Björnstjerne Björnson
Der Brautmarsch
Björnstjerne Björnson

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Mildrid war ihr ganzes Leben lang gewohnt gewesen, acht auf sich zu geben; sie hatte sich in so eigentümlichen Verhältnissen bewegt. Deswegen fand sie in allem, was sie in den letzten Tagen getan hatte, weder Takt noch Überlegung, kaum Ehrbarkeit. Sie kannte so etwas nicht aus Büchern oder durch Umgang; sie sah mit den Augen des Bauern, und niemand hat strengere Sitten. Es ist schicklich, seine Gefühle zu dämpfen; es ist ehrbar, zurückhaltend mit deren Äußerung zu sein. Sie, die das alles ihr Leben lang mehr als alle die anderen gewesen war und sich deswegen der Achtung aller erfreut hatte, sie hatte sich nach einem einzigen Tage einem Manne hingegeben, den sie nie zuvor gesehen hatte! Über kurz oder lang mußte ja gerade er sie am tiefsten verachten. Wenn es sich nicht einmal erzählen ließ, selbst nicht Inga – was müßte es dann sein?

Als Beret mit den ersten Glockentönen der Herde aus der Ferne heimkehrte, fand sie die Schwester fast leblos vor der Hütte liegen. Sie stand da, bis Mildrid sich gezwungen sah, den Kopf zu erheben und sie anzusehen. Mildrids Augen waren verweint, ihr ganzer Ausdruck war leidend. Aber dieser Ausdruck verwandelte sich, als sie Beret ansah; denn Berets Antlitz zeigte große Erregung: Was fehlt dir? rief sie. – Nichts! antwortete Beret und blieb stehen, während sie Mildrid unverwandt ansah, so daß diese die Augen niederschlagen mußte; sie wandte sich ab und erhob sich, um das Abendbrot zu bereiten. Sie sahen sich erst bei der Abendmahlzeit wieder, wo sie einander gerade gegenübersaßen. Da Mildrid selbst nicht imstande war, mehr als ein paar Löffel voll zu essen, sah sie von Zeit zu Zeit die anderen, namentlich aber Beret, die gar nicht fertig wurde, geistesabwesend an. Sie aß nicht, sie verschlang die Speisen wie ein hungriger Hund. – Hast du denn heute kein Essen bekommen? fragte Mildrid. Nein, antwortete Beret und fuhr fort zu essen. Bist du denn nicht bei den Hirten gewesen? – Nein, antwortete sie und die Hirten wie aus einem Munde. In deren Beisein wollte Mildrid nicht weiterfragen, und nachmals machte ihr krankes Gemüt sie unfähig, die Schwester auszuforschen und, wie sie fühlte, auch sehr unwürdig dafür. Dies war nur eine Zugabe zu den nagenden Vorwürfen, die sie trafen wie Schläge, wie sie an ihrer Seele vorüberzogen, einer nach dem anderen, während sie den Abend über und die Nacht vor der Hütte saß.

An dem blutroten Abend, in der eisgrauen Nacht kein Friede und kein Verlangen nach Schlaf. Das arme Kind war bisher noch niemals in Not gewesen. Ach, wie sie betete! Sie hielt inne; und sie begann von neuem, sie sprach Gebete, die sie konnte, und sie betete eigene Worte, und ganz ermattet suchte sie endlich ihr Bett auf. Dort sammelte sie wieder ihr ganzes Herz im Gebet, aber sie hatte keine Kraft mehr; sie konnte nur immer wieder flehen: Hilf mir! Lieber, lieber Gott, ach hilf mir! – Und sie fuhr damit fort, bald leise, bald laut, denn sie rang mit sich, ob sie von ihm lassen sollte oder nicht. Da schreckte sie auf, so daß sie einen Schrei ausstieß, denn Beret hatte sich blitzschnell auf den Knien erhoben und stand nun über sie gebeugt. Wer ist er? flüsterte sie, ihre großen Augen sprühten Feuer, und ihr erhitztes Gesicht sowie ihr hastiger Atem zeugten von heftiger Gemütsbewegung. Mildrid, von ihren Selbstpeinigungen erschöpft, ermattet an Leib und Seele, vermochte nicht zu antworten; sie war so eingeschüchtert, daß sie dem Weinen nahe war. – Wer ist er? drohte die Schwester dicht über ihrem Gesicht; es nützt dir nichts, es länger vor mir zu verheimlichen; ich habe euch heute die ganze Zeit über gesehen! – Mildrid hielt die Arme wie zur Verteidigung über sich; Beret aber erfaßte sie und beugte sie nieder. – Wer ist er? frage ich! – Sie sah ihr gerade in die Augen. – Beret, Beret! jammerte die Schwester; bin ich jemals anders als gut gegen dich gewesen, seit du klein warst? Weshalb bist du jetzt so häßlich gegen mich, wo ich doch so unglücklich bin? – Beret gab die Arme frei, denn die Schwester weinte. Aber Berets Atem glühte, und ihre Brust wogte, als solle sie zerspringen. – Ist es Hans Haugen? flüsterte sie. Atemlose Stille folgte. – Ja, flüsterte endlich die Schwester und weinte. Da bog Beret ihr die Arme noch einmal herunter; sie wollte ihr in die Augen sehen: Warum hast du mir das nicht gesagt, Mildrid? fragte sie mit demselben glühenden Eifer. – Beret! Ich hab es ja selber nicht gewußt, entgegnete die andere, ich habe ihn ja bis gestern nie gesehen. Und sobald ich ihn sah, gab ich mich ihm hin; das ist es ja, was mich so peinigt, daß ich glaube, ich muß sterben. – Hast du ihn bis gestern niemals gesehen? schrie Beret in höchster Überraschung, ja voll Mißtrauen. – Nein, in meinem ganzen Leben nicht! antwortete Mildrid fest; kannst du dir so eine Schande denken, Beret? – Da aber warf sich Beret über sie, schlang ihr die Arme um den Hals und küßte sie: Süße, süße Mildrid! Wie herrlich ist das! flüsterte sie und strahlte vor Freude. Nein, wie herrlich das ist! wiederholte sie noch einmal und küßte sie; – und wie ich schweigen werde, Mildrid! Sie preßte sie fest an sich, erhob sich dann wieder. – Und du, wie konntest du glauben, ich könnte nicht schweigen! Und sie ward plötzlich ganz betrübt. Ich sollte nicht schweigen können, wenn es dich betrifft, Mildrid! – Sie weinte. – Weshalb hast du mich in der letzten Zeit vernachlässigt? Weshalb hast du Inga mir vorgezogen? Ach, welchen Kummer du mir bereitet hast! Wenn du wüßtest, wie ich dich liebe, Mildrid! – Und sie barg den Kopf an ihrer Brust. Jetzt aber umarmte die Schwester sie und küßte sie, und dann versicherte sie ihr, bis jetzt habe sie gar nicht darüber nachgedacht, fortan aber werde sie sie nie mehr von sich schieben, sie würde sich nur ihr anvertrauen, die so gut und so wahr sei. Und sie streichelte sie, und Beret streichelte sie wieder. Beret richtete sich wieder auf den Knien auf; sie mußte die Augen der Schwester im Lichte der Sommernacht sehen, das schon im Morgenglanz errötete. – Mildrid, wie schön er ist! war ihr erster jubelnder Ausruf. Wie kam er? Wie sahst du ihn zuerst? Was sagte er? Wie ging das Ganze zu? – Und was Mildrid noch vor wenigen Stunden keinem Menschen erzählen zu können glaubte, das erzählte sie jetzt der Schwester; sie ward hin und wieder dadurch unterbrochen, daß sich Beret über sie warf und sie an sich preßte; das steigerte aber für Mildrid nur noch die Wonne des Erzählens; sie lachten und sie weinten; den Schlaf hatten sie ganz vergessen; so fand die Sonne sie, die eine lag auf dem Ellenbogen oder stützte sich vielmehr darauf, hingerissen von ihrem eignen Erlebnis, die andere kniete vor ihr mit halbgeöffnetem Munde und glänzenden Augen und warf sich von Zeit zu Zeit voller Jubel über die Schwester.

Sie standen zusammen auf und verrichteten zusammen ihre Arbeit, und als sie damit fertig waren und nur zum Schein gegessen hatten, kleideten sie sich beide zur Begegnung an. Er mußte ja bald kommen! Beide setzten sie sich in ihrer Feiertagskleidung an den Fuß der Höhe, und Beret zeigte ihr, wo sie gestern gelegen hatte – der Hund sei oft bei ihr gewesen. Die Erzählung der einen Schwester löste die der anderen ab, das Wetter war auch heute gut, kaum daß sich einige Wolken zeigten. Sie hatten bald über die Zeit hinaus geplaudert, wo Hans erwartet wurde; aber sie fuhren fort, sich zu unterhalten, und vergaßen es, um sich dann plötzlich wieder daran zu erinnern, und Beret lief ein paarmal auf den Kamm hinauf, um nach ihm auszuspähen; aber sie sah und hörte nichts von ihm. Beide wurden ungeduldig, und Mildrid wurde es auf einmal so sehr, daß Beret darüber erschrak. Sie stellte ihr vor, daß er ja nicht sein eigener Herr sei. Der Deutsche habe nun zwei Tage lang allein fischen und schießen und seine Mahlzeiten bereiten müssen, das könne doch nicht auch den dritten Tag so gehen, und Mildrid fand, daß der Grund stichhaltig sei. – Und was glaubst du, daß Vater und Mutter dazu sagen werden? fragte Beret, um ihre Gedanken abzulenken. In demselben Augenblick, wo ihr die Worte entschlüpft waren, bereute sie sie auch schon. Mildrid erblaßte und starrte Beret an, die sie ihrerseits wieder anstarrte. Hatte denn Mildrid bisher noch gar nicht hieran gedacht? Doch, aber so, wie man an etwas ganz Fernes denkt. Die Angst, was Hans Haugen von ihr denken möchte, die Scham über ihre eigene Schwäche und Dummheit hatte sie so völlig in Anspruch genommen, daß sie alle anderen Gedanken beiseite geschoben hatte. Jetzt kehrte sich die Sache um: die Eltern nahmen auf einmal ihr ganzes Denken in Anspruch und hielten es fest. – Abermals versuchte Beret sie zu trösten. Wenn sie ihn sahen, würden sie Mildrid recht geben; sie würden sie sicher nicht unglücklich machen wollen, sie, die ihre Freude gewesen sei; auch die Großmutter würde ihr helfen; kein Mensch könne etwas gegen Hans Haugen sagen, und er würde sich nicht gleich verloren geben. Das alles sauste an Mildrid vorüber; aber ihre Gedanken waren nicht dabei, und um zu Überlegung zu kommen, bat sie Beret, das Essen zu bereiten. Beret entfernte sich langsam von ihr und sah sich noch mehrmals nach ihr um.

