Theodor Birt
Moderne Novellen
Theodor Birt

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Der Antrag

Eine Skizze

Wir autelten durch das bergische Land im hellen Sonnenschein auf den Landstraßen, die langgestreckten Dörfer entlang. Überall hübsch gebaute Bauernhäuser in blühenden Gärten, von Wirtschaftsräumen umstanden; vor den Fenstern Blumenstöcke. Die Obstgärten in Flor, die Felder ringsum reich und vielversprechend. »Sie werden bemerken,« sagte der alte Herr, mit dem ich fuhr, ein Arzt und Sanitätsrat, der hier alles kannte: »Der Reichtum der Bauern hat hier seit dem Weltkriege nur noch zugenommen, und zugleich auch ihr Selbstgefühl. Die Preise der Landesprodukte stiegen und stiegen, und ihr Haben auf den Banken schwoll. Kaufkräftig erweitern sie jetzt ihre kleinen Pachten, werden zu Gutsbesitzern, arbeiten tüchtig in Stall und Feld und nützen ihre Mistgruben, als wären es Goldgruben. Sonntags aber putzen sich ihre Weiber in Seide und durchbrochenen Strümpfen, mit Reiherfedern und Kopenhagener Handschuhen, die jetzt keine Gräfin mehr trägt, und bevölkern die Filmbuden und die Tanzböden in der Kreisstadt. Man sagt: die dümmsten Bauern haben die größten Kartoffeln. Ich glaube, Sprichwörter sind nie sinnlos.

Solch ein Bauer hier herum... Ganz richtig! Da fällt mir eine Geschichte ein, die das Fräulein von Borghorst betrifft. Helene! Ihr Hausarzt bin ich und weiß alles genau. Eben jetzt fahren wir an ihrem Waldhaus vorüber. Dort hinter den Tannen steckt es; man sieht es nicht. Aber wir wollen erst hier einkehren und die Fahrt stoppen. Haben Sie den Türgriff? Der Daimler ist bequem. Eine Dorfschenke! In der Glashalle sitzt es sich gut. Etwas blühender Frühling um uns, etwas Alkohol in uns, und dazu eine kostbare Speckschnitte, um die uns jeder Großstädter beneidet. Ich mache es natürlich kurz; denn wir müssen weiter. Die Geschichte ist ernst genug, und doch drollig zugleich.

Fräulein Helene ist so noch eine echte Adlige alten Stils und aus altem Geschlecht. Ihre Eltern hatte sie früh verloren. Der väterliche Besitz wurde verkauft. Ihr Bruder war irgendwo auswärts in hoher Stellung. Nur sie, die Tochter, wahrte den Familiensinn und den Sinn für die Sässigkeit in dieser Provinz, die ihre schöne Heimat ist. Sie war unvermählt geblieben und baute sich dies Waldhaus; die umliegenden Forste gehören ihr. Denken Sie sich so etwas wie eine Brunhilde, aber hübsch durchgeistigt; das Körperliche wie aus der Reckenzeit, die Seele durch aristokratische Erziehung und Tradition im guten Komtessenstil verfeinert. Wach und mit Ehrgeiz hielt sie auf das Ansehen ihres Namens. Sind Sie etwa ein Verächter des Adels und verlachen Sie dies als Überhebung? Darüber ließe sich reden.

