M. Mc Donnell Bodkin
Giftmischer und andre Detektivgeschichten
M. Mc Donnell Bodkin

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Staatsgeheimnisse.

Der Minister des Innern, James Brandal, griff nach seiner Times, überflog die erste Seite in größter Spannung und warf das Blatt so heftig zu Boden, daß die weiße Angorakatze, die sich auf dem Teppich am Kamin gemütlich ausgestreckt hatte, erschrocken in die Höhe fuhr. »Schon wieder!« war alles, was Brandal sagte. Aber seine Frau, die allein mit ihm an dem behaglichen, wohlbesetzten Frühstückstisch saß, schien ihn zu verstehen. Sie trat hinter seinen Stuhl, legte ihm die eine Hand sanft auf die Schulter und spielte mit der andern in den krausen braunen Locken ihres Gatten, die neuerdings anfingen, sich mit grauen Fäden zu untermischen. Herzliche Teilnahme leuchtete aus ihren liebevollen dunklen Augen, als sie so zu ihm niedersah.

»Ich will versuchen, ruhig zu bleiben, Fanny,« sagte er als Antwort auf ihre stumme Bitte; aber die schweren Wolken, die auf seiner klugen Stirn lagerten, wollten nicht weichen, auch der stärkste Wille ist manchmal machtlos den Sorgen gegenüber. Er sprang vom Stuhl auf, ließ das Frühstück unberührt stehen und ging ruhelos im Zimmer hin und her, während der Tee in seiner Tasse immer kälter wurde. »Wir haben schon schlimme Zeiten zusammen durchgemacht, Fanny,« fing er wieder an. »Vor zehn Jahren hast du dich dem Advokaten ohne Praxis anvertraut, der jetzt Innenminister von England ist, und du wirst zugeben, daß ich noch nie den Mut verloren habe. Jetzt aber – höre nur.«

Er hob die Zeitung auf, strich sie glatt und las: »Wir sind in der Lage, aus stets gut unterrichteter Quelle mitzuteilen, daß in der gestrigen Kabinettssitzung beschlossen wurde, die Dauer der Parlamentsberatungen auf keinen Fall abzukürzen. Nur zwei Mitglieder stimmten gegen diese durchgreifende Maßregel, der Minister des Auswärtigen, Lord Weldon, und ein andres Kabinettsmitglied.«

»Ist es denn wahr?«

»Vollkommen, mein Herz, darin liegt ja die Schurkerei.«

»Aber, Jim, hat es denn wirklich so viel auf sich?« sagte sie und nahm die Zeitung in die Hand.

»Diese Veröffentlichung heute hat sehr wenig auf sich, mein Engel, eigentlich gar nichts. Aber zum fünftenmal in diesem Monat sind Kabinettsgeheimnisse der Times verraten worden und unzweifelhaft durch ein Mitglied des Kabinetts selbst. Die letzte Nachricht war von der allerhöchsten Wichtigkeit.«

»Das ist natürlich schrecklich, lieber Mann, aber du kannst's doch nicht ändern. Ich sehe gar nicht ein, warum du dich so damit quälst, es betrifft dich doch nicht.«

»Gewiß betrifft es mich, Fanny. Es betrifft meine höchsten Interessen: meine Stellung, meine Aussichten, meine Ehre. Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, liebes Herz, aber mir kommt es so vor, als ob die Kollegen im Kabinett mich täglich mehr im Verdacht hätten. Sie halten mich für den Verräter.«

»Dich, Jim, dich!« Tränen der Bestürzung traten in ihre schwarzen Augen. »Wer wagt es, dich zu verdächtigen?«

»Ich fürchte, der Premierminister selbst, und Lord Weldon gewiß.«

»Ich glaub' es nicht, ich kann es nicht glauben, du bist zu empfindlich. Vorgestern abend habe ich erst Lord Weldon auf dem Ball bei der Herzogin von Southern getroffen. Er war höchst liebenswürdig, saß während des Tanzes über eine Stunde bei mir und schien dir sehr freundlich gesinnt zu sein.«

»Gegen eine schöne Frau ist Lord Weldon immer liebenswürdig. Du brauchst nicht rot zu werden, Fan; darüber bist du doch gewiß nicht im unklaren, daß im ganzen Saal keine so hübsch aussah, wie du; selbst die lebhafte kleine Herzogin nicht. So viel richtiges Gefühl hat doch der Lord, daß er es die Frau nicht merken lassen wird, wenn er dem Mann mißtraut. Du erinnerst dich wohl, Fan, wie scharf ich damals ihm gegenüber aufgetreten bin, als ich mir die erste Anerkennung im Parlament eroberte; vielleicht ein wenig zu scharf, aber es war mir Ernst. Er trug mir meine Opposition nicht nach und ich weiß, daß er dafür gestimmt hat, als es sich darum handelte, ob ich ins Kabinett aufgenommen werden sollte. Seitdem hat er sich stets sehr kollegial gegen mich benommen, aber solche Sachen lassen doch immer einen Stachel zurück. Er wäre kein Mensch, wenn nicht im verborgensten Winkel seines Herzens ein Vorurteil gegen mich lauerte, das er mit dem besten Willen nicht totmachen kann. Ich bin zuletzt eingetreten und bin das jüngste und mittelloseste Mitglied des Kabinetts; die andern sind lauter erprobte Veteranen, deren Charakter und Stellung sie vor jedem Verdacht schützen. Eine Woche, nachdem ich eingetreten war, haben die Enthüllungen in der Times angefangen. Ich muß gestehen, Fanny, bei solchen Beweisen könnte ich mich beinahe selbst für den Schuldigen halten.«

