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Der lange und ernste Johann Michael Vogl hatte seinen Goetheschen Tag. Die linke Hand in der Hüfte, die rechte vorne in der Weste, das Kinn per Doppelfalte an die hohe Halskrawatte angesetzt, so daß die Vatermörder gequält zur Seite bogen, die Stirne hoch voran, das Kreuz eingezogen, die Beine storchenhaben. So schritt er von Steyr durch die Allee gegen Garsten, und obwohl er in klassischer Gemessenheit dahinwandelte, mußte der kleine Franz Schubert neben ihm seine kurzen, dicken Beine mit jenem Schmiß vor sich in die Welt hinauswerfen, mit dem etwa ein Schuljunge Knallkügelchen schleudert: bloß um auf gleicher Linie zu bleiben: eins, zwei!

Es war einer jener Morgen, die nach langem und unbeirrbar schönem Spätsommerwetter plötzlich so eigenartig nachdenklich, kühl und vergraut dastehen, feucht und herbstregenverheißend, voll süßschauriger Scheidenswehmut. Die großen Kastanien in der Allee waren rostig und schillerten in den ersten Anlauffarben der Herbstbronze, und in den Linden saßen ganze Büschel hellgelben Laubes, scharf abgegrenzt von den feuchtgrün trauernden übrigen Ästen. Und wenn der nasse Windhauch auf die Kronen einflüsterte, so irrten stets einige erste, verängstete Sommerkinder herab, kringelnd, tanzend und von zartblonder Schönheit.

»Da steckt der Herbst die ersten Totenkränze aus; der Sommer ist herum,« sagte stimmungsvoll der Heldensänger Vogl und blieb stehen, indem er mit der schönen Stimme seine wehmütige Bemerkung so betonte, daß Schubert erkannte, der starke Mann habe soeben in Jamben gedacht.

Dann schwieg Vogl, und beide schritten weiter: Vogl in heroischer Schwermut, bange Sorge in dem von königlichen Tönen gefüllten Busen, aber in hochgemuter Aufrechtheit; Schubert mit leuchtenden Augen. Wie sehr sich der Kleine mit großen Schritten abmühen mußte, er wußte es gar nicht. Das gewaltige Tempo eins, zwei, war ihm bloß wie ein hinreißender Marschtakt im Bewußtsein, das feuchte Schauern der Linden und Kastanien war eine Musik ohnegleichen, der ernste, sanft zum Abscheiden mahnende Tag der ersten Herbstwehmut war vollgepreßt mit Stimmung und Harmonie, und die ergriffene Seele des Musikers brauste innerlich von hundert Schönheiten.

Er war dankbar, daß der stolze Vogl ihn nur ab und zu durch ein Wort unterbrach, das selber voll Ton und mithallender Ahnung war.

»Ein Jahr herum, ein Jahr herum; denn solch ein Tag enthält ein Jahresende,« summte Vogl. Und er gab seine Jamben auf. »Ach,« sagte er, »nur mehr nach abwärts geht's jetzt noch hin; auch mit meinen Tagen.«

Schubert in seiner Gutmütigkeit ließ von den Harmonien ab, die ihn erfüllten, und fragte: »Wieso, Herr Vogl? Sie können sich doch nicht beklagen? Sie sind so mächtig frisch und stark, Ihr Herbst ist schöner als Ihr Sommer.«

»Vor einem Monat war ich siebenundfünfzig. Wenn der Herr, mein Gott, noch so gnädig ist, so habe ich doch schon drei Viertel meines Lebens zurückgelegt. Die bessern drei Viertel! Was noch bleibt, ist lange nicht so schön wie dieser goldene Abfall.« Und er wühlte mit dem Fuß in den Blättern der Linden und Kastanien, die am Straßensaume, wo die Bäume Schutz vor dem Winde geboten hatten, schon in kleine Häufchen geweht lagen, »O dieser schaurig nachdenkliche Tag! Wie er mich ans Alter mahnt! Altern, altern! Das tut wehe, schneidend weh! Glücklich, wer in der Pracht seiner starken, vollen, hoffnungsreichen Jahre dahin fahren konnte!«

»Aber Sie sind nicht alt, so wenig wie der Goethe, von dem Sie manches Ähnliche haben.« (Vogl lächelte ein wenig.) »Sie sind voll Stärke, voll Gedanken und Verständnis, bewundert und geliebt noch heute, Sie haben die größten Freunde, die einem Sterblichen geschenkt sein können, in Ihren Unsterblichen, den griechischen Dichtern, die Sie so oft lesen, und in den alten Philosophen, die Sie so gut verstehen. Zudem ist das Altersmaß, die Jahreszahl, ganz was Relatives; der eine, ist mit dreißig ein Greis, der andere mit sechzig ein Mistbub.«

»Na, na,« sagte Vogl mit wohlwollend tiefem Ton. –

»Ich bitte um Entschuldigung,« fuhr Schubert eifrig, fort. »Ich habe an den alten Gupf gedacht, den wir in Salzburg umsonst aufgesucht haben.«

»Ah, das Urbild des Papageno, dem Sie so andächtig nachlaufen. Ich sage Ihnen, das ist auch nur so eine Anekdote. Schikaneder hat den Menschen nie gekannt.«

»Aber Mozart hat ihn gekannt, noch aus seiner Salzburger Zeit; und er war's, der dem Schikaneder voll Begeisterung so lange von dem Adamheinrich Gupf erzählte, bis der die famose Gestalt des Vogelsängers halbwegs aufzufassen imstande war. Da hat er denn ziemlich holperig, seinen Papageno aus den Jugenderinnerungen Mozarts gedrechselt.«

»Aber Mozart war doch vor nahezu fünfzig Jahren in Salzburg!«

»Damals war der Gupf eben noch jung und war um die zwanzig. Heut ist er am Ende der sechzig oder gar wohl siebzig und mehr, und soll so jung und beweglich sein wie das Glockenspiel Papagenos. Herr von Vogl, Sie wissen ja in Steyr Bescheid; er soll hieher verzogen sein und oben auf der Kegelpriel wohnen. Suchen wir ihn doch auf. Dieses Bild fröhlichen Alters wird Sie erquicken.«

»Ich wäre selber neugierig, den alten leichtsinnigen Finken zu sehen. Ein lebendes Angedenken an so helle, glückliche Zeiten. Mozart! Wo ist der hin, der Glückliche. Er könnte noch leben und ist schon eine holde Sage geworden mit seiner himmlischen Grazie. Kehren wir um! Diese Allee ist schwer melancholisch wie der Weg nach einem Kirchhof. Suchen wir den alten Gupf! Wie heißt er mit Vornamen?«

»Adamheinrich.«

»Wissen Sie was, Schubert? Wir bringen ihm ein paar Flaschen Wein mit; das soll ihn zum Erzählen bringen.«

»Ja, ja!« rief Schubert und drehte sich fix und vergnügt auf einem Absatz, der etwas schiefer getreten war als der andere, zweimal herum, daß der linke Frackschoß wehte; denn der rechte war eben auch von solch einer Flasche nebst Frühstück beschwert. »Ein paar freundliche Bouteillen! Das wird ihm wohl gefallen!«

»Und ein Frühstück!« sagte Vogl.

»Geräucherte Speckwurst ist in diesen Tagen gut,« lächelte Schubert verständnisvoll.

»Sie ist der erste Trumpf im Kartenspiel des Lebens mit dem Herbst«, bestätigte Vogl würdevoll; und sehr viel lebensnäher, als sie hergewandelt waren, verließen beide Freunde die Allee. Vogl storchte diesmal so rücksichtslos, daß Schubert immer zwei Sprungschritte auf je einen weithinwandelnden des angeregten Sängers machen mußte.

*

Kegelpriel heißt der Abhang der Hochfläche des Dachsberges über Steyrdorf. Es wohnen dort, an den Berghang übereinandergeduckt, in kleinen, reinlichen Häusern kleine Leute, und so ist und war diese Welt der Bescheidenheit voll Liebreiz. Die hübschen Hausgärten standen voll Georginen, Sonnenblumen und Astern, die Giebel waren von Reben umschlungen, es lag eine wärmere, stille Luft in dem gesegneten Winkel, und nur oben am Rande des Dachsberges, wo über dem Saume von Nagelfluhfelsen die Eschen und Linden und Espen standen, griff der Wind mit harfender Hand schaurig in die Bäume. Es sah bedeutsam aus, wie am obersten, fernen Ende dieser geschützten Welt der Wettergott entlang ritt.

Die beiden Freunde stiegen durch die liebe Kleinschöpfung und ihre Zickzackgassen langsam empor. Sie wußten, daß der Vogelfänger Gupf ganz oben unter den Nagelfluhfelsen sein Häuschen hatte, wo ein tüchtiger Schopf Eichen, Nußbäume und Linden stand, den man von weitem sah. Dort fielen die Strichvögel lieber ein, statt in die Enge des hellgrünen Steyrflusses hinabzuschwirren, um Wasser aufzunehmen, denn ein Quellchen rieselte dort oben in einen Tümpel, aus dem sie sich gerne tränkten, bevor sie den milderen niederösterreichischen Lagen zustrebten.

Diesen glücklichen Platz hatte der alte Adamheinrich erworben, seit die drei liebsten von seinen Töchtern nach Steyr geheiratet hatten und seine Frau verstorben war. Nun führte ihm die Jüngste anhänglich und treu die Wirtschaft, während der Schwiegersohn nur abends aus dem Tal heraufkam, wo er im Hammerwerke ein geschätzter Arbeiter war. Die junge Frau hatte im Häuschen zu schaffen, und den ganzen Tag pfiff und sang der alte Adamheinrich Gupf hoch oben vor dem Himmel in der blauen Einsamkeit, fröhlich wie eine Meise.

Ein gewaltiger Konglomeratblock war von der obersten Höhe vorzeiten an die Stelle des nunmehrigen Gupfschen Anwesens gerollt. Nun lag er mitten im Garten, schon ein wenig von Gras und wehenden Holunderstauden übergrünt, und ringsum blühte und wucherte herrlich der leichtsinnige Vogelfängergarten, in dem Kohl und Kraut ins Eck gedrängt waren von Sonnenblumen, Hanf und anderen Futterkornpflanzen, die den kleinen Vöglein lieb und teuer sind. Auch Holunder wuchs in Menge, aus dem der alte Gupf die Meisenkästen machte.

Von weitem schon sahen und erkannten sie ihn. Denn er saß oben auf dem Konglomeratblock, wo er als zaunlattendürres Gestellchen sich vom Himmel abhob, der gerade hinter ihm einen schmunzelnden lichtblauen Fleck in den Wolken hatte. Der lange Hals mit dem kleinen, weißen, ziegenbärtigen Greisenschädel stand schräge und keck vor dem Endlosen, und während der Alte Leimruten aus einem kleinen Topfe mit Vogelleim bestrich, sang er in einem höchst amüsanten, geradezu leichtfertig anzuhörenden Tenor, der für einen Greis erstaunlich stark, hell und nur ganz ein wenig kapaunig klang, eine liebe Arie, die zwar eigentlich für einen Bariton und für einen jüngeren Mann gehört hätte:

»Wenn alle Mädel wären mein,
So tauschte ich brav Zucker ein,
Die, welche mir am liebsten wär',
Der gäb' ich gleich den Zucker her.«

Er pfiff die Wiederholung, bestrich emsig und liebevoll eine Leimrute, tat sie weg und fuhr mit geradezu ungehöriger Innigkeit fort:

»Und küßte sie mich zärtlich dann,
Wär' sie mein Weib und ich ihr Mann …«

Adamheinrich Gupf breitete die höchst schlanken Arme aus, links den Leimtopf, rechts eine Rute, legte den Kopf taktierend noch schräger nach hinten und flötete verliebt:

»Sie schlief an meiner Seite ein,
Ich wiegte, wie ein Kind, sie ein.«

Und brillant und virtuos pfiff er den Vogelfängerpfiff und die Schlußreflexion, als säße er mitten im Himmel.

»Da hat der alte Kerl wahrhaftig das ais noch so kreuzfidel herausgesungen wie ein Junger,« brummte Vogl lachend.

Schubert sang leise: »– Seite ein. Das war sogar ein h; er hat's in D genommen; schaut's den Gauner an,« nickte er dann wohlgefällig.

Der Alte hatte singen gehört und machte einen langen Hals nach dem Weg herunter.

»Ein paar Musikanten,« rief Schubert hinauf, »die dem berühmten Papageno aus der ›Zauberflöte‹ die Hand drücken wollen!«

»O je, ah? Die Herren wissen? Ja, das ist eine Ehr' und Freude für den alten Gupf. Aus Salzburg?«

»Nein, aus Wien.«

»Aus Wien! Und Musiker! Sänger? Ah, das ist ja gar der Herr Vogl! Oh, ich kenn' Sie aus Steyr; hab' Sie schon gehört, im Löwenwirtshaus, einmal in einer lustigen Nacht. Nein, die Ehre! Wollen sich die Herren nur heraufbemühen. Gleich hinter der Hollerstauden ist das Gattertürl. Links um meine Felskanzel herum. Ich komm' schon herunter.«

»Ach, bleiben Sie oben,« bat Schubert. »Sie sind dort wie im blauen Herrgottshimmel gesessen. Wir kommen zu Ihnen hinauf.«

»Gut ist's!« kicherte der alte Gupf vergnügt. »Es ist schon Platz für die Herren da.«

Die Freunde gingen am Häuschen vorbei, aus dem eine hübsche, lebhaft junge Frau trat, ihnen die Hand bot und sie anlachte. Längs der ganzen Hauswand unter der Dachtraufe hüpfte, pickte, sang, schmatzte, zwitscherte, knusperte und trillerte es, da hingen in zwei und drei Etagen Meisen, Kreuzschnäbel, Hänflinge und Gimpel, Drosseln und Schwarzblättchen, Stare und Stieglitze, das bunteste Gefieder. Sankt Franziskus hätte sie nicht farbiger versammeln können. Sogar ein Herr Markolf Nußhäher war dabei, und alle waren so vergnügt, verliebt, lebendig und eilig wie Herr Gupf, und ein leises Wölkchen süßen Ölgeruches von dem Hanf und Sonnenblumenfutter umschwebte das Ganze.

»Es ist eine Freude, wie frisch und frei Sie dahinleben, Herr Gupf,« begann Schubert, als sie zu dritt nebeneinander auf dem Felsblock saßen und die Beine ins Tiefe baumeln ließen.

»Warum nicht? Meine Tage sind lustig und licht alleweil.«

»Da werden Sie wohl ein ebenso helles Gedächtnis haben. Erzählen Sie uns doch von Mozart ein wenig!«

»Ja,« lachte der Alte. »Den hab' ich noch als hochfürstlichen Kapellmeister gekannt. Er war oft bei mir im Salzachtal am Vogelherd. Wenn die Herren auch einmal zuschauen wollen? Wir bekommen kaltes Wetter, vielleicht gar Morgenfrost. Da fängt sich's am besten. In der Früh' vor fünfe. Ja?«

»Gern, gern; ich muß das einmal sehen,« sagte Vogl. »Aber wie war das mit Mozart?«

»Oh, der hat die Krammetsvögel gar so gern gegessen, die ich doch an fürstbischöfliche Gnaden abliefern sollte. Und immer hat er's zuwege gebracht, mir ein Dutzend abzubetteln. Hier kommen jetzt weniger Krammetsvögel durch; erst nach November oder gegen Weihnacht wird's besser. Aber da ist es schon zu kalt für einen alten Mann …«

»Und also Mozart?« mahnte Vogl.

»Ja, der. Dem Fürstbischof hat er die Krammetsvögel weggeschwätzt und dem Obersthofmeister, dem Grafen Arco, die Geliebte. Einmal hat er dem Arco ein kleines Divertimento machen müssen, für zwei Violini, Flauto, Bassettl und Cello. Das hat der hohe Herr zu Nacht mit drei Streichern und zwei Bläsern der schönen Annerl am Kapuzinerberg dargebracht. Der Herr Kapellmeister aber war bei der Annerl droben und hat sich ganz fein geduckt und nicht im mindesten gemuckst, wie die Annerl am Fenster das Nachtmusikerl angehört hat. Wie aber bei der fugierten Stell' die Musikanten auseinander geraten sind, hat er's bei seinem Temperament nicht mehr ausgehalten, hat fest Takt getreten und mitgesungen, um sie zurechtzukriegen, und das hat der Herr Graf sehr gut gehört. Da war's aus! Die Annerl hat er verlassen, und den Herrn Kapellmeister so lange sekkiert, bis der um seine Entlassung nach Wien gebeten hat. Die hat er ihm dann mit einem Fußtritt bewilligt.«

»Mit einem Fußtritt!« schrie Vogl empört.

»Mit einem leibhaftigen Fußtritt, ja; aus lauter Wut wegen dem Divertimento,« sagte Gupf kleinlaut.

Schubert rieb sich traurig hinter den Hüften. »Soviel hat der zweitgrößte Musikus der Welt gegolten,« sagte er. »Was hat denn nachher unsereins zu erwarten?«

»Oho,« grollte Vogl; »in dergleichen Herrnjunkeransichten hat Seine Majestät Beethoven gründliche Änderung gebracht.«

»Ja, der Beethoven, der,« seufzte Schubert. »Zu dem können wir andern nur beten.«

»Sie haben's doch nicht nötig. Daß auch Sie diese Selbstanzweiflung aller Österreicher haben, ist traurig.«

»Ach Gott, mir läuft's vor Respekt kalt über den Rücken, wenn ich ihm begegne,« gestand Schubert.

»Und wenn Sie arbeiten, und wenn Ihnen das Hinreißende, Große gelingt, dann überläuft Ihnen das Gruseln nicht ebenso die Haut?«

»Freilich, dann auch,« lachte der kleine Musikant.

»Na also, sehen Sie. Sie haben also genau soviel heilige Ehrfurcht vor Ihrem eigenen Genie als vor dem des großen Eigensinnigen, und Sie haben recht, basta!«

»Mein Gott,« seufzte der alte Gupf. »Wenn ich nur einmal vor meinem Ende die Wienerstadt und den Beethoven sehen könnt!«

»Das ließe sich doch machen. Beraten wir einmal, wie,« brummte Vogl.

»Diese Beratung könnten wir etwas anfeuchten,« schmunzelte Schubert und zog einige Flaschen hervor. »Während ich einschenke, singt uns der Herr Gupf was vor.«

Und der alte Vogelfänger begann mit heller, fast ungebrochener Stimme ein leichtsinniges Salzburger Liedchen zu singen, das auf den Krummstab gemünzt war und vom Monatsschlössel und der Geliebten eines weiland Herrn Fürstbischofs handelte.

Schubert und Vogl lachten viel und letzterer dachte nicht mehr ans Alter.

*

Der alte Gupf hatte das Wetter gut prophezeit. Als die Freunde am andern Morgen im grauen Tagesanbruch zur Kegelpriel hinaufstiegen und ins Vogelfängerhüttchen unterduckten, tat ihnen die Wärme des kleinen Erdlochs wohl, das nur mit einem niedrigen, durch Reisig verblendeten Brettergehäuse über den Boden hinausragte. Denn es war schaurig kalt, Reif lag über den Stoppelfeldern der Hochebene und nur die obersten Häuschen der Kegelpriel ragten in die klarscharfe Frühluft. Die ganze Stadt unten schlief wie mit Milch zugegossen, denn das Steyrtal weithinauf und das Ennstal gegen Osten und Norden hinein und die Ebene bis an den Damberg lagen in einem Nebelsee. Zwischen Damberg und Garsten begann der Himmel rötlich zu werden, und als der Brand immer heller wurde und die Welt aus ihrer Bleichheit zu lebender Farbe erwachte, da flirrte, wippte und pluderte, rief, schlug und piepste es in allen Bäumen und Büschen, ja in den Erdschollen der Sturzäcker von zahllosem kleinen Gefieder.

Der Tag erwachte. Vor den drei lauschenden Vogelwaidleuten lag zwischen Büschen und Strohbündeln der Vogelherd, die eingezogenen Netze verdeckt und da und dort unter künstlich geflochtenem Zweigwerk ein, zwei, drei kleine Vogelbauer mit den Lockvögeln. An den Spitzen der Dornsträucher wanden sich Mehlwürmer, in allen Büschlein hingen hellrote Ebereschdolden, und Nußkerne und Sonnenblumensamen lagen reichlich auf dem Vogelherde. Die drei aber lauerten, fröstelnd vor Kühlnis, Feuchte und gespannter Erwartung. Ein Flug Meisen schwirrte heran, zerteilte sich, fiel piepsend in die Bäume ein, und einige wippten keck zur Atzung auf den Herd herunter.

»Leichtfertiges Gesindel, wollt ihr gleich abfahren!« schalt der alte Gupf und zog leicht an der Fangschnur, daß sich ein Netz hob. Die Meisen schwirrten auf, blieben aber schon auf den nächsten Bäumen wenig eingeschüchtert sitzen.

