Wolf Graf von Baudissin
Graf Udo Bodo
Wolf Graf von Baudissin

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VIII.

In der Nacht, die dem Begräbnis seines Vaters folgte, hatte Udo Bodo, als er noch lange wach in seinem Bett lag, plötzlich das Gefühl gehabt, als wenn ein ihm bisher fremder Geist in ihn hineinfahre und es sich in seinem Innern bequem mache. Erst hatte er dem ihm fremden Gast die Tür weisen und ihn auffordern wollen, sich so schnell wie möglich wieder zu entfernen. Aber der hatte flehentlich gebeten, doch bei ihm bleiben zu dürfen, weil draußen so schlechtes Wetter sei und er im Augenblick wirklich nicht wisse, wo er sonst Obdach fände. Vor allen Dingen aber war es ihm gelungen, Udo Bodo davon zu überzeugen, daß er ihm im Laufe der Jahre nur nützen könne und daß er es später sehr bereuen würde, wenn er ihn jetzt nicht in seine Dienste nähme. Und nach kurzem Besinnen hatte Udo Bodo geantwortet: na, dann bleib meinetwegen, vielleicht hast du recht, daß ich gut tue, wenn ich in Zukunft deinem Rat folge.

Und als der kleine Teufel Udo Bodo betört hatte, lachte er leise in sich hinein und streckte sich behaglich und war mit einem schnellen Satz in Udo Bodos Gehirn gesprungen, um sich dort fortan dauernd niederzulassen. Er hatte damit gerechnet, daß die Gedanken, die dort oben wohnten, sich ihm gegenüberstellen und ihm, dem frechen Eindringling, Widerstand leisten würden, aber zu seinem Erstaunen war nichts derartiges erfolgt, ja, der kleine Teufel hatte eine beinahe ganz leere Wohnung vorgefunden und in dieser hatte er es sich so bequem wie möglich gemacht und dann zu sich gesagt: hier bin ich und hier bleibe ich!

Und dieser kleine Teufel war der Hochmutsteufel gewesen!

Dem guten Udo Bodo war das Bewußtsein, jetzt Majoratsherr und Standesherr zu sein, in seine neunzackige Krone gefahren, er glaubte plötzlich, es sich und seiner Stellung, vor allen Dingen aber dem hochseligen Grafen Kuno und seinen anderen hochseligen Ahnen schuldig zu sein, sich fortan für ein höheres Wesen zu halten.

Udo Bodo besaß keine nennenswerten Geschichtskenntnisse, denn die Geschichte hatte ihn, schon weil es eben doch nur eine »Geschichte« war, nie sonderlich interessiert, aber eins war doch in seinem Gedächtnis haften geblieben, die Worte, die Friedrich der Große gleich nach seiner Thronbesteigung seinen Rheinsberger Freunden zurief: »Meine Herren, jetzt bin ich König!« Dieses plötzlich erwachte Standesbewußtsein (denn anders legte Udo Bodo diese Worte nicht aus), hatte ihm stets gewaltig imponiert und ihn sogar einmal zu der Äußerung veranlaßt: »Friedrich der Große sei doch ein ganzer Kerl gewesen!« An diesen Ausspruch des alten Fritzen hatte er auch in der Nacht nach der Beisetzung denken müssen, und da war er unter dem Einfluß dieser Worte mitten in der Nacht aufgestanden, hatte sich vor den Spiegel gestellt, sich selbst elektrisch beleuchtet und dabei mit lauter Stimme gesagt: »Jetzt bin ich Majoratsherr!«

Und wenn er es trotzdem noch nicht gewußt hätte, die nächsten Tage hätten es ihm bewiesen. Die ganze Verwandtschaft lag vor ihm auf den Knien und beräucherte ihn mit Weihrauch, denn vielleicht war es ja doch möglich, daß er sich, wenn er erst einen Teil der ererbten Schulden bezahlt hatte, doch seiner armen Verwandten erinnern und ihre großen Geldsorgen lindern würde. Die Dienerschaft küßte ihm beinahe die Hände wund, alles, was auf dem großen Gut lebte, buhlte um seine Gunst, von nah und fern kamen Briefe und Telegramme, die zur Übernahme des Majorats gratulierten, aus der Stadt kamen die Vertreter jener Vereine und Wohltätigkeitsanstalten, die Graf Kuno unterstützt hatte, um auch die Hilfe des jetzigen Majoratsherrn für ihre Bestrebungen zu erbitten, und diejenigen Gesellschaften, denen gegenüber Graf Kuno keine offene Hand gehabt hatte, kamen jetzt erst recht, in der stillen Hoffnung, bei dem neuen Majoratsherrn das zu finden, was sie bei dem verstorbenen nicht gefunden hatten.

Es war einfach widerlich, abstoßend und anekelnd, wie man um seine Gunst und um sein Geld buhlte, aber Udo Bodo empfand das gar nicht. Der Hochmutsteufel saß schon in ihm und so schmeichelte es seinem Stolz und seiner Eitelkeit, daß sich so viele vor ihm beugten, und je tiefer sie es taten, um so größer ward in ihm das Bewußtsein seiner eigenen Macht, seiner eigenen Persönlichkeit.

Und durch und durch erfüllt von dem ihn beseligenden und beglückenden Bewußtsein: jetzt bist du Majoratsherr! war er an den Hof zurückgekehrt. Dort begrüßten ihn alle wieder mit der alten Herzlichkeit, denn es war nicht ein einziger unter ihnen, der nicht aufrichtig mit ihm zusammen getrauert hatte, und alle hatten den Wunsch und die Absicht, soweit es in ihren Kräften stand, Udo Bodo den Schmerz vergessen zu machen und ihm über die erste traurige Zeit, so gut sie es vermochten, hinwegzuhelfen. Aber als sie Udo Bodo wiedersahen, fanden sie, daß etwas Fremdes in ihn gefahren sei, das sie früher nie an ihm bemerkt hatten. So trat nach und nach zwischen ihm und den anderen Mitgliedern des Hofes eine gewisse Entfremdung ein und zuweilen schien es sogar, als ob auch der Herzog und die Herzogin ihn etwas verwundert ansähen, als begriffen sie ihn und sein Benehmen nicht ganz.

Die einzige, die ihn auch jetzt noch immer in Schutz nahm, war Komteß Blanka. Sie fand, daß Udo Bodo noch nie so komisch gewesen wäre wie jetzt, und sie begriff es gar nicht, wie jemand seine Äußerungen auch nur für eine einzige Sekunde ernst nehmen und sich über dieselben ärgern könne.

In Udo Bodo hatte sich nämlich der Hochmutsteufel immer breiter entwickelt, er litt sogar schon beinahe an Größenwahnsinn, und aus dieser Stimmung heraus hatte er sich philosophischen Betrachtungen darüber ergeben, ob er es mit seiner Würde als Majoratsherr eigentlich vereinbaren könne, auch fernerhin Adjutant Seiner Hoheit zu sein. Was er früher als große Auszeichnung betrachtet hatte, das sah er jetzt, wenn auch nicht gerade als Demütigung, so doch als etwas an, das seinem Rang und seiner Würde nicht mehr entsprach. Er strebte nach Höherem, ohne sich über dieses »Höhere« selbst vorläufig klar zu sein.

Es konnte und durfte ihm nicht mehr genügen, gewissermaßen nur der lebendige Schatten Seiner Hoheit zu sein, das war er sich selbst und seinen hochseligen Ahnen schuldig.

Und so ertappte er sich denn eines Tages dabei, daß er zu sich sagte: »Ich werde Seine Hoheit bitten, mir eine andere Stellung zu geben, die meiner jetzigen Würde mehr entspricht. Ist eine solche nicht vorhanden, dann muß sie eben gegründet werden, in der heutigen Zeit, in der alles mögliche gegründet wird, wird das keine besonderen Schwierigkeiten machen. Ich zweifle nicht daran, daß Seine Hoheit mich vollständig verstehen und sich beeilen wird, meinen Wunsch zu erfüllen, denn Seine Hoheit ist mir Allerhöchst sehr zugetan, und ich glaube, mich ihm unentbehrlich gemacht zu haben. Es wird also nur der Äußerung meiner Bitte bedürfen, um dieselbe als huldvollst gewährt betrachten zu können. Sollte aber Seine Hoheit wider alles Erwarten nicht auf meine Intentionen einzugehen geruhen, dann bliebe mir allerdings nichts weiter übrig, als Seiner Hoheit zwar nicht mein Ministerportefeuille, denn das besitze ich ja leider nicht, wohl aber meine Adjutantensporen zur Verfügung zu stellen und Seine Hoheit zu bitten, mich in Gnaden meiner Stellung entheben zu wollen, und dann –«

Als Udo Bodo so weit mit seinen Überlegungen gekommen war, versagte vorläufig die ihm innewohnende Weisheit, weiter wußte er nicht. Und doch mußte es ein: »dann« geben.

Es dauerte lange, dann aber fiel ihm das »dann« doch ein.