Er warf sich in einen Stuhl und lachte, aber es war kein heiteres Lachen. Die Frau forschte angstvoll in seinen Zügen, fast als dämmere eine schreckliche Möglichkeit in ihr auf. Auch über ihre Augen senkte sich ein Schatten, aber sie blieb dem Frauenberuf treu und versuchte, ihn zu trösten. »Verliere den Mut nicht, Jim,« flüsterte sie leise, »die Wahrheit muß doch an den Tag kommen. Du hast bisher jedem Unglück und jeder Gefahr tapfer die Stirn geboten. Gib die Hoffnung nicht auf, um meinetwillen.« –

Der Minister des Innern, James Brandal, war nicht der einzige, dem die Verräterei im Kabinett schwere Sorge machte. Der Premierminister selbst war ganz unglücklich darüber; die letzten sechs Wochen mit ihrer quälenden Unruhe hatten schwerer auf seiner Gesundheit und seiner Stimmung gelastet, als fünfzig Jahre im offenen ehrlichen Kampf der politischen Parteien. Am Nachmittag jenes Tages ging er in seinem Studierzimmer ebenso aufgeregt hin und her wie Brandal in seinem Frühstückszimmer. Er vergaß ganz, was für wichtige Akten auf dem Schreibtisch lagen und seiner harrten; da klopfte es schüchtern an seine Tür. Auf sein kurzes »Herein!« erschien der Diener und überreichte ihm eine Visitenkarte.

Gewöhnlich war der Premierminister von der größten Sanftmut; jetzt aber waren seine Nerven so gereizt, daß er den Diener ärgerlich anfuhr: »Habe ich dir nicht ausdrücklich gesagt, Wilhelm, daß ich unter keinen Umständen gestört sein will?« Er warf einen schnellen Blick auf die Karte. »Ach, Lord Weldon! Führe ihn gleich herauf.«

Einen Augenblick später trat Lord Weldon leise ins Zimmer. Es war ein sehr angenehm aussehender Mann, von ungefähr fünfundfünfzig Jahren mit schneeweißem Haar, aber der freundliche Ausdruck seines Gesichts und eine frische, klare Hautfarbe ließen ihn jünger erscheinen. Die Künste und Zierereien des ältlichen Gecken waren ihm fremd und es gab keinen Menschen auf Erden, der ein so liebenswürdiges Benehmen zur Schau getragen hätte wie Lord Weldon. Ein Freund der Damen, liebte er nur die Schönheit, aber viele Schönheiten liebten ihn. Natürlich wurden Skandalgeschichten erzählt, doch blieben sie immer nur im Stadium des Gerüchts. Der Lord war noch Junggeselle. Unter seinen Freunden zirkulierte der Witz, er könne nicht heiraten, weil sonst in der weiblichen Aristokratie Selbstmorde zu befürchten seien.

Heute liegt ein Schatten auf dem hübschen Gesicht, das sich der Welt sonst in strahlender Heiterkeit zeigt. Sorgfältig schließt Lord Weldon die Tür, ehe er den freundlichen Gruß seines Kollegen erwidert. »Hast du den schändlichen Artikel gelesen, Charles?« fragte der Premierminister mit einem Blick auf die Times, die, zum Knäuel geballt, in einer Ecke des Zimmers lag.

»Ach, leider habe ich noch schlimmere Nachrichten für dich, Arthur. Wir werden auch im Ausland verraten, nicht nur zu Hause. Eben bekomme ich ein chiffriertes Telegramm von der Gesandtschaft in Petersburg, die mir mitteilt, daß die geheime Expedition gegen den Radscha von Rangham der russischen Regierung in allen Einzelheiten bekannt ist. Natürlich hat die Nachricht das größte Aufsehen erregt. Ich fürchte, es wird uns nichts übrig bleiben, als die Expedition aufzugeben.«

»Es ist entsetzlich! Ganz entsetzlich!« rief der Premierminister und rannte glühend vor Zorn im Zimmer umher. »Noch nie ist die Ehrenhaftigkeit britischer Staatsmänner vor den Augen der ganzen Welt so in den Staub gezogen worden. Noch nie hat das englische Kabinett einen niederträchtigen Spion zu seinen Mitgliedern gezählt. Wir dürfen die Schufterei nicht länger mit ansehen, Charles. Was aber können wir tun? Hast du eine Idee, was sich dagegen tun läßt? Eines ist mir jedenfalls klar: Entweder müssen mir den Verräter ausfindig machen und die Ehre des Kabinetts wieder herstellen, oder unter irgend einem Vorwand unsre Entlassung nehmen. Dann kommen die Tories an die Regierung und in ihrem Kabinett wird kein Verräter sein.«

»Nein, Arthur, das kannst du nicht tun, du hast eine viel zu große Mehrheit im Unterhaus, und eine größere, als du selber weißt, im Lande draußen. Die Tories würden keinen Tag am Ruder bleiben; eine allgemeine Wahl wäre die unausbleibliche Folge und du würdest mit größerer Stimmenmehrheit als je wieder gewählt.«

»Dann bleibt nichts übrig, als den Spion zu fangen.«

»Das ist leichter gesagt, als getan. Hast du denn irgend einen Verdacht?«

»Das Verbrechen ist so schändlich, so grundgemein, daß ich mich scheue, auch nur in Gedanken irgend einen Menschen fähig zu halten, es zu begehen.«

»Und doch ist unzweifelhaft ein Mitglied des Kabinetts der Schuldige, das darfst du nicht vergessen, Arthur, so schlimm das Verbrechen auch ist. Allzu peinliches Zartgefühl würde uns bei seiner Entdeckung die Hände binden; wir müssen diese geheimnisvolle Verräterei mit der Wurzel ausrotten und unsre persönlichen Gefühle zum Opfer bringen.« Lord Weldon sagte das mit so strengem Ernst, wie man es bei dem stets heiteren und freundlichen Mann kaum für möglich gehalten hätte.

