Lily Braun
Mutter Maria
Lily Braun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Akt

Vor dem Dom. Im Hintergrund seine Fassade mit der breiten Treppe zum Portal. Rechts vom Dom der Campanile. Im Vordergrund links ganz an der Seite das Portal des Baptisteriums, im Vordergrund rechts die offene Loggia des Bigallo. Rechts und links zwischen dem Bigallo und dem Dom, dem Baptisterium und dem Dom Straßenmündungen. In der Loggia auf einer Marmorbank sitzt Maria, Angelo vor ihr auf der Erde; sein Kopf ruht in ihrem Schoß. Morgendämmerung.

Angelo (erwachend)
Ich schlief in deinem Schoß.

Maria                                           So fest, so still,
Wie einst, da er den kleinen, wilden Knaben
Allabendlich in sanften Traum gewiegt.
Nun erst erkenn' ich deine Augen wieder, –
Sie blickten so verstört, jetzt sind sie klar,
Und deines Herzens Schlag, auf den ich nächtens
So bang gelauscht, als seist du fieberkrank,
Geht stark und ruhig. Sieh, der Mutter Schoß
Nahm deine Schmerzen auf wie einst das Schluchzen
Des kleinen Kindes, dem ein Ball entsprang.

Angelo
Ich war ein Kind im Traum – ein kleines Kind.
Auf deinen Knien saß ich. Licht und rein
Erstrahlte über uns der Frühlingshimmel
Und spiegelte sein helles Feierkleid
Stolz in dem Fluß, der fern das Tal durchzieht.
Der kleine Pietro, der Cesare standen
Vor mir und wiesen in ein buntes Buch.
Ich aber sah sie nicht; ich sah nur dich
Im königlichen Schmuck des blauen Mantels
Und in der Glorie deines goldnen Haars.
Du aber warst nicht, wie sonst Mütter sind;
Du lachtest mich nicht an, du sangst kein Lied,
Dein Auge blickte tränenschwer, die Lippen
Umzuckte schmerzhaft ein unendlich Weh.
Ganz so wie jetzt.

Maria                           Das Bild des Sandro ist es.
Das dir im Traum lebendig ward –

Angelo                                                   Das Bild?
Nein, Mutter, nein! Jetzt bin ich wach, ganz wach:
Es ist die Wirklichkeit. Versuch' es nicht.
Zu einem Lächeln deinen Mund zu zwingen.
Ich lernte leiden und das Leiden sehn.

Maria
Mit seinem Trost und seiner Kraft und Hilfe
Ist Gott dir nah. Der dich so ganz zerschlagen,
Kann dich erhöhen. Aber meine Tränen,
Die ungeweinten, die mein Herz bedrücken
Und mir im Auge wie ein glühend Feuer
Verzehrend brennen, – du, mein Angelo,
Kannst sie in einem Strom der Freude lösen.

Angelo
Was quälst du dich und mich! Laß diese Stunde
Noch eine Stunde stillen Friedens sein
Und lege deine blassen Dulderhände
Noch einmal mir aufs Haupt. Wohl trieb das Leid,
Ein Racheengel mit dem Feuerschwert,
Mich an dein treues Herz. Jedoch das Leben
Reißt mich gewaltsam wieder fort. Ich kann
Die Tränen deines Wehs in Freudentränen
Nicht wandeln; denn notwendig wie die Trennung
Des Kindes von dem mütterlichen Leib,
Ist die des Jünglings von der Hand der Mutter.
Mach's mir nicht schwer!

