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I.

Es redet trunken die Ferne
Wie von künftigem großen Glück.

Eichendorff.

Ich war an einem der letzten Karnevalstage in Rom angekommen. Ohne mich unterwegs aufzuhalten, hatte ich die ansehnliche Strecke von München bis nach der Siebenhügelstadt am Tiber zurückgelegt, und nur in Bologna » la grassa« Nachtquartier gemacht. Nicht aus Bequemlichkeit oder weil ich ermüdet gewesen wäre, sondern aus dem alleinigen Grund, um die großartige, wildromantische Gebirgsgegend zwischen Bologna und Florenz, welche von der Eisenbahn auf kühnen Galerien und mit unzähligen Tunnels durchschnitten wird, bei Tage bewundern zu können. Bei Narni, etwa zwei bis drei Stunden vor Rom, erlitt die Fahrt eine Unterbrechung; in Folge heftiger Regengüsse war die Nere stark angeschwollen, über die Ufer tretend hatten die wilden Wasser die wahrscheinlich nicht allzu solid konstruirte Eisenbahnbrücke zerstört. Die Passagiere wurden ersucht auszusteigen, da die aus schwankenden Brettern hergestellte Nothbrücke nur zu Fuß passirt werden konnte. Auf jenseitigem Ufer stand der Zug, der uns weiterführen sollte. Es dunkelte bereits, Facchini mit Fackeln liefen neben uns her und verübten ein entsetzliches Geschrei unter dem Vorwand, uns zu leuchten und das Handgepäck zu tragen. Rauch und Qualm schlugen uns in's Gesicht, das flackernde Licht blendete die Augen, die diensteifrigen Facchini wurden in allen Sprachen verwünscht, weil sie den Uebergang entschieden erschwerten und nachher in ihren Forderungen unverschämt wurden.

Als Menschen und Koffer glücklich umgeladen waren und wir den Moment der Abfahrt ungeduldig ersehnten, mußten wir uns darein ergeben, noch fast eine Stunde zu warten; eine russische Großfürstin befand sich im Zuge, die, um mit dem Gros der Reisenden nicht in Berührung zu kommen, erst jetzt ausgeschifft wurde. Da sie ein zahlreiches Gefolge bei sich hatte, nahm die Ueberführung beträchtliche Zeit in Anspruch. Es sah übrigens malerisch genug aus, wie die stattliche Dame mit dem stolzen Gesicht, in einen weißen Mantel gehüllt, das Haupt mit Schleiern umwunden, auf einem Sessel vorübergetragen wurde und die wehenden Flammen der Fackeln sie röthlich bestrahlten.

Durch diesen unvorhergesehenen Aufenthalt verzögerte sich unsere Ankunft in Rom um mehrere Stunden, und es war schon tiefe Nacht, als ich an den Thermen Diokletian's, die mit majestätischer Verachtung auf das elende provisorische Bahnhofsgebäude herniederschauten, vorüberfuhr, dem Albergo di Londra zu. – Einem norddeutschen, an stramme Haltung und zugeknöpftes Wesen gewöhnten Gemüthe mußte die Halbinsel jenseits der Alpen im Zustande gelinder Verrücktheit erscheinen. Zwölf Tage Karneval lösen alle Bande frommer Scheu; in Bologna waren einige besonders animirte Masken bis in mein Schlafzimmer gedrungen, was mir weiter nicht unangenehm gewesen wäre, wenn nicht Uhr und Börse auf dem Nachttisch gelegen hätten. Einen rekommandirten Brief, den ich von der Post holen wollte, konnte ich nicht erhalten, weil der betreffende Expedient, des Karnevals wegen, um elf Uhr noch nicht in seinem Bureau war. Dergleichen versteht, wie gesagt, ein nüchtern geschulter Mensch nicht, und noch weniger verstand ich, daß die anderen Beamten, die nicht so lange gejubelt haben mochten, das verspätete Erscheinen ihres Kollegen ganz natürlich fanden. » Che vuole, signore? È carnevale!«

Ich hatte gehört und gelesen, wie der römische Karneval unserer Tage nur mehr das blasse Schattenbild dessen sei, was er vor dreißig oder vierzig Jahren gewesen, doch kann ich versichern, daß noch genug übrig geblieben ist, um einen ehrlichen Nordländer mit maßlosem Erstaunen zu erfüllen. Die Vernunft ist bekanntlich nicht ansteckend, dafür ist es die Narrheit um so mehr. Vierundzwanzig Stunden war ich nur in Rom, und ich wanderte, in ein weißes Pierrotkostüm gehüllt, eine rosa Drahtmaske vor dem Gesicht, so ruhig auf dem Korso umher, als sei dieses die Tracht, die ein wohlbestallter Regierungsrath und Hauptmann bei der Landwehr im gewöhnlichen Leben zu tragen pflege.

