König sagen, wo der Edelknabe her sei.

Der König sprach: »Einen Edelknaben, der leicht und geschickt ist, sollst du haben, wo er aber her ist, muß er dir selbst sagen, ich weiß es nicht. Morgen soll er dir beim Frühstück zuerst aufwarten.«

Die Prinzessin mußte sich gedulden. Als der Schneider am anderen Morgen die braunsamtene Uniform mit goldenen Tressen brachte, betrachtete sie Willwischen sehr neugierig, so auch die roten Saffianstiefel, die der Schuster brachte, und die schöne braune Perücke und alles, was in des Königs Stube getragen wurde.

Endlich ging die Türe auf, der König trat heraus, und neben ihm stand ein sehr kurioser Kerl, der große Floh, Herr von Hüpfenstich, in einem braunsamtenen Husarenhabit, mit roten Stiefeln, einer schwarzen Bärenmütze und einer großen Allongeperücke; er hatte eine Tasse Chokolade auf einem goldenen Präsentierteller in der Hand, und schien sich eine entsetzliche Gewalt anzutun und sich gewaltig zurückzuhalten. Er war so auf dem Sprung wie ein gespannter Hahn an einer Flinte, wenn der Finger des Schützen am Drücker liegt; er stand da wie ein Aderlaßschnepper über der Ader. Die Prinzessin saß am andern Ende des Saals und stand auf, um dem König guten Morgen zu sagen. Dieser blieb aber in der Entfernung stehen und sprach: »Willwischen! hier bringt dir der Herr von Hüpfenstich, dein neuer Edelknabe, eine Tasse Chokolade; ich hoffe, er wird seine Sache gut machen und dir gefallen.«

Willwischen verneigte sich und streckte die Augen vor Neugier wie eine Schnecke heraus. »Ihro Majestät haben zu befehlen«, sprach sie. Da sagte der König zu dem braunen Husaren: »Nun, Hüpfenstich! lasse Er sehen, wie Er eine Prinzessin zu bedienen weiß.« Kaum hatte der König diese Worte halb ausgesprochen, als der Hüpfenstich mit seiner Chokolade einen Bogensprung durch den langen Saal machte und vor der Prinzessin mit seinem Präsentierteller auf den Knieen lag. Die Prinzessin war so darüber erschrocken, daß sie mit einem Schrei in Ohnmacht fiel. Herr von Hüpfenstich wußte aber so, was er zu tun hatte, daß der König kaum am andern Ende des Saales angekommen war, um ihm ein paar Ohrfeigen zu geben, als er die Prinzessin auch schon durch einen Aderlaß am Arm wieder zu sich zu bringen suchte.

Der König geriet über diese Aufmerksamkeit in das größte Vergnügen, und als Willwischen die Augen aufschlug, drehte Herr von Hüpfenstich bereits den Quirl in der Chokoladekanne so geschwind, daß sie die Schaumchokolade mit großem Appetit genoß und sich bald erholte.

Alles dieses ging so geschwind und plötzlich vor, daß einem Hören und Sehen dabei verging; aber der König ernannte ihn sogleich zum geheimen Geschwindigkeitsrat und gab ihm den schnellen Katharinenorden. Zugleich ließ er ihm die Stiefel so schwer mit Gold beschlagen, daß er nicht mehr so entsetzlich springen konnte, und so ging es eine Zeitlang recht gut.

Willwischen konnte ohne Hüpfenstich nicht mehr leben; allen Hofdamen mußte er zur Ader lassen; alle schnellen Geschäfte mußte er ausführen. Besonders schön wußte er hinten auf den Wagen zu springen, und auf der Hasenhetze war er allen Hunden voraus. Kurz, er war so angenehm, daß alles die Finger nach ihm leckte. Es ist nicht zu wundern, daß er durch diese große Begünstigung endlich sehr frech und sehr hoffärtig ward, viele ehrliche Leute quälte und plagte er, so daß alle die, welche sich zurückgesetzt sahen, nur auf eine Gelegenheit harrten, ihn aus der Gnade des Königs und womöglich ins höchste Verderben zu bringen.

Als ihm der König einstens mit Übergehung vieler verdienter Offiziere ein Husarenregiment gab, wurde der Unwillen auf das höchste gereizt, und die zurückgesetzten Offiziere machten eine förmliche Verschwörung gegen ihn. Einer unter ihnen, der Rittmeister Zwickelwichs, nahm das Geschäft auf sich, den Hüpfenstich ins Unglück zu stürzen. Er schmeichelte sich bei ihm ein, und wurde endlich sein vertrauter Freund und lobte seinen Eigenschaften so, daß Hüpfenstich vor Hoffart fast zum Narren ward; endlich setzte er ihm in den Kopf, er solle bei dem König die Prinzessin Willwischen zur Gemahlin begehren. Der Prinzessin aber ließ er durch ihre Kammerfrau die größte Neugier erregen, wer Hüpfenstich doch wohl eigentlich sei.

Hüpfenstich ward der Kopf bald so verdreht, daß er einstens den König nach der Parade beiseite zog und ihm sagte: »Ihro Majestät sind von meinen Verdiensten so überzeugt, daß Sie mir nicht abschlagen werden, der Gemahl Ihrer Tochter Willwischen zu werden.« Der König sprach hierauf zu ihm sehr erzürnt: »Hopp! hopp! Herr von Hüpfenstich, weiß Er, wer Er ist? Wenn Er es nicht weiß, will ich es Ihn lehren«, und somit drehte er ihm den Rücken. Hüpfenstich schüttelte es durch Mark und Bein, als er dies gehört hatte; es war ihm nur einmal so gewesen in seinem Leben, nämlich als ihn der König, da er ihn als gemeiner Floh zum ersten Mal in den Arm stach, zwischen den Fingern rieb.

