Matthias Blank
Der Mord im Ballsaal
Matthias Blank

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9.

Ein treuer Freund.

Doktor Hallern konnte kaum die Stunde erwarten, die ihn wieder zu Kommissar Scharbeck führte.

Was aber war dessen Erfolg?

Während sich Doktor Hallern mit bangen Zweifeln über die Erfolge oder Nichterfolge Scharbecks abquälte, begab sich dieser in die Wohnung des Bankdirektors Walther, die er nur ungern betrat.

Wäre es nicht seine Pflicht gewesen, er würde sicherlich nicht wieder dieses Haus betreten haben, das ihn so frostig umfing, in welchem eisige Winterkälte das ganze Jahr hindurch herrschte.

Franz Walther lebte wieder dauernd im Elternhause, wo er nur einen wenig erfreulichen Empfang gefunden hatte.

Obwohl ihn eine Sehnsucht dorthin zurückgetrieben hatte, eine Sehnsucht, die ihn Nächte hindurch oft Qualen bereitet hatte, so fand er auch dort nicht den Frieden!

Seine Abhängigkeit und sklavische Gehorsamkeit, mit welcher er an den Willen des Vaters gebunden war, hatte ihn zu diesem zurückgeführt, und zwar mit solcher Leidenschaft, wie der Hund zu seinem Herrn zurückkehrt.

Nur die angeborene Knechtschaft, das selbstquälerische Abhängigkeitsgefühl waren die Veranlassung hierzu und er fühlte sich unglücklich in seiner damaligen Freiheit.

Aber jetzt war er fremd in dem alten Elternhause; niemand beachtete ihn, er war zurückgedrängt, sich selbst überlassen.

Auch die Mutter verspürte in der Nähe ihres Kindes eine unerklärliche Furcht; es schien, als zwänge sich zwischen beide der Geist der toten, von ihr über alles geliebten Tochter.

Das war die Ursache, daß Kommissar Scharbeck bei jedem wiederholten Erscheinen immer frostiger und unbeliebter empfangen wurde.

Als er den Bankdirektor auf dessen Frage hin gebeten hatte, ihn in dem seinerzeitigen Vorfall beim Verschwinden der bewußten goldenen Rose ausführlichen Bescheid zu erteilen, da dies gerade für die Untersuchung jetzt von großer Bedeutung sei, begegnete er einem unverhohlenen Mißtrauen.

»Ich denke, diese Angelegenheit wäre sowohl für meine Person, noch mehr aber für Sie erledigt. Meine Tochter ließ sich zu einer solchen Tat hinreißen und mußte diese auch furchtbar büßen! Warum wollen Sie diese Geschichte noch einmal aufleben lassen?«

»Ich muß! Es hat die Untersuchung eine solche Wendung angenommen, daß dies von größtem Interesse ist. Kann diese kostbare Nadel nicht auch von einer dritten Person, also weder von Ihrem Sohn noch von Ihrer Tochter entwendet worden sein?«

Der Bankdirektor zog die Stirne hoch und erklärte mit aller Entschiedenheit:

»Es gibt keine andere Möglichkeit! Luise hat es getan, worüber nach dem Vorgefallenen kein Zweifel mehr bestehen dürfte.«

Auf diese direkte Ablehnung, die Kommissar Scharbeck in jeder Beziehung erhielt, glaubte es dieser für das Vorteilhafteste halten zu müssen, sich möglichst rasch zu entfernen, was er denn auch tat, gleichzeitig mit dem entschiedenen Vorsatz, dieses Haus nicht wieder zu betreten.

Durch diese schroffe Behandlung wurde der Kommissar so mißmutig gestimmt, daß er eine Gleichgültigkeit, mehr noch eine Abneigung für das Interesse an Olden bekam.

Waren es doch nur haltlose Behauptungen, die dieser aufstellte!

Konnte er die Rose nicht übersehen haben?

Warum einem so unwahrscheinlichen Punkte solche Bedeutung geben?