Das Wetter – wir hatten Anfang März – begünstigte den dießjährigen Karneval mit einem wolkenlosen Himmel und dem hellsten Sonnenschein; bunte, farbenprächtige Blumensträuße flogen massenhaft durch die Luft, zu den höchsten Balkons und Fenstern hinauf, selten an die richtige Adresse gelangend, wenn die Dame nicht eine Schnur herabließ, an der der blühende Gruß sorgsam angebunden wurde. Mit Confetti wurde Verschwendung getrieben und ohne schützende Drahtmaske hätte man die Wirkung dieses Projektils ziemlich schmerzhaft empfunden. Engländer und Deutsche zeichneten sich namentlich dadurch aus, daß sie ganze Körbe voll auf die Vorübergehenden ausschütteten und somit die ursprüngliche Neckerei zu einer plumpen Rohheit verzerrten. Den Cylinderhüten schien vorzugsweise der Tod geschworen, wo einer auftauchte, ward er sofort mit Mehl gepudert, eingedrückt, angetrieben und der Eigenthümer der beanstandeten Kopfbedeckung mußte eiligst in einem Hause Schutz suchen.

Den Korso auf und ab flanirend, betrachtete ich mit Vergnügen die vielen reizenden Frauen- und Mädchengesichter, die sich überall zeigten. Man konnte hier vergleichende Schönheitsstudien anstellen, denn alle Nationen waren vertreten: schlanke Engländerinnen und Amerikanerinnen, graziöse Russinnen, großaugige Römerinnen, blonde und brünette Deutsche; die Ruhigste wurde lebhaft, die stolzeste legte die gewohnte Reserve ab und gab sich harmlos der allgemeinen Fröhlichkeit hin.

In der Nähe des Albergo di Roma, der Kirche San Carlo gegenüber, so recht im Mittelpunkt des Karnevaljubels, fesselte ein Balkon in der ersten Etage eines Privathauses besonders meine Aufmerksamkeit.

Wahrscheinlich hatten sich Bekannte vereinigt, den geräumigen und eleganten » palco« zu miethen, denn zwischen der blonden, dicken Dame mit den flachshaarigen, lachenden Töchtern und dem jungen Mädchen, das mit verschränkten Armen an der Thür lehnte, bestand sicherlich keine Verwandtschaft. Ich habe von jeher entschiedene Vorliebe für charakteristische Physiognomieen. gehabt, ein trotziger Mund entzückt mich mehr, als ein holdselig lächelnder; die kleine schöne, auf deren Stirn eine Gewitterwolke thronte, war daher ganz nach meinem Geschmack. Jeder Zug des reizenden Gesichtchens sprach von übler Laune: das goldbraune Haar krauste sich unwillig in eigensinnigen Löckchen um Schläfen und Nacken, die geraden Brauen waren finster gerunzelt und die Falten erstreckten sich sogar bis auf das feine Näschen, die langen, gebogenen Wimpern blieben hartnäckig gesenkt und verdeckten die Augen, in die ich gern einen Blick gethan. Sie sah so böse aus, die Kleine, so böse, das es ein Vergnügen war. Die Gestalt zierlich und doch voll, das dunkelblaue Sammetkostüm schmiegte sich den anmuthigsten Formen an, sie glich einer eben erblühten Rose und ich verlor mich in Vermuthungen, ob der allerliebste Trotzkopf trotz seines kindlichen Gesichtes am Ende nicht schon auf Frauenwürde Anspruch machte?

Die lustigen blonden Mädchen und ihre dicke Mama ließen sich durch die Verdrießlichkeit ihrer Gefährtin nicht stören; wenn ihnen ein Wurf gelang, oder sie ein Bouquet glücklich erwischten, wandten sie sich zu der Schweigenden, um sie für ihren Triumph zu interessiren – dann blitzte es wohl muthwillig in dem Gesichtchen auf, und ich hätte schwören mögen, das die Kleine in dem Augenblick die größte Lust spürte, irgend eine Tollheit zu verüben; doch mußte sie ihre üble Laune für den Umständen angemessener halten, denn sie warf alsbald verächtlich die Oberlippe auf und das kurze Lächeln verwandelte sich in eine schmollende Miene. Ein niedlicher Eigensinn, der eigentlich in den Winkel gestellt zu werden verdiente, aber auch so recht ein Geschöpfchen, um es beim Kopf zu nehmen und abzuküssen. Welche Streiche mochte Die ihren Lehrern und Gouvernanten gespielt haben!

