Theodor Birt
Von Haß und Liebe
Theodor Birt

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Am Hof des Tyrannen

Die schöne Galatea war heut' ärgerlich und vergrämt, und Schuld daran hatte Dionys, der Tyrann und König von Syrakus. Ihre Zofe versuchte sie umsonst zu trösten.

Drei Jahre lebte sie schon in Syrakus in ihrem Gartenhaus, und man konnte streiten, welches Haus mehr Anziehungskraft besaß, der Palast des Tyrannen oder das Gartenhaus der Galatea. Sie war eine reife Schönheit, aber unwandelbar jung wie Aphrodite; in vielen Großstädten hatte sie schon gelebt und ein Haus gemacht und hatte zahllose Verehrer überall, unter den Mächtigen des Staats wie unter den Künstlern und Philosophen. Die»schöne Frau« war eine Weltmacht in Griechenland, mit der auch der König rechnen mußte.

Dionys machte ihr natürlich den Hof. Es gehörte zu seinen Herrscherrechten, daß eine Galatea für ihn schwärmte. Aber Frauen sind unberechenbar, und auch wenn Könige Liebesverse schreiben, sind sie kritisch.

»Gib acht,« sagte Galatea zu ihrer Zofe, »ob sich ein Hausspion des Tyrannen bei mir eingeschlichen hat, der unsere Gespräche belauschen kann. In der Küche? Man ist nie davor sicher. Das eine meiner Pantöffelchen fehlt mir. Wer weiß? Der Mensch hat den Schuh gestohlen.«

Sie hatte heute wenige Besuche empfangen. Die Lauben im Garten standen leer. Ungeduldig, gequält ließ sie ihre Perlenkette durch die Hand gleiten. Dann löste sie in irrem Zorn ihren Haarknoten.

30 »Philoxenos gefangen gesetzt! Es ist zu arg.«

»Rauf' dir nur nicht gleich deine Haare,« rief die Dienerin voll Besorgnis.

»Hier steht die Kiste voll von Liebesversen, die dieser Dionys mir geschrieben hat. Was soll mir das? Mein Haus ist mir verleidet. Verehrer, Verehrer, Verehrer! Was soll ich damit, wenn ich nicht selbst verehre? Mein Haus ist ein Speicher für Liebesgeschenke geworden. Ein Heuboden voll verdorrter Kränze! Ja! Den Herd heiz' ich damit. So viel Pomadenbüchsen stehen herum: ich kann, wenn ich über Land fahre, meine Wagenräder damit schmieren. Vierhundert goldene Ringe, oder sind es mehr? Vierhundert Männer haben mich fesseln wollen. Es ist lachhaft. Ich bin froh, wenn ich einen trage. Und Philoxenos gefangen!«

Sie raufte sich die schön glattgekämmten Haare jetzt wirklich. Die Zofe schrie vor Kummer: »Dein Haar! Dein Haar! Ich soll es dir wieder machen!«

Philoxenos sollte heute Abend zu ihr kommen. Heimlich. Niemand wußte von ihrer Liebe. Denn Philoxenos lebte erst zehn Tage in Syrakus. Und nun saß er schon im Gefängnis.

»Laß uns von hier fortziehen, wenn es dir hier nicht mehr gefällt. Denn die Welt ist groß, und du hast überall Macht und Ansehen.«

»Fortziehen, wo der Dichter gefangen ist? Die Latomie, der große Steinbruch – den hat der Tyrann zum Kerker umgewandelt. Ein hundert Fuß hoher Felsenkeller. Philoxenos wird sich erkälten; seine Stimme leidet in der Kellerluft. Seine Stimme ist 31 eine Kostbarkeit, und er selbst – es fehlt nur, daß er da Steine klopfen muß. Und was ist der Grund? Dichterneid. Auch Dionys dichtet. Vorgestern war's; in der Königshalle machte Dionys den Wirt, wie so oft. Da trug er seine eigenen Verse vor; es war ein Klagegesang um den Tod des Adonis. Wehleidig im Inhalt und nun gar der Ton! in Moll, in Moll. Der Tyrann, der schon so viele beiläufig umgebracht hat, klagt um den Tod des Adonis, des Knaben, der schon vor so viel hundert Jahren gestorben! Als er geendet, fragt er den jungen Philoxenos um sein Urteil. Philoxenos ist ehrlich, aber auch witzig, und er sagte: ›Deine Dichtung, Herr, kann nur Mitleid und Erbarmen erwecken‹. Dionys merkte anfangs gar nicht den Doppelsinn der Antwort; aber wir Anwesenden konnten das Lachen nicht unterdrücken. ›Mitleid und Erbarmen erwecken? war das Hohn?‹ schäumte er auf, der König. Er pfiff den üblichen Signalpfiff. ›In die Latomie mit ihm,‹ schrie er kurz. So ist es gekommen. Ein echter Dichter schmeichelt der Macht nicht. Ich liebe ihn.«

Galatea griff sich wieder in die Locken, die schon ganz zerzaust ihr über die Augen fielen. Die Zofe schrie nochmals: »Ich muß dich neu frisieren. Der Kamm! der Kamm! das Brenneisen!« und stürzte in die Küche, um das Brenneisen aufs Feuer zu legen. Da schlüpfte dort der Spion des Dionys hinaus, Beta genannt.

Denn Dionys nannte seine 24 Diener nach den 24 griechischen Buchstaben.