Es gibt Menschen mit Stammbaum und ohne Stammbaum. Sehen Sie dort die wundervolle Buche, die mit vollem Wipfel frei und allein auf dem Hügel steht? Bis unten hat sie ihr reichbelaubtes Astwerk erhalten können, und an solchem majestätischen Baum kann also der jüngste Trieb mit Stolz alle ältesten Triebe überschauen; denn er trägt die Jahrhunderte in seinen Zweigen. Das ist so recht des Adels Sinnbild; denn auch in einem adligen Geschlecht kann immer der jüngste Sproß, seines Stammbaums froh, auf alle früheren Generationen des Geschlechts zurückblicken, aus denen er hervorwuchs. Er lebt, von seinen Ahnen umgeben. Anders die Fichten dort im dicken Wald. Auch sie sind gesund und hochgewachsen; aber sie wirken doch nur plebejisch als Masse; denn nur ihre höchsten Spitzen zeigen noch junges Grün; alles ältere Astwerk ist abgestorben, kahl und leer, so kahl, wie die Stammbäume der vielen unter uns, die von ihren Vorfahren nichts wissen oder doch sie nicht ehren. Ist es nun nicht begreiflich, daß jene Buche, stolz in ihrer Isolierung, die Masse der anderen nicht für ihresgleichen hält?«

»Gewiß. Für die Forstwirtschaft sind aber die Fichten, so plebejisch sie scheinen, doch rentabler, und man wird die Baumaristokraten als Luxusgeschöpfe mehr und mehr ausrotten.«

»Das ist der Standpunkt des Holzhändlers; ich aber bin ein bißchen Ästhet und Gefühlsmensch, ich liebe mir die Buche und freue mich, daß sie noch steht. Wer weiß, für wie lange? Nun also das Fräulein Helene.

Sie war eine prachtvolle Person, als sie jung war; aber der Tod war gleichsam ihr Gegner, und sie hatte mit ihm zu oft zu ringen. Erst starben die Eltern, dann auch ihr Bräutigam. Sie blieb ehelos. In der rüstigen Arbeit fand sie Trost und Ablenkung. Es galt mit recht beschränkten Mitteln Haus zu halten. Den alten Familienkutscher ernährte sie noch; aber der Pferdestall stand leer. Bei der Arbeit im großen Gemüsegarten, beim Heumachen, Beschneiden der Obstbäume sahen wir sie im Kattunkleid und aufgesteckten Ärmeln wie ihre Magd gekleidet; sonst war sie die Gnädige, die streng auf alle Formen hielt. Ein junger Kammerdiener durfte nicht fehlen, und er wurde stilvoll in die alte Livree gesteckt. Zur Morgenandacht traten täglich auf der großen Diele alle Hilfskräfte an. Das Essen sparsam, aber herrschaftlich; Kohl und Rüben wurde in kostbaren Schüsseln aufgegeben: Familiensilber und altes Porzellan. Das Wappen auf dem Teller veredelte den Quark und das Pflaumenmus. Dasselbe Wappen über der Haustür, auf dem Halsband der Hunde. Im Modejournal wurde fleißig geblättert, aber selten etwas gekauft. Ich habe bisweilen mitgespeist. Welch ein Anblick, wenn da dies Hünenweib zum Tischgebet ihr Haupt senkte, mit den schweren blonden Haarmassen im Nacken! Die großen gefalteten Hände stark und doch ausdrucksvoll. Der galonnierte Diener stand hinter ihr, um ihr den Teller hinzustellen.

Nicht völlig allein lebte sie so dahin, sondern das Fräulein Minna, eine ältere mittellose Person, war ihre stille, fromme Hausgenossin. Auch Gäste kamen viel. Nebenher aber schriftstellerte sie; sie schrieb Novellen, von denen mehrere in der ›Kreuzzeitung‹ oder im ›Daheim‹ pseudonym wirklich erschienen sein sollen. Da hinein legte sie all ihr eigenes Liebesleben. Es waren Geschichten mit vielen Abenteuern, die aber immer glücklich endeten; sie endeten mit dem Liebesglück, das sie selbst nicht gefunden. '

So kannten wir sie alle, jahrzehntelang; denn die Zeit, die nie ruht, trug auch sie dahin, aus einem Jahr in das andere. Die meisten, die bei ihr verkehrten, waren nun wohl schon jünger als sie, und ihre Züge alterten wirklich schon etwas, aber nicht ihre Energie: bis der Graf Nordau, Graf Felix genannt, regelmäßiger Hausgast wurde, ihr Jugendfreund, nunmehr verwitwet. Kindheitserinnerungen tauschten sie aus, und es entstand eine rechte Kameradschaft zwischen ihr und ihm, ein wohltuender Verkehr, der aber ihr Blut nicht in Wallung brachte.