Mit offenbarem Widerstreben sagte jetzt der Premierminister leise: »Alle verdächtigen Anzeichen treffen auf einen unter uns zu. Kannst du seinen Namen erraten?«

Lord Weldon schüttelte den Kopf. Trotzdem sie allein waren, bei geschlossenen Türen, kam der Premierminister einen Schritt näher und flüsterte ihm den Namen zu.

»Brandal!« rief Lord Weldon in höchstem Erstaunen. »Unmöglich, daß er sich so weit erniedrigen konnte!«

»Wir hätten es für unmöglich gehalten, daß irgend ein Mitglied des Kabinetts sich so erniedrigte. Aber vergiß nicht, wie du mir eben sagtest, daß es einer sein muß. Bei wem wäre es weniger unmöglich?«

»Ich kann nicht glauben, daß Brandal der Verräter ist. Ebensogut könnte ich es selbst sein.«

»Aber warum, Charles, warum?« fragte der Premierminister, der durch des andern Widerspruch und Unglauben in Eifer geriet. »Er ist das jüngste Mitglied, so viel steht fest, und seit seiner Ernennung hat die Verräterei begonnen.«

»Sieh dir die Sache unbefangen an, Arthur. Warum sollte er so etwas riskieren? Brandal ist schnell vorwärts gekommen und wird Karriere machen. Er ist außerordentlich beliebt und genießt großes Vertrauen im ganzen Lande. Dabei ist er der beste Redner im Unterhaus – mit einer einzigen Ausnahme.«

»Ohne Ausnahme, Charles. Ich bin nicht übermäßig bescheiden, aber hoffentlich auch nicht eitel. Brandal ist der bedeutendste Redner, den ich je im Unterhaus gehört habe.«

»Er hat einen außerordentlich großen Einfluß auf das Volk.«

»Und mit Recht, das hätte ich wenigstens vor sechs Wochen noch gesagt. Er ist seinen Prinzipien treu geblieben, durch dick und dünn, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte, ja, wir können nicht leugnen, daß er auch uns bis zu einem gewissen Punkt seine Anschauungen aufgezwungen hat.«

»Und kann man sich vorstellen, daß ein solcher Mann seine hoffnungsvolle Laufbahn durch eben den Verrat in Gefahr bringt? Daß er seinen Feinden – und wir wissen, daß es ihm an bitteren Feinden nicht fehlt – eine solche Handhabe bietet?«

»Vielleicht erschien ihm die Gefahr gering und die Versuchung war groß. Ich sage es ungern, aber, Brandal ist in unserm Kabinett der einzige, der kein Vermögen hat.«

»Geldgierig sind manchmal auch die Reichen. Ich habe nie bemerkt, daß Brandal auf Gewinn großen Wert legte. Seine Frau, Fanny Power, die »schöne Maid von Erin«, wie sie genannt wurde, besaß keinen Heller, als er sie heiratete. Der Charakter des Mannes bietet nicht den geringsten Anhalt für einen solchen Verdacht.«

Der Premierminister legte seinem Freund die Hand auf die Schulter und sagte liebevoll: »Die Großmut deines eigenen Charakters macht dich blind, Charles. Wie oft hat dieser Mann dich in der Kammer heftig angegriffen! Und nun fühlst du dich verpflichtet, ihn zu verteidigen. Er wird dein einziger Nebenbuhler sein, wenn meine Stelle einmal neu besetzt wird, was nicht lange mehr ausbleiben kann, und unwillkürlich treibt dich dein Edelmut, für ihn einzustehen. Auf dein Zureden ist er ins Kabinett gekommen. Ich wollte, er wäre draußen geblieben!«

»Das mußt du nicht sagen, Arthur; du wirst sehen, er ist unschuldig.«

»Ich darf nicht einmal hoffen, daß du recht hast. Wenn Brandal kein Verräter ist, so ist es ein andrer. Die Sache muß untersucht werden, und ich habe auch schon die ersten Schritte getan.«

»Aber ums Himmels willen, unternimm nichts auf einen so unbestimmten Verdacht hin.«

»Ich werde niemand ohne zwingende Beweise anklagen, dessen kannst du sicher sein.«

»Aber wie sollen die Beweise beigebracht werden?«

»Wir können nur den Versuch machen. Erinnerst du dich des Mannes, den uns der Schatzkanzler so dringend empfohlen hat, als wir mit ihm von der Sache sprachen?«

»Des Geheimpolizisten, wie hieß er doch – Beck?«

»Ja, Paul Beck. Auch von andrer Seite habe ich schon viel über ihn gehört; er soll fabelhaft findig und klug sein. Ich habe nach ihm geschickt und erwarte ihn um zwei Uhr, also in einer knappen halben Stunde. Ich habe Befehl gegeben, daß niemand mich bis dahin stören sollte.«

»Soll ich gehen? Bin ich dir dabei im Wege?«

»Im Gegenteil, ich bin sehr froh, daß du hier bist; du tust mir den größten Gefallen, wenn du der Verhandlung beiwohnen willst.«