»Das ist ein nutzloses und unverbesserliches Volk,« flüsterte Gupf. »Kein Vogel geht so leicht auf den Köder wie die Meise, und keiner vergißt so schnell die Gefangenschaft. Wenn der Deckel des Holunderkastens über ihnen zufällt, pludern sie kaum fünf Minuten umher; dann gehen sie an die Lockspeise und schnabulieren auch schon. Ein Leichtsinn, zum beneiden. Holla, da kommen Drosseln.«

Die Freunde hörten nur das Schwirren von Flügeln. Endlich schwankte ein kleines Völklein in zierlichem Bogen über den Feldhimmel und senkte sich zu den Eichen über den Felsen. Aber da war nichts zu holen. Näher heran gab's einen Ebereschbaum, in den fielen sie plaudernd und heiser streitend ein. Aber auch hier war schon alles abgeerntet.

Dem alten Gupf bebten Hände und Lippen vor Aufregung. »Es sind Wacholderdrosseln und Weindrosseln,« flüsterte er, »die haben schlechte Stimmen. Nur ein paar Amseln und Singdrosseln sind drunter.«

»Sind die ungenießbar?« fragte Vogl.

»Nein, was singen kann, töte ich nicht; die Männchen kommen in Käfig, die Weibchen lasse ich frei. Aber die Weindrosseln haben nur schrille Stimmen und sind maßlos schädlich. Die Krammetsvögel taugen schon gar nicht zum Singen, und beide sind delikat. Still. Aufgepaßt!«

Die Vögel schwirrten und hüpften langsam am Rande des Buschwerks heran. Da und dort war eine prächtig rote Dolde Ebereschbeeren befestigt; die wiesen ihnen den Weg zum Herde. Nun flog die vorderste auf den Nußbaum, schwirrte zum Vogelherde hinab, bemerkte auf halbem Wege irgendein Verdächtiges, riß sich im Fluge lautschackernd herum und verschwand. Die andern wiederholten den Warnungsruf, ein Schwirren, dann war alles still.

»Sie sind fort,« sagte Vogl aufgeregt und leise.

»Pst,« sagte der alte Gupf.

Eine ganze Weile verging, und die drei Horchenden vernahmen nur ihre klopfenden Herzen. Dann surrte es wieder von wehendem Gefieder, und in einem Hui saß der ganze Drosselschwarm schwätzend auf dem Nußbaum, überstellte, warnte sich, machte lange Hälse und sah sich die Herrlichkeit unten begehrlich an.

Die Lockvögel, die den ganzen Morgen gerufen hatten, wurden lebhaft, als sie so viele Freundesstimmen hörten. Sie riefen und schlugen in heller Erregtheit. Die oben antworteten; ein eifriges Gespräch entstand hüben und drüben, zwischen unten und oben.

Wo nur die Genossen stecken mochten? Ein paar Vögel stießen herab, bis nahe an die versteckten Vogelbauer und prallten wieder bis in die Luft und zum Baume zurück. Geschehen war ihnen nichts.

Dem alten Vogelsteller zitterten die Flanken wie einem Jagdhunde, und selbst die beiden Gäste wurden von seiner Leidenschaft angesteckt.

Nun flogen zwei Drosseln herab; nein, dreie. Eifrig begannen sie zu picken und fraßen in Angst und mißtrauischer Hast.

Da fuhr der Neid unter die vorsichtige Schar oben im Nußbaum. Surrr! Fünfe oder sechse kamen dazu und fraßen in gewaltiger Eile. Mit zitternden Händen griff der alte Gupf in die Schnüre; das Kinn bebte ihm.

Da nichts Übles geschah, schnurrte der ganze übrige Schwarm, wohl an die zwanzig Vögel, hernieder zum Futter. Ein graubraunes Geflatter bedeckte einen Augenblick lang den Herd, dann raschelten die Netze empor und schlugen über die ganze entsetzte Gesellschaft hin. »Hat ihn,« schrie Schubert auf. Lautschackernd entwichen noch sechs oder sieben der gewandtesten Vögel, wie Pfeile am Boden hinstreichend, aber anderthalb Dutzend zum mindesten flatterten und kreischten unterm Netz. –

»Prächtig, prächtig,« rief Vogl, und Schubert atmete tief. Der alte Vogelsteller aber sprang aus dem Häuschen und griff mit zuckenden, wühlenden Händen in dieses Netz voll hurlenden, fludernden Lebens, voll kleiner hilfekreischender Stimmen, voll flatternder Todesangst. Die Singdrosseln holte er mit sicheren Griffen zuerst hervor, ließ alle Weibchen fliegen und tat die Männchen in einen Käfig, in dem sie sich in sinnlosem Fluchttriebe fast das kleine Haupt zerstießen. Dann faßte er grausamer in das übrige Geflügel und drückte einem der Vögel nach dem andern das Köpfchen ein. Nicht einer entrann, und einer schoß lange unter dem Netze hin und her, bis der Alte auch ihn hatte. Ein schriller Schrei, ein Biß nach den Fingern des Alten, dann wurde auch er lang und stille.

»Vierzehne,« zählte Gupf und wies auf die kleinen Leichen, die mit ihren schönen gelben, braungeflammten Brüstchen und gekrampften Füßlein im Grase lagen.

»Die werden wir Schellmanns zum Präsent machen,« sagte Vogl in gemächlicher Freude. Aber während er mit dem alten Gupf wegen des Preises sprach, stand Schubert vor dem kleinen, jäh zerrissenen Leben und sagte: »Schauerlich und ein Jammer. Wie und wann mag einst mir der große Vogelfänger ins Genick greifen?«

Und er blieb tiefernst, während Gupf singend von neuem die Netze richtete und Vogl sich lebhaft bedankte.

Als sie an den freundlichen Häuschen der Kegelpriel zur Stadt hinabstiegen, die unten erwachend im Nebel zu rasseln begann, schwang Vogl die Wacholderdrosseln wie ein Bündel Quasten. Auf einmal blieb er stehen und fragte den kleinen Freund, der den kurzen Hals ganz in seinen Vatermörder versteckt hatte und zu Boden sah:

»Was haben Sie denn?«

»Was Sie gestern hatten. Ich denke an das Ende all dieser Dinge.«

»Was geht uns das Ende an,« tröstete der philosophische Sänger. »Solange wir gelenkig sind und zu denken und zu erkennen vermögen, hat es keine Beziehung auf uns. Ist es da, haben wir keine Beziehung zum Leben. Der Tod geht uns durchaus nichts an. Nur das Altern, das uns erst den vollen Becher tückisch aus der Hand nimmt und uns den besten Bissen im Munde mit der Sorge mischt: Darf ich wohl? Das Alter, das uns die Energie des wilden Gedankenheldentums in ein kniezittriges müdes Hinträumen verwandelt und in dem Augenblick, wo wir uns vielleicht noch ein wenig im Rausche der Erinnerungen aufbäumen, in Lenden und Knien mit Ischias und Gicht höllisch überfällt und unsern Atem in das Schnappen des Fisches am Sande verwandelt, – dagegen gibt es kaum ein Mittel, kaum!«

»Kaum? Das heißt vielleicht eins.«

»So etwas wie Liebe in sich und um sich,« sagte Vogl nachdenklich.

Schubert lächelte trüb. »Dergleichen wächst für unsereins schon in jungen Tagen nicht mehr.«

»Ich meine in Form von besorgter Freundschaft. Es ist gut und tröstlich, wenngleich ein wenig feige, sich unter die gütigen Augen einer ernsten Frau, einer milden Pflegerin zu flüchten. Ich für mein Teil, sehen Sie, ich gedenke diese Bankrotterklärung in wehmütigem Behagen von der Kanzel herab über mich ergehen zu lassen. Ich werde heiraten.«

»Ach Sie, der gepriesene und vergötterte Sänger, Sie finden leicht eine Freundin. Ich weiß wohl auch, wen Sie meinen. Sie haben Glück, und ich gönne es Ihnen.«

»Aber, Sie junger Igel,« fuhr der Sänger in einer Art von Zorn heraus. »Was soll denn dieser Ton, gemischt aus Ablehnung und wehmütiger Resignation. Da rollt er sich schon wieder in urdrolliger Weiberfeindschaft zusammen und verachtet die ganze Erde, soweit Unterröcke wehen, im Bezirk seiner Stacheln. Glauben Sie denn nicht, Ihnen mit Ihrem tollen Leben täte ein sorgsames Perpendikel gut, das den Gang Ihrer Tempi zu regeln vermöchte –? Sie könnten mehr als ein andrer eine Frau brauchen. Setzt der da einen Stolz in sein Punschbrüderltum und glaubt, für die Unsterblichkeit mindestens soviel getan zu haben wie mit seinem ›Erlkönig‹, wenn seine Freunde erzählen: ›Schubert ist himmlisch leichtsinnig!‹«

»O je,« rief Schubert, »gabeln doch Sie mir nur eine auf, die mich mag! Ich weiß ja selber ganz gut, wie selig ich in einsamen Stunden bin und weiß, wie das Glück von mir ausstrahlt, wenn ich denen Schürzen vom Klavier verkünde, was ich empfunden habe. O ja! Meine Musik wollen sie; mich will keine. Soviel Sehnsucht ich verrate, so gerührt sie tun, – dennoch greifen die schönen Frauen und Mäderln überall anderswohin und fast immer nach Menschen, die unfähig sind, andern auch nur eine reiche Stunde zu bereiten.«

Vogl schwieg eine Zeitlang. Dann sagte er mit leise spöttischem Ton: »Und trotzdem kommt mir vor, als ob man im Dreimäderlhaus ein bißchen nach Ihnen hinguckte.«

»In welchem Dreimäderlhaus?« fragte der kleine Musikant mit einiger Unruhe.

»Na, tun Sie nicht so. Es gibt doch ein gewisses kleines Haus auf der Bastei, wo drei hübsche Glasermeisterstöchter wohnen. Die Hedderl, die Heiderl und die Hannerl. Diese drei weichen gehauchten H. Aha!«

Schubert kicherte gepreßt und melancholisch. »Möcht' wissen, welche. Die Hanner! ist ein Kind, die Heiderl beinahe noch eines, und die Älteste?«

»Ja, freilich, wer keine Augen haben will, sieht nichts. Hedwig hat Ihnen recht traurig nachgeschaut, als Sie mit mir zur Reise Abschied erbaten.«

»Das war, weil's mit der Musik auf fünf Monate aus gewesen ist.«

Vogl blieb stehen. »Schubert,« sagte er. »Sie Kind, das bei allem einen Impresario braucht, weil sich's nicht selber in Szene setzen kann! Wenn Sie fortfahren, das Licht zu scheuen und sich wie ein Maulwurf drücken, so oft ein warmer Strahl auf Sie fällt, dann gute Nacht Ruhm und Erfolg. Bei tausend Kerzen, ja im verlogensten Rampenlicht muß man dastehen können, lachen und den Kopf noch höher heben: Da bin ich! Dann glauben's einem die Leute. Auftreten können. Selbstverständlich finden, daß man wer ist. Die Hedderl zweifelt nur an Ihnen, weil Sie selber gar nicht dergleichen tun, als wären Sie wer. So und nun salve! Bessern Sie sich und heute abend gibt's bei Herrn Schellmann Krammetsvögel zur Vorspeis'. Auf Wiedersehen!«

*

Die Sonne schien bereits in den Talgrund, und Schubert ging langsam an der Steyr aufwärts. Heute konnte er nicht mehr arbeiten; die eigenen Sorgen waren ihm zu deutlich geworden.

Freilich ein Riese war er nicht. Er hatte schon das Hospital kennengelernt mit seinen kahlen Betten und seiner kahlen Menschlichkeit. Wie lange mochte es währen, und das Leben, wie er es führte, krachte abermals in allen Nähten. Gänzlich gesund wagte er sich nicht zu nennen. Eine gütige, kluge, ruhige Gefährtin und ein stilles, heiteres Leben, wie es die gute Glaserfamilie im Dreimäderlhaus führte, wären wohl Arzneien, die gesund und langlebig machten. Er sehnte sich seit jeher danach. Aber einmal schon war dergleichen mißlungen: man achtete ihn damals einem Lumpen gleich, verbot dem Mädchen, an ihn zu denken. Sie hatte alles fügsam geglaubt, und er selber glaubte beinahe auch daran, mit ihm sei es nichts, ausgenommen seine Musik; und die heiratet man nicht.

Und immer weniger sehnte er sich nach einer lieben, warmen, ruhigen Stimme, immer weniger bedurfte er weicher Hände, die ihn streicheln sollten, und einer Brust, an der in Zeiten, wo das Atmen schwer würde und die Seele vor Gram dem Ersticken nahe wäre, gut ruhen, gut bewußtlos sein wäre.

Immer mehr sehnte er sich nach der Gesellschaft der großen Toten; was er verstand und was ihn verstand, war fast vollzählig im Jenseits versammelt, und was von solchen Angebeteten seiner reinsten Stunden noch lebte, war ferne und fast schon Sage in seiner Unnahbarkeit. Beethoven! Goethe! Wahrlich, das war noch seine ganze irdische Liebe: das angstvoll gewordene, brennende Begehren nach einem persönlichen Menschheitswort, nach einem Laut der Zuneigung und des Verstehens von dem großschauenden Halbgott in Weimar. Das war das Liebste, was er wünschte und wollte. Ein Freundeswort von dem, und er bedurfte keiner andern Liebe mehr auf Erden!

Vor wenigen Wochen hatte er ihm abermals geschrieben, obwohl der Ferne auf die Zueignung des »Erlkönig« geschwiegen hatte. Täglich erwartete er die Post und sein Herz brannte, wenn er ein Posthorn hörte, als gälte es einem Briefe der Liebsten. Aber nichts kam, nichts.

Der kleine, unglücklich kurze und dicke Musikant blieb stehen. Er war in seinem heißen Verlangen flußaufwärts gerannt, wer weiß wie weit! Nun war das Tal einsam und die Steyr, der klarste aller Flüsse, die beryllgrüne Forellenheimat war allein bei ihm, bald mit Gekicher und bald mit Brausen, weißlich gischtend und tief glasklar, wie kein Wasser sonst, so viele er gesehen. Und die edelsteinleuchtende Durchsichtigkeit des geliebten Wassers ging in seine Seele über und beruhigte ihn. In seinen besten Stunden war er ja doch eins mit jenem Großen, auch wenn der schwieg. In seinen besten Stunden. Das goldgrüne, leuchtende Forellenquintett fiel ihm ein, das er hier, von diesem Flüßchen empfangen hatte, und er sang sich leise in die alte Harmonie hinein, die ihn wieder umfing. Seit jenen Tagen hatte er höher schauen gelernt als in die lautere Tiefe der kleinen, stillen Flußtümpel, darein lautlos die merkwürdig andern Wesen stehen, welche dort leben, wo wir sterben: die gespenstig fremden und doch so lebensflinken Fische.

Seit jenen Tagen hatte er in die Höhe blicken gelernt. Er hatte über blaue Seen hinaus nach den gottgroßen Bergen geschaut, aus denen in königlicher Einsamkeit die hermelintragenden Firne ruhten. Wenn er am Traunsee an dem herrlichen Instrument seines Gastfreundes saß und die Symphonie, die ihm in Salzburg und Gastein von den gewaltig verschwiegenen Höhen des ewigen Schnees zugeweht war, weiterführte, da zuckte nur die linke Hand in den Bässen das verwühlte Raunen der Wässer der Tiefe, das eintönige Schlagen der Seen, die Rechte aber griff gewaltig zur einsamen Höhe, zum Aufschwung zu Gott empor.

Und der kleine Regent der Harmonien saß an der Steyr auf moosüberwachsenem Felsblock, und ohne Klavier, wie er dies in seiner heiterbitteren Armut lange Zeit gewöhnt gewesen war, arbeitete er und hatte in sich die Erfüllung.

Ein zerknülltes Päckchen Notenpapier aus seiner Tasche breitete und glättete er und stürmte die schwarzen und weißen Ruschelknöpfe hin, die Hieroglyphen, welche die Sprache Gottes enthalten. Ein paar Seiten launenhaft gebundener, durchstrichener, reigentanzender Punkte aus Stielen oder träge schwebend wie eine Blase, und eine Weltschöpfung voll Kampf und Erlöstheit.

Die Gasteiner Symphonie; die verlorene, von der vielleicht heute noch eine Abschrift auf einem Dachboden der guten Stadt zu Steyr ruht; sie, die von den gewaltigen Bergen singt und über der Schubert die Vernunft des Alltagslebens als ein seliger und entsühnter Geist vergessen hatte.

Die Mittagsglocken schwangen, er hörte sie nicht. Er war in dem Reiche, da tausend Jahre ein Tag sind.

Erst am Abend kam er zu Freund Schellmann und Vogl, und zu den Wacholderdrosseln; halb noch entrückt und halb schon vergnügt, sinnenfällig und hungrig. Er antwortete zerstreut, hörte Vogl über Gicht klagen, kicherte ein wenig über den alten Gupf, der so stolz auf seine Weltstellung als Urpapageno war, und aß und trank hinreißend.

*

So waren die Sommertage des Musikers, einer wie der andere, gewesen! Die Morgen zumeist in einsamer Reinheit, voll der Erfüllungen, voll Harmonien, die Mittage in zufriedenem Gesichtskreise behäbiger Gastfreunde, alle mit umgebundenen Servietten, nachmittags wieder in Gottes Welt, aber laut und gesellig, abends bei der Flasche. Ein frohes In-den-Tag-Leben, Scherz und Gelächter, und immer wieder sonderbare Gespräche mit dem majestätischen Sänger Vogl, der trotz seiner Schwächen ein tiefer Mensch war, – und dann wieder die stürmende Lust, toll und voll in Arbeit zu jubilieren.

Und für irgendeine einsame Abendstunde, dann und wann, die leise Angst der Kreatur, das Anmahnen, daß es nicht ewig so gehen konnte mit wechselndem Gezwitscher und Völlerei, wie die lustigen Vögel des Herrn Gupf.

Auch die Scheidestunde, da er zurück nach Wien sollte, nagte in seinen Eingeweiden, kam näher und näher und war plötzlich da. Ganz allein mußte er in das Linzer Postschiff und nach der Stadt zurück, aus dem lieben und lustigen Oberösterreich. Es war ein recht nachdenklicher Tag! Die Ruinen, die stille Wachau, die alten Klöster, alles mahnte und mahnte.

Schubert saß ganz vornan im Schiffe, das sich bald nach Krems so sehr in Auen und Einsamkeit verloren hatte, daß es schien, als wollte es nun ein Menschenleben lang so zwischen den auftauchenden und wieder vergleitenden Waldwiesen, den sich stetig verschiebenden Kulissen der verschiedenen Bestände und den demütig geneigten Rohrbevölkerungen hinschwimmen und gar nicht mehr herauskommen. Es fuhr durch lauter Silber, wenn die weiten Wiesen vorbeikamen, hinter denen die Herbstwolken prall vor Licht in der unsagbaren weiten und blauen Himmelsluft standen; – die nahen, dick, trotzmächtig und stark wie der Herr, der dem gelobten Volke den Weg wies, die fernen, südsehnsüchtigen so fein, so außer aller Rufweite und still und wehmütig anzusehen, wie vornehme, schöne Frauen, von denen es heißt, daß sie in den nächsten Tagen weit fort verreisen. Und wenn das viele Silber und die blaue Weite ihn ganz wirblig und trunken gemacht hatten, und er nahe daran war, in ein Himmelbett voll seliger Träume zu entrinnen, da trat der kräftereiche Wald nahe an den Strom, die Fichten unterstützten das wilde Rot der Buchen, und Pappel, Birke, Linde und Espe stellten ein solches Aufgebot von mächtigem Gelb gegen den Himmel, der nun ganz tiefblau aussah, daß der träumende Musikus auffuhr und in einen kapitalen Farbenrausch geriet. Denn nun strich das Schiff durch lauter Gold, durch brennende Schätze der Schönheit.

An Schiffe gingen sie, riefen sie, sangen wohl auch ab und zu, doch das war alles ferne. Am Buge sprangen und lachten die Wellen nahe unter ihm, er aber war entrückt und so nahe an die Ewigkeit gelangt, daß er saß unwillig ins Leben zurücktrat und sich ungern der vielfältig kleinen Wirrsalswelt entsann, als die Gäste des Schiffes zu schreien und zu jauchzen begannen, weil man vor Nußdorf kam.

Noch sah der Musikant nach dem Lande, als hätte das alles keinen Bezug zu ihm; auch die dort des Schiffes harrten und vieles herüberriefen, waren ja fremd. Er war gar nicht froh, daß jetzt das Ende des Traumkönigreichs da war und daß Wien begann, die Stadt der Irrtümer und Störungen. Aber durch das vielfältige Namenrufen und Zujauchzen hörte er, immer wieder und mit Beharrlichkeit von mehreren vereinten Stimmen über den Strom hingedehnt: »Fran–zel Schu–bert! Franzel!« Da lachte ihm das weltliche Herz wieder ein wenig, denn es war hübsch, daß Freunde hier herausgekommen waren, weil sie ihn sicherlich sehr lieb hatten.

Er sah zum Ufer hin, da standen vor einem sehr roten langen Hartriegelgebüsch in einer Reihe Schwind, der Wiedergekehrte, in einem krachmandelgelben Frack, und Schober, der Verlorene, Verreiste, Aufgegebene, in einem himmelblauen. In grasgrüner Herrlichkeit strahlte Jenger, der Hofkriegsratbeamte, den man eben wie zu Schuberts Separatfreude eigens von Graz nach Wien transferiert hatte. Alle drei hatten wieder heimgefunden, und damit Schuberten die liebe, alte Zeit von neuem und gänzlich behagenswert anlachen sollte, stand auch in seinem havannabraunen Überzuge der trockene, aber treue Kupelwieser da und schmunzelte. So paradierten sie in allen Farben und schwenkten festliche Schneuztücher, und auch die so bunt, daß es der kräftigsten grellgelben Abendsonne bedurfte, um nicht eine unvergleichliche Harlekinade abzugeben.