Finster und ahnungsvoll führte er sein Regiment unter Willwischens Fenster vorbei; aber er ließ nicht ihr Lieblingsstückchen blasen, er ließ sein Pferdchen nicht tanzen. Die Prinzessin konnte gar nicht begreifen, warum er diese gewöhnliche Artigkeit unterlassen habe. »Ach!« dachte sie, »er muß wohl etwas sehr Vornehmes sein, daß er so stolz gegen mich tut; o, wenn ich nur wüßte, wer er eigentlich ist!«

Der Rittmeister Zwickelwichs hatte wohl gesehen, wie der König den Hüpfenstich angefahren hatte, und suchte ihn nun auf, um ihn zu trösten. Er fand ihn in der Reitbahn, wo er aus Zorn und Ärger ganz verzweifelte Sätze machte. Als er ein wenig ruhig geworden, sagte der Zwickelwichs zu ihm: »Teurer Freund und Kamerad! du bist schrecklich gekränkt; das kannst du nicht auf dir sitzen lassen, ich will dir einen Vorschlag tun, der dich rächt und glücklich macht. Du weißt, es ist das benachbarte Königreich jetzt in der Gewalt des Königs Allmeinius, er respektiert den Frieden: Tue mir nichts, ich tue dir auch nichts, gar nicht und zieht bereits seine Strickreiter zusammen, uns den Krieg anzukünden; er hat mir herübersagen lassen, wenn Ihr mit dem Husarenregiment zu ihm kommen wolltet, wolle er Euch zum Statthalter des ehrlichen Landes machen, sobald er den König Haltewort gefangen habe. Wie wärs, wenn Ihr das Willwischen hinter Euch auf den Sattel nähmt und über die Grenze rittet, und wir ritten alle hintendrein?« Dem übermütigen, zornigen Hüpfenstich gefiel diese Verräterei sehr gut, und er sagte zu dem Zwickelwichs: »Ich will die Prinzessin schon hinwegbringen, komme du mir nur mit den Husaren nach.«

Als alles dies verabredet war, ging Hüpfenstich zu der Prinzessin; sie war sehr verdrießlich und fragte, warum er nicht ihr Leibstückchen habe blasen lassen bei der Parade. Hüpfenstich sagte: »Ach, Ihro königliche Hoheit! es ist heute der Sterbetag meiner erhabenen Eltern; verzeihen Sie, daß mir die Trauer nicht erlaubte, die Trompete blasen zu lassen.« – »Aber«, sagte die Prinzessin, »wer sind denn Eure Eltern? Ihr wollt mir sie nie nennen.« – »Hier darf ichs nicht«, erwiderte Hüpfenstich; »ach! ich bin sehr unglücklich; wenn ich Euch hier sage, wer ich bin, so muß ich sterben.« – »Das ist außerordentlich kurios«, sagte Willwischen, »aber ich muß und will es wissen, teurer Freund! Giebt es denn gar kein Mittel, mir es zu sagen?« – »Eines, teure Prinzessin! Wenn Ihr heute abend im Mondschein wollt am Ende des Schloßgartens spazieren gehen, da werde ich es wagen, ganz unbelauscht Euch das wunderbare Geheimnis zu vertrauen.« – Die Prinzessin willigte ein, sie kam gegen Abend an das Ende des Schloßgartens, da war Hüpfenstich; aber er sagte der Prinzessin nichts, er schwang sie auf den Rücken und machte so ungeheure Sprünge mit ihr bis in das Land des Königs Allmein.

Als er über die Grenze war, setzte er die weinende Prinzessin in einem Walde in das Gras und sagte ihr: »Willwischen! weine dich nur aus, ich habe dich entführt; meine Husaren kommen auch nach, und wenn mich der König Allmein zum Statthalter des ehrlichen Landes macht, so wirst du meine Gemahlin, und dann sage ich dir, wer ich bin. Jetzt muß ich mich hier in dem Bache baden und mich dann recht putzen, damit ich hübsch sauber vor den König Allmeinius treten kann.« Nach diesen Worten machte er einen Sprung über einige Hecken hinweg, hinter welchen ein Bach lief, um sich dort zu baden.

Willwischen war so verwirrt und betrübt und ermüdet, daß sie einschlief. Aber auf einmal hörte sie Trompeten blasen und sah, als sie erwachte, das Husarenregiment über die Wiese angesprengt kommen. Sie erhob sich und warf sich auf die Kniee und bat um Hülfe. Aber es war gar nicht nötig; denn der Zwickelwichs hatte alles gleich dem König Haltewort gesagt, und die Husaren kamen nach, um den Hüpfenstich gefangenzunehmen. Sie eilten gleich ans Wasser, und Hüpfenstich, der bemerkte, daß er verraten war, wollte fortspringen; aber er konnte nicht, weil er ganz naß war. Sie banden ihm also Hände und Füße und legten ihn quer über ein Pferd, setzten die Prinzessin in einen Wagen und kehrten nach der Hauptstadt zurück. Der König hatte dort schon einen hohen Galgen aufrichten lassen, und es ward nun überlegt, mit welchem Tod der Verbrecher gestraft werden sollte. Endlich fällte der König das Urteil, es solle ihm erst die Uniform und dann die Haut abgezogen werden. Dies geschah. Als man ihm die Uniform abgezogen hatte, sagte die Prinzessin: »Hüpfenstich! wenn du mir sagst, wer du bist, so will ich meinen Vater um Pardon bitten.« Hüpfenstich schüttelte mit dem Kopf. Da ward ihm die Haut abgezogen, und die Prinzessin sagte wieder: »Hüpfenstich! sage, wer du bist, so will ich meinen Vater um Pardon bitten.« Aber Hüpfenstich schüttelte nicht mit dem Kopf, sondern – er war nicht mehr da; kein Mensch wußte, wo er hingekommen war.