»Nun gut, die Untersuchung kann ja dem Unschuldigen nicht schaden. Aber, ich bitte dich, laß Brandal nicht das geringste davon merken, daß du ihn im Verdacht hast. Er ist schrecklich empfindlich, trotzdem er so harte Kämpfe im Leben durchgemacht hat. Es wäre grausam, ihn etwas merken zu lassen, wenn er unschuldig ist.«

»Und sehr unzweckmäßig, wenn er schuldig wäre. Du kannst dich auf meine Vorsicht verlassen, Charles.«

Die Unterhaltung ging nun auf andre Gegenstände über; aber trotzdem lauter wichtige Dinge verhandelt wurden, war keiner der Herren recht bei der Sache. Sie atmeten erleichtert auf, als geklopft wurde und Beck, der so unschuldig aussah wie ein Lamm, ins Zimmer trat. Der Premierminister bot ihm einen Stuhl an und sagte: »Sie erraten wohl, weshalb ich nach Ihnen geschickt habe, Herr Beck?«

»Ja, ich glaube,« antwortete der Geheimpolizist so gelassen wie immer. »Es handelt sich gewiß um das Ärgernis im Kabinett. Die ganze Stadt spricht ja davon.«

Der Premierminister zuckte zusammen, als habe er einen Schlag bekommen. Es dauerte ein paar Minuten, bis er sich gefaßt hatte; dann wandte er sich mit ruhiger Stimme in der würdigen Haltung, die ihm so gut stand, an den Geheimpolizisten: »Ich höre, daß man Sie schon öfter bei schwierigen und heiklen Angelegenheiten, die für das öffentliche Wohl von großer Wichtigkeit waren, zu Rat gezogen hat und daß man sich auf Ihre Verschwiegenheit ebenso verlassen kann, wie auf Ihren Scharfsinn,« – Beck dankte für das Kompliment durch ein bescheidenes Lächeln – »aber ich versichere Ihnen, keine Sache, in der Sie tätig waren, ist so delikat und von so hoher Bedeutung gewesen, als die hier vorliegende. Die Ehre des Kabinetts, das Schicksal einer Regierung, die Lebensinteressen eines Königreichs stehen auf dem Spiel.«

»Ich will mein möglichstes tun,« sagte der Geheimpolizist ruhig. Diese Versicherung pflegte er jedem seiner Auftraggeber zu geben.

»Muß ich noch einmal wiederholen, daß die erste Bedingung das tiefste Schweigen ist?« fragte der Premierminister.

»Nein,« antwortete Beck ganz kurz. »Wenn ich Ihnen dienen soll, müssen Sie mir natürlich vertrauen.«

Nun setzte ihm der Minister in klaren Worten die bekannten Tatsachen des Falls auseinander. Man wußte wenig; nur eins stand fest: ein Mitglied des Kabinetts mußte der Schuldige sein. Beck ließ sich keinen Blick und keinen Ton entgehen. Als der Minister geendet hatte, fragte er: »Haben Sie eine bestimmte Person im Verdacht?«

»Ja, aber ich möchte den Namen lieber nicht nennen. Nicht etwa, weil ich Ihre Verschwiegenheit in Zweifel zöge,« fügte er schnell hinzu, »sondern weil ich es mir nie verzeihen könnte, im Fall ich mich geirrt haben sollte.«

»Ich brauche den Namen jetzt noch nicht zu wissen,« sagte Beck. »Vielleicht müssen wir später so oder so auf den Verdacht zurückkommen. Zunächst handelt es sich jedenfalls darum, dem Redakteur der Times einen Besuch zu machen.«

»Meinen Sie, daß er uns helfen wird?«

»Nur wenn er es nicht vermeiden kann. Er weiß nichts von den auswärtigen Verwicklungen und hält natürlich Enthüllungen über innere Angelegenheiten für gutes Zeitungsmaterial. Wenn man ein Geheimnis entdecken will, sollte man immer dahin gehen, wo es zu Hause ist. Zufällig kenne ich den Redakteur der Times; und da ich ihm früher einmal gefällig gewesen bin, wird er mich jedenfalls höflich behandeln.«

»Wollen Sie so freundlich sein, uns morgen nachmittag um zwei Uhr über etwaige Fortschritte in der Sache hier Bericht zu erstatten?«

»Ich kann noch keinen Fortschritt versprechen,« antwortete Beck, »aber jedenfalls werde ich kommen.«

Herr Mac Dougal, der Herausgeber der Times, stand mit dem Rücken gegen das Kaminfeuer in seinem Privatbureau. Er warf Beck, der ihm soeben mit seiner gewöhnlichen Offenheit einen Vortrag über die bekannte schwierige Angelegenheit gehalten hatte, einen belustigten Blick zu. »Sie möchten also Namen und Adresse unsres versteckten Korrespondenten wissen?« sagte er endlich mit Nachdruck. »Die kann ich Ihnen nicht sagen. Und selbst wenn ich es könnte, würde ich es vielleicht doch nicht tun. Aber diesmal kann ich es gar nicht, aus dem allerbesten Grunde – ich weiß sie nämlich selber nicht.«

»Aber Sie haben seine Briefe,« sagte Beck. »Zeigen Sie mir einen davon; ich will nur einen Blick hinein tun.«

»Recht gern,« erwiderte Mac Dougal lachend. Er ging zum Fenster hinüber an seinen Schreibtisch, schloß eine Schublade auf, nahm einen Brief heraus und überreichte ihn dem Geheimpolizisten. »Dies ist sein erster Brief,« sagte er, »nun holen Sie sich das Gewünschte heraus.«

Ohne eine Miene zu verziehen, öffnete Beck den Brief. Er war auf dem gewöhnlichen Papier mit der Maschine geschrieben und trug weder Unterschrift noch Adresse; kein einziges Unterscheidungsmerkmal zeigte er, mit Ausnahme eines kleinen Kreuzes in roter Tinte, das sich am oberen Rande befand. Der Brief, der weder Einleitung noch Schluß hatte, lautete:

»An den Redakteur der Times.