»Ach so, ja richtig,« sagte er sich. »Dann gibt es nur zweierlei. Du trittst entweder in die Armee zurück oder aber du bewohnst fortan Adlershorst und bleibst bis an dein Lebensende das, was du jetzt bist, Majoratsherr.«

Aber beide Aussichten hatten für ihn wenig Verlockendes. Zurück in die Armee, zurück in die Garnison, auf dem Kasernenhof stehen, sich von seinem Hauptmann und den anderen Vorgesetzten Grobheiten sagen zu lassen, weil er beim Parademarsch die Knie nicht genug durchdrückte oder die Fußspitzen nicht auswärts nahm? Entsetzliche Vorstellung! Und er, der gewohnt war, nie anders als im Viererzug zu fahren oder zu reiten, der aus innerster Überzeugung das Gehen für die unwürdigste Tätigkeit eines erwachsenen Menschen erklärte, er sollte wieder »Fußlatscher« werden? Jeden Tag, den der liebe Herrgott werden ließ, stundenlang marschieren, täglich seine zehn Kilometer zurücklegen und gar den übelriechenden Chausseestaub einatmen? Das war nicht nur unmöglich, das war einfach undenkbar. Und sein hochseliger Vater, dem er als guter Sohn die Ruhe im Grabe nicht stören durfte, würde sich einfach umdrehen, wenn er das erführe.

Gewiß, auch die Prinzen der königlichen und fürstlichen Häuser taten Dienst bei den Infanterieregimenten, aber sobald sie regierende Fürsten geworden waren, hörten sie auf, als Leutnant praktischen Dienst zu tun, dann avancierten sie mit einem kühnen Sprung gleich zum Hauptmann oder Major. Und war denn wirklich zwischen einem kleinen regierenden Fürsten und dem Majoratsherrn eines großen schönen Besitzes ein solcher Unterschied? Das leuchtete Udo Bodo jetzt noch weniger ein als früher. Gewiß, auch der Kronprinz des Deutschen Reiches war erst Hauptmann, aber der führte seine Kompagnie doch nur offiziell und bei festlichen Gelegenheiten, für gewöhnlich war der hohe Herr doch beurlaubt. Eine solche dienstliche Tätigkeit hätte Udo Bodo sich auch gefallen lassen, aber so ein gewöhnlicher Häuptling zu werden, der für jeden dreckigen Rock seiner Kerls verantwortlich war und der angeschnauzt wurde, wenn seine Leute über Urlaub blieben – pfui Teufel, der Gedanke reizte ihn gar nicht. Und dabei war er noch nicht einmal Hauptmann, bis zu dieser Charge fehlten ihm immerhin noch ein paar Jahre. Allerdings würde er ja außer der Tour befördert werden, das war ja immer so, daß die Offiziere, die prinzliche und fürstliche Adjutanten gewesen waren, über ihre Vorderleute hinwegsprangen und bedeutend schneller Karriere machten, aber trotz alledem lockte ihn der Dienst gar nicht.

Und der Gedanke, sich schon jetzt auf Adlershorst niederlassen zu müssen, lockte ihn erst recht nicht. Von der Landwirtschaft verstand er nicht das geringste, und selbst wenn er etwas davon verstanden hätte, es war ja alles verpachtet, nur die Jagd gehörte ihm, aber er konnte doch nicht tagaus, tagein auf Jagd gehen, denn es gab doch sogar Monate, in denen dieses gesetzlich verboten war. Was sollte er denn nur auf Adlershorst anfangen? Wie sein Vater den ganzen Tag in der Familienchronik lesen, an der Familiengeschichte arbeiten und eine Zigarre nach der anderen rauchen? Gewiß, standesgemäß war die Beschäftigung ja allerdings, aber er fühlte sich doch noch zu jung, um sich ihr ganz widmen zu können. Ja, wäre er verheiratet, dann würde er das Leben dort vielleicht ertragen, aber er sah es voraus, daß er sich als Junggeselle dort halbtot langweilen würde. Er würde es einfach nicht aushalten, er würde beständig auf Reisen sein, und auch das würde ihm bald kein Vergnügen mehr bereiten. Nach zwei oder drei Jahren würde er reisemüde sein und dann stand er vor derselben Frage wie heute.

Udo Bodo stöhnte schwer auf; ja, ja, es war wirklich nicht so leicht, sich seine Zukunft zu gestalten.

Wäre er ein gewöhnlicher Sterblicher gewesen, dann hätte er sich vielleicht weniger Sorgen gemacht und alles dem Schicksal überlassen. Aber er hatte einen Namen und eine Stellung und auf beides mußte er Rücksicht nehmen. Vor allen Dingen aber war ihm an seiner Wiege eine große Zukunft prophezeit worden, bis zu dieser Stunde hatte sich alles erfüllt, sollte und durfte er jetzt freiwillig aus der Öffentlichkeit zurücktreten? Hatte er nicht die Pflicht, seine Kräfte weiterhin dem Staate und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen? Mußte er nicht immer nach neuen Ehren für sich und damit auch für seine Familie streben? Von einem Ministerposten hatte ihm in seiner Jugend geträumt, konnte und durfte es da seinem Ehrgeiz genügen, nur Oberleutnant und persönlicher Adjutant Seiner Hoheit gewesen zu sein? Nie und nimmermehr! Auf Grund seiner Geburt, seines Namens, seines Vermögens, seiner goldenen Busennadeln, seiner Orden und seiner bisherigen glänzenden Karriere stand ihm der Weg zu den höchsten Ehrenstellen offen und er mußte diesen Weg auch weitergehen, das war er schon dem gräflichen Namen Adlershorst schuldig. Udo Bodo war sehr glücklich, als er sich zu dieser Erkenntnis durchgerungen hatte, und als Sohn seines Vaters wählte er lange unter seinen Zigarren, welche würdig genug sei, zur Feier dieses historischen Augenblicks geraucht zu werden. Aber als er seine Wahl getroffen und sich mit geschlossenen Augen dem Genuß der Havanna hingab, kam er plötzlich zur Überzeugung, daß ihm die Erkenntnis, die ihm eben geworden war, absolut nichts nütze. Er war durch sie keinen Schritt weitergekommen, als er es bisher schon gewesen war. Was er beschlossen hatte, kam ja alles nur für den Fall in Frage, daß der Herzog ihm einen neuen Posten gab, tat der das nicht, dann stand er doch wieder vor der Alternative, entweder wieder in die Armee einzutreten oder den Schauplatz seiner Tätigkeit nach Adlershorst zu verlegen.

»Ich muß die Sache sehr schlau und diplomatisch anfangen.« sagte sich Udo Bodo, »denn ich darf selbstverständlich Seiner Hoheit nicht die Pistole auf die Brust setzen, sondern ich muß vorher in Erfahrung zu bringen versuchen, wie Seine Hoheit über eine andere Stellung für mich denken, und erst dann darf ich meine Wünsche äußern. Bis dahin werde ich mir auch darüber klar werden, welches neue Amt ich zu verwalten gedenke. Seine Hoheit hat erst kürzlich die Gnade gehabt, meinen kolossalen Pferdeverstand zu bewundern, als es sich um den Ankauf eines allerhöchsten Leibpferdes handelte, da wäre es vielleicht nicht unangebracht, wenn ich daran dächte, Oberstallmeister zu werden. Ich will ja nicht gerade behaupten, daß der jetzige Herr seine Sache nicht versteht, aber manches könnte trotzdem nach meiner Meinung besser sein, so ist das Schimmelgespann für die Frau Herzogin entschieden nicht so zusammengestellt, wie es sich für einen tadellosen Stall gehört. Auch sonst wäre manches zu verbessern, und ich glaube, daß ich hierfür die richtige Persönlichkeit wäre. Sollte sich aber dieser Plan zerschlagen, so käme für mich wohl die Stellung als Intendant in Frage. Unser Hoftheater ist ja allerdings nur klein und das Ballettkorps zählt ja nur vierundzwanzig junge Damen, aber auch da, gerade beim Ballett, könnte vieles besser werden. Mit dem Ballettkorps geht es wie mit der Armee: beide müssen jung erhalten werden. Und die Jugend ist gerade nicht der Vorzug unserer Tänzerinnen. Da würde ich schon reformatorisch eingreifen, und was die sonstigen Kenntnisse anbelangt, so würde mir mein Onkel, Seine Exzellenz der Intendant, ja schon mit Rat und Tat zur Seite stehen, und wenn ich wirklich einmal gar nicht aus und ein wissen sollte, dann könnte ich ja immer telephonisch bei ihm anfragen. Gerade der Intendantenposten ist ja bei fast allen Hofbühnen mit früheren Offizieren besetzt, eine Tatsache, die auf das schlagendste beweist, daß wir Offiziere nicht nur hervorragende Kunstkenner, sondern auch ausgezeichnete Verwaltungsbeamte sind. Da sehe ich absolut nicht ein, warum nicht auch ich für diesen Posten die nötige Qualifikation besitzen soll. Und schließlich hat man doch auch noch seine Beamten, die ja auch ihre Erfahrungen, ihre Kenntnisse besitzen, die man sich unter Umständen zunutze, um nicht zu sagen, zu eigen machen kann. Das beste wird sein, ich spreche einmal mit Komteß Blanka über meine Pläne und frage die um Rat. Die Komteß ist klug und wird mich verstehen, wenn ich ihr sage, daß ich nach meiner festen Überzeugung nicht länger mehr die Stellung eines persönlichen Adjutanten bekleiden kann.«

Schon an einem der nächsten Tage hatte er Gelegenheit, sich mit Komteß Blanka auszusprechen. Er traf sie auf einem Spaziergang in dem großen, zum Schloß gehörigen Park, und als er anfing, ihr sein Herz auszuschütten, hörte sie ihm belustigt zu, er war doch wirklich ein zu sonderbarer Mensch, bei dem immer ein komischer Einfall den anderen verdrängte. Sie dachte nicht daran, seine Worte auch nur einen Augenblick ernst zu nehmen, sie faßte diese lediglich als Scherz auf, und so ging sie denn auf den heiteren Ton, in dem er nach ihrer Auffassung mit ihr plauderte, auch ihrerseits ein.