Man verwunderte sich sehr darüber; aber was war zu tun? Man mußte sich mit der Haut begnügen; die ward an den Galgen aufgehängt, und der Platz ward niemals leer von Menschen, welche die wunderliche Haut des Husarenobristen von Hüpfenstich ansahen. Sie hatte so viele Beine und Borsten und Schnurrbärte und einen so schrecklichen Zopf; kein Mensch konnte herausbringen, was er doch wohl immer für ein Tier mochte gewesen sein. Willwischen starb schier vor Neugierde, zu erfahren, wer er wohl möge gewesen sein, und quälte ihren Vater Tag und Nacht; aber der König Haltewort hatte versprochen, es nie zu sagen.

Willwischen sollte sich nun bald vermählen; der König Haltewort war schon sehr alt und wollte gern einen Nachfolger haben; er bat also seine Tochter, sie möge unter den vielen Prinzen, die um ihre Hand ansuchten, einen wählen. Sie sagte aber: »Ich will keinen nehmen, ehe ich weiß, von wem die Haut ist.« Da sagte der König endlich: »Wohlan! mein Kind, wenn das dein Wille ist, so will ich in aller Welt bekannt machen lassen, daß der, welcher rät, von wem die Haut ist, dein Gemahl werden soll. Bist du das zufrieden?« – »Ja, ja«, sagte Willwischen, und der König ließ nun überall bekannt machen: wer errate, welche Haut in der Residenz am Galgen hänge, der solle seine Tochter zur Frau haben.

Nun entstand ein entsetzliches Gefahre und Gereite und Geschiffe und Gelaufe nach der Residenz. Da kamen Prinzen und Ritter und Lederhändler und Riemer und Sattler und Säckler und Gerber und Schuster und Buchbinder und Kürschner und Pelzhändler und Jäger und Seelenverkäufer und Juden und Professoren der Naturgeschichte, und wer nur mit Häuten und Leder zu tun hatte und mit dergleichen Bescheid wußte, kam, um seine großen Kenntnisse an den Tag zu legen und die schöne Prinzessin Willwischen zu gewinnen.

Als die Leute vom hundertsten ins tausendste hin und her rieten und den König immer fragten, ob sie recht geraten hätten, ward er ungeduldig und sagte: »Es kömmt hier nicht drauf an, zu erraten, sondern zu wissen, was für eine Haut es ist, drum sage jeder seine Meinung.« Da sagte einer: Es ist ein Meerochse; der andere: ein Landkraken; der dritte: ein Muhdrache; ein Prenzlauer Rhinozeros; ein Kümmeltürke; mir scheint es eine Gensdarmenhaut, sagte ein armer Dorfschuster, wurde aber gleich eingesteckt. Endlich trat ein Professor auf und behauptete, es sei die Haut eines afrikanischen Buschmanns. Der Seelenverkäufer aber behauptete, sie sei von einem Amsterdamer Juden. Kurz, keiner konnte es erraten, und alle zogen ab.

So ging dies mehrere Monate lang, und die Neugier Willwischens stieg immer höher. Schier war im ganzen Reiche kein Mensch, der nicht schon geraten hatte.

Nun kam eines Morgens, da die Stadt noch zu war, ein gewaltiger Grobian vors Tor und pochte mit seiner Faust an, daß die Angeln krachten: »Aufgemacht! aufgemacht!« schrie er, »ihr Schlafmützen!« Die Torschreiber sprangen aus den Betten und fragten durchs Schlüsselloch: wer so anpoche; da antwortete eine Stimme wie ein Büffelochse: »Macht auf! ich bin der Wellewatz.«

Zitternd öffnete der Torwächter und sah einen abscheulichen Kerl hereinschreiten. Er stieß beinahe oben am Tor an und war so breit und zottig wie ein Pelznickel. »Ach, dürfte ich um Ihren Charakter bitten«, sagte der Torschreiber, »daß ich Sie aufschreiben kann.« Aber der Herr Wellewatz donnerte so auf ihn ein: »Ich heiße Wellewatz und bin ein privatisierender Menschenfresser«, daß der arme Torschreiber vor Schrecken hinter das Schilderhaus fiel.

Wellewatz trabte mit seinen breiten Füßen durch die Straßen; alles schlief noch, und da er Hunger hatte und einige Bäckerknechte am Backofen beschäftigt sah, griff er zu und fraß sie wie Krametsvögel ohne Brot hinunter. Als er auf den Markt kam, sah er den Galgen mit der Haut und las den Anschlagzettel, daß der die Prinzessin zum Weibe erhalte, wer rate, was es für eine Haut sei. Er schüttelte den Kopf und lachte und rief mit lauter Stimme: »Auf! auf! König Haltewort! Dein Schwiegersohn ist da. Auf auf! Prinzessin Willwischen! Dein Mann ist da.«

Da flogen alle Fensterläden auf, und tausend erschrockene Gesichter guckten heraus, und die Sonne ging auf und schien dem Wellewatz in die Augen, da nieste er, daß die Fenster im Schlosse sprangen und die Scherben der Prinzessin ins Bett fielen. Weil ihm aber niemand »zur Gesundheit« gesagt hatte, wurde der Wellewatz so böse, daß er das Steinpflaster aufriß und nach den Leuten warf.