Er lebte sonst in der Hauptstadt. Sein Vorleben geht uns hier nichts an. Vielgereist war er, etwas englisch angehaucht, hatte in Kanada und Arkansas Bären- und Biberjagden mitgemacht und erzählte gut. Im Waldhaus Helenens machte er sich, wenn er da war, durch praktisches Zugreifen oft sehr nützlich, entlarvte z.B. den Förster, der beim Holzverkauf dreiste Unterschlagungen beging. Auch schien es ihm Spaß zu machen, ihr zu dienen, und auch aus der Hauptstadt besorgte er ihr gern die besten Waren preiswert, Kolonialwaren oder Gartengerät, sogar Stoff- und Kleiderschnittmuster für ihre Toilette, die jetzt allmählich matronenhafter wurde. Sie duzten sich seit der Kinderzeit, und so ließ der Unglückliche es sich eines Tages einfallen, ihr einen Antrag zu machen. Es war Winter; sie saßen am Kaminfeuer auf der schönen Flurdiele; der Feuerschein warf ein Glorie um ihr stolzes Haupt. Da stieß er plötzlich seine dicke Zigarre in den Aschenbecher und bat um ihre Hand; nein! er ergriff ihre Hand vielmehr und sagte: ›Helene du bist die Einsame; ich bin es auch. Wollen wir nicht aus zwei Einsamkeiten mit nur halbem Glück eine Gemeinsamkeit machen, die für beide vielleicht ein volles Glück bedeutet?‹

›Ich spreche nicht gern vom Glück‹ sagte sie herbe, indem sie aufstand und sich hochreckte. ›Ich bin 45 und du?‹

Dann lachte sie und fügte hinzu: ›Die Ehe ist ein Jugendbund. Das solltest du, guter Mensch, aus den Novellen wissen, die ich schreibe. Aber wer weiß? du hast sie nie gelesen?‹

Das Scherzwort sollte die Lage ins Harmlose wenden. Als er ihr trotzdem leidenschaftlich näher trat, drehte sie sich ab. Was weiter geschah, weiß ich nicht. Die Folge war, daß er abreiste (er hatte im nahen Jägerhaus gewohnt), abreiste und nicht wiederkam. Es war denn doch echtes Liebesfeuer in ihm gewesen, Johannestrieb, und solch kalten Wasserguß wollte er nicht noch einmal erleben. Auch war Graf Felix damals gewiß immer noch liebenswert. Seine blendenden Zähne waren freilich kein echtes Geschenk der Natur, aber seine Nägel sehr spitz und wohlgepflegt, sein Teint nett gesund, seine Krawatte ebenso tadellos wie sein Handkuß und wie sein Sitz als Reiter; seine Stimme etwas schnarrend wie eine ungeschmierte Türangel, sein Lachen und sein gutmütiger Blick aber doch echt und warm.

Auch für Fräulein Helene war diese Wendung schmerzlich. Die beiden wechselten zwar immer noch Briefe zu gewissen Zeiten und in freundlichster Form; aber sie sahen sich eben nicht mehr. Jedoch sie hatte ihre Gründe, und mit eisernem Willen hielt sie daran fest. Für die beiden Neffen lebte sie, die allein noch ihren Namen, den Namen derer von Borghorst trugen. Für sie sparte sie, hielt sie das Familienerbe an kostbaren Mobilien, Hausrat und Bildern ängstlich zusammen, und es sollte davon nichts, nichts jemals in andere Hände kommen. Darum durfte sie selbst nicht heiraten. Das verstand sich.

