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Über die Grenzen des Naturerkennens

Zehnter Abdruck.

Wie es einen Welteroberer der alten Zeit an einem Rasttag inmitten seiner Siegeszüge verlangen konnte, die Grenzen seiner Herrschaft genauer festgestellt zu sehen, um hier ein noch zinsfreies Volk zum Tribut heranzuziehen, dort in der Wasserwüste ein seinen Reiterschaaren unüberwindliches Hinderniss, und eine Schranke seiner Macht zu erkennen: so wird es für die Weltbesiegerin unserer Tage, die Naturwissenschaft, kein unangemessenes Beginnen sein, wenn sie bei festlicher Gelegenheit von der Arbeit ruhend die wahren Grenzen ihres Reiches einmal klar sich vorzuzeichnen versucht. Für um so gerechtfertigter halte ich dies Unternehmen, als ich glaube, dass über die Grenzen des Naturerkennens zwei Irrthümer weit verbreitet sind, und als ich für möglich halte, solcher Betrachtung, trotz ihrer scheinbaren Trivialität, auch für die, welche jene Irrthümer nicht theilen einige neue Seiten abzugewinnen.

Ich setze mir also vor, die Grenzen des Naturerkennens aufzusuchen, und beantworte zunächst die Frage, was Naturerkennen sei.

Naturerkennen – genauer gesagt naturwissenschaftliches Erkennen oder Erkennen der Körperwelt mit Hülfe und im Sinne der theoretischen Naturwissenschaft – ist. Zurückführen der Veränderungen in der Körperwelt auf Bewegungen von Atomen, die durch deren von der Zeit unabhängige Centralkräfte bewirkt werden, oder Auflösen der Naturvorgänge in Mechanik der Atome. Es ist psychologische Erfahrungstatsache, dass, wo solche Auflösung gelingt, unser Causalitätsbedürfniss vorläufig sich befriedigt fühlt. Die Sätze der Mechanik sind mathematisch darstellbar, und tragen in sich dieselbe apodiktische Gewissheit, wie die Sätze der Mathematik. Indem die Veränderungen in der Körperwelt auf eine constante Summe von Spannkräften und lebendigen Kräften, oder von potentieller und kinetischer Energie zurückgeführt werden, welche einer constanten Menge von Materie anhaftet, bleibt in diesen Veränderungen selber nichts zu erklären übrig.

Kant's Behauptung in der Vorrede zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, dass in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen sei« – ist also vielmehr noch dahin zu verschärfen, dass für Mathematik Mechanik der Atome gesetzt wird. Sichtlich dies meinte er selber, als er der Chemie den Namen einer Wissenschaft absprach, und sie unter die Experimental-Lehren verwies. Es ist nicht wenig merkwürdig, dass in unserer Zeit die Chemie, indem die Entdeckung der Substitution sie zwang, den elektrochemischen Dualismus aufzugeben, sich von dem Ziel, eine Wissenschaft in diesem Sinne zu werden, scheinbar wieder weiter entfernt hat.

Hr. Engler hat einer bei dem Directoratswechsel an der technischen Hochschule zu Karlsruhe gehaltenen Festrede über den ›Stein der Weisen‹ (Karlsruhe 1889) Bemerkungen zu Kant's Ansichten über die Chemie als Wissenschaft' angehängt, welche, an das von mir im Text Gesagte anknüpfend, wesentlich darauf hinauslaufen, dass Hr. Engler zwischen den bisherigen chemischen Theorien und den vorgeschrittensten Zweigen der mathematischen Physik keinen Unterschied erkennt. Auf Goethe, Kirchhoff und Hrn. von Helmholtz sich stützend, nimmt er einen Standpunkt ein, auf welchem es ihm allerdings schwer würde, irgendwo eine Grenze zu ziehen zwischen der erhabensten Störungsrechnung und der unschuldigsten Käferdiagnose. Das Maass der Erkenntniss, welches die eine und die andere voraussetzen, erscheint ihm als völlig gleichwerthig, weil Kirchhoff die analytische Mechanik eine Beschreibung der in der Natur vor sich gehenden Bewegungen genannt hat. Allein Hr. Engler überschätzt die Tragweite dieses, wie sich hier ergiebt, nicht ganz unbedenklichen Ausspruches, und ich erlaube mir, ihn dieserhalb auf eine frühere Auseinandersetzung von mir zu verweisen, gegen welche Kirchhoff selber nichts eingewendet hat ( Goethe und kein Ende. Reden u. s. w. Erste Folge. S. 332). Es wäre bedauerlich, wenn durch ein Missverständniss ähnlich dem des Hrn. Engler die Chemie in Ungewissheit gerathen könnte über das ihr wenn auch aus weitester Ferne winkende Ziel, zur ›astronomischen Kenntniss‹ dessen durchzudringen, was bei ihren Reactionen vor sich geht.

Denken wir uns alle Veränderungen in der Körperwelt in Bewegungen von Atomen aufgelöst, die durch deren constante Centralkräfte bewirkt werden, so wäre das Weltall naturwissenschaftlich erkannt. Der Zustand der Welt während eines Zeitdifferentiales erschiene als unmittelbare Wirkung ihres Zustandes während des vorigen und als unmittelbare Ursache ihres Zustandes während des folgenden Zeitdifferentiales. Gesetz und Zufall wären nur noch andere Namen für mechanische Notwendigkeit. Ja es lässt eine Stufe der Naturerkenntniss sich denken, auf welcher der ganze Weltvorgang durch Eine mathematische Formel vorgestellt würde, durch Ein unermessliches System simultaner Differentialgleichungen, aus dem sich Ort, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit jedes Atoms im Weltall zu jeder Zeit ergäbe. »Ein Geist,« sagt Laplace, »der für einen gegebenen Augenblick alle Kräfte kennte, welche die Natur beleben, und die gegenseitige Lage der Wesen, aus denen sie besteht, wenn sonst er umfassend genug wäre, um diese Angaben der Analyse zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der grössten Weltkörper und des leichtesten Atoms begreifen: nichts wäre ungewiss für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit wäre seinem Blick gegenwärtig. Der menschliche Verstand bietet in der Vollendung, die er der Astronomie zu geben gewusst hat, ein schwaches Abbild solchen Geistes dar.« Essai philosophique sur les Probabilités. Seconde Édition. Paris 1814. p. 2 et suiv. Die merkwürdige Stelle lautet: »Tous les événements, ceux même qui par leur petitesse semblent ne pas tenir aux grandes lois de la nature, en sont une suite aussi nécessaire que les révolutions du soleil. Dans l'ignorance des liens qui les unissent au système entier de l'univers, on les a fait dépendre des causes finales, ou du hasard, suivant qu'ils arrivaient et se succédaient avec régulariteé, ou sans ordre apparent; mais ces causes imaginaires ont été successivement reculées avec les bornes de nos connaissances, et disparaissent entièrement devant la saine philosophie qui ne voit en elles, que l'expression de l'ignorance où nous sommes des véritables causes.

Les événements actuels ont avec les précédens, une liaison fondée sur le principe évident, qu'une chose ne peut pas commencer d'être, sans une cause qui la produise. Cet axiome connu sous le nom de principe de la raison suffisante, s'étend aux actions même les plus indifférentes. La volonté la plus libre ne peut sans un motif déterminant, leur donner naissance; car si toutes les circonstances de deux positions étant exactement les mêmes, elle agissait dans l'une et s'abstenait d'agir dans l'autre, son choix serait un effet sans cause .... L'opinion contraire est une illusion de l'esprit qui perdant de vue, les raisons fugitives du choix de la volonté dans les choses indifferentes, se persuade qu'elle s'est déterminée d'elle même et sans motifs. Nous devons donc envisager l'état présent de l'univers, comme l'effet de son état antérieur, et comme la cause de celui qui va suivre. Une intelligence qui pour un instant donné, connaîtrait toutes les forces dont la nature est animée, et la situation respective des êtres qui la composent, si d'ailleurs elle était assez vaste pour soumettre ces données à l'analyse, embrasserait dans la même formule, les mouvemens des plus grands corps de l'univers et ceux du plus léger atome: rien se serait incertain pour elle, et l'avenir comme le passé, serait présent à ses yeux. L'esprit humain offre dans la perfection qu'il a su donner à l'astronomie, une faible esquisse de cette intelligence. Ses découvertes en mécanique et en géometrie, jointes à celle de la pesanteur universelle, l'ont mis à portée de comprendre dans les mêmes expressions analytiques, les états passés et futurs du systeme du monde. En appliquant la même méthode à quelques autres objets de ses connaissances, il est parvenu à ramener à des lois générales, les phénomènes observés, et a prévoir ceux que des circonstances données doivent faire éclore. Tous ses efforts dans la recherche de la vérité, tendent à le rapprocher sans cesse de l'intelligence que nous venons de concevoir, mais dont il restera toujours infiniment éloigné. Cette tendance propre à l'espèce humaine, est ce qui la rend supérieure aux animaux; et ses progrès en ce genre, distinguent les nations et les siècles, et fondent leur véritable gloire.«

In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu ertheilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns sagen, wer die eiserne Maske war oder wie der ›President‹ zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tiefen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auftaucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den Tag, da das Griechische Kreuz von der Sophienmoschee blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbrennen wird. Setzte er in der Weltformel t = – &infin;, so enthüllte sich ihm der räthselhafte Urzustand der Dinge. Er sähe im unendlichen Raume die Materie entweder schon bewegt, oder ruhend und ungleich vertheilt, da bei gleicher Vertheilung das labile Gleichgewicht nie gestört worden wäre. Liesse er t im positiven Sinn unbegrenzt wachsen, so erführe er, nach wie langer Zeit Carnot's Satz das Weltall mit eisigem Stillstande bedroht. Ueber die Frage nach dem Weltstillstande s. W. THOMSON im Philosophical Magazine etc. 4th Series. vol. IV. 1852. p. 304; – HELMHOLTZ, Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte u.s.w. Königsberg 1854. S. 22ff.; – auch in: Vorträge und Reden. Braunschweig 1884. Bd. I. S.41ff.; – CLAUSIUS in POGGENDORFF's Annalen u.s.w. 1864. Bd. CXXI. S. I; – 1865. Bd. CXXV. S. 398 (Auch in: Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie. Zweite Abtheilung. Braunschweig 1867. S. 41); – denselben, Ueber den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie. Vortrag gehalten in einer allgemeinen Sitzung der 41. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Frankfurt a.M. u.s.w. Braunschweig 1867. S. 15. – In den drei ersten Auflagen hiess es hier: »Liesse er (der LAPLACE'sche Geist) t im positiven Sinn unbegrenzt wachsen, so erführe er, ob CARNOT's Satz erst nach unendlicher oder schon nach endlicher Zeit das Weltall mit eisigem Stillstande bedroht.« Die Antwort auf diese Frage hängt aber davon ab, ob die Summe der Massen der die Welt zusammensetzenden Atome endlich oder unendlich ist. Dies müsste der LAPLACE'sche Geist schon vor Aufstellung der Weltformel wissen, und er brauchte sie also nicht, um zu erfahren, ob jener Zustand nach endlicher oder nach unendlicher Zeit bevorstehe. Uebrigens muss die Summe der Massen der Atome oder wenigstens ihre Gesammtwirkung auf jedes einzelne Atom endlich sein, soll nicht bei unendlich viel Atomen die Integration der Differentialgleichungen zu unendlichen Resultaten führen, mithin ihre Aufstellung schon in der Idee unmöglich sein. Daher LEIBNIZ mit erstaunlichem Tiefblick die Aufstellbarkeit der Weltformel sogleich davon abhängig macht, dass die Anzahl der Atome endlich sei. Dem Texte liegt also jene Anschauung zu Grunde. Die Bedenken gegen Endlichkeit der Materie im unendlichen Raum, und die durch die metamathematischen Untersuchungen von RIEMANN u. A. über den Raum hier gesetzte Verwickelung sind mir nicht unbekannt; doch ist dies nicht der Ort, darauf einzugehen.