Endlich kam der König ans Fenster und wollte soeben wegen dem großen Lärm recht tüchtig zanken; aber als er den entsetzlichen Wellewatz vor Augen sah, wurde er vor Schrecken ganz sanft und sagte: »Was steht zu Seinen Diensten, mein Freund?« – Da antwortete der Wellewatz: »König Haltewort! Rufe deine Tochter Willwischen herbei, ich will die Haut erraten.« – »Es ist zwar noch ein wenig früh«, sagte Haltewort, »aber meinethalben. Er hat doch einmal die ganze Stadt aus den Federn gejagt.« Schon wollte der König zu Willwischen gehen, da kam sie selbst; die Neugierde, was für ein Lärm in der Stadt sei, ließ sie nicht ruhen. Als sie an das Fenster trat, patschte der Wellewatz in die Hände und lachte, daß die große Stadtmühle vor Schrecken darüber stillestand. »Ei potz tausend Büffelochsen!« schrie er, »welche schöne Prinzessin für eine Flohhaut!« Bei den Worten Flohhaut lief dem König der Angstschweiß von der Stirne, und in der Stadt lief das Wort Flohhaut von Mund zu Mund, und alle Türmer bliesen Flohhaut, und alle Trommelschläger trommelten Flohhaut, alle Chorschüler sangen Flohhaut, Flohhaut ward die Parole der braunen Husaren, und alle Kanonen wurden losgebrannt; denn Haltewort hatte mit dem Schnupftuch geweht, und das war das bestimmte Zeichen, daß die Haut erraten sei.

Die Prinzessin lag in Ohnmacht, und Wellewatz stieg die Treppen hinauf; ach! da war kein Herr von Hüpfenstich, der ihr zur Ader gelassen hätte. Wellewatz stieß ihr einen Bund Zwiebel unter die Nase, und sie kam zu sich. Sie stürzte sich in die Arme des Vaters: »Ist es wahr? Ist es wahr?« weinte sie. »Es ist wahr«, sagte er und erzählte die ganze Geschichte des Herrn von Hüpfenstich. »Mein Kind Willwischen! Deine Neugier hat dich so weit gebracht, du mußt nun mit dem Wellewatz fortgehen, denn ich muß Wort halten.«

Nun hätte man Willwischens Jammer hören sollen; sie warf sich an die Erde und umklammerte die Füße ihres Vaters und flehte so beweglich, daß es hätte einen Stein bewegen sollen. Aber der König sprach immer: »Mein liebes Kind! du heißt Willwischen, und ich heiße Haltewort, und da kommt es nun so heraus, du mußt nun fort mit dem Wellewatz.« Aber sie wimmerte immerfort, und Wellewatz ward schon ungeduldig und sprach: »Liebste Frau! Ich rate dir, werde ruhig und schreie mir die Ohren nicht voll, sonst werde ich andere Saiten aufspannen.«

Der König machte nun dem Wellewatz allerlei Vorschläge, damit er von Willwischen ablassen solle. Er wollte ihn zum Hoftürken, zum Generalissimus, zum Theaterdirektor, zum Oberjägermeister machen. Wellewatz wollte nicht. Der König hängte ihm alle verflossenen, gegenwärtigen und zukünftigen Orden um den Hals. Wellewatz wollte nicht. Der König machte ihn zum Herzoge Watz von Wellenwurz. Er wollte nicht. Endlich sagte er: »Ich sehe, daß Er gar keine Ehre im Leibe hat.« Da antwortete der Wellewatz: »Nein, aber zwei Bäckerknechte«, und erwischte die Prinzessin Willwischen beim Rockzipfel und zerrte sie zur Stadt hinaus. Weil sie sich aber so gar erbärmlich stellte, so ward der König auch auf sie zornig und schimpfte und zankte hintendrein. Die ganze Stadt war in Auflauf, und es ward auf allen Straßen folgendes Lied gesungen:

Heil dir, o Wellewatz!
Der sich so schnelle Platz
Bei uns gemacht,
Du rietst dir halt den Schatz,
Hast nun die Braut beim Latz,
Giebst ihr so laut den Schmatz,
Daß es nur kracht.

Heil dir, Willwischen Braut!
Die wissen will die Haut
Vom Hüpfenstich,
Wer auf die Neugier baut,
Durch Schlüssellöcher schaut
Und auf Husaren traut,
Den triffts wie dich.

Ach! Herr von Hüpfenstich!
Wer ließ entschlüpfen dich
Aus deiner Haut?
Dein Balg am Galgen hing,
Mancher sich balgen ging,
Durch deinen Balg nun fing
Wellewatz die Braut.

Der König aber sperrte sich mit seinem Nachdenker ein und ließ stark über seinen Unfall nachdenken.