Es genügte mir nicht, dem Hause gegenüber zu stehen und sie aus der Ferne anzustarren, ich wollte wenigstens versuchen, mit ihr den Verkehr anzuknüpfen, den die Karnevalsfreiheit mit jeder fremden Dame gestattet. Eben hatte ich einem Blumenhändler ein paar frische, elegante Bouquets abgekauft, und da der Balkon nicht hoch war, getraute ich mir wohl, sie geschickt hinauf zu werfen, die Dame mußte mir nur gütigst mit Auffangen entgegenkommen. Um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, erlaubte ich mir, ihr einige Körnchen Confetti zuzusenden, die nichts als einen bescheidenen Wink bedeuten sollten. Sie trafen sie auch und ich bemerkte deutlich die weißen Tupfen, die sie auf dem blauen Sammetärmel zurückließen. O weh, ich hatte kein Glück! Meine Schöne erwachte aus ihrer Versunkenheit, sie schlug die langen Wimpern auf und ihre großen schwarzen Augen schossen zornige Flammen zu dem Kecken hinüber. Sie mißverstand meine Absicht gänzlich, denn sie schien sich tödtlich beleidigt zu fühlen – d. h. ich vermuthete, daß ihre Verstimmung begierig nach einem Blitzableiter suchte, und in dem Moment freute sie sich des armen Opfers. Mit beiden Händen griff sie in einen vor ihr stehenden Korb voll Confetti und überschüttete mich mit einer wahren Lawine, wobei die blonden Mädchen, die für den Vorgang rasches Verständniß entwickelten, sie kräftig unterstützten. Die Attake war so stürmisch, daß ich mich ihr nicht entziehen konnte, meine unschuldigen Blumen wurden zerdrückt, geknickt, ein Hagelschauer prasselte auf meinen Rücken nieder. Hätte mich nicht die Drahtmaske beschirmt, ich wäre um ein Auge oder ein halbes Dutzend Zähne gekommen, denn die Kleine bediente sich einer Schleuder, eines reinen Mordinstrumentes, um die Confetti mit einer Vehemenz fortzuschnellen, daß sie ungefähr wie eine Schrotladung wirkten. Vergebens wehrte ich mich nach Kräften, meine Position war zu unglücklich, ich wurde siegreich aus der Höhe beschossen von einem an Zahl überlegenen Feinde, der kein Erbarmen kannte, und der über unerschöpfliche Munition verfügte, denn die dicke Mama schleppte unermüdlich Körbe voll Confetti herzu. Das zierliche Persönchen geberdete sich wie ein Teufelchen, ihre Augen funkelten von übermüthiger Bosheit, da sie den Gegenstand ihres Zornes thätlich angreifen konnte.

Es gelang mir nicht, eine Verständigung anzubahnen, trotzdem ich ein Rosenbouquet als Parlamentärflagge in der Luft schwenkte, man hatte es auf meine absolute Vernichtung abgesehen. Hülfstruppen standen mir nicht zur Verfügung, so that ich das Klügste, was ich in meiner exponirten Stellung thun konnte – ich räumte das Feld, indem ich den Rückzug um die nächste Straßenecke antrat, von einem entzückend musikalisch klingenden Gelächter verfolgt, das Carlotta Patti Carlotta Patti (1835-1889), italienische Opernsängerin (Sopran). nicht melodischer hätte exekutiren können. Sie hatte gut lachen, die Kleine, deren » gentilezza« von den Umstehenden lebhaft bewundert wurde! Ich zahlte die Kosten, der Gypsstaub hatte mir die Augen zugeklebt und das Gesicht mit einer Kruste überzogen; ich trat in ein Haus, um die Maske abzunehmen und mir wenigstens die Augen klar zu wischen. In dem dunklen Thorweg stieß ich auf einen Leidensgefährten, einen Pierrot mit einer großen, falschen Nase, der von einem andern Balkon aus ähnlich wie ich bearbeitet sein mochte und sich nun Haar und Bart säuberte. Beides dunkelblond, eine hohe, kräftige Gestalt, die jedenfalls Uniform getragen hatte ein Germane, gleich mir, ich irrte mich nicht, und die halblauten Worte: »Das geht wahrhaftig über den Spaß!« bestätigten meine Vermuthung. Als der Herr sich seiner extravaganten Kartonnase entledigte, erkannte ich die ernsten, bedeutenden Züge – es war nicht nur ein Landsmann, sondern auch ein Freund!

»Raoul, alter Junge!«

»Weiß Gott, Lewin! Und als Pierrot? Du bist also schon von der Tollheit ergriffen? Acht Tage war ich ruhiger Zuschauer – gestern kaufte ich mir die Nase, es hilft nichts, man muß mit dem Strome schwimmen!«

Wir schüttelten uns lachend und erfreut die Hände, uns gegenseitig musternd. Das letzte Mal hatten wir uns auf einem Hofball getroffen, Beide in Uniform und in höchst korrekter Haltung – der Abstand zwischen damals und heute war uns sehr komisch.

»Wo kommst Du her?« fragte mein Freund.

Er wußte ebensowenig von mir, wie ich von ihm; Männer führen keine Freundschaftskorrespondenzen.