Solchem Geiste wären die Haare auf unserem Haupte gezählt, und ohne sein Wissen fiele kein Sperling zur Erde. Ein vor- und rückwärts gewandter Prophet, wäre ihm, wie d'Alembert, Laplace's Gedanken im Keime hegend, in der Einleitung zur Encyklopaedie sich ausdrückte, »das Weltganze nur eine einzige Thatsache und Eine grosse Wahrheit«. Encyclopédie. Discours préliminaire. Paris 1751. Fol. t.I. p.ix. »L'Univers, pour qui sauroit l'embrasser d'un seul point de vûe, ne seroit, s'il est permis de le dire, qu'un fait unique et une grande vérité.« – In einer lesenswerthen Würdigung des ›Discours préliminaire‹ sagt AUGUST BOECKH: »Ich betrachte als den Gipfel und die Krone der ganzen Abhandlung den Satz, zu dem er – D'ALEMBERT – auf sehr methodische Weise gelangt: das All würde dem, welcher es unter einem einzigen Blick umfassen könnte, nur eine einzige Thatsache, eine grosse Wahrheit seyn. Wie klein ist von da der Schritt zur Monas monadum des LEIBNIZ, oder um den spätern Ausdruck zu gebrauchen, zum Absoluten! Und ich weiss nicht, ob die zugefügte Verwahrung, ›wenn es erlaubt ist, es zu sagen‹, nicht aus dem Gefühl entstanden sei, dass er mit diesem Gedanken die Grenze der herrschenden Ansichten verwegen überschreite oder auch gegen den positiven Glauben verstösse, welchen er übrigens weit mehr als sein Schüler FRIEDRICH mit grosser Umsicht schont« (Monatsberichte der Berliner Akademie. 1858. S. 82. 83). – Sollte einem mathematischen Kopfe wie D'ALEMBERT nicht eher die Vorahnung des LAPLACE'schen Gedankens, als die des HEGEL'schen, zuzutrauen sein? Auch bei Leibniz findet sich schon der Laplace'sche Gedanke, ja in gewisser Beziehung weiter entwickelt als bei Laplace, sofern Leibniz jenen Geist auch mit Sinnen und mit technischem Vermögen von entsprechender Vollkommenheit ausgestattet sich denkt. Pierre Bayle hatte gegen die Lehre von der praestabilirten Harmonie eingewendet, sie mache für den menschlichen Körper eine Voraussetzung ähnlich der eines Schiffes, das durch eigene Kraft dem Hafen zusteuere. Leibniz erwiedert, dies sei gar nicht so unmöglich, wie Bayle meine. »Es ist kein Zweifel,« sagt er, »dass ein Mensch eine Maschine machen könnte, fähig einige Zeit in einer Stadt sich umher zu bewegen und genau an gewissen Strassenecken umzubiegen. Ein unvergleichlich vollkommnerer, obwohl beschränkter Geist könnte auch eine unvergleichlich grössere Anzahl von Hindernissen vorhersehen und ihnen ausweichen. So wahr ist dies, dass wenn, wie Einige glauben, diese Welt nur aus einer endlichen Anzahl nach den Gesetzen der Mechanik sich bewegender Atome bestände, es gewiss ist, dass ein endlicher Geist erhaben genug sein könnte, um Alles, was zu bestimmter Zeit darin geschehen muss, zu begreifen und mit mathematischer Gewissheit vorherzusehen; so dass dieser Geist nicht nur ein Schiff bauen könnte, das von selber einem gegebenen Hafen zusteuerte, wenn ihm einmal die gehörige innere Kraft und die Richtung ertheilt wäre, sondern er könnte sogar einen Körper bilden, der die Handlungen eines Menschen nachmachte.« Réplique aux Réflexions contenues dans la seconde Édition du Dictionnaire critique de Mr. Bayle etc. God. Guil. Leibnitii Opera philosophica etc. Ed. J.E.ERDMANN Berolini 1840. 4°. p. 183. 184. Il n'y a pas de doute qu'un homme pourroit faire une machine, capable de se promener durant quelque tems par une ville, et de se tourner justement aux coins de certaines rues. Un esprit incomparablement plus parfait, quoique borne, pourroit aussi prévoir et éviter un nombre incomparablement plus grand d'obstacles; ce qui est si vrai, que si ce monde, selon l'hypothèse de quelques uns, n'était qu'un composé d'un nombre fini d'atomes, qui se remuassent suivant les lois de la mécanique, il est sûr, qu'un esprit fini pourroit être assez relevé pour comprendre et prévoir démonstrativement tout ce qui y doit arriver dans un tems déterminé; de sorte que cet esprit pourroit non seulement fabriquer un vaisseau, capable d'aller tout seul à un port nommé en lui donnant d'abord le tour, la direction, et les ressorts qu'il faut; mais il pourroit encore former un corps capable de contrefaire un homme.«

Es braucht nicht gesagt zu werden, dass der menschliche Geist von dieser vollkommenen Naturerkenntniss stets weit entfernt bleiben wird. Um den Abstand zu zeigen, der uns sogar von deren ersten Anfängen trennt, genügt Eine Bemerkung. Ehe die Differentialgleichungen der Weltformel angesetzt werden könnten, müssten alle Naturvorgänge auf Bewegungen eines substantiell unterschiedslosen, mithin eigenschaftslosen Substrates dessen zurückgeführt sein, was uns als verschiedenartige Materie erscheint, mit anderen Worten, alle Qualität müsste aus Anordnung und Bewegung solchen Substrates erklärt sein, für welches ich den Namen υλη vorschlagen möchte.

Dass es in Wirklichkeit keine Qualitäten giebt, folgt aus der Zergliederung unserer Sinneswahrnehmungen. Nach unseren jetzigen Vorstellungen findet in allen Nervenfasern, welche Wirkung sie auch schliesslich hervorbringen, derselbe, nach beiden Richtungen sich ausbreitende, nur der Intensität nach veränderliche Molecularvorgang statt. In den Sinnesnerven wird dieser Vorgang eingeleitet durch die für Aufnahme äusserer Eindrücke verschiedentlich eingerichteten Sinneswerkzeuge; in den Muskel-, Drüsen-, elektrischen, Leuchtnerven durch unbekannte Ursachen in den Ganglienzellen der Centren. Der Idee nach müsste ein Stück Sehnerv mit einem Stück eines elektrischen Nerven, bei gehöriger Rücksicht auf ihre physiologische Wirkungsrichtung, In den früheren Abdrücken stand hier: sogar ohne Rücksicht auf oben und unten«. Die jetzt eingeführte Rücksicht auf die physiologische Wirkungsrichtung der Nerven ist geboten durch den von mir an den elektrischen Nerven des Zitterrochen entdeckten, von Hrn. Maurice Mendelssohn an vielen centrifugal wie centripetal wirkenden Nerven verfolgten, der physiologischen Wirkungsrichtung entgegenfliessenden Axialstrom (Sitzungsberichte der Berliner Akademie, 1884. S.231; – 1885. S.747; – Archiv für Physiologie, 1885. S.135. 381; – 1887. S.106). Faser für Faser ohne Störung vertauscht werden können; nach Einheilung der Stücke würden Sehnerv und elektrischer Nerv richtig leiten. Vollends zwei Sinnesnerven würden einander ersetzen. Bei über's Kreuz verheilten Seh- und Hörnerven hörten wir, wäre der Versuch möglich, mit dem Auge den Blitz als Knall, und sähen mit dem Ohr den Donner als Reihe von Lichteindrücken. Diese schöne Art, die Grundwahrheit der Lehre von den Sinnen zu erläutern, verdanke ich Donders. – Es ändert nichts an dem im Text Gesagten, dass die Lehre von den specifischen Energien der Nerven in der dort vorausgesetzten Form bei einigen Sinnen, insbesondere dem Gefühlssinn, noch auf Schwierigkeiten stößt. (Vergl. Alfred Goldscheider, die Lehre von den specifischen Energien der Sinnesorgane. Inaugural-Dissertation u.s.w. Berlin 1881.) Ein Theil dieser Schwierigkeiten ist übrigens neuerlich von Hrn. Magnus Blix in Lund und von Hrn. Goldscheider selber gehoben worden. Vergl. des letzteren Abhandlung im Archiv für Physiologie. 1885. Suppl.-Bd. S. 1 ff. Die Sinnesempfindung als solche entsteht also erst in den Sinnsubstanzen, wie Johannes Müller die zu den Sinnesnerven gehörigen Hirnprovinzen nannte, von welchen jetzt Hr. Hermann Munk einen Theil in der Grosshirnrinde als Sehsphaere, Hörsphaere u.s.w. unterschied. Die Sinnsubstanzen sind es, welche die in allen Nerven gleichartige Erregung überhaupt erst in Sinnesempfindung übersetzen, und als die wahren Träger der ›specifischen Energien‹ Johannes Müller's je nach ihrer Natur die verschiedenen Qualitäten erzeugen. Das mosaische: »Es ward Licht«, ist physiologisch falsch. Licht ward erst, als der erste rothe Augenpunkt eines Infusoriums zum ersten Mal Hell und Dunkel unterschied. Ohne Seh- und ohne Gehörsinnsubstanz wäre diese farbenglühende, tönende Welt um uns her finster und stumm.

Und stumm und finster an sich, d.h. eigenschaftslos, wie sie aus der subjectiven Zergliederung hervorgeht, ist die Welt auch für die durch objective Betrachtung gewonnene mechanische Anschauung, welche statt Schall und Licht nur Schwingungen eines eigenschaftslosen, dort als wägbare, hier als scheinbar unwägbare Materie sich darbietenden Urstoffes kennt.