Wellewatz packte vor dem Tor das Willwischen auf seine Schulter und ging mit ihr querfeldein immer fort, fort, über Stock und Stein, durch Distel und Dorn, über Berg und Tal, und kam am Abend in einen dicken dunkeln Wald, wo sich die Wölfe einander gute Nacht sagen. »Du magst wohl Hunger haben«, sagte er zu Willwischen; »warte, ich will dir gleich etwas Süßes zu schmecken geben. Ich höre meinen Zuckerbäcker schon brummen.« Willwischen zitterte und bebte, denn sie kamen zu einem großen Bären, der mit einem großen Bienenkorb unter dem Arm nach seiner Höhle spazierte. Wellewatz holte ihn bald ein und gab ihm eine Ohrfeige, daß er um und um fiel, dann riß er eine Honigwabe aus dem Korb, wo alle Bienen und alles Wachs noch drin staken, und wollte, Willwischen sollte sie essen. Aber ihr schauderte.

»Potz Leckermaul!« sagte der Wellewatz »so hungere!« und fraß den ganzen Honigkorb allein aus. Willwischen aber aß einige wilde Brombeeren, die da herum wuchsen.

Der Wellewatz packte sie wieder auf und sagte: »In einigen Stunden werden wir in meinem Schlosse Knochenruh ankommen.« Das war ein schrecklicher Name. Der Mond schien, der Wind wehte, und in den hohen Fichten klapperte es. »Das ist mein Lustgarten Klapperbach«, sagte Wellewatz; »die Totengerippe, die da in den Bäumen rappeln, scheuchen mir die Raben weg; ich habe die Kerls alle selbst aufgezehrt und brauche keine Schwarzröcke dazu.« Willwischen war vor Angst und Schrecken eine einzige Gänsehaut; sie zitterte so, daß der Wellewatz zu ihr sagte: »Klappere nicht so mit den Beinen, du kitzelst mich, und wenn du mich lachen machst, so freß ich dich vor Liebe auf.« Ach, wie still hielt sich da Willwischen. Endlich kamen sie an einen freien Platz im Walde vor ein wunderbares, hohes Gebäude. Der Mond schien. Das Haus war nicht ganz fertig gebaut. Auf der linken Seite fehlte ein Turm, auf der rechten war es fertig. Es war nicht ohne Kunst gebaut. Lauter Totenbeine und Totenköpfe, die standen oben herum, und weil die Haare noch auf ihnen waren, spielten diese recht schön im Wind und sausten. Es war gar nicht so übel ausgedacht.

Wellewatz blieb mit Willwischen auf dem Rücken eine Zeitlang vor dem Schloß in stiller Bewunderung stehen; endlich sagte er: »Wie gefällt dir das, mein Schatz? Siehe, alle die Knochen haben meine Vorfahren und ich selbst abgenagt, und mit welchem Geschmack sind sie geordnet! Ist das nicht modisch? Ist das nicht gothisch? Aber jetzt, mein Schatz! auf unserm Hochzeitsschmaus da soll es so hergehen, daß der ganze Turm auf dem linken Flügel mit den Knochen soll fertig gebaut werden. Wie gefällt dir das, mein Schatz?« – »O Gott! entsetzlich schön«, seufzte Willwischen. Nun führte er sie hinein; alles Knochen und alles Knochen.

»Da ist dein Kabinett«, sagte Wellewatz; ach! es war mit lauter Kinderknöchelchen tapeziert! »Hier hast du was zu essen«, sagte Wellewatz; es waren lebendige Krebse. »Ich habe keinen Appetit«, sagte Willwischen. »Wird schon kommen«, sagte Wellewatz und aß die Krebse ruhig hinunter. »Wenn sie einen im Magen so mit den Scheren kneipen«, sagte er, »das macht Appetit. Aber gute Nacht, laß dir was Gutes träumen; ich will auf die Jagd gehen und Vorrat anschleppen. Morgen lade ich meine Vettern ein, da soll Hochzeit werden«, und damit ging er fort und schlug die Türe zu, daß der ganze Knochenpalast eine halbe Stunde lang klapperte.

Willwischen war vor Schreck und Hunger und Jammer ganz von Sinnen, sie konnte es vor Angst nicht mehr in dem Hause aushalten, auch quälte sie der Hunger. Sie schlich zur Türe hinaus und setzte sich in den Wald und riß Gras aus und aß es und sagte einmal übers andere Mal: »Ach Gott! warum heiße ich Willwischen? Ach Gott, warum bin ich so neugierig? Ach! wäre ich wieder bei meinem Vater! Ich wollte ja in meinem Leben gar nichts mehr erfahren. O! wer hilft mir aus diesem schrecklichen Elend?«

Während sie so jammerte, hörte sie im Walde reden und glaubte schon, Wellewatz kehre mit einigen guten Freunden zurück. Sie wollte geschwind wieder in das Knochenschloß laufen, aber sie fiel über ein Bein und stürzte vor Mattigkeit lautschreiend an die Erde.