»Direkt aus dem Nordosten unseres gemeinsamen Vaterlandes. Eine schöne Gegend, nicht wahr? Ich helfe die Kultur in den Bezirken an der russischen Grenze verbreiten und bemühe mich, den Masuren den Begriff des Gesetzes beizubringen. Der Name des Nestes, das der Sitz eines Regierungspräsidenten ist, thut nichts zur Sache. Ein ganzes Jahr habe ich geduldig ausgeharrt, dann packte mich unwiderstehliche Sehnsucht nach Citronenwäldern, Lazzaroni, Peterskirche, frutti di mare und was sonst zu Italien gehört. ›Laßt mich ein Mensch mit Menschen sein!‹ rief ich, nahm sechs Wochen Urlaub – mehr drückte ich von meinem alten Chef nicht heraus – und kehrte der russischen Grenze den Rücken.«

»Wie konnte man Dich nach einem so elenden Ort versetzen! Hast Du etwa Schulden?«

»Gott bewahre!« entgegnete ich freundlich, »Du glaubst nicht, wie rangirt ich bin, seitdem ich nicht mehr mit Dir verkehre. Ich brauche nicht einmal eine reiche Frau zu heirathen, um meine Finanzen aufzubessern.«

»So bist Du noch frei?«

»Dem Himmel sei Dank, ja! und ich hoffe es zu bleiben.«

»Ein löblicher Vorsatz,« murmelte mein Freund, sich den wohlgepflegten Schnurrbart kämmend.

»Und Du?« kam nun die Reihe zu fragen an mich, »was treibst Du? Bist Du nur zum Vergnügen hier oder im Dienst bei Seiner Majestät Legation?«

»Ich bin auf der Hochzeitsreise,« erwiederte der Legationsrath, Baron Raoul von Eckartsberg, mit jener unerschütterlichen Ruhe, von der seine intimen Freunde wußten, daß sie bloß äußerlich war.

»Alle Wetter!« rief ich, »das ist zu arg! Du nimmst ein Weib und ein alter Freund erfährt nichts davon? Konntest Du mir nicht eine Verlobungs- oder Vermählungsanzeige schicken?«

»Ich hatte keine Ahnung von Deinem derzeitigen Aufenthalt; entsinne Dich gefälligst, daß Du mir seit zwei Jahren nicht geschrieben hast. Ueberdieß ging meine Verheirathung in dem jetzt üblichen Eisenbahntempo vor sich – sehr zu meiner Zufriedenheit, muß ich hinzufügen, denn ich fühlte mich etwas zu alt, um den liebenswürdigen, beglückten Bräutigam zu spielen. Von den sechs Wochen, die ich verlobt war, verbrachte ich fünf fern von meiner Braut, da ich in besonderer Mission nach Brüssel geschickt worden. Vor vier Monaten fand unsere Hochzeit statt und auf Wunsch meiner Frau reisten wir sofort nach Italien ab.«

Ich war gespannt zu hören, wen er geheirathet hatte.

Vor mehreren Jahren war in der Gesellschaft, in der er seiner hervorragenden Intelligenz, seines Charakters und seiner vollendet guten Manieren wegen stets eine bedeutende Stellung behauptet hatte, von einer Liaison mit einer hochstehenden Dame geflüstert worden. Man äußerte sich nur in geheimnißvollen Andeutungen darüber, weil die angeblichen Liebenden sich so taktvoll und reservirt benahmen, daß sie der Verleumdung nicht den geringsten Anhalt boten. Obgleich Raoul's langjähriger Freund und Kamerad, hatte ich, mit der den Männern eigenen Diskretion, nie diesen Punkt berührt; soweit ich die Verhältnisse beurtheilen konnte, war für jene Verbindung keine Aussicht. Die Dame gehörte einem der ersten Adelsgeschlechter an, dessen Töchter mehrfach regierenden Fürsten vermählt worden waren; Eckartsberg besaß nichts als seinen Baronstitel und seine glänzenden Fähigkeiten, die ihm eine gute Carrière verhießen. Nobel und anständig in seinem Auftreten, ein Feind kleinlicher Berechnung, hatte er das mäßige Vermögen, das ihm seine Eltern hinterlassen, bald verbraucht und war darnach allein auf seinen Gehalt angewiesen; Geldverlegenheiten folgten unausbleiblich und sein Stolz litt unter ihnen. Daß er mithin nicht hoffen durfte, die Hand der vornehmen Dame zu erringen, bedarf keiner weitern Erläuterung.

Ich hatte ihn von Herzen bedauert, denn ich, der ich ihn von der Schulbank her kannte, merkte ihm wohl an, wie schwer er mit sich kämpfte. Seit der Zeit war eine gewisse Gleichgültigkeit gegen Alles über ihn gekommen. »Nur keine Emotionen, keine Aufregungen!« war sein Wahlspruch geworden, er schien unempfindlich, ohne es doch zu sein.

»Kannst Du heute mit uns speisen?« fragte er, als wir die Seitenstraße betraten, die in den Korso mündete. »Ich möchte Dich meiner Frau vorstellen.« Leider mußte ich die Einladung ablehnen, ich hatte mich bereits mit Bekannten verabredet.