Aber das, was Mildrid nun überlegte, war: Soll ich es dem Vater und der Mutter gleich sagen? Bei ihrer Erschöpfung nach der ungeheueren Spannung dieser Tage wuchs ihr diese Frage zu einem Berge an. Sie fühlte, daß sie eine Sünde begehe, wenn sie ihn jetzt empfange. Sie hätte sich ja nicht ohne die Zustimmung der Eltern verloben dürfen; aber sie hatte nicht anders gekonnt. – War es nun einmal geschehen, dann sogleich zu den Eltern! Sie erhob sich, es ward leicht in ihrer Seele. Was recht war, das mußte geschehen. Wenn Hans wieder hier vor ihr stand, mußte sie mit den Eltern gesprochen haben. – Nicht wahr? fragte sie laut, ohne doch zu fragen, und es war ihr, als antworte es Ja!, obwohl niemand antwortete. Sie eilte auf die Alm, um es Beret zu sagen. Aber Beret war weder in der Hütte noch auf der Alm. Beret! rief sie, Beret – Beret! Der Widerhall gab den Ruf von allen Seiten zurück, aber keine Beret ließ sich hören. Sie suchte überall nach der Schwester, ohne sie jedoch zu finden. Erschöpft war sie schon, jetzt wurde sie auch ängstlich; Berets große Augen und die Frage: Was glaubst du, was Vater und Mutter hierzu sagen werden? wurden immer größer. – Beret sollte doch wohl nicht zu ihnen gegangen sein, sie? Das sah ihr ganz ähnlich! Ungestüm wie Beret war, wollte sie die Sache sofort abgemacht und Mildrid getröstet sehen. Ganz gewiß war sie gegangen! – Kam Beret aber vor ihr, so würden die Eltern alles mißverstehen – sie schlug schnell den Weg ins Tal hinab ein. Einmal unterwegs, beschleunigte sie ihre Schritte, getragen von der sich stets steigernden Spannung; sie achtete nicht darauf, aber es sauste ihr im Kopfe, die Brust preßte sich ihr zusammen, der Atem ging ihr aus. Sie mußte sich ein wenig hinsetzen und ausruhen. Aber im Sitzen fand sie keine Ruhe, sie mußte liegen. Sie warf sich nieder, die Arme unter dem Kopf, und dann schlief sie auch sofort ein.

Zwei Tage und zwei Nächte hatte sie kaum geschlafen, kaum gegessen, und welchen Einfluß dies auf die Seele und den Körper eines Kindes haben müsse, das bisher alle Mahlzeiten und die nächtliche Ruhe regelmäßig im Elternhause genossen hatte, wußte sie nicht. –

Aber Beret war nicht zu den Eltern, sondern zu Hans Haugen gegangen! Sie hatte weit zu gehn, zum Teil auf unbekannten Wegen, am Saum eines Waldes, und später höher hinauf über Bergflächen, die nicht ganz sicher waren wegen wilder Tiere, wie es sich ja eben erst gezeigt hatte. Aber sie ging weiter, denn Hans mußte ja kommen, oder Mildrid wurde verrückt; sie kannte die Schwester ja gar nicht wieder!

Sie war frisch und fröhlich; das Erlebnis ihrer Schwester sprang lustig neben ihr her auf dem Wege. Hans Haugen war das Vornehmste, was sie auf der ganzen Welt kannte, und das Vornehmste mußte Mildrid haben! Es war kein Wunder, daß Mildrid sich ihm sogleich hingegeben, ebensowenig, daß er sich gleich auf den ersten Blick von Mildrid angezogen gefühlt hatte. Wollten die Eltern dies nicht einsehen, so mochten sie tun, was sie wollten, die beiden mußten ihr Ziel ertrotzen, wie es ihr Urgroßvater getan hatte und es ihr Großvater getan hatte – und sie stimmte den Familienbrautmarsch an. Der jubelte über die Berge dahin und erstarb in dem leichtbewölkten Tage. Oben angekommen, blieb sie stehen und rief: Hurra! Nur einen Streifen von dem entferntesten, obersten Teil des Kirchspiels sah sie, dort wo sie stand; auf der anderen Seite sah sie den letzten Rest des Waldsaumes, dann Heidekraut, und hier, wo sie stand, nur Steine und Steinflächen in erstarrten Wellenlinien. Sie flog weiter darüber hin in der leichten Luft. Sie wußte, daß in gleicher Richtung mit dem Schneeberge, dessen Gipfel die anderen überragte, die Berghütte liegen mußte, und nach einer Weile überzeugte sie sich davon, daß sie nun nicht mehr weit zu gehen habe. Um sich über die Richtung klar zu werden, kletterte sie auf einen großen freistehenden Stein und sah nun unten, gerade vor sich einen Bergsee liegen. Ob es eine Hütte oder ein Felsblock war, was sie dort am Wasser erblickte, konnte sie nicht unterscheiden, denn bald erschien es ihr wie eine Hütte und bald wie ein Felsblock. Aber an einem Bergsee sollte seine Hütte liegen. Ja, das mußte er wohl sein, denn dort ruderte ein Boot um die Landzunge herum! Zwei Männer saßen darin, das mußte er und der Deutsche sein! Sie stieg hinunter und eilte dahin. Aber das, was ihr so nahe erschienen war, war weit entfernt, und sie lief und lief. Die Aussicht, Hans Haugen zu treffen, verlieh ihr Spannkraft!

Hans Haugen saß ganz ruhig bei dem Deutschen im Boot, ohne eine Ahnung von all der Aufregung, die er verursacht hatte. Hans selber war nicht im geringsten ängstlich gewesen. Er war nur fröhlich und saß da und dichtete ein Lied zur Melodie des Brautmarsches.

Er war kein großer Dichter, aber er brachte etwas zustande, das von ihrer Kirchfahrt handelte, wozu ihre Begegnung im Walde den Refrain zu jeder Strophe lieferte. Er pfiff und fischte und war kreuzfidel; der Deutsche fischte und ließ ihn in Ruhe.

Da hörten sie vom Ufer her einen Jodelruf, und beide, sowohl er als auch der bärtige Deutsche blickten auf und sahen ein Mädchen, das winkte. Sie berieten sich einen Augenblick und ruderten dann ans Land. Hier sprang Hans auf und vertäute das Boot, und beide trugen die Gewehre, Kleidungsstücke, Fische und Fischereigerätschaften ans Ufer; aber während der Deutsche geradeswegs in die Hütte hineinging, ging Hans mit seiner Last auf Beret zu, die abseits auf einem Steine stand. – Wer bist du? fragte er. – Beret, Mildrids Schwester, erwiderte sie; er errötete, und sie errötete mit. Gleich darauf aber erbleichte er. – Ist irgend etwas vorgefallen? – Nein, nichts weiter, als daß du kommen mußt; sie kann es nicht gut ertragen, jetzt allein zu sein. – Er stand eine Weile da und sah sie an. Dann wandte er sich ab und schritt auf die Hütte zu. Der Deutsche war vor der Hütte stehengeblieben und hatte die Fischereigerätschaften aufgehängt. Hans tat jetzt dasselbe, während sie miteinander sprachen. Drinnen in der Hütte hatten von dem Augenblicke an, als Beret jodelte, zwei Hunde aus Leibeskräften gebellt. Die Männer gingen zusammen hinein, aber als sie die Tür öffneten, stürmten die beiden Hunde heraus, Hans seiner wie der des Deutschen, doch wurden sie beide streng wieder hineingerufen. Es ward still, und es währte eine ganze Weile, bis Hans wieder herauskam. Da aber war er anders gekleidet und hatte ein Gewehr und den Hund mit. Der Deutsche begleitete ihn vor die Hütte; dort reichten sie einander die Hände, als handle es sich um einen Abschied auf längere Zeit. Hans kam sofort zu Beret. – Kannst du schnell gehen? fragte er. – Freilich kann ich das! – Und er ging, und sie lief, der Hund voran.

Da er nicht anders geglaubt hatte, als daß Mildrid ebenso ruhig und froh über ihre Verlobung sein müsse, wie er selber es gewesen war, kam ihm diese Botschaft wie ein Verkündiger neuer Gedanken. Natürlich, sie war in Unruhe der Eltern wegen! Sie war auch ängstlich geworden über die Eile, mit der dies alles vor sich gegangen war; natürlich! Das begriff er jetzt so gut, daß er sich im höchsten Grade darüber wunderte, daß er es bisher noch nicht begriffen hatte – und er beschleunigte seine Schritte. Sogar auf ihn hatte ja sein Zusammentreffen mit Mildrid zuerst den Eindruck einer Überrumpelung gemacht; was mußte da nicht sie, ein Kind, still, zurückhaltend, wie ihr Elternhaus, empfinden, als sie so plötzlich in einen Sturm hinausgestoßen wurde. Und abermals beschleunigte er seine Schritte.