Als sie wieder zu sich kam, war die Sonne aufgegangen, und sie lag in den Armen einer freundlichen alten Frau, welche ihr Zuckerbrot und Wein gab und zu ihr sprach: »Ei Kind Willwischen! wie lange habe ich dich nicht gesehen, und in welchem elenden Zustande muß ich dich wieder finden!« Willwischen erstaunte sehr, daß die Frau ihren Namen nannte; aber sie fragte gar nicht, wer sie sei, weil ihr die Neugierde auf ewig vergangen war. Die Frau aber fing von selbst an und sagte: »Mein Kind Willwischen! ich kenne dein ganzes Unglück, und ich will dir helfen. Als deine sterbende Mutter dich in den Armen hatte, sagte sie: ›Die Woche, welche du zu früh auf die Welt kamst, möge dir einst gute Dienste leisten.‹ Nun sieh! ich bin die Woche; ich habe dich sieben Nächte neben meinen sieben Söhnchen an meiner Brust ernährt, bis dein Vater mich fand und fortschickte, und da hab ich den Hüpfenstich zu ihm geschickt, den verzauberten Floh, dessen Haut dich in das Elend mit dem Wellewatz gebracht. Aber ein ander Mal mehr! halte dich nun ruhig und geh in das Schloß, und lasse dir nichts merken, wenn der Wellewatz wiederkömmt. Morgen nacht um ein Uhr komme ich mit meinen sieben Söhnen, das sind erstaunlich geschickte und kluge Bursche, die sollen dich nach Hause führen.« Nun gab sie dem Willwischen noch Wein und Zuckerbrot und befahl ihr, heimlich davon zu essen, küßte sie und ging weg.

Willwischen sah ihr lange mit Tränen nach und schlich dann in das gräßliche Schloß zurück. Gegen Mittag kam Wellewatz zurück; er trug ein Wildschwein an einer jungen Fichte gespießt auf der Schulter und brachte noch ein Nest voll junger wilder Katzen. »Holla! Willwischen!« schrie er, »da ist Mundvorrat, hungern sollst du mir nicht, und Gesellschaft kriegst du auch; ich muß heute abend wieder weg, ich muß mir einige Handwerksburschen zum Hochzeitsbraten einfangen, die Bäckerknechte in deines Vaters Stadt schmeckten vortrefflich; ich habe dir deswegen eine Dame von hohem Stande auf heute nacht zur Gesellschaft gebeten, die Frau von Euler; das wilde Katzennest kannst du ihr vorsetzen; daß du mir keine von den kleinen Katzen herausfrißt, ehe die Dame kömmt.« – »Ach, gewiß nicht, mir ekelt, und gar lebendig!« sagte Willwischen. »Ja, ja, papperlapapp, ich kenne euch Leckermäuler, ihr sprecht immer von Ekel, und dann leckt ihr die Finger darnach.«

Unterdessen hatte er ein Feuer angemacht und das Wildschwein an dem Spieß drüber befestigt; Willwischen mußte es umdrehen, und er riß ein Stück nach dem andern herunter und verschlang es mit Haut und Haar. Als er wieder wegging, sagte er: »Daß du mir nur die Frau von Euler gut unterhältst, sonst giebts Prügel.«

Willwischen saß wieder allein in dem Knochenhaus und zitterte und bebte wegen der Frau von Euler. Was konnte sie sich von einer Dame versprechen, die lebendige wilde Katzen fraß. Sie guckte die armen Wildkätzchen recht mitleidig an: »Ach!« sagte sie, »ihr armen Dinger! euch geht es nicht besser als mir«, und gab ihnen etwas von dem Wildschwein zu fressen; »wenn es möglich ist, will ich euch erretten«, und somit trug sie die Tierchen in einen entlegenen Teil des Hauses.

Als es dunkel ward, vernahm sie einige gräßliche Töne; sie wußte nicht, woher; aber auf einmal flatterte mit abscheulichem Geräusch und Gekrächze etwas den Schornstein herunter in die Stube. Willwischen sah mit Angst nach dem Winkel, da glühten zwei runde Augen ihr entgegen, und es knappte entsetzlich mit dem Schnabel; es war eine ungeheure, riesenhafte, alte Nachteule, sie raschelte auf Willwischen zu; aber die floh mit großem Geschrei zur Türe hinaus und schlug die Knochentüre zu.

»Scharmante Frau von Wellewatz!« rief die Eule ihr nach, »wie schreckhaft und blöde sind Sie. Hat der Herr von Wellewatz mich nicht gemeldet? Ich habe Sie gewiß in süßen Schwärmereien gestört; kommen Sie doch wieder herein.« Willwischen sagte: »Ich will nur Licht anzünden.« – »Nein, das wäre zu naiv«, schrie die Eule, »ich habe kranke Augen, ich verbitte mir das Licht; allons! kommen Sie herein, und bringen Sie mir mein Abendbrot mit.« Willwischen goß den Wein, den ihr die Frau Woche gegeben, in eine Schüssel voll Brot und machte so eine kalte Schale, die schob sie zur Türe herein und sagte: »Bedienen Sie sich einstweilen, gnädige Frau!« und hielt die Türe fest zu. »Delikat! Delikat!« hörte sie die Frau von Euler sagen, »aber eine kuriose scheue Person hat sich der Wellewatz geholt, sie muß vom Lande sein.« Über solchem Geschwätz fraß die Frau von Euler die Weinsuppe aus und schlief berauscht ein.

Willwischen saß in rechter Herzensangst auf der Schwelle der Haustüre. Auf einmal hörte sie Gesang im Walde, und der kam immer näher; da sah sie die Frau Woche anspaziert kommen mit ihren sieben Söhnen, und der erste hatte eine blaue Jacke an und sang recht handwerksburschenmäßig vor den andern her:

Willwischen! liebstes Willwischen mein!
Wann werden wir wieder beisammen sein?
Am Montag!
Ei so wollt ich, daß alle Tag Montag wär,
Auf daß ich bei meiner Willwischen wär!