Kuno und Adalbert! Adalbert und Kuno! Die Söhne ihres einzigen Bruders: die Namen waren im Geschlecht erblich und klingen vornehm genug. Ich muß sagen, es waren wirklich ein Paar famose Bengel, diese Knaben, rassig und gut und hell. Nichts köstlicher als zu sehen, wie die Hünin mit ihnen umging; denn auf Ferien kamen sie immer ins Waldhaus. Wie die jauchzten, wenn die Tante Helene mit ihnen über die Hecken sprang, wenn ihre Befehle über den Garten schollen und sie mit dem Stecken das fremde Vieh von der Weide trieb. Ein bissiger Hund fiel sie einmal an, sprang an ihr hoch: wie sie den bändigte! So unterwies sie selbst die Jungen in allem Tüchtigen: Klettern, Springen, Nestersuchen, Grasschneiden, Holzspalten, Melken und Misten. Nußernte war; da sagte sie belehrend: ›Das mit den Nüssen, ihr Kinder, hat seinen Sinn; den merkt euch. Gott legt uns die Nüsse auf den Tisch, wir aber müssen sie knacken. Da hilft er uns nicht. Mein Gebiß ist noch stark. Sorgt, daß es mit euch nicht anders ist. Das gehört zur Rasse.‹

Übrigens ging es immer noch sehr frugal her. Als die beiden aber älter wurden, holte sie den ererbten Stammbaum auf großem Pergamentbogen hervor und allerlei uralte Briefe, Silhouetten und Andenken, erklärte ihnen im Speisesaal die alten, ziemlich roh gemalten Perückenköpfe, die da im verblaßten Goldrahmen hingen (im Rahmen war der Holzwurm; die Köpfe hatten knallrote Backen, aber einen stolzen Blick unter den hochgezogenen Brauen) und erzählte ihnen von den Ahnen des Hauses mit Humor, aber zugleich mit heiligem Ernst; das ging in die Zeiten des Großen Kurfürsten zurück und noch weiter; immer erziehend, und die jungen Kadetten lauschten begierig: ›Ihr sollt den Stamm fortführen. Auf eure vier Augen ist alles gestellt. Macht also eurem Namen Ehre. Mit dem guten Namen ist es wie mit dem guten Rock: wer ihn trägt, der läßt sich nicht gehen. Anders die Leute, die im schlechten Kittel laufen.‹

Es waren für sie schöne Zeiten, voll Hoffnung und Hochtrieb. Nun mußte sie auch immer den alten Familienschmuck tragen; die Jünglinge wollten es so: die schönen Perlen. Sie sträubte sich zwar und sagte: ›Eine Königin bleibt Königin auch ohne Krone.‹ Aber sie fügte sich doch. Die Pferde fehlten leider noch immer im Stall; aber den alten Familienjagdwagen zogen die zwei trotzdem aus der Remise, setzten sich auf den Bock, schwenkten die Peitsche und sprachen: ›Tante Helene, wer weiß? wir fahren noch einst mit vieren zusammen!‹

Der Weltkrieg kam, der Weltkrieg, der mit so großen Hoffnungen begann und schließlich bei uns alles unter Schutt begrub. Die beiden Neffen fielen.

Aber soll ich aufhören? Sie sagen: Wozu so tragische Geschichten? und der Chauffeur kurbelt auch schon wieder an. Geduld! Ich bin gleich zu Ende. Sie ahnen nicht, wie es weiterging.

Die Neffen fielen, sagte ich; nicht nur sie, sondern schließlich wurde auch deren Vater, Helenens Bruder, ein Opfer des Krieges; er erlag dem Klimafieber, in Gibraltar von den Engländern interniert, und sie war nun plötzlich die letzte Trägerin ihres Namens; er starb aus mit ihr. Wie sie es trug? Ich will das nicht beschreiben. Das Wappen am Haus schwarz verhängt; sie selbst hochgereckt in ihren schwarzen Schleiern. Es war auf alle Fälle imponierend, dies zu sehen. ›Ich breche nicht zusammen,‹ sagte sie; ›der Himmel legt mir die Last auf; also glaubt er auch, daß ich sie tragen kann; ich will ihn nicht enttäuschen.‹ Der Stolz auf ihren Namen aber steigerte sich womöglich noch; sie wollte ihn in Ehren zu Grabe tragen.