Maria                                       Du denkst gering von mir.
Sei still – ich weiß es, ich verdien's nicht besser,
Ich sündigte an dir. In diesen Stunden,
In denen ich mit Gott gerungen habe
Wie Jakob mit dem Engel, warf er mich
Tief in den Staub. Mein Eigen schienst du mir;
Ich liebte dich so wie der Geiz das Gold,
Das Kind sein Spiel, das eitle Weib die Perlen,
Die es zur Schau trägt, wenn es beten geht.
Und furchtbar strafte mich der Herr mein Gott,
Und seines Zornes Blitz erhellte gräßlich
Die Nacht der Sünde, die mein Herz umgab.
Er strafte mich an dir. Ich wollte dich
Für mich allein, – und deine arme Seele
Sah ich verloren gehn, die ihm gehört.
Er fordert sie von mir. Mein ist die Schuld.
Gib sie ihm wieder! Ich verlange nichts,
Nichts mehr für mich.
Auf jeden Liebesblick aus deinem Auge,
Auf jedes gute Wort aus deinem Mund,
Auf jeden Händedruck will ich verzichten
Und lächeln will ich, wenn du Abschied nimmst –
Nur, daß dein Weg, und führ' er weltenweit
Von deiner Mutter fort, zu deinem Gott,
Dem Vater deiner Seele, heimwärts führe.

Angelo
Ich bin bei ihm.

Maria                       Ein Gaukelspiel der Hölle
Ist's, das dich blendet. Sie, die weiße Frau –

Angelo
Zerbrach.

Maria             So hat Gott selber sie zerschlagen,
Um dir zu offenbaren, daß er lebt.

Angelo
Und ich verstand ihn.

Maria                                 Du?!

Angelo                                       Denn er erhellte
Auch jene Nacht, die mich umfangen hielt.
Ich sah den Menschen, die mir Beifall klatschten,
Bis in das Herz: Die Liebe lag im Winkel
Und hungerte; die Lust saß auf dem Thron,
Satt von den Opfern, die sie fraß, und dennoch
Von einer Gier, die unersättlich ist.
Ich sah den Menschen, die mir Freunde schienen,
Bis in die Seele: sie war nackt und bloß
Und lag im Kerker, wo die Irren liegen,
Mit leeren Augenhöhlen, flügellos.
Doch ihre Körper sah ich gleißend prangen,
Denn Ruhm und Liebe, Schönheit, Wissen, Glauben,
Das schlugen sie wie eitlen Narrenputz,
Als golddurchwebten Stoff sich um die Schultern,
Das hingen sie als Perlen und Rubinen
Den Weibern um den Hals, und damit krönten
Sie ihrer Fürsten leeres Hirn. Gott selbst
War ihnen nichts als Hüter ihres Golds.

Maria
Und so erkanntest du in einer Nacht,
Was Tausenden nach eines Lebens Irrweg
Erst vor des Grabes Tor erschlossen ward:
Daß diese Welt ein Blendwerk ist, ihr Ruhm
Vor Gott ein Häuflein windverwehter Asche.
O, sträube dich nicht mehr mit wildem Trotz,
Da sich Gott selber deiner mild erbarmte
Und von dem Abgrund, dem dein Fuß schon strauchelnd
Entgegenglitt, dich jählings rückwärts riß.
Der gute Hirt sucht sein verlornes Lamm;
Ein frommer Büßer, beuge ihm dein Haupt,
Und sein am Kreuz für dich vergoßnes Blut
Wäscht deine Seele rein von allen Sünden.

Angelo
Bin ich gefallen, und an Kraft so arm,
Daß ich nicht selbst auf meine Füße springen
Und weiter wandern kann, und bin so blind,
Daß ich des rechten Wegs verfehle – nun,
So wär mir's besser, daß ich liegen bliebe.

Maria
Unseliger, du leugnest Christi Gnade,
Du glaubst an seine Wundenmale nicht!

(Die Glocken läuten zur Morgenmesse. Viel armes Volk kommt über die Straßen in den Dom.)

Angelo
Soll ich mit frommer Lüge dich betrügen?
Soll ich dein Herz zerreißen mit der Wahrheit?
    (Umfaßt die Mutter und führt sie auf die Straße.)
Sieh dorthin, Mutter, wie sie müd' und schwer
Ihr Unglück auf gebeugten Schultern schleppen.
Ob der Magnifiko Florenz beherrschte,
Savonarola seine Geißel schwang,
Franzosen oder Spanier unsre Stadt
Zum Schauplatz ihrer Siegesfreuden machten, –
Sie trugen stets die gleiche schwere Last.