Da gab Schubert sein Allweltsgefühl dahin, schrie »da bin ich«, sprang aufs Landungsbrett und in die Arme der jubelnden Freunde, und als sie ihn fragten, »wie geht's«, da griff er breitlachend in die Taschen, zog sie heraus und zeigte ihnen gleich, daß sie gänzlich leer seien. Sonst wäre er noch nicht da!

»Gott sei Dank, daß er nix hat,« und »macht nix«, trösteten sie alle vier, nahmen ihn in die Mitte und zogen laut wie eine Bläserbande gegen Wien ab. Alle waren in der Ferne gewesen; alle waren funkelnagelneu in ihrer Freude, wieder daheim zu sein und strotzten vor Behagen, vor Erzählungslust und Plänen, wie sie nun erst recht von der Heimat lebensfrohen Gebrauch zu machen wüßten. Schober gar, der trug sich noch ganz als Wilhelm Meister. Denn er war als reisender Schauspieler rheinabwärts und mainaufwärts gewesen und wieder an den Neckar und dann längs der Donau, mit einer Wandertruppe von drei Wagen, wo in jedem ein häuslicher Herd geraucht hatte; ein köstliches Leben: nun, da es vorüber war. Schwind schimpfte und lobte durcheinander München, Jenger brachte Einladungen aus Graz, und Kupelwieser, der noch voll von seiner Romfahrt war, vergaß seine großen Erinnerungen, stopfte behaglich eine Pfeife und sagte zu allem: »Na ja. Weil wir nur wieder bei 'nander sein.« Aber er hatte einen festlich rhythmischen Schritt, dem man eine hohe Freude ansah.

Es war doch schön, wieder beisammen zu sein. Alle hatten sie sich wieder, wie durch ein Wunder aus allen Teilen der Welt zurück ins liebvertraute Wien zusammengeströmt; aus Rom und vom Rhein, aus München, Gastein und Graz!

»Das sollen Abende werden!« jubelte Jenger, und Schober schlug sogleich vor, heute noch am Abend in Schuberts Bude zusammenzukommen und ein Fest zu feiern; ein solennes Antrittsfest ihrer neu vereinigten Freundschaft!

Und so entstand gleich ein denkwürdiges Abendessen bei Freund Bertl, der gar keine Zeit gehabt hätte, sein Zimmer zu ordnen, wenn nicht die Freunde vor seiner Ankunft wie Heinzelmännchen alles in Glanz und Stand gesetzt hätten.

Der erste von allen, der dann am Abend wiederkam, war der junge Schwind.

In der als Vorzimmer dienenden Küche, deren Fenster nach dem Garten hinausging, saß er auf dem Fensterbrett. Schubert hatte ihn dort hinausgewiesen, und Schwind, gedankenvoll und stimmungsbeladen, klimperte Volkslieder auf Schuberts Gitarre, während der kleine, dicke Meister drinnen schnell noch einige Unsterblichkeiten auf Notenpapier hinkleckste.

»Geh 'naus oder spiel in H-Moll,« hatte Schubert dem seelenvoll jaulenden Malersmann zugerufen, als dieser trotz des Musikers Weihestimmung Schäfers Klagelied begonnen hatte, ein Ding von ziemlicher Simplizität, das irgendein Musikweib aus der musikalisch so genügsamen Umgebung Goethes zu großer Genugtuung des Altmeisters gehäkelt hatte und das Schwind in München gelernt.

Also saß Schwind draußen am Fenster und sah in das zerfallende Laub des Oktobergartens, in dem von dem kleinen Sibyllentempel aus Holz, der jenem in Tivoli nachgebildet war, die langen roten Todesfestwimpel des wilden Weines hingen. Er hatte die damals durchaus obligate Sehnsucht nach Italien und zudem einige Prisen deutschen Wartburgwehs und Burschenschaftergroll in sich, sang also als zweites Lied in eigener Erfindung sein Lieblingsgedicht, das Eichendorffsche, wunderschöne, von den Brunnen, welche verschlafen rauschen in der prächtigen Sommernacht.

Der verdunkelnde Garten war reichlich romantisch dazu. Weit hinten war irgendwo der Pferdestall eines Fiakers, verloren und vergessen, hinter wildem Wein, Birken und Platanen; nur die Pferde stampften und schnaubten aus der Ferne. Im Garten aber opalisierte ein mattschielendes Brunnenbecken mit tränenreichen Seerosen, Sandsteingötter schauten hernieder und standen gänzlich abgesetzt und zwecklos aus schöner alter Zeit in die neue herüber, hatten Rokokostil und waren abgetan.

Indem nun Schwind schon am ganzen Leibe vor Altertumsstimmung und Herbstpatina gleichsam zu verwittern begann, schraubten sich stürmisch laut und frohlebig Jenger, Kupelwieser und Schober über die gewundene Treppe empor, waren mit guten Dingen fürs Nachtmahl und Übermut beladen und rissen mit Hallo Schuberts Klingelschnur ab, daß die Glocke meckerte wie eine gehetzte Ziege.

Schwind brach ab, wurde sofort gesund und jung, tat die Tür auf, umarmte die drei geliebten Zechbrüder und führte sie in Schuberts Zimmer, der nun auch recht froh sein Notenpapier beiseite schob.

»Stören wir dich?«

»Nein, ich hab's schon; es wird recht gut.«

»Also ich brauche Holz im Küchenherd,« begann Schober sogleich.

»Er will den Götterfraß zaubern,« berichtete Kupel.

»Aha, das einzige, was er auf seiner Kunstfahrt gelernt hat,« sagte Schwind mit onkelhaften Würden.

»Aber wo denn das Holz!« rief Schober.

»Holz?« fragte Schubert zerstreut. »Ich habe nur eine Flöte da und die ist ein wenig schadhaft.«

»Kann man damit einheizen?«

»Was denkst du,« rief Schubert erschrocken.

»Aber ich brauche doch Brennholz,« verzweifelte Schober.

»Sehen wir einmal auf dem Dachboden nach,« schlug der in Dingen der Aftermiete geschulte Jenger vor.

Das Freundesquintett wurde sofort geduckt und pianissimo. »Ja, sehen wir auf dem Dachboden nach,« flüsterte Schwind, »der Abend ist schon tiefdämmrig. Schubertl, führ' uns.«

Und die Fünfe gingen aus, um Holz zu fällen. Schober zog seinen hochmodischen Paletot an, Jenger eine Art von Fiakerkragen mit drei bis vier Pelerinvolants, Schwind und Kupelwieser ihre italienischen Karbonarimäntel. Der Dachboden war leicht zu öffnen, man brauchte bloß vier Gatterstangen loszureißen; so kamen alle bis auf Schubert hindurch, für den noch eine fünfte herabgebogen werden mußte. Es war tiefgraue Dämmerung; die Parteien, denen die Vergangenheit hier oben gehörte, dösten unten in ahnungsloser Vesperversunkenheit, während die fünf ganz Leisen dort unter ihre Mäntel drei Sessel, eine hölzerne Rattenfalle, eine Hühnersteige, eine Schublade, ein leeres Heringfäßchen und, leider auch, wegen ihres hohen Brennwertes, die beiden ahornen Walzen einer Wäscherolle verbargen, welche dann später sehr lange und vergeblich gesucht wurden.

Nachdem die Einbruchslücke wieder instand gesetzt war, kehrten die fünf Musterhaften wieder in die Küche zurück; die große Heimlichkeit ihres Raubzuges war ihnen so sehr in die Nerven gedrungen, daß sie noch drei Minuten lang wisperten, während sie die Hühnersteige demolierten und Feuer anfachten. Erst als die Schublade krachend in Trümmer zertan wurde, fanden sie, daß es unnötig wäre, jetzt noch geheim zu tun, stießen sich gegenseitig umher, lachten und setzten sich auf den Herd, um zu erproben, ob er schon warm würde. Als Kupelwieser als letzter sich plötzlich mit einem erschrockenen »Au« von der Eisenplatte ablöste, begann Schober mit der Zubereitung jenes Schmierenschauspielergerichts, um dessentwillen er es in Wien schon zu einer Art Berühmtheit gebracht hatte.

Er stellte Jenger zum Speckschneiden an, und wies ihn an, feine, kleine Blättchen zu erzeugen. Schwind, dem als Maler unbilligerweise einige Kenntnisse in der Anatomie zugemutet wurden, hatte die Aufgabe, das zartsulzige Fleisch von einem Ochsenschweife reinlich abzulösen und in Würfel zu schneiden, Kupelwieser schabte zuerst eine Milz aus und schnitt dann etwas Kalbsleber und Nieren in Stückchen, und Schober zerließ den Speck mit feingedrückter Zwiebel und Petersilie über dem fröhlich emporspringenden Feuer.

Plötzlich wurde Schubert vermißt; Jenger und Kupelwieser, die soeben ihre Arbeit beendet hatten, drangen ins Zimmer, um ihn vor etwaiger Arbeit zu behüten, ertappten den etwas Verlegenen aber bloß, wie er eben im Begriff war, eine mit Bindfaden außen ans Fenster geknüpfte Hose einzuholen und das Fenster zu schließen.

»Was soll das? Hast du deine Hose getrocknet?«

»Nein. Das war eine Flagge,« sagte Schubert schüchtern.

»Was, eine Flagge?«

»Ja,« sagte der Musiker. »Habt ihr sie nicht von unten schon gesehen?«

Nach einigen freundschaftlichen Folteranwendungen gestand endlich Schubert, daß er, um nicht im Arbeiten gestört zu sein und doch das für sein Seelenheil so nötige Nachtmahl rechtzeitig zu erhalten, ein Signalsystem mit dem Zahlkellner des Wirtshauses an der Ecke verabredet hatte. Wenn, was ja nicht sehr häufig geschah, Schubert abends zu Hause blieb, so hängte er das jeweilige Zeichen vor Einbruch der Dämmerung aus dem Fenster. Eine Hose mit einem abwärtshängenden Beine hieß: Ein gutes Nachtmahl, also Braten mit Beilage nebst einem Liter Wein. Letzterer hatte sich zu verdoppeln, wenn beide Hosenbeine wehten. Eine Weste bat, etwas schüchterner bloß, um etwas »kleines Warmes«, also etwas Beuschel mit Knödeln, geröstete Leber mit Kartoffeln oder Räucherfleisch mit Kraut, stets neben einer angemessenen Menge Bier. Ein Hemd hingegen, das Symbol kahler Ausgeraubtheit, flehte bloß um Brot, Wurst und Käse; – Bier nach Barmherzigkeit des Wirtes. Stürzte sich jedoch die Hose kopfüber und mit heraushängenden Taschen aus dem Fenster, so hieß dies: Alles egal, ich will gepumpt haben, aber reichlich!

Heute war letzteres der Fall gewesen, wie übrigens schon oft, und mit begreiflicher Sorge wartete Schubert, ob die gestülpte Hose ihre magnetische Kraft am Ende eingebüßt haben könnte? Nun hatte er, da es erfolglos Nacht wurde, das Notsignal in recht gedrückter Stimmung eingeholt und war dabei ertappt worden. Während die Freunde, mit Ausnahme des in alle Herzensangelegenheiten Schuberts eingeweihten Schwind, noch ihr lachendes Hallo loshatten, klopfte es an der Tür. Und wahrlich, siehe: es war der Kellner, der nach den Wünschen des Herrn Schubert fragte.

Schober, zwar in Hemdärmeln, aber glänzend wie stets, gab ihm einen Dukaten und befahl Wein in erlesenen Sorten; ein Umstand, der Schuberts Kredit wieder auf drei Wochen hinaus befestigte.

Inzwischen schmorte das Fleisch des »Ochsenschlepps« zuerst in scharfer Speckhitze. Dann ließ Schober das Ganze soweit abkühlen, um ein Seidel stärkste, dick eingekochte Kraftbrühe zugießen zu können, tat Cayennepfeffer und die leichten Dinge wie Nieren, Leber und Milz hinzu und ließ nun alles brodeln und plaudern, bis eine dickliche Masse eingedünstet war, über der nicht mehr allzuviel Saft stand. Da der Kellner inzwischen mit dem Schankburschen kam und beide alle Arme voll Bouteillen hatten, wurde rasch in der Stube Licht gemacht, der Tisch mit Notenpapier gedeckt, die ganze Familie setzte sich umher, jeder fuhr mit der Gabel in die dampfende Kasserolle und beeilte sich, so rasch und viel von dem berühmten Gerichte seiner Partei zuzuführen, als möglich war. Es war herrlich gelungen, nur etwas unbändig gesalzen und gepfeffert. Aber das verursachte Durst, war also eine Tugend.

Als die Gläser aneinanderklangen, um dem größten Künstler der ganzen Gesellschaft, dem Dichter des Götterfraßes, ein Vivat zu bringen, standen allen schon die hellen Schweißtropfen um Nase, Augen und Stirn, teils vor Eifer, teils wegen der scharfen Speise. Namentlich Schubert schwitzte wie eine Mostpresse und mußte viermal rasch nacheinander gelabt werden, bevor man daran denken konnte, ihn ans Klavier zu nötigen.

Dann sang das Quintett und sang trotz aller leiblichen Sinnlichkeit so schön und selig, daß Gottvater auf das Weltregieren vergaß, den lobpreisenden Heerscharen abwinkte und selbst mit seiner Gnade und Kraft glorreich in die jungen, begeisterten Kerle hineinfuhr, so daß ihre Augen leuchteten, ihre Herzen brannten und daß sie vor Glück, Sehnsucht und Weh zu gleicher Zeit lachen und weinen hätten mögen.

Draußen knurrte der Hausherr, der alte Ölhändler Frühwirt, vorbei, horchte ein wenig, wunderte sich, entdeckte eine Art Rührung und Neid in sich und sagte: »Die Kerle sind verrückter als die Apostel am Pfingstfest.«

Und er ging hinab in die Stube, wo man den Gesang am besten hörte. Ganz zart drangen die herrlichen Töne durch die Zimmerdecke, und der Ölhändler gestand sich unwillig, daß er dem Schubert das letzte Zinsquartal werde nachlassen müssen.

Auch sein Geschäftsleiter, ein Italiener, der eine für jene Zeiten seltene Achtung vor deutscher Musik hatte, war leise heraufgeschlichen, und beide horchten zusammen ganz andächtig in dem verdunkelten Zimmer und wünschten sehr, einen Vorwand zu haben, um teilzuhaben an dem Glück derer dort oben.

Das Geschäft der zwei ging trefflich; sie waren mit Gütern gesegnet und gute, gar nicht seelenlose Menschen, obwohl sie aus ihrer Bürgersicherheit hoch auf den ewig geldlosen kleinen Musiker herabzuschauen gewohnt waren.

Aber heute bohrte ganz scheu und verdeckt ein brennender Neid in den Herzen der beiden, und der Ölhändler erschrak über dem Wunsche, mit einem von denen da oben tauschen zu können, von denen vier doch so arme Teufel waren!

»Die Lumpen, diese Halodris!« seufzte Herr Frühwirt. »Denen gehört die ganze Welt!«

*

Am andern Tage ordnete Schubert einen Plan. Er wollte von seinen Vormittagen, trotzdem die ihm zur Arbeit so heilig waren, dann und wann einen abbrechen und manchmal zur Belehrung und Vermehrung seines Wissens einen Gang tun. Sonntags natürlich in irgendeine der vielen Kirchen, dorthin, wo die schönste Messe zu hören war. Da liebte er am meisten die ganz alten Meister: die strengen, heilig ernsten.

An Wochentagen war es dann weihevoll still in den Museen, von denen er die Belvederegalerie über alles schätzte. Auch die mußte er wiedersehen.

Und dann, vor allem, jener Gang, der ihm einer der geheimsten und liebsten war: um den zu sehen, den, der ihm schon durch seinen bloßen Anblick das Herz zu leidenschaftlicher Arbeit erregte. Wie oft hatte er in Oberösterreich gewünscht, das wilde, herbe, leidvolle Antlitz Beethovens zu sehen, wenn die satten Bürgersgesichter ihm gar zuviel geworden waren!

Dazu nun bot sich bald nach seinem Eintreffen in Wien Gelegenheit. Die Tag- und Nachtgleiche war vorbei, und durchs Donautal fegte der wilde, ganz verrückte und teufelsvolle Wiener Wind. Er stürzte sich über alle Höhen erstürmend gegen die Stadt, daß die Basteien erbebten und die Nadel des Stefansturmes leise zu schwingen begann. Ein nur einigermaßen gut gekleideter Spaziergänger hätte sich schon wegen des Zylinderhutes nicht ins Freie gewagt, abgesehen davon, daß man vom Schottentor bis zum roten Turm an die Bauwerke angeschleudert, von da aber in den Graben geblasen werden konnte, wenn Nordwest im Kalender stand. Zu solchen Zeiten ging nur ein einziger Mensch in Wien aus, der aber mit Vorliebe. Denn erstens fand er da keinen seiner, mit größter Sorgfalt und noch mehr Grobheit gemiedenen Mitmenschen, und dann ist der Sturmwind um Wien die Symphonie aller Symphonien: grandios, voll gottsüberraschender Launen, polyphon und hinreißend, zornig, brüllend, schmetternd und dann wieder voll peinlich stiller Piani. Kurz, der Allergrößte wurde nie müde, sich das herrliche Opus, das dem letzten Chorus Gottes, dem Weltuntergange möglichst nahe kam, immer wieder von neuem vorspielen zu lassen. Beethoven rannte, das war sicher, bei Unwetter zweimal, bei Orkan mindestens dreimal um die Stadt. Hier war der Empfangssalon, in dem man ihn sehen konnte.

An einem der ersten Oktobertage war es. Die Basteien brausten und heulten, in den Schießscharten pfiff es und aus den alten Bäumen der Glacis kam es wie ferner Trompetenton. Ein Staubwolkenmantel hetzte um die ganze Stadt und hüllte sie, beständig im Kreise wirbelnd, ein; es war rücksichtslos großartig, ganz gegen alle übrigen Wünsche der Menschheit und ganz dem einen zulieb, ihm allein erfreulich und genehm.

Schubert war kaum durch das Kärntnertor auf die Bastei getreten, da kam auch schon die ersehnte Begegnung, unerwartet, wie auf der Jagd. In einer aufbrausenden Staubwolke, die ihm Sand in die Augen und Tränen aus den Augen trieb, sah Schubert seinen Gott daherfahren, wie einen wilden Eber. Beethoven, den kürzeren, gesträubtesten und zerbeultesten Zylinder Wiens derb und schief über den Gewaltschädel gerissen, mit flatterndem Frack und wehenden Hosenbeinen, die Absätze in die Erde bohrend, daß die Fußspitzen hochauf ragten, Arme am Rücken, Stock querüber, fluschte über die Bastei und vorüber, als hübe ihn hinterlings der Sturmwind.

Das Kinn war wie ein Fausthieb zwischen den Kragenspitzen auf der mächtigen Krawatte gesessen, als wollte der klotzige Geist mit seiner Stirn die Gedanken einholen und wie Kriegsschiffe rammen. Vorbei war er, ehe Schubert in überraschter Ehrfurcht den Sand aus den Augen zu wischen vermochte. Nun sah er ihm nach, wie er dahinbrauste gleich einem zerfetzten Segel bei Meeressturm.

»Prächtig. Göttlich und dämonisch! – – –

Übrigens, wenn er so fortflitzt, habe ich ihn in einer Viertelstunde auf der andern Seite der Stadt, so zwischen Salzgries und Schottentor.« Und Schubert machte sich eilig und aufgeregt über die Burg- und Mölkerbastei zum Gegenmarsche auf, erreichte die Schottenbastei, wurde dort von dem daherbrausenden Boreas einige Schritte leewärts abgetriftet, kämpfte schräg aufkreuzend von neuem gegen die scharfe Ecke, auf der der Teufel los zu sein schien und bekam ein in das scharfe Heulen und Brausen dumpf einstimmendes Kopfweh; weil er den Hut allzu fest angetrieben hatte. Trotzdem erreichte er, vielmals beiseite und zurück taumelnd, den Donaukanal. Er wußte, daß Beethoven längs des ganzen Wassers mit Gegenwind zu arbeiten haben würde und daß er ihn hier in langsamerem Tempo zu erwarten hätte. Aber da war der Titan auch schon in der Ferne zu sehen; wild und ungeschlacht stampfte er gegen die Windsbraut an, den Schädel gesenkt wie ein stürmender Stier. Schubert wußte, daß man ihn nicht kennen, vor allem nicht grüßen durfte. Erstens tat er, vornehmlich bei solchem Wetter, den Hut gar nicht erst zum Gegengruß herunter und dann machte es ihn schon wild, daß er, irgend jemand zuliebe, seinen Gedanken soviel Kräfte abspenstig machen sollte, als nötig war, um die Hand andeutungsweise an die Zylinderkrempe zu erheben. Schubert also verkroch sich geradezu hinter einem Kandelaber, dessen Lampengläser wahnwitzig klirrten und dennoch nicht das tiefe, nur halbgedämpfte Brüllen zu übertönen vermochten, das von dem daherkommenden Beethoven ausging. »Hahoo, hum, hum, drimm, drumm, drumm,« sang er in voller Wucht und Furia in sich hinein, daß es den Sturmwind überdrohte. Und wie eine gereizte Riesenhummel fuhr er an Schubert vorbei.