»Sie haben vollständig recht, Graf, und ich fühle es Ihnen ganz nach, daß Ihre jetzige Stellung Sie nicht mehr befriedigen kann, daß Sie es sich und Ihren Ahnen schuldig sind, sich, wie man es bei den Dienstboten nennt, zu verändern.«

»Ich wußte es ja, Komteß, daß Sie mich verstehen würden,« sagte er ganz glücklich, und nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Sehen Sie, Komteß, ich habe da neulich mal die Zeitung gelesen.«

»Graf, Graf, renommieren Sie nicht,« neckte sie.

»Wahrhaftig, Ehrenwort,« versicherte er, dann fuhr er fort: »Oft nehme ich natürlich das Dings nicht zur Hand, denn was soll man eigentlich in einer Zeitung lesen? Die Annoncen interessieren mich nicht, die Geschichten von gräßlichen Unglücksfällen, Mord und Totschlag ekeln mich an und verletzen mein ästhetisches Empfinden, die Telegramme werden um so schneller widerrufen, je dicker sie am ersten Tag gedruckt sind und je zuverlässiger angeblich die Quelle ist, na, und das sogenannte Feuilleton? Da muß ich wirklich sagen, ob die beiden sich in der Erzählung kriegen oder nicht, ist mir so gleichgültig wie nur irgend etwas auf der Welt.«

»Sie haben eine Auffassung über das Zeitungswesen, die wirklich köstlich ist,« sagte sie lachend, und dann fragte sie: »Und die Leitartikel, die Politik?«

»Sehe ich gar nicht an, wozu auch? Wie sich das für jeden anständigen Menschen von selbst versteht, bin ich konservativ bis in die Fingerspitzen hinein, in diesem Sinne mache ich mir über alles meine eigenen Gedanken und diese allein sind für mich maßgebend. Wie kann es mich da interessieren, was ein Herr Schulze oder ein Herr Müller oder irgendein anonymer Schreiber, von dessen Bildung und Wissen ich gar keine Ahnung habe, dazu sagt?«

»Da haben Sie abermals recht,« bestätigte sie lachend, »aber dann begreife ich nicht, warum Sie dann vor einigen Tagen, wie Sie sagten, die Zeitung zur Hand nahmen?«

»Ich wollte etwas einwickeln oder besser gesagt einwickeln lassen, und da fiel mein Blick zufällig auf den Bericht einer Reichstagsverhandlung.«

»Die haben Sie also doch gelesen?« neckte sie.

»Gewiß, das heißt,« verbesserte er sich, »ich habe natürlich nicht alles gelesen, sondern nur das, was die Minister sagten, in erster Linie natürlich die Rede des Herrn Reichskanzlers. Es hat ja schon früher bedeutende Redner gegeben, namentlich Bismarck soll ja in dieser Kunst auch nicht ganz unerfahren gewesen sein, aber wie Fürst Bülow das macht und wie der so egal die geistreichen Aussprüche aus dem Ärmel herausschüttelt, gewissermaßen als wenn es gar nichts wäre, einfach fabelhaft! Finden Sie nicht auch, Komteß?«

»Gewiß,« stimmte sie ihm bei, »er ist ein geistreicher Redner und es kommt ihm sehr zur Hilfe, daß er die Werke unserer großen Dichter so genau gelesen hat.«

»Ich glaube sogar, man könnte sagen, er ist selbst ein großer Dichter,« meinte Udo Bodo nachdenklich, »denn neulich habe ich ein Wort von ihm gelesen, das nicht nur meinen Beifall, sondern auch den des ganzen Hauses gefunden hat, wie es aus den ausdrücklich vermerkten lauten Bravorufen hervorgeht.«

»Und wie lautete das Wort?«

»Es wächst der Mensch mit seinen höh'ren Zwecken.«

»Ist das Wort wirklich vom Fürsten Bülow?« fragte sie anscheinend ganz ernsthaft.

»Aber natürlich, er hat es doch gesagt, von wem soll es da sonst wohl sein?« fragte er verwundert und fuhr dann fort: »Und sehen Sie mal, Komteß, bei dem Wort mußte ich an mich selber denken: es wächst der Mensch mit seinen höh'ren Zwecken. Warum soll ich da jetzt nicht auch wachsen? Wenn auch nicht gerade in bezug auf meine Körpergröße, so doch in anderer Hinsicht.«

»Selbstverständlich, warum sollen Sie da nicht auch wachsen?« fragte sie lustig. »Und wie weit wollen Sie es denn bringen? Wie weit reicht Ihr Ehrgeiz?«

»Hoch hinauf, Komteß, sogar sehr hoch!«

»Um Gottes willen, Sie wollen doch nicht etwa den Herzog ermorden und hier alle entthronen?« fragte sie lustig erschrocken.

»Na, ganz so weit gehen meine Wünsche denn doch noch nicht,« beruhigte er sie, »aber Oberstallmeister oder Hoftheater-Intendant, das würde so meinen Plänen entsprechen.«

»Von den Pferden bis zur Kunst ist ja auch nur ein Schritt,« meinte sie, aber er verstand den ironischen Tadel nicht.

»Sogar nur ein sehr kleiner,« stimmte er ihr bei. »Glauben Sie mir, Komteß, einen Viererzug tadellos anzuschirren und ebenso einzufahren, ist zum mindesten ebenso schwer, wie beim Ballett irgendeinen festlichen Aufzug zu arrangieren. Und bedenken Sie: die jungen Pferde haben keine Ahnung von dem, was sie tun sollen, aber unsere alten Ballettdamen wissen das ganz genau, denen braucht man nur zuzurufen: ›Ballett – hopp!‹ und dann hüpfen und hopsen sie darauf los, einmal auf dem rechten Bein und einmal auf dem linken, und zwischendurch auch einmal auf beiden.«

»Lassen Sie das nur nicht unsere Primaballerina hören, Graf! Wenn die erfährt, daß ihr zukünftiger Intendant so gering von ihrer Kunst spricht, gibt es eine Revolution.«

»Alte Damen pflegen sich ebenso schnell wieder zu beruhigen. Aber glauben Sie nicht auch, Komteß, daß ein derartiger Posten etwas für mich wäre?«

»Sicher,« stimmte sie ihm zu. »Ich begreife überhaupt nicht, daß der Herzog Ihnen nicht schon lange freiwillig eins dieser Ämter angeboten hat.«

»Ich war ihm noch zu jung, Komteß,« wehrte er bescheiden ab, »aber jetzt, wo ich Majoratsherr bin –«

»Das ist allerdings etwas Großes,« pflichtete sie ihm bei. Es amüsierte sie immer mehr, wie er so ganz ernsthaft seine lustigen Einfälle zum besten gab, ohne dabei auch nur ein einziges Mal aus der Rolle zu fallen und ohne selbst über den Unsinn, den er da redete, zu lachen.

»Sogar etwas sehr Großes, Komteß. Ich will nicht gerade behaupten, daß ein Majoratsherr auch von Gottes Gnaden ist –«

»Nein, nein, nicht ganz,« unterbrach sie ihn lustig.

»Aber doch so immerhin gewissermaßen. Man ist doch ein anderer Mensch als andere Menschen.«

»Finden Sie? Das ist mir neu.«

»Mir eigentlich auch,« versicherte er treuherzig. »Ich bin erst allmählich, oder besser gesagt, erst nach dem Tode meines hochseligen Vaters zu dieser Überzeugung gekommen.«

»Nur gestorbene Fürsten sind hochselig, alle anderen Toten sind nur selig,« belehrte sie ihn. »Lassen Sie Ihre Worte nur sonst niemand hier am Hofe hören.«

»Für mich ist Graf Kuno hochselig,« widersprach ihr Udo Bodo. »Und diese meine Auffassung würde ich selbst Seiner Hoheit gegenüber zu vertreten wissen.«

»Na, so weit wird es ja schon nicht kommen,« beruhigte sie ihn, »aber Sie wollten mir erzählen, seit wann Sie von dem Gefühl durchdrungen sind, als Majoratsherr ein höherer Mensch zu sein?«

»Seitdem ich es bin.«

Sie lachte laut auf: »Das kann ich mir denken, oder wollten Sie damit sagen, daß dieses Gefühl ganz plötzlich in Ihnen wach geworden ist?« Und als er ihr zustimmte, fragte sie weiter: »Und Sie fühlen sich glücklich bei der Erkenntnis, die Ihnen geworden ist?«

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, ich halte es einfach für meine Pflicht, so zu denken, wie ich es tue.«