Maria
Die Schule für den Himmel ist die Erde.
Wer in Geduld sein Kreuz durchs Leben trägt,
Empfängt dort droben einst der Sel'gen Krone.

Angelo
Du meinst, das sei ein Trost? Ein Fallstrick ist's,
Der Arme, Schwache vollends niederreißt
Und sie der Kraft beraubt, sich aufzuraffen,
Der unser Volk zum Spielball jeder Willkür,
Zum Sklaven jeder Herrscherlaune macht.
So wie ein Kind, befreit vom Gängelband,
Erst weiß, was Gehen heißt; ein Baum vom Stabe,
Dem stützenden, erlöst, erst trotzen lernt
Der wilden Windsbraut, also wird das Volk,
Wenn es die Stelzen, Krücken, Augengläser,
Womit ein Fremder seine Kräfte fälschte,
Von sich geworfen hat, erst wachsen lernen
Und sehn und schreiten aus ureigner Kraft.

Maria
Und wird den Glauben an der Heil'gen Hilfe,
An Gott verlieren!

Angelo                         Aus dem dürren Holz
Weckt auch des Himmels Sonne keine Blätter,
Doch wo die Wurzel aus der braunen Erde
Sich selbst die Kraft saugt, blüht die Blume wieder
In jedem neuen Lenz. – An deinem Beispiel
Wuchs ich heran. Du warst die Trösterin
Der Traurigen, der Armen guter Engel.
Den Weg, den du gingst, geh' ich weiter, Mutter;
Will ihnen lehren, mit den eignen Händen
Durch ihres Jammers nie besiegten Fels
Den Tunnel graben, daß das Licht des Lebens
Sie jenseits grüßen mag. Drum darf ich dir
Ins Auge sehn, darf deinen Muttersegen
Erbitten für mein Werk. Dein Herzblut strömt
Durch meine Adern.

Maria                               Groß ist meine Schuld,
Gebenedeite Mutter unsres Herrn;
Doch von der schrecklichsten sprichst du mich frei.
Ich habe keinen Teil an seinem Tun! –
Man nannte dich den Antichrist. Mir war
Bei diesem Wort, als ob das Firmament
Zusammenstürzen müßte. Doch mein Glaube
An meinen Sohn war wie der Atlas stark.
Jetzt aber seh' ich, unglücksel'ges Kind,
Daß dich im Engelskleid der Teufel narrte
Und deinen Geist zum Werkzeug seiner Taten
Gewandelt hat. Den Glauben dieser Armen,
Die Krücke für der Schwachen Pilgerfahrt
Durch ihres Lebens weite, rauhe Wildnis
Willst du zerbrechen? Und ihr einz'ges Gut,
Das ihre Not verklärt, ihr armes Lager
Zu einem Bett glücksel'ger Träume macht, –
Die süße Hoffnung auf den Lohn des Himmels
Für all ihr Leid, – so grausam kannst du sein,
Grausamer als der blutigste Tyrann,
Als Pestilenz und Krieg und Hungersnot,
Sie dessen zu berauben?

Angelo                                     Mutter, Mutter!

Maria
Taub bin ich für dein Flehen – muß es sein.
Gib Antwort mir: Bist du der Henkersknecht?

Angelo
O höre mich!

Maria                   Du wagst kein Ja, kein Nein, –
    (Angelo will sich ihr zu Füßen stürzen.)
Rühr' mich nicht an – daß ich vor meinen Gott
Mit reinem Kleide trete.

(Maria geht zum Dom hinüber; auf den Stufen schwankt sie und bricht zusammen. Angelo springt zu; sie weist ihn zurück; er sinkt in die Knie und verbirgt das Gesicht in den Händen. Maria wendet sich vor der Pforte noch einmal zu ihm um, breitet die Hände über ihn aus, um sie dann wie zum Gebet, gen Himmel blickend, aneinanderzulegen. Pietro kommt.)

Pietro                                 Sag', wo bleibst du?
Indes du heimlich dem Palast entflohst,
Verschachern sie dein Erbe.