Aber wie wohlbegründet diese Vorstellungen im Allgemeinen auch sind, zu ihrer Durchführung im Einzelnen fehlt noch so gut wie Alles. Der Stein der Weisen, der die heute noch unzerlegten Stoffe in einander umwandelte und aus höheren Grundstoffen, wenn nicht dem Urstoff selber, erzeugte, müsste gefunden sein, ehe die ersten Vermuthungen über Entstehung scheinbar verschiedenartiger aus in Wirklichkeit eigenschafts-, also unterschiedsloser Materie möglich würden: unserer achtundsechzig Elemente, deren weitere Vermehrung uns so wenig aufzuregen pflegt wie die der kleinen Planeten, aus der ›Hyle‹. Gewiss ist Hrn. Lothar Meyer's und Hrn. Mendelejeff's periodisches System der Elemente ein mächtiger Schritt in dieser Richtung, welcher aber zunächst nur dazu dient uns zu zeigen, wie weit wir noch von der ersehnten Einsicht entfernt sind.

Der oben geschilderte Geist – er heisse fortan kurz der Laplace'sche Geist Er sollte eigentlich der Leibnizische Geist heissen, indessen war die Bezeichnung 'Laplace'scher Geist' schon durch mich eingebürgert, als ich denselben Gedanken bei Leibniz fand, und es schien nicht zweckmässig, eine Aenderung darin vorzunehmen. – würde dagegen diese Einsicht vollendet besitzen, und danach könnte es scheinen, als sei zwischen ihm und uns kein Vergleich möglich. Doch ist der menschliche Geist vom LAPLACE'schen Geiste nur gradweise verschieden, etwa wie eine bestimmte Ordinate einer von Null in's Unendliche ansteigenden Curve von einer zwar ausnehmend viel grösseren, jedoch noch endlichen Ordinate derselben Curve. Wir gleichen diesem Geist, denn wir begreifen ihn. Ja es ist die Frage, ob ein Geist wie NEWTON's von dem LAPLACE'schen Geiste sich viel mehr unterscheidet, als vom Geiste NEWTON's der Geist eines Australnegers, der nur bis drei, eines Buschmannes, der nur bis zwei zählt, oder eines Chiquito's, der gar keine Zahlwörter besitzt. Friedrich Müller, Grundriss der Sprachwissenschaft. Bd. I. 2. Wien 1877. S. 26; – Bd. II 1. 1882. S. 23. 31. 37. 43. 58. 70. 85. 407. Mit anderen Worten, die Unmöglichkeit, die Differentialgleichungen der Weltformel aufzustellen, zu integriren und das Ergebniss zu discutiren, ist keine in der Natur der Dinge begründete, sondern beruht auf der Unmöglichkeit, die nöthigen thatsächlichen Bestimmungen zu erlangen, und, auch wenn dies möglich wäre, auf deren unermesslicher, vielleicht unendlicher Ausdehnung, ihrer Mannigfaltigkeit und Verwickelung.

Das Naturerkennen des LAPLACE'schen Geistes stellt somit die höchste denkbare Stufe unseres eigenen Naturerkennens vor, und bei der Untersuchung über die Grenzen dieses Erkennens können wir jenes zu Grunde legen. Was der LAPLACE'sche Geist nicht zu durchschauen vermöchte, das wird vollends unserem in so viel engeren Schranken eingeschlossenen Geiste verborgen bleiben.

Zwei Stellen sind es nun, wo auch der LAPLACE'sche Geist vergeblich trachten würde weiter vorzudringen, vollends wir stehen zu bleiben gezwungen sind.

Erstens nämlich ist daran, zu erinnern, dass das Naturerkennen, welches vorher als unser Causalitätsbedürfniss vorläufig befriedigend bezeichnet wurde, in Wahrheit dies nicht thut, und kein Erkennen ist. Die Vorstellung, wonach die Welt aus stets dagewesenen und unvergänglichen kleinsten Theilen besteht, deren Centralkräfte alle Bewegung erzeugen, ist gleichsam nur Surrogat einer Erklärung. Sie führt, wie bemerkt, alle Veränderungen in der Körperwelt auf eine constante Menge von Materie und ihr anhaftender Bewegungskraft zurück, und lässt an den Veränderungen selber also nichts zu erklären übrig, denn was stets da war, kann nur Ursache, nicht Wirkung sein. Bei dem gegebenen Dasein jenes Constanten können wir, der gewonnenen Einsicht froh, eine Zeit lang uns beruhigen; bald aber verlangen wir tiefer einzudringen, und es seinem Wesen nach zu begreifen. Da ergiebt sich denn bekanntlich, dass zwar die atomistische Vorstellung für den Zweck unserer physikalisch-mathematischen Ueberlegungen brauchbar, ja mitunter unentbehrlich ist, dass sie aber, wenn die Grenzen der an sie zu stellenden Forderungen überschritten werden, als Corpuscular-Philosophie in unlösliche Widersprüche führt.

Ein physikalisches Atom, d.h. eine im Vergleich zu den Körpern, die wir handhaben, verschwindend klein gedachte, aber trotz ihrem Namen in der Idee noch theilbare Masse, welcher Eigenschaften oder ein Bewegungszustand zugeschrieben werden, wodurch das Verhalten einer aus unzähligen solchen Atomen bestehenden Masse sich erklärt, ist eine in sich folgerichtige und unter Umständen, beispielsweise in der Chemie, der mechanischen Gastheorie, äusserst nützliche Fiction. In der mathematischen Physik wird übrigens deren Gebrauch neuerlich möglichst vermieden, indem man, statt auf discrete Atome, auf Volumelemente der continuirlich gedachten Körper zurückgeht. Vergl. von Helmholtz, Gedächtnissrede auf Gustav Magnus. Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1871. Berlin 1872. 4°. S. 11 ff.; – auch in: Vorträge und Reden u. s. w. Bd. II S. 46 ff.

Ein philosophisches Atom dagegen, d. h. eine angeblich nicht weiter theilbare Masse trägen wirkungslosen Substrates, von welcher durch den leeren Raum in die Ferne wirkende Kräfte ausgehen, ist bei näherer Betrachtung ein Unding.

Denn soll das nicht weiter theilbare, träge, an sich unwirksame Substrat wirklichen Bestand haben, so muss es einen gewissen noch so kleinen Raum erfüllen. Dann ist nicht zu begreifen, warum es nicht weiter theilbar sei. Auch kann es den Raum nur erfüllen, wenn es vollkommen hart ist, d. h. indem es durch eine an seiner Grenze auftretende, aber nicht darüber hinaus wirkende abstossende Kraft, welche alsbald grösser wird, als jede gegebene Kraft, gegen Eindringen eines anderen Körperlichen in denselben Raum sich wehrt. Abgesehen von anderen Schwierigkeiten, welche hieraus entspringen, ist das Substrat alsdann kein wirkungsloses mehr.

Denkt man sich umgekehrt mit den Dynamisten als Substrat nur den geometrischen Mittelpunkt der Centralkräfte, so erfüllt das Substrat den Raum nicht mehr, denn der Punkt ist die im Räume vorgestellte Negation des Raumes. Dann ist nichts mehr da, wovon die Centralkräfte ausgehen, und was träg sein könnte, gleich der Materie.

Durch den leeren Raum in die Ferne wirkende Kräfte sind an sich unbegreiflich, ja widersinnig, und erst seit NEWTON's Zeit, durch Missverstehen seiner Lehre und gegen seine ausdrückliche Warnung, den Naturforschern eine geläufige Vorstellung geworden. Vergl. Isenkrahe, Das Räthsel von der Schwerkraft. Kritik der bisherigen Lösungen des Gravitationsproblems u. s. w. Braunschweig 1879; – Kritische Beiträge zum Gravitationsproblem. Klein's Gaea. 1880. Bd. XVI. S. 472. 544. 600. 647. 745; – Euler's Theorie von der Ursache der Gravitation. Schlömilch's und Cantor's Zeitschrift für Mathematik und Physik. Historisch-literarische Abtheilung. 1881. Bd. XXVI. I. S. 1. – Am 3. Februar 1888 hielt mein Bruder, Prof. Paul du Bois-Reymond, in der physikalischen Gesellschaft zu Berlin einen Vortrag, in welchem er bewies, dass die Fernkraft auf keine Art mechanisch construirbar, dass sie also unbegreiflich ist. Der Vortrag wurde gedruckt in der von Hrn. Sklarek herausgegebenen 'Naturwissenschaftlichen Rundschau', III. Jahrgang, No. 14. – Am 28. November 1888 hielt dann Hr. Isenkrahe in der philosophischen Gesellschaft zu Bonn einen gegen meines Bruders Ansicht gerichteten Vortrag, welcher aber erst 1890 unter dem Titel: 'Ueber die Fernkraft und das durch Paul du Bois-Reymond aufgestellte dritte Ignorabimus', bei Teubner in Leipzig erschien. Leider erlebte mein Bruder, der am 7. April 1889 starb, diese Veröffentlichung nicht, auf welche er schwerlich eine Antwort schuldig geblieben wäre. In der von seinem Collegen an der Berliner technischen Hochschule, Hrn. Prof. Guido Hauck nach hinterlassenen Aufzeichnungen herausgegebenen posthumen Schrift Paul du Bois-Reymond's : Ueber die Grundlagen der Erkenntniss in den exacten Wissenschaften (Tübingen 1890 bei Laupp), kehrt der Aufsatz aus der Rundschau einfach in gekürzter Form wieder. Auch die Hertz'schen Versuche sind darin noch nicht berücksichtigt, die fortan bei jeder Erörterung über Fernwirkungen eine wichtige Rolle spielen dürften. Denkt man sich mit DESCARTES und LEIBNITZ den ganzen Raum erfüllt, und alle Bewegung durch Uebertragung in Berührungsnähe erzeugt, so ist zwar das Entstehen der Bewegung auf ein unserer sinnlichen Anschauung vertrautes Bild zurückgeführt, aber es stellen sich andere Schwierigkeiten ein. Unter Anderem war es bei dieser Vorstellung bisher unmöglich, die verschiedene Dichte der Körper aus verschiedener Zusammenfügung des gleichartigen Urstoffes zu erklären.