Der König, dem Galatea zürnte, stand indes 32 wohlgemut schmunzelnd auf seines Palastes Zinnen. »Nichts ist schöner als schön zu sein,« summte er vor sich hin, augenscheinlich ein Zeichen des Wohlbefindens. Er war morgens auf See gefahren, eine Inspektionsreise an den Küstenplätzen Siziliens; die Seeluft hatte ihn erfrischt. Sein Blick schweifte zum Ufer hinüber jenseits des Hafenbeckens: da standen Kreuze zwischen den Pinien verstreut, Pfähle mit Querbalken, die aussahen wie ein stark vergrößerter Buchstabe T und an denen Dionys die Verräter kreuzigen ließ. Er sah mit Genugtuung, daß sie leer waren. Die Hinrichtungen hatten vorläufig ein Ende; kein Verschwörer bedrohte ihn mehr, den Dolch im Gewande.

Er hatte sich jetzt, 35 Jahre alt, in Syrakus völlig durchgesetzt. Hatte er doch, er, der schlichte Bürgerssohn, der sich genial und tatkräftig zum ersten Feldherrn emporarbeitete, fast ganz Sizilien unterworfen und die Karthager wieder und wieder aufs Haupt geschlagen, so daß Syrakus in der Welt herrlich dastand. Nur im Südwesten der Insel, bei Selinunt, standen die Karthager noch. Nun war er König.

Es ist köstlich, als König die Menschen unter sich zu haben, köstlich, wenn sie zittern vor Angst, noch schöner aber, wenn sie in ihrer Furcht lächeln. Ja, man lächelte ihm jetzt wirklich zu; denn er war, wenn er gnädig gestimmt war, herzgewinnend. Aber ein Allmächtiger hat Launen. Er hatte einen Kopf, ähnlich dem Zeus von Otrikoli, dabei aber eine Narbe auf der Wange, von einem Säbelhieb, wie ein Landsknecht. Auch lauerte in seinen Augenwinkeln etwas 33 Unheimliches. Wehe, wenn er Verdacht schöpfte! Da glich er mehr dem Gott der Unterwelt als dem Zeus, und seine Augen glommen wie Schwefel.

Er kam eben jetzt von seinen beiden Frauen. Denn als echter Sultan hatte er deren zwei. Er hatte an seinem Hochzeitstage gleich zwei Frauen ins Haus genommen, die ihm beide gleich gut gefielen. Doris, die eine, nahm er auf seinen Kriegszügen mit ins Feld; die andere, Aristomache, war friedlicher und hütete ihm trefflich das Haus. Sechs Kinder hatten die beiden ihm gegeben. Es war ein lustiges Treiben in der Kinderstube und im Frauenhaus.

Diese Kinderstube hatte er eben inspiziert und stand nun draußen auf der schattigen Galerie und summte wieder vor sich hin: »Nichts ist schöner als schön zu sein.« Was meinte er mit der Schönheit? Doch nicht sich selbst? Oder seine zwei Frauen? Wer mag wohl Frauen, die Kinder haben, besingen? Oder dachte er an die Sonne, die sich in ihrer Glorie schon dem Ätna zu nach Westen neigte? oder an den marmornen Tempelfirst des wundervollen Athenetempels mit seinen goldglitzernden Akroterien und Götterbildern?

Das war es nicht. Er zog ein buntgesticktes Lederpantöffelchen aus dem Kleid; das Pantöffelchen, das Galatea vermißte. Er hatte es ihr nicht etwa selbst vom Fuße gezogen, aber er fühlte sich doch als Eroberer und dachte an ihren kleinen Fuß dabei. Es gibt auch eine Strategie der Liebe, und er übte sich gern und oft darin. Sein Hof war der glänzendste, den Griechenland je gesehen hatte, nicht nur an äußerem Prunk: auch Künstler und Gelehrte zog er als 34 Gönner heran und beschenkte sie reichlich; vor allem durften auch Frauenschönheiten von Weltruf nicht fehlen. Und so dichtete er nun, den Kopf voll Selbstgefühl wiegend, vor sich hin:

Ach, dein Füßchen so zart und fein
Und ein Wunder zu schauen!
Glücklich preis' ich nur ich allein.
Was ist schöner als schön zu sein,
Du Erles'ne der Frauen?

Klang das nicht erlesen: du Erles'ne der Frauen? Er maß die Silben in den Versen immer wieder ängstlich nach, indem er mit den Fingern auf der Marmorbrüstung tippte, und schnalzte leise mit den Lippen, als schmeckte er den Wohllaut. Dann rief er laut Alpha und Beta.

Alpha und Beta nannte er seine zwei vertrautesten Diener, die ihm als Läufer und auf der Straße als Platzmacher dienten. Er schickte sie zu Galatea und ließ sie höflichst zum Abend bitten, um ihm das Gelage zu verschönern. In einer Stunde war von ihr ein Antwortschreiben da; darin stand: »Du bist im Unrecht, Herr. Philoxenos, den Sänger, gib frei. Ich will ihn heut Abend bei dir singen hören. Versprich mir dies. Sonst komme ich nicht. Vor zehn Tagen kam Philoxenos aus Athen hierher; er kam auf deine Bitte; er sollte durch seine Kunst den Glanz deines Herrschertums veredeln. Die Dichtkunst ist nur der Gottheit untertan, nicht dir.«

Dionys biß sich auf die Lippen; dann schnupperte er an der Wachstafel, auf der die Worte standen, und roch einen süßen Duft, der aus dem Wachs kam, und in seinen Augen begann es lieblich zu flimmern. Der 35 Duft zauberte ihm die üppigen Räume vor, den Divan, die weißen Vorhänge, wo er ihr hatte nahen dürfen, damals, als er ihr scherzend die Spangen um den Fuß legte. Sie hatte es lachend geduldet, sie hatte ihn sogar mit dem Fuß gestreichelt. Man merkte ihm eben doch den Emporkömmling an: er hielt sich für unwiderstehlich, und jeder freundliche Blick, den sie ihm einmal gönnte, war ihm gleich ein Liebesgeständnis. Wie sollte es anders sein? Er war ja der Allmächtige.

