Björnstjerne Björnson
Ein fröhlicher Bursch
Björnstjerne Björnson

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Zehntes Kapitel.

An einem Sommernachmittage, als die Mutter und eine Magd Heu zusammenharkten, während der Vater und Oeyvind es einbrachten, kam ein kleines barfüßiges und barhäuptiges Bübchen über Berge und Felder zu Oeyvind angehetzt und händigte ihm einen Zettel ein. – »Du verstehst dich auf das Laufen!« sagte Oeyvind. – »Da ich bezahlt bekommen habe, muß ich mir auch Mühe geben,« antwortete das Büblein. Es verneinte die Frage, ob es Antwort bringen sollte, und trat den Rückweg über den Berg wieder an, denn, wie es sagte, käme jemand auf dem Wege hinter ihm. Schnell öffnete Oeyvind den in Form eines Knoten fest zusammengelegten und versiegelten Papierstreifen und las: »Jetzt befindet er sich auf dem Wege, aber es geht langsam. Laufe in den Wald und verstecke Dich.

Die Bewußte.«

»Das thue ich wahrlich nicht,« dachte Oeyvind und blickte trotzig nach den Bergen empor. Es dauerte denn auch nicht lange, bis auf dem höchsten Berge ein alter Mann erschien, sich ruhte, eine kurze Strecke ging und dann wieder ruhte. Sowohl Thore wie seine Frau hielten inne, um ihn zu betrachten. Thore begann bald zu lächeln, seine Frau wechselte dagegen die Farbe. – »Kennst du ihn?« – »Gewiß; hier kann man sich nicht leicht irren.«

Vater und Sohn fuhren in ihrer Arbeit fort, und Oeyvind wußte es so einzurichten, daß sie immer bei einander blieben. Wie ein schwerer Westwind wälzte sich der Alte auf dem Berge langsam näher. Er war sehr groß und etwas wohlbeleibt; da er schlimme Füße hatte, konnte er nur mit Hilfe eines Stockes schwerfällig einen Fuß vor den andern setzen. Endlich war er so nahe, daß sie ihn deutlich sehen konnten; er machte Halt, nahm die Mütze ab und trocknete sich den Schweiß mit einem Taschentuche. Er hatte nicht ein einziges Haar mehr, ein rundes, runzliches Gesicht, buschige Augenbrauen, kleine stechende Augen, aber noch den ganzen Mund voller Zähne. Seine Stimme war scharf und schreiend und klang, als ob sie über Stock und Stein hüpfte; aber auf einem oder dem andern »R« ruhte er mit großem Wohlbehagen, schnarrte es mehrere Ellen lang hin und machte zugleich mit dem Tone einen gewaltigen Satz. In früheren Zeiten war er als ein munterer, wenn auch hitziger Mann bekannt gewesen; in der letzten Zeit war er dagegen in Folge von allerlei Widerwärtigkeiten jähzornig und mißtrauisch geworden.