Angelo                                         Mögen sie!

(Er wendet sich schroff von Pietro ab und verschwindet im Hintergrund. Indessen naht die Prozession mit dem Kardinal an der Spitze, von Chorknaben umgeben, von Priestern gefolgt, denen sich in bunter Folge die Bürger von Florenz anschließen. Der Abt und Fra Sebastiano kommen an der Spitze der Dominikaner vorüber.)

Der Abt
Der Kardinal ist milde und ein Weltmann,
Der sich vor jedem scharfen Worte scheut.

Fra Sebastiano
Und auch der Heil'ge Vater, fürcht' ich, schützt
Zuvörderst sein Geschlecht und dann die Kirche.

Der Abt
Als Streiter Christi stehen wir allein.

(Sie gehen weiter. Lorenzo kommt in Begleitung Cesares.)

Lorenzo
War Angelo gekränkt? Er floh das Fest,

Cesare
Um in Lucrezias Armen sich zu trösten!

Lorenzo
Ihr wißt?

Cesare           Ich sah's.

Lorenzo                         Ihr habt den kühlen Blick,
Dem nichts entgeht. Wir sollten Freunde werden.

(Giuliano und Filiberta mit großem Gefolge gehen vorüber.)

Giuliano
Du tanztest lang.

Filiberta                     Du trankst bis heute morgen.

Giuliano
Vor Abend noch verlassen wir Florenz.

Filiberta
Du bist ein Narr. Ich geh' nicht. Mir gefällt's.

Giuliano (spottend)
Hat dir Lorenzo schon erlaubt, zu bleiben?

(Sie verschwinden im Dom. Viel Volk strömt von allen Seiten herzu und sammelt sich an der Treppe.)

Ein Mann
Der Hagre war Lorenzo.

Ein zweiter                           's ist ein Frommer.

Ein dritter
Der Unschuld Hüter nennt man ihn.

Ein vierter                                               Mit Recht.
In seinen Armen schützt er sie – vor andern!

Eine Frau
Gar kecke Augen hat die Herzogin.

Eine zweite Frau
Das ist in Rom die Mode. Manche Hure
Nagt schon am Hungertuch, weil feine Damen
Ihr unentgeltlich in das Handwerk pfuschen.

Ein alter Mann
Sahst du den Angelo, mein liebes Kind?

Ein Knabe
Er kam noch nicht.

Der alte Mann               So führ' mich nah' zur Türe,
Daß ich ihn sehen kann, sobald er kommt.
    (Er drängt sich durch die Menge nach vorn.)
Ich habe schwache Augen, gute Leute.

Ein andrer Mann
Doch sag', du hörtest ihn? Ist's wirklich wahr,
Ein Medici sprach zu uns wie ein Bruder?

Der alte Mann
Von einer neuen Zeit erzählt er uns.

Eine Frau
Vom Glück.

Der alte Mann     Vom Sattsein.

Ein Mädchen                               Von der Lust am Leben!

Ein junger Mann
Als ob dergleichen rare Kostbarkeiten
Für unsereinen auch vorhanden wären!

Ein zweiter
Das war ein ander Brot, als wenn der Priester
Mit der Ergebenheit in Gottes Willen
Das Maul uns stopft, und fromme Esel schützt
Vorm Fressen, Saufen oder gar vorm Schreien.

Der alte Mann
Wie Angelo, so mögen Engel reden;
Auch wenn ihr Lied nur für den Himmel paßt.
Ist's gut zu hören.

Der junge Mann           Wär's nur für den Himmel,
So schert' ich mich nicht drum. Mir scheint schon lang',
Daß große Herren ihn erfunden haben,
Damit sie ungestört bei Wein und Braten
Sich mästen können.

Ein zweiter                       Wo bleibt Angelo?

Ein dritter (der eben erst herzutritt)
Von einem Diener hört' ich eben erst,
Er sei entflohn.

Ein vierter               Und mir erzählte einer,
Man habe ihn gewaltsam in ein Kloster
Heut nacht entführt.

