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[Vorwort]

Dieses Buch schrieb um das Jahr 1781 der damals zwanzigjährige John Beckford »hintereinander und auf französisch in drei Tagen und zwei Nächten intensivster Arbeit – ich habe die ganze Zeit die Kleider nicht vom Leib getan und wurde schwer krank davon«. Das Manuskript wurde ohne Wissen Beckfords ins Englische übersetzt und erschien als Buch 1784. Die französische Originalausgabe kam erst drei Jahre später heraus: Vathek, Conte Arabe. A Paris, Chez Poinçot, Libraire, rue de la Harpe, près Saint-Côme, No. 135. 1787. Im Jahre 1820 hat Beckford selber eine englische Übersetzung gemacht und herausgegeben.

Hätten die zeitgenössischen Memoiristen und Journalisten den Vathek nicht ignoriert – weder der Mercure, noch Frérons Année Littéraire, weder Métra, noch Bachaumont sagen ein Wort darüber – so hätten sie vielleicht etwas von Voltaire gesprochen, von den Feenmärchen aus Chinaporcellan und dem Arabischen des Galland; und Bachaumont hätte zu erzählen gewußt, daß man diesen schlanken, sehr modisch angezogenen Engländer in den ersten Jahren der Revolution zu Pferde als Zuschauer überall sah, wo auf Straßen und Plätzen sich etwas begab. Die Karikaturenzeichner der Zeit kannten ihn so, als den exzentrischen Lord; als den Dichter des Vathek kannte man ihn so wenig wie den Vathek selber.

Das Buch kam zu früh in die Zeit; erst eine spätere entdeckte es: Mérimée, dieser Delikate, wollte es neu herausgeben: er mußte ein seinem eisgekühlten Temperament Verwandtes darin spüren, wie da die Dämonie eines Schicksals mit moralischer Gleichgültigkeit aber ästhetischem Raffinement erzählt wird und die Ironie des Weltmannes dem Ganzen die Distanz gibt. Mallarmé führte die Absicht Merimées aus: er ließ den Vathek 1876 für 220 Freunde drucken und nennt ihn in seiner préface »un des jeux les plus fiers de la naissante imagination moderne«.

Die pathetische Architektur des Buches – die Architektur ist der essentielle Orient: Raum, Zahl – umspielen groteske Linien. Vathek läßt sich den hohen Turm bauen, er will die Sterne erreichen, ganz zu ihnen hin, um ihnen ihre Geheimnisse zu nehmen, aber die Sterne sind ganz fern. Da läßt sich sein formidabler Appetit ein großes Essen servieren. Die perverse Keuschheit seiner Mutter hetzt ihn zum Abenteuer, und die ganze Cortège von Reitern, Damen, Eunuchen, Pagen, Zwergen, in Sänften, in Käfigen, zu Pferd, zu Dromedar zieht durch Wüsten, Felsen, brennende Zypressenwälder, Paradiese in das Unterirdische.

Der Vathek ist ein Buch, das jeder gute Engländer in seiner Bibliothek hat. Schon weil Beckford die berühmte Fonthill-Abbey gehörte, die er 1822 öffentlich versteigern ließ samt all ihren Schätzen, was die berühmteste Vente einer Bibliothek gab; weil er drei Millionen jährliches Einkommen hatte, Englands wealthiest son war, wie ihn Byron im ersten Canto des Childe Harold anruft. Aber es haben sich um John Beckford die Engländer sonst nicht gekümmert, die keinen kleinsten Dorfpfarrer gestorben sein lassen, ohne ihm einige Monate später seine zweibändige Biographie auf die frische Graberde zu legen. Es wird mit Beckfords Popularität in England sein wie mit der Popularität des Genies auch anderswo: mehr Respekt von ferne, als nahe Liebe. Dann schlug Beckford den Ton an, der nicht mehr verklungen ist und der in englischen Ohren keine Resonanz zu finden scheint. Vathek ist da und dort im de Quincy, in der Geste Oskar Wildes, in der Imagination Beardsleys.

Soll etwas aus seinem Leben erzählt werden? Der Sohn des verstorbenen Lordmajor Beckford wächst unter der Leitung der Lords Chatham und Littleton auf dem Lande auf. »Das alte Haus von Fonthill mit seinem riesigen Saale, den vielen Türen und Korridoren, dunklen, langen – das ist Eblis. Die Frauen im Vathek sind nach meiner Ansicht outrierte Portraits jener guten und bösen Frauen, die auf Fonthill wohnten.« Langes Reisen über den Kontinent, allein, mit einer Frau, differenzieren die Sensibilität dieses Genußmenschen bis zum persönlichsten einsamen Geschmack. Er ist unermeßlich reich, hat gar keine äußeren Ambitionen, baut Paläste und sammelt unerhörte Schätze. Sein Zusammenhängen mit den Menschen beschränkt sich auf die Formen des Anstandes; moralische Beziehungen sind keine; er trifft sich mit keinem Zweiten und Dritten auf dem Boden starken Meinungsaustausches. Er sieht Menschen bei sich nur zu Festen, den Nelson mit der Hamilton und allem Gefolge: Staffage für seine Architektur. Er hält nie einen guten Freund am Kamin zurück für spätere Stunden.

William Beckford starb am 2. Mai 1844 im Alter von vierundachtzig Jahren.

Es sind außer dem Vathek noch ein paar kleine Schriften von ihm im Druck erschienen. Ein Liber Veritatis, das er auch Buch der Narrheit immer nennen wollte, wird in der Handschrift verwahrt. Ein Biographical memoir of extraordinary painters schrieb und druckte er mit siebenzehn Jahren; mit der sehr seltenen Schrift mystifizierte er die Besucher der väterlichen Bildergalerie. Dann Reiseeindrücke: Familiar letters from Italy, 1805, später – 1832 – um einen Band vermehrt und mit dem Titel: Italy, Spain and Portugal, neu von ihm herausgegeben. Weiter: Excursions to the Monasteries of Bathala and Alcobaça, 1835. Die Memoirs of William Beckford, London 1859 in zwei Bänden, sind zum größten Teil nach Beckfords Diktaten und Angaben niedergeschrieben.

Der Vathek und sein Dichter sind kaum in die historische oder eine ästhetische Ordnung zu bringen. Sind schon Beziehungen zum Geiste seiner Zeit – das achtzehnte Jahrhundert – schwer aufzuweisen, so sind Relationen des Vathek zum Moralismus überhaupt nicht vorhanden, wenn man nicht die Ironie als eine solche Beziehung ansprechen will. Aber es ist eine Ironie, die bloß von der Persönlichkeit des Dichters die Richtung erfährt, nicht von gesellschaftlichen Oppositionen und Meinungen, die Beckford teilte.

Der Vathek ist das stolzeste Spiel der werdenden modernen Imagination – die Definition Mallarmés bestimmt das Wesentliche.

Franz Blei.


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