Otto Julius Bierbaum
Stilpe
Otto Julius Bierbaum

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Zweites Kapitel.

Gleich nach dem Erscheinen des Tintensumpfs hatte Stilpe sein Quartier aus dem Karlsbad, das ihm längst zu still gewesen war, in die Nähe der Weidendammer Brücke verlegt. Da hauste er nun vier Treppen hoch nach seinem Geschmack wie ein Student, nur, daß es keine kümmerliche Bude nach dem Hof hinaus war, sondern groß, hell, mit dem Blick nach der Spree und weithin über einen guten Teil Berlin. Und laut war sie, umbrodelt vom Lärm der Friedrichstraße, den man wie ein rollendes Rauschen hörte. Dazu das Rattern der Züge, die in den Bahnhof Friedrichstraße einfuhren, und von den Arbeiten am Neubau der Weidendammer Brücke her die dröhnenden Schläge des Rammwolfs, der die Notpfeiler in das Flußbett trieb.

Da aber gefiel es Stilpen gut. Hier fühlte er sich zu Hause. Das war nach seinem Geschmack: Ein schmuckloses Zimmer mit abgenutzten Möbeln, die er nicht mit besonderer Schonung zu behandeln brauchte; zu Nachbarn Garçons wie er, Studenten, Künstler und ein »besseres Mädchen«; die Hausordnung dementsprechend liberal, die Wirtin desgleichen.

– Ein guter Dunstkreis, hatte er gesagt, wie er die Wohnung bezog; hier laßt uns die Götter locken mit Pfeifen und klingenden Gläsern.

Er hatte gleich seine alte Frechheit wieder, die er so lange unter einer anderen hatte verbergen müssen. Es fehlten ihm nur noch die Genossen.

Aber sein Aufruf am Schluß des Tintensumpfs: An das bischen Bohème in Berlin! hatte bald gezogen. Es kamen sogar sehr viel mehr, als er gewünscht hatte, und vor Allem kamen sehr viele falsche Bohèmeleute, unglaubliches Volk voll innerlicher Philistrosität, Theorieenaushecker, Weltverbesserer, Pseudoanarchisten, auch einige lebendige Beispiele aus Krafft-Ebings Psychopathia sexualis: Alles, was irgendwie in der Welt nicht zurechtkam, glaubte zur Bohème zu gehören und im Verfasser des Tintensumpfs den Mann gefunden zu haben, der ihnen in einer neuen Zeitschrift weißes Papier bogenweise zur Verfügung stellen würde.

Dagegen blieben anfangs die aus, an die allein er gedacht hatte: Die Dichter und Künstler. Nur einige Jünglinge, denen der Dilettantismus mit jenem bekannten Strohfeuer aus den Augen leuchtete, waren als Vertreter der Kunst bei dieser ersten Flutwelle.

Erst nach ein paar Wochen, wie Stilpe von der gesamten Presse mit Einmütigkeit und ganz kurz als Schandfleck des Journalismus abgethan worden war, fanden sich die Rechten ein. Stilpe merkte es sogleich daran, daß sie ihn unverzüglich anpumpten, und dann beim »Orakel der Buttelje«. Sie tranken ungefähr mit derselben Technik wie er.

Nach etwa vier Wochen hatte er wieder ein »Cénacle« beisammen, und diesmal war es ein echtes.

Eine Maskerade mit französischem Namen war hier nicht mehr am Platze. Seine neuen Freunde waren selber Originale, kantig geblieben in der großen Rührbüchse eines derb zugreifenden Lebens, und gaben den Freunden Mürgers nichts nach. Es waren köstliche Kumpane für ihn und dabei entschiedene Talente für feinste Kunst und freiestes Leben. Nur ein paar von ihnen waren schon mit Werken an die Öffentlichkeit getreten, und es war nun eine Quelle gemeinsamer herzlicher Freude, wenn sie und Stilpe die niederträchtigen Kritiken zitierten, mit denen »der gefürchtete Kritiker W. St.« sie einst an den Pranger gestellt hatte. Die Mehrzahl war so gut wie ungedruckt, denn es gab kein Blatt, das excentrisch genug für sie gewesen wäre.

Nun sollte Stilpe natürlich dieses Blatt gründen.

Bei allen Zusammenkünften, soweit sie nicht blos mit Trinken oder Rezitationen der »neuesten Sachen von Rang« ausgefüllt wurden, war diese Gründung das Hauptthema. Aber nun waren schon zwei Monate seit dem Erscheinen des Tintensumpfes verstrichen, das Interesse für diese Brochüre ebbte nach der Provinz hin ab, und man war noch zu keinem Entschlusse gekommen.

Da erlies Stilpe an den »inneren Kreis der Eigentlichen« eine Einladung, die unter dem Hinweis darauf, daß »mit den schwindenden Monden auch die Moneten verrollten«, zu einer letzten und endgiltigen Sitzung »in punkto Blatt« zusammenrief. Postskriptum: »Um nüchternes Erscheinen wird gebeten . . . Der Peripathetiker soll die unmündige Tochter des Regenschirmhändlers zu Hause lassen.«

Stilpe erwartete die Gesellschaft ganz mit der Heiterkeit, die ihn immer leise hob, wenn ihm Gelegenheit zu Trinken und Reden in Aussicht stand.