Diesmal packte die Aufregung den Kleinen so rüttelhaft, daß er es nicht mehr vermochte, den halben Gang um die innere Stadt nochmals zu tun. Er machte kehrt und stürmte hinter dem verehrten und großartig lächerlichen Meister drein, im kapitalen Gefühl, jetzunder im Kometenschweif unsterblicher Gedanken und göttlich schaffenden Furors einherzutreiben. Wie eine Welle von tieferregten Leidenschaften blieb es im Kielwasser des Gewaltigen zurück und trieb Schubert hoch auf und nieder. Ihn selber packte die wütende Erregung des Schaffenskampfes, und während er wie ein Verliebter dem Geleise des Vorausstürmenden folgte und glücklich war, in solcher Bahn Nachfolge zu leiden, rief er immer von neuem aus: »Du Unseliger und Seliger, du Enterbter und Allesbesitzender! Du Verlassener, du Reichster, Glücklichster! Wie ist mir wohl auf deiner einsamen, windumtosten Fährte.«

Da er mit dem Sturm ging, so lupfte es ihn ein ums andere Mal, so daß er ein Gefühl hatte, als säße er auf dem Winde und käme ins Rollen; das körperlich Schwere verlor sich vor den treibenden Angriffen des Sturmes immer mehr. Es mochte höchst lächerlich ausgesehen haben, wie der kleine, dicke Musikant so geschuppst und getrieben wurde. Er aber, er hatte das selige Gefühl, daß er fliege, wie ein Engel Gottes!

Leider bog Beethoven schon an der Schottenbastei ab, fuhr wie ein Dämon durchs Schottentor hinaus und schoß seiner Wohnung im nahen Schwarzspanierhaus zu. Nun war Schubert Alleinbesitzer der Bastei und singend, voll Ideen, trieb er dem Kärntnertore zu.

Der Musikus stürzte nach Hause, ganz und gar von dem Gefühl des Großartigen, des Gotteszornes, der Weltgerichtswut und des Erlöserdranges erfüllt. In seinem armen Zimmer sah er zwei, drei Augenblicke hilflos umher; denn am liebsten hätte er sich gleich an sein Klavier gesetzt, um zu quirlen und herauszuwühlen, was in ihm orgelte. Dann riß er Notenpapier aus dem Fach und begann seine Töne hinzugrollen; die ersten Takte ganz, als zürnte Beethoven darin. Im Taumel des Ausströmens aber vergaß er den stämmigen Rebellen; immer mehr floß von der himmlischen Güte und Klarheit seines heiteren Wesens hinein; aus dem Zorn wurde Wehmut, aus dem Rätselhaften sinnige Tiefe, aus dem Ringen stille, gesänftigte Erhabenheit. Endlich spielte er sich's selig vor.

Schober kam ihn besuchen. Schubert sagte »Guten Morgen!« und schrieb wieder, indes der Freund still lächelnd und dezent in Schuberts Musikalien blätterte und sich bezwang, die Noten nicht zu summen, die er gefunden hatte. Endlich warf Schubert die Feder fort, war aber unwillig.

»Was hast du denn?« fragte Schober.

»Ich bin dem Beethoven begegnet, und das hat mich aufgeregt.«

»Angeregt, wie ich sehe.«

»Ach was, ich kann's doch nie wie der.«

»Aber so wie du kannst du's. Schau' nicht so unglücklich drein: Willst du mir's einmal vorspielen?«

In diesem Augenblick kamen höflich und neugierig Herr Frühwirt und sein Geschäftsleiter aus dem Magazin zu Besuche herauf. Der dicke blonde Wiener und sein kaufmännischer Berater, der kleine Italiener Zambarutti, waren im vornherein begeistert, als sie den kleinen Meister am Klavier sahen. Sie baten, zuhören zu dürfen, und der Musikant begann, indes Schober an den Noten stand, umblättern zu helfen.

»Siehst es,« sagte Schubert im Spielen. »Bis daher ist es beethovenisch.«

»Weiter,« bat Schober leise.

Und die Töne drängten sich überreich und voll Leben und stritten und jubelten durcheinander wie Kinder, die aus der Schule brechen. Sie klagten dann aus stillen Seelen, sie wurden einsam, standen und erhoben sich wieder, schlangen endlich einen lächelnden Reigen und waren versöhnt wie selige Geister. Mit feuchten Augen hörten die drei Männer zu. »Ach, das ist schön, das ist harmonisch, geordnet und erlöst wie Gottes sittliche Weltordnung.«

»Ja, aber Beethoven hätte es anders gemacht; es wird halt immer der, den ich gar nicht mag,« sagte Schubert, als er sich erhob.

»Freu' dich, daß du so stark, so ganz du selber bist, daß du aus dem nächsten Dunstkreise des Stärksten herkommen durftest und dennoch so was Eigenes schaffen mußtest.«

»Ah, Maëstro,« sagte Herr Zambarutti. »Ihnen fehlt der Zorn von diesem halbverrückten Menschen? Sie sind der Sonne mehr nahe als er. Serenita nennen wir es. Es ist die Heiterkeit des durchgeleuchteten Südens. Oh, warum komme Sie nie nach Italien? Sie sind ein verlorenes, ein tiefsinnig gewordenes Kind dieses Landes und würden nur Ihre liebe, gute Mutter finden in der Italia.«

»O weh,« sagte Schubert. »Ich kann kaum eine Reise nach Oberösterreich machen und bin auch schon gleich mausekahl in den Taschen. Den Hausherrn muß ich ohnehin um Zinsaufschub bitten.«

Herr Frühwirt machte eine milde Handbewegung.

»Und jetzt erst nach Italien! Das kann sich Exzellenz Goethe erlauben; wann aber werde ich dazu kommen!«

»Oh, geben Sie Konzerte,« rief Zambarutti.

»Du, das wäre ein Gedanke,« sagte der stets wanderlustige Schober. »Ich begleite dich, Vogl ist jetzt ohnehin drunten; der singt schon deine Sachen, und so kommen wir auf die Kosten.«

»Schöne Träume,« sagte Schubert.

»Sehen Sie diesen Sturm; hören Sie?« sagte Herr Zambarutti, denn der Wind heulte immer noch gewaltig um die Kuppel und Säulen der Karlskirche und um das Frühwirtsche Haus. »Diese grauen, drängenden Wolken sind morgen vielleicht schon still und hocken als Nebel tief unten in alle Höfe und über die Dächer. Das ist Wien. Und aber gehe Sie an einem sönen Tag auf die Kärntnerbastei und schaue Sie hinunter über die große Ebene, über die weit weg stehende Berge. Blau und Silber, alles! Das ist der Süden. Oh, Sie wären zu Hause dort.«

Die Freunde empfahlen sich und gingen zum Abendessen nach dem Stefansplatz, denn der Tag war für einen Ausflug zu rauh.

»Der Italiener kann einen verrückt machen,« murmelte Schubert. »So oft mir einer vom Reisen anfängt, beginnt mein Herz zu flattern wie ein eingesperrter Zugvogel. Da unten wär's jetzt hell und warm und leuchtend blau. Der Goethe hat sein Glück drunten gefunden, sein schönstes Glück …«

»Reisen wir. Machen wir eine Opernbühne: Du gehst als Dirigent mit, Schwind malt die Dekoration, wir schreiben dann zusammen eine Oper –«

Als die Freunde beim »Haidvogel« seßhaft waren, kam es noch ärger; denn kaum hatten Schwind und Kupelwieser von Italien gehört, da fing die alte Romantikersehnsucht Feuer wie eine Papierlaterne. Sie erzählten von der blauen Glut des Meeres, das an dem Strande wie flüssiger brennender Schwefel zittert und schwelt, von den Nächten, in denen das tausendtönige Leben erst recht erwacht von der Zikade an bis zum Gesange der Mädchen, von den hundert Brunnen Roms und andern viel besungenen Dingen, die sie alle teils selber, teils aus Erzählungen kannten und inbrünstig ersehnten.

Schubert aber trank still und viel, zerarbeitete in heimlichem Weh eine zinnerne Gabel unter dem Tische und stöhnte ganz innerlich: »Ach, daß man so ein armer Teufel ist. Und jetzt kommt hier der Winter.«

Anderntags saß er schon in aller Frühe in Hemd und Unterhose auf seinem Bette, hatte die Gitarre und spielte welsche Motive. Die Luft war ruhig geworden, der Himmel klarblau mit hellen, eiligen Flockenwolken. Da trieb er seine Wünsche und seine Seufzer und sein ziehendes, treibendes Fernweh aus sich wie eine drängende Lämmerherde, und abermals weideten die allerschönsten Noten auf dem Papier. Alles, alles wurde Musik; Wunsch und Klage, und vor allem die Brunnen von Rom, die zirpenden, kichernden, sangvollen Nächte des Südens und Goethes klar überschauende Freude, die Schubert sich vorzustellen wußte. Alles wurde Wirklichkeit, und die Sehnsucht wurde erlöst und geboren und wurde zu Tönen ohnegleichen.

Nun war er wieder glücklich. Die Seufzer waren durch Gottes Güte in Herrlichkeit und Seligkeit verwandelt. Nur ganz leise noch blieb in ihm ein Restlein holde Erinnerung an schönes, vergebliches Wünschen.

»Gehen Sie an einem schönen Tage auf die Kärntnerbastei und schauen Sie über die große Ebene nach Süden,« lächelte er in Erinnerung an den begeisterten Zambarutti. »Man könnte wirklich im Dreimäderlhause auf der Bastei einen Besuch machen und Haupt an Haupt mit dem braunen und dem blonden und dem schwarzen Kopferl nach Süden schauen.«

Glücklich und leise singend, weil er so fleißig und voll des Honigs gewesen war, ging er über das Glacis nach der Stadt.

Das Dreimäderlhaus stand hoch auf der Bastei und (mit Ausnahme des Erdgeschosses, das an kleine Kaufleute vermietet war) saß bloß die Familie des Hausherrn und Glasermeisters Christian Tschöll darin. Es war in der tiefleuchtenden Goldockertinte gehalten, welche sonst die kaiserlichen Lustschlösser auszeichnet, und sah damit selbst an unfreundlichen und neblichten Tagen aus, als wäre es ein wenig angesonnt. An dem schönen Oktobertage jedoch, da Schubert drauflosging, strahlte es, über dem Festungswall vom blauen Himmel abgrenzend, wie die goldene Sonnenkalenderplatte aus dem Aztekenschatz.

Herr Tschöll, als Glasermeister in jener Zeit der Vitrinen, der Überfang- und Schliffgläser ohnedies ein halber Künstler, war nebenbei all sein Lebtage ein ausgezeichneter Musiker gewesen, und im Hause Salieris hatte er ehedem auch den jungen Schubert kennengelernt. Aber der Götterkreis des Herrn Tschöll schloß damals kategorisch mit Mozart und Haydn ab, und Beethoven war für ihn nur der »verrückte Musikant«. Seit jener Zeit aber hatte sich manches geändert. Herr Tschöll war es einst gewesen, der die Familie des Bäckermeisters Grob in ihrem Widerstande gegen den armen Schulmeister Schubert als Schwiegersohn bestärkte und die Neigung des schüchternen Franzel und der ruhigen Therese zerreißen geholfen hatte; bloß weil er es für unmöglich hielt, daß dem regellosen und alle strenge Schulung wenig achtenden Musiker jemals eine gedeihliche Zukunft werden könnte.

Damals hatte der arme, verratene Franz dem um vieles älteren Tschöll nach einem heftigen Vorhalt verstockter Schulmeisterei die Freundschaft gekündigt und war weggeblieben.

Seit jenen fernen Tagen war der kurze Musikant wohl in viele Häuser gebeten worden, aber stets erwies es sich, daß er bloß an ein Klavier gebeten worden war. Zu Hause, als Mensch, als Alltagsgemüt, war er nirgends, außer bei den Freunden im Wirtshaus. Bei Tschöll hatte man ihn manchmal im Sommer genötigt, den Frack abzulegen und in Hemdärmeln zu spielen. Nach dem Mittagessen, bei dem vor ihm alle Familiendinge verhandelt worden waren, mußte er sich ein wenig auf dem Diwan strecken und bekam die Zeitung. Dergleichen herzliches Teilnehmenlassen an der Behaglichkeit eines Familienhauses war ihm nie wieder geboten worden, und mit gepreßtem Herzen dachte der arme Schubert oft an die Sonnenstreifen, die durch die Südfenster des Tschöllhauses auf den weißgedeckten Mittagstisch fielen, an dem die drei kleinen Mädchen und der sänftiglich ehrbare Vater saßen, indes Frau Tschöll, die den ganzen Tag lustig und leise sang, fröhlich auf und ab lief und den gefüllten Tisch versorgte. Die liebte nichts mehr als einen eng in der Runde umsessenen Mittagstisch. Das war ihr magischer Kreis, der sie lebendig machte. Freunde, wenige, zwei oder drei, aber die sollten sich mit Mann und Kind freuen und es gut haben.

*

Nun aber Herrn Tschöll, dem erging es ebenfalls wunderlich. Er war ein aufrechter und strenger Hausvater gewesen, als er jung war. Wie nun aber seine Mädchen heranwuchsen und so heiter, biegsam, natürlich und schön wurden, wie auf der ganzen Erde keine Frauen gedeihen außer in Wien, da ward er von Jahr zu Jahr milder, wie guter, geistiger Wein und ließ seinen Mädchen vieles angehen, das er früher verboten hätte. Und siehe, die drei Dinger spielten und sangen den ganzen Tag zur Erbauung Beethoven und zur Erholung Weber und am liebsten die Lieder und Klavierstücke eines gewissen jungen Meisters, von dem mit wachsendem Erstaunen in ganz Wien gesprochen wurde. Denn er war in demselben Wien geboren, das sonst alle Dinge des geistig beseelten Lebens aus der Fremde bekam. Und dieser junge Musikant war derselbe, der vor einigen Jahren im Tschöllschen Hause die Tür grollend hinter sich zugeschlagen hatte.

Bevor der strenge Leichenhüter des Kontrapunktes und Generalbasses von ehedem, der Herr Tschöll gewesen war, noch mit ernsthaftem Widerstande auf seine Mädchen eindringen konnte, hatten ihn diese schon mit den neuen Tönen umwoben, hatten ihn weich gesungen und ihn an das eigensinnig fröhliche Weiterleben der Kunst gewöhnt, ehe er es noch selber merkte. Manchmal summte er mit, und Schuberts Lieder kannte er auswendig, so gut wie Frau und Töchter.

Waren diese Lieder sehnlich und trauernd, so dachte er an den stillen, in sich geschlossenen kleinen Tondichter, und in seiner Seele seufzte es: »Ach, die gesänftigte, reintönige göttliche Wehmut ist ausgezogen und fort aus diesem Hause«; und jauchzten und wirbelten die Töne wie aufsteigende Lerchen, so dachte er: »Was für ein unsägliches, quellendes Glücksempfinden in dem himmlischen kleinen Kerl! Und der hat mich verlassen …«

Seine Mädchen spielten Klavier und Geige, hatten viele und bedeutende Freundschaften, und als an einem sehr nachdenklichen Geburtstage des Herrn Tschöll, dem fünfzigsten, ein frisches Halbdutzend Menschen mit dem Forellenquintett auf sein überraschtes Herz losbrach, als das tiefreiche und beseelte Allegro und das Andante vorübersummte und so oft das Temperament des verschollenen Freundes in reizendem Tremolo dazwischenkicherte, in Tonfiguren, als ob sich ein gefangenes Fischlein in Menschenhand quirlend bewegte, und als endlich das Scherzo in einer Kraft, Frische und Lauterkeit losbrach, wie sonst nur mehr der beryllklare Steyrfluß über Felsen zu stürzen wußte, da stürmte sein Herz in Lust und Leide der Sehnsucht auf, und reichliche Tränen entstürzten den alternden Augen.

So litten beide nacheinander, wünschten nur einen Hauch jener holden Zeit, nur einen hellen Freundesblick zurück und waren sich dennoch ferne und trotzten.

Hedderl, die Älteste, ein festes und klares Mädchen, merkte mit stillem Beiseiteblicken, wie der Vater litt und wie er oft tiefgesenkten Hauptes mit der Hand oder wohl gar mit der Serviette die Augen verhüllte, wenn Schuberts selige Frische in den Saiten aufrauschte. Dann kämpfte er gegen das Weinen; das wußte sie.

So bat sie ihre Lehrerin Fröhlich, sie mit Schubert zusammenzubringen, und das kluge Fräulein stellte ihn an einem der schönen Abende bei Spaun dem klarbraunen, ernsten Mädchen vor, sagte aber bloß: »Meine Freundin Hedwig!« Schubert, mit nahesichtigen Brillen für Noten versehen, erkannte das hoch herangewachsene Mädchen gar nicht mehr, und als sie ihn fragte: »Wollen Sie denn von uns gar nichts mehr wissen?«, da machte ihn die weibliche Altstimme noch verwirrter, denn er hatte damals nur ein Kind gekannt. Wie sie ihm aber raten half und sagte: »Ich bin die Hedderl«, da packte er sie an den Händen, riß sie in einen Winkel und stürzte mit einem Male solch ein Vertrauen, – solche Klagen und solche Liebe zu ihrem Vater heraus, daß ihr kluges, ruhiges Herz vor Mitgefühl mit seiner Einsamkeit in leiser Neigung zu zittern begann.

Dann war, im Frühling jenes Jahres fünfundzwanzig, der Tag, an dem beide vorbereitet waren, einander in die Arme zu eilen. Schubert sollte wieder auf Besuch kommen. Vor Jahren, in der jungen, lustigen Zeit, da Schubert den älteren Freund mit seinen antiquarischen Neigungen zu necken liebte, hatten sie einen Pfiff verabredet, damit Herr Tschöll von den Dienstmädchen nicht verleugnet würde und er sich für Schubert sowohl aus dem Magazin wie aus dem Kontor gleich losmachen könne. Es war jene italienische Melodie, welche unter dem Namen cosa rara einstmals eine kleine Reise um das Erdenrund gemacht, viele Herzen erleichtert hatte und von Mozart scherzweise in der Tafelmusik des Don Giovanni benützt worden war. Schubert pfiff stets ankündigend die ersten Takte, und Herr Tschöll, wenn er sich nur in Hörweite befand, setzte je nach Fröhlichkeit und Augenblickslaune die Melodie fort, und oft schüttelte er dem Freunde noch pfeifend die Hände und pfiff weiter, bis zum Ende der geliebten Weise.

Als nun damals Schubert wiederkam und ein enges, gepreßtes Herz hatte, ob das Wiedersehen wohl nett und glatt geschehen könnte, da fiel ihm der alte Verkündigungsgruß ein, und er begann hellaut mit der rosa cara und hatte nicht eine Sekunde zu warten, denn kreuzfidel kam die Fortsetzung vom Hofgange des zweiten Stockwerkes herab. So schien denn die liebe alte Zeit aufs vollkommenste wieder da, denn Herr Tschöll in seinem Glück pfiff die ganze Arietta zu Ende, und am Gangfenster lachten drei Mädchengesichter. Schubert lief wie eine Maus die Treppen hinauf, und dann faßten die alten Freunde sich tiefatmend und etwas zögernd an den Händen.

Schubert war scheu und verlegen; Herr Tschöll auch nicht ein Mensch, der jedesmal zum Umarmen aufgelegt war, und so sagte der kleine Musiker schnell: »Du, ist dein Klavier noch gut? Ich hab' da ein paar Ideen, die ich mir schnell vorspielen muß.«

»Ja freilich!« jubelte Herr Tschöll aus frohem Herzen, daß Förmlichkeiten entfallen waren. Schubs, saß das kleine Genie auch schon am Klavier, seine rundlichen Händchen warfen sich in die Tasten und gruben wirbelnd prächtige Dinge empor. Die drei Mädchen heulten vor Ergriffenheit, Herrn Tschöll stockte die Kehle, voll dicken Widerstandes gegen die Rührung, die ihn fast noch mehr schüttelte als seine Töchter, aber Frau Tschöll brachte eine Tasse mit Gläsern und eine Flasche Tokayer Ausbruchweines, da tranken alle. Herr Tschöll wurde schwach und entließ wirklich einige Tränen, und Schubert wurde stark und sagte: »Was waren wir für Schafe!«

Von dem Tage an war die alte Freundschaft noch glücklicher und fester geworden; bloß daß Schubert zu merken anfing, wie zwischen ihm und Hedderl der geheim empfundenen Herzlichkeit zuviel wurde. Da fürchtete er abermals Herrn Tschölls harte Worte vom heiratsunfähigen armen Musikanten zu hören und rettete sich nach Oberösterreich, um ein klein wenig stiller in seinen Träumen zu werden. Er hatte freilich nur ein bißchen allzu warm gewordene Freundschaft zu vertilgen. Bei Hedwig war mehr dagewesen; aber mutig und trotzig zertrat auch sie die aufquellende Neigung als töricht und unbrauchbar, und gab, halb ruhig und halb mit zuckendem Herzen, einem lebensfesten, braven, jungen Sattlermeister noch im selben Spätsommer das Jawort.