Doppelt tätig war sie jetzt: Rotes Kreuz, Verwundetenpflege in ihrem Waldhaus, solange der Krieg dauerte; auch dabei verweile ich nicht. Die Revolution kam, das Chaos kam, die Geldnot, die Warennot in unserem armen Lande, vor allem in den Städten. Ihr aber ging es jetzt wie den Bauern, von denen wir sprachen; auch sie wurde vom Glück gehoben. Sie beerbte nicht nur ihren Bruder, sondern auch das kleine Waldgut ergab, da der Wert des Holzes ins Ungeheure stieg, die ungeahntesten Vorteile.

Wohin mit den Geldern? auf die Banken? Ich war es, der ihr riet, vielmehr sich weiteren Grundbesitz zu kaufen, und so erwarb sie wirklich ein kleines Landgut bei Wallendorf, das dort jenseits ihres Waldberges liegt; nur etwa 100 Morgen, mit zwanzig Kühen usw. Den alten Pächter ließ sie darin sitzen. Auch Pferde, zwei prächtige Füchse, hatte sie sich jetzt endlich gekauft und fuhr wiederholt zur Besichtigung dort hinüber, im Jagdwagen, selbst kutschierend. Straff saß sie da, in Lederhandschuhen, das Haupt in der Kappe; der Diener hinten auf.

Als sie so einmal dort war und den Hauptacker entlang schritt, grüßte sie ein Bauer, der am Feldrain stand. Sie beachtete es nicht. Als sie den Wagen bestieg, um wieder abzufahren, stand derselbe Bauer an der Straße und verfolgte jede ihrer Hantierungen. Da fragte sie den Pächter: ›Wer ist der Mensch?‹

›Zu Befehl, Gnädige: August Bommel, unser Nachbar. Er hat auch schon vorhin unsere Gäule, das Lederzeug sorglich gemustert.‹

Neugieriges Volk! Was ging das sie an?

Es hatte geregnet. Müde kam sie nach Hause. Wozu eigentlich alles? die neue Last? Für was? für wen? Sinnlos schien ihr jetzt plötzlich all ihre Unternehmungslust. Die folgenden Nächte schlief sie schlecht, und auch noch am Sonntag war ihre Stimmung dieselbe. Ihr Spiegel sagte ihr: ›Du bist jetzt sechzig; deine Züge frisch, aber hart, hart. Kein Wunder! Dazu die dicken, grauen Zöpfe! Grauschimmel du! Sieh nur: das Gastmahl ist aus, die Tische abgedeckt, die Lichter niedergebrannt: da stehen wir in der Öde. Draußen Herbststurm: die welken Blätter fliegen raschelnd ums Haus. Die Neffen tot, die Neffen tot!‹ Sie streckte die Hände ins Leere: die Zukunft leer, das Leben zerfetzt!

Die Morgenandacht war vorüber; das Personal schon bei der Arbeit, Fritz, der Diener, beim Silberputzen. Ein Spitzentüchlein lag da. Sie trat vor den Pfeilerspiegel auf der großen Diele und machte sich eine Haube daraus zurecht, die sie mit altmodisch schweren Nadeln feststeckte. Die alte Frau war fertig: witwenhaft.

Großer Tiefstand des Barometers; er tritt immer einmal ein. Die Hausfreundin, Fräulein Minna, die nun bald 80 zählte, saß daneben, sah es mit großen Augen und schüttelte stumm tadelnd den Kopf.