Das hatte ihm in seiner »fundierten Periode« vornehmlich gefehlt: Gesprächweise trinken zu können. Im Rausche die Welt mit Worten aus den Angeln zu heben, das war ihm immer Bedürfnis gewesen, und das war ihm nicht erfüllt worden, als er das Dasein des gefürchteten Kritikers führte. Denn damals fehlten die rechten Geburtshelfer für seine Worte. Diese Art, sich dem Rausche des improvisierten Wortes hinzugeben, war sein Teil Produktivität, und er hatte sich im Grunde deswegen so unglücklich damals gefühlt, weil er zur Unfruchtbarkeit verurteilt war, weil ihm die Wollust, sich auszugeben, nicht wurde.

Hätte er die Fähigkeit und Freiheit besessen, so zu schreiben, wie er sprach, hätte er nicht im Grunde wider sein Wesen und wider seinen Stil schreiben müssen, so wäre die Gewaltaktion des Tintensumpfes kaum in dieser brückenabbrecherischen Art vor sich gegangen.

Er selber ahnte dies nur dunkel, in den seltenen Stimmungen, wo er sich einmal vor die Seele führte, was er eigentlich gethan hatte mit seinem Schritt, den niemand begriff, und hinter dem man in den betroffenen Kreisen allerlei weitgehende Absichten vermutete, weil man es sich nicht vorstellen konnte, daß ein so »gerissener Kunde« wie Stilpe, der bisher ein Lager immer nur verlassen hatte, weil in einem anderen weichere Polster winkten, sich ohne bestimmte Ansichten eine ausgezeichnete Position verscherzt haben sollte.

Gerade jetzt, wie er die neuen Freunde erwartete, bedachte er einmal seine Lage.

Die Hände unterm Kopf znsammengeschlagen, die kurze englische Pfeife mit Old Judge im Munde, lag er auf dem breiten Lederdivan und betrachtete ein großes, rot, grün und schwarz gehaltenes Plakat, das an der Wand gegenüber befestigt war. Die Worte darauf, in riesigen ziegelroten Buchstaben, lauteten:

!! Sensationell !!

Der Tintensumpf

Enthüllungen

und

Selbstbekenntnisse

von

Willibald Stilpe

Dazu sah man in stilisierten schwarzen Wellen einen aufgeregten Tümpel, aus dem höchst entsetzte grüne Froschgesichter und die Schwimmfüße nach unten tauchender Frösche herausragten, während ein herkulisch gebauter Frosch, von dem das schwarze Sumpfwasser abfloß, große Ziegelsteine mit Aufschriften, wie: Heuchelei, Prostitution, Bestechlichkeit, Plagiat, Feigheit in den Tümpel warf. Eine große, rote, aufgehende Sonne fehlte nicht.

Stilpe lächelte. Der herkulische Frosch war also er, und die andern saßen in der Tinte.

Gut soweit! Aber was nun?

Wenn die Zeitschrift den Erfolg hätte, wie die Brochüre, so wäre die Sache glatt. Aber: Wenn nicht?

Er war ja ausgesperrt, und es war kaum Aussicht vorhanden, daß man ihn in Gnaden wieder aufnehmen würde. Denn er hatte sie alle beschimpft, von rechts nach links, ausnahmslos:

»Aber es giebt doch auch anständige Elemente in der Presse! rufen Sie, mein werter Mitbürger Ei ja wohl. Man hört es sagen. Aber das Element selber ist unanständig.«

Stilpe überlegte: Da ist eine Redefigur mit mir durchgegangen, scheint mir. Hm. Das war wohl ein taktischer Fehler . . . Aber es klang! . . .

Ach was! Wenn nur die Figur gut war. Das liegt so in der Technik des Pamphlets. Man muß Stil haben . . .

Das Pamphlet liegt mir überhaupt. Jedes Jahr blos eins, und ich kann auf alle Redaktionen pfeifen . . .

Äh, was für Ideen! Das wäre eine neue Schweinerei . . . Bin ich denn ganz verkommen? . . . Warum denk ich immer wieder an so was! . . . Warum denk ich nicht wie meine vier Eigentlichen? Warum hab ich nicht blos Verse, Phantasien, Burlesken, Träume im Kopfe? . . .

Es ist schauerlich, wie zerfahren ich bin. Da steckt nun was in mir; ich hoffe doch, – oder . . .? Nein, es steckt schon was irgendwo, aber immer wieder hundsföttische Anwandlungen.

Zwei Seelen, ach? Aber die andern haben ja zwei Dutzend! Nur fahren sie nicht so auseinander . . .

Ein Ziel! Ein Ziel! Herrgott nochmal, endlich ein Ziel! . . .

Also die Zeitschrift! Ja, ja, ja! Ist das nicht eine That? He? Die neue Litteratur machen? Die freie Kunst zum ersten Male rücksichtslos proklamieren! Zum ersten Male sagen: Wir sind die Herren, kuscht euch, Gesindel! . . .? . . .

Äh, im Grunde ist mir das wohl auch nicht grade »Herzblut« . . . Diese ganze Schreiberei überhaupt: Geplärr . . .

Kann man zeitlebens seine Freude daran haben, Lesefraß zu kneten? . . . Ist denn Schreiben Leben? Handlangerei für den besseren Mob! Kellnergewerbe . . .

Er lächelte nicht mehr. Eine scharfe, steile Falte teilte seine Stirne. Seine Heiterkeit war verschwunden.

So ging es ihm immer, wenn er allein über sich nachdachte. Deshalb brauchte er Leute um sich, die das wegschwemmten.

– Kommt denn die Bande nicht?

Die Dämmerung kroch ins Zimmer, sie, die der »Bärenführer« den »Teppich der behaglichen Lyriker« nannte. Dazu dröhnten von unten her die Dampframmen.