Wenn Sie eine Mitteilung erhalten, die das kleine rote Kreuz an der Spitze trägt, können Sie immer darauf rechnen, daß sie der Wahrheit entspricht. Veröffentlichen Sie sie unverzüchlich.«

»Eine höchst interessante Nachricht war diesem Brief beigefügt,« sagte der Redakteur. »Wir haben sie damals nicht in unser Blatt aufgenommen, was wir indes schwer zu bereuen hatten, denn in der Folge stellte es sich heraus, daß sie in jeder Einzelheit genau richtig war. Seitdem haben wir dem roten Kreuz Glauben geschenkt und ihm ein halbes Dutzend Enthüllungen zu verdanken, die zum Teil geradezu verblüffend und jedenfalls vollkommen richtig waren. Jetzt ist der versteckte Korrespondent einer unsrer regelmäßigen Mitarbeiter.«

»Bekommt er Honorar?«

»O ja, und zwar ein recht hohes. Aber erlassen Sie mir das Weitere. Ich weiß, daß das Geld in andre Hände übergeht, aber nicht in welche.«

Beck drehte den Brief nach allen Seiten, als ob er immer noch hoffte, den Namen irgendwo zu finden. Endlich sagte er: »Kann ich das Kuvert einmal sehen?«

»Gewiß, aber es wird Ihnen nichts helfen; auch die Adresse ist mit der Maschine geschrieben. Der Brief wurde heimlich in unsern Privatbriefkasten geworfen. Sie sehen, es ist keine Marke darauf.«

»Das sehe ich,« erwiderte Beck, »dann brauche ich also Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch zu nehmen.«

»Verzeihen Sie, daß ich so kurz angebunden bin,« sagte der Redakteur, »aber Sie sehen ein, daß uns die Sache sowohl in geschäftlicher als in politischer Beziehung von großem Nutzen ist. Wir allein kommen in den Besitz wichtiger Nachrichten, die der Regierung schaden. Ich kann doch unmöglich den Mann verraten.«

»O bitte sehr, das hat nichts zu sagen,« erwiderte der Geheimpolizist, »übrigens haben Sie mich doch vielleicht auf den rechten Weg gebracht.«

Damit ging er und ließ den Redakteur, der sich seine Worte nicht erklären konnte, in höchst unbehaglicher Stimmung zurück.

»Es scheint, Sie haben wenig erreicht,« sagte Lord Weldon am nächsten Tage, als ihm diese Unterredung ohne Vorbehalt mitgeteilt wurde.

»Das weiß ich denn doch nicht,« erwiderte Beck.

»Könnten wir vielleicht auf der Post die Briefe an die Times abfangen?« schlug der Premierminister vor. »Solche Maßregeln sind mir zwar verhaßt, aber in verzweifelten Fällen muß man zu verzweifelten Mitteln greifen.«

»Ich habe gehört, daß die Briefe heimlich in den Briefkasten der Times geworfen werden,« sagte Lord Weldon.

»Da hat der Herr Minister ganz recht gehört,« erwiderte der Geheimpolizist, »die Post kann uns nicht helfen.«

»Was wollen Sie denn sonst tun?« fragte der Premierminister etwas ungeduldig.

»Zunächst müssen mir den Verdacht Eurer Exzellenz prüfen,« war die ruhige Antwort.

»Und können Sie das mit sicherem Erfolg?«

»Ich glaube ja.«

»Ohne den Namen zu wissen?«

»Ohne den Namen zu wissen, wenn Sie und Lord Weldon mir helfen wollen.«

»Lassen Sie uns Ihren Plan hören,« sagte Lord Weldon.

»Zuerst muß ich wissen, ob der Verdächtige bei allen Sitzungen des Kabinetts, deren Ergebnis verraten wurde, zugegen gewesen ist.«

»Nicht bei allen,« antwortete der Premierminister. »Nur zweimal, wenn ich nicht irre, dreimal war er abwesend.«

»Sollte nicht das allein schon seine Unschuld beweisen?«

»Leider nein. Er hat das Recht, zu erfahren, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, und irgend ein andres Mitglied des Kabinetts würde natürlich bereit sein, ihm darüber Bericht zu erstatten. Einmal habe ich es selbst getan, so viel ich mich erinnere.«

»Gerade darauf beruht mein Plan. Wahrscheinlich kann doch Eure Exzellenz veranlassen, daß er verhindert ist, der nächsten Sitzung beizuwohnen. Lassen Sie ihm dann einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen zukommen, bei dem alles ins Gegenteil verkehrt ist. Wenn dann dieser Bericht in der Times erscheint, kann kein Zweifel mehr sein, wer ihn eingesendet hat.«

»Der Plan gefällt mir nicht, er kommt mir zu falsch und hinterlistig vor.«

»Mir dagegen scheint er ganz richtig, ja sogar vortrefflich,« fuhr Lord Weldon dazwischen. »Wenn der Betreffende unschuldig ist, wie ich glaube, erwächst ihm keinerlei Unannehmlichkeit daraus, im Gegenteil. Ist er aber schuldig, so kann man einen Kunstgriff, der ihn überführt, nicht hinterlistig nennen. In meinen Augen spricht noch für den Plan, daß er Gelegenheit bietet, die Times einmal gründlich zum Narren zu halten.«