»Im Denken sind Sie überhaupt groß,« neckte sie ihn. »Ich würde an Ihrer Stelle ein Buch schreiben: ›Gedanken eines Majoratsherrn‹, oder ›Persönliche Gedanken eines persönlichen Adjutanten.«

Aber Udo Bodo winkte ab. »Es gibt schon so wie so genug Bücher, die kein Mensch liest, und dazu dies ekelhafte Schreiben – gräßliche Beschäftigung! Briefe schreiben ist schon schlimm, aber was darüber ist, das ist vom Übel!« Und als sie widersprach und ihm erzählte, daß sie sogar ein ausführliches Tagebuch führe, um später, wenn sie einmal nicht mehr am Hofe sei, sich stets die Erinnerung an vergangene Zeiten wieder auffrischen zu können, sah er sie ganz erstaunt an. »Sie kommen mir wie die reine Überfrau vor, Komteß, Sie sind immer heiter und vergnügt, Sie sind klug, Sie führen sogar ein Tagebuch, Sie sind die einzige, die mich wirklich versteht, überhaupt, Komteß, Sie hat ein guter Stern hierhergeführt, wenigstens für mich.«

»Graf, Graf,« fügte sie munter, »das klingt ja beinahe wie eine –«

Udo Bodo bekam einen Todesschrecken: er hatte es selbst gemerkt, daß seine Stimme viel herzlicher, viel wärmer klang als sonst, und allen guten Vorsätzen zum Trotz hatte er, während er zu ihr sprach, seine Augen nicht von ihr abgewandt. Hatte er sich nun doch verraten? Wußte sie, wie es in ihm aussah? Das durfte nie und nimmer sein, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, und so unterbrach er sie denn ganz schnell: »Nein, Komteß, Sie irren sich, das soll es nicht sein, ganz gewiß nicht.«

Sie lachte laut auf: »Graf, beruhigen Sie sich nur, ich meinte es ja auch gar nicht ernsthaft.«

»Gott sei Dank,« entrang es sich unwillkürlich seinen Lippen.

Sie mußte abermals lachen: »Na, wissen Sie, Graf, übertrieben galant finde ich diesen Ausdruck nun gerade nicht!«

»Ich auch nicht,« stimmte er ihr bei. »Aber um Gottes willen, Komteß, tun Sie mir den einzigen Gefallen, nehmen Sie ihn mir nicht übel!«

»Ich denke ja gar nicht daran,« tröstete sie ihn.

Und abermals entrang sich ein: »Gott sei Dank« seinen Lippen.

»Dieses Mal klangen die Worte aber viel liebenswürdiger als vorhin,« scherzte sie.

»Haben Sie es bemerkt?« fragte er ganz glücklich. »Ich hätte es ja auch gar nicht ertragen, wenn Sie mir Ihre Huld entzogen hätten. Was sollte ich hier auch wohl anfangen, wenn ich nicht die Freude hätte, Sie täglich zu sehen, mit Ihnen zu plaudern, mich täglich an Ihrer Schönheit zu erfreuen –«

»Graf, Graf, das klingt ja schon beinahe wieder wie eine –«

»Das soll es aber auch dieses Mal nicht,« unterbrach er sie abermals schnell. »Ich wollte natürlich etwas ganz anderes sagen – was war es denn nur?« Er dachte nach, aber ihm fiel absolut keine Ausrede ein, und so zog er denn plötzlich seine Uhr: »Herrgott, Komteß, ich sehe eben, es ist schon fünf Uhr durch – ich habe eine wichtige Verabredung, zürnen Sie mir nicht, wenn ich Sie verlasse,« und nach flüchtiger Verabschiedung eilte er davon.

Belustigt sah sie ihm nach: »Ein komischer Heiliger, dieser gute Udo Bodo! Ich möchte wohl wissen, ob es einen Menschen, wie er es ist, zum zweitenmal gibt?«

In der Erinnerung amüsierte sie sich noch lange über seine phantastischen Zukunftspläne, und als sie eine Stunde später mit der Frau Herzogin spazieren fuhr, lachte sie, allem Zeremoniell entgegen, plötzlich laut auf, als sie sich in Gedanken Udo Bodo als Theaterintendanten vorstellte, wie er ein neues Ballett einfach mit den Worten: »Ballett – hopp!« einstudierte.

Es war ein sehr hübscher und sehr leutseliger Zug der früheren Prinzessin Thea, daß sie, auch als sie Herzogin geworden war, das vertrauliche »Du«, mit dem sie Blanka stets angeredet hatte, auch fernerhin beibehielt. Selbstverständlich war aber dieses »Du« nur ganz einseitig, die Herzogin sagte zu Blanka »Du«, und diese durfte dafür nicht »Sie« sagen, sondern mußte immer in der dritten Person sprechen.

So erkundigte sich denn jetzt die Herzogin: »Worüber lachst Du, Blanka?«

Und Blanka gab Rede und Antwort. Zuerst allerdings hatte sie vor Schrecken beinahe die Besinnung verloren, als sie sich erdreistete, zu lachen, ohne daß die Frau Herzogin ihr hierzu Veranlassung gegeben hatte. Selbst der Kutscher und der Diener auf dem Bock waren bei diesem Lachen erschrocken zusammengefahren, und auch die feurigen Rappen hatten unwillig über dieses unpassende Benehmen der Hofdame hinten ausgekeilt, aber alles beruhigte sich wieder, als die Prinzessin in ihrer liebenswürdigen Art fragte: »Blanka, worüber lachst Du?«

Und als sie es erfahren, lachte auch die Herzogin. »Graf Udo Bodo ist wirklich köstlich! Wenn er nicht Graf wäre, hätte er Schriftsteller werden müssen, um seine komischen Einfälle könnte ihn mancher Humorist beneiden, vor allen Dingen um seine große Gabe, alles mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt vorzutragen. Ich sehe Udo Bodo ordentlich vor mir, wie er Dir seine Phantasien entwickelte und dabei den Anschein erweckte, als sei er sich der unsagbaren Komik seiner Worte gar nicht bewußt. Und Udo Bodo Hoftheater-Intendant! Wie wollte er doch ein neues Ballett einstudieren? Ballett – hopp? Der Ausdruck ist geradezu klassisch, und der Herzog wird Tränen lachen, wenn ich ihm denselben erzähle.«

Aber der Herzog lachte sonderbarerweise gar nicht, denn Seine Hoheit geruhten heute sehr ungnädig zu sein. Und das hatte seinen guten Grund. Seine Hoheit war nun schon bald ein Jahr verheiratet und immer noch war kein Anzeichen dafür vorhanden, daß das Land den sehnlichst erwarteten Thronerben erhalten würde. Im Gegensatz zu anderen gewöhnlichen Sterblichen hatte er doch nur mit der ausgesprochenen Absicht geheiratet, Vater zu werden, und nun wurde er es nicht. Und daß er es nicht wurde, ärgerte ihn. Aber noch mehr ärgerte es ihn, daß die Zeitungen anfingen, in ihren Leitartikeln wieder die Lage seines Herzogtums zu besprechen und ihren Vermutungen darüber Ausdruck zu geben, wem wohl später die Thronfolge zufiele, wenn auch in Zukunft, wie es ja fast den Anschein zu haben scheine, die Ehe des herzoglichen Paares kinderlos sein sollte. Gerade heute hatte er wieder einen derartigen Artikel gelesen und sich über denselben maßlos geärgert. So hatte er für Udo Bodos Scherze gar kein Verständnis, ja noch mehr, dieselben verdrossen ihn geradezu, und er nahm sich vor, Udo Bodo zu ersuchen, solche Reden in Zukunft zu unterlassen, damit nicht vielleicht doch jemand auf den Gedanken käme, er trüge sich in Wirklichkeit mit solchen Plänen.

So bat er ihn denn gleich nach dem Diner, als die Herzogin sich mit ihren Hofdamen in ihre Gemächer zurückgezogen hatte, zu sich in seine Zimmer: »Ich möchte mit Ihnen sprechen, Graf.«

Udo Bodo wußte nicht, wie es kam, aber eine innere Summe sagte ihm: »Der Augenblick, den du selbst herbeiführen wolltest, ist jetzt da. Der Herzog will dir eine Rangerhöhung zuteil werden lassen. Nun entscheidet sich dein Geschick.«

In seinem Zimmer angekommen, zündete sich der Herzog eine Zigarre an, aber vergebens wartete Udo Bodo darauf, daß der Herzog heute auch ihm, wie sonst stets, eine Havanna anböte.

»Hoheit will mir meine Beförderung möglichst feierlich mitteilen,« dachte Udo Bodo. »Hoheit hält es nicht für passend, daß ich in dem Augenblick, da ich mein Avancement erfahre, rauche, und Hoheit wird später selbst seine Zigarre fortlegen, denn auch Seine Hoheit wird es nicht passend finden, mir die Ernennung zu meiner neuen Charge rauchend mitzuteilen.«

Aber Hoheit dachte nicht daran, die Zigarre fortzulegen, im Gegenteil, er verbreitete wahre Dampfwolken um sich herum und ging ziemlich erregt auf und ab.