– Der Bärenführer ist der glücklichste aller Menschen. Zwar hat er kein Portemonnaie, aber er hat Weisheit. Zwar liebt er die Weiber nicht, aber er liebt seinen lieben Gott, der ihm täglich von 10–12 Uhr zwanzig Quartseiten Phantasien schenkt. Hat er die niedergelegt, und hat ihm sein Kochbär ein tüchtiges Mittagessen mit Grobheiten gewürzt, so wandert er los wie ein tanzender Derwisch, und die Welt ist ihm eine Crêmestange mit Cognacfüllung. Er macht sich selbst zum Narren und lacht doch Alle aus, denn seine Narrheit ist ihm sein Spiel. Er will nichts; das ist sein Geheimnis und seine Heiterkeit.

Stilpe dachte das nicht ohne Neid.

Der »Bärenführer« war der »Erste der Eigentlichen«, ein wunderlicher Mensch, der mitten in Berlin mit dem Gleichmut eines orientalischen Weisen lebte und, arm wie ein persischer Bettelmönch, sich mit einer köstlichen Grazie des Geistes aushalten ließ. Sein Reich war nicht von dieser Welt, aber wer sein Reich kannte, diese weiten kosmischen Räume voll unerhörter Phantasien und diese bunten Fabelstädte mit den intimsten Winkeln genießender Ruhe nach rasenden Räuschen, der wußte, daß seine Welt beträchtlich schöner war, als unsere. Ein Fakir mit Humor. In der Heimat seines Geistes, in Indien, wäre er wohl auch ohne Alkohol weise und heiter gewesen; in Berlin aber mußte er sehr viel trinken. Doch selbst im Alkohol blieb er harmonisch. Es schien, als ob er wirklich die Fakirkunst besäße, sich durch seelische Kräfte gegen alles Giftige immun zu machen.

Besonders darum beneidete ihn Stilpe, der zuweilen selber merkte, wie der Alkohol an ihm zehrte, und wie er immer abhängiger von ihm wurde.

Der zweite der Eigentlichen war der »Peripathetiker«. Auch er repräsentierte Weisheit in einem ganz unmodernen Sinne. Stilpe behauptete, er sei die Reincarnation des alten Diogenes, und diese Meinung traf das Wesen des Peripathetikers im Ganzen wohl. Nur kam ein gut Teil weicher Verträumtheit hinzu. Er übertraf den Bärenführer noch an sozialer Untergrundslosigkeit, denn er besaß keinen weiblichen Bären, der ihm kochte. Es kam vor, daß er im Tiergarten übernachtete. Sonst wohnte er bei Freunden herum. Dabei war er von sehr edlem Anstande und fühlte die Würde seines Geistes. Traf es sich, daß er in »bürgerlicher Gesellschaft« war, so trug er sofort, doch ohne Pose, ganz aus einem inneren Überlegenheitsgefühl, den Propheten zur Schau, der die Gewöhnlichen milde zum Handkuß zuläßt. Er hätte einen guten, feinen Mönch abgegeben, wenn er nicht etwas Vagantenhaftes gehabt hätte. Sein ganzes Leben war ein unausgesetztes Denken und Dichten. Wo auch immer er war: Er schrieb, und stets trug er Manuskripte mit sich herum, reich genug, fünf Nummern der Times zu füllen. Nur konnten sie nicht abgedruckt werden, da sie niemand außer ihm lesen konnte. In schwierigen Fällen war er selber nicht dazu imstande. Stilpe besaß ein Manuskript von ihm, einen Conceptbogen in Quart, der außer den ersten Scenen zu einem Drama zwei Kapitel aus verschiedenen Romanen, sechs Gedichte in Prosa, drei in Versen und außerdem etwa fünf Dutzend Aphorismen und verschiedene Essay-Brouillons enthielt, alles durcheinander geschrieben, erst wagerecht, dann in senkrechten, dann in diagonalen Zeilen dazu. Und man durfte mit Recht und ohne Übertreibung sagen, daß ein geordneter, ökonomisch disponierender Litterat von diesem einen Bogen gut ein Jahr seine geistigen Ausgabebedürfnisse hätte bestreiten können.

Leidenschaften kannte der Peripathetiker nicht, doch liebte er kleine Mädchen, so bis zum 10. Jahre etwa, sehr. Für die Seele des Kindes war er geradezu hellseherisch begabt, und man konnte Kleinodien an Kinderscenen von ihm vernehmen.

Er konnte übrigens ohne Alkohol auskommen.

Nicht so der dritte der Eigentlichen: Kasimir, der Fugenorgler. Es war ein gar wilder Pole voll von Dämonie und allen Künsten der Blague. Er hatte als Dichter nur ein Thema, Stilpe nannte es die medizinisch-katholische Abgrundweis, aber dieses beherrschte er mit der Meisterschaft bornierter Genies. Sein Dichten war eine Art verzückter Drehkrankheit, und man wußte nicht, ob er sich drehte, um zu dichten, oder ob er dichtete, um sich zu drehen. Doch konnte sich keiner der Macht dieser grandios wirren Eintönigkeit entziehen. Es war schöpferische Besessenheit, die indessen manchmal mehr Beängstigung als künstlerischen Genuß hervorrief. Er wäre als Gesellschafter unmöglich gewesen, wenn er nicht gleichzeitig ein unübertrefflicher Blagueur, geradezu ein Meister der Blague gewesen wäre. Stilpen, der selber in dieser Kunst viel vermochte, konnte er dadurch manchmal rasend machen. Nur der Bärenführer und der Peripathetiker ließen sich nie beirren, der Bärenführer, weil er überhaupt aus Allem nur inwendige Heiterkeit schöpfte, und der Peripathetiker, weil sein Geist doch immer noch schneller lief, als die Blague des Polen.

