Freiherr von Schlicht
Ein Adjutantenritt und andere Militärhumoresken
Freiherr von Schlicht

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Die Gesellschaftsunterhaltung

Der Herr Oberleutnant ist mit seiner Frau zu der ersten Kommißgesellschaft in dieser Saison, zu dem ersten Pekko, eingeladen. In richtiger Erkenntnis der Genüsse, die seiner harren, hat er absagen wollen, aber die Gattin hat es nicht erlaubt: »Daß du krank bist, glaubt dir keiner, daß wir selbst keinen Besuch haben, weiß jeder, und daß wir für den heutigen Abend auch keine andre Einladung haben, weiß auch jeder. Es nützt dir alles nichts, komm nur.«

Und er kommt, was bleibt ihm weiter übrig? Ausnahmsweise ist seine Frau vor ihm mit der Toilette fertig geworden, sie schilt, daß er, wie gewöhnlich, nicht pünktlich ist, dann gehen sie dem gastlichen Hause entgegen, sie immer drei Schritt voran, er immer drei Schritt hinterher.

»Aber so geh doch etwas schneller,« bittet sie, »wir kommen ja viel zu spät.«

Er lacht laut auf. »Zu spät? Zu dem Zauberfest kommen wir immer noch viel zu früh. Allein schon, wenn ich daran denke, daß ich die Krause wieder zu Tisch führen soll –«

»Aber das denkst du dir doch nur,« unterbricht sie ihn.

»Ich weiß es,« entgegnete er. »Eine innere Stimme sagt es mir. Ich führ die Krause seit Jahren nun schon auf jeder Gesellschaft, warum soll ich sie da gerade heute abend nicht führen? Das wäre ja gegen jede Rang- und Anciennitätsliste. Aber das sage ich dir, ein Vergnügen ist es nicht, jedesmal dieselbe Tischdame zu haben.«

»Aber so beruhige dich doch,« bittet sie, »Wenn ich richtig unterrichtet bin, haben Krauses heute abgesagt.«

»Das wäre wundervoll,« frohlockt er, und das Herz voller Hoffnungen betritt er wenig später mit seiner Gattin den Salon, in dem die Wirte und die übrigen Gäste bereits ihrer harren. Sein erster Blick fällt auf die Krause, die Gattin eines Kameraden. »Da ist sie doch,« stöhnt er in seinem Innern, »und wieder in diesem schrecklichen, gelbgrünen Kleid, das ich nicht ausstehen kann. Hat diese Frau denn wirklich keine andre Toilette?«

Er küßt der Herrin des Hauses die Hand: »Gnädige Frau waren so liebenswürdig,« dann tauscht er einen Händedruck mit dem Hausherrn, der mit seiner liebenswürdigsten Miene bittet: »Nicht wahr, Sie führen wohl Frau Krause?«

Schon diese Art, ihm seine Tischdame zu bestimmen, ärgert ihn. Sie führen wohl Frau Krause. Das heißt doch mit andern Worten: Nicht wahr, ich irre mich doch wohl nicht, ich habe Ihnen die Tischdame gegeben, die Ihnen besonders sympathisch ist und die Ihnen nach altem Brauch, nach alter Sitte zusteht. Hätte ich Ihnen eine andre Dame gegeben, so wäre es Ihnen vermutlich nicht recht gewesen.

»Darf ich die Herren bitten?«

Der Hausherr sprichts und die Herren setzen sich in Bewegung.

»Wenn ich um den Vorzug bitten dürfte, meine gnädigste Frau?«

Der Herr Ober macht seine Verbeugung, und die Gelbgrüne legt ihre linke Hand in seinen Arm.