So komm' am Abend in unsere Loge, die Pezzana Giacinta Pezzana (1841-1919), bedeutende italienische Theater- und Filmschauspielerin, die auch an der Seite der international berühmten Eleonora Duse spielte. Beide traten erfolgreich ein für ein ›untheatralisches‹, unaffketiertes, natürliches Rollenspiel. spielt, das Theater della Valle kennt jeder Fiaker.« Ich sagte zu, und seinen Arm nehmend, wandelten wir beide Pierrots ganz ernsthaft dem Korso zu, von dem uns betäubender Lärm entgegenschallte.

»Wie befindest Du Dich als Ehemann?« fragte ich unter meiner Drahtmaske hervor.

Er streckte die lange falsche Nase, die das Sprechen erschwerte, in die Luft und erwiederte nach kurzem Besinnen:

»Ehrlich gestanden, kann ich Dir keine erschöpfende Antwort geben, › non c'è male,‹ sagt man hier zu Lande, um einen Zustand zu bezeichnen, in dem die widerstreitendsten Empfindungen Platz haben. Du wirst meine Frau sehen, sie ist sehr hübsch, graziös und begabt, dabei aber ein verzogenes Kind, das sich in der Pension übertriebene Vorstellungen von der Glückseligkeit des Ehestandes in den Kopf gesetzt hat. Ich verstehe ihr launisch wechselndes Wesen nicht, ich mag zu alt, zu schwerfällig für sie sein, doch hoffe ich, daß wir uns mit der Zeit besser einrichten werden, wenn sie verständiger geworden. Eine solche Hochzeitsreise ist eine gefährliche Sache, und ich rathe Dir als Freund, sie auf höchstens acht Tage zu beschränken – so lange hält man es aus! Beide Theile sind müßig, nur auf sich angewiesen; den Mann zieht nicht der Beruf, die Frau nicht die häusliche Thätigkeit ab, tagelang sitzt man sich im Eisenbahncoupé gegenüber – wahrhaftig, selbst fehlerlose, himmlische Geschöpfe würden sich in dieser Lage manchmal langweilen und sich zur Abwechslung gegenseitig reizen und ärgern. Hätte ich die Bedenklichkeit dieses ewigen tête-à-tête vorausgesehen, ich würde nimmermehr um einen viermonatlichen Urlaub gebeten haben. Beherzige meine Warnung, Lewin, wenn Deine Stunde schlägt.«

»Wo hast Du Deine Frau kennen gelernt und wie kamst Du auf die Idee, Dich in's Joch zu spannen? Ich hielt Dich für einen eingefleischten Junggesellen.«

»Wie wir zu den wichtigsten Entschlüssen in unserem Leben getrieben werden, ist bekanntlich schwer zu definiren. Nachdem wir lange reflektirt und diskutirt haben, thun wir fast immer Dasjenige, was wir eigentlich am wenigsten thun wollten; so viel Geringfügiges, Zufälliges gibt den Ausschlag, daß wir uns später schämen, uns den innern Prozeß klar zu machen … Ich sagte mir eines Tages: ›du mußt heirathen, deine Verhältnisse fordern es, du schließest damit die Vergangenheit ab und beginnst ein neues Leben …‹ Am Abend wurde ich einem jungen, lebhaften Mädchen mit selten schönen Augen vorgestellt, Augen, die etwas versprachen. Sie zeigte mir mit kindlicher Naivität – ich bitte Dich, mich nicht für einen eitlen Laffen zu halten – daß ich ihr wohlgefiel; die Mutter theilte die Anschauung ihrer Tochter, sie wünschte einen adeligen Schwiegersohn, man gab mir zu verstehen, daß ich mir keinen Korb holen würde … Die Kleine war allerliebst, eine alte Freundin vermittelte das Uebrige – und so ward ich Bräutigam eines achtzehn Jahre jüngern Mädchens, das mir zeitweise noch der Puppe zu bedürfen schien … Du bist ja auch in K. gewesen, meine Schwiegereltern wirst Du jedenfalls dem Namen nach kennen, eine geborene Altringer ist meine Frau, die einzige Tochter, Vincente …«

Jakob Altringer, eine der reichsten Patrizierfamilien in K.! Frau Altringer mit einer stark ausgesprochenen Vorliebe für Adel und Offiziere, was den Traditionen des alten Kaufhauses zuwiderlief; da sie jedoch schön und energisch und ihr Mann seiner Zeit sehr verliebt in sie war, so hatte sie es durchgesetzt, in der vornehmen, adeligen Gesellschaft festen Fuß zu fassen. Ihre Standesgenossen skandalisirten sich freilich über diese Abtrünnigkeit, und die philiströsen Kaufmannsfrauen erzählten schaudernd, daß Frau Jakob Altringer sich nicht schäme, mit einem Schwarm junger Leute in den öffentlichen Anlagen spazieren zu reiten. Das war aber auch das Schlimmste, was man ihr nachsagen konnte. Frau Josepha war ebenso kalt wie eitel, und viel zu weltklug, um nicht zu wissen, daß sie ihre Stellung in der guten Gesellschaft dauernd nur behaupten konnte, wenn sie ihren Ruf fleckenlos hielt.