Dagegen ließ sich der vierte der Eigentlichen, den sie den Zungenschnalzer nannten, nicht selten verführen, Kasimirn auf das polnische Glatteis mystischer Schnoddrigkeiten zu folgen. Er liebte das Mystische gar nicht, er war ganz auf das Ästhetische und Erotische gerichtet. Stilpe nannte ihn Doktor der Erotologie. Er bestritt der Menschheit das Recht, in erotischen Dingen irgend etwas pervers zu nennen und machte ans dem, was er nun nicht pervers, sondern kultiviert nannte, ein eifriges praktisches Studium. Er wäre gerne ein Don Juan der Perversität gewesen, indessen entgleiste seine Don Juanschaft schon auf dem gewöhnlichen Gebiete der Erotik recht häufig. Aber er nahm Alles für genossen und schnalzte mit der Zunge. Als Dichter pflegte er das Gebiet des Undruckbaren mit anerkannter feiner Meisterschaft. Und: Einen sachkundigeren Cirkuskritiker als ihn gab es nicht. Als Gesellschafter war er unter den Vieren weitaus der angenehmste, denn er war von einer entzückenden echten Liebenswürdigkeit, voller Geist und Laune. Nur mußte man früh um fünf Uhr nicht schon nach Hause gehen wollen. Doch trat dieser Wunsch unter den Eigentlichen nie auf.[In der Vorlage ist von unbekannter Hand folgende Entschlüsslung angemerkt: »Bärenführer« = Scheerbart, »Peripathetiker« = Peter Hille, »Kasimir, der Fugenorgler« = Przybyszewsky (Chopin), »Zungenschnalzer« = Meier-Graefe.]

– Es kann eine ganze nette Zeitschrift geben mit den Vieren, dachte sich Stilpe, aber es ist mir unklar, ob irgend eine Nummer davon unverboten bleiben wird. Man wird sie als Brief versenden müssen und von vornherein darauf schreiben: Nicht für die Öffentlichkeit.

Hollah! Ein neuer Tric. Ein unöffentliches Blatt! Das ist eine unbezahlbare Idee!

Er war Feuer und Flamme dafür und entwickelte sie sofort mit Leidenschaft, als die Viere bei einander waren.

Köstlich sahen der Bärenführer und der Peripathetiker aus, die Stilpes abgelegte Kleider aus seiner Kritikerzeit anhatten. Er selber trug sich wieder mit einem Stich ins Saloppkünstlerische. Die eleganten Kostüme aus dem englischen Atelier waren ihm nie sehr zu passe gewesen. Jetzt nahm sich der Bärenführer in einem braunen, unendlich langschößigen Gehrock mit hohem, breitem, geschwungen geschnittenem schwarzem Sammetkragen, eine seidene, bestickte Weste dazu, sehr drollig aus, und der Peripathetiker in einem seidenkragigen schwarzen Smoking nebst viereckig angeschnittener Weste war ein grotesker Anblick. Der Pole suchte eine halbe Stunde lang in den weiten grauen Hosen nach den diogenischen dünnen Beinen.

Dann begann aber die Debatte. Die Idee mit der Unöffentlichkeit schlug ein, doch hielt das nicht ab, sie sofort auch ein bischen lächerlich zu machen.

Der Bärenführer wollte, daß das Blatt in einer Geheimschrift von arabischem Charakter und natürlich von rechts nach links gedruckt würde.

Kasimir schlug vor, die Beiträge des Peripathetikers als Autogramme drucken zu lassen, um jede Gefahr auszuschließen, daß sie gelesen werden könnten.

Der Peripathetiker schüttelte langsam den Kopf: Aber ich möchte sie doch lesen!

Stilpe wurde ärgerlich und erklärte, er würde nicht eher etwas zu trinken geben, als bis man anfinge, ernsthaft zu reden. Er fühlte sich beinahe schon als dekretierenden Redakteur.

Es wurde die parlamentarische Form bestimmt, damit man doch zu einem Beschlusse käme.

– Also, gut, wie gesagt, selbstverständlich: Eugen Richter; wie gesagt: Ich bitte ums Wort! rief der Bärenführer.

Stilpe, der natürlich präsidierte, erklärte, daß er ihn vormerken wolle; zuvörderst aber müsse die Gesellschaft ein paar Worte von ihm entgegennehmen:

– Erstens, meine Freunde, wollen wir uns geloben, heute zu einem Entschluß zu kommen. Ich schlage vor, daß wir dies nicht ohne Feierlichkeit thun. Lasset uns symbolisch vorgehen! Wer sich verpflichtet, mitzuwirken zu einem endgiltigen Entschlusse und wer zu erklären bereit ist, daß er sich jeder Entscheidung, die heute fällt, unterwerfen will, auch wenn sie gegen seine etwaigen Anträge sein sollte, der wähle mit mir aus diesen Flaschen eine gelbgekapselte. Es ist Cognac. Die Weißkapseln enthalten Gin.

– Ich protestiere gegen diesen Wahlmodus! erklärte zum größten Erstaunen Aller der Peripathetiker. Ich habe noch nie Gin getrunken und möchte deshalb eine weiße Kapsel wählen, obwohl ich zu jeder Verpflichtung bereit bin.