Kaum waren sie heran, so sagte Frau Woche: »Nun, ihr Bengels! da habt ihr endlich eure Prinzessin; jetzt zeigt eure Künste und macht, daß wir sie sicher nach Haus zum König Haltewort bringen.« Dann sagte sie zur Prinzessin: »Sieh, Willwischen! ich bin die Woche und die Jungen sind der Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Sonnabend und Sonntag.« – »Erzählt nicht so lang«, sagte der Montag, »wir müssen fort; hast du dein Bündelchen geschnürt, Willwischen?« – »Ach! ich will nur die jungen Wildkätzchen mit in den Wald nehmen«, sagte sie und ging, das Nest zu holen.

Montag trat aber in die Stube, wo die Frau von Euler an der Erde schlief, und nahm sie auf den Rücken und schleppte sie vor den Knochenpalast und nagelte sie mit den Flügeln an das Tor und schrie ihr in die Ohren: »Sie können dem Herrn Wellewatz nur alles erzählen, es liegt uns gar nichts dran.« Nun wachte die Frau von Euler auf und zappelte und schrie gewaltig. Aber die Woche zog mit Willwischen, von den sieben Söhnen umgeben, den Montag an der Spitze, immer in den Wald hinein, und da Willwischen Katzen schreien hörte, dachte sie, das ist gewiß meiner Katzen Mutter, und stellte das Nest in eine Baumhöhle.

So waren sie bis um zwölf Uhr der folgenden Nacht gegangen, als plötzlich die Frau Woche sich an die Erde legte und lauerte. »Aufgepaßt, Montag!« schrie sie, »Wellewatz ist nach Haus gekommen, die Frau von Euler hat ihm alles gesagt, er hat die Beine auf die Schultern genommen und wird gleich hier sein.«

Kaum hatte sie dies gesagt, als sie auch schon ein Gekrache und Geräusch im Wald von Wellewatz' breiten Fußtritten hörten. Da sprang aber der Montag vor, nahm die Feder, die er hinterm Ohr hatte, tauchte sie in das Dintenfaß, das er am Gürtel hängen hatte, und spritzte die Feder aus: da entstand ein Dintenklecks zwischen ihnen und dem Wellewatz, wie ein kleines schwarzes Meer. Wellewatz wollte anfangs durchwaten, als es ihm aber zu tief ward, schrie er: »Ich komme ohne Löschpapier nicht durch«, und lief nach Haus, solches zu holen.

Die Reisenden eilten immer fort, und Dienstag sang an der Spitze dasselbe Liedchen, wie gestern der Montag, nur daß er statt »am Montag« »am Dienstag« sang. Nachts um zwölf Uhr lauerte Frau Woche wieder an der Erde und sprach: »Dienstag! mache du nun dein Kunststück; der Wellewatz hat soeben sein großes Löschpapier über den Klecks gelegt; gleich wird er da sein.« Kaum hatte sie das gesagt, als sie den Wellewatz bereits ganz in der Nähe singen hörten:

Löschpapier und Fließpapier
Und grüne Petersilie.

Da nahm der Dienstag seine Streusandbüchse und streute sie hinter sich aus, und es entstand auf einmal ein so tiefes Sandmeer hinter ihnen, daß der Wellewatz bis an die Knie einsank.

»Ich muß nach Haus und muß mir meine Chaussee holen«, sagte er und kehrte wieder um. Nun ging der Mittwoch an der Spitze, und der Dienstag war der letzte. Der Führer sang wieder wie sein Vorgänger, nur sang er »am Mittwoch« statt »am Dienstag«.

Nachts um zwölf Uhr lauschte die Frau Woche wieder und sprach: »Geschwind, Mittwoch! mache deine Kunststücke. Wellewatz hat eben einen langen Steinweg über das Sandmeer geschlagen und fährt mit sechs Schimmelgerippen Extrapost an.« Als sie dies gesagt hatte, hörten sie schon das Posthorn blasen und den Wellewatz dazu singen:

Fahr! fahr! fahr auf der Post!
Frag! frag! frag nicht, was es kost't,
Spann mirs Willwischen ein,
Ich will der Postknecht sein

Da legte der Mittwoch sein Lineal hinter sich, und sieh da! ein ungeheurer Schlagbaum lag quer über den Weg, an den die Schimmelgerippe so anrannten, daß sie zu tausend Knochensplittern zusammenprasselten.

»Halloh!« schrie ein schnauzbärtiger Kerl, der hinter einem Baum hervortrat, »er fährt wie ein Narr! Ich bitte mir den Wegezettel von der letzten Station aus.« – »Ich habe keinen Wegezettel«, sagte Wellewatz. – »Ja, da müssen Sie wieder zurück und sich einen holen.« Wellewatz ärgerte sich abscheulich, und weil sein Fuhrwerk zertrümmert war, mußte er zu Fuß zurück. Als er umgekehrt war, kam der Zolleinnehmer zu Willwischen, und sie sah, daß es niemand anders war als der wilde Kater, dem sie seine Jungen gerettet hatte. Er freute sich, daß er ihr habe seine Dankbarkeit erweisen können, und sie zogen weiter.

Nun trat der Donnerstag an die Spitze, und alles ging wie das vorige Mal. Als sie nachts der Wellewatz wieder einholte, steckte der Donnerstag seine Schreibfeder in die Erde, und es entstand daraus ein großer Wald von entsetzlich großen Gänseflügeln, die immer durcheinander wehten, daß der Wellewatz nicht durch konnte, und wieder nach Hause mußte, um sich eine Axt zu holen.