Es ist leicht, den Ursprung dieser Widersprüche aufzudecken. Sie wurzeln in unserem Unvermögen, etwas Anderes, als mit den äusseren Sinnen entweder, oder mit dem inneren Sinn Erfahrenes uns vorzustellen. Bei dem Bestreben, die Körperwelt zu zergliedern, gehen wir aus von der Theilbarkeit der Materie, da sichtlich die Theile etwas Einfacheres und Ursprünglicheres sind, als das Ganze. Fahren wir in Gedanken mit Theilung der Materie immer weiter fort, so bleiben wir mit unserer Anschauung in dem uns angewiesenen Geleise, und fühlen uns in unserem Denken unbehindert. Zum Verständniss der Dinge thun wir keinen Schritt, da wir in der That nur das im Bereiche des Grossen und Sichtbaren Erscheinende auch im Bereiche des Kleinen und Unsichtbaren uns vorstellen. Wir kommen so zum Begriffe des physikalischen Atoms. Hören wir nun aber willkürlich irgendwo mit der Theilung auf, bleiben wir stehen bei vermeintlichen philosophischen Atomen, die nicht weiter theilbar, an sich wirkungslos, und doch vollkommen hart und Träger fernwirkender Centralkräfte sein sollen: so verlangen wir, dass eine Materie, die wir uns unter dem Bilde der Materie denken, wie wir sie handhaben, neue, ursprüngliche, ihr eigenes Wesen aufklärende Eigenschaften entfalte, und dies ohne dass wir irgend ein neues Prinzip einführten. So begehen wir den Fehler, der durch die vorher blossgelegten Widersprüche sich äussert. Es versteht sich, dass es meine Absicht nicht sein konnte, innerhalb des Rahmens dieses Vortrages eine vollständige Kritik der Theorien über Materie und Kraft zu geben. Ich wollte nur andeuten, dass hier unlösliche Widersprüche versteckt sind. Ausführliche Auseinandersetzungen des Gegenstandes aus neuerer Zeit findet man in G. Th. Fechner, Ueber die physikalische und philosophische Atomenlehre. Leipzig 1855, und in F. Harms, Philosophische Einleitung in die Encyklopädie der Physik, im 1. Bde. von G. Karsten's Allgemeiner Encyklopädie der Physik. Leipzig 1869. S. 307 ff.

Niemand, der etwas tiefer nachgedacht hat, verkennt die transcendente Natur des Hindernisses, das hier sich uns entgegenstellt. Wie man es auch zu umgehen versuche, in der einen oder anderen Form stösst man darauf. Von welcher Seite, unter welcher Deckung man ihm sich nähere, man erfährt seine Unbesiegbarkeit. Die alten Ionischen Physiologen standen davor nicht rathloser als wir. Alle Fortschritte der Naturwissenschaft haben nichts dawider vermocht, alle ferneren werden dawider nichts fruchten. Nie werden wir besser als heute wissen, was, wie Paul Erman zu sagen pflegte, »hier«, wo Materie ist, »im Raume spukt«. Denn sogar der Laplace'sche, über den unseren so weit erhabene Geist würde in diesem Punkte nicht klüger sein als wir, und daran erkennen wir verzweifelnd, dass wir hier an der einen Grenze unseres Witzes stehen.

Uebrigens böte die materielle Welt diesem Geiste noch ein unlösbares Räthsel. Zwar würde, wie wir sahen, seine Formel ihm den Urzustand der Dinge enthüllen. Träfe er aber die Materie vor unendlicher Zeit im unendlichen Räume ruhend und ungleich vertheilt an, so wüsste er nicht, woher die ungleiche Vertheilung; träfe er sie schon bewegt an, so wüsste er nicht, woher die Bewegung, welche ihm nur als zufälliger Zustand der Materie erscheint. In beiden Fällen bliebe sein Causalitätsbedürfniss unbefriedigt. Vielleicht, ja wahrscheinlich, ist die schon von Aristoteles erörterte Frage nach dem Anfang der Bewegung einerlei mit der nach dem Wesen von Materie und Kraft. Weder lässt sich dies beweisen, noch wäre dem Laplace'schen Geist damit geholfen, da eben das Wesen von Materie und Kraft ihm verschlossen bleibt.

Sehen wir aber von dem Allen ab, setzen wir die bewegte Materie als gegeben voraus, so ist in der Idee, wie gesagt, die Körperwelt verständlich. Seit unendlicher Zeit geht im unendlichen Raume Verdichtung der scheinbar sich anziehenden Materie vor sich. Als verschwindender Punkt irgendwo im Weltall ballt sich dabei auch der kreisende Nebel zusammen, aus welchem die von Hrn. von Helmholtz mittels der mechanischen Wärmetheorie weiter geführte Kant'sche Hypothese unser Planetensystem mit seiner erschöpfbaren, nie wiederkehrenden Wärmemitgift werden lässt. Die Wechselwirkung der Naturkräfte u. s. w. Königsberg 1854. S. 44; – Vorträge und Reden. Bd. I. S. 75 Schon sehen wir unsere Erde als feurig flüssigen Tropfen, umhüllt mit einer Atmosphaere von unvorstellbarer Beschaffenheit, in ihrer Bahn rollen. Wir sehen sie im Lauf unermesslicher Zeiträume mit einer Rinde erstarrenden Urgesteines sich umgeben, Meer und Veste sich scheiden, den Granit, durch heisse kohlensaure Wolkenbrüche zerfressen, das Material zu kalihaltigen Erdschichten liefern, und schliesslich Bedingungen entstehen, unter denen Leben möglich ward.

Wo und in welcher Form es auf Erden zuerst erschien, ob als Protoplasmaklümpchen im Meer, oder ob an der Luft unter Mitwirkung der noch mehr ultraviolette Strahlen entsendenden Sonne bei noch höherem Kohlensäuregehalt der Atmosphaere; ob von anderen Weltkörpern her Lebenskeime zu uns herüberflogen; Sir William Thomson, in: Report of the forty-first Meeting of the British Association for the Advancement of Science held at Edinburgh in August 1871. The President's Address, p. CII; – von Helmholtz in der Vorrede zum zweiten Theile des ersten Bandes der deutschen Uebersetzung des Handbuches der theoretischen Physik von W. Thomson und P. G. Tait. S. XIff. (1873); – Vorträge und Reden u. s. w. Bd. II S. 346ff. wer sagt es je? Aber der Laplace'sche Geist im Besitze der Weltformel könnte es sagen. Denn beim Zusammentreten unorganischen Stoffes zu Lebendigem handelt es sich zunächst nur um Bewegung, um Anordnung von Molekeln in mehr oder minder festen Gleichgewichtslagen, und um Einleitung eines Stoffwechsels, theils durch von aussen überkommene Bewegung, theils durch Spannkräfte der mit Molekeln der Aussenwelt in Wechselwirkung tretenden Molekeln des Lebewesens. Was das Lebende vom Todten, die Pflanze und das nur in seinen körperlichen Functionen betrachtete Thier vom Krystall unterscheidet, ist zuletzt dieses: im Krystall befindet sich die Materie in stabilem Gleichgewichte, während durch das Lebewesen ein Strom von Materie sich ergiesst, die Materie darin in mehr oder minder vollkommenem dynamischen Gleichgewichte Vergl. Smaasen, in Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie. 1846. Bd. LXIX. S. 161. sich befindet, mit bald positiver, bald der Null gleicher, bald negativer Bilanz. Daher ohne Einwirkung äusserer Massen und Kräfte der Krystall ewig bleibt was er ist, dagegen das Lebewesen in seinem Bestehen von gewissen äusseren Bedingungen, den integrirenden oder Lebensreizen der älteren Physiologie, Joh. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen u. s. w. Bd. I. 4. Aufl. Coblenz 1844. S. 28. abhängt, und einem zeitlichen Verlauf unterliegt, aber auch fähig wird, kinetische in potentielle Energie, diese in jene nach Bedürfniss zu verwandeln.

So werden durch diese grundlegende Verschiedenheit zwischen den Individuen, der todten und denen der lebenden Natur die Vorgänge in letzteren dem Gesetz der Erhaltung der Energie unterthan. Neben ihr verschwinden an Bedeutung, sofern sie nicht darin aufgehen, die von Ernst Heinrich Weber scharfsinnig ausgedachten, die beiden Classen von Individuen mehr äusserlich trennenden Merkmale. Den sonst vom Vitalismus hervorgehobenen Unterschieden, der angeblich höheren Unbegreiflichkeit und Unnachahmlichkeit der Lebewesen, ihrer Zweckmässigkeit, verschiedenen Reaction und Untheilbarkeit liegt meist unrichtige Auffassung zu Grunde. Was insbesondere die Untheilbarkeit betrifft, so beruht zwar die sogenannte Theilbarkeit mancher Organismen nur auf einem weitreichenden Regenerationsvermögen. Doch sind in der Idee Lebewesen nach Art der Krystalle theilbar in constituirende Elementarorganismen, so dass sie kaum noch Individuen heissen dürften; andererseits sind Maschinen untheilbar nach Art der Lebewesen, da in beiden die Wirkung des Ganzen die der Theile, die Wirkung der Theile die des Ganzen bedingt. So erklärt sich ohne grundsätzliche Verschiedenheit der Kräfte im Krystall und im Lebewesen, ohne Lebenskraft in irgend einer Form oder Verkleidung, dass beide miteinander incommensurabel sind wie ein in lauter ähnliche Werkstücke spaltbares Bauwerk und eine Maschine, und somit ist für den Forscher kein Grund vorhanden, zwischen beiden Reichen jene absoluten Schranken gelten zu lassen, wie sie der unbefangene Menschensinn freilich allerorten und jederzeit erblickt hat und erblicken wird, und wie eine erst in unseren Tagen abgelaufene Periode der Wissenschaft sie zum Dogma erhob.

Es ist daher ein Missverständniss, im ersten Erscheinen lebender Wesen auf Erden oder auf einem anderen Weltkörper etwas Supernaturalistisches, etwas Anderes zu sehen, als ein überaus schwieriges mechanisches Problem. Von den beiden Irrthümern, auf die ich hinweisen wollte, ist dies der eine, und ich halte nicht für geboten, von Ewigkeit her gleichsam eine kosmische Panspermie anzunehmen. S. von Helmholtz a. a. O. Nicht hier ist die andere Grenze des Naturerkennens; hier nicht mehr als in der Krystallbildung. Könnten wir die Bedingungen herstellen, unter denen einst Lebewesen entstanden, wie wir dies für gewisse, nicht für alle Krystalle können, so würden nach dem Principe des Actualismus Vergl. J. Roth in den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1871. Berlin 1872. Physikalische Klasse. 40. S. 169. wie damals auch heute Lebewesen entstehen. Sollte es aber auch nie gelingen, Urzeugung zu beobachten, geschweige sie im Versuch herbeizuführen, so wäre doch hier kein unbedingtes Hinderniss. Wären uns Materie und Kraft verständlich, die Welt hörte nicht auf begreiflich zu sein, auch wenn wir uns die Erde (um nur sie zu nennen) von ihrem aequatorialen Smaragdgürtel bis zu den letzten flechtengrauen Polarklippen mit der üppigsten Fülle von Pflanzenleben überwuchert denken, gleichviel welchen Antheil an der Gestaltung des Pflanzenreiches man organischen Bildungsgesetzen, welchen der natürlichen Zuchtwahl einräume. Nur die zur Befruchtung vieler Pflanzen als unentbehrlich erkannte Beihülfe der Insectenwelt müssen wir aus Gründen, die bald einleuchten werden, in dieser Betrachtung bei Seite lassen. Sonst bietet das reichste, von Bernardin de Saint-Pierre, Alexander von Humbold oder Pöppig entworfene Gemälde eines tropischen Urwaldes dem Blicke der theoretischen Naturforschung nichts dar, als auf bestimmte Weise angeordnete oder bewegte Materie. Vergl. über die Urzeugung unten S. 76 ff.