– Also gut; die Erklärung wird zu Protokoll genommen, und Deine weiße Kapsel gilt für gelb, erklärte Stilpe. Im Übrigen sehe ich, daß das Skrutinium allgemein für gelb entschieden hat. Wir können also beginnen. Um zu verhüten, daß wie bei allen vorigen Sitzungen ein Chaos der Meinungen durcheinander gährt, schlage ich vor, daß jeder nur einmal das Wort erhält. Damit ist gesagt, daß jeder sich genau überlegen muß, was er vorbringt, denn er wird keine Gelegenheit haben, sich später zu korrigieren.

– Wie gesagt, ich bitte ums Wort! rief der Bärenführer.

– Du wirst es gleich bekommen. Ich will nur noch das sagen: Die Reden sollen sich an folgende Punkte halten: 1) Welcher Art soll die Zeitschrift sein? 2) Wie soll sie heißen? Ich denke, dieses Verlangen ist billig. Wollen wir es so halten?

– Ich bitte ums Wort, rief Kasimir.

– Bitte!

– Sehr schön! Ausgezeichnet! Aber: Muß man so feierlich sein, wie Stilpe, wenn man redet?

– Das wird sich finden, aber ich bitte allerdings um eine ernste Behandlung des Gegenstandes. Wenn wir uns dazu zwingen, werden wir auch schnell zum Ziele kommen, denn es ist freilich nicht amüsant, Reden zu halten, wie in einer Generalversammlung. Wenn nichts gegen meine Vorschläge eingewandt wird, können wir wohl anfangen.

Es wurde nichts eingewendet. Alle hatten das Bedürfnis, dieser ernsten Sitzung bald ein Ende zu machen. Man rauchte stark und trank Toddy dazu.

Der Bärenführer begann:

– Wie gesagt, selbstverständlich bin ich für eine in–de–pen–dente Zeitschrift, wie gesagt. Sie muß anders sein. Wie gesagt: Anders. Ganz anders. Selbstverständlich, wie gesagt, muß sie Honorare zahlen. Aber schließlich, wie gesagt, ist das einerlei. Wenn sie nur viel Raum hat. Plakatformat, wie gesagt, gelbes Papier und zinnoberrote Lettern, von rechts nach links gedruckt, wie gesagt, in Lederrollen versandt.

Stilpe runzelte die Stirne und bemerkte: Ich muß Dich wirklich bitten, ernsthafte Vorschläge zu machen.

– Aber er ist doch ganz ernst, Bruder! rief Kasimir. Ich finde das eutzöckend!

– Wie gesagt, natürlich, das ist mein Ernst, selbstverständlich, wie gesagt. Das ist doch sehr fein und, wie gesagt: Praktisch! Die erste Nummer lassen wir an die Littfaßsäulen kleben, wie gesagt.

– Hehe, und solche nette kleine Sandwichmänner lassen wir laufen, die sie auf dem Rücken herumtragen, hehe, und so werden sie dazu immer schreien und rufen, hehe: Meine Herren Berliner, hehe, lesen Sie blos, was der Bärenführer wieder gemacht hat! Der reine Joethe! Hehe! Sie kennen doch Herrn Joethe, den Verfasser der Farbenlehre? Hehe! Er ist auch ein bischen pervers gewesen, der gute Mann, hehe; so ein paar niedliche Epigrämmlein hat er gemacht . . . ah! er war nicht ohne Begabung!

– Was verstehen Sie denn von Goethe mein werter Pole, bemerkte der Zungenschnalzer. Sie sollen erst einmal an die Ahnungsgrenze der Erotik kommen . . .

– Ich bitte, keine Privatgespräche zu führen rief Stilpe. Goethe und die Erotik beiseite: Was will der Bärenführer noch?

– Wie gesagt, ich bin für das Littfaßsäulenplakatformat und rot auf gelb, wie gesagt, und als Titel, wie gesagt, schlage ich vor: Die gesprenkelte Nachtigall.

– Pschakreff, kikeriki, wallahei, Bruder, Du hast recht: Ausgezeichnet! Kasimir stürzte ein Glas Toddy hinunter.

Die andern, außer dem Peripathetiker, lachten. Der Bärenführer mischte Gin in seinen Cognac.

Der Peripathetiker aber erhob sich im Tumulte des Lachens, sah gerade vor sich hin und begann ganz leise:

– Unsere Zeitschrift sollte: Das Prisma heißen. Damit ist für Alle Alles gesagt. Wie ein Prisma, das Strahlen fängt und Farben strahlt. Nicht Spiegel des Körperlichen, sondern Lichtsammler und Scheinwerfer. Nicht willkürlich in Kanten und Flächen, nicht roh und rauh, nicht zufallschön oder zufallwahr, sondern nach Gesetzen geschliffen, in reinen Linien verbunden und abgegränzt; nicht irgendwo liegend, nicht mit irgend einer Seite flach auf dem Boden, sondern an goldenem Faden aufgehängt in freier Luft, schwebend aus sich bewegt in einem langsamen Schaukelschwunge oder einen Kreis schreibend, da einen roten, da einen grünen, da einen gelben Strahl fangend und wieder von sich gebend, aber im Innern Alles sammelnd, kernreich, keimheiß, in der Tiefe das Auge Gottes, auf den Flächen der Schein der durchschwebten Lichtwelt . . .

Plötzlich zog er ein Stück Zeitungspapier aus seinem herrlichen Smoking und schrieb emsig auf den Rand, so weit er noch unbeschrieben war.

Die Andern lächelten innig und tranken.

Stilpe erklärte, daß ihm der Titel Das Prisma gut gefiele.

– Oh, rief Kasimir, mir gefällt besonders der goldene Faden. Das ist das Symbol des Honorars. Und dann: Wie es im Kreise schwebt: Ausgezeichnet. Hehe: So angenehm idiotisch, immer im Kreise, hehe, mit dem Auge Gottes.