Stand er nicht unter dem suggestiven Einfluß Doktor Hallerns, der ihn von der Unschuld Oldens durch alle Mittel zu überzeugen suchte?

Stellte er sich objektiv zu dem vorhandenen Beweismaterial, so stand Oldens Schuld zweifellos fest!

Konnte an dieser dadurch gewonnenen unbeeinflußten Überzeugung die Verteidigung durch den Doktor etwas ändern?

Während Kommissar Scharbeck in Gedanken versunken seinem Bureau zustrebte, vertiefte er sich in die Beantwortung dieser Fragen.

Die Schuld Oldens war anfänglich seine bestimmte Überzeugung.

Auch jetzt noch!

Alle diese Versuche, den Freund zu entlasten, führten auf Irrwege.

Belanglose Behauptungen!

An seiner Seite tauchte ein Fußgänger auf, der mit freundlichem Gruße zu Kommissar Scharbeck trat.

Es war der Bruder der Toten, Franz Walther.

Höflich erwiderte der Kommissar diesen Gruß.

Lächelnd erinnerte sich Scharbeck, daß Doktor Hallern selbst bei diesem eine Schuld gesucht hatte.

Hierbei streifte sein Blick die etwas schwächliche Gestalt, die wie im Traume dahinschritt.

Nur das Glimmen in den stechenden Augen irritierte den Kommissar, da er hierin eine Leidenschaft erblickte, die im direkten Gegensatz zu dem sonstigen Wesen dieses Menschen stand.

Mit der gewohnten Unbeholfenheit, schüchtern und in unvollendeten Sätzen stammelnd, führte dieser mit Scharbeck ein Gespräch, das von der Unterredung des Kommissars mit dem Bankdirektor seinen Beginn nahm.

»Verzeihen Sie, Herr Kommissar, wenn ich eine Frage an Sie richte! Aber ich weiß von Ihrem Gespräch mit Vater! Es ist wegen der Rose. Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, aber der Vater ist wohl etwas barsch!«

Kommissar Scharbeck konnte es nicht unterlassen, hier auch seiner Meinung Ausdruck zu verleihen, und er entgegnete ohne jede Rücksichtnahme:

»Das mußte auch ich fühlen! Und zwar so sehr, daß einem sehr leicht der Beruf und die Pflicht vergällt werden könnte.«

Franz Walther erschien hierüber ganz erschrocken zu sein, denn er antwortete hierauf sofort in höchlichster Bestürzung:

»Aber, Herr Kommissar, Sie dürfen gewiß das Benehmen meines Vaters nicht für übel nehmen! Er ist so! Ich muß dies doch auch oftmals fühlen!«

»Ich bin aber nicht sein Sohn, auch nicht sein Untergebener, die er meinetwegen auf solche Art behandeln kann!«

»Aber nein, er meint es gewiß nicht so! Sicherlich nicht! Wenn ich Ihnen vielleicht mit irgend einer Auskunft dienlich sein kann, mit Freuden! Verfügen Sie über mich!«

Kommissar Scharbeck wollte schon höflichst danken für diesbezügliche Auskunfterteilung, aber warum sollte er mit dem Sohne darüber nicht sprechen!

Konnte dieser jemals in Betracht kommen?

Sollte er mit Doktor Hallern eine Schuld in dem Bruder suchen?

Wenn auch das nicht, war es ratsam, diesem Näheres zu berichten?

Franz Walther bemerkte sehr wohl, daß der Kommissar einen Entschluß überlegte, da er des Weiteren mitteilte:

»Was Sie mit Vater gesprochen haben, ist mir ja schon bekannt. Sie sagen mir also nicht mehr, als ich schon weiß. Herr Kommissar werden mir schon verzeihen, aber meine Schwester . . .

Hier hatte sich Franz Walther schon wieder in eine zu lange Rede eingelassen, da er inmitten des Satzes stockte und kein Ende finden konnte.