Allein es tritt nunmehr, an irgend einem Punkt der Entwickelung des Lebens auf Erden, den wir nicht kennen und auf dessen Bestimmung es hier nicht ankommt, etwas Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas wiederum, gleich dem Wesen von Materie und Kraft, und gleich der ersten Bewegung Unbegreifliches. Der in negativ unendlicher Zeit angesponnene Faden des Verständnisses zerreisst, und unser Naturerkennen gelangt an eine Kluft, über die kein Steg, kein Fittig trägt: wir stehen an der anderen Grenze unseres Witzes.

Dies neue Unbegreifliche ist das Bewusstsein. Ich werde jetzt, wie ich glaube, in sehr zwingender Weise darthun, dass nicht allein bei dem heutigen Stand unserer Kenntniss das Bewusstsein aus seinen materiellen Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugiebt, sondern dass es auch der Natur der Dinge nach aus diesen Bedingungen nie erklärbar sein wird. Die entgegengesetzte Meinung, dass nicht alle Hoffnung aufzugeben sei, das Bewusstsein aus seinen materiellen Bedingungen zu begreifen, dass dies vielmehr im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende dem alsdann in ungeahnte Reiche der Erkenntniss vorgedrungenen Menschengeiste wohl gelingen könne: dies ist der zweite Irrthum, den ich in diesem Vortrage bekämpfen will.

Ich gebrauche dabei absichtlich den Ausdruck ›Bewusstsein‹, weil es hier nur um die Thatsache eines geistigen Vorganges irgend einer, sei es der niedersten Art, sich handelt. Man braucht nicht Newton oder Leibniz die Infinitesimal-Rechnung erfindend, nicht James Watt vor seinem inneren Auge sein Parallelogramm in Gang setzend, nicht Shakespeare, Raphael, Mozart in der wunderbarsten ihrer Schöpfungen begriffen sich vorzustellen, um das Beispiel eines aus seinen materiellen Bedingungen unerklärbaren geistigen Vorganges zu haben. In der Hauptsache ist die erhabenste Seelenthätigkeit nicht unbegreiflicher aus materiellen Bedingungen, als das Bewusstsein auf seiner ersten Stufe, der Sinnesempfindung. Mit der ersten Regung von Behagen oder Schmerz, die im Beginn des thierischen Lebens auf Erden ein einfachstes Wesen empfand, oder mit der ersten Wahrnehmung einer Qualität, ist jene unübersteigliche Kluft gesetzt, und die Welt nunmehr doppelt unbegreiflich geworden.

Ueber wenig Gegenstände wurde anhaltender nachgedacht, mehr geschrieben, leidenschaftlicher gestritten, als über Verbindung von Leib und Seele im Menschen. Alle philosophischen Schulen, dazu die Kirchenväter, haben darüber ihre Lehrmeinungen gehabt. Die neuere Philosophie kümmert sich weniger um diese Frage; um so reicher sind deren Anfänge im siebzehnten Jahrhundert an Theorien über die Wechselwirkung von Materie und Geist.

Descartes selber hatte sich die Möglichkeit, diese Wechselwirkung zu begreifen, durch zwei Aufstellungen vorweg abgeschnitten. Erstens behauptete er, dass Körper und Geist verschiedene Substanzen, durch Gottes Allmacht vereinigt, seien, welche, da der Geist als unkörperlich keine Ausdehnung habe, nur in Einem Punkt, und zwar in der sogenannten Zirbeldrüse des Gehirnes, einander berühren. Oeuvres de Descartes, publiées par Victor Cousin. Paris 1824. t. I. Discours de la Méthode. p. 158. 159; – Méditation sixième. p. 344; – Objections et Réponses. p. 414 et suiv.; – Ibidem t. III. Les Principes de la Philosophie p. 102. Er behauptete zweitens, dass die im Weltall vorhandene Bewegungsgrösse beständig sei. Ibidem. Les Principes etc. p. 151. – Vergl. meine Rede über Voltaire als Naturforscher in den Monatsberichten der Akademie u. s. w. 1868. S. 43. 44; – auch in den Reden u. s. w. Erste Folge. S. 9. II. 27. Je sicherer daraus die Unmöglichkeit zu folgen scheint, dass die Seele Bewegung der Materie erzeuge, um so mehr erstaunt man, wenn nun Descartes, um die Willensfreiheit zu retten, die Seele einfach die Zirbeldrüse in dem nöthigen Sinne bewegen lässt, damit die thierischen Geister, wir würden sagen, das Nervenprincip, den richtigen Muskeln zuströmen. Umgekehrt die durch Sinneseindrücke erregten thierischen Geister bewegen die Zirbeldrüse, und die mit dieser verbundene Seele merkt die Bewegung. Ibidem t. IV. Les Passions de l'Ame. p. 66. 67. 72. 73. – L'Homme. p. 402 et suiv.

Descartes' unmittelbare Nachfolger, Clauberg, Dictionnaire des Sciences philosophiques par une Societé de professeurs de Philosophie. Paris 1844. t. I. p. 523. Malebranche, Malebranche, De la Recherche de la Vérité. Oeuvres complètes, par MM. de Genoude et de Lourdoueix. Paris 1837. 4°. t. I. p. 220 et suiv. – De la Prémotion physique. Ibidem t. II. p. 392 et suiv., Geulincx, H. Ritter, Geschichte der Philosophie Hamburg 1852. Th. XI. S. 104 ff. – Harms, a. a. O. S. 235. 236. – Schwegler, Geschichte der Philosophie im Umriss. 7. Aufl. Stuttgart 1870. S. 144. bemühen sich, einen so offenbaren Missgriff zu verbessern. Sie halten fest an der Unmöglichkeit einer Wechselwirkung von Geist und Materie, als von zwei verschiedenen Substanzen. Um aber zu verstehen, wie dennoch die Seele den Körper bewege, und umgekehrt von ihm erregt werde, nehmen sie an, dass das Wollen der Seele Gott veranlasse, den Körper jedesmal nach Wunsch der Seele zu bewegen, und dass umgekehrt die Sinneseindrücke ihn veranlassen, die Seele jedesmal in Uebereinstimmung damit zu verändern. Die Causa efficiens der Veränderungen des Körpers durch die Seele und der Seele durch den Körper ist also stets nur Gott; das Wollen der Seele und die Sinneseindrücke sind nur die Causae occasionales für die unaufhörlich erneuten Eingriffe seiner Allmacht.

Leibniz endlich pflegte dies Problem mittels des von Geulincx zuerst darauf angewandten Bildes zweier Uhren zu erläutern, die gleichen Gang zeigen sollen. Second Éclaircissement du Système de la Communication des Substances. 1696. G. G. Leibnitii Opera philosophica etc. p. 133. – Troisieme Éclaircissement. 1696. Ibid. p. 134. – Lettre à Basnage etc. Ibid. p. 152. – Das Uhrengleichniss steht auch in Arn. Geulincx sive Ethica etc. Ed. Philaretus. Amstelod. 1709. 12°. p. 124. Nota 19. Seit Ritter hierauf aufmerksam machte (a. a. O. S. 140), pflegt man es Geulincx zuzuschreiben. Da aber jenes vierzig Jahre nach Geulincx' Tod und dreizehn Jahre nach dem Second Eclaircissement erschienene Buch nicht wörtlich Geulincx' Werk ist, vielmehr manche fremde Zuthat enthält, so ist vielleicht auch das Uhrengleichniss, nachdem Leibniz es erfunden und wiederholt gebraucht, als allgemein bekanntes Bild nachträglich darin aufgenommen. Um es Geulincx sicher zuzuschreiben, müsste man es in einer der vor 1696 erschienenen Ausgaben der Ethik nachweisen. In Berlin war deren keine aufzutreiben. – (Diese Anmerkung veranlasste einen tiefen und geistvollen Kenner der Geschichte der Wissenschaft, Hrn. Dr. G. Berthold in Ronsdorf, zu erneuter gründlicher Untersuchung über den Ursprung des Uhrengleichnisses. Es ergab sich, dass an und für sich, ohne Beziehung auf die Verbindung zwischen Leib und Seele, das Bild zweier Uhren, welche gleichen Gang zeigen, von Descartes herrührt, dass es aber wirklich zuerst von Geulincx zur Erläuterung der Verbindung zwischen Körper und Geist benutzt wurde. Hr. Dr. Berthold wies es schon in einer in seinem Besitze befindlichen Ausgabe der Ethik vom Jahre 1683 nach. Monatsberichte u.s.w. 1874. S. 561–567. Hier ist auch (S. 567. Anm. 2) das Verzeichniss der Stellen vervollständigt, an welchen Leibniz das Uhrengleichniss anwendet. – Anm. zur 4. Auflage.) Weitere Erörterungen über den Gegenstand finden sich in dem Decanatsprogramm der Tübinger philosophischen Facultät von Dr. Edmund Pfleiderer: Leibniz und Geulincx mit besonderer Beziehung auf ihr beiderseitiges Uhrengleichniss. Tübingen 1884. 4°. (Vergl. auch desselben Verfassers Notiz: Leibniz und Geulincx, in den philosophischen Monatsheften, 1884. S. 423. 424); – sowie in Hrn. Zeller's Abhandlung: Ueber die erste Ausgabe von Geulincx' Ethik und über Leibniz' Verhältniss zu Geulincx' Occasionalismus, in den Sitzungsberichten der Akademie, 1884. Bd. II. S. 673. Auf dreierlei Art, sagt er, könne dies geschehen. Erstens können beide Uhren durch Schwingungen, die sie einer gemeinsamen Befestigung mittheilen, einander so beeinflussen, dass ihr Gang derselbe werde, wie dies Huygens beobachtet habe. Leibniz giebt nicht an, aus welchem Quell er Huygens' Beobachtung schöpfte. Hrn. Dr. Berthold verdanke ich darüber folgende Notiz. »Bei Feder, Sophie Churfürstin von Hannover im Umriss. Hannover 1810. S. 239, findet sich ein Brief der Churfürstin an Leibniz vom 24. Juli 1699, in welchem sie anfragt, wie es sich mit der gegenseitigen Beeinflussung zweier Uhren verhalte, von der ihr Leibniz gesprochen; sie habe es wieder vergessen. Leibniz antwortet (26. Juli 1699, a.a.O. S. 240), dies sei eine Beobachtung von Huygens über zwei Pendeluhren (» Il me l'a contée lui-même, et il l'a même publiée dans ses ouvrages sur les pendules«), und giebt eine ausführliche Beschreibung davon, ohne jedoch den Vergleich mit Leib und Seele zu erwähnen.« – Huygens' erste Mittheilung steht im Journal des Sçavans, 16 et 23 Mars 1665; er erwähnt die Thatsache in seinem (Chr. Hugenii etc.) Horologium oscillatorium etc. Parisii 1673. Fol. p. 18. 19. – Seine Beobachtung wurde nicht nur, wie es in den drei ersten Auflagen hiess, Anfangs dieses Jahrhunderts von Abraham Louis Breguet angewendet, um den Gang jeder der beiden Uhren gleichförmiger zu machen (Biot's Lehrbuch der Experimental-Physik, Deutsch bearbeitet von Fechner. Leipzig 1829. Bd. II. S. 129), sondern sie wurde auch gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts vom Uhrmacher Ellicot in London zufällig erneuert und weiter verfolgt (An Account of the Influence which two Pendulum Clocks were observed to have upon each other. Philosophical Transactions. 1739. P. l26. 128). – Vergl. Laplace, Sur l'action réciproque des pendules etc. in den Annales de Chimie et de Physique. I816. t. III. p. 162, mit einem Zusätze von Arago (Deutsch in Gilbert's Annalen der Physik. 18I7. LVII. S. 229).. Zweitens könne stets die eine Uhr gestellt werden, um sie in gleichem Gange mit der anderen zu erhalten. Drittens könne von vorn herein der Künstler so geschickt gewesen sein, dass er beide Uhren, obschon ganz unabhängig von einander, gleichgehend gemacht habe. Zwischen Leib und Seele sei die erste Art der Verbindung anerkannt unmöglich. Die zweite, der occasionalistischen Lehre entsprechende, sei Gottes unwürdig, den sie als Deus ex machina missbrauche. So bleibe nur die dritte übrig, in der man Leibniz' eigene Lehre von der praestabilirten Harmonie wiedererkennt.