Er stürzte wieder ein Glas Toddy hinunter.

Der Bärenführer fand Das Prisma auch gut, aber er meinte, als Untertitel müsse Die gesprenkelte Nachtigall stehen: Wie gesagt: Das Prisma, eine gesprenkelte Nachtigall! Aber natürlich, wie gesagt, in Lederrollen versandt!

Jetzt lehnte sich der Zungenschnalzer in seinen Stuhl zurück und lächelte Stilpen überaus höflich mit einem fragenden Ausdruck in den schönen großen dunkelblauen Augen an.

Stilpe machte eine einladende Bewegung, und der Zungenschnalzer begann:

– Meine Herren! Sie werden (er war der einzige, der sich mit Niemand duzte) von mir nicht erwarten, daß ich Pläne und Titel vorbringen werde, die an Originalität und Erhabenheit mit denen meiner Herren Vorredner zu wetteifern vermöchten. Ich bin der Meinung, daß wir in erster Linie volkstümlich sein müssen.

In diesem Augenblicke schlug Kasimir eine gräßliche Lache auf und trank mit einer ungemeinen Schnelligkeit zwei Glas Toddy aus, dann kniete er vor dem Zungenschnalzer nieder und küßte dessen Stiefel.

Der Zungenschnalzer leckte sich den Schnurrbart, grinste und fuhr fort:

– Wir müssen eine Kunst haben, die auf den Mittelpunkt alles Empfindens geht, auf das Geschlecht. Nur eine Geschlechtskunst ist echt, ist Instinkt, ist Genuß, ist Leben, ist Volkskunst. Eine ejakulative Kunst, orgastisch, brünstig. Ein Hineinknieen in die Uraccorde der Animalität, aber in allen Finessen raffiniert, differenziert bis in die äußersten Nervenenden. (Er schien seinen Schnurrbart verschlucken zu wollen, so verzückt bearbeitete er ihn mit seiner Zunge.) Dabei aber verwegen bunt, jagend, peitschenknallend, fieberisch! Tanzmelodien und Hengstwiehern. Corsettkrachen und die Melancholie des Leierkastens. Blechmusik und das Rauschen von seidenen Unterröcken. Pubertätswimmern und das Schollern von Eisplatten in breiten wälzenden Strömen. Einen Titel dafür weiß ich nicht. Das Unsagbare kann man wohl stammeln aber nicht benennen.

– Hehe, so sagen Sie doch: Der Stammler, werter Herr, oder: Stimmwechsel. Das sind ausgezeichnete Titel. Hehe, oder: Der Hengst des Volkes. Das ist noch entzöckender! Oder: Der rote Faden! Oder: Das Nadelör der Welt. Hehe! Ausgezeichnete Titel!

Der Pole schien sich ein bischen zu ärgern.

Der Zungenschnalzer lächelte verbindlich:

– Dann würde ich schon lieber gleich Phallus oder Priapus vorschlagen, wenn es nicht fürs Volk unverständliche Fremdworte wären, und die deutschen Ausdrücke sind leider zu Rohheiten gestempelt worden. Es versteht sich, daß sie dadurch für mich unmöglich werden, denn das Rohe schließe ich ja aus.

Er lehnte sich wieder vor und lächelte mit einem Ausdruck wie: Ich bin fertig, Herr Präsident! Stilpen an.

Stilpe war mittlerweile betrunken worden und konnte nicht mehr an sich halten; nun mußte er reden.

Er stand auf, setzte seinen Hornklemmer ab und ließ ihn an dem breiten Bande schwingen. Dann begann er sehr laut:

– Die gesprenkelte Nachtigall! Gut! Bunt! Ornithologisch! Also: Deutsch! Wir würden sämmtliche Mädchen damit verführen. Oder wie? Es ist kein Zweifel erlaubt! Denn es ist ein befiederter Titel. . . . Jawohl! . . . Indessen! Ah!: Das Prisma! . . . Streng! Keusch! Gläsern! Ideal! Mathematisch! Die Welt der Gymnasiallehrer würde zu uns strömen! . . . Sehr gut! Indessen, mir scheint, . . . aber nein: Sehr gut! Nur . . . es blendet, es sticht in die Augen, und: es ist kalt, sehr kalt! Überaus kalt! Außerdem weiß kein Mensch, was ein Prisma ist. Der Titel erfordert ein Conversationslexicon. Auch kann man keine Lyrik unterbringen. Oder? Nein, man kann nicht, durchaus nicht! . . . Dagegen: Phallus! Ja: Hier ist Lyrik, ausgesprochen Lyrik. Sehr warm. Winkend. Kraft und Saft und Sinndeute der Welt. . . . Aber warum nicht: Der Phalluswald? Hört doch nur: Der Phalluswald! In ihm singt die gesprenkelte Nachtigall mit süßem Geschluchz, in ihm auch kann man irgendwo das Prisma aufhängen! Sinnend wandelt hier der Peripathetiker, anmutig lehnt hier der Bärenführer und läßt aus seiner großen Zehe eine neue Welt wachsen, neue Tänze übt zwischen den säuligen Stämmen der Zungenschnalzer nach der Melodie des Bauchtanzes von Hawai, tief bohrt sich ins Wurzelgeflecht die blutige Seelensuchekralle Kasimirs, und auch ich werde in diesem Schattenhain der Urgefühle die Lieder finden, die, wie ich mit Bestimmtheit behaupten darf, irgendwo in mir schlummern.