Endlich blieb er vor Udo Bodo stehen: »Mein lieber Graf, mir sind heute Äußerungen zu Ohren gekommen, die Sie haben fallen lassen, die ich lieber nicht gehört hätte. Sie wissen, wie ich Sie achte und schätze, und ich glaube Ihnen erst vor kurzem bei dem Trauerfall, der Sie betraf, Beweise davon gegeben zu haben, sowohl Ihnen wie Ihrem hochseligen Toten.«

Also Graf Kuno war doch hochselig! Udo Bodo frohlockte im stillen. Was würde Komteß Blanka sagen, wenn sie erfuhr, daß selbst Seine Hoheit den Grafen Kuno zu den Hochseligen zählte?

»Eure Hoheit haben stets die Gnade gehabt, mich mit huldvollster Gunst auszuzeichnen,« erwiderte Udo Bodo ganz erstaunt. »Um so schmerzlicher ist es mir, Eurer Hoheit wenn auch nur unwissentlich Veranlassung gegeben zu haben, mit mir unzufrieden zu sein. Darf ich hoffen, daß Eure Hoheit die Gnade haben werden, mir zu sagen, wodurch ich den Unwillen Eurer Hoheit erregte?«

Der Herzog hatte seine Wanderung inzwischen wieder aufgenommen, jetzt blieb er abermals vor Udo Bodo stehen: »Ihre Hoheit die Frau Herzogin wußte, daß mich heute besonders schwere Regierungssorgen drückten, und um mich aufzuheitern, erzählte mir die Frau Herzogin den Inhalt eines Gesprächs, das Sie heute nachmittag im Schloßgarten mit der Komteß Blanka geführt hatten. Ihre Hoheit haben sich über die Zukunftsgedanken, die Sie entwickelten, köstlich amüsiert, aber ich selbst bin der Ansicht, daß Sie derartige Dinge auch nicht im Scherz sagen dürfen. Sie wissen ja, wie leicht bei Hof jemand in den Verdacht gerät, auf Kosten der anderen Karriere machen zu wollen, und jemand, der Sie nicht so gut kennt wie ich, könnte leicht glauben, daß Sie wirklich mit Ihrer jetzigen Stellung unzufrieden sind, daß Sie in der Tat daran denken, einen anderen Posten bekleiden zu wollen. Das würde böses Blut machen und Sie selbst in ein nicht eben vorteilhaftes Licht stellen. Ich für meine Person weiß ja, daß Ihre Ideen nur scherzhaft gemeint sind, Sie erinnern mich manchmal an den bekannten französischen Schriftsteller Jules Verne, der bekanntlich auch beständig im Reich der Lüfte und der Phantasien lebte. Sie kennen doch seine Schriften?«

»Ich kann mich im Augenblick leider nicht entsinnen, Hoheit. Außer dem berühmten Roman ›Nana‹ –«

»Den kenne ich nun wieder nicht,« unterbrach ihn der Herzog. »Aber gleichviel bitte ich Sie, in Zukunft derartige scherzhafte Redensarten zu unterlassen, da diese von dritter Seite leicht falsch ausgelegt werden könnten.«

Udo Bodo stand da und machte ein Gesicht, dessen Ausdruck an Torheit und Dummheit auch nicht das geringste zu wünschen übrigließ. Selbst Seiner Hoheit war dieses Mienenspiel seines Adjutanten neu, und trotz seines Ärgers lachte er laut auf.

»Aber Graf,« schalt er halb belustigt. halb verdrießlich, »schneiden Sie doch nicht solche Grimassen, das ist ja fürchterlich. Sagen Sie lieber, daß es mir gelungen ist, Sie zu überzeugen.«

Endlich hatte Udo Bodo seinen alten Gesichtsausdruck wiedergewonnen und richtete sich noch stolzer und höher auf als sonst. »Verzeihung, Hoheit,« begann er.

Aber der Herzog unterbrach ihn sofort: »Lieber Graf, Sie brauchen mich deswegen doch nicht erst feierlich um Verzeihung zu bitten.«

Aber Udo Bodo fing noch einmal von vorne an: »Verzeihung, Hoheit!«

»Was soll ich Ihnen denn nun eigentlich verzeihen?« fragte der etwas nervös und ungeduldig.

»Verzeihung, Hoheit,« begann Udo Bodo zum drittenmal, »ich halte es für meine Pflicht, Eure Hoheit ganz untertänigst darauf aufmerksam zu machen, daß meine Worte keineswegs scherzhaft gemeint waren. Ich sage das selbst auf die Gefahr hin, Eure Hoheit zu erzürnen und mir die Gunst Eurer Hoheit dauernd zu verscherzen. Wenn Eure Hoheit nicht heute zufällig meine Wünsche erfahren hätten, so wäre ich selbst an einem der nächsten Tage vor Eure Hoheit hingetreten, um eine Veränderung meiner Stellung untertänigst zu erbitten. Seit dem Tode meines hochseligen Vaters –«

»Ihres seligen Herrn Vaters wollen Sie sagen.« verbesserte ihn der Herzog.

Aber Udo Bodo widersprach: »Eure Hoheit haben vorhin selbst geruht, meinen Herrn Vater hochselig zu nennen.«

»Da habe ich mich natürlich nur versprochen,« erwiderte der Herzog. »Aber gleichviel ob selig oder hochselig: was wollten Sie sagen?«

»Ich bin jetzt Majoratsherr, Hoheit, und als solcher glaubte ich die untertänige Bitte aussprechen zu dürfen, mir eine Stellung zu geben, die meinem Rang und meiner Würde mehr entspricht als die eines persönlichen Adjutanten.«

Aber der Herzog wurde ungnädig: »Sie sind nicht nur Majoratsherr, Graf, Sie sind auch Oberleutnant in der Armee, und zwar nur Oberleutnant, bitte, vergessen Sie das nicht. Sie bekleiden eine Stellung, die dieser Charge vollständig entspricht, und im übrigen muß ich es mir selbst vorbehalten, die Beförderung in meinem Hofstaate vorzunehmen, die ich für gut halte. Aber selbst wenn ich Ihrem Wunsche entsprechen sollte, denken Sie denn wirklich im Ernst daran, gleich Oberstallmeister mit dem Titel Exzellenz oder gar Intendant meines Hoftheaters zu werden? Nehmen Sie es mir nicht übel, aber unwillkürlich steigt die Erinnerung an den Tag in mir herauf, als ich Sie nach meinem Regierungsantritt zum erstenmal zu mir bat. Damals erklärten Sie mir mit der feierlichsten Miene von der Welt, Sie wären bereit, jeden Posten zu übernehmen, sogar den eines Ministers. Erinnern Sie sich noch?«

»Gewiß, Hoheit. Und heute ist es mir mit meinen Worten ebenso sehr Ernst.«

»Wie Sie damals mit mir hinterher zusammen über Ihre Worte gelacht haben, werden Sie es auch jetzt tun,« beruhigte ihn der Herzog. »Wenn auch vielleicht nicht heute, so doch in einigen Tagen. Trotz aller Ihrer Versicherungen nehme ich Ihre Wünsche auch heute noch nicht ernst, wie gesagt, auch Sie werden schon noch darüber lachen. Und damit genug für heute, ich habe noch zu arbeiten.«

Udo Bodo war entlassen, zum erstenmal ohne Händedruck, zum erstenmal ohne eine Zigarre erhalten zu haben, und mancher andere würde über dieses Zeichen einer leichten Ungnade untröstlich gewesen sein, aber Udo Bodo regte sich nicht weiter darüber auf, sondern sagte sich: Seine Hoheit wird schon zur Vernunft kommen und einsehen, daß meine Wünsche durchaus gerechtfertigt sind.