Allein diese und ähnliche Betrachtungen sind in den Augen der neueren Naturforschung entwerthet und der Wirkung auf die heutigen Ansichten beraubt durch die dualistische Grundlage, auf welche sie, gemäss ihrem halb theologischen Ursprunge, gleich anfangs sich stellen. Ihre Urheber gehen aus von der Annahme einer vom Körper unbedingt verschiedenen geistigen Substanz, der Seele, deren Verbindung mit dem Körper sie untersuchen. Sie finden, dass eine Verbindung beider Substanzen nur durch ein Wunder möglich ist, und dass, auch nach diesem ersten Wunder, ein ferneres Zusammengehen beider Substanzen nicht anders stattfinden kann, als wiederum durch ein entweder stets erneutes oder seit der Schöpfung fortwirkendes Wunder. Diese Folge nun geben sie für eine neue Einsicht aus, ohne hinreichend zu prüfen, ob nicht sie selber vielleicht sich die Seele erst so zurechtgemacht haben, dass eine Wechselwirkung zwischen ihr und dem Körper undenkbar ist. Mit einem Wort, der gelungenste Beweis, dass keine Wechselwirkung von Körper und Seele möglich sei, lässt dem Zweifel Raum, ob nicht die Praemissen willkürliche seien, und ob nicht Bewusstsein einfach als Wirkung der Materie gedacht und vielleicht begriffen werden könne. Für den Naturforscher muss daher der Beweis, dass die geistigen Vorgänge aus ihren materiellen Bedingungen nie zu begreifen sind, unabhängig von jeder Voraussetzung über den Urgrund jener Vorgänge geführt werden.

Ich nenne astronomische Kenntniss eines materiellen Systemes solche Kenntniss aller seiner Theile, ihrer gegenseitigen Lage und ihrer Bewegung, dass ihre Lage und Bewegung zu irgend einer vergangenen und zukünftigen Zeit mit derselben Sicherheit berechnet werden kann, wie Lage und Bewegung der Himmelskörper bei vorausgesetzter unbedingter Schärfe der Beobachtungen und Vollendung der Theorie. Dazu gehört, dass man kenne 1. die Gesetze, nach welchen die zwischen den Theilen des Systemes wirksamen Kräfte sich mit der Entfernung ändern; 2. die Lage der Theile des Systemes in zwei durch ein Zeitdifferential getrennten Augenblicken, oder, was auf dasselbe hinausläuft, die Lage der Theile und ihre nach drei Axen zerlegte Geschwindigkeit zu einer bestimmten Zeit. In der oben S. 17. 18 (vergl. Anm. 2 auf S. 53. 54) angeführten Stelle hat Laplace wohl nicht beabsichtigt, die Bedingungen astronomischer Kenntniss genau auszudrücken. Als ungenauer Ausdruck erscheint es auch, wenn er sagt, der menschliche Geist werde von dem von ihm (Laplace) gedachten Geiste stets unendlich weit entfernt bleiben (vergl. oben S. 23. 54).

Astronomische Kenntniss eines materiellen Systemes ist bei unserer Unfähigkeit, Materie und Kraft zu begreifen, die vollkommenste Kenntniss, die wir von dem System erlangen können. Es ist die, wobei unser Causalitätstrieb sich zu beruhigen gewohnt ist, und welche der Laplace'sche Geist selber bei gehörigem Gebrauche seiner Weltformel von dem System besitzen würde.

Denken wir uns nun, wir hätten es zur astronomischen Kenntniss eines Muskels, einer Drüse, eines elektrischen oder Leucht-Organes in Verbindung mit den zugehörigen gereizten Nerven, einer Flimmerzelle, einer Pflanze, des Eies in Berührung mit dem Samen oder auf irgend einer Stufe der Entwickelung gebracht. Alsdann besässen wir also von diesen materiellen Systemen die vollkommenste uns mögliche Kenntniss, unser Causalitätsbedürfniss wäre soweit befriedigt, dass wir nur noch verlangten, das Wesen von Materie und Kraft selber zu begreifen. Muskelverkürzung, Absonderung in der Drüse, Schlag des elektrischen, Leuchten des Leucht-Organes, Flimmerbewegung, Wachsthum und Chemismus der Zellen in der Pflanze, Befruchtung und Entwickelung des Eies: alle diese jetzt noch fast hoffnungslos dunklen Vorgänge wären uns so durchsichtig, wie die Bewegungen der Planeten.

Machen wir dagegen dieselbe Voraussetzung astronomischer Kenntniss für das Gehirn des Menschen, oder auch nur für das Seelenorgan des niedersten Thieres, dessen geistige Thätigkeit auf Empfinden von Lust und Unlust oder auf Wahrnehmung einer Qualität sich beschränken mag, so wird zwar in Bezug auf alle darin stattfindenden materiellen Vorgänge unser Erkennen ebenso vollkommen sein und unser Causalitätsbedürfniss ebenso befriedigt sich fühlen, wie in Bezug auf Zuckung oder Absonderung bei astronomischer Kenntniss von Muskel und Drüse. Die unwillkürlichen und nicht nothwendig mit Empfindung verbundenen Wirkungen der Centraltheile, Reflexe, Mitbewegung, Athembewegungen, Tonus, der Stoffwechsel des Gehirnes und Rückenmarkes u. d. m. wären erschöpfend erkannt. Auch die mit geistigen Vorgängen der Zeit nach stets, also wohl nothwendig zusammenfallenden materiellen Vorgänge wären ebenso vollkommen durchschaut. Und es wäre natürlich ein hoher Triumph, wenn wir zu sagen wüssten, dass bei einem bestimmten geistigen Vorgang in bestimmten Ganglienzellen und Nervenfasern eine bestimmte Bewegung bestimmter Atome stattfinde. Es wäre grenzenlos interessant, wenn wir so mit geistigem Auge in uns hineinblickend die zu einem Rechenexempel gehörige Hirnmechanik sich abspielen sähen wie die Mechanik einer Rechenmaschine; oder wenn wir auch nur wüssten, welcher Tanz von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff-, Phosphor- und anderen Atomen der Seligkeit musikalischen Empfindens, welcher Wirbel solcher Atome dem Gipfel sinnlichen Geniessens, welcher Molecularsturm dem wüthenden Schmerz beim Misshandeln des N. trigeminus entspricht. Die Art des geistigen Vergnügens, welche die durch Fechner geschaffenen Anfänge der Psychophysik oder Donders' Messungen der Dauer einfacherer Seelenhandlungen uns bereiten, lässt uns ahnen, wie solche unverschleierte Einsicht in die materiellen Bedingungen geistiger Vorgänge uns erbauen würde. Für jetzt wissen wir noch nicht einmal, ob nur die graue, oder ob auch die weisse Gehirnsubstanz denkt, und ob einem bestimmten Seelenzustand eine bestimmte Lage oder eine bestimmte Bewegung von Hirnatomen oder -Molekeln entspricht. Vergl. meine Rede: Ueber die Uebung, in der Zweiten Folge der Reden u.s.w. S. 427. 428.

Was nun aber die geistigen Vorgänge selber betrifft, so zeigt sich, dass sie bei astronomischer Kenntniss des Seelenorgans uns ganz ebenso unbegreiflich wären, wie jetzt. Im Besitze dieser Kenntniss ständen wir vor ihnen wie heute als vor einem völlig Unvermittelten. Die astronomische Kenntniss des Gehirnes, die höchste, die wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung oder Bewegung materieller Theilchen aber lässt sich eine Brücke in's Reich des Bewusstseins schlagen.

Bewegung kann nur Bewegung erzeugen, oder in potentielle Energie zurück sich verwandeln. Potentielle Energie kann nur Bewegung erzeugen, statisches Gleichgewicht erhalten, Druck oder Zug üben. Die Summe der Energie bleibt dabei stets dieselbe. Mehr als dies Gesetz bestimmt, kann in der Körperwelt nicht geschehen, auch nicht weniger; die mechanische Ursache geht rein auf in der mechanischen Wirkung. Die neben den materiellen Vorgängen im Gehirn einhergehenden geistigen Vorgänge entbehren also für unseren Verstand des zureichenden Grundes. Sie stehen ausserhalb des Causalgesetzes, und schon darum sind sie nicht zu verstehen, so wenig, wie ein Mobile perpetuum es wäre. Aber auch sonst sind sie unbegreiflich.