In der folgenden Nacht führte der Freitag den Zug, die Frau Woche hörte den Wellewatz den Wald niederhauen. »Jetzt, jetzt kömmt er«, schrie sie, »jetzt mache deine Künste, mein Freitag!« Der Freitag nahm seinen Bleistift und machte einen langen Strich an den Boden, der ward sogleich ein breiter wilder Fluß. Der Wellewatz aber war schon entsetzlich ungeduldig, er riß die Kleider vom Leibe und schwamm hinüber; aber das Wasser war reißend und trieb ihn weit hinunter. In der folgenden Nacht, als der Sonnabend den Zug führte, schrie Frau Woche auf einmal; »Er kömmt! er kömmt!« Da stieß der Sonnabend seine blecherne Federbüchse in die Erde, und es ward auf einmal ein ungeheuer hoher Turm daraus, auf welchen sie alle miteinander hinaufstiegen, und da Wellewatz ankam, lachten sie ihn von oben herunter brav aus. Er ließ sich aber nicht irre machen, sondern lief wieder nach Haus, um eine große Leiter zu holen.

In der nächsten Nacht kam der Sonntag an die Spitze der Gesellschaft, und als die Frau Woche ausrief: »Ich höre den Wellewatz schon seine große Leiter heranschleifen«, befahl er, daß alle den Turm verlassen und sich verstecken mußten. Das taten sie; nun legte Wellewatz die Leiter an und stieg oben in den Turm hinein; da nahmen sie die Leiter weg, und machten den Turm zu, und der Sonntag stieß an den Turm, der fiel um und war nichts als eine entsetzlich große Federbüchse, worin der Wellewatz stak. Nun sagte der Sonntag: »Liebe Prinzessin! liebe Mutter! liebe Brüder! Der Wellewatz ist glücklich gefangen, die Gefahr ist vorüber, lasset uns Gott danken.«

Da knieten sie alle nieder und dankten Gott, und Willwischen weinte vor Freuden; denn sie hörten die Glocken ihrer Vaterstadt läuten, so nahe waren sie.

Sie setzten ihren Zug nun fort, und sieh da! der Wellewatz wälzte sich ihnen in der großen Federbüchse nach; was ihnen recht lieb war, denn so konnten sie ihn lebendig gefangen bringen.

Nun zogen sie in die Stadt hinein, und die Federbüchse rollte immer nach. Der König umarmte seine Tochter mit vielen Tränen der Freude; da sie ihm aber sagte, daß Wellewatz in der Federbüchse stecke, sagte er: »Ei! ei! mein Kind, wenn er noch lebt, so mußt du wieder zu ihm, weil ich mein Wort halten muß«; da tat die Prinzessin einen lauten Schrei vor Schmerz und bat den Vater, doch erst darüber nachdenken zu lassen. Das versprach der König Haltewort.

Nach Tische waren sehr große Lustbarkeiten in der Stadt, alle Handwerkszünfte brachten der Prinzessin Willwischen ein Geschenk; auch ließ der König ausrufen: wer seine Tochter von dem Wellewatz frei machen könne, der solle begehren, was er wolle. Als die Bäckerzunft eben einen schönen großen gebackenen Husaren von Butterteig vor die Prinzessin zum Geschenk niedersetzte und alle über die große Ähnlichkeit mit dem seligen Hüpfenstich lachten, rief der Herold jene königliche Aufforderung aus. Willwischen sah mit trauriger Erinnerung auf den gebackenen Husaren und schrie auf einmal aus: »O mein Hüpfenstich! sie haben einen guten Mann in Butter gebacken, und mir war er mehr! O wenn du noch lebtest, du wärest flink, mir zu helfen; ach! ich habe dich immer geliebt, Hüpfenstich! Hüpfenstich! abgeschiedener Geist, hilf mir!« Bei diesen Worten der Prinzessin sprang der Kuchenhusar auf, und seine Wachholderaugen funkelten, und sein Mund von Rosinen sprach laut und vernehmlich: »Geliebteste Prinzessin! teuerster König! Hüpfenstich lebt noch. Als mir die Haut abgezogen wurde, flog meine Seele bei dem Hofbäcker vorbei, und da dieser gerade meine Figur zum Spott gebacken, kroch ich in den Teig hinein. Da hab ich den gräßlichen Anblick gehabt, wie der Wellewatz zwei Bäckerknechte morgens ohne Brot gefressen.«

»Da steht der Tod drauf«, schrie der König: »Viktoria! nun sind wir ihn los.« Der Wellewatz sollte mitsamt der Federscheide in das Wasser geworfen werden; weil er sich aber immer herum drehte, so nahmen sie ihn als eine Mühlwelle, und hat er nachher lange Jahre die königliche Mühle getrieben. Das närrischste ist, daß er immer noch meint, er laufe hinter Willwischen her. Weil der gebackene Herr von Hüpfenstich durch seine Angabe die Prinzessin gerettet hatte, fragte ihn der König Haltewort, was er zur Belohnung wolle. »Die Prinzessin soll mich aufessen«, sagte er. Willwischen wollte nicht, aber er bat so dringend, daß sie ein tüchtiges Stück aus ihm herausbiß. Aber kaum hatte sie es getan, als ein wunderschöner Prinz vor ihr stand und sagte: »Nun ist alles richtig.« – »Ja, es ist alles richtig«, rief Willwischen aus und umarmte den schönen jungen Prinzen. Der König war es zufrieden und schenkte ihm die Hälfte seines Reichs. Der alte König Haltewort aber heiratete die Frau Woche zur Belohnung ihrer edlen Handlungen, und die sieben Söhne kriegten jeder ein Regiment.

 


 


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