Während dieses Eilmarsches war Beret nebenhergehüpft, das Gesicht ihm zugewandt, soweit es ging. Er hatte von Zeit zu Zeit ihre großen Augen und ihre glühenden Wangen gesehen, aber die Gedanken hatten eine zu starke Fessel um ihn geschlossen, er hatte sie nicht deutlich gesehen, und schließlich sah er sie gar nicht mehr, er wandte sich um, sie war eine gute Strecke zurückgeblieben, bemühte sich aber, so gut sie konnte, ihm zu folgen. Sie war zu stolz gewesen, zu sagen, daß sie diesen Marsch nicht aushalten könne. Aber als er jetzt still stand und wartete, bis sie ihn endlich atemlos wieder eingeholt hatte, standen ihr Tränen in den Augen. – Ach, geh ich dir zu schnell? und er streckte die Hand nach ihr aus. Sie keuchte so, daß sie nicht antworten konnte. – Komm, wir wollen uns ein wenig setzen! sagte er und zog sie an sich; komm! und er setzte sie neben sich nieder. Sie errötete wenn möglich noch tiefer und sah ihn nicht an, sie atmete, als solle ihr die Brust zerspringen. – Ich bin so durstig, waren die ersten Worte, die sie sagen konnte. Sie standen wieder auf, und er sah sich um; aber es war kein Bach in der Nähe. – Wir müssen warten, bis wir etwas weitergekommen sind, dort ist ein Bach, sagte er; es wäre auch nicht gut, wenn du jetzt gleich trinken wolltest. Er setzte sich wieder, und sie setzte sich auf einen Stein vor ihm. – Ich sprang den ganzen Weg bis hierher, sagte sie, um sich zu entschuldigen. – Und dann habe ich nicht zu Mittag gegessen, fügte sie nach einer Weile hinzu; und geschlafen habe ich diese Nacht auch nicht, fuhr sie fort. Statt ihr Teilnahme zu bezeugen, fragte er hastig: Dann hat Mildrid wohl auch nicht zu Mittag gegessen und vielleicht diese Nacht auch nicht geschlafen? – Mildrid hat wohl auch die vorige Nacht nicht geschlafen, und gegessen hat sie nicht, daß ich es gesehen hätte, seit – seit – – sie dachte einen Augenblick nach – ja seit einer ganzen Ewigkeit. – Er erhob sich: Kannst du jetzt weitergehen? – Ich denke wohl. – Und er nahm sie bei der Hand. Der Eilmarsch begann von neuem. Nach einer Weile sah er, daß sie es auf diese Weise nicht länger machen konnte, deswegen zog er seine Jacke aus, gab ihr die, hob sie in die Höhe und trug sie. Dies wollte sie um keinen Preis. Er aber trug sie ganz leicht von dannen, und Beret hielt sich an seinem Hemdkragen fest, sie wagte nicht, ihn selber zu berühren. Nach einer Weile meinte sie, jetzt sei sie ganz verschnauft, jetzt könne sie wieder laufen. Er setzte sie nieder, nahm seine Jacke und hängte sie über das Gewehr – und weiter ging es. Am Bache machten sie halt und ruhten ein wenig, bevor sie trank. Als sie sich erhob, lächelte er und sah sie an. – Du bist ein schmuckes kleines Ding!

Es ging schon auf den Abend, als sie anlangten. Sie suchten Mildrid vergebens sowohl auf der Alm wie auch vor der Höhe; die Rufe erstarben in der Ferne, und beide wurden schon ganz ängstlich, als Hans bemerkte, daß der Hund an etwas schnüffelte. Sie liefen hinzu; es war ihr Tuch. Sogleich gab Hans dem Hund ein Zeichen, daß er die Eigentümerin des Tuches suchen solle – und er rannte davon. Sie folgten ihm über den Berg nach der anderen Seite, also in der Richtung nach Tingvold hinab. Sollte sie nach Hause gegangen sein? Beret erzählte von ihrer unvorsichtigen Frage und deren Folgen, und Hans antwortete, das könne er sich denken. Beret fing an zu weinen. Sollte sie ihr nachgehen oder nicht? – Ja, ja! rief Beret; sie war ganz verstört. Sie mußten zuerst auf die benachbarte Alm und dort Hilfe zum Einholen des Viehes holen. Während sie noch hierüber sprachen, immer dem Hunde folgend, sahen sie ihn stehenbleiben und mit wedelndem Schweife nach ihnen zurückschauen. Sie liefen hinzu, und da lag Mildrid. Auf ihrem Arme lag sie, das Gesicht halb im Heidekraut. Sie traten leise hinzu, der Hund leckte ihr Hand und Wange, sie strich darüber hin, nahm eine andere Lage ein, schlief aber ruhig weiter. – Laß sie nur schlafen! flüsterte Hans, und geh du nur hin und nimm das Vieh in Empfang; ich höre die Glocken. Als Beret fortlaufen wollte, kam er ihr nach: Bring etwas Essen mit, wenn du zurückkommst, flüsterte er. Dann setzte er sich in einem Stück von ihr entfernt hin, nahm den Hund zu sich, zwang ihn, sich niederzulegen, und hielt ihn fest, um ihn am Bellen zu verhindern, falls ein Vogel oder sonst ein Tier vorüberstreichen sollte.

Der Abend war bewölkt, die Höhen und Bergflächen lagen grau da, alles ringsumher war still; man hörte nicht einmal ein Vöglein zwitschern. Er saß oder lag da, die Hand auf dem Hunde. Über das, was verabredet werden sollte, wenn Mildred erwachte, war er bald mit sich einig. Die Zukunft hatte keine Wolken für ihn; er lag unbekümmert da und schaute zum Himmel empor. Er wußte, daß ihre Begegnung ein Wunder gewesen war; Gott selber hatte sie geheißen, das Leben gemeinsam zu durchwandern.

Er sann wieder über den Brautmarsch; die Freude lag gedämpft über seiner Seele, er fing Gedanken in ihr.

Es mochte schon über acht Uhr sein, als Beret zurückkam und Essen mitbrachte. Mildrid war noch nicht aufgewacht. Beret setzte das Mitgebrachte hin und sah die beiden eine Weile an, dann setzte sie sich selber, aber ein Stück von den anderen weg. Abermals warteten sie wohl eine Stunde, während der sich Beret häufig erhob, um nicht einzuschlafen. Gegen zehn Uhr erwachte Mildrid. Sie wandte sich mehrmals um, schlug endlich die Augen auf, sah, wo sie lag, setzte sich auf und gewahrte jetzt die anderen. Sie war noch halb schlaftrunken, weswegen sie nicht sogleich begreifen konnte, wo sie war und was sie sah, bis Hans sich erhob und lächelnd zu ihr kam. Da streckte sie beide Hände nach ihm aus.

Er setzte sich an ihre Seite. – Nun, hast du geschlafen, Mildrid! – Ja, nun habe ich geschlafen. – Nun bist du hungrig. – Ja, ich bin hungrig. – Und Beret kam mit dem Essen. Sie sah erst diese und dann alle beide an. Habe ich lange geschlafen? fragte sie. – Ach ja, es ist jetzt wohl neun Uhr – sieh nur die Sonne an! – Erst jetzt schien sie sich alles zurückzurufen. – Habt ihr lange hier gesessen? – Ach – nein; – aber iß du nun! – Sie fing an. – Du warst wohl auf dem Wege ins Tal hinab? fragte Hans leise, indem er seinen Kopf zu ihr neigte. Sie errötete; ja! flüsterte sie. – Morgen, wenn du tüchtig ausgeschlafen hast, wollen wir beide hinabgehen. – Ihre Augen hingen an den seinen, zuerst groß und verwundert, dann lächelnd und voll Dankbarkeit; aber sie sagte nichts. Jetzt schien sie wieder aufzuleben; sie fragte Beret, wo sie gewesen sei, und Beret erzählte, daß sie Hans geholt habe, und er erzählte das übrige; Mildrid aß und lauschte, und man konnte sehen, wie sie jetzt nach und nach wieder in ihre alte Lieblichkeit hineingeriet. Sie wurde sehr vergnügt, als sie hörte, daß der Hund sie gefunden und ihr das Gesicht geleckt habe, ohne daß sie erwacht sei. Der Hund saß vor ihr und verfolgte gierig jeden Bissen, den sie nahm; jetzt fing sie an, ihr Essen mit ihm zu teilen.