Sein Gesicht wurde mit einer jähen Röte übergossen, dann stotterte er eine Entschuldigung hervor:

»Ich weiß nicht, aber entschuldigen Sie mich, die Schwester ist doch auf solche Weise zugrunde gegangen.«

Der Kommissar unterstützte die Hilflosigkeit dieses Bruders und sprach ihm zu:

»Ich begreife sehr wohl, was Sie zu sagen wünschen. Ihr Interesse, daß die Mordtat Vergeltung findet!«

»Ganz gewiß! Aber darum möchte ich Ihnen ja Aufschluß geben, wenn Sie es nur wünschen.«

Lächelnd verneinte der Kommissar.

»Es ist dies gewiß nicht notwendig. In keinem Punkte liegt für mich auch nur der geringste Zweifel vor.«

Diese Aussage war in diesem Augenblick die überzeugende Meinung des Kommissars.

Franz Walther dagegen schien keineswegs beruhigt.

Es schien, als ängstige ihn die Ablehnung durch den Kommissar, aber auch, als befürchte er dessen Unmut und Ungnade.

Mit gesteigerter Unbeholfenheit, die in seinem Gesicht unverkennbar zum Ausdruck kam, wandte er sich an den Kommissar:

»Ich weiß nicht, was ich verschuldet habe! Aber – verzeihen Sie, wenn ich mich entschuldige, aber ich möchte doch, möchte gerne, daß ich Ihnen dienlich sein kann; oder daß die Schwester –, ich will sagen – der Mord der Schwester gesühnt wird!«

»Das wird geschehen, darüber dürfen Sie vollkommen beruhigt sein! Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch noch an die Sonnen!«

»Aber – dann will ich Sie nicht stören; ich dachte – ich meinte, Ihnen dienlich sein zu können; und hätte dies gerne getan.«

Unter halblaut gemurmelten Entschuldigungen war Franz Walther gar bald in einer der Seitengassen der Sendlingerstraße verschwunden.

Kommissar Scharbeck setzte seinen Weg fort.

Konnte bei diesem ein Verdacht überhaupt ausgesprochen werden?

Laut lachte Scharbeck; es kümmerte ihn nicht, daß manche Passanten verwundert nach ihm umschauten.

Doktor Hallern glaubte eben fanatisch an die Schuldlosigkeit des Freundes, der ohne Zweifel überführt war; nach seinem Geständnisse!

In seinem Briefe an Hallern hatte Olden zuviel verraten, was ihn später gereut hatte. War nicht seine spätere Begründung und seine Behauptung von raffinierter Spitzfindigkeit?

Konnte das überhaupt Wahrheit sein?

Niemals!

Mochte Doktor Hallern allein für seinen Freund eintreten, er selbst hatte seine Pflicht getan und diese hatte ihn zur Schuld Oldens geführt!

Bei diesen bestimmten Ansichten war Kommissar Scharbeck in seinem Bureau angekommen, woselbst er schon von dem sehnsüchtig harrenden Doktor Hallern empfangen wurde.

Dieser begrüßte den Kommissar freundlich und eilte ihm gleich mit der Frage entgegen:

»Nun, haben Sie irgend ein Resultat erreicht?«

Die Antwort des Kommissars Scharbeck war keineswegs so freundlich und entgegenkommend, wie bisher, trotzdem er das Bestreben zeigte, seinen Widerwillen nicht offen zu zeigen.

»Ein Resultat, gewiß! Aber sicherlich nicht das gewünschte.«

»Weshalb?«

»Herr Bankdirektor Walther gab mir ausdrücklich zu verstehen, daß durch das Auffinden der Rose bei seiner Tochter deren Schuld erwiesen sei.«

Mit ungewohnter Heftigkeit ergänzte hier Doktor Hallern, während er hinter dem Kommissar das Bureau betrat:

»In mir aber bestärkt dies die Vermutung, daß gerade dadurch der Verdacht auf Luise gelenkt werden sollte. Der Dieb versuchte dadurch, sich von dem Verdachte des Diebstahls zu retten.«

Lachend antwortete darauf der Kommissar:

»Aber das wäre doch die größte Dummheit, sich durch einen Mord von einem Verdachte zu befreien, der weiter keine Folgen hat.«

Hier wurde Doktor Hallern auffallend ernst.