»Erinnerst Du Dich der kleinen Vincy?« fragte mein Freund.

»Nein, ich habe sie nie gesehen; als ich in K. war, befand sie sich bereits in der Pension.«

»Wo sie bis zu ihrem achtzehnten Jahr bleiben mußte, denn die Frau Mama wollte die erwachsene Tochter so spät als möglich präsentiren.«

»Ist sie musikalisch?«

Raoul, der früher ein leidenschaftlicher Musikenthusiast gewesen, – es hing das mit der Geschichte seiner hoffnungslosen Liebe zusammen, – blickte mich mit unverstelltem Entsetzen an. »Du fragst noch, wenn ich Dir sage, daß Vincente in einer allerersten Pension erzogen worden ist? Aber ich habe rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben, denn die Perspektive, mir tagaus tagein die eingelernten Etüden und Salonstücke vortrommeln lassen zu müssen, machte mich schaudern. Als sie eines Abends geneigt schien, mich mit einer Probe ihrer Kunstfertigkeit zu erfreuen, eröffnete ich ihr, daß mir Musik im Zimmer unerträglich, sogar schädlich wäre, meine Kopfnerven würden dadurch krankhaft angegriffen und ich wäre nicht im Stande, in der Nähe eines Klaviers zu arbeiten. Im ersten Augenblick war sie verletzt, indessen ging die Verstimmung vorüber und zu meiner Erleichterung erklärte sie, daß sie vorläufig darauf verzichte, sich ein Instrument anzuschaffen. Auch hier in Rom hat sie der Versuchung widerstanden, eines jener altersschwachen Pianinos zu miethen, die zur Kompletirung einer Fremdenwohnung für unerläßlich gelten.«

Wir hatten jetzt den Korso erreicht, wo die Menge immer dichter wogte; wie das Pferderennen, das jeden Karnevalstag schließt, in dieser schmalen, menschenerfüllten Straße stattfinden sollte, war mir unbegreiflich. Ich wollte links einbiegen, weil ich Lust hatte, meine kleine erbitterte Feindin wiederzusehen, und mich überzeugen wollte, ob ihr Groll nicht sanfteren Gefühlen gewichen, doch Raoul lenkte mich nach der entgegengesetzten Seite.

»Meine Frau befindet sich in der Gegend unter dem Schutz einer bekannten Familie. Wenn sie mich bemerkt und ich nicht sofort zu ihr komme, herrscht beim Diner eine ziemlich gewitterschwüle Stimmung. Vincy hat, wie Du selbst beobachten wirst, einen etwas schwierigen Charakter, ich hielt sie anfangs für heiter und harmlos, aber ich entdeckte bald, daß ich mich getäuscht – es lebt sich nicht leicht mit ihr! Gott weiß, welche Erwartungen sie sich von der Ehe gemacht hat! Ich erweise ihr all die Aufmerksamkeit und Rücksicht, die ein Mann von Erziehung seiner Gattin schuldet; bei den Streitigkeiten, die sie herbeizuführen liebt, bleibe ich stets ruhig und behandle sie mit der Nachsicht, die man für ein unartiges Kind hat. Trotzdem will sich kein gleichmäßiges, freundschaftliches Verhältniß zwischen uns entwickeln, ich fürchte manchmal, daß der Altersunterschied doch zu groß ist. Sie hat ihre Tage, wo jedes Wort sie beleidigt, dann legt sie es förmlich darauf an, mich durch maliziös sein sollende Bemerkungen und Einwürfe zu kränken, und ich habe oft die größte Mühe, ernsthaft zu bleiben, denn sie ahnt nicht, wie komisch sie in ihrem Zorn ist. An anderen Tagen hüllt sie sich in tiefes Schweigen und frage ich sie endlich, ob ihr etwas fehle, oder ob ich sie unwissentlich verlegt, so bricht sie in Thränen aus und schließt sich in ihr Zimmer ein, ohne mir eine vernünftige Antwort zu geben … Ich glaubte schon an ein körperliches Leiden und ließ daher einen Arzt rufen; er beruhigte mich vollständig und meinte, die Frau Baronin erfreue sich einer beneidenswerthen Gesundheit … Ja, alter Freund, es ist ziemlich schwer, verheirathet zu sein, die Sache will erst gelernt werden!«

Des armen Raoul's Eheglück schien mir nach diesen vertraulichen Mittheilungen allerdings sehr zweifelhaft; es mochte ein recht verzogenes, albernes Geschöpf sein, das man ihm aufgeschwatzt hatte. Was nützte da Papa Altringer's Reichthum!