Sobald sie fertig war, kehrten sie langsam auf die Alm zurück, und es währte nicht lange, da lag Beret und schlief. Die beiden setzten sich draußen vor die Tür. Es fing leise an zu regnen, aber das Dach stand vor, und sie achteten nicht darauf. Der Nebel verdichtete sich rings um die Alm, sie saßen da wie in einem Zauberring. Die Luft war natürlich weder dunkel noch hell. Gedämpfte Worte fielen, und jedes barg Vertraulichkeit. Zum erstenmal konnten sie miteinander reden. Er bat sie herzlich um Verzeihung, weil er nicht daran gedacht hatte, daß sie anders sein müßte als er, und daß sie Eltern habe, die sie um Rat fragen müsse. Sie gestand ihm ihre Furcht ein und sagte, daß sie von dem Augenblick an, wo sie ihm begegnet sei, sie nicht mehr sie selbst gewesen wäre, so daß sie sogar die Eltern vergessen gehabt hätte – sie hatte wohl noch mehr zu sagen, aber sie wollte nicht fortfahren. In ihrer zitternden Freude aber redete alles, bis zu dem leisesten Atemzug. Der erste leise Übergang von Seele zu Seele begann, der, der bei anderen oft vorausgeht und die erste Umarmung vorbereitet; bei diesen aber kam er erst hinterher. Die ersten schüchternen Fragen schlichen in der Dämmerung hinüber, die ersten schüchternen Antworten kehrten zurück. Leicht wie ein Hauch, weich wie Daunen fielen die Worte und wurden ebenso wieder zurückgehaucht. Da faßte Mildrid endlich den Mut, leise, zaudernd zu fragen, ob er nicht dächte, daß sie sich oft sehr töricht benommen hätte. Er versicherte, das habe er nicht gefunden, nein, nicht ein einziges Mal. Ob er nicht bemerkt habe, daß sie gestern während der ganzen Begegnung stillgeschwiegen hätte? Nein, das hatte er nicht bemerkt. Ob er nicht gefunden habe (sie wollte es anfangs nicht sagen, dann aber kam es mit abgewandtem Gesicht und flüsternd), daß sie zu schnell darauf eingegangen sei? Nein, er habe nur gedacht, wie schön es alles zugegangen sei. Was aber habe er davon gedacht, daß sie das erstemal geweint hätte? Ja, damals habe er es nicht verstanden, jetzt aber könne er es sich sehr wohl erklären – und er sei glücklich, daß sie so wäre, wie sie wäre.

Alle diese Antworten machten sie so glücklich, daß sie sich danach sehnte, allein zu sein. Und als habe er auch das erraten, erhob er sich still und bat sie, sich schlafen zu legen. Auch sie erhob sich. Er nickte ihr zu und begab sich langsam nach dem Viehhause, wo er liegen sollte; sie aber eilte hinein und entkleidete sich, und erst im Bette faltete sie die Hände und dankte Gott – ach, wie sie ihm dankte! Dankte ihm für Hans, für seine Liebe, für seine Nachsicht, für seine Schönheit – sie hatte nicht Worte genug; sie dankte Gott für alles, alles, alles miteinander, auch für den Schmerz dieser beiden Tage, denn wie groß hatte der nicht ihre Freude gemacht! – Dankte für die Einsamkeit auf den Bergen und bat Gott, ihr auch daraus heraus und hinab zu den Eltern das Geleite zu geben. Dann kehrten ihre Gedanken wieder zu Hans zurück, und sie dankte für ihn, ach, wie sie dankte!

Als sie am Morgen herauskam – Beret schlief noch –, stand Hans auf dem Platze vor dem Hause; der Hund hatte Prügel bekommen, er hatte ein Schneehuhn gejagt, und jetzt lag er da und wollte sich einschmeicheln. Als Hans Mildrid sah, ließ er den Hund aus seinem Banne los; der sprang an ihm in die Höhe und an ihr in die Höhe, er bellte und war zutulich und war der lebendige Ausdruck ihres eigenen morgenhellen Glücks. Hans half ihr und den Hirten bei der Morgenarbeit, und als sie endlich am Tische saßen, um zu essen, war Beret auch aufgestanden. Jedesmal, wenn Hans Beret ansah, errötete sie, und als Mildrid nach der Mahlzeit mit seiner Uhrkette spielte, während sie mit ihm sprach, eilte Beret hinaus. Sie war nur mit Mühe zu finden, als sie gehen wollten.

Hör einmal, Mildrid, sagte er, als sie eine Strecke gegangen waren, indem er näher an sie heran kam und langsam ging, ich habe über etwas nachgedacht, was ich dir gestern abend nicht mehr sagen konnte. Seine Stimme klang so ernsthaft, daß sie zu ihm aufsah; er sprach langsam, ohne sie anzusehen: Ich wollte dich bitten, daß du, falls Gott es so fügt, daß wir einander bekommen – nach der Hochzeit mit zu mir heimkommst. – Sie errötete und antwortete endlich ausweichend: Was werden Vater und Mutter dazu sagen? Er schritt eine Weile weiter, ehe er antwortete: Ich glaubte, auf die komme es nicht so sehr an, wenn wir beide nur einig wären. – Das war das erstemal, daß er etwas sagte, was sie schmerzte. Sie antwortete nicht. Er schien auf eine Antwort zu warten und fügte endlich leise hinzu: Ich möchte, daß wir beide für uns allein wären – uns aneinander gewöhnten. – Sie fing jetzt an, ihn besser zu verstehen, aber sie konnte nicht antworten. Er ging wie vorhin, langsam und ohne sie anzusehen; jetzt schwieg er ganz. Sie fühlte sich beklommen und sah forschend zu ihm auf. Da war er ganz bleich. – Aber Hans, rief sie und blieb stehen, ohne es selbst zu wissen. Auch Hans blieb stehen, sah erst flüchtig sie und dann das Gewehr an, das er niedergesetzt hatte und jetzt drehte: Kannst du mir nicht heimfolgen? Die Stimme klang gedämpft, der Blick aber war auf einmal voll und fest.– Ja, das kann ich! beeilte sie sich zu antworten. Ihre Augen weilten ruhig in den seinen; eine helle Röte flog über seine Wangen, er nahm das Gewehr aus der rechten in die linke Hand und reichte ihr die Rechte. Hab Dank! flüsterte er mit kräftigem Händedruck. Dann gingen sie weiter.

Den einzigen Gedanken, den sie hieraus schöpfte, spann sie für sich weiter aus, bis sie ihn endlich nicht mehr für sich allein behalten konnte: Du kennst meine Eltern noch nicht! – Er ging eine Weile ruhig weiter, ehe er antwortete: Nein, aber wenn du mit mir heimkommst, gewinne ich Zeit, sie kennen zu lernen. – Sie sind so gut! fügte sie hinzu. – Das habe ich alle sagen hören. – Er sagte das in bestimmtem, aber kühlem Tone.

Ehe sie etwas anderes denken oder sagen konnte, fing er an, von seinem Heim zu erzählen, von seinen Geschwistern, von der Armut, aus der sie sich herausgearbeitet hatten, von der Tüchtigkeit, Treue und Heiterkeit der Geschwister, von den Reisenden und der Arbeit, die diese verursachten, von den Gebäuden und namentlich von dem neuen Wohnhaus, das er jetzt ausführen wollte, und das für sie bestimmt sei; davon, daß sie jetzt die Aufsicht über alles haben sollte, daß sie aber auch Hilfe zu allem haben würde, ja daß jedes sie auf den Händen tragen werde, nicht zum mindesten er selber! Während er so sprach, gingen sie schneller; er sprach warm, kam näher an sie heran und ging schließlich Hand in Hand mit ihr.

Und wirklich, seine Liebe zu seinem Besitz und zu seinen Geschwistern machte Eindruck auf sie, und das Unbekannte lockte; aber da war auch etwas anderes, etwas, das sie als Unrecht gegen ihre herzensguten Eltern empfand. Deswegen fing sie von neuem an: Du, Hans, Mutter und namentlich Vater sind ältere Leute, die viel gelitten haben – sie bedürfen der Hilfe sie haben schwer gearbeitet, und – sie wollte oder konnte nicht mehr sagen. Er ging langsamer und sah sie lächelnd an. – Mildrid, du meinst, sie haben dir den Hof bestimmt? – Sie errötete, antwortete aber nicht. – Nun ja – kommt Zeit, kommt Rat! Wollen sie uns einmal zur Ablösung haben, so sind sie die, die uns darum bitten müssen. – Er sagte das liebevoll, aber sie fühlte sehr wohl, was darinlag. Behutsam wie sie war und gewöhnt, den Gedanken anderer eher als ihren eignen zu folgen, fügte sie sich. Aber nach einer Weile kamen sie so weit, daß sie Tingvold unten liegen sahen. Und dann sah sie von dem Hofe zu ihm auf, als solle der für sich selber reden: die großen, hellen Bergflächen umsäumt von einem Waldkranz, die Häuser still im hellen Sonnenschein, aber groß und fest, das alles nahm sich prächtig aus. Darunter lag das Tal, der Strom wand sich brausend hindurch, Hof bei Hof unten auf der Ebene und jenseits an den anderen Berglehnen, und Hof bei Hof auf dieser Seite; keiner aber, auch nicht einer so wie Tingvold, keiner so üppig, keiner so stattlich zu schauen, keiner so geborgen in seiner eigenen Traulichkeit und doch so glänzend nach allen Seiten! Als sie sah, daß der Anblick ihn ergriff, errötete sie vor Freude. – Ja, antwortete er, denn sie hatte ja gefragt! – Ja, das ist wahr, Tingvold ist ein schöner Besitz; er hat wohl kaum seinesgleichen. – Er lächelte und beugte sich zu ihr nieder: Aber ich habe dich doch lieber, Mildrid, als Tingvold – vielleicht hast auch du mich lieber als Tingvold? – Wenn er die Sache so auffaßte, blieb ihr ja nichts übrig als zu schweigen. Er sah auch so glücklich aus, und er setzte sich, und sie nahm neben ihm Platz. Jetzt will ich dir etwas vorsingen, flüsterte er. – Sie wurde ganz glücklich. Ich habe dich noch niemals singen hören, sagte sie. – Nein, du hast mich nie singen hören, und wenn man auch davon spricht, mußt du nicht glauben, daß es etwas Besonderes sei, denn es ist nur das an meinem Gesange, daß ich es in mir fühle: Jetzt muß ich singen! – Und nachdem er eine Weile sinnend dagesessen hatte, sang er ihr seine Brautfahrt nach der Melodie des Familienbrautmarsches vor. Ganz leise sang er, aber einen solchen Jubel in einer Stimme hatte sie noch niemals gehört! Das Gehöft lag vor ihr, das Gehöft, von dem sie ausfahren sollten; sie folgte mit den Augen dem Wege bis an die Brücke und über den Strom, folgte dann dem Wege auf der anderen Seite bis zur Kirche, die mitten in einem Birkenwäldchen oben auf dem Berge lag, dicht dabei zahlreiche Gehöfte. Es war kein strahlendes Bild, denn der Tag war nicht klar, aber es stimmte so am besten zu dem gedämpften Bilde in ihrem Innern; denn wie viel hundertmal hatte sie nicht in Gedanken diese Fahrt gemacht, nur hatte sie nicht gewußt, mit wem! Worte und Töne woben einen Zauber um sie; die eigentümlich warme, leise Stimme erschloß das Tiefste ihres Innern; ihre Augen standen voll Tränen, aber sie weinte nicht, sie lachte auch nicht; die Hand auf der seinen saß sie da und schaute, jetzt zu ihm auf, jetzt in die Ferne, und als plötzlich aus dem Schornstein daheim der Rauch von dem ersten Feuer unter den Mittagtöpfen aufstieg, wandte sie sich um und zeigte hinab. Hans war jetzt fertig; er blieb sitzen und sah still hinab.