Aber Seine Hoheit dachte gar nicht daran, das einzusehen. Der Herzog saß in einem Stuhl und dachte über seinen Adjutanten nach. »Ja, ist es denn möglich,« fragte er sich immer wieder, »ich kenne Udo Bodo nun doch schon so viele Jahre, sollte ich ihn trotzdem bis zum heutigen Abend so vollständig verkannt haben? Wenn es ihm wirklich Ernst ist mit seinen Worten, was ich nachgerade selbst glaube, obgleich ich es natürlich vorhin nicht zugeben durfte, dann ist Udo Bodo ja von einer geistigen Beschränktheit, die geradezu beängstigend ist, dann wären ja alle seine Aussprüche, die ich für mehr oder weniger beabsichtigte komische Wendungen hielt, weiter nichts als Zeichen seiner Dummheit. Sollte ich mich so in ihm geirrt haben? Noch kann und will ich es nicht glauben, schon um meiner selbst willen nicht, denn dann wäre ich absolut kein Menschenkenner und gerade als Fürst habe ich die Pflicht, auch diese Kunst zu beherrschen, damit ich nur solche Leute an meinen Hof heranziehe, deren Wirken entweder für mich oder für mein Land von Nutzen ist. Wenn ich Udo Bodo heute wirklich richtig erkannt habe, was mir sowohl für mich selbst als auch für ihn aufrichtig leid tun würde, dann ist seines Bleibens hier natürlich nicht mehr länger, dann muß ich ihn fallen lassen. Ein wahres Wunder, daß er bisher nicht nur mich, sondern auch alle anderen über seine geistige Befähigung zu täuschen vermochte – allerdings, was hat solch Adjutant auch viel zu sagen. Sein alter Name, seine Erscheinung und sein Vermögen werden das ihrige dazu beigetragen haben, daß man ihn stets für klüger hielt, als er es nach den Proben, die er heute ablegte, wirklich zu sein scheint. Aber gleichviel, einen Adjutanten, dessen geistige Begabung nicht über jeden Zweifel erhaben ist, kann und darf ich nicht in meiner Nähe dulden. Es wäre doch immerhin möglich, daß einer der befreundeten Regenten, wenn er mir oder der Frau Herzogin einen Besuch abstattet, Udo Bodos Torheit erkennt und dann zu mir sagt: ›Liebwerter Freund und Bruder – wie können Sie es aushalten, täglich einen derartigen Adjutanten um sich zu haben.‹ Dann wäre ich blamiert, ich, der Herzog Karl Friedrich. Das geht nicht, das darf nie und nimmer sein, und aus denselben Gründen darf ich auch jetzt unter keinen Umständen zugeben, daß ich Udo Bodo erst heute erkannt zu haben glaube. Ich darf überhaupt nicht einmal verlauten lassen, daß ich heute auch nur ein Atom anders über ihn denke als früher. Je länger ich mir seine Worte ins Gedächtnis zurückrufe, desto klarer wird es mir, daß es ihm wirklich Ernst zu sein schien mit dem was er sagte, daß er trotz seiner Jugend sich um ein Amt bewirbt, das nur erfahrenen Männern zukommt. Ich tat das Klügste, was ich tun konnte, als ich fast ganz gegen meine Überzeugung seine Worte scherzhaft nahm. – Zum zweitenmal darf ich sie aber nicht hören, sonst müßte ich Udo Bodo offiziell in Ungnade fallen lassen. Und das darf nicht sein. Schon um meiner selbst willen nicht, damit es nicht heißt, ich hätte mich in ihm geirrt.«

Seine Hoheit geruhten, sich von dem vielen Nachdenken einen Augenblick auszuruhen, dann nahm er diese anstrengende Tätigkeit von neuem auf, und schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit umspielte ein zufriedenes Lächeln seinen Mund. »So geht's, so geht es sogar ausgezeichnet,« sprach Seine Hoheit vor sich hin. »Ich werde Udo Bodo schreiben, ich hielte es in seinem eigenen Interesse und in Berücksichtigung dessen, daß er Majoratsherr sei, für besser, daß er zunächst einmal eine höhere militärische Charge erhielte. Ich werde ihm raten, sofort wieder in die Armee einzutreten. An den wärmsten Empfehlungen für ihn werde ich es selbstverständlich nicht fehlen lassen, und wenn er dann später Hauptmann oder gar Stabsoffizier ist und wenn dann auf beiden Seiten noch Lust und Neigung besteht, wieder in persönliche Berührung zueinander zu treten, dann bietet sich dazu ja immer noch Gelegenheit. Diesen Trost werde ich ihm auch mit auf den Weg geben und ihm die Möglichkeit nicht rauben, später vielleicht doch noch einmal ein anderes Amt an meinem Hofe zu bekleiden.«

Aber auch für den Fall, daß Udo Bodo später keine neue Hofstellung erhalten könne, wollte der Herzog ihm stets seine Huld und seine Freundschaft bewahren und seinen weiteren Lebensweg stets mit dem größten Interesse verfolgen.

Als Seine Hoheit diesen Entschluß gefaßt hatte, war er sehr glücklich und sein erster Gedanke war, Udo Bodo sofort einen Brief zu schreiben und ihm alles mitzuteilen. Aber er sah voraus, daß das Schreiben zu lang würde, um es noch heute abend zu vollenden, und außerdem klang das geschriebene Wort leicht kalt und unfreundlich, und das sollte es nicht. So nahm der Herzog sich denn vor, morgen vormittag mit Udo Bodo mündliche Rücksprache zu nehmen. Vorher aber wollte er seinen Entschluß noch mit der Frau Herzogin besprechen, aber im letzten Augenblick besann er sich doch noch eines anderen. Auch sie durfte nicht wissen, daß er sich in Udo Bodo geirrt zu haben schien, im Gegenteil, er mußte tun, als ob Udo Bodo selbst den Wunsch geäußert habe, wieder in die Armee einzutreten, und als wenn ihm, dem Herzog, dies zwar sehr unangenehm wäre, daß er es aber dennoch für seine Pflicht gehalten habe, die Bitte seines persönlichen Adjutanten zu erfüllen.

So bat denn Seine Hoheit am nächsten Morgen Udo Bodo nach dem gemeinsamen Spazierritt zu sich.

»Ich möchte mit Ihnen nochmals über die Wünsche sprechen, die Sie mir gestern abend vortrugen,« sagte der Herzog absichtlich mit so lauter Stimme, daß alle es hören mußten. Erfuhr die Hofgesellschaft dann am Mittag, daß Udo Bodo in die Armee zurücktrat, so war es ja für die anderen ganz klar, daß Udo Bodo bereits gestern abend mit dem Herzog darüber gesprochen, und daß dieser in der Nacht den Entschluß gefaßt hatte, ihm seine Bitte zu erfüllen.

Udo Bodo folgte seinem Fürsten mit dem Gefühl des stolzesten Triumphes. »Ich habe es ja gewußt,« dachte er, »daß Seine Hoheit mich verstehen und meine Bitte erfüllen würde, allerdings, daß dies so schnell gehen würde, habe selbst ich nicht erwartet. Aber dies ist nur ein neuer Beweis der Huld, die Seine Hoheit mir stets entgegenbringt, und ein neuer Beweis dessen, daß ich Seiner Hoheit unentbehrlich bin und daß er tut, was er kann, um mich immer fester an sich zu ketten.«

Stolz und selbstbewußt, wie es sich für einen Udo Bodo, Grafen von Adlershorst, gehörte, folgte er dem Herzog in dessen Gemächer, aber als er nach einer kleinen halben Stunde entlassen war, glich er eher einem Toten denn einem Lebendigen. Fast taumelnd schritt er den langen Korridor entlang, und er bemerkte Komteß Blanka gar nicht, als diese ihm jetzt zufällig entgegenkam.

Unwillkürlich blieb sie bei seinem Anblick stehen. »Aber Graf, was ist Ihnen denn nur?« fragte sie ganz erschrocken und ergriff seine Hand. »Sind Sie krank? Um Gottes willen, was ist geschehen?«

Er fuhr sich mit der Rechten über die Stirn. »Was geschehen ist? Ganz begriffen habe ich es selbst noch nicht, aber ein gütiger Stern führt Sie mir in den Weg. Komteß, ich muß Sie sprechen, und zwar sofort.«

»Aber wo denn nur?« fragte sie, sich umsehend, von aufrichtiger Teilnahme für ihn ergriffen. »Hier haben die Wände ja bekanntlich Ohren.«

»Kommen Sie in den Park,« bat er. »An dieselbe Stelle, wo wir uns gestern trafen. Dann sollen Sie alles erfahren.«

Sie zögerte noch einen Augenblick, aber seine traurigen Augen baten so flehentlich, daß sie einwilligte. »Schön, ich komme, spätestens in einer Viertelstunde bin ich bei Ihnen, ich muß mich nur noch für einen Augenblick bei der Frau Herzogin zeigen, die sich heute nicht ganz wohl fühlt und sich etwas niederlegen will. Dann habe ich Zeit. Gehen Sie nur voran.«

Udo Bodo ging in den Schloßgarten, und er brauchte nicht lange auf Komteß Blanka zu warten. Auch dieses Mal überhörte er ihr Kommen und er fuhr überrascht zusammen, als sie ihn plötzlich anredete.

»Ach, da sind Sie ja. Komteß. Offen gestanden, ich hab's kaum geglaubt, daß Sie kommen würden.«

»Aber warum denn nicht?« fragte sie ganz erschrocken. »Ich habe es Ihnen doch versprochen.«

Ein wehmütiges Lächeln umspielte seinen Mund. »Wissen Sie auch, wem Sie das Versprechen gegeben haben? Einem Ausgestoßenen! Jawohl, Komteß, sehen Sie mich nur starr und entsetzt an, es ist, wie ich sage. Noch heute verlasse ich den Hof, ich bin in Ungnade gefallen.«

»Graf – ist denn das möglich – ist denn das denkbar?« Ein jäher Schrecken hatte sie ergriffen und sie zitterte vor Erregung. »Es ist nicht nur denkbar, es ist sogar Tatsache,« erwiderte er mit tonloser Stimme.

»Aber wie ist denn das nur gekommen? Was ist denn nur vorgefallen?«

»Ich weiß es nicht, Komteß, und ich zermartere mir vergebens darüber mein armes Gehirn. Ich kann überhaupt gar nicht mehr zusammenhängend denken, hier oben herrscht das reine Chaos.«

»Aber der Herzog war doch vorhin noch die Freundlichkeit selbst gegen Sie.«

»War er auch,« stimmte er ihr bei. »Wie ein Freund hat er auch zu mir gesprochen, als er mir sagte, es wäre in meinem eigenen Interesse besser, vorläufig in die Armee zurückzutreten. Aber trotz aller Freundlichkeit und trotz der warmen Versicherung seiner ferneren Gunst hörte ich aus allem, was er sagte, doch nur zu deutlich seine Absicht heraus, mich vom Hofe zu entfernen.«

»Aber es muß doch irgendein Grund dazu vorliegen?« fragte sie immer verwunderter.