»Interessirt sich Deine Frau nicht für die Kunstschätze, die großartige Szenerie Roms?«. fragte ich. »Ich dächte, sie müßte nicht Zeit haben, sich zu langweilen und zu schmollen.«

»Das that sie, anfangs entwickelte sie namentlich einen wahren Feuereifer; als ich sie jedoch nicht stets begleitete, weil ich vorzog, ernstere Kunststudien allein zu machen, verdampfte der oberflächliche Enthusiasmus bald. Die Sache an sich galt ihr eben nichts, wenn nicht ein Extraamüsement damit verknüpft war. Mich irritirt solch' gedankenloses Anschauen! Neulich war ich mit ihr im Vatikan, wir standen lange vor dem Apoll, und sie mochte sich langweilen, denn sie sagte plötzlich: sie finde, daß all' diese Götterbilder sich ähnlich sehen in ihrer abgeklärten Ruhe, sie suche vergebens nach einem Zuge der Leidenschaft, nach einer Physiognomie, immer sei es der gleiche impassible Ausdruck, der sie ärgere, sie hätte Lust, dem Apollo die Nase abzuschlagen, bloß um eine Veränderung hervorzubringen … Was soll ein verständiger Mann auf solche Aeußerungen erwiedern? Ich führte sie schweigend die Treppe herunter, setzte sie in den Wagen und gab mir das Wort, nie wieder ein Museum mit ihr zu besuchen.«

»Du bist zu strenge,« lachte ich, »mir scheint dieses originelle Kunsturtheil nur komisch, es ist die Boutade Laune. eines Kindes.«

«Ich aber habe kein Verständniß für Kinder,« entgegnete er kühl, sich mit müdem Ausdruck über die Stirn streichend, »und schwärme nicht dafür, mir die Gattin erst zu erziehen. Wie selten begegnet man einer Frau mit tiefer, warmer Empfindung, deren Gemüth die Quelle ist, aus der der Mann immer neue Kraft und Anregung schöpft! Unsere jungen Mädchen wissen nicht einmal, ob sie Den lieben, den sie heirathen; die Heirath ist ihnen die Hauptsache, die Selbstständigkeit, die Stellung, die Toiletten der Frau! Geht eine Verlobung aus irgend welchen Gründen zurück, so ist die junge Dame nach wenigen Wochen zu einem neuen Bunde bereit – wer in dem Bräutigamsfrack steckt, ist gleichgültig.«

Während er sprach, schweiften seine Augen aufmerksam über die Häuser an beiden Seiten des Korso, es war ein ganz eigen forschender Blick, mit dem er die schönen Frauengesichter musterte.

»Suchst Du nach Bekannten?« fragte ich. Da er seit zwei Monaten in Rom war, mußte er bereits zahlreiche Beziehungen angeknüpft haben, er grüßte auch häufig nach den Fenstern hinauf und ihm wurde vielfach Erwiederung durch ein Bouquet zu Theil.

»Lache mich nicht aus, wenn ich Dir sage, wen ich suche,« erwiederte er, »ein Wesen, das ich noch nie gesehen, von dem ich nicht weiß, ob es blond oder brünett, hübsch oder häßlich ist, der Ausdruck ›Wesen‹ paßt überhaupt in diesem besondern Falle nicht – ich suche eine Stimme!«

»Eine Stimme?« wiederholte ich verblüfft.

Er nickte und erzählte mir dann Folgendes zu näherer Erklärung. Vor einigen Tagen sei er spät Abends nach seiner Wohnung die zweite Etage eines Palazzo an der Piazza di SS. Apostoli zurückgekehrt, und habe in halber Zerstreuung einen andern Weg wie sonst eingeschlagen, der ihn durch ein enges, mangelhaft erleuchtetes Vicolo oder Gäßchen geführt hätte. Ehe er sich noch habe orientiren können, hätte er plötzlich eine Stimme, natürlich eine Frauenstimme, vernommen, deren Wohlklang und Zauber er nicht zu schildern vermöge; gebannt, verzückt sei er stehen geblieben, um dem Gesange zu lauschen. Ihm wäre gewesen, als schwebten die Klänge direkt vom Himmel hernieder; er hätte sich vor einer alten, hie und da von vergitterten Fenstern durchbrochenen Mauer befunden, ein mächtiges, mit Eisenstangen verrammeltes Thor verspottete jeden Gedanken an ein Eindringen. Das uralte Gebäude habe ihm einen unbewohnten Eindruck gemacht und dennoch seien die bestrickenden Töne aus dem schwarzen Gemäuer gedrungen. Endlich hätte er in ziemlicher Höhe einen Lichtschimmer hinter einem Fenster entdeckt. »Dort weilte die geheimnißvolle Sängerin,« rief er, von der Erinnerung begeistert, »und mein Ohr schwelgte unersättlich im Wohllaut ihrer Stimme, alle Accente des Gefühls, der Leidenschaft standen ihr zu Gebot, eine glühende Seele offenbarte sich in jedem Ton! Ich wäre die ganze Nacht hindurch auf meinem Posten unter der Gaslaterne geblieben, seit Jahren hatte Musik nicht so gewaltig auf mich gewirkt. Als die Sängerin eine glänzende Kadenz mit dem spielenden Uebermuth der Meisterschaft hinausschleuderte, vermochte ich meine Begeisterung nicht zu zügeln, ›Brava! Brava!‹ schrie ich und klatschte in die Hände. Da hörte ich einen eingerosteten Fensterflügel sich knarrend bewegen, ich meinte die Umrisse einer weißen Gestalt zu erkennen, die sich weit herauslehnte, und ein blühender Orangenzweig fiel zu meinen Füßen nieder.«