»Wieder diese weißen Handschuhe mit den gräßlichen grünen Raupen,« denkt er. »Zu eng sind sie ja auch wieder, und ebenso wie im vorigen Jahr ist auch jetzt der oberste Knopf offen.« Stumm geht er neben ihr her, bis sie das Eßzimmer erreicht haben, und eine Minute später haben alle Platz genommen. Mit großer Umständlichkeit nimmt er aus der kunstvoll aufgebauten Serviette das Brötchen, legt es neben sein Kuvert auf den Tisch, breitet die Serviette über seine Kniee und denkt: »Eigentlich müßtest du nun wohl etwas sagen.«

Aber was? Er hat seine Tischdame schon so oft geführt, daß er nichts mehr zu sagen weiß, er kennt sie in- und auswendig, es gibt nichts, was er von ihr nicht wüßte.

Da fällt ihm ein, daß sie ja zum ersten Oktober umgezogen ist, die neue Wohnung kostet zwölfhundert Mark, genau soviel wie die alte, hat fünf Zimmer, und das ist vollständig genug, da keine Kinder da sind. Sogar Wasserleitung ist vorhanden und aller andrer Komfort. Ganz besonders schön ist das Eßzimmer, Krauses können fünfundzwanzig Personen setzen, wenn es unbedingt sein muß, sogar siebenundzwanzig, allerdings muß dann das Büffett etwas verrückt werden.

Der Herr Ober weiß das alles schon ganz genau, denn seine Frau hat neulich der Krause einen Besuch gemacht, oder richtiger gesagt: sie war bei der Krause zum Walkürenkaffee, sämtliche Regimentsdamen waren dagewesen und hatten sich »himmlisch« amüsiert. Nur seine eigne Frau hatte sich entsetzlich gelangweilt und war halbtot nach Haus gekommen.

Der Herr Ober weiß ganz genau, daß die Krause mit der neuen Wohnung sehr zufrieden ist und daß sie besonders den neuen Hauswirt sehr lobt, trotzdem hält er sich für verpflichtet, sich danach zu erkundigen, wie die gnädige Frau mit der neuen Wohnung zufrieden ist. Schon will er sie danach fragen, aber im letzten Augenblick besinnt er sich, einmal graut ihm davor, noch einmal zu hören, was er schon weiß, und zweitens sagt er sich: was bleibt dann für den Rest des Abends, wenn ich das Hauptgesprächsthema schon vorwegnehme?

Aber sagen muß er etwas.

»Nehmen gnädige Frau keinen Sherry zur Suppe?«

Auf jeder Gesellschaft fragt er dasselbe, und immer kommt dieselbe Antwort: »Nein, ich danke, er erhitzt mich zu sehr.« Ob sie heute wohl etwas andres antworten wird? Aber nein, das »Nein, ich danke, er erhitzt mich zu sehr,« klingt an sein Ohr.

Die Unterhaltung stockt, er löffelt seinen Teller Suppe leer und denkt: »Was sagst du nun?«

»Gnädige Frau haben neulich einen so entzückenden Kaffee gegeben – meine Frau kam ganz begeistert nach Haus.«

»Hat Ihre Frau Gemahlin sich wirklich gut amüsiert?« fragt die Krause. »Das freut mich herzlich.«

Die Suppenteller werden fortgenommen, das gibt einen willkommenen Anlaß, die Unterhaltung zu unterbrechen. Der Herr Ober ißt, um wenigstens etwas zu tun, die Hälfte seines Brötchens auf und sieht sich nach seiner Frau um. Endlich hat er sie entdeckt, sie sitzt neben einem Herrn, der sie auch schon tausendmal geführt hat. Beide werfen sich einen verständnisinnigen Blick zu, und er erhebt sein Glas, um ihr zuzutrinken. Da merkt er erst, daß die Gläser ja noch gar nicht gefüllt sind.

»Befehlen die gnädige Frau rot oder weiß?«

Nun sagt sie: »Wenn ich bitten darf: rot,« denkt er. Aber nein, es geschieht ein Wunder, sie sagt: »Rot, wenn ich bitten darf.«

Ganz erstaunt sieht er sie von der Seite an. Mein Gott, sollte die Frau geistig doch nicht so unbedeutend sein, wie er bisher stets geglaubt hatte?