Thore und Oeyvind waren die Wiese schon oftmals auf- und niedergeschritten, ehe Ole in ihre Nähe kam; beide begriffen, daß er nicht in guter Absicht kam, und deshalb machte es einen um so komischeren Eindruck auf sie, daß er sein Ziel nie erreichen zu können schien. Sie mußten beide höchst ernsthaft einhergehen und ganz leise sprechen, allein da dies nie ein Ende nehmen wollte, wurde es mit der Zeit lächerlich. Schon ein halbes Wort kann, wenn es treffend ist, unter solchen Umständen Lachen hervorrufen, und besonders, wenn das Lachen mit Gefahr verbunden ist. Als er zuletzt nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt war, und sein Marsch noch immer kein Ende nehmen wollte, sagte Oeyvind ganz trocken und leise: »Er muß schwer geladen haben, der Mann!« und mehr bedurfte es nicht. – »Ich glaube, du bist nicht gescheidt,« flüsterte der Vater, obgleich er selbst lachen mußte. – »Hm, hm!« schnaufte Ole auf dem Berge. – »Er macht die Stimme klar,« flüsterte Thore. Oeyvind warf sich vor einem Heuhaufen auf die Knie, steckte den Kopf in das Heu und lachte. Der Vater beugte sich ebenfalls nieder. »Laß uns in die Scheuer gehen!« flüsterte er, nahm einen Arm voll Heu und eilte hinweg. Oeyvind ergriff ebenfalls ein kleines Bündel, lief, von einem wahren Lachkrampf ergriffen, hinter ihm her und warf sich lachend auf die Tenne nieder. Der Vater war ein ernster Mann, aber hatte ihn etwas zum Lachen gebracht, so begann er erst stoßweise zu kichern, dann immer anhaltender, wenn auch nur trillerförmig, bis endlich alles in ein einziges, schallendes Gelächter überging, das wellenartig immer lauter und lauter hervorbrach. Jetzt war er in Zug gekommen, der Sohn lag auf dem Boden, der Vater stand über ihn gebeugt, und beide lachten, daß es schallte. Sie hatten bisweilen solche Lachtage, allein dieser käme ungelegen, sagte der Vater. Zuletzt begriffen sie gar nicht, was sie anfangen sollten, denn jetzt mußte der Alte ja endlich den Hof erreicht haben. »Ich denke gar nicht daran hinauszugehen,« sagte der Vater, »denn ich habe mit ihm nichts zu schaffen.« – »Nun, dann gehe ich auch nicht hinaus,« erklärte Oeyvind. – »Hm, hm,« erklang es draußen auf der Trift. Der Vater drohte dem Burschen. »Marsch hinaus mit dir!« – »Geh' mir erst voran!« – »Willst du dich gleich hinauspacken!« – »Zeige mir nur den Weg!« – Und nun begannen sie sich gegenseitig zu reinigen und traten mit höchst ernster Miene hinaus. Als sie unten an der Treppe ankamen, sahen sie Ole vor der Küchenthür stehen, als ob er sich bedächte. In der Hand, in der er den Stock trug, hielt er auch die Mütze und trocknete mit dem Taschentuche seinen kahlen Kopf, während er zugleich durch die wenigen struppigen Haarreste hinter den Ohren und im Nacken fuhr, daß sie sich wie Stacheln in die Höhe sträubten. Oeyvind hielt sich hinter dem Vater; dieser mußte deshalb stehen bleiben, und um der Sache ein Ende zu machen, sagte er mit übertriebenem Ernste: »Machen sich noch so alte Leute auf den Weg?« – Ole wandte sich um, sah ihn scharf an und setzte seine Mütze wieder zurecht, ehe er erwiderte: »Ja, das kommt schon vor!« – »Du wirst müde sein; willst du nicht eintreten?« – »Ich kann mich hier, wo ich stehe, eben so gut ausruhen; mein Geschäft nimmt nicht viel Zeit in Anspruch.« – Plötzlich klinkte die Mutter leise die Küchenthür auf; zwischen ihr und Thore stand der alte Ole, den Mützenschirm bis über die Augen hinabgezogen, denn seitdem er das Haar verloren hatte, war die Mütze außerordentlich groß geworden. Um sehen zu können, neigte er den Kopf weit hintenüber, den Stock hielt er in der rechten Hand und die linke stemmte er in die Seite, wenn er nicht gerade gestikulirte. Seine einzige Gestikulation bestand indessen darin, daß er sie halb vor sich hinstreckte und dort als Wächter seiner Würde still hielt. »Ist der Mann hinter dir dein Sohn?« begann er mit kreischender Stimme. – »Man sagt es.« – »Heißt er nicht Oeyvind?« – »Den Vornamen führt er.« – »Hat er nicht eine der Ackerbauschulen im Süden besucht?« – »Du bist ganz recht unterrichtet.« – »Das Mädchen, meine Tochtertochter, die Marit, sie ist vor einiger Zeit verrückt geworden.« – »Das ist ja recht bedauernswerth!« – »Sie will sich nicht verheirathen.« – »Sollte man es glauben!« – »Sie will keinen von all den Bauersöhnen, die sich um sie bewerben.« – »Wer hätte das gedacht!« – »Aber das soll seine Schuld sein, deines Sohnes, der dort steht.« – »Ei, ei.« – »Er soll ihr den Kopf verdreht haben; ja, er da, dein Sohn, der Oeyvind.« – »Das ist ja ein Teufelsjunge!« – »Siehst du, ich leide nicht, daß mir jemand meine Pferde fortnimmt, wenn ich sie zur Weide auf das Gebirge schicke, leide auch nicht, daß mir jemand meine Tochter nimmt, wenn ich sie zum Tanze gehen lasse, ich leide das nimmermehr.« – »Natürlich nicht.« – »Ich kann nicht immer hinterher laufen, bin alt, kann nicht beständig aufpassen.« – »Will's glauben, will's glauben!« – »Ja, siehst du, es muß mit allem Art haben; hier muß der Hauklotz stehen und dort das Beil liegen und da das Messer, hier müssen sie ausfegen und dort müssen sie ausspucken, nicht draußen vor die Thür hin, sondern in die Ecke hinein, gerade dahin und nirgends anders wohin. Folglich, wenn ich zu ihr sage: nicht den, sondern den, so muß der es sein und nicht der.« – »Natürlich!« – »Aber so ist es nicht; drei Jahre lang hat sie beständig nein gesagt, und drei Jahre lang ist es zwischen uns nicht gut gewesen. Das ist böse, und da er die Schuld daran trägt, so will ich ihm in deiner, des Vaters, Gegenwart sagen, daß ihm das nichts nützt und er mit der Geschichte ein Ende machen muß.« – »Ja, ja!« – Ole blickte Thore eine Weile an; darauf sagte er: »Du antwortest so kurz?« – »Die Wurst ist nicht länger.«