Es scheint zwar bei oberflächlicher Betrachtung, als könnten durch die Kenntniss der materiellen Vorgänge im Gehirn gewisse geistige Vorgänge und Anlagen uns verständlich werden. Ich rechne dahin das Gedächtniss, den Fluss und die Association der Vorstellungen, die Folgen der Uebung, die specifischen Talente u. d. m. Das geringste Nachdenken lehrt, dass dies Täuschung ist. Nur über gewisse innere Bedingungen des Geisteslebens, welche mit den äusseren durch die Sinneseindrücke gesetzten etwa gleichbedeutend sind, würden wir unterrichtet sein, nicht über das Zustandekommen des Geisteslebens durch diese Bedingungen.

Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definirbaren, nicht wegzuleugnenden Thatsachen: »Ich fühle Schmerz, fühle Lust, fühle warm, fühle kalt; ich schmecke Süsses, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth,« und der ebenso unmittelbar daraus fliessenden Gewissheit: »Also bin ich?« Bei seinem » Je pense, donc je suis« verstand Descartes unter Denken ursprünglich einen Denkact im engeren Sinne (Discours de la Méthode in den Oeuvres de Descartes publiées par V. Cousin etc. t. I. p. 158). Doch erklärte er später, dass er auch einfache Sinnesempfindung damit meine. »Par le mot de penser, j'entends tout ce qui se fait en nous de telle sorte que nous l'apercevons immédiatement par nous mêmes, c'est pourquoi non seulement entendre, vouloir, imaginer, mais aussi sentir, est la même chose ici que penser.« (Principes de la Philosophie, ibidem, t. II. p. 67. – Vergl. auch Méditations, ibidem, t. I. p. 253). Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, dass es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- u. s. w. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammenwirken Bewusstsein entstehen könne. Vergl. unten S. 86 ff. Locke's ähnliche Betrachtungen in der von Leibniz ihnen ertheilten Form. Den hier von mir entwickelten Beweis, dass wir die geistigen Vorgänge aus ihren materiellen Bedingungen nie begreifen werden, habe ich seit Jahren in meinen öffentlichen Vorlesungen ›Ueber einige Ergebnisse der neueren Naturforschung‹ vorgetragen, und auch gesprächsweise mitgetheilt. In einer bei der Britischen Naturforscher-Versammlung zu Norwich 1868 gehaltenen Rede hatte mein Freund, Prof. Tyndall, sich auch schon in ähnlicher Weise geäussert (Scope and Limit of Scientific Materialism, in: Fragments of Science etc. London 1871. p. 121; – Sixth Edition, vol. II. p. 87). Doch vermisse ich in seinem Gedankengange den Begriff des Laplace'schen Geistes als Grenze des menschlichen Erkennens, und da er die Möglichkeit einer weiteren Vervollkommnung unseres Geschlechtes in Aussicht nimmt, entsprechend sogar der vom Iguanodon und seinen Zeitgenossen zur heutigen Menschheit, so bleibt er bei dem ›Ignoramus‹ stehen, anstatt gleich mir zum ›Ignorabimus‹ fortzuschreiten. (Vergl. unten S. 90.) Sollte ihre Lagerungs- und Bewegungsweise ihnen nicht gleichgültig sein, so müsste man sie sich nach Art der Monaden schon einzeln mit Bewusstsein ausgestattet denken. Weder wäre damit das Bewusstsein überhaupt erklärt, noch für die Erklärung des einheitlichen Bewusstseins des Individuums das Mindeste gewonnen.

Es ist also grundsätzlich unmöglich, durch irgend eine mechanische Combination zu erklären, warum ein Accord König'scher Stimmgabeln mir wohl-, Vergl. meine Rede über Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft, in den Monatsberichten der Akademie u.s.w. 1870. S.849; – auch in den Reden u.s.w. Erste Folge. S. 49. – Vergl. ferner unten S. 89. 36 (S. 44.) Untersuchungen über thierische Elektricität. Bd. I. Berlin 1848. Vorrede. S. XXXV. XXXVI; – Reden u.s.w. Zweite Folge. S. 9. 10. – Vergl. unten S. 91 ff. und warum Berührung mit glühendem Eisen mir wehthut. Kein mathematisch überlegender Verstand könnte aus astronomischer Kenntniss des materiellen Geschehens in beiden Fällen a priori bestimmen, welcher der angenehme und welcher der schmerzhafte Vorgang sei. Dass es vollends unmöglich sei, und stets bleiben werde, höhere geistige Vorgänge aus der als bekannt vorausgesetzten Mechanik der Hirnatome zu verstehen, bedarf nicht der Ausführung. Doch ist, wie schon bemerkt, gar nicht nöthig, zu höheren Formen geistiger Thätigkeit zu greifen, um das Gewicht unserer Betrachtung zu verstärken. Sie gewinnt gerade an Eindringlichkeit durch den Gegensatz zwischen der vollständigen Unwissenheit, in welcher astronomische Kenntniss des Gehirnes uns über das Zustandekommen auch der niedersten geistigen Vorgänge liesse, und der durch solche Kenntniss gewährten ebenso vollständigen Enträthselung der höchsten Probleme der Körperwelt.

Ein aus irgend einem Grunde bewusstloses, z. B. ohne Traum schlafendes Gehirn, astronomisch durchschaut, enthielte kein Geheimniss mehr, und bei astronomischer Kenntniss auch des übrigen Körpers wäre die ganze menschliche Maschine, mit ihrem Athmen, ihrem Herzschlag, ihrem Stoffwechsel, ihrer Wärme, u. s. f., bis auf das Wesen von Materie und Kraft völlig entziffert. Der traumlos Schlafende ist begreiflich, so weit wie die Welt, ehe es Bewusstsein gab. Wie aber mit der ersten Regung von Bewusstsein die Welt doppelt unbegreiflich ward, so wird auch der Schläfer es wieder mit dem ersten ihm dämmernden Traumbild.

Der unlösliche Widerspruch, in welchem die mechanische Weltanschauung mit der Willensfreiheit, und dadurch unmittelbar mit der Ethik steht, ist sicher von grosser Bedeutung. Der Scharfsinn der Denker aller Zeiten hat sich daran erschöpft, und wird fortfahren, daran sich zu üben. Abgesehen davon, dass Freiheit sich leugnen lässt, Schmerz und Lust nicht, geht dem Begehren, welches den Anstoss zum Handeln und somit erst Gelegenheit zum Thun oder Lassen giebt, nothwendig Sinnesempfindung voraus. Es ist also das Problem der Sinnesempfindung, und nicht, wie ich einst sagte, das der Willensfreiheit, bis zu dem die analytische Mechanik reicht.

Damit ist die andere Grenze unseres Naturerkennens bezeichnet. Nicht minder als die erste ist sie eine unbedingte. Nicht mehr als im Verstehen von Kraft und Materie hat im Herleiten geistiger Vorgänge aus materiellen Bedingungen die Menschheit seit zweitausend Jahren, trotz allen Entdeckungen der Naturwissenschaft, einen wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie wird es nie. Sogar der Laplace'sche Geist mit seiner Weltformel gliche in seinen Anstrengungen, über diese Schranke sich fortzuheben, einem nach dem Monde trachtenden Luftschiffer. In seiner aus bewegter Materie aufgebauten Welt regen sich zwar die Hirnmolekeln wie in stummem Spiel. Er übersieht ihre Schaaren, er durchschaut ihre Verschränkungen, und Erfahrung lehrt ihn ihre Geberde dahin auslegen, dass sie diesem oder jenem geistigen Vorgang entspreche; aber warum sie dies thue, weiss er nicht. Zwischen bestimmter Lage und Bewegung gewisser Atome eigenschaftsloser Materie in der Sehsinnsubstanz und dem Sehen ist so wenig Beziehung wie zwischen einem ähnlichen Hergang in der Gehörsinnsubstanz und dem Hören, einem dritten in der Geruchsinnsubstanz und dem Riechen, u. s. w., und darum bleibt, wie wir vorhin sahen, die objective Welt des Laplace'schen Geistes eigenschaftslos. Ich hoffe durch Aenderung des Textes die in den drei ersten Auflagen hier vorhandene, von Fr. Alb. Lange in seiner vortrefflichen Besprechung der ›Grenzen‹ bemerkte Dunkelheit beseitigt zu haben (Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. 2. Aufl. 2. Buch. Iserlohn 1875. S. 158 ff.).

An ihm haben wir das Maass unserer eigenen Befähigung oder vielmehr unserer Ohnmacht. Unser Naturerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden Grenzen, welche die Unfähigkeit, einerseits Materie und Kraft zu verstehen, andererseits geistige Vorgänge aus materiellen Bedingungen herzuleiten, ihm ewig steckt. Innerhalb dieser Grenzen ist der Naturforscher Herr und Meister, zergliedert er und baut er auf, und Niemand weiss, wo die Schranke seines Wissens und seiner Macht liegt; über diese Grenzen hinaus kann er nicht, und wird er niemals können.

Je unbedingter aber der Naturforscher die ihm gesteckten Grenzen anerkennt, und je demüthiger er in seine Unwissenheit sich schickt, um so tiefer fühlt er das Recht, mit voller Freiheit, unbeirrt durch Mythen, Dogmen und alterstolze Philosopheme, auf dem Wege der Induction seine eigene Meinung über die Beziehung zwischen Geist und Materie sich zu bilden. In der Rede über La Mettrie (Monatsberichte u.s.w. 1875. S. 101. 102; – Reden u.s.w. Erste Folge. S. 197. 198) zeigte ich, dass wohl er zuerst den geistigen Erscheinungen gegenüber auf den Standpunkt des inductiven Naturforschers sich stellte.