Als nun, an diesem liebreich lichten Oktobersonnentage, Schubert vors Freundeshaus kam und froh und bang die alte Meldweise pfiff, sollte er Hedderl schon gestillt, würdig und gefaßt als eines andern Braut wiedersehen. Er wußte es schon und brachte ihr mit tiefernstem Herzen seinen Glückwunsch. Still und enthuschend versteckte er sich dann am Klavier und gebot seinem Herzen sogar in der Sprache des Jenseits noch sittliche Gewalt und Heiterkeit. Die zweite, das milde und sanftblonde Heiderl, die um beider stille Entsagung wußte und in ihrer Romantik das Gewicht seines Wehes weit überschätzte, sah ihm gerührt zu und glaubte sich verpflichtet, die Gefühle der Schwester weiterzupflegen: in sich selber. Mit allem Bewußtsein begann sie sich in das arme, mopsig aussehende und scheue Musikantlein zu verlieben.

Heide war von rührender Unwissenheit des Herzens und so sanft, wehr- und künstelos, wie sonst nur vierbeinige Jugend bei Haustieren, Kühlein oder Lamm, zu sein pflegt. Sie war lange Jahre einer Erbtante auf dem Lande überlassen gewesen, in Krems, und als sie von dort nach Erfüllung ihrer Pflicht zurückkam, die darin bestanden hatte, der alten Frau die letzten Jahre sänftlich gemacht und die Augen zugedrückt zu haben, da trug sie sich nach ländlicher Art in Miederleibchen und geflochtenen Zöpfen, wollte nur ungern Stadtkleider ertragen, ließ als Zeichen sanfter Ergebenheit die Unterlippe in der lieblichsten Energielosigkeit löffelartig vorhängen, sagte bei allem: »Ja, bitte« und »Danke« und knickste dazu so fromm und brav, daß sie sehr schnell den Spitznamen »Die Unschuld vom Lande« weghatte, obwohl sie sich ängstlich beeilte, aus dem Spritzregen fröhlichen Spottes zu kommen und die hellblauen und weißlichrosenfarbenen Landdirnkleider abzutun. Sie bemühte sich auch, den Mund zu schließen, die Haare modisch zu scheiteln, die hübschen Schultern in ruhigem Stolze herzuzeigen und statt des einbruchartigen Knickses graziöse Verbeugungen zu machen. In ihrem Innern aber blieb sie immer noch ländlich, fassungslos und so fügsam blond, daß es zum Staunen war. Sie war entzückend naiv.

Bloß gegen die Schwester empörte sich die sanfte Adelheid ein wenig; freilich ganz unschädlich, wie sie selber war. Daß Hedderl ihre Liebe weder großgezogen noch festgehalten, erschien ihr hartherzig und kalt, und sie fühlte ein tiefes Mitleid mit dem armen Bertl, wie der Vater den Tondichter nannte.

Hedwig sagte der Schwester gleich auf den ersten Blick: »Ganserl, sei still und mach's selber besser. Er steht dir ja zur Verfügung.« Da wurde Heiderl so sehr tiefrot, daß die kluge Hedwig sich vor sie stellen und das Bild vollkommenster Verwirrtheit vor den andern verstecken und warten mußte, bis sie sich beruhigte. Da Heide ein unsäglich mildes und gerechtes Herz hatte, bildete sich in ihr die feststehende Idee, daß die Familie Tschöll an Herrn Franz Schubert ein großes Schuldkonto von Liebe abzutragen habe – erstens, weil Herr Tschöll seinerzeit eine Heirat mit einer gewissen Resi Grob hintertrieben, und zweitens, weil sich nun auch Hedderl dem armen Menschen versagt hatte.

Denn die Jüngste kam in Liebessachen wohl noch nicht in Betracht. Hannerl war schwarz, blaß, noch knabenhaft schlank und biegsam, sehr lebhaft, wurde aber dabei selten laut. Ihre ewig regen Gefühle äußerten sich fast nur in Bewegungen; zum Schwätzen gelangte sie bloß bei großer Anregung. Obwohl sie fünfzehn Jahre hatte, war ihr bildschönes Antlitz noch blaß und schmal wie das einer Dreizehnjährigen geblieben, und die damals bei Kindern übliche, in runden Knoten zu beiden Seiten der Wange liegende Haartracht verstärkte trotz der tiefen, heißfragenden Augen noch den Eindruck der jungen, ahnungsreichen Unbewußtheit, den das neugierige Geschöpf mit dem dunklen Haar und der dunklen, herben Stimme machte.

Wie nun die Schwestern, der Vater und der Bräutigam mit dabei, um den Musiker saßen, der ihnen am Klavier ein neues Lied mit seiner sanften und leisen Baritonstimme andeutete, da schellte es, und zwei Frauen kamen auf Besuch, zwei Basen, beide reich, frohmütig und lebensfrisch und beides Witwen. Da das Lied von unglücklicher Liebe gehandelt hatte, fingen sie gleich gutgelaunt von Liebe, Liebessachen, Glück in der Liebe und Liebesweh zu schwatzen an, beneideten auch sehr den armen Schubert, der doch fortwährend von den schönsten Mädchen und Frauen umgeben und dabei frei, talentvoll, frohmütig und lebenslustig sei.

Die eine, Frau Baumeister Reinagl, sagte: »Kurz, also der Bertl ist der glücklichste Mensch, den ich je gesehen habe.«

»Ist ja alles nicht wahr!« widersprach Schubert. »Von allem, was Sie mir Gutes gönnen, hab' ich noch nicht das geringste erlebt.«

»Oho, fangen wir an,« sagte Frau Reinagl, »die Frauen verehren Sie.«

»Bloß die schiechen,« erklärte Schubert wehmütig.

Es ging ein kleiner Tumult los.

»Hören S' doch zu!« fuhr der kleine Musiker fort. »Es ist wirklich so. Je sauberer, jünger und glücklicher an äußeren Gaben die Mäderln und Frauen sind, desto weniger kapieren's meine Sachen.«

Wieder knatterte große Gegnerschaft empor. »Halten's uns denn alle für schiech?« rief Frau Reinagl lachend.

»Abgesehen davon,« wehrte sich Schubert, »daß das hier das einzige Häuserl in ganz Wien ist, wo man mich sein läßt, wie ich bin – traurig genug, daß es nur eins gibt –, so versteht sich von selbst, daß ich den Anwesenden nur Angenehmes zu sagen habe. Aber wenn ich Ihnen, wie Sie da sitzen, meine tiefsinnigeren Sachen vorspielen wollt – – –«

»Spielen's, spielen's!« riefen alle.

Schubert begann ein schwertrauriges Mollthema. Nach zehn Minuten tupfte ihn die jüngere der Witwen, Frau Oberleutnant Ruzki, leise auf die Schulter. »Wissen Sie denn gar nix Lustigeres, Herr Schubert, für uns halt bloß?«

Schubert ließ sein Thema lachend frei, variierte in Dur hinüber, ging in Walzertakt, und während alle die bildhübschen Puppengesichtlein um ihn sich aufhellten, sagte er, ins Spielen hinein, mit dem Kopf nickend: »Sehen Sie, sehen Sie! Je sauberer, desto weiter von dem weg, was mein bestes Wesen ist. Und so geht's mir alleweil. Nach allen Seiten greifen die schönen Frauen und Mäderln auseinander, alle nach anderen Leuten, und ich steh' allein in der Mitten und soll dazu noch Tanzmusik machen. Ja, ja!«

»Gehn's, kommt denn beim Lebensglück gar soviel auf uns an?« fragte die eine der Frauen.

»Hja. Leider!«

»Geh', red' nicht so,« mischte sich Herr Tschöll ein. »Du bist in deinem ganzen Gemüt licht und voll Vergnügtheit. Du kannst dich über alles freuen wie ein junges Hunderl, alles schmeckt dir, frei bist du wie der Vogel, deine Freunde haben dich gern, lachen tust mehr als alle übrigen zusammen, und über all das hast du deine glückliche, mühelose, schwalbenleichte, wunderbare Kunst!«

»Ja, meine Kunst!« sagte Schubert voll innigem Getröstetsein.

»Nun also – bist du glücklich oder nicht?«

»Mein Gott, ich bin jung! Ja, wenn ich so alt wär' wie der Papageno und dann noch so glücklich – –«

»Wer ist der Papageno – – –?«

»Also der, ja! Der ist der einzige ganz und gar glückliche Mensch, den ich in meinem Leben gesehen habe. Vogl und Doktor Schellmann sagen's auch.« Und er begann der fröhlich angeregten Gesellschaft vom alten Adamheinrich Gupf, weiland hochfürstbischöflichem Vogelfänger, zu erzählen.

»Den müssen wir sehen!« riefen die Damen.

*

Da in dem dreißigjährigen Turnus und Wellengang der Kunstmeinungen, die noch von jeher jeden Künstler bald ganz zutiefst verbannten und dann ganz hoch emporhoben, damals Mozart gerade wieder obenauf war, besprochen, viel betrauert und aufs höchste bewundert wurde, so gewann der alte Gupf durch die gesprächige Austrägerei der zwei munteren Witwen als Original und Urpapageno bald die heitere Aufmerksamkeit vieler Kunstkenner, die ein kleines Vergnügen mit ihm gerne nebenher gehen lassen mochten. Herr Tschöll, die beiden Witwen, die Schwestern Fröhlich, die Herren von Spann, von Schönstein und viele andere von viel vermöglicheren Mäzenen leiteten eine lustige Sammlung ein, die den Betrag von hundertundneunzehn Gulden Konventionsmünze ergab, welche Summe für jene Zeit und den alten Gupf erschrecklich viel war und dazu dienen sollte, die Kosten der Wiener Reise und eines kurzen Aufenthaltes des interessanten Mannes zu bestreiten, der soviel über den jungen Mozart zu klatschen wußte und seine alten Tage so vergnügt ertrug.

Bis aber die Geschichte vom alten Gupf sich umhergesprochen hatte, war es Weihnacht, Neujahr und später geworden; da erst konnte man den heiterlebigen Graukopf nach Wien rufen. Er antwortete in einem Brief voll Gloriagefühl und Jubel, wollte aber erst kommen, wenn die Donau eisfrei wäre. Dies geschah nun erst im März. Inzwischen war aber Fasching eingefallen, und der ist in Wien so wichtig, daß davon nichts verschwiegen werden darf.

Schubert hatte nämlich seinen Freund Schober in das Dreimäderlhaus gebracht, und das war von Übel. Denn für Schubert war Schober der ewig heitere, abenteuerliche, tausendfach hilfsbereite Freund und gute Junge, für die Tschöllsleute und ihre Mädchen aber der reiche und hübsche Herr Baron.

Schober hatte ein offenes Herz, das seinem Freunde Schubert voll entgegenschlug und von dessen Genius schwärmerisch erfüllt war. Er hielt den armen Musikanten frei, wo immer es nottat, gewährte ihm in seiner eigenen Wohnung in den Zeiten des Mangels Quartier und teilte den Bissen vor dem Munde mit ihm. Alles, alles gönnte ihm Schober, nur bei einem Gut der Erde schien er zu glauben, daß Schubertchen nicht das mindeste Bedürfnis danach hatte. Hier nahm er dem Freunde unbekümmert und freimütig weg, was nur zu rauben war: das waren die hübschen Mädchen.

Schubert hatte da schon einige kleinere und sehr leicht zu verschmerzende Erfahrungen gemacht. Dennoch führte er den Freund im Hause ein. Er fühlte Heiderls leises Hindrängen zu ihm und ihre sanften, schüchternen, warmen Blicke und wagte, wagte kaum, ein wenig in der Hoffnung zu atmen, daß er dem lieben, reinen Kinde vom Lande ein wenig wert sein könne. Da mußte der hochfeine Probierstein heran, der hübsche, lustige Baron, bevor er seinem mißtrauischen Junggesellenherzen gestattete, schneller zu pochen.

Schober war ein spiegelblank gebügelter Junge, wie Samt und Seide. Unter der tadelfreien Lockenfrisur ein bildhübsches, diskretes Antlitz mit behutsam süß gespitztem Munde, der vorsichtig zu schmunzeln, reizend zu plaudern, interessant zu seufzen und schmelzend zu singen wußte. Er trat stets zurückhaltend, gedämpft und leise auf, bis er wußte, daß alles auf sein Geheimnis gespannt war. Dann aber ließ er ein Sturm- und Dranggenie los, erzählte von seinen Fahrten als Wanderschauspieler, von Sturm und Entbehrung, faulen Äpfeln, Direktoren, die sich selber ihren Hering brieten, und duftenden, erlauchten Billets doux, von Eifersucht und Kollegenneid, Triumph und Heimweh, Rastlosigkeit und Ruhesehnsucht, so daß alles im Banne der einmal frischen, wilden und dann wieder holden Stimme war.

Der nun kam ins Dreimäderlhaus, stutzte zuerst vor Hedderl, sah ihre klugen, ruhigen Augen, hörte, sie sei Braut, verneigte sich ehrerbietig und blitzte mit freudigem Erstaunen die bestürzte Heide an, welche – ohnehin stets im Zustande bescheidener Fassungslosigkeit – dunkelrot wurde, als man ihr einen Baron vorstellte; den ersten in ihrem Leben, und der schaute sie gleich an wie den Pfirsich, in den man beißen will.

Als der aristokratische Kenner Heide so hinreißend verlegen merkte, kümmerte er sich um die halbentwickelte Hannerl gar nicht erst, sondern blieb bei der Unschuld vom Lande und war zurückhaltend, schüchtern und naiv wie sie, worauf sie Mut bekam und endlich zu schwatzen anfing.

Sie hatte von seinen Wanderfahrten gehört und fragte, ob er Krems gesehen habe, das einzige in der Welt, was sie kannte und wovon sie einigermaßen fließend zu sprechen wußte.

»Ach ja, das ist die Stadt mit dem Mandl ohne Kopf,« sagte er in gleich schüchternem Tone wie sie.

»Und mit dem Schwedenturm,« fuhr sie eifriger fort.

»Was, die Schweden waren auch in Krems?« fragte er.

»Wo wären denn die schrecklichen Menschen nicht hingekommen!« schmollte sie.

»Freilich; bis ins Dreimäderlhaus!« lächelte er langsam. Da fiel ihr ein, daß ja der interessante Baron Schwede von Geburt war, und sie wurde wieder rot.

»Schreckliche Menschen!« sagte er sehr ernst und betrübt.

Da bat ihn Heide um Verzeihung, wollte ihm bedeuten, daß er gar nicht schrecklich sei, und wurde mitten in ihrem Kompliment abermalen rot, so daß er ihr half und getröstet und erleichtert tat, daß er ihr nicht soviel Grauen einjage wie Wrangel und Torstenson. Worauf ihr ebenfalls ganz leicht zumute ward, solch einen kindlichen Menschen angetroffen zu haben.

Einmal zuckte Heide wohl zusammen, denn sie plauderte, was sie sonst nie tat, in der andächtigen Zeit, da Schubert am Klavier saß. Der aber war so ernst versunken und dachte so offenkundig gar nicht an Heide und nur an seine Musik, daß sie ordentlich verletzt war, warum Schubert nicht eifersüchtig wurde. Nun plauderte sie erst recht mit Schober, aber ihr kleiner dicker Freund hatte einen heiligen, tiefversunkenen Abend, daß er gar nichts bemerkte.

Beim Abendessen saß Schubert neben ihr und war immer noch in seine liebe Tonwelt verzückt. Da ward nun Heide wieder bang, er könnte so einsilbig sein, weil er ihre Vertraulichkeit mit Schober notiert habe, und sie bemühte sich erschrocken, demütig und liebevoll um den Verlassenen, in dessen abwesendes Herz ihre herzliche Milde mit der lieblichsten Wärme drang, ihn wieder der Welt zukehrte und froh und dankbar machte.

Es begann denn so der seltsamste Zustand im Herzen der armen Heide. Sie glaubte sich heiliglich verpflichtet, die kühle Abwehr der älteren Schwester, die wegen der Armut des kleinen Musikers erfolgt war, als ein Unrecht mit ihrer eigenen sanften Person wieder gutzumachen und so gut es ging zu zahlen. Schubert aber, der sich vor der traulichen Annäherung stets ängstlich duckte, weil er neue Wunden zu alten Narben fürchtete, schien ihr Mitleid und ihr schüchternes Werben gar nicht nötig zu haben.

Da sah denn Heide immer öfter den Herrn Baron an, der sie herzlich ermutigte, mit ihm über alle Kleinigkeiten ihres stillen Nähkramlebens zu reden, wurde an ihm warm und sah ihn noch wärmer werden, fürchtete sich, fühlte Schubert traurig herübersehen und sich dann gleichsam wund und weh in sein Notendickicht verkriechen, bereute sehr und kam wieder zurück.

So war sie mit ihrem schwachen, furchtsam liebevollen Herzen selber ein Spiel ihrer Rechtlichkeit, und dennoch entstand etwas, das einem koketten Spiele mit den beiden Freunden ähnlich sah und das von Hedderl tadelnd und von Hannerl mit gierigem Lerneifer angesehen wurde.

Heide war durch den leisen Tadel der älteren Schwester und das begeisterte Anhetzen der jungen, gewandten Katze, die Sinn für dergleichen Teufelsdinge hatte, nur noch verlegener, und in ihrer Befangenheit vergriff sie sich noch mehr als sonst im Ton, den sie den beiden Freunden gönnte. Denn als sie gegen Schubert abweisend zu werden versuchte, verschwand der sogleich gehorsam und allzu bereitwillig auf lange Wochen, und bei Schober half denn das kühle Benehmen erst recht nur, den Eroberer zu reizen.

In dieser prickelnd gefährlichen Zeit war Tauwind im Lande an der Donau angekommen, und hinter dem letzten Treibeis und nach dem Hochwasser fuhr selig der alte Gupf auf dem Linzer Marktschiff in die Stadt seiner Träume ein.

Das Gerücht lief umher, wo Musik getrieben wurde: Der Urpapageno ist da!

Er stellte sich auch sogleich im Tschöllschen Hause vor. Er war rot vor fröhlicher Erregung, schlingelhaft und frisch wie ein Jüngling, den langen Hals unternehmend und schräge vorgestreckt, und trug einen Frack, an dem man studieren konnte, was Provinz und Vorväterschaft für hinreißend hielten. Adamheinrich Gupf trat fröhlich und sicher auf, wurde aber gleich während der Vorstellungsszene, die der aus Italien zurückgekehrte Vogl leitete, zerstreut. Er sah mit schiefem Halse schmunzelnd und verliebt nach den schönen Tschöllmädchen hinüber, und als Herr Tschöll lachend sagte: »Na, Herr Gupf, gefallen Ihnen meine drei Mädel? Nur zu, nur zu!«, da trat er zu den hell durcheinanderlachenden Mädchen hin, die ihn freimütig ansahen, machte die schönsten Kratzfüße und war genau so galant, wie er es vor fünfzig Jahren dem Erzbischof Hieronymus abgespitzt hatte: gnädig schmunzelnd und segensreich, nur in rascherem, leichtblütigerem Tempo.

Man merkte bald, daß er die Jüngste am meisten vorzog. Hannerls eindringlich fragende Augen schienen den alten Gockel mächtig zu bewegen, und auch sie war voll Neugier nach ihm. Herausbekommen wollte sie, wie er so alt werden und noch so lustig sein konnte. Und ihn erzählen hören! Er aber hatte vernommen, in Wien sei alles für den zu haben, der dort modern würde. Da ihm nun stets die jüngsten Mädchen am besten gefallen hatten, erwartete sich der weltferne, lustige Vogelpfeifer eine Art Paradies und Auferstehung seiner Jugendträume dort, und kurz, er hoffte auf die sündhaftesten Verführungen seines rüstigen Alters. Gut und böse, gefallen und unschuldig, jung und alt vermochte er durchaus nicht zu unterscheiden, denn er selbst war ein merkwürdiges Präparat von Schuldlosigkeit und Lebenshunger. So erhoffte er sich denn im Tschöllschen Hause sogleich eines der Mädchen; womöglich die Jüngste, die so biegsam war und ihm so deutlich evahaft in die Augen zu schauen wußte, hellbraun, neugierig und lustig.

Er wurde wiedergebeten, und zwar für einen großen Abend, bei dem all jene ihre Lust an ihm haben wollten, die zur Reise des berühmten, lockeren Zeisigs nach Wien beigetragen hatten. Der Sänger Vogl und Schubert begleiteten ihn an den ersten Tagen durch die Wienerstadt, und er sah alles mit der Gerührtheit und Lebhaftigkeit eines Knaben. Vogl war merkwürdig milde geworden; weniger Olympier und mehr Vater. Er hatte nach seiner Rückkehr aus Italien eine alte Freundin geheiratet; Genossin seiner gelehrten Studien und den besten Kameraden, den er bis in seine späten Tage gefunden hatte. Nun, seit er zu Hause einen weißen und besonnten Mittagstisch, ein gewärmtes Bett und Mitgefühl für sein Zipperlein wußte, stieg er lieber als vordem zur Menschheit herab, in die er nun doch hineingeheiratet hatte. Mit warmer Teilnahme zeigte er dem alten Vogelfänger den Stefansdom, erzählte mit gemütlichem Behagen von den Baumeistern, die hier vom Gerüst des zweiten Turmes gestürzt waren, dessen Bau der Teufel selber hintertrieben haben soll, vom bösen Kegelschieber, dessen zerrissene Glieder man eines Morgens in alle Winkel des Turmes verschleudert gefunden, und vom Herrn von Schabdenrüssel, den ebenfalls der Teufel hier ganz nach faustischer Manier geholt hatte. Gupf hörte in kindlich frohem Grausen zu und ahnte nicht, daß auch ihn vielleicht der Teufel hergelockt hatte, um zu Wien seine unverbesserlich lustige Seele ganz sicher zu holen. Denn im frommen Oberösterreich ist selbst die größte Unsittsamkeit nie davor sicher, bekehrt zu werden.