»Ein Abenteuer, wie man es artiger nicht träumen. kann!« sagte ich etwas neidisch. Warum hatte ich es nicht erlebt? Ich hätte mich ebenso gern in den Vicolo verirrt und der Stimme gelauscht, ich würde ebenfalls Brava! gerufen und tüchtig applaudirt haben. Der Orangenzweig hätte mir als passe-partout gedient; ein verheiratheter Mann durfte sich, streng genommen, nicht auf weitere Nachforschungen einlassen, ich aber würde den Zugang zu der Schönen entdeckt haben. Schöne?! Mißtrauen regte sich in mir … »Wenn sie nun häßlich ist?« fragte ich bedenklich.

»Unmöglich!« entgegnete Raoul rasch, »sie muß ein reizendes, verführerisches Weib sein!«

»Weßhalb verbirgt sie sich dann in ein dunkles Seitengäßchen? Ich bitte Dich, denke an manche berühmte Primadonna, die wir auf der Szene als Künstlerin bewunderten und als Weib nicht ansehen mochten. Welche schauderhaften Physiognomieen kamen oft zum Vorschein, wenn sich Rezia oder Valentine Rezia: Figur aus der Oper »Oberon« (1826) von Carl Maria von Weber. - Valentine: Figur aus der Oper »Die Hugenotten« (1836) von Giacomo Meyerbeer. entschleierten, und wie bedauerten wir den unglücklichen Tenor, der von der Schönheit der Holden geblendet sein mußte! Ich wette, die Stimme ist häßlich!«

»Und ich behaupte das Gegentheil!« replizirte Eckartsberg lebhaft, »ich suche ihre Besitzerin nur unter den schönsten dieser Frauen und Mädchen.«

»Du glaubst sie durch Divination zu errathen?« fragte ich, den Freund scharf anblickend. »Hast Du die Geheimnißvolle wieder gehört?«

»Gestern Abend, um dieselbe Zeit, wohl eine Stunde lang überschüttete sie mich mit den reichsten Gaben ihres Talentes – dann öffnete sich das Fenster …«

»War es wieder ein Orangenzweig?«

Die große Kartonnase verbarg nicht sein Erröthen. »Die Blüten von Thautropfen feucht,« sagte er träumerisch.

»Thautropfen? Es ist auf Dich abgesehen, mein Guter, nimm Dich in Acht, eine Teufelei steckt dahinter, dieser vicolo delle grazie will mir nicht gefallen.«

»Unsinn, Lewin, Du sollst sie heut Abend hören, ich nehme Dich mit, und wenn Du sie nicht für eine Sirene, eine Göttin hältst, so bist Du ein unmusikalischer Barbar, ein Klotz, oder Du hast überhaupt keine Ohren!«

Letzterer Vorwurf war lächerlich, ich hatte Ohren, und was für welche! Groß und abstehend, zu meinem steten Aerger.

»Abgemacht, ich begleite Dich! Die Vorsehung hat mich vielleicht zu Deinem Glück nach Rom gesandt. Poche nicht zu sehr auf Dein reifes Alter, der einzige Gewinn desselben ist, daß man auch die Dummheiten ernster behandelt.«

Wir waren vor dem Palazzo Chigi angekommen, die gegenüberliegenden, von der Nachmittagssonne grell bestrahlten Häuser leuchteten im Farbenschmuck der rothen Draperieen, die von allen Balkons herunter flatterten.

»Könnte das nicht die Stimme sein?« raunte ich meinem Freunde zu, auf eine herrliche Gestalt mit wundervoll geformten Schultern deutend, in deren stolzem, bleichem Gesichte römische Augen glühten.

Er zuckte zusammen, was ich als Symptom eines krankhaft erregten Zustandes notirte, und drehte sich so hastig um, daß seine Nase mit der eben so excentrischen eines dottore in Kollision gerieth. Nachdem der Konflikt mit italienischer Höflichkeit gelöst und verschiedene: » Scusi Signore!« ausgetauscht waren, folgte er ungeduldig meinem Fingerzeige.

»Prachtvolle Erscheinung,« sagte er nach einer Pause, »doch sie ist es nicht. Die Augenbrauen Jener sind gewölbt und ihre etwas starke Nase gebogen, die Sängerin hat feine, gerade Brauen und ein zierliches, schmales Näschen.«

Mit vollster Ueberzeugung sprach er diese Behauptung aus. Das Abenteuer fing an, mich zu beunruhigen, die Stimme schien den gelassenen, welterfahrenen Menschen behext zu haben, sollte seine niedergekämpfte Leidenschaftlichkeit noch einmal erwachen? Dann bedauerte ich seine junge Frau, die es nicht verstand, seine Neigung zu gewinnen. –



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