Lieben Freunde, trinkt Cognac und Gin, machet ein Feuer in euch an, daß eure Augen glühende Kugeln werden, groß wie die Uhrscheiben am Rathausturm, und eure Fäuste stark wie die Dampframmen der Weidendammerbrücke, trinket Gin und Cognac, Freunde, lieben Freunde und Genies, trinkt und glaubt an meine schlafenden Lieder, diese feisten Murmeltiere, aus deren Fett ich Elender Feuilletons gebacken habe, trinkt, trinkt, trinkt, schlagt euch rotgeränderte Wolken um die Schultern als Regenmäntel und kommt mit mir in den Phalluswald!

Kommt, o kommt und seid nicht träge,
Sind auch glitscherig die Wege:
Rot wie Rosen lacht das Ziel,
Und wir wollen ins Behagen
Milde, gütig jeden tragen,
Der in eine Pfütze fiel!

Er war unmäßig gerührt und legte sich neben den Polen, der sich mitten im Zimmer niedergelassen hatte und nichts sagte als: Der Seelenkrebs, Bruder, der Seelenkrebs, hehe, das ist der Titel, das ist das Programm!

Der Peripathetiker stand schweigend am Plakate des Tintensumpfs und bedeckte dessen unbedruckte Flächen mit Hieroglyphen, der Bärenführer ordnete die Cognac- und Ginflaschen und kommandierte: Leibgarde des Sultans! Prääääsentiert! Präääsentiert! Der Zungenschnalzer leckte sich den Schnurrbart und trank weiter.

Da klingelte es, und kurz darauf öffnete sich die Thüre. Herein trat mit einem leichten Aufschrei eine üppig schlanke, theatermäßig geschminkte Dame mit einem weiten blauen Theatermantel und einem riesigen Federhut.

Der Zungenschnalzer ging ihr mit Anstand entgegen, Stilpe drehte sich blos um und rief: Süße Kamelie, leg Dich an meine Seite, wir haben Großes geleistet!

– Das seh ich. Sag mal, wie findest Du das eigentlich? Eine halbe Stunde hab ich am Wintergarten gewartet. Is das nett?

Sie sprach mit einem Anflug von Hamburger Dialekt. Wie sie sich im Lichte der Lampe auf Stilpes leeren Stuhl niedergelassen hatte, sah der Zungenschnalzer, daß sie sehr hübsch, wenn auch nicht mehr ganz jung war. Man hätte sie wohl für eine Dänin halten können: Ganz hellblaue Augen mit großem Stern, flachsblonde Haare, die Nase ein klein wenig, aber sehr anmutig abgestumpft; dazu ein sehr kleiner, schön geschwungener Mund, der ganz besonders zu dem kindlichen Ausdruck dieses Gesichtes beitrug. Die Haare trug sie in der Mitte gescheitelt und, die Schläfen wie einen großen Teil der Stirne ganz bedeckend, glatt über die Ohren gelegt; hinten bildete ihre dichte Fülle einen üppigen Zopfkranz. Diese Frisur gab ihr etwas süß Frauliches zu dem Kindlichen. Wenn man ihr aber genauer in die Augen sah, so spürte man, daß eine heitere Energie der Grundzug dieses Wesens war.

Sie war, eine geborene Holsteinerin, dänisch-deutsche Liedersängerin und trat jetzt im Wintergarten auf. Stilpen hatte sie sehr gerne, aber sie war nicht eigentlich sein Fall. Er liebte »die Weiber nicht sehr, vor denen man Respekt haben muß«, und vor ihr hatte er Respekt.

– Ach Gott, Du wärst so reizend, wenn Du nicht im Grunde so anständig wärst, hatte er oft zu ihr gesagt. Man kommt sich mit Dir immer verheiratet vor.

Der Respekt, den er vor ihr hatte, brachte es jetzt auch zustande, daß er sich erhob und ein bischen nüchtern wurde.

– Siehst Du, mein blondes Gewissen, ich konnte nicht kommen. Erst die Litteratur, dann die Liebe. Wir haben soeben die deutsche Litteratur mit einer neuen Zeitschrift begnadet: Der Mastenwald oder so ähnlich, Organ für gesprenkelte Nachtigallen und Seelenkrebs. Ja! Das wird eine Nummer, Madame!

– Ich kann mir den Unsinn schon vorstellen. Du bist nicht mein erster Dichter. Ich kenne das mit euren Zeitschriften. Snak! Dich hätt' ich eigentlich für klüger gehalten. Fällt euch denn gar nichts Neues ein?

Der Bärenführer, der auch darin Orientale war, daß er die Weiber nur sexuell nahm, und auch das nicht eben mit Leidenschaft, wurde ärgerlich. Er warf drei Flaschen um und rief:

– Kattarattazambu! Plokjo tratuzupina! Pschattu! Pschattu! Pschattu!

Dazu machte er ein sehr zorniges Gesicht.

– Mein Gott, was hat denn der Herr? fragte lachend die Sängerin.

– Ich spreche, wie gesagt, die Affensprache, mein Fräulein, selbstverständlich platt, wie gesagt.

– Gott, ist der aber komisch! Was hat denn das geheißen?

– Wie gesagt, selbstverständlich gar nichts, das heißt, natürlich: Sehr viel, wie gesagt. nämlich:

Was verstehen denn die Weiber von der Wortkochkunst, wie gesagt.

– Aber ich verliebe mich doch fortwährend in Dichter, wie gesagt, da gehöre ich doch mit dazu. Nich?

Jetzt drehte sich der Peripathetiker um und schritt langsam auf die Sängerin zu:

– Guten Abend, Mathilde!