»Wenn ich nur wüßte, welcher,« stöhnte er ganz verzweifelt. »Ich bin mir keiner, auch nicht der geringsten Schuld bewußt. Sie entsinnen sich vielleicht, Komteß, daß der Herzog mich gestern abend, wie stets nach dem Diner, zu sich befahl. Wir sprachen miteinander über die Unterredung, die ich gestern nachmittag mit Ihnen geführt habe. Sie hatten die große Liebenswürdigkeit, den Inhalt derselben Ihrer Hoheit der Frau Herzogin mitzuteilen, und diese wiederum hatte die Gnade, ihn Seiner Hoheit weiterzuberichten.«

Mit großen Augen sah Komteß Blanka ihn an. Allmählich fing sie an, zu begreifen. Aber nein, sollte Seine Hoheit Udo Bodos Worte wirklich für Ernst genommen, ihm seine hochfliegenden Pläne verdacht haben? Nein, das war ja gar nicht möglich. Aber trotzdem wurde sie die Furcht nicht los, daß sie selbst vielleicht an dem Sturz Udo Bodos schuld sei, daß sie ihm vielleicht durch die Weitergabe des Gesprächs geschadet habe. Ihr Herz fing an, unruhig und ängstlich zu schlagen und mit furchtsamen, erschrockenen Augen blickte sie zu ihm auf.

»Und weiter?« fragte sie leise, da er immer noch schwieg.

»Seine Hoheit glaubte, ich hätte die Worte nur im Scherz gesprochen, und bat mich, solche Äußerungen in Zukunft zu unterlassen, damit sie nicht unter Umständen bei dritten böses Blut machten, und Seine Hoheit war anscheinend ganz erstaunt, als ich ihm erklärte, es wäre mir mit meinen Zukunftsplänen heiliger Ernst.«

»Aber Graf!« rief sie ganz erschrocken. »Das haben Sie Seiner Hoheit wirklich gesagt?«

»Aber warum denn nicht?« fragte er erstaunt.

Unter anderen Umständen hätte Komteß Blanka laut aufgelacht, aber jetzt war ihr das Weinen nahe, jetzt sah sie ein, daß sie allein schuld an seinem Unglück war, daß alles hätte vermieden werden können, wenn sie geschwiegen hätte. Sie machte sich die schwersten Vorwürfe und mit tränenden Augen bat sie: »Graf, können Sie mir verzeihen?«

Er sah sie verwundert an. »Aber Komteß, ich verstehe Sie wirklich nicht und ich weiß beim besten Willen nicht, was ich Ihnen verzeihen soll? Hätten Sie Ihrer Hoheit meine Wünsche nicht mitgeteilt, dann wäre ich selbst heute oder morgen zu Seiner Hoheit gegangen, um ihm alles zu sagen.«

»Aber Graf – verlangen Sie wirklich von mir, daß ich das glaube? Das sagen Sie doch nur, damit ich mir keine Gewissensbisse mache, damit ich mich nicht selbst anklage, Sie in das Unglück gestürzt zu haben. Das ist sehr, sehr hübsch von Ihnen und macht Ihrer ritterlichen Gesinnung und Ihrem guten Herzen alle Ehre, aber daß ich das glauben soll, Graf, das trauen Sie mir doch nicht zu!«

»Ich verstehe Sie wirklich nicht, Komteß.« sagte er noch einmal. »Ich wiederhole: hätte Seine Hoheit nicht durch Ihre liebenswürdige Vermittelung meine Wünsche kennen gelernt, so hätte ich diese ihm selber mitgeteilt.«

Mit großen Augen sah sie ihn fragend von der Seite an: sprach er wirklich die Wahrheit? Aber nein, das war ja unmöglich! Es war doch einfach undenkbar, daß er im Ernst solche Pläne gehegt hatte, und er hätte sich doch selbst sagen müssen, daß Seine Hoheit ihm dieselben verdenken würde, sobald er sie nicht nur im Scherz äußerte. Schon aus diesem Grunde war es ganz ausgeschlossen, daß er selbst jemals Seiner Hoheit eine derartige Mitteilung gemacht haben würde.

Sie ganz allein war an seinem Unglück schuld, und Udo Bodo wollte dies nicht nur nicht eingestehen, sondern tat alles, was er konnte, um sie zu trösten, das wurde ihr von Sekunde zu Sekunde klarer, und je mehr sie unter ihrer Schuld litt, um so mehr freute sie sich über seinen vornehmen Charakter und über die Ritterlichkeit seines ganzen Wesens.

Udo Bodo hatte mit seiner Säbelscheide Figuren in den Sand gezeichnet und lange nachgedacht, jetzt aber fuhr er fort: »Hoheit hat mir meine Wünsche, die ich äußerte, gewiß nicht übelgenommen, er hatte ja auch gar keine Veranlassung dazu, denn als Graf und Majoratsherr habe ich doch schließlich das Recht, meine persönlichen Anschauungen über meine Zukunft zu äußern. Aber ich glaube, jetzt weiß ich, warum ich in Ungnade gefallen bin,« und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: »Ja gewiß, das wird es sein.«

»Da bin ich aber begierig,« sagte Komteß Blanka, und im stillen dachte sie: »Ich bin nur begierig, welchen lächerlichen Vorwand er jetzt erfinden wird, um noch mehr als bisher auch nur den Schatten eines Verdachtes von mir abzulenken.«

»Erinnern Sie sich, Komteß?« brach Udo Bodo nach einer kleinen Pause abermals das Schweigen, »daß wir uns gestern nachmittag darüber unterhielten, ob Graf Kuno, mein in Gott und bei seinen Ahnen ruhender Herr Vater, selig oder hochselig sei? Ich erklärte Ihnen, ich würde meine Auffassung auch Seiner Hoheit gegenüber aufrechterhalten, und das habe ich auch getan.«

»Nun – und?« fragte sie gespannt, als er schwieg.

»Das wird Seine Hoheit mir verdacht haben,« fuhr Udo Bodo fort. »Seine Hoheit nannte den Grafen Kuno auch einmal hochselig, dann nur selig, und als ich Seine Hoheit auf diesen Widerspruch aufmerksam machte, äußerte er, sich mit dem Wort ›hochselig‹ selbstverständlich nur versprochen zu haben.«

»Aber Graf!« sagte Komteß Blanka. Sie fühlte sich geradezu beschämt, daß er dies überhaupt nur erwähnte, um seinen Sturz zu erklären, anstatt ihr einfach zuzurufen: »Sie sind daran schuld, warum hielten Sie nicht den Mund? Mußten Sie denn nach Frauenart alles weitererzählen? Sie wissen doch auch, wie Fürsten sind und wie leicht diese eine scherzhafte Bemerkung falsch verstehen, wenn sie nicht guter Laune sind.« Anstatt so zu ihr zu sprechen und anstatt ihr ganz gehörig den Kopf zu waschen, suchte er ja geradezu mit aller Gewalt nach leeren Ausreden, nur um nicht eingestehen zu müssen, daß sie allein die Schuldige sei.

»Aber das war es nicht allein,« fuhr er abermals nach einer Pause fort. »Seine Hoheit brachte auch das Gespräch auf die Literatur. Er verglich mich mit einem gewissen Jules Verne, und zu meiner Schande mußte ich eingestehen, daß ich dessen Schriften nicht kenne, daß ich dagegen ›Nana‹ gelesen habe. Seine Hoheit kannte diesen Roman nicht, und daß ich seinen Autor nicht kannte, dagegen ein Buch, das ihm nicht bekannt war – auch das wird er mir verdacht haben. So kam eins zum andern, um mir die Huld Seiner Hoheit zu verscherzen.«

Was Udo Bodo sagte, war seine gewissenhafte Überzeugung, und so begriff er gar nicht, warum Komteß Blanka plötzlich anfing, leise vor sich hin zu weinen.

»Um Gottes willen, Komteß, was ist Ihnen denn nur?« fragte er ganz erschrocken, und er versuchte, ihre Hand zu ergreifen.

Aber sie stieß ihn zurück. »Lassen Sie mich – ich will mich durch Ihre Güte nicht so beschämen lassen, verstehen Sie? Ich will nicht! Ich werde heute noch zu Seiner Hoheit gehen und ihm erklären, wie alles zusammenhängt.«

»Das werden Sie nicht tun, Komteß,« widersprach er sehr energisch. »Der Herzog würde Sie auch ebensowenig verstehen, wie ich Sie in diesem Augenblick verstehe. Aber wenn auch Ihre Bitten dazu beitragen sollten, daß Seine Hoheit mir seine Gnade wieder zuwendet, so will ich das gar nicht. Auch ich habe meinen Stolz, das bin ich schon meinem Namen und meinen Ahnen schuldig. Aus eigener Kraft schon werde ich Seiner Hoheit beweisen, wie unrecht er mir tat, mich fallen zu lassen. Ich werde ihn schon dahin bringen, daß er dem Grafen Kuno die Hochseligkeit zugesteht und mir verzeiht, daß ich seinen Jules Verne nicht kenne. Und wenn er mir dann nach Jahr und Tag seine Hand wieder bietet, dann bin ich auch bereit, sie anzunehmen, aber heute? Selbst wenn Seine Hoheit hier vor mir stände und zu mir sagte: Udo Bodo, sei wieder gut! dann würde ich bei aller Verehrung vor Seiner Hoheit den Kopf schütteln und zu ihm sagen: noch nicht, Euer Hoheit, pas encore

Ganz verwirrt hatte sie ihm zugehört. »Und was werden Sie jetzt beginnen?«

»Ich werde noch heute nach Adlershorst reisen und dort bleiben, bis meine Wiedereinstellung in die Armee Allerhöchsten Ortes befohlen ist.«

»Und scheiden Sie von hier ohne Haß und ohne jeden Groll?« fragte sie.