Ein junges Mädchen (drängt sich, aus dem Dom kommend, erregt dazwischen)
                                Lorenzo ließ ihn greifen
Und warf ihn in den Turm.

Ein Mann                                 Wer sagt dir das?

Das junge Mädchen
Maria, seine Mutter, lag in Tränen
Gebadet auf den Knien und stöhnte dumpf,
Ihr Sohn sei ihr gestorben!

Ein junger Mann                       Auf, zum Turm!
Vielleicht ist's nicht zu spät, wir retten ihn.

Ein zweiter
Angelo Medici sei unser Schlachtruf!

(Allgemeiner Tumult, in dem sich der Ruf nach Angelo wiederholt. Die Domtüre springt auf, Lorenzo und Cesare erscheinen, während das Volk nach rechts davoneilt.)

Lorenzo
Er rächt sich rasch.

Cesare                           Ich steh' Euch ganz zu Diensten.

Lorenzo
Es soll Euch nicht gereu'n. Zu danken weiß ich.

(Sie gehen die Domtreppe hinab und verschwinden nach verschiedenen Richtungen. Giuliano tritt aus dem Dom, sich entsetzt umwendend.)

Giuliano
War's ein Gespenst? Im Dunkel strahlte es
Und sah mich an –. Es waren nichts als Augen,
Blutunterlaufene –

(Maria erscheint in der offenen Domtür, fernes Kerzenlicht vom Altar strahlt hinter ihr.)

                                Maria – du –!

(Maria sieht ihn groß und ruhig an und will an ihm vorüber. Er vertritt ihr den Weg.)

Maria
Du gabst mir einen Sohn und nahmst ihn wieder –
Was willst du noch von mir?

Giuliano                                       Ich hab' ihn nicht –

Maria
Du hast ihn nicht. Ich weiß. Er starb auch dir.
Laß mich vorüber.

Giuliano                       Nein, ich laß dich nicht.
Seit ich dich sah, weiß ich, du bist die Parze,
Die heimlich meinen Unglücksfaden spinnt.
Dies Schwert ist unbesiegt, doch jeden Lorbeer
Entriß mir noch ein andrer, eh' die Stirne
Er mir gekrönt. Ein Heimatloser war ich,
Da öffnete Florenz mir seine Tore
Und speit mich wieder aus wie ekle Speise.
Ein Kinderloser war ich. Ein Geschenk
Der Götter selber, fand ich einen Sohn,
Und er verwarf mich. – Nimm die Schuld von mir,
Verfolge mich nicht mehr!

Maria                                       Der heil'ge Christ
Starb auch für dich. Sein ist allein die Macht
Zu lösen und zu binden. Trug ich noch
In meinem Herzen eine Spur von Haß,
So hat ihn meine Buße ganz gelöscht.
Zieh hin in Frieden!
    (Giuliano entfernt sich, nachdem er ihr kniend
    die Hand geküßt hat.)

                                Gütige Madonna,
Streich aus dem Schuldbuch meines toten Sohn's
Nur eine seiner Sünden!

(Giuseppe erscheint, das Handwerkszeug tragend. Er packt die in sich Versunkene heftig am Arm.)

Giuseppe
Hier find' ich dich! Mein Haus ist leer, verwahrlost
Ist meine Habe, ausgebrannt mein Herd.
Ist das der Dank, daß ich Barmherzigkeit
An dir geübt und an dem Bankert – wie?
    (Pause. Er wartet vergebens auf Antwort.)
Weißt du, woher ich komme? Vom Palazzo
Der Medici. Man gab mir gestern Arbeit,
Heut warf man mich hinaus. Dein saubrer Sohn
Hat einen alten, braven Mann wie mich,
Dem er sein Leben dankt, ums Brot gebracht.
    (Pause. Er wartet wieder vergebens auf Antwort.)
So rede doch! Die Schmach verschlug dir wohl
Die Sprache? – Rasch, ich brauch' die Magd im Haus.
Mach, daß du heimkommst.