Schon liefen die Boten des Dionys, und Galateas Wille wurde erfüllt. Dann aber stieg in Dionys der Argwohn auf: warum ereiferte sie sich für den Dichter so? Stand er ihrem Herzen nah? Und er rief seinen Spion herbei: »Beta, Beta! Du, der alles ergründest, mein Häscher, gib Auskunft!«

Der Beta aber wußte nichts Belastendes. Er versicherte: »Philoxenos hat bisher nie der Galatea Schwelle überschritten. Auffallend ist nur, daß sie heut den ganzen Tag sehr mißgestimmt war und so wenig Besuche empfing. Und ihre Frisur hat sie zerrauft; ja, das kann ich bezeugen; denn als ich vorhin in ihrer Küche war, hörte ich die Zofe nach dem Kamm und Brenneisen schreien.«

Sie hat die Frisur zerrauft? weshalb? Sie war in Erregung. Das war wiederum verdächtig. »Aber meine Gedichte hat sie noch?«

»Ja, die liegen alle in einem Elfenbeinkästchen auf dem Prunktisch.«

»Wirklich?« Das beruhigte den Eifersüchtigen wieder, und seine Miene glättete sich.

 

36 Ein warmer Sommerabend. Das Gelage war draußen im schönen Säulenhof unter Girlanden und Myrtenlauben. Wellen von Blumenduft. Das Licht der flackernden Lampen spiegelte sich im Silber, im Ebenholz und Alabaster der Tische und Gefäße. Muntere junge Kriegsleute, aber auch ein Paar Schauspieler, Maler und Bildhauer waren zugegen; vor allem liebe Mädchen mit süßem Lachen und so beweglich und rege, wie die Troddeln und Quasten an ihren glitzernden Kleidern.

Der Wein floß; die Diener schwirrten hindurch; nicht alle vierundzwanzig; einer fehlte, der Henkersknecht, der böse Buchstabe T. Er war seit langem untätig und stand schmollend in seinem roten Kittel hinter einer Säule versteckt.

Galatea nahm neben dem Herrscher freundlich Platz. Sie war wie eine Priesterin weiß gekleidet, wie atmender parischer Marmor; ein Kranz von großen weißen Rosen im Blondhaar. Von ihren vierhundert Ringen trug sie nur einen: der Ring zeigte eine Leier im geschnittenen Stein.

Endlich kam auch Philoxenos. Dionys schritt ihm persönlich entgegen und murmelte etwas von Bedauern und Übereilung. Er hatte ihm in den Thermen seines Palastes erst noch ein Bad bereiten lassen; daher trat der junge Mensch verspätet in den Kreis, und er zeigte das strahlende Gesicht des Kindes, voll argloser Zuversicht und Lustigkeit.

»Du hast mir einen Dienst erwiesen, Herr,« sagte er aufgeräumt. »Ein Dichter muß auch vom Reich des Hades singen können, und ich habe im 37 Gefängnis die Hölle kennen gelernt, wo wie Gespenster die Eulen schrien. Das Bad aber war mir wie der Lethestrom; ich habe darin den Groll vergessen.«

Gleich wurde die Gesellschaft munterer. Possenreißer kamen; dann aber begann der übliche Rundgesang, und jeder der Männer gab, so gut er konnte, ein anakreontisches Lied zum besten. Auch Philoxenos tat es, natürlich wunderschön; aber er bat um Nachsicht; er komme aus der Hölle, und seine Stimme sei deshalb rauh wie die des Cerberus.

Dann entstand ein tiefes Stillschweigen. Auch Dionys nahm höchstselbst die Leier, legte sein großes Gesicht in Begeisterungsfalten und sang, nachdem er alle im Kreis und jeden einzelnen scharf und bedeutend angeblickt hatte, jene Verse, die wir schon kennen:

Nichts ist schöner als schön zu sein,
Du Erles'ne der Frauen.

Das Lied ging aber noch weiter; Dionys spielte darauf an, daß Galatea ja auch der Name der lieblichen Nymphe und Meeresjungfrau ist, die nach der Sage den schiffbrüchigen Helden auf dem Meer zu Hilfe kam; und so sang er:

Göttin bist du, die einst erschien
Dem Odysseus im Meere.
Wär ich Ärmster doch ein Delphin.
Auf dem Rücken trüg ich dich hin
Durch die Wellen, auf Ehre.

»Durch die Wellen, auf Ehre,« das klang etwas komisch. Gleichwohl war die ergebene Versammlung zu jedem erwünschten Beifall bereit; aber Dionys selbst verhinderte es, indem er aufstand und den 38 Philoxenos, der am Nachbartisch sich wohlig in die Kissen geschmiegt, fragte: »Nun, Philoxenos? ist auch dies deines Mitleids wert? Ich bitte auch heute um dein Urteil.«

Große Spannung. Galatea schrie leise auf; ihr ward so bang. Aber Philoxenos sprang vom Sitz. »Bringt mich wieder dahin,« rief er, »woher ich gekommen bin. Ich gehöre ins Gefängnis!« und schritt zu den Gefängnisdienern, die im Hintergrund lauernd in der Nähe des Henkers standen.

Da lachten alle Gäste hell auf; es lachten alle Diener, selbst der Henkersknecht, und Dionys selbst verbiß seinen Ärger und zwang den freimütigen Menschen auf seinen Sitz zurück. »Man kann dir nicht gram sein,« knurrte er gnädig, und sein Gesicht wurde fast wieder wie der Zeus von Otrikoli. Ein Blick warmer Dankbarkeit belohnte ihn aus Galateas schwarzen Augen.