Er sieht in tausend Fällen materielle Bedingungen das Geistesleben beeinflussen. Seinem unbefangenen Blicke zeigt sich kein Grund zu bezweifeln, dass wirklich die Sinneseindrücke sich der sogenannten Seele mittheilen. Er sieht den menschlichen Geist gleichsam mit dem Gehirne wachsen, und, nach der empiristischen Theorie, die wesentlichen Formen seines Denkens sogar erst durch äussere Wahrnehmungen sich aneignen. Im Schlaf und Traum; in der Ohnmacht, dem Rausch und der Narkose; in der Epilepsie, dem Wahn- und Blödsinn, dem Cretinismus und der Mikrocephalie; in der Inanition, dem Fieber, dem Delirium, der Entzündung des Gehirns und seiner Häute, genug in unzähligen theils noch in die Breite der Gesundheit fallenden, theils krankhaften Zuständen zeigt sich dem Naturforscher die geistige Thätigkeit abhängig von der dauernden oder vorübergehenden Beschaffenheit des Seelenorgans. Durch kein theologisches Vorurtheil wird er wie Descartes verhindert, in den Thierseelen der Menschenseele verwandte, stufenweise minder vollkommene Glieder einer und derselben Entwickelungsreihe zu erblicken. Vielmehr halten bei den Wirbelthieren die Hirntheile, in welche auch physiologische Versuche und pathologische Erfahrungen den Sitz höherer Geistesthätigkeit verlegen, ihrer Entwickelung nach gleichen Schritt mit der Steigerung dieser Thätigkeit. Wo von den anthropoiden Affen zum Menschen die geistige Befähigung den durch den Besitz der Sprache bezeichneten Sprung macht, findet sich ein entsprechender Sprung der Hirnmasse vor. Die verschiedene Anordnung derselben Elementartheile, Ganglienzellen und Nervenfasern, bei Wirbelthieren und Wirbellosen belehrt aber den Naturforscher, dass es hier wie bei anderen Organen weniger auf die Architektur, als auf die Structurelemente ankommt. Mit ehrfurchtsvollem Staunen betrachtet er das mikroskopische Klümpchen Nervensubstanz, welches der Sitz der arbeitsamen, baulustigen, ordnungliebenden, pflichttreuen, tapferen Ameisenseele ist. Charles Darwin, The Descent of Man etc. London 1871. vol. I. p. 145. Endlich die Descendenztheorie im Verein mit der Lehre von der natürlichen Zuchtwahl drängt ihm die Vermuthung auf, dass die Seele als allmähliches Ergebniss gewisser materieller Combinationen entstanden und vielleicht gleich anderen erblichen, im Kampf um's Dasein dem Einzelwesen nützlichen Gaben durch eine zahllose Reihe von Geschlechtern sich gesteigert und vervollkommnet habe. Journal de l'École Polytechnique. XIII e Cahier. t. VI. 1806. p. 63, 106.

Wenn nun die alten Denker jede Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, wie sie letztere sich vorstellten, als unverständlich und unmöglich erkannten, und wenn nur durch praestabilirte Harmonie das Räthsel des dennoch stattfindenden Zusammengehens beider Substanzen zu lösen ist, so wird wohl die Vorstellung, die sie, in Schulbegriffen befangen, von der Seele sich machten, falsch gewesen sein. Die Nothwendigkeit einer der Wirklichkeit so offenbar zuwiderlaufenden Schlussfolge ist gleichsam ein apagogischer Beweis gegen die Richtigkeit der dazu führenden Voraussetzung. Um bei dem ›Uhrengleichniss‹ stehen zu bleiben, sollte nicht die einfachste Lösung der Aufgabe die von Leibniz vorweg verworfene In den ›Elementen der Psychophysik‹, Th. I. Leipzig 1860. S. 5 bespricht Fechner das Uhrengleichniss und sagt: »Leibniz hat eine Ansicht vergessen, und zwar die einfachstmögliche. Die Uhren können auch harmonisch mit einander gehen, ja gar niemals aus einander gehen, weil sie gar nicht zwei verschiedene Uhren sind.« In den drei ersten Auflagen war dies Vergessen von Leibniz im Text erwähnt. Hr. Dr. Berthold machte mich aber darauf aufmerksam, dass Fechner's Bemerkung Leibniz insofern Unrecht thut, als dieser jene vierte Möglichkeit nicht vergass, vielmehr sie wiederholt ausdrücklich zurückwies: daher er sie später nicht wieder als eine der in Betracht kommenden Lösungen erwähnt. G.G. Leibnitii Opera philosophica etc. p. 126 No. 11. – p. 131. vierte Möglichkeit sein, dass die beiden Uhren, deren Zusammengehen erklärt werden soll, im Grunde nur eine sind? Ob wir die geistigen Vorgänge aus materiellen Bedingungen je begreifen werden, ist eine Frage ganz verschieden von der, ob diese Vorgänge das Erzeugniss materieller Bedingungen sind. Jene Frage kann verneint werden, ohne dass über diese etwas ausgemacht, geschweige auch sie verneint würde.

An der oben angeführten Stelle sagt Leibniz, der dem menschlichen Geist unvergleichlich überlegene, aber endliche Geist, dem er Sinne und technisches Vermögen von entsprechender Vollkommenheit zuschreibt, könnte einen Körper bilden, der die Handlungen eines Menschen nachmachte. Dass er einen Menschen bilden könnte, sagt er offenbar deshalb nicht, weil in seinem Sinne dem Automaten von Fleisch und Bein, den er, wie Descartes die Thiere, sich seelenlos vorstellt, zum Menschen noch die mechanisch unfassbare Seelenmonade fehlen würde. Unsere Vorstellung von der Beziehung zwischen Materie und Geist wird aber durch etwas weitere Ausführung dieser Leibnizischen Fiction besonders klar. Man denke sich alle Atome, aus denen Caesar in einem gegebenen Augenblick, am Rubicon etwa, bestand, durch mechanische Kunst mit Einem Schlage jedes an seinen Ort gebracht und mit seiner Geschwindigkeit im richtigen Sinne versehen. Nach unserer Anschauung wäre dann Caesar geistig wie körperlich wieder hergestellt. Der künstliche Caesar hätte im ersten Augenblick dieselben Empfindungen, Strebungen, Vorstellungen wie sein Vorbild am Rubicon und theilte mit ihm seine Gedächtnissbilder, ererbten und erworbenen Fähigkeiten u. s. f. Man denke sich das gleiche Kunststück zu gleicher oder auch zu verschiedener Zeit mit einer gleichen Zahl anderer Kohlenstoff-, Wasserstoff- u. s. w. Atome ein, zwei, mehrere Mal ausgeführt. Worin sonst unterschieden sich im ersten Augenblick der neue Caesar und seine Doppelgänger, als in dem Ort, an dem sie wären zusammengesetzt worden? Aber der von Leibniz gedachte Geist, der den neuen Caesar und seine mehreren Sosia gebildet hätte, verstände gleichwohl nicht, wie die von ihm selber richtig angeordneten und im richtigen Sinne mit der richtigen Geschwindigkeit fortgeschnellten Atome deren Seelenthätigkeit vermitteln.

Man erinnert sich Hrn. Carl Vogt's kecker Behauptung, welche in den fünfziger Jahren zu einer Art von Turnier um die Seele Anlass gab: »dass alle jene Fähigkeiten, die wir unter dem Namen Seelenthätigkeiten begreifen, nur Functionen des Gehirns sind, oder, um es einigermaassen grob auszudrücken, dass die Gedanken etwa in demselben Verhältnisse zum Gehirn stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren.« Physiologische Briefe für Gebildete aller Stände. Giessen 1847. S.206; – Köhlerglaube und Wissenschaft. 3.Auflage. Giessen 1855. S.32. Die Laien stiessen sich an diesem Vergleiche, der im Wesentlichen schon bei Cabanis sich findet, Cabanis, Rapports du Physique et du Moral de l'Homme. Seconde Éd. Paris 1805. t.I.p.152 et suiv.; – vergl. Jürgen Bona Meyer, Philosophische Zeitfragen u.s.w. Bonn 1874. S.196; – Lange, Geschichte des Materialismus u.s.w. 2.Buch. 1875. S.134. Anm.44. S.288. Anm.3.– Hr. Dr. Berthold ist dem Ursprünge des Secretionsgleichnisses seitdem noch weiter nachgegangen, und hat es merkwürdigerweise bis zu einer abfälligen Aeusserung Friedrich's II. darüber in einem Brief an Voltaire zurückverfolgt. Monatsberichte u.s.w. 1877. S.765. weil ihnen die Zusammenstellung der Gedanken mit der Absonderung der Nieren entwürdigend schien. Die Physiologie kennt indess solche aesthetischen Rangunterschiede nicht. Ihr ist die Nierenabsonderung ein wissenschaftlicher Gegenstand von ganz gleicher Würde mit der Erforschung des Auges oder Herzens oder sonst eines der gewöhnlich sogenannten edleren Organe. Auch das ist am ›Secretionsgleichniss‹ schwerlich zu tadeln, dass darin die Seelenthätigkeit als Erzeugniss der materiellen Bedingungen im Gehirn hingestellt wird. Fehlerhaft dagegen erscheint, dass es die Vorstellung erweckt, als sei die Seelenthätigkeit aus dem Bau des Gehirnes ihrer Natur nach so begreiflich, wie bei hinreichend vorgeschrittener Kenntniss die Absonderung aus dem Bau der Drüse es sein würde.

Wo es an den materiellen Bedingungen für geistige Thätigkeit in Gestalt eines Nervensystemes gebricht, wie in den Pflanzen, kann der Naturforscher ein Seelenleben nicht zugeben, und nur selten stösst er hierin auf Widerspruch. Was aber wäre ihm zu erwidern, wenn er, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigte, verlangte, dass ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia gebettet, mit warmem arteriellem Blut unter richtigem Drucke gespeist, und mit angemessenen Sinnesnerven und Organen versehen, ein dem geistigen Vermögen solcher Seele an Umfang entsprechendes Convolut von Ganglienzellen und Nervenfasern gezeigt würde?

Schliesslich entsteht die Frage, ob die beiden Grenzen unseres Naturerkennens nicht vielleicht die nämlichen seien, d. h. ob, wenn wir das Wesen von Materie und Kraft begriffen, wir nicht auch verständen, wie die ihnen zu Grunde liegende Substanz unter bestimmten Bedingungen empfindet, begehrt und denkt. Freilich ist diese Vorstellung die einfachste, und nach bekannten Forschungsgrundsätzen bis zu ihrer Widerlegung der vorzuziehen, wonach, wie vorhin gesagt wurde, die Welt doppelt unbegreiflich erscheint. Aber es liegt in der Natur der Dinge, dass wir auch in diesem Punkte nicht zur Klarheit kommen, und alles weitere Reden darüber bleibt müssig.

Gegenüber den Räthseln der Körperwelt ist der Naturforscher längst gewöhnt, mit männlicher Entsagung sein ›Ignoramus‹ Ignoramus‹ war die Formel der Geschworenen Altenglands im Fall ihrer Unentschiedenheit, ob eine Anklage begründet oder unbegründet sei. Vergl. die Gedächtnissrede auf Johannes Müller in den Abhandlungen der Akademie u.s.w. 1857. Berlin 1860. 40° S. 86; – Reden u.s.w. Zweite Folge. S.215; – Büchmann, Geflügelte Worte u.s.w. Fortgesetzt von Walter Robert-Tornow. 16.Aufl. 1889. S.437. 438. auszusprechen. Im Rückblick auf die durchlaufene siegreiche Bahn trägt ihn dabei das stille Bewusstsein, dass, wo er jetzt nicht weiss, er wenigstens unter Umständen wissen könnte, und dereinst vielleicht wissen wird. Gegenüber dem Räthsel aber, was Materie und Kraft seien, und wie sie zu denken vermögen, muss er ein für allemal zu dem viel schwerer abzugebenden Wahrspruch sich entschliessen:

›Ignorabimus‹.


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