Eine Weile später waren sie wieder auf der Wanderung hinab durch den Birkenwald, und Hans hatte Mühe, den Hund ruhig zu halten. Mildrids Herz fing an zu klopfen. Er verabredete mit ihr, daß er sich in der Nähe aufhalten wolle, sie aber solle allein vorangehen. Er trug sie über ein paar sumpfige Stellen, und da fühlte er, daß ihre Hand feucht war. Denk nicht darüber nach, was du sagen willst, flüsterte er, laß es nur so kommen, wie es will. – Sie antwortete mit keinem Laut, sah auch nicht zu ihm auf. Sie kamen aus dem Walde hinaus, der hier aus großen, ernsten Föhren bestand, unter denen sie ganz leise dahingeschritten waren, während er ihr flüsternd von der Werbung ihres Urgroßvaters um seine Muhme Aslaug erzählt hatte, alte wunderliche Geschichten, die sie nur halb hörte, die sie aber doch stärkten – sie traten aus dem Walde hinaus auf die Lichtung der Äcker und Wiesen, und nun verstummte auch er. Jetzt sah sie ihn an, und ihre Angst war so sichtbar und so groß, daß ihm unheimlich dabei zumute wurde. Es kam ihm kein Wort zu Hilfe, die Sache war zu sehr seine eigene. Sie gingen Seite an Seite; das den Häusern gegenüberliegende Buschwerk entzog sie den Blicken der Bewohner. Als sie so weit gekommen waren, daß er meinte, jetzt müsse sie allein gehen, pfiff er leise dem Hunde, und dies, begriff sie, war das Zeichen zur Trennung. Sie blieb stehen und sah so unglücklich und verlassen aus, daß er ihr zuflüstern mußte: Mildrid, jetzt will ich hier für dich beten! – und dann will ich kommen, wenn du meiner bedarfst. Sie dankte ihm mit den Augen, aber nur halb bewußt, denn sie konnte weder klar denken noch sehen. Und so ging sie. Sobald sie aus dem Gesträuch hinausgetreten war, sah sie gerade in die große Wohnstube im Hauptgebäude hinein, ja ganz durch sie durch, denn die Stube hatte Fenster zu beiden Seiten, nach dem Walde wie nach dem Tale zu. Hans setzte sich hinter den nächsten Busch, den Hund an seiner Seite; er konnte also ebenso wie sie alles im Zimmer sehen; jetzt aber war die Stube leer. Sie sah sich einmal um, als sie an die Scheune kam; da nickte er ihr zu. Sie bog um die Scheune – und war drin auf dem Hofplatz.

Hier stand alles in der alten gewohnten Ordnung, und es war still. Einige Hühner spazierten auf der Scheunenbrücke. An die Wand des Vorratshauses waren, seit sie zuletzt hier gewesen war, die Heugestelle angelehnt worden, eine andere Veränderung sah sie nicht. Sie wollte rechts abbiegen, nach der Stube der Großmutter, es war wohl die Angst, die sich diese kleine Frist vor der Begegnung mit den Eltern schaffen wollte; aber mitten zwischen den beiden Häusern, am Haublock, stand der Vater und schaftete eine Axt. Er trug eine gestrickte Jacke und die Tragbänder darüber. Er war barhäuptig, und das lange dünne Haar wurde von dem Winde, der gerade anfing vom Tal herauszustreichen, vornüber geweht. Er sah frisch, beinahe fröhlich aus bei der Arbeit, so daß sie bei seinem Anblick Mut faßte. Er hatte sie nicht bemerkt, so leise und vorsichtig war sie über die Fliesen gegangen. Sie flüsterte: Guten Tag! Er sah sie eine Weile verwundert an: Liebe, bist du es? – Ist etwas los? fügte er schnell hinzu und sah ihr forschend ins Gesicht. – Nein, sagte sie und errötete leicht. Seine Augen aber blieben an den ihren haften, und sie schlug sie nicht auf. Er stellte die Axt hin. – Laß uns zur Mutter hineingehen, sagte er. Auf dem Wege ins Haus fragte er nach allem auf der Alm und erhielt befriedigenden Bescheid. – Jetzt sieht uns Hans hineingehen, dachte Mildrid, als sie an der Schlippe zwischen der Scheune und dem Vorratshause an der anderen Seite vorübergingen. Als sie in die Stube kamen, ging er an die Küchentür und öffnete sie. – Du mußt hereinkommen, Mutter, sagte er zur Tür hinaus; Mildrid ist heruntergekommen. – Lieber, ist denn etwas vorgefallen? wurde aus der Küche entgegnet. – Nein! antwortete Mildrid hinter dem Vater und trat jetzt selbst in die Tür, ging auf die Mutter zu, die vor dem Herde saß, Kartoffeln schälte und sie in den Kochtopf warf. Die Mutter sah jetzt Mildrid ebenso forschend an wie vorhin der Vater, und das hatte dieselbe Wirkung. Randi erhob sich, nachdem sie die Schüssel hingestellt hatte; sie ging an die Tür an der anderen Seite, sprach dort hinaus, kam dann zurück, nahm die Küchenschürze ab, wusch sich die Hände und kam zu ihnen; sie gingen alle in die Wohnstube.

Mildrid kannte ja ihre Eltern, so wußte sie auch, daß diese Vorbereitungen bedeuteten, daß sie auf etwas Ungewöhnliches gefaßt seien. Ihr Mut, der vorhin nicht groß gewesen war, war jetzt ganz klein geworden. Der Vater setzte sich auf den Hocksitz, also gerade an das entfernteste von den Fenstern, das nach dem Tale hinausging. Die Mutter hatte sich auf dieselbe Bank gesetzt, aber der Küche ein wenig näher. Mildrid nahm auf dem Vorsitz, das heißt auf der langen Bank vor dem Tische Platz. Da konnte Hans sie sehen; er konnte auch dem Vater gerade ins Gesicht sehen, der Mutter aber wohl kaum.

Die Mutter fragte, wie vorhin der Vater, nach dem Stande der Wirtschaft auf der Alm und erhielt denselben Bescheid, nur noch ein wenig ausführlicher; denn sie fragte eingehender. Obwohl es augenscheinlich war, daß beide Parteien die Unterhaltung absichtlich in die Länge zogen, war der Stoff doch bald erschöpft. In dem Schweigen, das jetzt entstand, sahen beide Eltern Mildrid an. Diese wich ihren Blicken aus und fragte nach Neuigkeiten aus dem Kirchspiel. Obwohl nun dieser Stoff so lang wie möglich ausgesponnen wurde, ging doch auch er zu Ende. Dasselbe Schweigen, dieselben auf die Tochter gerichteten erwartungsvollen Blicke. Diese hatte nun nichts mehr zu fragen und fing an, mit der flachen Hand über die Bank zu streichen, auf der sie saß. – Bist du bei der Großmutter gewesen? fragte die Mutter; sie fing jetzt an ängstlich zu werden. – Nein, sie war nicht bei ihr gewesen. Darin lag das Zugeständnis, daß die Tochter ein bestimmtes Anliegen an die Eltern habe, und nun konnte sie schicklicherweise nicht länger damit zurückhalten. – Ich hätte wohl etwas, das ich euch zu sagen schulde, brachte sie endlich unter Erröten und Erbleichen und mit niedergeschlagenen Augen hervor. Die Eltern sahen einander besorgt an. Mildrid erhob den Kopf und sah sie mit großen, flehenden Augen an. – Was ist es, mein Kind, kam ihr die Mutter voll Angst entgegen. – Ich habe mich verlobt, sagte Mildrid, senkte den Kopf und brach in Tränen aus.