»Ich bin nur traurig,« gab er zur Antwort, »traurig, daß es mir nicht länger gelungen ist, mir die Huld Seiner Hoheit zu bewahren. Aber wer auf lichten Höhen wandelt, wer in der Gnade der Fürsten lebt, muß ja stets darauf gefaßt sein, eines Tages, wie man es so nennt: spurlos in der Versenkung zu verschwinden. Ich bin traurig, aber ich zürne niemand, ich wüßte auch wirklich nicht, wem ich zürnen sollte.«

»Auch mir nicht?« fragte sie leise.

»Aber Komteß – Ihnen doch am allerwenigsten. Hätte ich denn dazu auch nur den allerleisesten Grund?« Und dann fuhr er fort: »Wissen Sie wohl, Komteß, daß ich es mir absolut nicht vorstellen kann, Sie nun für lange Zeit, vielleicht niemals – wiederzusehen? Den Hof, Seine Hoheit, den Herzog, und die Frau Herzogin und alle, mit denen ich hier zusammen war, werde ich entbehren, aber Sie, Komteß, am meisten, und ich weiß überhaupt noch nicht, ob und wie ich die Trennung ertrage –«

»Aber Graf –« versuchte sie verwirrt zu scherzen, »das ist ja ganz wie gestern, auch heute klingen Ihre Worte ja beinahe wie eine –«

Auch ohne daß er sie dieses Mal unterbrach, schwieg sie, eine glühende Röte trat in ihre Wangen und sie senkte die Augen vor dem leidenschaftlichen Blick, mit dem er sie ansah.

Eine ganze Weile saß er stumm neben ihr. eine heftige Erregung hatte ihn ergriffen, sie merkte deutlich, wie er mit sich kämpfte, wie er über sich selbst zu siegen versuchte, und schon glaubte sie, daß ihm dies gelungen sei, da sprang er plötzlich auf und lag gleich darauf zu ihren Füßen.

»Um Gottes willen, Graf,« rief sie erschrocken. »Wenn uns jemand sieht – ich bin verloren!«

Aber er hörte nicht auf ihre Bitten, er tat, als hätte er ihre Worte gar nicht vernommen. »Und wenn meine Worte nun wirklich das gewesen wären, was Sie glauben, Komteß Blanka – wenn es wirklich eine Liebeserklärung sein sollte! Was dann? Ja, Komteß Blanka, es sollte eine sein! Ich weiß, es ist unrecht, Ihnen meine Liebe zu gestehen, denn ich bin arm, wenigstens nicht reich genug, um meiner Frau ein Leben bieten zu können, wie es sich für diese gehört und wie ich es der bieten will, die ich über alles liebe. Und ich liebe Sie, Komteß Blanka, nicht erst seit heute und gestern, nein, seit dem Tage, da ich Sie zum erstenmal sah. Und als ich Ihnen einmal auf Ihre Frage hin zur Antwort gab: ich wüßte schon, wie meine zukünftige Frau aussehen sollte, da habe ich nur an Sie gedacht, an keine andere. Ich habe mich zusammengenommen und mich beherrscht, so weit und so lange ich es konnte. Nicht einmal Sie haben bemerkt, wie es in mir aussah, denn ich wollte schweigen, bis ich reich genug war, um Ihnen alles, alles bieten zu können. Ich habe mit mir gekämpft monatelang, aber ich bin auch nur ein Mensch, und ich bin im Kampfe unterlegen. So sprechen meine Lippen doch, was sie heute noch nicht sagen dürften: Komteß Blanka, ich habe Sie über alles lieb!«

Schon während er zu ihr sprach, war er aufgesprungen und stand ihr mit leuchtenden Augen gegenüber. Ein Zittern und Beben ging durch seine ganze Gestalt und bittend streckte er ihr die Hände entgegen: »Komteß Blanka – glauben Sie, daß einst die Stunde kommen wird, in der Sie mich wiederlieben?«

Mit grenzenlosem Erstaunen hatte sie ihm zugehört. Alles, was er sagte, war ja so gänzlich neu, und doch, als er ihr vorhin seine Unterredung mit dem Herzog wiedererzählte, hatte sie sich im stillen gefragt: »Warum schont er dich so? Nur, weil er ein Ehrenmann ist, oder weil er vielleicht etwas für dich empfindet, was du selber bisher nicht geahnt hast?« Und der Gedanke, ihm vielleicht mehr zu sein als nur eine gute Freundin, hatte sie plötzlich, ohne daß sie sich über das Warum selbst hätte Rechenschaft ablegen können, glücklich gestimmt. Schon gestern nach der Begegnung hatte sie lange über Udo Bodo nachgedacht und immer mehr war sie zu der Überzeugung gekommen, daß sie unrecht getan hatte, ihm damals seine Heiratspläne auszureden. Er brauchte eine Frau, er mehr als jeder andere, er mußte eine Frau haben, die ihn leitete und führte, die ihm den Weg vorschrieb, den er zu gehen hatte. Dann konnte auch er noch seinen Platz auf der Welt ausfüllen, dann konnte auch er noch etwas Tüchtiges werden. Sie hatte sich erneut die Frage vorgelegt: aber wie soll seine Frau nur aussehen? und sich vergebens darüber den Kopf zerbrochen, an wen er wohl gedacht haben könne, als er ihr einst gestand, verliebt zu sein. Und nun hörte sie, daß sie es selbst gewesen, daß keine andere als sie sein ganzes Denken ausgemacht habe.

»Komteß,« bat er nochmals, »ich weiß, es ist unendlich viel, was ich von Ihnen verlange, aber trotzdem – glauben Sie, daß Sie mich jemals werden wiederlieben können?«

Noch immer stand sie ihm in stummer Verwirrung gegenüber. Sie fühlte mit ihm grenzenloses Mitleid, wie er so dastand, im Begriff, den Hof und die Residenz zu verlassen und auch sie, die er über alles liebte, wie jedes seiner Worte bewies.

Und zu diesem Mitleid gesellte sich die Achtung vor seiner Persönlichkeit und der Ritterlichkeit seines Wesens, und zu beiden kam plötzlich das Gefühl: was sträubst du dich noch länger, weißt du es denn wirklich nicht, daß auch du ihn liebst, nicht erst seit gestern und heute, sondern schon viele, viele Wochen?

Und noch einmal bat er: »Komteß Blanka, lassen Sie mich nicht so fortgehen – geben Sie mir wenigstens Gewißheit, auch wenn es ein Todesurteil für mich ist –«

Da hob sie den Blick und sah ihn mit ihren großen, strahlenden Augen lächelnd an. »Nein, Graf, Sie sollen nicht sterben, Sie sollen weiterleben – und wenn Sie es denn unbedingt wollen: mit mir zusammen.«

»Blanka!« jubelte er auf. Und ehe sie wußte, wie ihr geschah, ehe sie es verhindern konnte, schloß er sie in seine Arme und küßte sie auf den Mund.

Endlich gelang es ihr, sich freizumachen. »Graf, ich flehe Sie an – wenn uns jemand sieht –«

Glückstrahlend stand er ihr gegenüber. »Graf – und Sie?« fragte er lachend. »Bin ich jetzt nicht auch für Dich Udo Bodo? Aber sonst hast Du recht – es darf uns niemand sehen. Vorläufig darf kein Mensch etwas von unserer Verlobung wissen, weder hier am Hofe noch in der Stadt, weder Deine noch meine Familie. Die Herzogin würde Dir zürnen, vielleicht würdest auch Du in Ungnade fallen, und noch ist die Stunde nicht da, in der ich Dir das Leben bieten kann, das Deiner würdig ist. Aber sie kommt, willst Du darauf warten?«

»Glaubst Du, daß Reichtum mich glücklich machen wird? Ich habe ihn nie kennen gelernt und werde ihn auch nie entbehren.«

»Aber trotzdem bitte ich Dich: Hab Geduld und raube mir die Freude nicht, Dir eine glänzende Zukunft zu bieten.«

Fast ohne es zu wollen, hatte sie sich an ihn geschmiegt. »Wie gut Du bist! Aber auch, wenn Du der ärmste der Armen wärst, ich hätte Dich doch lieb!«

Aber als er sie noch einmal an sich ziehen, sie noch einmal küssen wollte, da riß sie sich los und floh schnellen Schrittes auf das Schloß zu.


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