»Aber wer soll Brandal den falschen Bericht liefern? – Nun ist mir doch der Name entschlüpft!« rief der Premierminister gereizt. »Ich meinerseits will nichts dabei zu tun haben; es wäre mir ganz unmöglich.«

»Nun gut, wenn du es wünschest, Arthur, will ich es tun,« sagte Lord Weldon. »Ich teile deinen Verdacht nicht und finde, daß man Brandal Gelegenheit geben muß, die Reinheit seines Charakters zu beweisen. Wenn ein wahrheitsgetreuer Bericht erscheint, ist seine Ehre gerettet. Du weißt, daß übermorgen im Kabinett beraten wird, ob wir den Zwangskauf in unser neues Landgesetz aufnehmen wollen. Die Frage erregt allseitig das gespannteste Interesse; es wäre gerade etwas für einen Spion. Wenn du Brandal verhindern kannst, der Sitzung beizuwohnen, will ich das übrige besorgen.«

»Ich kann ihm ganz gut einen dringenden Auftrag geben, der ihn anderswo festhält,« sagte der Premierminister.

Beck rieb sich die Hände vor Vergnügen, daß sein Plan ausgeführt werden sollte. »Wir gehen gewiß nicht fehl,« sagte er, »und vielleicht dringen wir damit bis auf den Grund des Geheimnisses. Heute ist Dienstag. Soviel ich sehe, kann ich jetzt nichts weiter tun und muß warten, bis am Donnerstag die Times ausgegeben wird.«

Aber darin irrte sich der Detektiv. Am Mittwoch in aller Frühe befand er sich schon in Lord Weldons Privatwohnung, die ganz nahe bei der des Premierministers lag und klopfte ungeduldig an die Tür.

»Lord Weldon ist noch nicht aufgestanden,« sagte der Kammerdiener.

»Es tut nichts,« erwiderte Beck. »Ich bitte Sie nur, ihm dieses Briefchen zu übergeben. Es handelt sich um eine dringende Angelegenheit.«

Damit händigte er dem Diener einen Brief ein, den er selbst geschrieben und adressiert hatte. Dieser wurde Lord Weldon, während er im Bett seinen Kaffee trank, auf einem Präsentierteller hereingebracht. Er lautete:

»Mylord!

Es ist von größter Wichtigkeit, daß ich noch heute, und zwar so bald als möglich, eine Unterredung mit Seiner Exzellenz dem Premierminister habe. Ich wage nicht, ihn zu stören, und habe mir deshalb erlaubt, hierher zu kommen. Wollen Sie so gütig sein, mir eine Zeile zu schreiben, ob Sie ihn sehen werden und die Unterredung vermitteln können?«

Lord Weldon ließ sich eine Schreibunterlage geben und schrieb im Bett:

»Geehrter Herr Beck!

Ich werde unverzüchlich den Premierminister aufsuchen. Wenn Sie so gut sein wollen, um zwölf Uhr wieder zu kommen, kann ich Ihnen Antwort sagen.«

Als Beck diesen Zettel empfing, glitt ein befriedigtes Lächeln über seine Züge und er empfahl sich.

Um zwölf Uhr wurde ihm gesagt, er möchte den Premierminister und Lord Weldon um zwei Uhr im Ministerium treffen. Als der Geheimpolizist sein Anliegen vorbrachte, schien dieses den Herren im Verhältnis zu den Umständen, die er ihnen gemacht hatte, recht unerheblich zu sein. Er wollte nur darum bitten, daß der Briefkasten der Times von einem Polizisten in Zivil beobachtet würde. »Nun ja, es kann wohl geschehen,« sagte der Premierminister etwas ärgerlich, »aber ich sehe nicht ein, was uns das helfen soll. Wir können doch nicht jeden Menschen, der einen Brief in den Kasten wirft, arretieren lassen.«

»Außerdem wird Brandal schwerlich den Brief selbst hineinwerfen,« stimmte Lord Weldon bei, »da gäbe er sich ja selber an.«

Der Geheimpolizist sah sehr niedergeschlagen aus, so daß der Minister ihn trösten mußte. »Sie haben ganz recht, Herr Beck; jedenfalls kann es nichts schaden. Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen; ich habe heute viel zu tun.«

»Das ist auch ein Wink für mich,« sagte Lord Weldon lachend.

»Wollen Sie mitfahren, Herr Beck? Mein Wagen steht vor der Tür.«

An der Ecke von Trafalgar-Square fiel dem Detektiv eine wichtige Verabredung ein. Lord Weldon ließ halten und nickte beim Weiterfahren noch freundlich zum offenen Fenster hinaus. Paul Beck wartete, bis der Wagen im Gewühl der Straßen verschwunden war; dann winkte er eine Droschke heran und fuhr schleunigst nach dem Ministerium zurück. »Diesmal wirklich von Wichtigkeit,« schrieb er auf die Karte, die er hinaufschickte.