Es hätte kein betäubenderer Schlag in diesen stillen Kreis hineinfallen können. Bleich, schweigend sahen sich die Eltern an. Die zuverlässige, sanfte Mildrid, für deren folgsames, gesetztes Wesen die Eltern Gott so oft gedankt hatten, hatte ohne ihren Rat, ohne ihr Wissen diesen wichtigsten Schritt des Lebens getan, der ja auch die Vergangenheit und die Zukunft der Eltern abschloß. Mildrid erriet in diesem Augenblick jeden Gedanken, den sie sich machten, und die Angst hielt die Tränen zurück. Milde, langsam fragte der Vater: Mit wem denn, mein Kind? – Nach kurzem Schweigen kam die geflüsterte Antwort: Mit Hans Haugen! – Wohl über zwanzig Jahre lang war hier in diesem Zimmer kein Name und keine Begebenheit von Haugen genannt worden. Wie die Eltern die Sache ansahen, war von Haugen nur Unglück über diesen Hof gekommen. Mildrid erriet abermals ihre Gedanken, sie saß unbeweglich da und wartete auf ihr Urteil. Aber milde und langsam begann der Vater von neuem: Wir kennen diesen Mann nicht – weder ich noch deine Mutter. – Noch wußten wir, daß du ihn kenntest. – Nein, auch ich kannte ihn nicht, sagte Mildrid. Die erstaunten Eltern sahen einander an. Wie ist denn dies zugegangen? – Es war die Mutter, die fragte. – Ja, das weiß ich selber nicht, antwortete Mildrid. – Aber liebes Kind, man muß sich doch beherrschen können! – Mildrid antwortete nicht. – Wir dachten von dir, fügte der Vater sanft hinzu, daß wir uns auf dich verlassen könnten. – Mildrid antwortete nicht. – Aber wie ist es nur zugegangen? wiederholte die Mutter, du mußt doch das wissen! – Nein, das weiß ich nicht . . . . . ich weiß nur, daß ich nichts dafür konnte, nein, ich konnte wirklich nichts dafür! – sie saß da und hielt sich mit beiden Händen an der Bank fest. – Gott tröste und bessere dich! Was ist denn da nur über dich gekommen? – Mildrid antwortete nicht. Da mischte sich der Vater wieder besänftigend in das Gespräch. Mit freundlicher Ruhe fragte er: Weswegen hast du denn nicht mit jemand von uns darüber gesprochen, mein Kind? – Auch die Mutter stimmte in den Ton ein und sagte leise: Du weißt, wie lieb wir euch Kinder haben, wir, die wir so einsam gelebt haben – und wir können es wohl sagen, namentlich dich, Mildrid, denn du bist uns am meisten gewesen. – Mildrid fühlte den Platz nicht mehr, auf dem sie saß. – Ja, wir dachten nicht, daß du uns so verlassen würdest! – Es war der Vater, der dies sagte. Wenn auch die Worte leise klangen, so taten sie deswegen nicht weniger weh. – Ich will euch ja nicht verlassen, stammelte sie. – So kannst du sagen, antwortete er in ernsterem Ton als bisher, denn du hast uns ja schon verlassen. – Mildrid fühlte, daß das wahr sei, und doch war es nicht wahr. Aber sie konnte sich nicht klar darüber werden. Die Mutter sagte: Was hat uns das denn jetzt genützt, daß wir liebevoll und gottesfürchtig mit unseren Kindern gelebt haben? – Bei der ersten Versuchung! – – um der Tochter willen wollte sie nicht mehr sagen. Jetzt aber konnte Mildrid es nicht länger aushalten: Ich will euch nicht verlassen! . . . Ich will euch nicht wehe tun! . . . Ich konnte nur nicht . . . nein, ich konnte nicht! – Sie warf sich über den Tisch auf ihren Arm, dem Vater zugewandt, und schluchzte.

Keins der Eltern war imstande, zu der Reue, die sie empfand, noch ein Wort des Vorwurfs zu legen. Deswegen blieb alles still. Dies hätte lange währen können, aber Hans Haugen erkannte von seinem Platz aus, daß sie jetzt der Hilfe bedurfte. Sein Jägerauge hatte gesehen, wie sie sich über den Tisch warf, und er sprang auf – bald vernahm man seinen leichten Schritt in dem Vorbau. Er klopfte, alle sahen auf, aber niemand sagte: Herein! Mildrid richtete sich halb auf, rot vom Weinen; die Tür tat sich auf, Hans mit dem Gewehr und dem Hunde stand bleich, aber ruhig mitten darin, wandte sich um und schloß wieder, während der Hund wedelnd auf Mildrid zuging. Hans war zu erregt, als daß er gemerkt hätte, daß der Hund ihm gefolgt war.

Guten Tag! sagte er. Mildrid sank auf ihren Platz zurück, atmete tief auf und sah ihn erleichtert an. Ihre Furcht, ihr böses Gewissen waren jetzt geschwunden, sie hatte ja recht, ja, sie hatte recht! Jetzt mochte es kommen, wie Gott es wollte. –

Niemand hatte seinen Gruß beantwortet, es bat ihn auch niemand, näherzutreten. – Ich bin Hans Haugen! sagte er leise, setzte das Gewehr hin, blieb stehen und hielt es mit der Hand. Nachdem die Eltern mehrmals Blicke miteinander ausgetauscht hatten, fuhr er, wenn auch mit Überwindung, fort: Ich bin mit Mildrid hierhergekommen, denn wenn sie Unrecht getan hat, so ist es meine Schuld. – Irgend etwas mußte gesagt werden, die Mutter sah den Vater an, und dieser sagte endlich, daß es ohne ihr Wissen gekommen sei, und Mildrid könne ihnen auch keine Erklärung darüber geben, wie es zugegangen wäre. Hans aber antwortete, das könne er auch nicht. – Ich bin kein Knabe mehr, sagte er, denn ich bin achtundzwanzig Jahre alt, und doch ging es so zu, daß ich, der ich mich bisher um kein Mädchen gekümmert habe, an nichts weiter auf der Welt mehr denken konnte, von dem Augenblicke an, wo ich sie gesehen habe, als an sie; hätte sie nein gesagt – ja, ich weiß nicht – aber da wäre mit mir nicht mehr viel gewesen.

Die einfache, aufrichtige Weise, in der er dies sagte, tat gut; Mildrid bebte auf ihrem Platze, denn sie fühlte, daß dies der Sache ein anderes Aussehen gab. Er hatte die Mütze aufbehalten, denn es war nicht Sitte dort im Tale, daß ein Fremder die Mütze abnahm, wenn er hereinkam; jetzt aber nahm er sie unwillkürlich ab und hängte sie über den Gewehrlauf und hielt die Hände darüber. Es war etwas an dem ganzen Burschen, das Höflichkeit erheischte. So jung wie Mildrid noch ist, sagte die Mutter – niemand von uns hätte gedacht, daß sie schon so etwas tun würde. – Das mag wahr sein, aber dafür bin ich ja auch um so älter, entgegnete er, und die Wirtschaft daheim bei mir ist nicht groß; sie erfordert keine große Anstrengung – und Hilfe genug habe ich auch. – Die Eltern sahen erst einander, dann Mildrid, dann ihn an: Sollte sie dir heimfolgen? fragte der Vater ungläubig, fast ein wenig höhnisch. – Ja, sagte Hans, um den Hof freie ich nicht. – Er errötete, ebenso Mildrid.

Wäre der Hof in die Erde versunken, so hätten die Eltern nicht erstaunter sein können als darüber, daß er verschmäht wurde; und Mildrids Schweigen bewies ihnen, daß sie damit einverstanden sei. Immerhin stellte dieser Beschluß der jungen Leute die Eltern unwillkürlich ein wenig außerhalb der Entscheidung; sie fühlten sich gedemütigt. – Du sagtest doch, daß du uns nicht verlassen wolltest! bemerkte die Mutter mit stillem Vorwurf, und der traf. Aber Hans kam ihr zu Hilfe. – Euch verlassen? Jedes Kind, das heiratet, muß doch wohl Vater und Mutter verlassen. – Er lächelte und fügte freundlich hinzu: Die Reise ist nicht lang, es ist wenig mehr als dreiviertel Meile von hier bis Haugen. – Aber es sind ja eigentlich nicht die Worte, auf die es bei solchen Gelegenheiten ankommt; die Gedanken schlagen trotzdem ihre eigenen Wege ein. Die Eltern fühlten sich verlassen, ja verraten durch den Beschluß der jungen Leute. Daß man auf Haugen gut leben könnte, wußten sie sehr wohl; die Reisenden, die dort hinkamen, hatten dem Ort Ansehen verliehen; es hatte sogar davon in den Blättern gestanden – aber Haugen war doch einmal Haugen, und daß Mildrid, ihr liebstes Kind, die Reise des Geschlechts nach Haugen zurück machen wollte, das war denn doch zu viel! Unter diesen Umständen würden manche andere vielleicht zornig geworden sein; diese beiden aber liebten es, sich in aller Stille von einer Sache loszumachen, die ihnen nicht gefiel. Sie wechselten daher einen Blick des Einverständnisses, und der Vater sagte ruhig: Dies sind zu viel Dinge auf einmal, wir können nicht gut jetzt gleich darauf antworten. – Nein, sagte auch die Mutter, wir waren nicht darauf gefaßt, eine so große Neuigkeit zu erfahren – und sie so zu erfahren. – Hans stand eine Weile da, dann sagte er: Es ist richtig, Mildrid hätte zuerst ihre Eltern fragen sollen. Aber wenn nun keins von uns etwas davon wußte, ehe es zu spät war? So ist es nämlich zugegangen. – Wir konnten doch nichts weiter tun, als alle beide kommen, sobald es geschehen war, und das haben wir getan. – Ihr müßt es nicht zu strenge nehmen!