Dieser Blick aber gab dem Herrn doch zu denken. Erst der Aufschrei und nun diese Dankbarkeit! Galatea liebte den Dichter, ohne Frage, und sie verriet es zu unvorsichtig. Daß den beiden ihr Platz nicht am selben Tisch zugewiesen war, hinderte ihre Seelen nicht; über den schmalen Raum hinweg, der sie trennte, suchten sie sich und fanden sie sich im Blick, im Zuruf, im Zutrunk. Das kindliche Gemüt des Dichters konnte seine Miene nicht verbergen, und Galatea war zu stolz, um sich zu fürchten.

Der Lärm wuchs und der Rausch: Händeklatschen und Lachen und Klirren der Gefäße. Ein großer Falter flog herein, verbrannte sich seine Schwingen 39 im Licht und fiel dem Philoxenos in seinen Becher. Er hob ihn hoch: »Das ist meine Seele,« rief er.

Da fiel ihm der König ins Wort und gebot: »Die Zeit ist da. Gebet acht! Die Blumensprache beginnt. Die Frauen sollen zeigen, wen sie lieben.«

Die Blumensprache! die lustige Handlung! Aus ihrem Haar löste da gleich ein Mädchen die Blume und gab sie dem, den sie liebte. So machte es jede. Langsam ging das Spiel von Tisch zu Tisch und über die Tische hin in buntem Getriebe.

Dionys lehnte im goldenen Kissen halb trunken neben Galatea, so nah! Sein brennender Blick hing gespannt an ihr; sein schwerer Arm hob sich, streckte sich. Ihre wundervolle Gestalt – ein Griff, und er hätte sie an sich geschmiegt. Sie fühlte sein Begehren wie eine heiße Welle, die sie verschlingen wollte, aber ihre Hoheit und sichere Heiterkeit hielt ihn allmächtig zurück.

Da kam an sie der Ruf: »Wem gibst du deine Blume?« und sie schnellte vom Sitz und stand plötzlich wie eine aufwogende Lichtwolke neben Philoxenos, strahlend unter dem Fackellicht. Der weiße Ärmel ihres Chitons schlug zurück, als sie aus ihrem Kranz eine prangende Rose riß und leidenschaftlich sagte:

Du bist's, den ich suche. Das Herz ist Richter.
Ich huld'ge dem König, ich liebe den Dichter.

Wie im Fluge fühlte sie sich hochgehoben: sie sah den König tief unter sich.

Schon waren die zwei im entlegenen Teil des Gartens, wo keine Lichter brannten, verschwunden, und die ganze Gesellschaft erschrak. Denn Dionys 40 warf den Tisch um, das Gesicht voll Wut. Wie der schreckliche Gott der Unterwelt war er. So eilte er ihnen in den Garten nach; seine Trabanten mit Fackeln folgten ihm.

»Dieser Schwächling! Dichter und Musikant, ein Bettelmann, der nichts als sein bißchen Phantasie und eine gute Stimme hat! Ich könnte ihn niederschlagen. Womit straf' ich ihn?«

Man hörte: er pfiff. Da wurde Philoxenos von den Schergen ergriffen. Das Dunkel verschlang ihn. »Vorläufig der Kerker! Das Weitere findet sich.«

»Das Weitere?«

Eben ging der Mond hinter den Zypressen auf. Galatea stand zitternd im Mondeslicht; sie erschauerte wie die Lilie im Sturm.

»Ich kann euch nicht schonen,« fauchte der Allmächtige. »Du freilich, Galatea, bist unantastbar. Dein Wille ist frei, und du kannst auch den Niedrigsten erhöhen.«

»Den Niedrigsten?« rief sie. »Die Gottheit ist's, die im Dichter lebt, und er kann sich mit jedem König messen.«

»Um so schlimmer für ihn. Er ist in meiner Macht, und es soll ihm die Augen kosten.«

»Die Augen?«

»Seine Gefahr ist, daß er sieht, daß er dich sieht. Der Sänger soll blind sein wie Homer. Auch die Drosseln und Nachtigallen singen im Käfig schön; sie singen noch schöner, wenn man sie blendet.«

»Blendet?«

41 »Er habe die Wahl: entweder blind oder lebenslänglich gefangen.«

»Keins von beiden!« Galatea hatte ihre Fassung wiedergewonnen. Auch im Zorn war sie wundervoll und unwiderstehlich. »Keins von beiden,« wiederholte sie; »oder dein großer Name wäre in der Weltgeschichte geschändet. Ich achte dich zu hoch, als daß ich das zulasse.«

»Du?« Des Tyrannen trunkene Augen rollten.

»Du kennst die Grenzen deines Strafrechts nicht,« sagte sie in überlegener Ruhe. »Die Herde braucht den Schäferhund; so braucht der Staat den Despoten. Schlimm genug! Und Kerker und Tod sind für den Bürger, der seine Pflicht nicht tut. Anders die Kunst. Die Kunst braucht Freiheit. Frei ist die Schönheit. An ihr hast du dich vergangen. Philoxenos soll sich an dir rächen.«

»Er soll?« Der König lachte.

»Führ' mich an meinen Platz zurück,« fuhr sie gelassen fort; ihr Ton war jetzt wieder von siegreicher Heiterkeit. »Und noch eins: gib mir meinen Pantoffel wieder. Denn du hast ihn. Nicht nur den Philoxenos, auch meinen einen Pantoffel hast du gefangen gesetzt, und der andere trauert nun einsam im Haus. Man soll ein Paar nicht trennen, das zusammengehört.«

Dionys kaute noch an seinem Grimm. Aber er gab ihr den Pantoffel nicht wieder, und sie duldete seinen Handkuß, als sie Abschied nahm und der Tyrann die Gesellschaft auflöste. Galateas Diener warteten schon und geleiteten sie nach Haus; aber der König gab ihr auch seinen Beta, den Spion, zum Geleite mit.