Der Premierminister empfing ihn etwas kühl, aber nach den ersten Worten des Geheimpolizisten geriet er in die größte Aufregung. »Es ist mir sehr schwer geworden, Ihren ersten Vorschlag zu billigen,« sagte er, »aber dies geht ja noch viel weiter.«

»Wir haben schwerwiegende Beweise an der Hand.«

»Das mag sein, aber ich persönlich weigere mich, bei dieser schändlichen Geschichte eine Rolle zu spielen.«

»Dann,« sagte Beck mit dem ruhigen, aber festen Nachdruck, der seiner unbedeutenden Erscheinung so viel Würde verlieh, »dann muß Euer Exzellenz mich entschuldigen, wenn ich jede Tätigkeit in dieser Sache einstelle. Ich will nicht wissentlich dazu beitragen, daß ein Unschuldiger der Strafe anheimfällt, während der Schuldige triumphiert. Lassen Sie mich den weisen Ausspruch Lord Weldons zitieren: ›Es handelt sich um eine Untersuchung, nicht um eine Schuldigerklärung. Der Angeklagte, wenn auch noch so viele Verdachtsgründe gegen ihn vorliegen, darf nicht ohne Untersuchung verurteilt werden.‹«

Der Premierminister zögerte noch einen Augenblick, dann sagte er mit Widerstreben: »Tun Sie, was Sie wollen. Ich sehe ein, daß die Gerechtigkeit es verlangt; aber die Aufgabe, die Sie mir gestellt haben, ist meinem Gefühl außerordentlich zuwider.«

Am nächsten Tage wurde die Beratung im Kabinett gehalten und der Minister des Innern, James Brandal, war durch dringende Staatsgeschäfte abgehalten, der Sitzung beizuwohnen. Nach einer sehr lebhaften Erörterung wurde beschlossen, das Prinzip des Zwangskaufs in das neue Landgesetz aufzunehmen. Die Regierung sollte mit der Annahme oder Ablehnung dieser Vorlage stehen oder fallen. Noch vor der Mittagspause traf Brandal im Unterhaus ein, um sich an einer wichtigen Abstimmung zu beteiligen, und bald wurde es ihm unangenehm fühlbar, daß alle seine Kollegen im Kabinett sich auffallend kühl und zurückhaltend gegen ihn benahmen, alle mit einer Ausnahme.

Lord Weldon war die Freundlichkeit selbst, bestand darauf, daß Brandal mit ihm zu Mittag speise, und berichtete ihm nach Tisch in der verabredeten Weise und sehr ausführlich über die Verhandlungen im Kabinett. »Ich muß gestehen, daß ich im höchsten Grad enttäuscht und überrascht bin,« sagte Brandal. »Daß Sie selbst gegen das Gesetz waren, wußte ich ja, aber ich dachte, das Prinzip des Zwangskaufs hätte eine große Mehrheit für sich. Meiner Überzeugung nach ist es das einzige Mittel, den Niedergang der Landwirtschaft aufzuhalten und die Übervölkerung der Städte zu verhindern. Wenn ich nur dagewesen wäre!«

»Sie hätten auch kein andres Ergebnis herbeiführen können, lieber Brandal,« sagte Lord Weldon, um ihn zu beruhigen. »Es ist mit großer Mehrheit... was, wollen Sie schon gehen?«

»Ja, ich fühle mich etwas angegriffen, bin schlechter Laune; es ist am besten, ich gehe gleich nach Hause. Heute wird doch nicht mehr abgestimmt.«

Aber er ging nicht gleich nach Hause. Als Brandal an der Tür des Bibliothekzimmers vorbeiging, kam ihm ein Diener entgegen, der ihm ein Billett des Premierministers überreichte, worin dieser ihn aufforderte, einen Augenblick in sein Privatzimmer zu kommen. Die Unterredung war kurz und Brandal verließ das Haus heiterer, als er es betreten hatte, aber in der größten Verwirrung.

»Ein höchst wunderbarer Irrtum,« murmelte er, und steckte sich mit einem der Fidibusse, die im Ankleidezimmer für die Herren Gesetzgeber bereit stehen, eine Zigarre an. Dann ging er schnellen Schritts nach Hause, um seiner Aufregung Herr zu werden; doch machte er merkwürdigerweise einen Umweg, der ihn an der Expedition der Times vorbeiführte. Am nächsten Morgen herrschte fieberhafte Unruhe in allen politischen Kreisen, die durch einen Artikel, der an hervorragender Stelle in der Times stand, hervorgerufen wurde, der lautete: »Wir freuen uns, aus der zuverlässigsten Quelle mitteilen zu können, daß im gestrigen Kabinettsrat nach lebhafter Beratung mit großer Mehrheit beschlossen wurde, daß das Prinzip des Zwangskaufs nicht in die landwirtschaftlichen Gesetze aufgenommen werden soll, die die Regierung verpflichtet ist, noch in dieser Tagung einzuführen. Der Minister des Innern, der bekanntlich dieses revolutionäre Prinzip befürwortet, wohnte der Sitzung nicht bei.«

Dann folgte ein langer Artikel, der die falsch wiedergegebene Entscheidung mit warmen Worten begrüßte und die radikalen Umstürzler anklagte, »die die herrlichen Fluren Englands verwüsten wollen und den uralten Adel ausrotten, dessen Reichtum und Privilegien doch die beste Bürgschaft für die Unantastbarkeit der Verfassung und die Integrität des Reiches bieten«. Unter den Mitgliedern des Kabinetts, besonders bei denen, die der freieren Richtung angehörten, rief dieser Artikel eine sehr vergnügte Stimmung hervor. Offenbar hatte jemand der Times einen Schabernack gespielt.

Nur Lord Weldon trug eine traurige Miene zur Schau; der Premierminister sah streng und ernst aus, und James Brandal war ganz verstört. Der Premierminister hatte ihn, sobald er den Saal betrat, gebeten, nach der Sitzung zu ihm in sein Zimmer zu kommen.