Hiernach war im Grunde nichts mehr gegen ihr Verhalten zu sagen, und seine ruhige Art und Weise machte die Sache noch wahrhaftiger. Überhaupt merkte der Vater, daß er ihm nicht gewachsen war, und bei dem wenigen Zutrauen, das er zu sich selbst hatte, wollte er sich deswegen so schnell wie möglich von der Sache befreien. – Wir kennen dich nicht, sagte er und sah seine Frau an, wir müssen Bedenkzeit haben. – Ja, das wird wohl das beste sein, meinte Randi, denn wir müssen den doch kennen, dem wir unser Kind geben sollen. – Mildrid empfand die Kränkung, die in dieser Antwort lag, aber sie sah Hans nur flehend an. – Es ist wahr, begann Hans und fing an, das Gewehr in der einen Hand hin und her zu drehen – obwohl ich nicht glaube, daß es viele im Kirchspiel gibt, die bekannter sind als ich. Aber vielleicht hat jemand schlecht von mir gesprochen? – Er sah zu ihnen auf. Mildrid wurde um der Eltern willen ganz verlegen, und diese fühlten selber, daß sie vielleicht Argwohn erweckt hätten, und das wollten sie nicht. – Nein, wir haben nichts Schlechtes von dir gehört, sagten deswegen beide auf einmal, und die Mutter fügte schnell hinzu, daß es sich wirklich so verhalte, daß sie ihn gar nicht kennten, denn sie hätten so selten nach den Leuten auf Haugen gefragt. – Sie meinte nichts Böses damit; aber erst, als die Worte über ihre Lippen gekommen waren, begriff sie, daß sie sich nicht glücklich ausgedrückt hätte, und sie merkte es dem Manne wie auch Mildrid an, daß sie dasselbe meinten. Die Antwort ließ eine Weile auf sich warten. – Hat das Geschlecht auf Tingvold nicht nach den Leuten auf Haugen gefragt, so ist das nicht unsere Schuld, denn wir sind bis zu den letzten Jahren arme Leute gewesen. – In diesen wenigen Worten lag ein Vorwurf, von dem alle drei fühlten, daß er wahr sei, und zwar sehr wahr. Aber nie zuvor war es weder dem Manne noch der Frau eingefallen, scheu und mit ihrem Leid beschäftigt, wie sie es gewesen waren, daß sie hier eine Pflicht versäumt hätten; nie zuvor hatten sie darüber nachgedacht, daß die armen Verwandten auf Haugen nicht unter ihrem Unglück hätten leiden dürfen; denn daran waren sie völlig unschuldig. Sie sahen einander verlegen an und saßen dann jedes für sich tief beschämt da. Hans hatte ganz gelassen gesprochen, obwohl die Antwort der Frau ihn hätte reizen können. Beide fühlten deswegen, daß sie einen braven Mann vor sich hatten, und daß hier in doppelter Hinsicht etwas gutzumachen war. So kam es denn, daß der Vater sagte: Laß uns noch etwas Zeit; kannst du nicht hier bleiben und mit uns zu Mittag essen? dann können wir ja immer noch über die Sache reden. – Du mußt näherkommen und dich setzen, fügte die Mutter hinzu; beide erhoben sich.

Hans setzte das Gewehr mit der Mütze darauf von sich und ging auf die Bank zu, wo Mildrid saß, die sich sogleich erhob; sie wußte selber nicht, weshalb. Die Mutter meinte, es wäre wohl das beste, wenn sie einmal nach der Küche sehe, und sie ging hinaus. Der Vater schickte sich an, ihr zu folgen, Mildrid aber wollte nicht mit Hans allein sein, solange die Eltern ihre Einwilligung verweigerten, deswegen ging sie auf die andere Tür zu; sie sahen sie dann über den Hof nach der Stube der Großmutter zugehen. Da konnte denn der Mann Hans nicht allein lassen, so wandte er sich um und setzte sich wieder.

Die beiden Männer sprachen über gleichgültige Dinge miteinander; zuerst über die Jagden und die Einrichtung dazu in den Sommerhütten oben im Gebirge, von dem Verdienst, der bei so etwas sei usw. Dann kamen sie auf Haugen und die Reisenden dort und den Betrieb des Hofes da oben zu sprechen, und das Ganze machte auf den Vater den Eindruck, daß jetzt Wohlstand und reges Leben auf Haugen herrsche. Die Mutter ging ab und zu während ihrer Vorbereitungen zum Mittagessen, so daß sie oft zuhörte, und es war den beiden Alten anzumerken, daß sie ihre Scheu überwanden und sich nach und nach ein wenig sicherer fühlten, denn die Fragen wurden etwas eingehender.

Hansens manierliches Benehmen bei Tische blieb nicht unbemerkt. Er saß an der Wand, der Mutter und Mildrid gegenüber; der Vater saß am Ende des Tisches auf dem Hochsitz. Das Gesinde hatte vorher in der Küche gegessen, wo sie sonst gemeinsam mit ihm zu essen pflegten. Heute aber wollten sie Hans den Leuten noch nicht gern zeigen. Bei Tische fühlte Mildrid, daß die Mutter sie ansah, wenn Hans lächelte. Er gehörte zu denen, die ein ernstes Gesicht haben, das aber anziehend wurde, wenn er lächelte. Mehreres dergleichen zog sie im stillen zusammen zu der Summe, die sie gern heraus haben wollte. Aber sicher war sie ihrer Sache doch noch nicht, und da ihr die Spannung in der Stube zu groß war, zog es sie hinaus, und sie ging nach Tische wieder zu der Großmutter.

Die Männer machten einen Gang über den Hof, doch so, daß sie nicht dahin kamen, wo die Leute arbeiteten, auch nicht dahin, wo die Großmutter sie sehen konnte. Später setzten sie sich wieder in die Stube, und da war auch die Mutter fertig und konnte sich zu ihnen setzen. Die Unterhaltung wurde nach und nach vertraulicher, wie es zu erwarten war, und nach einiger Zeit (allerdings nicht, ehe der Abend hereingebrochen war) faßte sich die Mutter ein Herz und bat ihn, zu erzählen, wie es sich eigentlich mit Mildrid und ihm zugetragen habe; Mildrid hatte doch selbst keinen Bescheid darüber geben können. Vielleicht tat die Mutter die Frage nur aus weiblicher Neugier, Hans aber war die Frage äußerst willkommen.

Er erzählte nicht von ihren ersten Begegnungen, denn dazu war er nicht imstande; aber umständlich und mit tiefer Freude erzählte er von dem gestrigen Tage, von Beret, die ihn im Sturmmarsch geholt hatte, weil Mildrid von Seelenangst um der Eltern willen gequält wurde; und als er zu Mildrid selbst gelangte und ihre Flucht talabwärts zu ihnen schilderte, und wie sie sich ermattet an Leib und Seele hatte ausruhen müssen und eingeschlafen war, verlassen und unglücklich – da war es den Alten, als erkennten sie ihr Kind wieder. Da waren sie nicht mehr weit davon, namentlich die Mutter, zu fühlen, daß sie zu strenge gewesen waren.

Aber während der Bursche von Mildrid erzählte, berichtete er ja, ohne es selbst zu wissen, von sich selber; denn Hansens Liebe zu Mildrid leuchtete aus jedem Worte hervor und machte die Eltern froh. Er fühlte dies schließlich und wurde selber froh, und die beiden, die an eine so schlichte Unbefangenheit und Kraft nicht gewöhnt waren, fühlten sich wirklich glücklich. Dies steigerte sich immer mehr, so daß die Mutter ihn unwillkürlich fragte, indem sie lächelte: Ihr seid wohl schon fix und fertig für die Hochzeit, ihr beiden da. wie mir scheint – noch ehe jemand von uns gefragt ist? – Der Vater stimmte in das Lachen ein, um Hans die Antwort zu erleichtern, und dieser antwortete, da die Gelegenheit ja günstig war, damit, daß er leise eine Zeile des Brautmarsches summte:

Spielt uns auf, spielt uns auf, wir haben Eile, ich und du!

– und dann lachte; er war jedoch bescheiden genug, gleich von etwas anderem anzufangen. Ganz zufällig sah er zu Randi auf und gewahrte, daß sie leichenblaß dasaß. Hans fühlte sofort, daß er etwas Verkehrtes getan hatte, indem er an diese Weise erinnert hatte, und noch dazu jetzt! Endrid sah bang zu seiner Frau hinüber, die in wachsender Erregung war, so daß sie es schließlich nicht mehr im Zimmer aushalten konnte; sie stand auf und ging hinaus.

Ich habe gewiß etwas sehr Verkehrtes getan, sagte Hans erschrocken. – Der Mann antwortete nicht. Ganz unglücklich erhob sich Hans, um ihr nachzugehen und sich zu entschuldigen, doch setzte er sich wieder hin, indem er versicherte, daß er sich nicht das geringste Böse dabei gedacht hätte. – Ach, du konntest es ja auch nicht so genau wissen, entgegnete Endrid. – Kannst du ihr nicht nachgehen und es wieder gutmachen? – Er hatte ein solches Zutrauen zu diesem Manne gefaßt, daß er es wagte, ihn darum zu bitten. Aber Endrid erwiderte: Nein, laß sie allein damit, ich kenne sie. – Hans, der sich soeben noch ganz nahe am Ziele seiner Wünsche geglaubt hatte, war in Verzweiflung gestürzt und war nicht zu beruhigen, obwohl der Vater geduldig darum bemüht war. Der Hund half ihm, indem er zu ihm herankam; denn Endrid stellte wieder und wieder Fragen in bezug auf ihn und erzählte schließlich mit großer Umständlichkeit von einem Hunde, den er selber gehabt hätte, und der ihm sehr ans Herz gewachsen gewesen wäre, wie das ja bei einsamen Leuten häufig der Fall sei.