 

42 Am andern Tag hatte ganz Syrakus zu reden: Philoxenos war gefangen! nein, Philoxenos war aus der Haft entwichen, geflohen, verschwunden! Nicht nur das: gleichzeitig war auch Beta, der Spion des Königs, fort. Ja, als man nach Galatea forschte, stellte sich heraus, daß auch ihr Haus leer stand. Noch in der Nacht waren die drei entwichen. Wohin?

Zu Schiff nach der Küstenstadt Selinunt. Die schöne Frau war mächtiger, als Dionys es ahnte. Seit Jahren warf sie das Netz ihrer Liebenswürdigkeit über die Stadt Syrakus, und nicht nur Geld, schon ein Blick von ihr genügte oft zur Bestechung, Bezauberung. So hatte sie den Gefängniswächter, so auch den Spion bestochen. Ihr Schnellsegler lag für ihre Vergnügungsfahrten stets zur Abfahrt bereit. Unauffällig hatte sie das Schiff benutzt. Der Wind war günstig. In Selinunt aber kannte man sie längst; sie hatte dort wie auch in Tarent und Athen auf den Banken Gelder stehen und Kredit auf alle Fälle, und die vornehme Männerwelt Selinunts war gleich entzückt sie zu sehen; nicht nur das: Galatea bewirkte, daß in dem politischen Konflikt, der immer noch auf Sizilien herrschte, Selinunt sich dem Dionys mißgünstig und spröde zeigte: die reiche Stadt schlug ihm das Bündnis gegen die bösen Karthager, die immer noch im Südwesten saßen, ab. Soviel vermochte das Lächeln einer Griechin, die der Aphrodite glich, in jenen beneidenswerten Zeiten.

Ein Brief von ihr erreichte den Dionys; darin stand: »Ich habe nicht nur den Philoxenos gerettet (denn Philoxenos ist bei mir); ich habe auch deinen 43 guten Namen gerettet. Denn der Jüngling ist frei und ungeblendet. Wozu aber der Neid, großer Mann? Er ist zu klein für dich. Werde größer, auf daß ich dich bewundere. Gib uns Sicherheit, und wir kehren wieder zu dir.«

Keine Antwort. Was ging vor? Der Krieg ruhte. Zwar plante der König noch einen Entscheidungskampf gegen den karthagischen Feind im Südwesten der Insel, und man wußte, er hatte Heer und Flotte dafür gerüstet. Aber das eilte nicht; denn eben jetzt nahte in Syrakus die heilige zehntägige Festwoche der großen Göttin Athene, und zu ihren Ehren gab es Theaterspiel.

An den zehn heiligen Tagen herrschte die Gottheit, d. h. die Priesterschaft in der Stadt, und der Fürst war nichts als Gemeindeglied und durfte anbeten und sich freuen wie jeder kleine Spießbürger am Ort. Da verschwand Dionys vor der Welt; er warf sich auf das Musenroß und dichtete selbst ein mächtiges Festspiel; er wollte doch zeigen, daß Syrakus einen Philoxenos nicht brauchte. Die Söldner faullenzten in der Kaserne; es faullenzten die 24 Buchstaben im Palast; auch die Kinderstube mit den beiden Hausfrauen blieb unbeaufsichtigt, weil der König Verse, Verse schrieb. Hätte er nur jemanden, der ihm hülfe! Ideen, Ideen! woher sie nehmen? Ein Schlachtplan ist leicht ersonnen, aber ein Gedicht?

Beruhigend war, daß die Priesterschaft ein Originalwerk königlichen Ursprungs zur Aufführung unmöglich ablehnen konnte. Übrigens wurden nicht nur ernste Dramen gespielt, im Gegenteil: die gnädige 44 Göttin Athene liebte den Karneval und freute sich, wenn auch die Sterblichen sich freuten und nach Opfer und Gebet sich im Spaß ergingen. Schön sind beim Gottesdienst die Blumen und die Lichterpracht, schöner noch die lachenden Gesichter der Menschen.

Es war erster Frühling. Noch heute liegen in Syrakus die zerbrochenen Reste des Theaters, auf dem damals vor nun über zweitausend Jahren gespielt worden ist, offen unter der grellen Sonne. Drei Stücke bildeten die Hauptnummern. Das erste war ein Mummenschanz des verstorbenen alten Epicharm, worin Tiere, Kraniche und Fische auftraten und lustig und tiefsinnig über den Lauf der Dinge philosophierten. Das Stück gefiel, aber es gab nicht viel Beifallsgeschrei; denn der Dichter lebte nicht mehr.

Am folgenden Tag kam das Stück des Tyrannen. Es war eine peinvolle Stimmung. Das lichte Theater war heut wie ein riesiger offener Mund, der weit aufgähnte vor lauter Langerweile. Was der Inhalt des Stückes gewesen, wissen wir nicht mehr; denn der Tyrann verbot hernach streng, daß ein Bericht darüber in die Geschichtsbücher kam. Die einen Zuschauer raunten: »Es ist alles gestohlen.« »Und wie die Verse klappern!« raunten die andern. Die Dichtung rasselte wie ein Hufeisen auf dem Pflaster, wenn es dem Gaul zu lose sitzt.