Viele Tage ging so das wackere Leben des fröhlichen Gupf dahin, und jeder Tag war ein süßes, leichtes Einströmen von großen Erlebnissen auf ihn, ein festliches Freudebeben, ein Aufnehmen, Schauen und Zungenschnalzen.

Wie sich der jungenhafte Alte in der Belvederegalerie benahm, sollte von Anstands wegen nicht erzählt werden, denn er war aus ganz bestimmten Gründen von Tizians Danae nicht zu entfernen, und nur die bestimmteste Versicherung Vogls, daß in einem andern Zimmer der Maler Spranger die Dinge der lieben Sinnlichkeit noch viel sinnenfälliger gemacht und gemalet habe, brach ihn los. Er ging auch sogleich durch alle Zimmer der Sammlung mit einer Eile, daß seine Frackschöße wag- und wimpelrecht hinter ihm flatterten und die Wiener ihn, weil er an Veronese, Velasquez, Murillo, Reni, Carlo Dolci und Salvator Rosa mit den Zeichen absoluter Nichtachtung vorbeisauste, für einen zwar wunderlichen, aber großen Kenner hielten. Sodann versäumte er vor den ringenden Gestalten des Hephästos und der Maja das Mittagessen, wurde von dem unwillig lachenden Vogl allein gelassen und blieb in der Galerie, wer weiß wie lange. Als er herauskam, wußte er bloß von Tizian, Spranger, Palamedes und Rubens; eine gemischte Gesellschaft und einig nur in dem, was dem alten Gupf am Ende seines Lebens wieder wichtig geworden war.

Es war auch wirklich vom Teufel kühl und genau bedacht. Aus der Gegend zwischen Inn und Enns, wo sich die Männer mit dem besten Grunde nach dem Himmel sehnen, denn an irdischer Schönheit ist dort etwa soviel wie in den flämischen Niederlanden zu finden, wurde er unvermutet nach Wien versetzt, in eine Stadt, deren Frauen wahrlich auch für den Vorbereiteten verwirrend schön sind. Nun wurde er von einer Fülle solcher Gestalten voll sinnlichem Duft und Schelmerei umringt, gehätschelt, ausgefragt, gefeiert und mit lieblichen Worten, Süßigkeiten und Wein traktiert. Er war keine bloßen Schultern gewöhnt, keine eindringlichen Augen, keine kleinen, glatten, schmalen Hände, kein Parfüm, keine Liebenswürdigkeit, keine spielende Frivolität, kein Naschwerk und keinen guten Wein. Nun neigten sich duftend frisierte Köpfe nahe zu ihm und flüsterten ihn fragend an, ob es wahr wäre, daß er in allen Dingen so jung geblieben sei, und er sah nichts als bedrängende Schönheit. Von den Salzburger Bischöfen und dem Kapellmeister Mozart durfte er überhaupt nur die pikanten Geschichten erzählen und nichts anderes; die aber unter tausend verfänglich lächelnden Fragen und fröhlich hin und her rückender Angeregtheit. Er war für die Wiener Frauen das Lexikon der Liebe aus der Rokokozeit, und sie blätterten mit ihren schmeichelnden Händen beständig nur in dem einen Kapitel, das in ihm so tückisch auf Auferstehung gewartet hatte.

Er war in die Hölle geraten und wähnte im Himmel zu sein! Er war voll von Seufzern, als wäre er zwanzig Jahre, voll gepreßtem Glück, angefüllt mit Sehnsucht und Verlangen, daß ihm das Herz strotzte wie eine überreiche Frucht. Dazu oft genug angeheitert, in ewig süßem Jubilo – gradwegs im Paradies!

Sein Puls hatte sich verdoppelt, seine Augen wurden sprechend, seine Stimme hell, und sein Glücksgefühl zersprengte ihn beinahe. O diese Kaiserstadt, dieses betörende, herzverwirrende Wien!

Sechs oder sieben Tage ging es so rundum mit stets neuen Wundern, zwischen Kirchen und Heurigenmusiken, von der Fastenpredigt zur Schubertiade, vom Theater ins Ballett, von der Ausfahrt in den reichbelebten Prater zum Geflüster und Gefrage der Mädchen und Frauen. Dann kam der große Abend bei Tschöll, an dem Grillparzer, der Baron Schönstein, Schober und Spaun, Schuppanzigh, Bauernfeld und andere Staffage waren und er die Hauptsache. Das große Festzimmer schimmerte von Wachskerzen, Seide und von den perlmatten Schultern und blassen Kehlen der schönen Frauen. Adamheinrich Gupfens Abschiedsabend!

Der Alte hatte sich sehr schwer und traurig entschlossen, die Stadt zu fliehen, solange er dies noch vermochte. Nun, am Beschlusse seines Lebens, war ihm Festlichkeit und Glanz beschert worden, es war über alle Maßen, aber dergleichen durfte er nicht gewöhnen. Ganz ein wenig mahnte wohl auch die Sehnsucht nach seinem Vogelherd, nun, in der Zeit des wiederkehrenden Zuggeflügels. Auch hatte er sich vorgenommen, von der ihm zugestoßenen Spende klüglich einhundert Gulden zu ersparen. Das waren so seine Vorsätze am Nachmittag und in der gedankenvollen Dämmerung gewesen. Als er aber mit einem Ruck in soviel Licht und Pracht geriet, als die Kronleuchter mit den herrlichsten Glasprismen funkelten und strahlten, als Samt und Seide, schönste Formung und tiefwarme oder schelmische Augen ihn ansahen, leichter, loser Zuruf auf ihn eindrang, da vergaß er alles und war so leichtsinnig, laut und glücklich wie nur je! Er war in den Saal getreten in seinem drolligen zeisiggelben Frack mit den wurmartigen Flatterschößen und einem närrisch hohen und endgespitzten Kragen, und wo er hintrat und kratzfüßelte, verbreitete sich in alle Nasen sogleich der feine, weichlich süße Ölsamenduft nach Hanf und Sonnenblumenkernen, der ihm und seinen Vogelkäfigen nun einmal unzertrennlich anhing.

Schubert kam bald nach ihm, sah in seiner Weise nicht viel rechts noch links, sondern ging rasch und bedrückt in seinen Winkel am Klavier, wo er wartete, bis man ihn brauchte, die Freunde gütig anlächelte und auf die paar Grüße und Komplimente, die er von Fremden erhielt, verlegen eilig und gepreßt kicherte oder »So, so, na ja« sagte, was oft recht unfreundlich klang.

Freilich, viel Grund, freundlich zu sein, war nicht vorhanden.

Frau von Reinagl hatte sich forschend umgesehen, ob der Schober noch nicht da sei oder sonst ein hübscher Junge. Für den Augenblick waren alle bei Damen und auch der Gupf im Gespräch. Da niemand anderer da war, wandte sie sich nun doch wieder einmal zu dem sehr unbemerkten Schubert.

»Nein,« sagte sie, »Ihre Violinsonate von neulich, die der Geiger Prokupek bei Schuppanzigh gespielt hat, so was Herrliches haben Sie noch nie gemacht.«

»Ich neulich? Eine Violinsonate? Welche?«

»Na, Sie haben sie doch selber begleitet.«

»Ach so, die war von Beethoven.«

»Richtig; na, ich hab's verwechselt. Aber das Ständchen, die herrliche Serenade – –«

»Ist schon gut, gnä' Frau.«

»Warten Sie, die mit den Waldhörnern.«

»Waldhörner?«

»Ja, so!« Und sie sang ein paar Takte. »Das ist doch einmal Genie!«

»Ja, das ist von Mendelssohn, ein Nokturno,« kicherte er, selber verlegen.

»Gehen Sie! Sie foppen mich ja. Von Mendelssohn war ja doch das verrückte, endlose Quartett, wegen dem ich schon immer so herumgerutscht bin!«

»Nun, das war wieder von mir,« sagte er gleichmütig.

»Gehen S', mit Ihnen ist auch gar nicht zu reden!« rief die schöne Witwe ärgerlich lachend, gab ihm einen Klaps mit dem Fächer und lief davon.

Inzwischen kam großes Geräusch und dann Ruhe in den Saal, und Herr Tschöll verkündete, daß Adamheinrich Gupf ein Lied des Herrn Schubert singen würde. Da entstand großes Hallo.

Der arme Gupf hatte alle freien Stunden, die ihm der Wiener Taumel gelassen hatte, auf das Studium Schubertscher Lieder verwendet, mit denen er jetzt und heute, auf der Paradehöhe seines Lebens, Ruhm und Liebe zu erringen gedachte. Er war auch geschwind am Klavier, an das sich Schubert schmunzelnd setzte, räusperte sich fröhlich und rüttelte den weit vorspringenden Adamsapfel an dem dünnen, schiefen Halse mit Daumen und Zeigefinger, als wollte er ein Tremolo präparieren, das demnächst hervor sollte. Das Lied hub an. Er verzerrte sentimental Tempo und Ausdruck des zweiten der Müllerlieder, sang auch da und dort ein wenig falsch, hatte aber soviel Stimmkraft, hellen Timbre und Mut, daß es allen Spaß bereitete und lachender Beifall aufkam. »Bravo, Unsterblicher!« rief Herr von Schuppanzigh, und ein paar Mädel umstaunten ihn mit dem ganzen gutgespielten Ernste ihrer Schalksköpfchen. »Nein, der Herr Gupf! Nein, so ein Stimmwunder! Diese Jugend, diese Leidenschaft!«

Nun war der gute Alte nicht mehr vom Instrument fortzubringen. Er sang, von seinem Glück getragen, nun wirklich gar nicht übel, trällerte aber Lied auf Lied und hätte nicht eher losgelassen, bis er nicht den ganzen Zyklus heruntergesungen hätte. Da rief Herr Tschöll: »Aufhören, essen gehen, trinken gehen!«, und die Gefahr war vorbei, die gute Laune nicht bedroht.

Nun saß er, schwimmend im Stolz und Glanze, bei Tische zwischen Frau Ruzky und der schönen, lustigen Reinagl. Die übermütigen Witwen wußten schon, wie bereit das alte Herz des Gupf stand, Feuer zu fangen, und begannen, ihm nach dem dritten Glase Wein mit allerlei verfänglichen Fragen heiß zu machen. Ob es denn wahr sei, daß er die jungen Mädchen so gern sähe?

»O, auch die jungen Frauen!«

Und ob das nicht nur bloße Seelenneigung sei?

»O, ganz im Gegenteil!«

Ja, ob er denn dann nicht, als so frischer, umworbener und ausgezeichnet aussehender Herr ein wenig Glück, reales Glück in der Wienerstadt gehabt haben müsse!

»Bis jetzt nein, leider nein, bis jetzt!«

Sie glaubten es durchaus nicht, er widersprach und beschwor, daß man, grausam genug, nur stets seinen Eifer gestachelt und sich dann vor ihm gefürchtet habe.

»Es ist wahr, er ist gefährlich!« sagte Frau Ruzky.

»Aber man kann ihn doch nicht so von Wien fortlassen,« flüsterte Frau Reinagl bedeutsam.

Der arme alte Zeisig begann zu zittern und zu beben.

»Freilich, es muß etwas geschehen!« entschied Frau Ruzky mit unverbrüchlichem Ernste. »Man muß Herrn Gupf ein wenig gut sein.«

Und die zwei nichtsnutzigen Evastöchter flüsterten dem armen, unsinnig glücklichen Urpapageno Komplimente zu, nannten ihn einen Jüngling und schönen Mann, neigten sich nahe zu ihm, und der ärmste Adamheinrich, der nie im Leben solche Schultern auch nur von ferne gesehen hatte, versank in Abgründe. Der lockere, neckende Duft der hübschen Frauen umwirbelte ihn, ihre schalkhaften Augen brachten ihn zum Sieden, ihr streichelnder Atem machte ihn so lebendig, wie ein Klavierhämmerchen während des Spiels ist. Er ruckte auf seinem Sitz umher, lüpfte, drehte und verscharmuzierte sich, war ganz einem überlebhaften Vogel ähnlich und bot der ganzen, in den frivolen Spaß eingeweihten Gesellschaft ein drolliges Bild, so außer sich vor Liebe hatten sie den armen alten Adamheinrich gemacht.

Schubert, der nicht weit von seinem Klavier fortging und nach dem Essen bald wieder daran saß, lachte und lachte. Als der Alte eben wieder an Hannerl heran war und sich in der Lebhaftigkeit seiner Komplimente um sie schlängelte wie ein Buffone, da zupfte die Schalkheit am Musikantenherzen, und er gab ein paar hinreißend schöne Takte eines Ländlers an, die ihm gerade frisch vom Himmel gefallen waren.

Hochauf horchten die schönen Frauen und Mädchen.

Schubert lachte glücklich, neigte den Kopf links und rechts und begann ein so widerlauniges, kapriziöses und neckendes Tanzthema, daß die Herren unwiderstehlich die Köpfe neigten, in die Hände patschten und die Frauen Hüften und Schultern zu wiegen begannen. Lachender Jubel brauste auf, und die wunderbare Lust des Genies zuckte in alle Glieder hinein, die Augen strahlten, der betörende Rhythmus zwang sie, und wie an gehorsamen Drahtpüpplein hüpften die Beine.

Hannerl schrie vor Lust: »Ja, ja! So, so, Schubertl! Ein Bussel verdienten's.« – Und tanzte auch schon mit Herrn Gupfen dahin. Der hatte gutes Salzburger Blut: er strampfte den Landler, daß die Dielen, trotzdem er schon recht leicht war, unter den alten Beinen dennoch leise zitterten. Er krähte und juchzte, drehte, sich selber an den Rockschößen haltend, die anständigsten Solokreiselfiguren, gab dann wieder fein die Hände und wurde immer lebhafter und toller, bis ihm die Rockschöße wirbelten. Sein Hut ging ihm dabei sehr ab; den brauchte er. Als ihm einfiel, der sei draußen, knotete er sein ungeheures rotes Schneuztuch und warf's immer wieder juchzend in die Luft, drehte sich, fing's auf, warf Kußhände und trieb's, bis er schwindlig wurde.

Hannerl lachte, Schubert lachte und die andern auch, als er in ein Kanapee sank, aus dem ihn sehr schnell wieder das hingebungsvoll schöne Motiv eines deutschen Tanzes hochriß. Es war nicht möglich, zu rasten: diese Töne hätten Kartäuser und Tote zur Weltlust verführen können.

Hannerl flog aus einem Arm in den andern. Und wenn sie an dem kleinen Musiker vorbeidrehte, blitzte sie ihn aus zärtlich braunen Augen an. Er freute sich und spielte immer schöner. Als sie ihm aber gar einen Kuß zuwarf, begann er plötzlich piano und in Moll zu spielen, so daß die Gesellschaft, um die Musik zu hören, ganz leise, gedämpft und schattenhaft weiterschleifte. Da warf ihm Hannerl, der sogleich bang wurde, ein paar von der Etagere gegriffene Bonbons an den Kopf, und sogleich wurde die Musik wieder quillend hell und entzückend leichtfertig.

So oft sich aber das schöne Kind am stillen Musikanten vorbeidrehte, wechselte er mit dem Thema ein Augenblickchen ins Schwermütige.

Sie brachte Gupf an Frau Reinagl los und stellte sich hinter ihn. »Was soll das heißen? Eine Liebeserklärung oder eine Grobheit?«

»Gehn's, tanzen's weiter!« bat Schubert im Spielen. »Das schaut gar so herzig aus, wenn Sie sich so vorüberschlingen und immer ein bisserl herüberspeanzeln. Das ist nacher grad so, wie michs Leben behandelt.«

»Wieso?«

»Na, das freut sich auch an mir vorbei – und ich darf Musik dazu machen.«

»Gschieht Ihnen recht. Warum tanzen's net selber?«

»Ich? Damit ich ausglacht werd' wie der alte Gupf?«

»Nein!« rief Hannerl schnell. »Schaun's ihn jetzt an, wie er verliebt tut. Und die Frau Reinagl macht sich ganz gschamig.«

Wirklich glaubte der alte Gupf der schönen, lustigen Frau; glaubte ihnen allen!

Am Ende hatte er für die folgenden Tage vier Stelldicheins, hoffte alles, hörte es mit Seligkeit, wenn ihm ein junges Ding auf seine Werbungen tiefverschämt antwortete: »Sie Schlimmer!« und hatte einen Pulsschlag von mindestens hundertundzwanzig in der Minute.

Er wollte noch am selben Abend auf der Straße von Frau Reinagl einen Kuß haben, als die Gesellschaft unter dem hellsten Gaudium auseinanderging. Frau Reinagl aber seufzte: »Ach, daß ich heute stark bleiben soll! Aber es muß sein. Man hat uns beobachtet. Mein Ruf!«

Da ging, schwebte und schwamm denn der arme gefoppte Alte selig, aber allein in die tauige Märznacht hinaus. Von Südwesten kam, an die schnellen Atemzüge der schönen Frau erinnernd, der laue Hauch des Föhnwindes gestoßen, so warmhauchend, als ginge Gupf an einer Bäckerei vorbei, so übermütig und verliebt, daß sich die Laternenflämmchen erschreckt und wie geschämig duckten und sich klein und blau machten.

Der alte Gupf ging, in einer Erregung und leidvollen Lust ohnemaßen, durch das Tor nach der Vorstadt, wo man ihn untergebracht hatte. Auf den Glacis war es still, finster und lauwarm. Ein paar Verliebte suchten die Nacht auf und entschwanden ins Ungewisse, dann ward es ganz wartend, ganz bebend, ganz voll Entstehen in der geheimnisreichen, Mark und Bein durchschauernden Werdeluft dieser verliebten Nacht.

Oben hoch, von ferne kamen Stimmen, kaum hörbar, aus der wolkigen, lauen Westwindhöhe. Das waren sehnsuchtsreiche, heimstrebende Wandervögel, die den Süden mit sich brachten und die Liebe. Er kannte sie so gut, diese wilderregenden Stimmen der Höhe in den Märznächten, der alte Vogelsteller, und zitterte vor Glück und Verlangen.

*

Über sein weiteres Verhalten in jener Nacht gehen dann nur mehr dunkle Vermutungen des ewig leichtfertigen Wiener Klatsches. Der alte Gupf kam durch Vorstadtgäßchen, in denen noch fragwürdiges Leben wach und tätig war. Der angeregte Vogelpfeifer fühlte übermütig viel Geld in seinen Taschen, und als der Jüngling, der er wieder einmal war, soll er in die auf jenes Alter zugepaßten Fallstricke geraten sein, – das Stück zu drei Silberzwanzigern.

Genug. Der arme junge Alte wurde am andern Tage in seinem Bette gefunden, ein Bein heraushängend, als wollte er sich erheben. Der Tod war schneller gewesen als er und hatte sich mitten in jener wehrlosen Reflexbewegung lächelnd und sanft die allzu leichte Seele des armen Gupf geholt, die hinter den Zugvögeln dreinfliegen mochte ins Land der Heimkehr.

Das sanfte, aus dem Schlafe ins Ewige hinübergeflüchtete Ende des alten Gupf wurde mit gerührter Heiterkeit überall umher besprochen, selten wirklich belacht, aber nirgends schwer genommen, ja wohl gar da und dort ein wenig beneidet.

Grillparzer, der in einer zugeknöpften Laune über den Fall befragt wurde, soll in seiner grämlichen Art erwidert haben: »I hab' mir's eh denkt, daß es so ausgehen wird. Wir haben als Buam amal an Kanari g'habt, der hat sein Leben auf fünfzehn Jahrln bracht. Derbarmt nit der alte Lotter unserer Wirtschafterin? Was tut's? Sie sperrt glei a paar junge Weiberln zu ihm. Wie der die ungewohnte Gesellschaft erkennt, wird der alte Kerl vergackelt, fangt an zu hupfen und zu tanzeln, macht sich schön und wetzt umanander, grad so wie der alte Gupf, singt und scharmuziert, fallt vom Sprisserl und is mausetot. Es war halt ganz die nämliche G'schicht.«

So war denn auch das lustige Leben des alten Vogelfängers ausgespielt und zu Ende gepfiffen. Sie hatten ihn zu Tode gescherzt, die schönen Frauen in der fröhlichen Stadt zu Wien.

*

Das ganze Ereignis traf mit einer Flut schwermütig ironischer Betrachtungen die Seele des armen Schubert. Er fühlte sich von aller Gewährung geradeso ausgeschlossen wie der alte Gupf, nur daß er von dem ewig törichten Weh seiner Wünsche nichts, gar nichts merken und den wilden Rufen seines jungen, sehnsuchtsreichen Blutes keinen Ausweg ließ, als in Akkorden. Das liebe und zutrauliche Wesen der stillen Heide kam nicht zu nahe an sein Herz heran; er wollte nicht glauben, um abermals enttäuscht zu werden. Und doch fiel es ihm schwer, so schwer, sich der Liebe zu verschließen, gerade in jenen Tagen, da übermütige Schönheit so lästerlich mit einem Greise gescherzt Und ihn lachend in den Abgrund gekollert hatte. Denn was damals dem armen alten Adamheinrich alte Besinnung wirbeln gemacht hatte, das rumorte auch in ihm: der küssende Hauch der lauen Luft. Alle Jahre, ach, alle Jahr' im März kam das wildschoßige, hochauftreibende Leid so pünktlich!