»Lächerlich finde ich das keineswegs. Im Gegenteil sehr ernst! Aber zu meinem Bedauern muß ich die Wahrnehmung machen, daß Sie jedes Zutrauen zu der Schuldlosigkeit Oldens verloren haben.«

»Ich habe keinesfalls das Zutrauen verloren, sondern die Überzeugung seiner Schuld gewinnen müssen.«

Kommissar Scharbeck verhehlte seine Anschauung nicht. Er ging sogar soweit, daß er zu dem Doktor sagte:

»Wenn Sie mir einen Rat erlauben, möchte ich es Ihnen gleichfalls sehr empfehlen, nicht zu sehr auf den Freund zu vertrauen. Es existieren doch Beweise, die mit erdrückender Last die Unschuldsbeteuerungen Oldens widerlegen.«

Doktor Hallern biß die Zähne zusammen, richtete sich straff empor und erwiderte daraufhin in ganz entschiedenem Tone:

»Was und wie ich von meinem Freunde denke, das wird durch keinen der bisher vorliegenden Beweise erschüttert. Ich kann ja Sie nicht zwingen, über diesen meine Anschauung zu teilen, ich werde Ihnen diese auch niemals aufzwingen; aber ich möchte es gleichfalls nicht dulden, daß Sie meinen Glauben an den Freund zu untergraben versuchen!«

Hier machte Scharbeck eine hastige Entgegnung.

»Ich glaube, Sie sprechen etwas zu unüberlegt!«

Doktor Hallern ließ sich dadurch keineswegs beirren, sondern fuhr ruhig, aber bestimmt fort:

»So mag es Ihnen erscheinen! Aber mein Interesse an Hans Olden und meine Freundespflicht gebieten mir dieses. Ich wünsche ja nichts von Ihnen und kann auch nichts anderes verlangen, als daß Sie nach wie vor Ihre Pflicht tun.«

»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen!« war die brüske Gegenerklärung des Kommissars.

»Ich sage dies auch nicht, um Sie daran zu erinnern, sondern um Ihnen klarzumachen, daß es mir in derselben Weise zukommt, meine Pflicht gegen den Freund zu erfüllen.«

»Daran werde ich Sie nie hindern!«

»Dann adieu! Vielleicht führt uns der Weg noch einmal zusammen!«

Der Kommissar Scharbeck schnitt die weitere Rede ab, indem er sagte:

»Ich zweifle doch nicht an Ihnen? Sie sind für mich der Ehrenmann nach wie vor! Unser Weg trennt sich in dieser Sache, was mich keineswegs abhalten wird, Ihnen dienlich zu sein, wenn ich es vermag!«

»Hierfür danke ich Ihnen im voraus! Aber ich habe vorerst keinen anderen Wunsch, als daß Sie mir gelegentlich wieder den Besuch des Freundes erlauben.«

»Anstandslos!«

Hierauf trennten sich die beiden.

Kommissar Scharbeck sah lange träumerisch vor sich hin, nachdem Doktor Hallern längst sich entfernt hatte, er dachte an die korrekte Haltung des Doktors, an dessen unentwegte Freundschaft, die selbst in diesen schwersten Stunden nicht versagte und alles einsetzte für den Freund.

Und dennoch konnte er diesen nicht retten! Nur Olden war der Mörder!

Doktor Hallern aber schritt betrübt durch die Straßen der Stadt.

Jetzt fühlte er sich gänzlich vereinsamt, er hatte ja niemanden mehr, der mit ihm für den Freund eingestanden wäre; dieser aber konnte sich gar nicht helfen.

Und er war allein! Was sollte er jetzt zunächst beginnen?

 


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