Das Erscheinen des Dieners, der den Fisch serviert, gibt einen willkommenen Anlaß, die Unterhaltung zu unterbrechen.

»Ob sie wohl wieder die grünen Schuhe mit den gelben Schleifen trägt?« denkt er.

Er läßt seine Serviette fallen, und als er sich bückt, um sie wieder aufzuheben, konstatiert er unter dem Tischtuch, daß seine Vermutung ihn nicht trog.

»Die Frau ist derartig konservativ, daß sie dafür von Staats wegen belohnt werden müßte,« denkt er, dann erhebt er sein Glas: »Darf ich auf Ihr Wohl trinken, meine gnädige Frau.«

Sie winkt ihm huldvollst Gewährung und stößt mit ihm an.

Das Erscheinen des Dieners, der in diesem Augenblick die Teller fortnimmt, gibt einen willkommenen Anlaß, die Unterhaltung zu unterbrechen. Die Pause bis zum Erscheinen des nächsten Ganges benutzt er, um den Rest seines Brötchens aufzuessen.

»Heizen Sie schon, gnädige Frau?«

Geistreich ist diese Frage ja gerade nicht, zumal trotz des Oktober die Tage noch sehr schön sind, aber es ist doch sehr interessant, darüber Auskunft zu erhalten.

»Wie meinten Sie, Herr Leutnant?«

Herrgott, schilt er im stillen, mit der Frau ist ja gar nichts mehr anzufangen, im vorigen Jahr paßte sie doch wenigstens noch auf. »Ich erlaubte mir die gehorsame Anfrage, meine Gnädige, ob Sie schon einheizen?«

»Nein, noch nicht, ich habe die Erfahrung gemacht, daß man sich sehr leicht erkältet, wenn man nicht immer einheizt, und dazu ist es doch jetzt, besonders am Tage, noch zu warm.«

»Ich sagte es ja,« denkt er, »ich habe mich bisher in der Frau geirrt, sie ist geistig wirklich bedeutend, sie hat sogar schon Erfahrungen.«

Neue Teller werden hingesetzt, und die Unterhaltung wird dadurch wieder unterbrochen. Dann aber wird der Braten serviert, und damit wird es endlich Zeit, sich ernsthaft zu unterhalten.

Aber was soll er nun sagen? Er zermartert sich das Gehirn. Seine Tischdame hat für nichts auf der Welt Interesse, sie liest prinzipiell keine Bücher, weil sie angeblich im Haushalt so viel zu tun hat, daß sie sowieso nicht fertig wird, sie ist so unmusikalisch, wie nur irgend ein Mensch es sein kann, die Theatersaison wird in diesem Jahre überhaupt nicht eröffnet, weil sich kein Direktor hat finden lassen, der Lust verspürte, ebenso wie sein Vorgänger, bankrott zu machen, Herrgott – worüber soll er nur sprechen? Kinder hat die Krause nicht, neue Toiletten erst recht nicht, wohl aber eine neue Wohnung. Er fühlt, wie sich ihm die Haare auf dem Kopfe sträuben, aber es hilft ihm alles nichts, es bleibt ihm kein andrer Ausweg, es muß sein.

Er schenkt sich sein Glas voll Wein, leert es mit einem Zug und trinkt sich Mut. Also nun los, ihm hilft kein Gott.