Maria                                           Habe Dank, Giuseppe.
Ich will dir dienen besser als bisher.
Ich habe große Sünde gutzumachen.
Gib mir dein Werkzeug. (Er gibt es ihr.) O, es lastet schwer!
Wie wohl das tut!

(Giuseppe wendet sich zum Gehen, Maria geht hinter ihn. Meister Sandro tritt ihr entgegen.)

Sandro Maria, welch ein Anblick!

(Er will ihr die Last abnehmen.)

Maria                                             Nicht doch, Meister!
Ich trag' es gern! Nur eines bitt' ich Euch:
Gebt Antwort mir, als legtet Ihr die Hand
Zum Schwur auf Gottes Wort: Glaubt Ihr, ein Mensch
Kann so von aller Sünde sich befreien,
Daß Gott sein Leiden, seiner Buße Qual
Für eines andern großen Sünders Schuld
Empfangen mag?

Sandro                         Der heil'gen Beter Chor
Befreit die Sünder aus dem Fegefeuer.
Ich glaube es, Maria.

Maria                                 Dank Euch, Meister.
    (Sie will gehen, besinnt sich und wendet sich noch
    einmal um.)

Wollt Ihr noch eines mir zuliebe tun:
Nehmt das Madonnenbild aus unsrem Hause.
War es schon Sünde, daß ich arme Magd
Zur heil'gen Jungfrau Euch mein Antlitz gab,
So war es größre noch, davor zu beten.

Mir ist, ich betete zu meinem Sohn,
Der auf dem Schoß ihr saß, und nicht zum Heiland.

(Sie geht. Sandro sieht ihr lange nach. Von links strömt Volk herzu und geht nach rechts weiter. Fra Sebastiano, die Kapuze tief in die Stirne gezogen, ist mitten unter ihnen. Eine Frau kommt ihnen von rechts entgegengelaufen.)

Die Frau
So kommt nur – rasch – die Piazza ist voll Menschen.
Angelo prophezeit den Jüngsten Tag!

Eine zweite Frau (kommt von links, ein Kind nach sich zerrend)
Lauf doch geschwind, – wir kommen noch zu kurz!
Er zaubert Brot und Fische aus den Körben
Wie Christus selbst!

Ein Lahmer                     Und wandelt gar mein Bein,
Mein hölzernes, mir in lebend'ges um?

Ein altes Mütterchen
Er heilt die Schwären.

Eine dritte Frau                 Macht mein Kind gesund!

Ein Mann
Gibt mir zurück, was mir der Nachbar stahl.

(Sie eilen rechts die Straße hinauf zur Piazza. Fra Sebastiano nähert sich. Sandro und lüftet die Kapuze ein wenig.)

Fra Sebastiano
Wie märchensel'ge Kinder glauben sie's.
Die armen Narren!

Sandro                         Doch daß Angelo
Sie durch solch plumpe Lügen an sich lockte!

Fra Sebastiano
Des Herzogs Bastard? Nein! Ich schürte ihn,
Den Brand, der ihre Köpfe schon verwirrte.
Je stärker ihre Hoffnung ist, je größer
Wird die Enttäuschung sein.

Sandro                                         Ihr seid ein Schurke.

Fra Sebastiano
Der heil'gen Kirche frommer Diener bin ich
Und strecke in den Staub, wer ihrer spottet.

Sandro
Und ich bin Christi Knecht. In seinem Namen
Beschütz ich auch den Sünder in der Not.

(Sie eilen beide davon. Der Kardinal Bibbiena, der Abt und eine Anzahl Priester kommen von rechts.)

Der Abt
Nun hörtet Ihr ihn selbst, Herr Kardinal,
Die Gnadenwunder heil'ger Sakramente
Verleugnet er und den Erlösertod
Des Gottessohns!