Da ging die Haustür. Der Postbote brachte die Zeitungen und Briefe. Fritz kam und überreichte sie auf dem Silberbrett. Das meiste diesmal nur Geschäftsreklamen und Rechnungen. Aber doch! da! ein wirklicher Brief mit unbeholfenster Aufschrift. Ohne Neugier schnitt sie ihn langsam auf und las die Unterschrift:

›Es grüßt achtungsvoll
Gutsbesitzer August Bommel
in Wallendorf Nr. 200
Ich bin katolisch.‹

»Wer ist das? August Bommel, der Bauer! Was will er?« Und sie begann nun doch mit Spannung zu lesen: ›Hochgeehrtes Fräulein von Borghorst. Ich bitte Sie höflichst, mir auf diesen Brief zu antworten, ob Sie noch ledig sind. Ich wollte mit Ihnen die Liebe anknüpfen.‹

›Die Liebe anknüpfen?‹ Hierauf folgte ein Moment der Erstarrung. Dann befiel die Gnädige ein Lachen, daß sie hochsprang wie ein junges Mädel: ›August Bommel fragt, ob ich ledig bin. Hurra!‹ Sie lachte, lachte Tränen. Die Nadeln riß sie sich aus dem Haar, daß der Spitzenschmuck herunterflog, und war gleich zehn Jahr jünger.

›Wie geht es weiter?‹ Fräulein Minna mußte mit lesen.

›Sie haben bei Wallendorf ein Gut gekauft. Ich habe auch ein Gut dort, 70 Morgen bestes Land und noch einen Streifen Wald und auch Gartenland und kann auch noch ein Gut kaufen. Ich bin junger Witwer – Sie haben mich ja gesehen – ein gutter Korrakter, hübsche Figur. Ich hätte die einzige Tochter des nächsten Bauern bekommen, wann ich gefragt hätte. Die hätte auch wie Sie für mich gepast. Vielleicht kommen Sie nach Bunzlau; im Schuhwarengeschäft Hirsch dortselbst kennen sie mich. Kaufen Sie da nicht auch? Ich habe eine kapute Feder und muß aufhören zu schreiben.‹

Da war ein Absatz. Aber darunter stand trotzdem noch: ›Wenn Sie noch keinen Freier haben, so schreiben Sie mir; sonst ist es nicht notwendig. Ich habe einen Sohn und zwei Töchter; die machen die ganze Arbeit mit; sind aber gute hübsche Kinder. Hochachtungsvoll‹ usw.

Die Heiterkeit der Gnädigen nahm nur noch zu: ›Ich habe also doch Eindruck gemacht. Ich kam, er sah und ich siegte! Und da hätte ich ja gleich auch drei gute hübsche Kinder.‹

Was glauben Sie, was folgte? Die Wirkung des Briefes war umschmeißend, erlösend. Selbigen Tages schickte sie ihn an Graf Felix. Es war, als ob sie den Jugendfreund riefe: komm! Ja, sie rief ihn wirklich, und er kam, und nun sind beide seit 14 Tagen glücklich vermählt, vermählt; die Gnädige von Borghorst ist nun doch Gräfin Nordau geworden.

Glauben Sie etwa, daß ich den Brief zu novellistischem Zweck erfunden habe? Hier ist eine Kopie, die ich mir von dem Kuriosum nehmen durfte. Sie sehen: die Interpunktion fehlte darin gänzlich; die habe ich erst hergestellt.

Wie wär's, wenn wir hernach einmal zu der neuen Gräfin ins Waldhaus hinüberführen? Der Chauffeur wartet schon; meine letzte Zigarette hat er in seiner Ungeduld schon aufgeraucht.