Der erste Föhnwind brachte es, oft mitten in der Nacht. Da überstürzte mächtiges Verlangen den armen Musikanten und ließ seine Seele endlos rufen wie einen eingesperrten dürstenden Vogel. Oft stürzte er ans Fenster, hielt sich dort an der Brüstung und sah in die Gasse hinab, ob nicht unten Liebe vorbeiginge, ob keine zu ihm hinauflächelte. Am Tage war dann das alles in völliger Umgärung und wurde zu den werbendsten, dringlichsten, wehmütigsten Weisen; – am Abend aber war es von neuem da. Er mußte sich oft zurückhalten und seine eigene Vernunft mahnen, um nicht eine schöne Frau zum Fenster hinaus oder auf der Gasse anzurufen, ja vor ihr, wenn der Schönheit allzuviel war, demütig niederzubrechen und stehend ihre Knie um Gewährung zu umringen. Aber die übervollen Lippen blieben gepreßt und still; nicht einmal den Freunden sagte er davon. Er fürchtete Spott; hielt er sich doch selber für häßlicher, als er war, und das war das Geheimnis seines Elends. Wäre er wirklich unliebenswert von Ansehen gewesen, hätte aber so getan, als sei er sicher im Bezwingen und wert, geliebt zu werden, er hätte geworben und hingerissen. So ahnten ihm Frauen und Mädchen sogleich ab, daß er an sich selber nicht glaubte, und darin liegt ein merkwürdiges Frostelement. In ängstlicher Scheu, verschlossen, leidend und nur in tiefster Einsamkeit rufend und seufzend, über und über voll seligem Weh und verzweifelnder Lebensgier so rang er sich durch jene merkwürdige Zeit, die ihn bis in den Mai mit ihren schrecklichen Kräften trieb und peinigte. Wenn aber Sang und Schall in Busch und Baume gar zu allstimmig wurden, wenn selbst von den schweigsam grünen Waldbergen ganze, volle Blütenschaumfälle zu Tal niederstürzten von Holzkirsche, Hartriegel und Weißdorn, wenn des Kuckucks Schalkheit endlos wurde und die ganze Erde vor ungeheurem Lustgefühl und inbrünstiger Schönheit zitterte, dann löste sich sein Leid in diesem Übermaß von Erfüllung der allgemeinen Liebe, er wurde heiterer und selber zum Singen aufgelegt, atmete das berauschende Glücksgefühl ein, das in schweren Blütenduftwolken die ganze Luft durchzog und dankte aus einem Herzen voll Lebensfreude Gott und der Welt für ihre gnädige, königliche Schönheit!

In solcher Zeit kam er seltener ins Dreimäderlhaus auf der Südbastei. Er wollte an seinem Leide nicht reißen und zerren und rettete sich in jene Gegend von Wien, wo die Gottheit des stillgrünen Gedeihens am gnädigsten war. Das ist der segensreiche Winkel, den der Dreimarkstein nach Südosten öffnet, wo sich in vielen Erdfalten die lieben kleinen Weindörfer duckten, wo an den Hängen und auf den Hügelkuppen Reben sich neben Reben drängten und hellrosig die Pfirsiche blühten.

Dort, wo beglückte Weite und traulichste Enge nebeneinander waren, wo das kleine, geschäftige Hausglück der gutgelaunten Weinbauersfamilien an die große, heilige Stille der Wälder und das schwüle Blühen der Gärten grenzte, war es gewaltig hehr und behaglich zugleich. Das Menschenkind, dem beides teuer ist, kann wie ein Kind bald in die Sonne, bald in den Schatten eilen. Dort überfielen die geeinten Geister der Natur seine Seele mit jenem mystischen, traumhaften Glücksgefühl, das sich kaum je erwerben und lernen läßt und welches das untrügliche Merkmal des echten Gotteskindes ist. Diese allerschönste Gabe von allen Gnaden Gottes, mehr und besser als Liebesglück, ja dem Gefühle künstlerischen Erkennens vielleicht noch überlegen, dieses göttliche Allbewußtsein, dieses ins Heimwärts zerrinnen, wenn die grüne Natur weitgeöffnet steht, ist wahrlich der verzückten Empfindung der Heiligen gleich: Ich sehe die Himmel offen, und die Kraft Gottes senkt sich nieder auf mich!

Dieser Rausch, diese Gnade über allen Gnaden aber war ihm in ihrer ganzen hehren Innigkeit beschieden. Dem kleinen, unter Menschen so oft gedrückten und fremden, hier aber in Gottes Vaterhause als liebstes Kind angerufenen Musikanten!

Dergleichen Heil und Sälde war wenigen außer ihm beschieden in der liebreichen, schönheitsdrängenden, lebensfrohen und lachlustigen Stadt des Weines und der Lieder, und unter so vielen Irrenden des Glückes war er fast der einzige Beseelte. Unter den ewig nach Erfülltem Jagenden war er in all seiner Unerfülltheit reich und gesegnet vom Vater aller Welten.

*

Trotzdem aber: Seine Sinnenfreude irrte doch wieder gerne in den zerstreuten, kleinen Tag der andern zurück. Schuberts Freunde waren in ihren besten Stunden nur halb zu seiner Art von Entrücktheit geweiht und konnten eher für Weltkinder gelten. Sie gingen mit ihm wohl in Festfreude nach Döbling, saßen aber dort allsogleich zum Weine nieder und waren dabei so unwiderstehlich behagensvoll, daß Schubert ihnen, bei seiner kräftigen Sinnenfreude, augenblicklich ganz und gar verfiel. Er genoß mit ihnen, und die Weite, den Sonnenschein, das übermächtige Blühen und das gewaltige Windharfen des Waldes fühlte er nur mehr wohlig nebenher, wie die gute Dekoration eines fesselnden Theaterstückes.

Freilich: auch als Weltkind bewährte er seine kraftvoll erfassende Art, welche die kleinsten und flüchtigsten Genüsse mit tiefem Frohgefühl durchdrang und für ein Glas guten Weines und ein frischduftendes Brot solch eine freudige Dankbarkeit entstehen ließ, wie sie der müde Reiche bei den größten Glücksfällen des Lebens nicht kennt.

Daher genoß er mit jedem seiner Freunde dessen besondere Vorliebe oder Sehnsucht im besonderen mit und ward nur böse, wenn allzuviel von Mädchen die Rede war, weswegen er den Umgang Jengers und Schobers zuweilen recht einsilbig, dann und wann aber nur mit kräftigen Scheltworten ertrug, denn diese beiden waren ewiglich verliebt. Kupelwieser saß, rauchte viel Tabak und machte in sachlicher Weise auf Hühnergruppen, einen beleuchteten Brunnen und Taubenschlag, ein violgraues Dach oder eine wechselvoll farbige Waldwand aufmerksam. Da genoß er schon viel lieber mit und drehte sich oft mitten im Trinken trotz seiner zunehmenden Dicke rasch nach dem bewunderten Objekt um. Viel mehr als alle Sachlichkeit aber gefiel dem Musikanten das nagende, immer wieder aufflammende Heimweh Kupelwiesers nach Italien, von wo der junge Mann seit kurzem zurückgekehrt war, und Schubert fragte ihn stets von neuem nach dem Lande aus, dessen lichter Schönheit sich kein Künstler der damaligen Zeit zu erwehren vermochte. Am allerbesten aber verstand er Schwind, den Schwärmer, den Dichter, den ewig Sehnsüchtigen. Wenn der mit Kupelwieser von dem allgewaltigen Schmerz der jungen Künstler, vom Südweh, von seinem Romleide sprach, da brannte dem Musikanten das Herz, und in seiner Erinnerung erklangen die Harfentöne des Alten und Mignons hinreißende Mahnung: Kennst du das Land?

Da vergaßen die Gesellen oft des Weines und lasen oder sprachen sich aus dem Gedächtnis die Dichter vor, die dem ewigen Leide der Deutschen nach dem Lande des blauen Himmels und dem leuchtenden Meer des Odysseus als Ventile gedient hatten.

»Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,«

zitierte Schwind, und Schubert fuhr fort:

»Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wenn der Lauten Klang erwacht – –«

Da enthielt sich nicht einmal mehr der kluge, behagliche Kupelwieser einer tiefen Bewegtheit, und alle drei sprachen sie breit, und mit schwerer Sehnsucht den tieflautigen, klangreichen Kehrreim des Romantikers zusammen:

»Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.«

So wob sich das Glück der scheidenden Jugend Schuberts, der an das Ende der Zwanzig gelangt war, aus tiefster Naturandacht, hinreißender Schaffenserkenntnis, genußfrohem Behagen, Schwärmerei, Freundegscherz und Sehnsucht nach dem Unerfüllten zu wunderbar reinem Akkord.

Da und dort fuhr leiser, klirrender Laut einer zerspringenden Hoffnung hinein. Die nüchternsten unter Schuberts Freunden, Bauernfeld und der wackere Kupelwieser, hatten gegen seine Scheu, in Gesellschaft zu gehen, gewettert, weil sie der Beliebtheit des Künstlers und damit seinem erfolgreichen Lebenswege schade, und seine ohnehin winzigen Einnahmen ganz kläglich herabdränge.

»Was soll ich denn zu denen gehen, die mich nicht schätzen?« hatte er gefragt. »Die Männer achten mich nicht, die Frauen lieben mich nicht. Ich hab's nicht an mir, Geltung zu verbreiten.«

»Mensch,« hatte Bauernfeld gesagt. »Du zweifelst immer an dir und nie an deinem Frack. Du klagst, als wärest du den Frauen und Mädchen zu schlecht. Nein! Bloß deine Schale ist ihnen nicht gut genug. Dein Kragen, deine Halsbinde, deine Hosen und deine Stellung. Wärst du Kapellmeister am Kärntnertortheater oder hättest du ein noch so gering bezahltes Amt als fixer Hofmusikus, da solltest du sehen, wie wertvoll du bist. Die einen fürchten stets, du pumpst sie an, die andern fürchten, daß du ein Lump sein könntest, weil dir dieser nahrhafte Staat keine seiner Milchdrüsen reichen will und die Frauenzimmer mögen sich nur mit Glanz kompromittieren. Das ist es. Entweder setze du dich in Szene wie ein Hochstapler oder gib dir durch Amt und Würde ein solid behäbiges Ansehen und du wirst staunen, Bertl, staunen, wie dich die Mäderln umdrängen werden!«

Das hatte Schubert eingesehen und eine Zeitlang fleißig Gesuche geschrieben. Weil er aber nirgends hinterher war, sich weder Gönner zusammenbettelte noch in den Kanzleien submissest petitionierte und an keinen Hofrat auch nur den kleinsten Bückling verwendete, so zerrannen alle Hoffnungen zu Schuberts großer Verwunderung und Betrübnis. Sein Selbstgefühl wurde nun noch geringer, denn er, der für die kleinen Wedeleien des Erwerbslebens zu groß gewesen war, kam sich eher als nichtig und zu klein in den Augen jener Menschen vor, die gewohnt waren, aus Verdienst Gnade zu machen.

Damit zersank ein anderes liebes, geheimes Planen wie ein Aschenhäuflein. Als er noch Herrn Tschöll Hoffnungen mitzuteilen wußte, bemerkte er gar wohl, wie die sittliche Heide ihm näher kam und freudig aufhorchte. Sie gab ihm in jenen Zeiten manchen verständnisreich sanften Händedruck und setzte an ihren sehnsüchtigen Ausruf: »Hofkapellmeister? Ach, wenn das wäre –!« solch einen bangen, deutsamen Gedankenstrich, daß der arme Musiker sehr schnell einzusehen begann, wie Freund Bauernfeld die Dinge unfehlbar durchschaute. Denn unter allem Schmachten, unter Leichtsinn, Gesang, Lachen und aller Koketterie mit Idealen blieb die gesunde Nüchternheit der guten Wienerinnen fundamentsicher bestehen.

Im Sommer dann ging es auch mit diesem Traum zu Ende. Die Stelle ward an Weigl verliehen, Herr Tschöll wurde verlegen und schweigsam, Heide ängstlich und behutsam, die Einladungen ins Dreimäderlhaus seltener und die vornehme Gesellschaft zurückhaltend, nachdem man ihn schon mit aufmerksameren Blicken betrachtet hatte.

Nur die Freunde, die Freunde dessen, der nichts besaß und zu geben vermochte als Wohllaut, dem sie stets von neuem aus ihren eigenen, oft recht armen, halbleeren Taschen helfen mußten, die blieben anhänglich und echt wie Gold! Und wenn von den Wienern jener Zeit nichts Gutes zu sagen wäre, als daß es einen Spaun und Schober, einen Schwind, Kupelwieser und Bauernfeld gab, daß ein Jenger und Lachner bei all ihrer Armut ihr letztes mit Franz Schubert teilten und innige, fröhliche Treue hielten, wo sonst das Leben nicht Wort und die letzte Kleidernaht nicht Stich gehalten hätte; daß eine gar nicht große Stadt auch im apartesten der Fälle so viel Freunde in der Not zu zeugen vermochte, die doch für seltener gelten als das Genie, das sollte wohl unvergessen bleiben!

Denn nie war Franz Schubert allein und nie verlassen. Die Stunden, sechzehn und mehr im Tage, über hundert in der Woche, über fünftausend gezerrte, bleiche Stunden im Jahr, welche so trostlos, mit endlosen Reihen fremder Gesichter an den armen, bettelnden, hilferufenden Augen eines Fremdgebliebenen vorbeieilen und seiner Drangsal ausweichen, die bodenlose Verlassenheit, dieses Sandmeer über alle Liebe, diese unbegrenzte, tödliche, unerbittliche Einsamkeit der Großstadt, die kannte Franz Schubert nicht. Er war von hellen Augen umringt wie die Lampe des abendlichen Tisches, er war fröhlich umdrängt, umfragt, umscherzt, umtröstet in all jenen Stunden, in denen der Einsame neunfach einsam wird. Diese Freunde begehrten und suchten ihn, selbst wenn er in seiner Arbeit nicht nach ihnen verlangte, sie ließen ihn keinen Augenblick des Lebens nach Hilfe lechzen, sie drängten ihm zum trockenen Brote den Wein, den Braten und Fisch des Wiener Paradieses aus, zogen ihn aus dem Grünen in die warme Stube und aus der Arbeit in die holde helle Luft, liebten ihn, lachten, planten und sorgten mit ihm und waren sein, wie sie mit all ihrer Liebe und Treue keinem Weibe der Welt jemals gehört hatten.

So reich war Franz Schubert an Menschenherzen, die ihm gehörten, – in einem Leben, das für kärglich solchen gilt, die selber in ihrer Versammlung die Kärglichkeit dieses Lebens bedeuten.

In diesen Sommertagen des Jahres Sechsundzwanzig freilich, als Enttäuschungen und Zurücksetzung den armen Schubert vielfach verwundeten, als er eine keimende Neigung zu verbergen und zu zerstören hatte, da floh er selbst die lautfröhlichen Freunde oft und behielt nur Schwind bei sich, dessen romantisches Wesen, das voll Fabeln war, sich in eben jener Zeit mit Liebe an den Gedanken der Weltflucht hing. Die beiden Freunde planten, irgendwo in dem Jungwalddickicht des Dreimarksteines, das kein Mensch zu durchdringen vermochte, verschlungene, labyrinthisch geheime Pfade ausschneiden und in der verborgensten Waldwirrnis, wo eine Eiche oder gewaltige Föhre aus dem Unterholz alt und reckenhaft aufragen mußte, eine Eremitenklause an den Stamm des Urbaumes anzukleben. Eine Leiter sollte sodann in das Geäst führen, in dem sie sich zwei Sitze zimmern wollten, jeglicher mit einem Pultbrettchen, so daß man dort lesen, schreiben, zeichnen und wohl gar auch ein bißchen zechen konnte; denn die Behäbigkeit verfolgte den weltlichen Moritz bis in seine weltfernsten Träume. In der Einsiedelei würden sie dann beide hausen, bloß von einem beschaulichen Kater und einem weisen Raben begleitet, denn ein Hund sei laut und pöbelhaft. Täglich müsse einer von ihnen nach den Wohnungen der Menschen ins entlegenere Tal hinuntersteigen, um gute Sachen zu holen, indes der andere für die Küche vorsorgte; zeichnen und komponieren war hierbei gestattet. Dann wollten sie beide nach gemütvoll verzehrter Mahlzeit, stets mit ihren Tabakspfeifen, manchmal mit einem lieben Buche in die Zweige ihrer grünstolzen Warte hinaufsteigen und oben gerührt und behäbig über die tiefen Täler, über die Hügelfalten, über die Waldberge, über Strom, Au, Ebene, Feldverlorenheit und verblauende Traumweite mit den trunkenen Augen hinherrschen und Könige der Stimmung sein! Die bunten Kleider der Menschen würden ferne spazieren, der friedliche Herdrauch tief unten blau vor den Wäldern aufringeln, die Sonne aus blankem Weißgold zu glühender Bronze werden, die Wolken sich entzünden, verbrennen und vergehen, die Donau von ferne brausen und ins Unendliche fortziehen, die Nacht vom Tale nach den Höhen aufwärtskriechen, die tausend Lichtlein der fernen Stadt und der nähern Dörfer erwachen, die Weinberggrillen singen, die wachen Hunde bellen, und so würden sie voll stillen Glückes wie die Seligen aus Wolken herniederschauen auf diese Welt, von der sie nichts begehrten und mit der sie heiteren Herzens zu Ende wären!

Die Wangen der jungen Männer, die so große Kinder geblieben waren, glühten bei solchen Plänen; sie nahmen es glücklich und eifrig ernst damit, besprachen alles ins kleinste, suchten auch wohl stets wieder in grünem Dickicht des Waldgebirges nach einer geeigneten Stelle, und Schwind stieg mehrmals auf alte, hohe Überständer, um die Aussicht zu prüfen. Wie oft jubelte er da und rief in heißem Entzückensausbruch den dicken und stockigen Freund zu sich in die grünumzweigte Höhe. Schubertl hoppste und mühte sich zwei, ja drei Schuh am Stamme empor, fiel dann seufzend ab und zur Erde wie ein satter Blutegel. »Bis wir die Leiter haben,« sagte er dann. »Hörst du, Moritz? Die Leiter müßte wohl da sein!«

So stark aber wirkte Schwinds Einsiedeltraum auf den Freund, daß Schubert nach den Tagen der Heuschober wirklich nach Währing verzog, um der lieben, rauschenden Waldnatur näher zu sein. Dort wurde er wieder stiller, seine große Bedrücktheit und die ernste Traurigkeit, die den scheuen Mann oft faßten, wenn er allein und müde war, gingen in einen wehmütig stimmungsreichen Ernst über und dann und wann kamen auch außer der lieben Arbeit heitere Stunden.

Noch gab es Tage des Druckes und der Unzufriedenheit, an denen er sich zur Arbeit aus Not flüchtete; denn die Gedanken an ein zweckloses und verlorenes Dasein, die ihn in der Zeit der Abweisungen öfter heimgesucht hatten, gähnten noch in seinen Nerven weiter, so daß er wider Willen seine Arbeit hindehnte, traumhaft Motiv an Motiv reihte, wiederholte und ausspann, bis er dann mit einem merkwürdigen Gemisch von Kopfschütteln und Zufriedenheit sein eigenes Werk betrachtete. Er, der Bündigkeit und drangvolle Gepreßtheit des Ausdruckes über alles liebte, war unzufrieden mit den besten Arbeiten, sah etwa ein Quartett an und sagte einmal über das andere: »Länge ist Schwäche. Länge ist Kraftlosigkeit, Länge ist eine Krankheit.«

Solcher kleinlauter Rückfälle gab es freilich nicht viele, denn da draußen in Währing hauste noch einer: Einer, dessen bloßer Anblick ihn ja schon mächtig aufwühlte und erregte. Der mit den wirren, flammenden Locken und dem dicken aufgestemmten Trotzhaupt. So oft er in Augenblicken des Zweifels Beethoven sah, fuhr es wie eine Kraft von jenem nach ihm, Schuberts ganzes Wesen straffte und erhob sich, und stark und getröstet ging er weiter, aus der Nähe jenes, den der leichtlebige Tag von Wien stets verlassen und gemieden hatte, nach dem sich die schönen Frauen nur furchtsam oder wohl gar lachend umsahen, der für verrückt, für unschlächtig und überhebend verschrien war; – viel einsamer als Schubert, viel unglücklicher an Liebe, Gesundheit und Lebensmut als er und doch geehrt und beneidet aus ganzem Herzen!