Der Kardinal                 Beim Zeus, er ging zu weit!
Auf offner Straße führt zur Meuterei,
Was im Palast der Fürsten nur ein Spiel
Der freien Geister ist. – Ihr habt die Macht;
Nehmt ihn gefangen – er ist Klosterschüler –
Steckt ihn bei Brot und Wasser in die Zelle,
Die Eure engste ist, und schickt ihn dann,
Wenn ihm der Übermut erst ausgetrieben,
In sichrer Hut zu mir nach Rom. Mir scheint,
Aus diesem Jüngling läßt sich etwas machen,
Das unsres Heil'gen Vaters Langeweile
Verkürzen hilft.

Der Abt                   Herr Kardinal, die Sache
Ist viel zu ernst, als daß Ihr scherzen dürft.
Wir brauchen ein Exempel. Unsre Bürger
Sind im Erfüllen ihrer Christenpflicht
Schon lange lässig. Dies hier fehlte noch,
Um sie an ihrem Glauben irr' zu machen.
Ihr wißt so gut wie ich, der Geist des Zweifels
Erhebt sich drohend in der ganzen Welt, –
Er weicht nur einem Zauber noch: Dem Schrecken.

Der Kardinal
Der böse Geist des Zweifels, teurer Abt,
Spricht auch aus Eurer Angst, sonst würdet Ihr
Die Macht des Glaubens ihm entgegensetzen,
Nicht die Gewalt.

(Die Szene hat sich inzwischen immer mehr gefüllt. Von der Straße rechts strömen die Menschen eifrig redend zurück.)

Das Kind (weinerlich zur Mutter)
                            Er gab mir keinen Fisch,
Kein Stückchen Brot. Ich habe Hunger, Mutter.

Der Lahme
Lahm, wie ich war, so schickt er mich zurück.

Ein junger Mann
Es gibt kein Übel für den Guten, sagt er.

Ein zweiter
So spottet er noch unsrer Not.

Ein dritter                                       Der Wille
Wirkt Wunder, sprach er, und versetzt die Berge.
Ich wollte längst, ich hätt' des Herzogs Gold,
Und doch ist meine Tasche leer wie immer!

(Cesare kommt und mischt sich unter die Menge. Man sieht ihn mit dem und jenem sprechen.)

Ein Mann
Lorenzo Medici, ich weiß es sicher,
Verwies ihn heute nacht aus dem Palast.
Er ist vielleicht kein echter Sproß des Hauses.

Ein zweiter
Sagt' ich es euch nicht gleich: er schmeichelt uns;
So machen's alle, wenn sie uns gebrauchen.

Ein dritter
Er ist nur ein Betrüger mehr.

Ein vierter                                   Ein Narr!

Cesare
Ganz recht, mein Freund, ein armer Narr ist er.
Lorenzo von Urbino, unser Herr,
Bedauert tief, die guten Florentiner
An einem Festtag, wie der heut'ge ist,
In solcher Not zu sehn, so ganz verärgert,
So schlechter Laune! Liebt er doch nichts mehr
Als fröhliche Gesichter. »Leider bin ich«,
So sagt er mir, »kein neuer Wundertäter,
Auch kein Prophet, drum ist der Trost gering,
Den ich zu bieten habe.« Seht, er schickte
Mit ein paar vollen Beuteln mich zu euch.

(Er zieht ein paar Beutel aus der Tasche und hebt sie hoch. Alles drängt sich um ihn. Er spricht weiter, während er das Geld verteilt.)

Vergeßt bei einem guten Tropfen Wein
Den argen Spuk, der euren Geist verwirrte.
Was ihr gesündigt habt in eurem Wahn,
Wird euch vergeben. Denn der Heil'ge Vater
Ist ja ein Medici, und seinen Segen
Schickt er in Fülle der getreuen Stadt.

(Er wirft das letzte Geld unter die Menge, die sich darum rauft.)

Ein Mann
Heil, heil, Lorenzo, unserm gnäd'gen Herrn!

Die Menge
Heil, heil, dem Vater, dem Beschützer, heil!

Der Kardinal
Was wollt ihr mehr? Der arme Schwärmer ist
Gerichtet. Ihr könnt euer Urteil sparen.

(Der Kardinal geht. Fra Sebastiano kommt von rechts.)