›Die alte Krähe ruft Dich doch noch in ihr Nest,‹ hatte sie dem Grafen geschrieben. ›Willst Du mich noch? Ich habe keinen Grund mehr, nein zu sagen.‹ Auch der Freund hatte sich zum Glück leidlich konserviert; freilich schon etwas wacklig auf den Beinen; vor allem sein Gebiß noch ebenso glänzend wie vor fünfzehn Jahren. Hoffen wir, daß sie nicht bald an dem Herrn zu pflegen hat. Zwei Wappen sieht man jetzt über der Haustür, und jeder von beiden ißt von seinen höchsteigenen alten Familientellern. So haben sie es abgemacht. Sonst ist die Einigkeit groß, und dabei lachen sie sich an, vor Staunen, daß sie, wie einst, Freund und Freundin sind und doch nun Eheleute bedeuten. Aber ein Sohn, ein junger Graf Nordau ist wenigstens da, Offizier a.D., jetzt an einer der Großbanken in Dresden. Der wird erben. Wenn er nur auch heiratete! Sonst, sonst ...

Die Buche dort auf dem Hügel steht immer noch, vornehm und selbstbewußt. Aber es wird ihr nichts helfen; die Axt droht doch! Die Aristokraten gehen ein, unter den Bäumen und unter den Menschen. Die Masse ist's, die bleibt. Wenn nur gut aufgeforstet wird in Baumschulen und Menschenschulen, dann wollen wir auch der Masse froh sein.

Der August Bommel aber ist tatsächlich einer von den schweren Bauern, der sich à la paysane mit der Hand schneuzt, aber wie ein Fürst aus dem vollen lebt; schon mehr Handelsmann, mit Telephon und Bankbetrieb. Er weiß für Magermilch, Vollmilch, Schmand und Speckseiten seine Preise zu machen. Mitleidig hat er die Achseln gezuckt und sich auf die Geldtasche geklopft: ›Nun ist sie also Gräfin, wie ich höre, das dumme Fräulein. Ich hätte wahrhaftig gern ihr Gut gehabt, um mich abzurunden, und sie hätte an mir einen noch mächtig frischen Kerl gehabt, jawohl! und dazu das beste Futter bis zu ihrem Ableben. Ein Mahagonibett hab' ich schon extra kaufen wollen für sie und ein Grammophon und einen Ausziehtisch; und einen Eimer Milch hätte sie jeden Tag kostenlos für sich allein bei mir gehabt und ganz so wie meine Töchter soviel Schinken oder Kalbsbraten sich herunterschneiden können, bis sie die Armsteife kriegte. Dazu meinen Weinkeller, keine Flasche unter 300 Mark. Ich wollt', sie äß' nur ein einziges Mal bei mir zu Gast; der Tisch sollte sich biegen, und sie fräße die Reue. Aber so ist die Weiberschaft oft: zu schämig, zu bescheiden; sie haben nicht den Mut zuzufassen.‹

Das Auto läuft gut. Nun sind wir gleich da. Wir werden das alte Paar sehen. Ich glaube übrigens, daß Frau Helene, die jetzige Gräfin Nordau, noch einmal wieder zur Feder greift und eine Novelle schreiben wird, worin sie ihr eigenes Leben darstellt: ›Eine Ehe der Freundschaft!‹ Dann wird auch – wenigstens in Büchern – ihr ausgestorbener Name rühmlich weiterleben.«

»Ich will der dichtenden Gräfin nicht zu nahe treten,« versetzte ich, als der alte Herr seinen Bericht beendet, indem ich dankbar seine Hand ergriff. »Erfreulicher wäre es freilich, wenn die Ärzte uns öfter Novellen erzählten, sowie Sie es getan; denn ein Arzt ist schon von Beruf Psychologe – und das ist für alle Dichtungen das wichtigste –, mag es ihm auch an Phantastik fehlen. Aber er ist auch oft wie eben Sie, Verehrtester, im Besitz intimer Kenntnis der Lebensschicksale wertvoller Menschen, von denen zu hören ein Gewinn ist und die doch in das Nichts verklingen, wenn die Feder sich nicht regt oder die Lippe zu träge ist, davon zu reden.«


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