Randi aber war vor die Haustür hinausgegangen und hatte sich dort auf die steinerne Schwelle gesetzt. Das Vorhaben der Tochter hatte ja zur Folge, daß der Brautmarsch noch herber mit den Erinnerungen zusammenstieß, mit denen sie sich herumtrug. Sie selbst hatte sich nicht wie die Tochter einem Manne hingegeben, den sie liebte. Die Schande bei ihrer Kirchfahrt war ja gerechtfertigt gewesen, denn sie hatte nicht mit aufrichtigen Gefühlen an der Seite des Bräutigams gesessen. Die Schande und der Kummer und der Verlust der Kinder, die Leiden und der Kampf der langen Jahre, das alles stürmte wieder auf sie ein. All ihr Beten und Flehen, womit sie diesen Schmerz zu bannen gesucht hatte, war also vergeblich gewesen, sie saß da in der heftigsten Erregung! Daß ihr dies noch geschehen konnte, setzte sie in Verzweiflung, sie machte sich die bittersten Vorwürfe; sie empfand von neuem den Hohn der Leute über ihre falsche Kirchfahrt; sie geißelte abermals ihre eigene Erbärmlichkeit; daß sie damals die Tränen und jetzt die Erinnerungen nicht zu hemmen vermocht hatte – daß sie durch ihr maßloses Wesen die Eltern in ein falsches Licht gestellt, ihre Gesundheit zerstört und dadurch die Kinder getötet hatte, die sie unter dem Herzen getragen hatte – und während alledem eine Frömmigkeit geheuchelt hatte, die ihr gar nicht eigen gewesen war, denn das zeigte sich ja nun! Nein, daß sie nicht weitergekommen war! So erbärmlich, so erbärmlich fühlte sie sich, daß sie nicht wagte, zu Gott aufzublicken, denn wie hatte sie nicht ihn und sich selbst getäuscht! Weshalb aber, mußte sie sich fragen, weshalb erwachte gerade jetzt all dieser Greuel in ihr, der sich um ihren Sinn gelegt hatte? War sie eifersüchtig auf Mildrid? Eifersüchtig auf die eigene Tochter? Nein, das war sie nicht, das fühlte sie – und sie begann sich wieder aufzurichten. Jetzt sollte die Tochter ihre Sünde wieder gutmachen, das war doch ein herrlicher Gedanke! Konnten die Kinder das? Ja, so wahr sie ein Werk von uns selber sind, können sie das, denn die Wahrhaftigkeit, die in Mildrids Natur lag, die hatte doch sie, die Mutter, in ihrer Schwäche in ihr erzogen. Sollte sie ihr aber jetzt zugute kommen, so mußte sie auch selber mit teil daran nehmen, in Reue, in Dank! – Und ehe Randi sichs versah, konnte sie wieder beten und sich in tiefer Demut und Zerknirschung vor dem Herrn beugen, der ihr abermals gezeigt hatte, was sie ohne ihn war. Um Gnade flehte sie, so wie jemand fleht, der um sein Leben ficht; denn jetzt ward ihr das Leben von neuem geschenkt, das fühlte sie! Jetzt war die Schuldsumme gestrichen; dies war die letzte Abrechnung gewesen, das hatte sie nur so überwältigt! Und sie erhob sich und sah unter strömenden Tränen empor; sie fühlte sich so wohl, da war einer, der jetzt den Schmerz von ihr genommen hatte! Hatte sie das nicht auch schon früher häufig gefühlt? Nein, niemals so wie jetzt, hier erst war der Sieg errungen! Und sie ging weiter, sie fühlte es; sie hatte sich selbst wiedergefunden! Es war etwas zersprungen, das sie bisher gefesselt hatte; an jeder Bewegung fühlte sie es, daß sie jetzt frei war, frei an Leib und Seele! Hatte sie nächst Gott der Tochter dafür zu danken, so sollte diese ihr Glück auch in vollen Zügen genießen! Sie betrat den Vorbau, der zu der Stube der Großmutter führte; aber niemand dadrinnen erkannte ihren Schritt. Sie ergriff die Türklinke und öffnete, als sei es jemand anders. – Mildrid, komm einmal her! sagte sie, und Mildrid und die Großmutter sahen einander an, denn das war ja die Mutter nicht! – Mildrid eilte auf sie zu: was war denn nur geschehen? Die Mutter zog sie am Arm hinaus, schloß die Tür hinter ihr, so daß sie allein waren, und dann warf sie sich ihr um den Hals und weinte und weinte, während sie sie mit einer Kraft und Seligkeit umarmte, die Mildrid, geadelt durch ihre Liebe, so recht von Herzen erwidern konnte. – Gott möge dich ewig segnen und belohnen! flüsterte die Mutter. Die beiden in der Stube sahen sie Hand in Hand über den Hof kommen, und zwar so schnell, daß Ahnungen in ihnen aufstiegen. Die Tür tat sich auf, und beide traten herein und gingen auf sie zu. Aber statt sie ihm zu geben oder etwas zu dem Vater oder zu ihm zu sagen, zog Randi die Tochter nur noch einmal an sich, und in neu hervorbrechender Rührung wiederholte sie: Gott möge dich ewig segnen und belohnen!

Eine Weile später saßen alle vier in der Stube der Großmutter. Die alte Frau war sehr erfreut; durch die jungen Mädchen hatte sie ja längst gewußt, wer Hans Haugen war, und sie faßte diese Verbindung sogleich als eine Aussöhnung in dem Leben ihres Sohnes und der Schwiegertochter auf. Die lebensfrohe Alte meinte außerdem, Hans sei doch so schön! Sie blieben alle bei ihr, und der Tag endete damit, daß der Vater, nachdem ein geistliches Lied gesungen worden war, aus dem Gebetbuch eine Stelle vorlas, die mit den Worten begann: Der Herr ist in unserem Hause gewesen!

* * *

Aus ihrem ferneren Leben will ich nur zwei Tage herausgreifen, und aus jedem von beiden nur einige Augenblicke.

Der erste ist der Hochzeitstag der jungen Leute. Inga, Mildrids Geschwisterkind, die jetzt selbst schon eine Frau war, war gekommen, um die Braut zu schmücken. Im Vorratshause fand die Schmückung statt; die alte Lade, worin der silberne Brautschmuck des Geschlechts aufbewahrt wurde, die Krone, der Gürtel, der Brustlatz, Spangen und Ringe, war hervorgezogen worden. Die Großmutter hatte den Schlüssel dazu, sie hatte selbst aufgeschlossen, und Beret stand ihr als Adjutant zur Seite. Mildrid hatte schon ihr Brautkleid und all den Staat, der ihr selber gehörte, angelegt, als die Herrlichkeiten – die Beret und die Großmutter in der verflossenen Woche geputzt hatten – zum Vorschein kamen, glänzend und schwer. Stück für Stück wurde anprobiert. Beret hielt der Braut den Spiegel vor. Die Alte erzählte, wie viele aus ihrer Familie dies Silber an ihrem Ehrentage getragen hatten, am glücklichsten von ihnen allen aber sei ihre eigene Mutter, Aslaug Haugen, gewesen. In diesem Augenblick klang von draußen her der alte Brautmarsch des Geschlechts zu ihnen herein; alle im Vorratshause hielten mit ihrer Beschäftigung inne, lauschten und eilten dann auf die Türe zu, um zu sehen, was es sei. Der erste, den sie erblickten, war Endrid, der Vater der Braut. Er hatte Hans Haugen und seine Geschwister auf den Hof zufahren sehen. Es war selten, daß Endrid einen Einfall über das Alltägliche hinaus hatte – diesmal aber war es ihm doch eingefallen, daß diese mit dem Brautmarsch des Geschlechts empfangen werden müßten. Er holte die Spielleute heraus und ließ sie anstimmen; dort stand er nun selber bei ihnen vor dem Vorratshause, den mit Hochzeitsbier gefüllten silbernen Becher in der Hand. Einige andere hatten sich ihm angeschlossen. Hans und seine getreuen Geschwister fuhren in zwei Wagen auf den Hof herein, und es war ihnen anzusehen, daß dieser Empfang sie ergriff.

Eine Stunde später wurde natürlich der Brautmarsch von neuem angestimmt, nämlich als die Braut und der Bräutigam und die Eltern der Braut und Beret und die Geschwister des Bräutigams paarweise unter Vortritt der Spielleute aus dem Hause herauskamen, um die Wagen zu besteigen. In gewissen Augenblicken unseres Lebens sind uns alle Zeichen günstig, und so fuhr denn auch das Brautgefolge an diesem Tage bei strahlendem Frühlingswetter von Tingvold weg. Bei der Kirche war der Andrang so groß, daß sich niemand erinnerte, bei irgendeiner Gelegenheit ähnliches gesehen zu haben. In dieser Volksmenge kannte jeder die Geschichte des Geschlechts, und wie diese mit dem Brautmarsch verwebt war, der jubelnd im Sonnenschein über Braut und Bräutigam und das fröhliche Gefolge dahinklang.

Und weil aller Gedanken sich in diesem einen begegneten, wählte der Geistliche auch einen Text für die Trauung, der ihm erlaubte, zu entwickeln, daß die Kinder unseres Lebens Krone sind, die durch unsere Ehre, unsere Entwickelung, unsere Arbeit glänzt.

Beim Verlassen der Kirche blieb Hans vor der Kirchentür stehen; er sagte etwas; die Braut hörte es nicht in ihrem überirdischen Glück, aber sie ahnte es. Er wollte, daß sie einen Blick auf Ole Haugens Grab werfen sollte, das im reichen Schmuck der Blumen dalag. Sie tat es, und sie gingen so hinaus, daß sie hart an seinem Grabkreuz vorüberstreiften. Die Eltern hinterdrein. –

Der andere Augenblick in ihrem Leben, der herausgehoben sein mag, ist Endrids und Randis erster Besuch als Großeltern. Hans hatte es ja durchgesetzt, daß das junge Paar nach Haugen gezogen war, obwohl er hatte versprechen müssen, Tingvold zu übernehmen, wenn die Alten einmal nicht mehr konnten oder wollten, und die uralte Großmutter gestorben sein würde. Bei diesem ganzen Besuch ist indes nur ein einziger Umstand, der uns etwas angeht, das ist, daß Randi, als sie nach herzlichem Empfang und guter Bewirtung mit dem kleinen Kinde ihrer Tochter im Schoße dasaß, anfing, es zu wiegen und ihm etwas vorzusingen, und das war der Brautmarsch! Die Tochter schlug die Hände zusammen vor Verwunderung, faßte sich aber rasch und schwieg; Hans bat Endrid, einmal auszutrinken, was dieser abschlug, aber das war von beiden Seiten nur ein Vorwand, daß sie einen Blick wechseln konnten.

 


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