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Antiquitäten

Erinnerung an die Hohen Bleichen

 

Weitab vom Lärm der großen Gegenwart,
verfallumwittert, ruhmreich und verlassen,
stehn stille Dinge rings, verstaubt, apart
ein paar kokette Biedermeiertassen.

Darüber wuchtet bleich ein Imperator,
doch seiner Büste Würde ist gegipst.
Ein ausgestopfter Südseealligator
grinst glasig grünen Auges wie beschwipst.

Der bronzne Kienspanhalter Karls des Weisen
blinkt über Buddhas Bauch und seinen Falten.
Die Zopfperücke hat noch einen leisen
verführerischen Puderhauch behalten.

Malaiisch glotzt mit hölzern starren Zügen
ein Götze. Fahl erglimmen Zähne von Mulatten.
Verrostet träumen Waffen von den Kriegen
und klirren leis in Rembrandts weichem Schatten.

Der Totenwurm in der Barockkommode
tickt zeitlos in den ausgedörrten Wänden.
Betrübt summt eine Fliege ihre Ode –
das macht, sie hockt auf Schopenhauers dreizehn Bänden.

 

*

Der Zyklus dieser vierzehn Gedichte wurde im Sommer 1946 aus etwa sechzig Gedichten zusammengestellt, die Borchert mit vielen anderen Versen in den Jahren 1940/45 geschrieben hatte. Vom Standpunkt einer strengen Lyrik-Kritik aus mögen vielleicht Einwendungen gegen einzelne Gedichte zu erheben sein, Einwendungen, die Borchert selbst zu teilen geneigt war. Seine Prosa hatte zu dieser Zeit bereits die Lyrik aus dem Zentrum seines Schaffens verdrängt. Da diese Verse gewisse Regungen des Borchertschen Lebensempfindens echt und anschaulich spiegeln, gehören sie zum Bilde seiner künstlerischen Persönlichkeit. Der Zyklus wurde am Totensonntag 1946 erstmalig von Annemarie Marks auf einem Borchert-Abend der Vereinigung Niederdeutsches Hamburg im Eppendorfer Gemeindehaus gesprochen. Er erschien im Dezember 1946 im Verlag Hamburgische Bücherei.

 


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