Auch Dionys selbst war nicht so dumm, sich der üblen Wirkung zu entziehen. Er hörte seine beiden Frauen, Doris und Aristomache, die rechts und links neben ihm saßen, leise kichern. Seine vierundzwanzig Diener hatte er im Theater verteilt; die mußten gleich 45 in der ersten großen Pause applaudieren. Aber ihr Eu-eu-Geschrei klang so dürftig! Rasch ließ der König tausend Söldner aus der Kaserne holen. Nun war der Beifall brausend. Aber die beiden Frauen kicherten nur noch mehr.

Der dritte Tag kam. Was würde er bringen? Niemand wußte es. Auch heute saß Dionys auf seinem Elfenbeinthron zwischen seinen Frauen; rechts und links im Halbbogen die Würdenträger und Hofleute; in der Reihe vor ihm die Priester und Priesterinnen der Athene. Hinter ihm aber standen die Trabanten wie eine Drohung. Auch der gefürchtete Henkersknecht in seinem Scharlachrot war da.

Und schon trat der Ausrufer in die leere Orchestra und meldete: »Heut gibt es die Galatee, ein Singspiel des Philoxenos!«

Die Galatee des Philoxenos? Die beiden Königinnen warfen sich ängstliche Blicke zu. Des Dionys Gesicht versank in Nacht; er war wieder der Gott der Unterwelt. Das ganze überfüllte Theater in Aufregung: Des Philoxenos! und welche Galatee? War es die, die alle Leute in der Stadt Syrakus kannten?

Da erhob sich aus den unteren Sitzreihen eine hochgewachsene Frauengestalt, im wallenden hellvioletten Peplos, der mit Wasserrosen durchstickt war. Auf der hohen Frisur trug sie den schwebenden Spitzhut und schritt, den Fächer schwingend, quer durch die leere Orchestra. »Das ist sie!« gingen die Rufe. Eine Dienerin folgte ihr mit dem Sitzkissen. Sie glitt durch die Reihe der Priester und stand schon vor Dionys. »Kennst du mich noch, Herr? Heut darf ich nicht 46 fehlen. Und dies sind deine zwei Frauen, o du liebegesegneter? Es freut mich, die herrlichen endlich von Angesicht zu sehen!«

Des Dionys krause Stirn glättete sich; er mußte lachen, wie er die Verlegenheit seiner zwei Gemahlinnen sah, die sich ängstlich erhoben hatten, aber nicht wußten, ob sie der Galatea die Hand reichen sollten. »Die Frau ohne Kinderstube! eine Phryne! kein Eheweib! und man hat die ganze Nase voll: so duftet die Person nach Rosenwasser!«

Bescheiden glitt Galatea mit ihrer Zofe in die hintere Reihe; aber sie setzte sich seitlich, so daß Dionys sich von ihr beobachtet wußte. Es war für ihn ein verrücktes Gefühl. Was wollte sie?

Da regte es sich auf der Bühne. Es gab ein Gebrüll. Aus einer Höhle kroch der Zyklop Polyphem, den jeder schon aus der Odyssee kannte, hervor, der täppische Riese, behaart wie ein Waldmensch; so war er ausstaffiert. Der Rock war, um ihn zu vergrößern, dick ausgepolstert; Stelzen trug er unter dem Fuß, Handschuh mit langen Fingern an den Tatzen und dazu eine Riesenmaske, die nur ein einziges glotzendes Auge hatte; und das Auge verdrehte sich jetzt sonderbar in Verzückung, als der Zyklop schwerfällig zu singen begann:

Wo bist du, meine Galatee?
Wie kommt es, daß ich dich nicht seh?

So sang er. Und da war auch schon Galatee selbst; es war die Meerfrau dieses Namens. Eine große Wasserrose hielt sie in der Hand und ritt auf einem Delphin aus Pappe, der, so oft sie gefühlvoll wurde, 47 mit seiner großen Schwanzflosse wedelte. Denn die Galatee sang möglichst wenig und begnügte sich zumeist mit stummer Mimik, weil sie (so wollte es das Herkommen) von einem Mann gespielt wurde.

Der Zyklop aber griff in seine überlebensgroße Harfe und begann mit rauher Baßstimme ein tolles Ständchen; darin prahlte er:

An Schönheit gleichst du, Galatee, den Lilien.
Ich aber bin der König von Sizilien.
Der König von Sizilien kniet vor dir.
Reich' mir die Blume, Holde; gibt sie mir.

Dionys riß die Augen auf: »Geht das auf mich? auf mich? Der König von Sizilien, der die Galatee besingt?« Er fühlte: die Blicke der wirklichen Galatee hinter ihm waren schelmisch auf ihn gerichtet.

Der Zyklop aber sang weiter, und es klang möglichst täppisch:

Auf dem Berg Ätna lebt' ich bisher.
Da war ich noch kein verliebter Bär
Und kannte nur das feste Land.
Da kam der Tag, wo ich dich fand.
Mit meinem Fuß trat ich ans Meer
Und hab' dich, Galatee, gesehn.
Da war's um meinen Schlaf geschehn.
Ich bin ein unglückseliger Mann,
Du Meeresfrau, weil ich nicht schwimmen kann.
Auf meinen Bergen, da ist es trocken.
O komm zu mir. Komm, laß dich locken.

Dann pries er in ungefügen Worten noch ihren Blondschopf und ihre weißen, gut gewaschenen Füße und ihre Lippen, die so rot wie Lämmerblut. Plötzlich aber veredelte sich sein Gesang; er griff ganz zart in 48 die Harfe, und man hörte das Lied: »Was ist schöner als schön zu sein?«

»Hör' ich recht?« dachte Dionys, halb unwirsch, halb angenehm überrascht.