»Sie sind zum ersten Oktober umgezogen, gnädige Frau? Sind Sie mit der neuen Wohnung zufrieden?«

»Ganz ausgezeichnet,« gibt sie zur Antwort. »Wir haben fünf Zimmer, und das ist ja auch vollständig genug, denn Kinder besitzen wir ja nicht. Ganz besonders schön ist unser Eßzimmer, wir können fünfundzwanzig Personen setzen, wenn es sein muß, sogar siebenundzwanzig, allerdings müssen wir dann das Büffett etwas verrücken.«

Nur, um überhaupt etwas zu erwidern, meint er anscheinend auf das höchste interessiert: »Was Sie sagen, gnädige Frau.«

»Ja, denken Sie sich nur« – fährt sie fort, »und dabei bezahlen wir für die neue Wohnung nur zwölfhundert Mark Miete, genau soviel wie für die alte. Unser Hauswirt ist außerdem ein selten netter Mensch, den muß ich ganz besonders loben. Sogar Wasserleitung hat er für uns anbringen lassen, überhaupt haben wir allen Komfort, den es nur gibt.«

Sie schweigt, sie hat alles gesagt, was sie über die Wohnung weiß.

Der Diener nimmt ab und setzt die Teller für Butter und Käse hin, und das gibt abermals einen willkommenen Anlaß, die Unterhaltung zu unterbrechen.

»Darf ich Ihnen nicht noch einmal einschenken, gnädige Frau?«

Er weiß, sie trinkt prinzipiell stets nur ein Glas Wein, aber nur um überhaupt etwas zu fragen, fragt er dennoch.

»Nein, ich danke, es erhitzt mich zu sehr. Und außerdem, wenn ich mehr als ein Glas trinke, werde ich zu lebhaft.«

»Und das schickt sich nicht,« meint er im stillen, »aber etwas lebhafter könntest du schon ruhig sein.«

Der Diener nimmt ab, und gleich darauf wird das Obst serviert.

Er fühlt sich einer Ohnmacht nahe, denn nun wird sie ihn gleich fragen, ob sie ihm nicht für seinen herzigen Jungen etwas Obst mit nach Haus geben darf?

Und auch diese seine Erwartung geht in Erfüllung, sie reicht ihm einen großen Apfel: »Ich selbst esse ja kein Obst, aber nicht wahr, Sie sind so freundlich, dies ihrem herzigen Jungen von mir zu geben?«

»Gnädige Frau, wie immer, so beschämen Sie mich auch heute wieder durch Ihre Güte,« und anscheinend hochbeglückt steckt er den Apfel in die Tasche.

Die Hausfrau blickt verständnisinnig ihren Gatten an. Man schickt sich an, aufzustehen.

Gott sei Dank.

»Hat mein Mann Sie schon gesprochen?« erkundigt sich da plötzlich seine Tischdame, »wir wollten Ihre sehr verehrte Frau Gemahlin und Sie fragen, ob es Ihnen paßte, wenn wir uns zu morgen abend bei Ihnen zum Abendessen ansagten? Selbstverständlich hoffen wir, daß Sie keine Umstände machen.«

Seine Eingeweide drehen sich vor Entsetzen um, er will sprechen, aber er kann nicht. Die Zunge klebt ihm am Gaumen. Schnell gießt er ein Glas Wein hinunter.

»Aber das ist ja ein ganz reizender Gedanke, gnädige Frau. Natürlich werden wir uns sehr freuen, wenn Sie beide kommen. Man sieht sich ja so selten, und vor allen Dingen hat man ja so wenig Gelegenheit, sich auszusprechen.«

Sie stimmt ihm bei, und während sie an seinem Arm nach dem Salon zurückgeht, denkt er: »Allmächtiger – das Ende unsrer Tischunterhaltung hat mir gerade noch gefehlt, wenn ich nur wüßte, was ich morgen mit ihr sprechen soll, ich kann sie doch nicht schon wieder fragen, wie ihr die neue Wohnung gefällt, und wenn ich es dennoch tue, habe ich ja für die nächste Gesellschaft absolut keinen Unterhaltungsstoff.

»Gesegnete Mahlzeit, meine gnädige Frau.«

– Er beugt sich über ihre Rechte und führt sie ritterlich an seine Lippen.

Dann aber stürzt er ins Rauchzimmer und läßt sich den ganzen Abend nicht mehr bei den Damen sehen – er hat bis morgen von der Gesellschaftsunterhaltung mehr als genug.


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