Hier mußte Oeyvind lachen, obgleich ihm wahrlich nicht lächerlich zu Muthe war. Aber bei frohen Menschen steht die Furcht beständig an der Grenze des Lachens, und jetzt trieb es ihn über dieselbe hinweg. »Worüber lachst du?« fragte Ole kurz und scharf. – »Meinst du mich?« – »Lachst du mich etwa aus?« – »Möge Gott mich davor bewahren!« allein seine eigene Antwort erneuerte seine Lachlust. Ole bemerkte es und wurde völlig wüthend. Sowohl Thore wie Oeyvind bemühten sich, das Versehen durch ernste Gesichter und durch die freundliche Bitte, er möchte doch eintreten, wieder gut zu machen; aber sein dreijähriger Ingrimm suchte sich Luft zu machen, und ließ sich deshalb nicht zurückhalten. »Du mußt nicht denken, mich zum Besten haben zu können,« begann er; »ich bin vollkommen in meinem Rechte, ich sorge für das Glück meiner Enkelin, so wie ich es verstehe, und das Lachen eines Gelbschnabels soll mich nicht davon abhalten. Man zieht seine Mädchen nicht dazu auf, sie in das erste beste Käthnerhaus hineinzuwerfen, welches sich ihnen öffnen will und man wirthschaftet nicht vierzig Jahre, um dem Ersten, der dem Mädel den Kopf verdreht, alles in die Arme zu werfen. Meine Tochter sperrte und spreizte sich so lange, bis sie schließlich einen Landstreicher heirathete, und der Trunk raffte sie beide hinweg, und ich mußte das Kind zu mir nehmen und die Zeche bezahlen; aber der Teufel soll mich holen, wenn es meiner Tochtertochter eben so ergehen soll, nun weißt du es! – So wahr ich Ole Nordistuen auf den Haidehöfen bin, kann ich dir sagen: eher soll der Pfarrer die Kobolde und Gnomen im Nordalswalde trauen, als dich mit der Marit von der Kanzel herab aufbieten! Gehst du etwa darauf aus, die mir zusagenden Freier vom Hofe zu verscheuchen? Versuch's einmal, zu mir hinaufzukommen; dann sollst du in einer Eile den Berg hinabgelangen, daß die Schuhe hinter dir her dampfen sollen. Du Gesichterschneider, du! Du glaubst am Ende, ich wüßte nicht, was du im Schilde führst, du sowohl wie die Dirne. Ei, ihr bildet euch ein, der alte Ole Nordistuen werde bald die Nase auf dem Kirchhofe nach oben kehren, und dann wollt ihr vor den Altar treten. Sechsundsechzig Jahre habe ich zwar hinter mir, aber ich will dir doch beweisen, Bursch, daß ich leben werde, bis ihr beide darüber die Gelbsucht bekommt. Laure meinetwegen Tag und Nacht um mein Haus herum auf sie, und doch sollst du ihre Fußsohlen nicht zu sehen bekommen, denn ich sende sie aus dem Kirchspiel fort, sende sie dahin, wo sie in Sicherheit ist, dann magst du hier wie eine Elster umherstreichen und dich mit Regen und Nordwind verheirathen. Mehr habe ich dir nicht zu sagen; dein Vater kennt nun meine Ansicht und will er dein wahres Wohl, so möge er sich bemühen, deiner Neigung eine andere Richtung zu geben; auf meinem Eigenthum ist keine Stätte für sie.« – Darauf entfernte er sich mit kleinen, aber schnellen Schritten, wobei er den rechten Fuß etwas höher hob als den linken und fortwährend vor sich hinbrummte.