Was ist schöner als schön zu sein?
Herrlich bist du zu schauen
Wie ein funkelnder Edelstein.
Selig preis' ich nur dich allein,
Du Erles'ne der Frauen.

Durch das ganze Theater ging da wirklich ein liebliches Beifallsmurmeln. Dionys sah sich um: die Galatea hinter ihm nickte ihm zu, so daß ihr spitzes Hütchen auf ihrem Haaraufbau übermütig taumelte. Da wurde sein Herz ganz vergnügt und aufgeräumt.

Die andere Galatee auf der Bühne aber blieb gegen den Zyklopen spröde und völlig ungerührt. Was wird jetzt folgen? wird dieser grobe Klotz, der Polyphem, auch noch meine Verse vom Delphin absingen: »Wär' ich Ärmster doch dein Delphin«? Aber nein, der Zyklop blieb stumm.

Statt dessen erschien jetzt eine andere maskierte Gestalt; das war ein liebreizender Jüngling, der mit zaghaftem Schritt vor die Meerfrau trat. Der Zyklop ballte sogleich in Wut die Fäuste.

Ich wandle scheu auf deiner Spur
Und bringe keine Gabe.
Ein armer Hirte bin ich nur,
Ein waffenloser Knabe.

So sang der Jüngling wunderschön. Es war Akis, der junge Hirt. Dionys aber horchte auf. Der da sang, das war Philoxenos! er selbst! ganz ohne 49 Zweifel. Er erkannte des Philoxenos hellen Tenor. Philoxenos, der freche, wagte es hier aufzutreten?

»Den Henker auf ihn!«

Eine Blutwelle schoß ihm über die Wangen; die Narbe in seinem Jupitergesicht glühte. Und doch: er mußte lauschen. Das ganze Theater war hingerissen. So süß, so herzgewinnend, so bestrickend klang die schlichte Weise, so unübertrefflich war die Gesangskunst des begnadeten Meisters:

O frage nicht, wie arm ich sei.
Ich habe nichts als meine Schalmei,
Ich habe nichts dir zu geben
Als mich und mein junges Leben.

Und das Ständchen des Akis fand nun auch Erhörung. Der Delphin aus Pappe wedelte sogleich mächtig mit seinem Schweif, und Galatee, die stumme Meerfrau, erhob sich von ihrem Sitz, nahm Akis in ihren Arm, gab ihm ihre Blume, die Wasserrose, und küßte ihn, und das unermeßliche Theater lag in atemloser Stille, als Akis fortfuhr:

Ich lass' dich nicht. Mein Herz ist wund.
Ich tauch' mit dir tief an den Meeresgrund.
Dort unten, da steht wohl dein gläsernes Haus.
Lehnst du da aus dem Fenster heraus,
Da löse, du Schöne, dein fließendes Haar
In weichen Strömen wunderbar
Und merke, was die Liebe kann.
An deinem Haar klettr' ich hinan.
An deines Haares goldner Zier,
Du Selige, klimm' ich zu dir.

Das Publikum war völlig im Rausch. Allein schon das »Du Selige!« Wie schön hatte der Sänger das gesungen, indem er einen ganz hohen Ton nahm, ihn 50 leise hauchend ansetzte und dehnte und an Stärke wonnig anschwellen ließ. Einfach wundervoll! Es klang wie eine süße Ewigkeit der Liebe.

Den Zyklopen aber rührte das nicht; in Eifersucht rasend packte der den jungen Sänger und riß ihn erbarmungslos in seine Höhle:

Ich setz' dich gefangen, du fader Wicht,
Ich dulde deine Liebe nicht.

Da mußte Dionys laut lachen. Die Anspielung war nur zu deutlich. Aber sie wurde noch deutlicher; denn der Wilde fuhr fort:

Du sollst sie nicht sehen. Drum will ich dich blenden
Mit diesen Nägeln an meinen Händen.

»Blenden? blenden?« Das Publikum kreischte. Dionys aber lachte auch jetzt. Es war wirklich ein guter Witz; denn niemand im Theater außer der schönen Frau hinter ihm verstand die Anspielung, und ein guter Witz wirkt seelenbefreiend. Er schaute sich um. Die schöne Frau hinter ihm flüsterte: »Das ist die Rache des Philoxenos, mit der ich dir drohte!«

»Und die Rache ist süß, süß auch für mich,« sagte der Tyrann und schmunzelte vor sich hin.

Das Stück aber war noch nicht aus. Die Galatee auf dem Delphin rang indes die Hände: »Wer rettet den Akis?«

Da tauchte Odysseus, der Held, auf der Bühne auf. Es war der Schluß. Odysseus kam zum Zyklopen ganz so, wie es bei Homer in der Odyssee ist. Wein brachte er im Ziegenschlauch und machte den Zyklopen trunken, so daß er einschlief. Ein dröhnendes Schnarchen kam aus seiner Maske. Des Odysseus 51 Gefährten, als Satyrn mit Ziegenohren verkleidet, trippelten lustig heran, schleppten den großen Spieß und bohrten ihn dem Riesen in sein eines großes Auge, daß es zischte. Als das geschehen, trat Odysseus vor das Publikum und sprach in aufgelöster Rede: »Nun ist der Böse selbst geblendet, nicht ohne Grund. Denn er hat schlecht gesungen. Auch die Nachtigallen singen schöner, wenn man sie geblendet hat.«

Der Zyklop heulte dazwischen vor Schmerzen. »Hört ihr?« sagte Odysseus. »Es wirkt schon. Jetzt singt der Böse schon wie die Nachtigall.«

Da lachte alles. Der junge Akis aber begann mit seiner Galatee zu tanzen, ein Wirbeltanz der Freude; dann stürzte er mitten ins Rund der Orchestra vor und sang in glückseligen Tönen die Schlußverse:

Ich freue mich des Augenlichts,
Und seh' ich nichts, so sing' ich nichts
Und will doch leben im Gesang
Mein ganzes junges Leben lang.