»Hast du die Times gesehen?« flüsterte Lord Weldon dem Premierminister zu, als sie während der Fragestellung auf der vordersten Bank nebeneinander saßen. Aufrichtige Betrübnis lag in seiner Stimme. »Ich hätte es nie von ihm gedacht!«

»Ich auch nicht,« erwiderte sein Vorgesetzter. »Ich habe Brandal nach der Sitzung in mein Zimmer bestellt, und wünsche, daß du bei der Unterredung zugegen bist.«

»Könnte ich nicht wegbleiben? Die Sache wird mir äußerst peinlich sein.«

»Ohne Zweifel; aber deine Gegenwart ist notwendig. Eine Pflicht muß erfüllt werden, auch wenn sie peinlich ist.«

Als Lord Weldon das Zimmer des Premierministers betrat, war er etwas erstaunt, daß der Geheimpolizist Paul Beck zugegen war und bescheiden im Hintergrunde stand. Der Premierminister befand sich offenbar in großer Gemütsbewegung. »Meine Herren,« begann er, »ich habe Sie hierher entboten, weil das, was ich mitzuteilen habe, für Sie, Herr Brandal, und für Sie, Lord Weldon, von höchstem Interesse ist. Seit einiger Zeit hat, wie Sie wissen, ein elender Verräter die Ehre des Kabinetts gefährdet. Er hat die Geheimnisse des Staats verkauft!«

»Gehe nicht zu hart mit ihm um, Arthur,« flüsterte Lord Weldon seinem Freund zu; aber mit wachsender Empörung fuhr der Premierminister fort: »Diese Verräterei soll jetzt ein Ende haben. Durch die Geschicklichkeit und den Eifer dieses Herrn, dem ich meine tiefste Dankbarkeit auszusprechen wünsche, ist es gelungen, jenen verächtlichen Spion zu entlarven. Du, Charles Launcelot, Graf Weldon, bist der Mann!«

Lord Weldon wollte sprechen, aber gebieterisch wie ein Löwe wandte der Premierminister sich zu ihm und ein vernichtender Blick aus seinen tiefliegenden Augen machte den Heuchler verstummen. »Leugne nicht!« rief er. »Wir haben schlagende Beweise für dein Verbrechen. Bitte treten Sie näher, Herr Beck, und teilen Sie ihm mit, was Sie wissen.«

»Sehen Sie, Lord Weldon,« sagte der Geheimpolizist mit sanfter Stimme, »zuerst fiel mir auf, daß Sie wußten, wie der Brief in den Briefkasten der Times gekommen ist. Sie ließen unversehens ein Wörtchen darüber fallen. Dann schrieb der versteckte Korrespondent unverzüchlich mit –ch– ganz wie es in der Maschinenschrift stand, die mir in der Expedition gezeigt wurde. Ich habe Sie veranlaßt, Mylord, mir ein Briefchen zu schreiben, in dem dasselbe Wort mit demselben Schreibfehler zu finden war. Nun schien mir die Sache ziemlich sicher; denn schwerlich hätten zwei Mitglieder des Kabinetts denselben Fehler gemacht. Aber, um ganz sicher zu sein, bat ich den Herrn Premierminister – –«

»Ja, ich habe das übrige getan, Lord Weldon,« unterbrach ihn der Premierminister. »Nachdem du James Brandal den falschen Bericht über die Verhandlung im Kabinett gegeben hattest, gab ich ihm den richtigen. Du hast den falschen Bericht veröffentlicht, um zu beweisen, daß er der Verräter ist, und hast damit deinen eigenen Verrat bewiesen.«

Lord Weldon konnte kein Wort erwidern; der Schlag hatte ihn zu plötzlich getroffen. Mit zitternden Händen lehnte er an einem Stuhl und sein Gesicht war bleich, wie das eines Toten. Aber in strengem Ton fuhr der Minister erbarmungslos fort: »O du falscher Freund und heuchlerischer Kollege, wie bedaure ich es, daß mir das öffentliche Wohl verbietet, dein Verbrechen ans Licht zu ziehen und dich der Strafe zu überliefern. Aber ich stelle dir zwei Bedingungen: erstens mußt du sofort deine Entlassung einreichen, sowohl im Kabinett als im Unterhaus, und dann sollst du mit deiner eigenen Namensunterschrift ein ausführliches Geständnis deines Verbrechens aufsetzen.«

»Zu welchem Zweck denn?« keuchte Lord Weldon. Es waren seine ersten Worte, seit die Enthüllung ihn niedergeschmettert hatte.

»Zur Genugtuung für den Mann, den du unglücklich machen wolltest. Er soll die Schrift als Erinnerung an eine überstandene Gefahr und zur Sicherstellung für die Zukunft aufbewahren.« Damit wies er nach der Tür, und Lord Weldon schlich hinaus wie ein geprügelter Hund.

»Herr Brandal,« fuhr nun der Premierminister fort, und in seinen schönen, ehrwürdigen Zügen drückte sich eine rührende Bescheidenheit aus, »ich muß Sie um Verzeihung bitten, daß ich auch nur in Gedanken Ihrer Ehre zu nahe getreten bin.«

Als dann später der Minister des Innern und der Geheimpolizist zusammen fortgingen, sagte Brandal leise zu Beck: »Bitte, speisen Sie heute mittag bei uns – wir sind ganz unter uns. Ich möchte meiner Frau Gelegenheit geben, dem Manne zu danken, der ihren Gatten gerettet hat.«


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