Den Zurückbleibenden hatte sich ein tiefer Ernst bemächtigt, ein böses Vorzeichen hatte sich in ihren Scherz und ihr Lachen gemischt, und das Haus war einen Augenblick wie von einem schweren Zauber befallen. Die Mutter, welche von der Küchenthür aus alles mit angehört hatte, blickte Oeyvind bekümmert und dem Weinen nahe an, sagte aber kein Wort, um ihm das Herz nicht noch schwerer zu machen. Als sie alle schweigend in das Haus eingetreten waren, setzte sich Thore an das Fenster und blickte Ole mit ernstem Gesichte nach. Oeyvinds Augen hingen an jeder seiner Mienen, denn von seinem ersten Worte mußte ja fast die ganze Zukunft des jungen Paares abhängen. Setzte Thore ihren Wünschen eben so wie Ole sein Nein entgegen, so waren ihre Aussichten fast hoffnungslos. Erschreckt eilten Oeyvinds Gedanken von einem Hindernis zum andern; einen Augenblick sah er nur Armuth, Widerstreben, Mißverständnis und gekränktes Ehrgefühl vor sich, und er fand keine Stütze, nach der er greifen konnte. Seine Unruhe wurde noch dadurch vermehrt, daß die Mutter mit der Hand auf der Küchenthürklinke dastand, ungewiß, ob sie dableiben und die Entscheidung mit anhören sollte, und daß sie schließlich den Muth völlig verlor und hinausschlich. Oeyvind schaute den Vater unverwandt an, der sich stellte, als bemerkte er es nicht; der Sohn durfte ihn auch nicht anreden, denn er mußte dem Vater Zeit lassen, seine Gedanken zu ordnen. Endlich hatte er alle beängstigende Gedanken verscheucht und seine Fassung wieder gewonnen. »Niemand als Gott allein vermag uns zu trennen,« dachte er gerade bei sich selbst, als er plötzlich bemerkte, wie sich die Stirn des Vaters runzelte. Der Augenblick der Entscheidung war da. Thore seufzte tief auf, erhob sich, sah auf und begegnete dem Blicke des Sohnes. Er blieb vor ihm stehen und blickte ihn lange an. »Mein Wunsch wäre,« begann er, »du entsagtest ihr, denn man darf sich weder vorwärts betteln noch drohen. Vermagst du sie jedoch nicht aufzugeben, so kannst du es mir gelegentlich sagen, und vielleicht kann ich dir dann helfen.« – Er ging wieder an die Arbeit, und der Sohn folgte ihm.

Am Abende war Oeyvind mit seinem Plane im Reinen; er wollte sich um die Stelle eines Bezirksagronomen bewerben und den Director und den Schulmeister um ihren Beistand dazu bitten. »Hält sie dann aus, so will ich sie mit Gottes Hilfe durch meine Arbeit gewinnen.«

Vergebens wartete er diesen Abend auf Marit; aber während er auf dem Berge auf- und abschritt, sang er mit tiefer Bewegung sein Lieblingslied.

Erheb' dein Haupt in muth'gem Sinn!
Welkt' eine Hoffnung dir auch hin,
Vom Himmelszelt hernieder
Erblüht dir neue wieder.

Erheb' dein Haupt, hör' auf den Ruf,
Der neue Hoffnung dir erschuf,
Der jetzt von tausend Enden
Dir Zuversicht will spenden.

Erheb' dein Haupt, in eigner Brust
Wölbt sich ein Himmel dir voll Lust,
Wo Harfentöne klingen
Und auf zum Herrn sich schwingen.

Erheb' dein Haupt, sing' fort dein Weh,
Daß neu dir Frühlingskraft ersteh',
Denn gähren erst die Kräfte,
Dann kommen neue Säfte.

Erheb' dein Haupt, des Herzens Qual
Verscheucht der hehre Hoffnungsstrahl,
Der alle Welt erfüllet
Und alle Schmerzen stillet.


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