Fra Sebastiano (zu dem Abt und den Mönchen)
Noch drängt sich um ihn eine Menge Volks.
Sein Jubel ist die Peitsche seiner Rede,
So daß sie, ein gehetztes wildes Pferd,
Die letzten Schranken frommen Christenglaubens
Blindrasend überspringt. Wie lange noch,
Ihr Krieger Christi, duldet ihr den Greuel?

(Man hört das Herannahen vieler Menschen, ein Mann eilt voraus.)

Der Mann
Nehmt euch in acht, friedfert'ge Florentiner!
Die Banden, die ihm folgen, tragen heimlich
Den Dolch im Gürtel. Dieser sanfte Jüngling
Wird ein Tyrann, wenn ihr ihn siegen laßt.

(Von rechts kommen zuerst Kinder gelaufen, denen ganz junge Leute folgen. Dann erscheint Angelo, dicht neben ihm Lucrezia. Ihm folgen junge Männer und viele Frauen. Die Gruppe um ihn steht im drastischen Gegensatz zu dem, was vorher von ihr gesagt wurde.)

Angelo
Nun laßt uns diese grauen Mauern fliehen;
Sie sind ein dumpfer Kerker für die Seelen,
Die Sonne suchen. Auf den Bergen droben
Steht noch ein Tempel aus vergangner Zeit.
Durch offne Säulenhallen streicht der Westwind,
Im weißen Marmorestrich spiegelt sich
Der blaue Himmel. Ein verlass'ner Altar
Erwartet unser Opferfeuer. Kommt!

(Er will weitergehen. Fra Sebastiano tritt ihm entgegen.)

Fra Sebastiano
An welchen Gott verkaufst du diese Seelen,
Verführer, und um welchen Satanspreis?

Angelo
Die Sonne scheint nur dem, der sehen kann.
Und du bist blind.

Fra Sebastiano           So nenne seinen Namen!

Der Abt
Heißt er dir Allah oder Zebaoth?

Fra Sebastiano
Apollon? Dionys?

Angelo                         Seid ihr so klein,
So jämmerlich, daß ihr den Ewigen,
Allgegenwärtigen, Geheimnisvollen,
Der sich in jedem Grashalm offenbart,
In jedem Stern, in jedem Atemzuge,
In einen engen Namen spannen wollt?

Der Abt
Du weichst mir aus, weil du die Wahrheit fürchtest.
Ich frage dich vor allem Volk: Bekenne,
Ist der dreiein'ge Gott der deine?

Angelo                                                 Nein!

Fra Sebastiano
Ihr hört den Gottesleugner!

Die Mönche                               Steinigt ihn!

Lucrezia
Rühret ihn nicht an!

Cesare (reißt Lucrezia fort)     Weg mit der Buhlerin!
    (Er packt Angelo mit beiden Händen. Zwei Männer
    treten herzu und versuchen ihn zu binden.)

Ihr seid gefangen.

Angelo                         Du, Cesare, du?!
    (Er reißt sich los, während die Mönche ihn umringen
    und die Männer sein Gefolge zurückzudrängen
    suchen.)

Ein feiger Überfall. Ich trotze euch.
Kommt, Freunde, kommt! Der Tempel wartet unsrer.

(Die Jünglinge und die Mädchen versuchen zu ihm durchzudringen. Ein Mädchen erscheint auf der obersten Stufe der Domtreppe.)

Das Mädchen (laut schreiend)
Weicht von ihm, Mädchen! Laßt ihn los, ihr Knaben!
Kennt ihr Maria, seine Mutter, nicht?
Für einen Toten läßt sie Messe lesen
Und geißelt sich für einen, der verdammt.

(Alles weicht scheu vor Angelo zurück. Er steht ganz allein zwischen Cesare und den Mönchen. Lucrezia nähert sich ihm und schmiegt sich an seine Füße.)

Angelo
Nur du, Lucrezia?
    (Er läßt sich widerstandslos fesseln.)

Der Vorhang fällt.

Ende des vierten Akts.

 


 << zurück weiter >>