Er sagte das sehr zärtlich.

– Die Sängerin sah ihn groß mit lachenden Augen an:

– Ich heiße aber Martha!

– Nein: Mathilde. Ihre Stimme klingt wie Mathilde. Ganz seraphimflügelblau mit einem Kern von willefrohem Ultraviolett. Auch Ihre Hände flüstern Mathilde. So lilienblattschmal und immer betend mit leis durchbluteten Adern.

Er nahm ihre rechte Hand und hielt sie vor das Lampenlicht:

– Kinderpatscheken! Sie sind ein guter Mensch, Mathilde!

Die Sängerin schüttelte ganz ernsthaft den Kopf:

– Nein, so was! Sind Sie der liebe Gott, Sie freundlicher Herr?

Dann lachte sie belustigt:

– Nein, was hast Du denn da wieder für eine Menagerie? Jetzt weiß ich schon gar nicht mehr, in wen ich mich verlieben muß.

– Bitte, in mich! sagte der Zungenschnalzer in einem zärtlich dringenden ernsten Tone. – Sehen Sie: Ich könnte auf Ihnen spielen! Seien Sie meine Liebesgambe! Sehen Sie in meine Augen! Was sehen Sie!

– Sie haben sehr schöne Augen, wirklich.

– Blos schön? Nicht auch tief? Sehen Sie noch einmal hinein!

Es sah aus, als wollte er die Sängerin wie eine Auster mit den Augen verschlucken.

– Aber Sie müssen meine Kniee in Ruhe lassen. Wirklich: Sehr schöne Augen! Sind Ihre Gedichte auch so schön?

– Ach, lassen Sie meine Gedichte! Meine Gedichte sind nichts, aber meine Liebe ist wie eine tigerbunte Orchidee. Kennen Sie die Orchideeen mit den gekrümmten Pistillen, die wie gelbgepuderte Schlangen sind?

Die Sängerin schob ein zweites Mal die Hände des Zungenschnalzers von ihren Knieen, dann lachte sie:

– Jetzt thut mirs blos leid, daß der da unten schläft. Das is gewiß auch ein Netter!

Stilpe bemühte sich sogleich, Kasimirn zu wecken aber der war endgiltig fertig und konnte blos noch: Seelenkrebs! schluchzen.

Die andern aber setzten sich um die Sängerin herum und vereinigten sich, den Bärenführer nicht ausgeschlossen, in wohlausgesuchten Reden zu ihrem Preise. Die Sängerin amüsierte sich sehr und that auch jedem in Toddy Bescheid.

Das rührte den Bärenführer, der nun immer betrunkener wurde, ungemein, und er flüsterte:

– Wie gesagt, Martha, selbstverständlich: Sie sind schön, schön wie mein Bär, wie gesagt. Ich umarme Sie mit meiner Seele. Ich liebe Sie fabelhaft! Wie gesagt: Sie sind wie ein Bündel rosengelber Schlangen! Sie müssen die gesprenkelte Nachtigall abonnieren!

– Und das Prisma! flüsterte der Peripathetiker.

– Und den Phallus! stöhnte der Zungenschnalzer.

– Und den Phalluswald! rief Stilpe.

– Machen wir! sagte die Sängerin.

Da schrie Stilpe laut auf:

– Eine Idee! Gründen wir vier, nein fünf Zeitschriften! Auch Kasimir muß seine haben. Und jeder schreibt immer seine allein! Wie? Ist das nicht die Lösung? Jeder sein eigener Redakteur! Ist das nicht, ja, ist das nicht . . . Wie?

– Selbstverständlich, wie gesagt: Fünf Zeitschriften in Plakatformat!

Die Sängerin schüttelte den Kopf:

– Aber, Kinder, seid ihr denn wirklich verrückt? Vorhin wart ihr doch blos duhn. Wenn ihr durchaus was gründen wollt, so gründet doch ein anständiges Tingeltangel!

– Hu hu hu! lachte der Bärenführer, aber die andern saßen da, als hätte sie jemand von oben fallen lassen.

– Ernsthaft! Ein literarisches Tingeltangel. Wirklich! So was fehlt! Wo gute Sachen gesungen werden. Sie können ja auch verrückt sein. Aber Sachen von Dichtern. Und dann überhaupt Alles geschmackvoll, so, wie die englischen Ballets; überhaupt: Was Schönes!

Stilpe und der Zungenschnalzer erhoben sich gleichzeitig wie zwei Ergriffene und riefen durcheinander:

– Herrgott! Donnerwetter! Natürlich! Das ist es! Das müssen wir thun!

– Selbstverständlich, wie gesagt: Ein ästhetisches Tingeltangel! Ach, Martha, Sie sind das Sternbild des großen Bären! Wie gesagt, natürlich, selbstverständlich ein Tingeltangel, wie gesagt!

Auch der Peripathetiker war, in seiner patriarchenhaften Weise, von dem Gedanken ergriffen:

– Eine Renaissance der Kunst, aller Künste! Leise Singetänze in blauem Lichte. Die verruchte Holdheit der Bajadere. Der Rhythmus griechenmeerplätschernder Oden im Schmiegeschwunge nackter Brüste. Sehen Sie, wie recht ich hatte, daß Sie Mathilde heißen?

Am lebhaftesten aber waren Stilpe und der Zungenschnalzer; Stilpe war durch die Idee nüchtern geworden, der Zungenschnalzer berauscht.

Der Abend endete mit dem festen Beschlusse, keine Zeitschrift, sondern das Literatur-Variété-Theater

MOMUS

zu gründen.


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