Das Stück war zu Ende, Odysseus und die Satyrn verschwunden, auch der Polyphem, auch die Meerfrau. Der Beifall des Publikums schien nicht enden zu wollen; es wich nicht von seinen Plätzen, solange der König nicht ging.

Der Gewaltige aber ärgerte sich doch. Es war Neid, es war Eifersucht, es war Demütigung, alles in eins. Er sah sich bärbeißig hilflos, verlegen um. Seine Königinnen, seine Hofleute, das ganze Volk so herzensfroh und beglückt bis zur Verklärung; das bewirkte die heitere Schönheit des Gesangs, und er der einzige Mißgestimmte! Es würgte in ihm, es 52 schmolz etwas in ihm; er schluckte an einem Hindernis. Es war unleidlich.

Sein Blick starrte auf Akis, als wollte er ihn durchbohren. Denn Akis stand wie angefesselt immer noch da. Was wollte er? Dionys starrte auf ihn wie die Klapperschlange auf ihr Opfer. »Greift ihn,« schrie er, und der Scherge im roten Rock sprang vor.

Da kam Akis selbst keck heran, riß sich die Maske herunter, und Philoxenos (denn er war es) sah dem Herrscher wie immer frohgemut ins Auge und sagte schlicht: »Hier bin ich, Herr. Und ob du mir zürnst: ich gebe mich in deine Hand. Laß uns bei dir bleiben.«

Da war es geschehen. Eine Träne, ja, eine Träne stand dem Dionys im Auge. »Du bist kühn, du waffenloser Knabe!« weiter sagte er nichts. Aber die Königinnen riefen: »Eine Träne!« Die Höflinge riefen: »Eine Träne!« und durch das ganze Theater ging es bis zum obersten Rang, lauter und lauter: »Der Tyrann hat eine Träne geweint!«

Dionys machte den Aufbruch: »Komm mit in mein Haus. Wahrlich, ich, ich war der Blinde. Du hassest mich nicht? du fürchtest mich nicht? Ein Gott ist in dir, und ich muß dich verehren.«

Als sie vor den Königspalast traten, stellte er seine vierundzwanzig Diener in eine Zeile, nicht alle, sondern in angemessener Auswahl. »Kannst du lesen?« sagte er. »Es sind meine Buchstaben.«

Und der Dichter las: »Willkommen, Philoxenos!«

Die beiden Königinnen aber hatten Galatea eifrig in ihre Mitte genommen. Ganz zutraulich waren sie jetzt zu ihr und befingerten mit Neid den duftigen 53 Stoff ihres Gewandes: »Du bist viel kostbarer gekleidet als wir! Woher beziehst du das Gewebe? die Handstickerei? und wer hat nur den feinen Schnitt gemacht?«

Dann rissen sie sie mit sich in das Frauenhaus und wühlten in ihren Kleidertruhen. Jede riß ihren Hochzeitsschleier aus der Truhe und bot ihn der Schönen: »Nimm ihn! nimm ihn! von mir! von mir! Gott Amor genügt nicht; Gott Hymen muß euch verbinden!«

»Zwei Schleier?« lachte die Schöne. »Das ist zuviel. Gebt mir Zeit. Hymen und Amor? Ich glaube, ein Liebeslied, wenn es uns täglich gesungen wird, hält die Herzen fester als hundert Schleier, und wenn die Liebe verklingt, was soll der Ehebund? was soll das Leben?«

Da bedeckten die Frauen ihre Augen mit den Händen vor Entsetzen und schlossen die Kinderstube, die sie ihr hatten zeigen wollen, ängstlich vor ihr zu.

Die Diener brachten indes süßen Syrakuserwein. Auch die drei Frauen nippten davon in Erregung. Da kam es dröhnend von des Herrschers Lippen: »Schön klang es, was du gesungen hast, das Liebeslied vom fließenden Haar:

An Deines Haares goldner Zier,
Du Selige, klimm' ich zu dir.

So sind die Dichter: das Unmögliche machen sie wahr. Und ob ich dich in Ketten werfe, an deiner Phantasie klimmst du aus dem Kerker in den Himmel!«

Philoxenos lächelte. Er lehnte sein Haupt an Galateas Schulter und löste ihr Goldhaar, daß es 54 breit über ihm auseinanderfloß in weichen Strömen; dann sagte er kraftvoll: »Du hast recht, Herr, und du schreckst mich nicht. Du bist wie der Ätna, der Tod und Verderben speit; aber es lebt sich köstlich an seinen Hängen, und in seinen Triften gedeiht sorgenlos wie im ewigen Frühling die Üppigkeit. So köstlich ist es bei dir. Ich kann nur leben, wo Größe ist! Laß mich genießen und töte mich, wenn es Zeit ist. Denn jeder Mensch hat seine Stunde, ob nun der Tyrann ihn kreuzigt oder ob ihn der Ätna verschlingt.«

»Ich kann nur leben, wo Größe ist?« Da weiteten sich des Dionys Augen wie die Sonnen und rollten in heiterem Glanz, und er befahl den Dienern: »Laßt draußen die Fanfaren blasen! Wenn man fragt, warum? so verkündet: Dionys hat einen Sieg errungen. Dionys hat seinen Neid besiegt.«

So sprach er, und sein Antlitz strahlte von unermeßlicher Macht und Güte; er war der volle Zeus von Otrikoli. 55

 


 


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