Aus solchen Begegnungen stürzte Kraft und Drang in ihn, so sehr, daß seine Kunst selbst an Nachmittagen und Abenden, wo sie doch sonst zumeist schwieg, jähe emporjubelte; wie in seinem Ständchen, das so frisch, so tauig, so amselschlaghaft energisch ist wie die Herzen von Jünglingen am Morgen. »Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau.« Das hatte er, in der Absicht, es nach Wien an die stille Heide zu schicken, an einem Sonntage abends mitten im Biergartengewühl auf die Speisekarte hingebebt, als Antwort auf den Sturm seines Herzens, weil er den starken Beethoven von ferne gesehen.«

*

Auf die arme Heide aber wirkte jenes quellende, erquickende »Wach auf« im Sinne des Emporschreckens. Schuberts Abkehr und Weltflucht hatte ihr nicht gut bekommen, denn nun war der bildhübsche und seine Weltmann Baron Schober allein bei ihr, und sie konnte vor seinen leisen Werbungen nicht mehr an das Klavier, Franz Schubert zur Seite, flüchten.

Einstmals war dort vom Dreimäderlhaus der Herr Vater mit Hedderl und Hannerl ausgegangen, um beim Notar einige Verordnungen für den Ehestand seiner Ältesten zu treffen. Er hatte einen Gast im Hause, den er mitnahm; einen Vetter aus Krems, ein aufrichtiger, schlichter Junge, in dessen kreuzbravem Wesen keine Unordnung möglich war außer der, welche die Erinnerung an die milde Heide in ihm angerichtet hatte, an deren Schönheit und stillfreundlichem Wesen er seit seiner Bubenzeit mit Teilnahme hing. So war er nach Wien gekommen in der Hoffnung, sie wiederzufinden wie sie war, und sie zu behüten, wenn sie etwa anders werden wollte. Stets war er in stiller, sorglich philisterhaft mahnender Güte um sie, erzählte ihr von der Taubenzucht in seinem großen, stillen Hof, der, obwohl Ferdinand Sprosser Posthalter in Stein war, meist in der tiefsonntäglichen Ruhe jener behäbigen Zeiten lag, erinnerte sie an die Reben und Pfirsiche, an Bienenstöcke und junge Kätzchen, die zu ihrer Zeit geworfen worden waren, an die Geißblattlaube an der Donau, an die lieben Göttweiher Stiftsherrn und all das viele, was das Heimweh der sanften Heide nach Ländlichkeit und Friede im Grünen zu steigern geeignet war. Sie war ohnehin ein Mädchen, dem die Tränen in die Augen traten, wenn sie Häckerling und Kleie roch, weil es daheim bei der Tante im Hausflur stets nach dergleichen geduftet hatte.

Heute aber war der zur Ländlichkeit mahnende Schutzengel des Philistertums ausgegangen, Linde hatte Arbeit zu Hause, und Schober traf sie allein im Westzimmer, in dem wegen der Nachmittagssonne des August eine solche Brutgnade ausgegossen war, daß Heides blasse Haut wie Perlmutter von Schweißtröpfchen glänzte, daß die vom Jausentische stehengebliebene Butter wie Öl zerrann und die vor Hitze tobsüchtig gewordenen Brummfliegen sich toll summend am Fenster die Köpfe zerstießen und sich dann wie betrunken im Staube wälzten.

Schober öffnete sogleich ein Fenster, sprach der halb betäubten Heide gütlich zu, die Arbeit fahren zu lassen, führte sie in die kühlere gute Stube und sagte ihr in aller gebotenen Vorsicht viel von banger, verhohlener Liebe und von Scheu vor ihrer Strenge, so daß sie ganz müde, mild und schläfrig wurde. Nach dem hypnotischen Allegro der wahnwitzigen Brummfliegen waren seine süßen, weichen Worte wie ein traumsüßes Andante, bei dem die Augenlider sanken und die Lippen sich lösten. Hilfreich und gut war ihr zumute, ob der Tatsache, so sehr geliebt zu sein, und als Schober sich sänftlich und sittlich über sie neigte, um einen Kuß zu nehmen, sprang, wie ein elektrisches Fünkchen, der leise Ton eines p von ihren Lippen zu den seinen. Dann noch einmal, und noch einmal, ganz verschwimmend und sommertagverschlafen.

Nun war aber Schober zuviel leichtfertige Dinge gewohnt und auch im übrigen zu stürmisch, um in dem schlummertiefen Largo zu verharren, das Heide in seine Arme hinsinken gemacht hatte. Kaum hatte er gefühlt, daß ihre Lippen für die seinen bebten, als er unruhig und stürmisch wurde. Er mochte sie unbedachtsam angetastet haben, wie Heide noch nie berührt worden war, denn seine heiße Nähe durchfuhr sie mit entsetzlichem Schreck, sie wollte empor, er hielt sie fest, und ein Grauen wie Todesfurcht überkam sie. Dieses reine Geschöpf, das bis in seine zarte Haut hinein wie mit Seele imprägniert war, fühlte, was verderbtere Naturen im Brausen des Erkenntnisbaumes kaum erlauschen; sie ahnte bei dem leisesten Anfassen der Sinnlichkeit die furchtbare Urlehre des Lebens, daß Liebe und Tod zusammen ein Geheimnis und ein einziges Schrecknis bedeuten, daß sie dasselbe sind. Sie bebte in allen Gliedern, weil das grausige Überirdische zum ersten Male seinen zeichnenden Finger auf ihre schuldlose, zeitlose Blüte gesenkt hatte und sie schüttelte das Verlangen nach der Steuer des Irdischen verzweifelnd ab.

Schober sah augenblicklich an ihren angstvoll aufgesperrten Augen das Entsetzen der Unberührtheit des Leibes und der Seele und trat achtungsvoll zurück, aber nun war all sein Zartgefühl vergebens. Sie glaubte ihm nichts mehr, wies ihm stumm und verzweifelt winkend die Tür, schrie endlich gellend nach der Mutter, als er von neuem auf sie zu wollte und brachte ihn damit eilig aus dem Hause.

Ihr Ruf bebte noch in den Fensterscheiben, als sie in das sonnenheiße Zimmer zurückkam, umhersah, suchte und sich erinnerte, daß Mutter im Magazin war. Das einsamste der Häuser umschloß sie allein, aber eine Fassungslosigkeit und Seelenangst durchwirbelte sie, als hätte sie das Mittagsgespenst berührt.

*

Ihr war nichts Hartes geschehen, und dennoch war sie tagelang gestört, tieftraurig, voll erschrecktem, ruhelosem Nachdenken und geradezu enthimmelt.

Alle sahen es ihr an, wie sie ihre junge Brust bestürzt umhertrug, schoben aber lächelnd die Schuld auf den ahnungslosen Vetter aus Krems, der freilich ihre Zerrüttung sah und freundlich teilnehmend in alle Winkel nachkam, stets von der stillen Sonne an der Donauländ erzählend, von dem lieben Hauswesen des Posthalterhofes, von den gurrenden Tauben, den Reben und jenem stillen Glück, das über einem hellgelb oder blau gedeckten Jausentische über Kaffee und Gugelhupf zittert.

Schau, so was ist beruhigend und kühl und tut gut wie ein Topfenumschlag, dachte sie, die ihm stets öfter und lieber zuhörte.

Dann kam ein Spätsommertag, an dem die Georginen dick und üppig blühten: prahlende Kaiserinnen der römischen Verfallszeit, da das Ende nahe war. Da wurde sie sehr nachdenklich, hatte Sehnsucht nach Heimkehr, nach Abwehr all dieser Verwirrungen des Lebens unter Kronleuchtern und Kerzen, nach einem stilleren Gange der Lebensflut, so beruhigt, sicher und langsam, wie die Donau bei Krems dahinströmt. An demselben Tag kam Herr Ferdinand Sprosser, der Vetter aus Krems, in dunkelbraunem Frack und stahlgrüner Weste mit einer bommelnden Uhrkette von beruhigender Dicke, einem staatstreuen Zylinder und ernst sittigen grauen Augen bei Herrn Tschöll um die Hand der Jungfer Adelheid Tschöllin anhalten.

Herr Tschöll ließ sich das Mädel rufen, sagte ihr, worum es ginge und sah sie einen Augenblick in Bestürzung, – da sie an Franz Schubert dachte. Aber Heide sagte sich: dem edeln, reinen Schubert bin ich abtrünnig und nicht gut genug worden, weil ich den Schober geküßt und mich von ihm habe anfassen lassen. Zudem hat der ein anderes Reich, als das meine sein kann. Der da aber will mich zur Bürgerlichkeit heimführen. Gott sei Dank. Und mit einem feierlichen Mut, den man an dem leicht geschreckten Geschöpfe noch gar nicht gesehen hatte, hob sie die Hand hoch, schlug gradewegs herunter in die freudig entgegengestreckte Rechte des wackeren Posthalters und sagte ihm zu, dessen brave Hausfrau zu werden.

Schubert wußte inzwischen nicht, daß wieder einmal ein wenig Glück an ihm vorbeigegangen war, ohne ihn zu streifen. Schober, den die plötzliche und angstvolle Abneigung Heides unmutig gemacht hatte, schwieg über sich und sie und von andern erfuhr er nichts aus dem Dreimäderlhause. In der schwermütig lieben Stimmung, die ihm in jenen Sommertagen ins Blut gemischt war, arbeitete er vor sich hin, brütete sich an köstlichen Einfällen heiß und verschlenderte die sonnenstillen Nachmittage allein oder mit Freund Moritz. Am Abende kamen dann die andern liebtrauten Gesichter alle nach, und sie saßen gemütlich um die Gartenlampe eines Heurigengartens oder eines ländlichen Wirtshauses, von Nachtschmetterlingen und fröhlichen Einfällen und Schnurren gleichermaßen umschwirrt.

Der Plan der beiden Intimen in jener Sommerzeit, eine Einsiedlerklause im Wiener Walde zu bauen, war nun freilich nicht ausgeführt worden, aber sie hatten dafür ein anderes Nestlein entdeckt, in dem sich auf das anmutigste weltfern und behaglich zugleich sein ließ. Schwind hatte nahe der Sommerheide, dort, wo vor dem Schafbergwalde Büsche und Zäune sich gegen Gersthof schieben, eine allerletzte, liebe, ganz verlorene kleine Heurigenschenke entdeckt, die schon nahe am Walde lag, daß im Herbst, wenn der Tag zu Ende ging, die längsten Abendschatten der großen Buchen das Anwesen beinahe erreichten. Ganz umbuscht von Wacholder und Holunder, ganz umstellt von Obstbäumen und Linden war das Haus und hatte so niedere Mauern und so viel Giebel, daß es in sein hohes spitzes Dach ganz eingewickelt war. Man sah übrigens auch aus ziemlicher Nähe von dem Häuschen nichts als den First über die Bäume gegen den blassen Himmel ragen wie ein Zigeunerzelt. Von einem der Bäume pfiff noch eine lange, leichtgebogene Stange quer durch die Luft, von weitem sichtbar mit ihrem schwanken Föhrenbüschel, dem Zeichen des eigenen Weinausschankes.

Daß von diesem geduckten Labeheim gar nichts zu sehen war als Giebelfirst und Weinzeigerstange, machte es dem romantischen Schwind sofort geheimnisvoll. Er drang sogleich in den tiefen Frieden des verschollenen Häuschens ein, fand ein freundliches, stillzufriedenes Ehepaar, alt und voll Friede und Liebe wie Philemon und Baucis, von vielen, vielen Hühnern umringt. Gegen Süden hin, wo man wegen der Zäune nicht nahekam, war das Häuschen frei. Hier an der weißen Hauswand sonnten sich auf dem Bänklein die alten Leute, da der Septembertag etwas kühl war, und blickten vergnügt und dankbar in die stille Helligkeit. Um sie auf dem Boden im Sande, auf der Bank und deren Lehne, auf dem nahen Holunderbusch und selbst auf dem Brunnenschwengel saßen die Hühner, und die im Sande breiteten ihre Flügel weit aus, um recht viel Sonnenstrahlen zu empfangen. Es war alles von so dankbarer Versunkenheit in die Gaben des Tagesgestirns getränkt, daß Schwind stille stehenblieb und das Bild dieses primitiven Urbehagens über all seine Sinne rinnen ließ, bis ihn die Frau, aus wohligem Halbdusel aufblickend, ersah und in lächelndem Schreck aufstand: »Jessas, Jessas, der Herr steht schon wer weiß wie lang da und will an Wein, und mir tunken da vor uns hin.«

Seit jenem Nachmittag waren Schwind und Schubert fast alle Wochentage die Gäste der freundlichen Alten, welche den Begriff der Weltferne, den die beiden Künstler gerne an sich wahrgemacht hätten, so sehr verkörperten, daß ihnen die jungen Leute als Zeitung dienen mußten, was in der Welt drunten los wäre. Denn obwohl die Stadt deutlich nahe unter ihnen lag und man von Gersthof und Pötzleinsdorf die Hähne bis herauf krähen und die Hunde bellen hörte, so waren sie mit ihrem stillen Frieden viel weiter von all dem rascheren Leben der Tiefe, als das Auge abmessen könnte.

Da hatten sie nun doch ein Stück ihrer Einsiedelei, saßen oft und würdig hier oben und verachteten die Welt unten. Lebendig ward es freilich auch manchmal; an Sonntagen nämlich. Und weil da die beiden mitten im Duliäh der Wiener doch keine Eremitengedanken mehr zur Aussprache bringen konnten, brachten sie, vom Feste Maria Geburt an, jeden Sonntag und oft auch schon am Sonnabend den heiteren Schwarm der Freunde mit herauf. Jeder trug da sein Abendbrot zu Berge und teilte brüderlich mit den andern, der helle, leichte Wein dieser Höhe war duftig und trinkenswert, so daß an solchen Tagen oft ein Singen und Lebensfreuen oben am Bergwalde los war, als sei aller Welt Jugend dort hinauf zu Philemon und Baucis gewandert.

Die alten Leute humpelten mit Weinheber und Flaschen aufgeregt hin und her. Soviel Leben, soviel Freude und Durst war noch niemals bei ihnen oben gewesen, trotz Sommersonntag und Annenfest. Und immer wieder blieben sie bei den frischen Jungen stehen, hörten zu, ob die nun von Italien, von Mädchen, von Beethovens Neunter, von der neu eindringenden, häßlichen Gewohnheit des schwarzen Leichenbitterfracks oder von Goethe sprachen. Voll Innigkeit schlürften ihre alten Ohren den Frohsinn und die unerhörte Gescheitheit »ihrer« jungen Leute ein; sie waren glücklich verwundert über soviel Leben. Die alte Frau, klein, verrunzelt und flink, war das heiterste Weibspersönchen, das man sich in so hohen Tagen vorstellen konnte. Sie horchte immer zu und lachte, wenn die andern lachten, auch wenn sie es nicht verstand. Sie hatte jenes unwiderstehliche Mitdabeisein einer neugierigen Seele, wie es bei Kindern und Negern gangbar ist, aber sie war stets voll mütterlich teilnehmender Güte. Der Alte war würdiger, aber auch ihn nagelte die Fröhlichkeit und das viele Erzählen oft so an seinen Platz, daß er Wein zu holen vergaß, den Heber im Arme und mit der andern Hand höflich sein gesticktes Käppchen hielt, und sein kugelrundes, dickes, rotes Wirtsgesicht mit der gutmütigen Gurkennase oft in ein einziges Erstaunen auseinandergehen ließ, so daß sein Mund die Form einer Sparbüchsenöffnung annahm. Besonders von Goethe hörte er gern. Denn daß einer ein Mensch sein und göttliche Ehren genießen, daß einer ein Gedichteschreiber sein und Exzellenz werden, daß einer in die Achtzig kommen und verliebt sein könnte, das verdiente seine breiteste, starrste Verwunderung.

Freilich war's oft noch schlimmer. Die jungen Kerle neckten die alten Leute und erzählten die unerhörtesten Fabeln von der schlechten Welt dort unten. Die mollige Weltfluchspinnerei, von der zuerst Schwind und Schubert behaglich spielend angezogen worden waren, ging um diese Zeit als launig variierte Mode auf den ganzen Kreis über, und alle zeterten droben wildschmerzlich über das gottvergessene Wien, in das sie dann alle Nacht zurückkehrten, nannten das einsame Haus am Waldrande die Höhe des Ausruhens, die Bucht des Friedens, den Gottheitsschoß, Ausdrücke, die von den beiden Alten mit höchlicher Freude ein- und angenommen wurden, und waren doch so weltlich und vorlaut wie Sybariten.

So bauschte namentlich der mokante Bauernfeld die seinerzeit ganz zufällig entstandene Tragik des Gupfschen Lebens zu einer diabolisch beabsichtigten Geschichte auf, wobei ihn Jenger unterstützte. Sie erzählten dem entsetzten Alten, daß in Wien ein Bund lustiger Frauen sich gebildet habe, welche, unzufrieden mit der allzu zahmen Liebe, wie sie in diesen Tagen gang und gäbe wäre, grausige Abwechslung darin suchten, alte Leute zu umgarnen und sie zu der verwegensten Höhe der Verliebtheit emporzureizen, um sie mit kitzliger Nervenweide daran leiden und sterben zu sehen! Ja: wo doch seinerzeit selbst die alten Römer sich an krepierenden Muränen genug sein ließen. Der arme Alte hatte vor Schreck sein Antlitz in drei verschiedenfarbige Bezirke geteilt. Die Nase und der aufgesperrte Mund blieben dunkelrot, die Backen wurden blau, und alle Grenzlinien der Muskeln, dazu der großaufgerissene Augapfel weiß.

Seine kleine Alte, die sonst so vergnügt war, sagte aber in angstvollem und zornigem Temperament: »Josef, daß du mir nicht mehr hinuntergehst!«

»Belei, belei,« schwur der Alte. »Nein, so was!« Er war sein Lebtag den Verführungen des Lebens, aus purer Unmöglichkeit seines ehrlichen Wesens, unzugänglich gewesen und hatte darum doppelt große Angst davor.

Nach dieser schrecklichen Erzählung hob dann der elegante und unverbesserliche Schober diskret lächelnd sein Glas und sagte unter Ausrufen allgemeinen Entsetzens: »Immerhin: es lebe, was wir lieben!«

Als die jungen Leute mit dem Herrn Baron anstießen, wurde es dem armen Alten ganz wirblig ob des vielen Leichtsinnes.

Schubert allein ließ sein Glas kühlblickend auf dem Tische stehen, bis Schober sich mit seinem Wein zu ihm neigte … »Du nicht, Bertl? Du liebst gar nichts?«

»Doch, die Freundschaft,« sagte Schubert und hielt ihm schnell anstoßend das Glas entgegen.

»Ach ja,« seufzte Schober. »Ich bin doch auch von allem, was Liebe heißt, ausgesperrt. – Hast du schon lange nichts über die schöne Heide gehört?«

»Lange nichts,« sagte Schubert beklommen. »Du wirst doch sicher mehr wissen. Warst ja immer so enge an ihr …«

»Sie ist verlobt,« sagte Schober schwer seufzend.

Schubert versteinte sich in schweigender Beherrschung.

»Ja,« fuhr Schober fort. »Mit irgendeinem Roßkamm oder Fuhrwerker aus Krems. Solide Heirat, Philisterium mit sonntäglichem Kirchgang und sonst, – sechsmal in der Woche, alle Abend Geldzählen aus dem Holzschüsserl. Die Tageslosung. Ja.«

Nach einer Weile fragte Schubert leise: »Hat sie denn vorher dich geliebt?«

»Man hätt' es glauben dürfen,« seufzte Schober in bitterlichem Ton.

»Ach so,« sagte der kleine Musikant sehr gefaßt und gleichgültig. »Da hast du nun, was ich dir immer gesagt habe. Die Schlechten wollen wechseln, die Guten wollen heiraten. Nun ist einmal an dir, der du selber wie Geld gewechselt worden bist, eine ganz Vernünftige vorübergegangen. Auch an dir.«

Und Schubert stand auf, ging zwischen den Holunderbüschen hindurch ins Freie und sah über die Wiesen nach der tief entlegenen Stadt und deren Lichtern. Er pfiff leise und schneidig zwischen den Zähnen. Ssss …! Dann sang er vor sich hin, im Sechsachteltakt, obwohl sein Herz wie ein Stein war.

*

Nun rief man ihn freilich wieder ins Dreimäderlhaus, teilte ihm Heides Verlobung mit und fragte erleichtert, warum er denn gar so lange ausgeblieben sei.

»Ich habe ein wenig Einsamkeit nötig gehabt,« er kurz.

Heide war nicht ohne Verlegenheit; aber da sie nichts versprochen hatte und Schubert nach wie vor keine Miene verzog und man ihm gar nichts anmerkte, ob sie ihm ein wenig teuer geworden wäre, so beruhigte sie sich rasch. Sie hatte nun ihre Zuflucht und wuchs in wenigen Wochen mit dem engsten Vertrauen an den vollkommen ruhig wartenden und nicht im geringsten zudringlichen Bräutigam heran, vor dem sie sich gar nicht fürchtete; nicht vor dem künftigen Eheherrn und nicht vor dessen treuer, sehr langsamer und begriffstütziger Art, zu lieben.

Die Hochzeit wurde gleichzeitig mit der Hedwigs für das Frühjahr des Siebenundzwanzigerjahres angesetzt; so ersparte man einmal die Kosten für Gäste, Wagen und Festmahl, was sehr praktisch war, und eine Doppelhochzeit sah auch viel glänzender aus.

Wenn er nun musizierte, hörten oft genug zwei von den drei Schwestern nicht mehr sonderlich auf ihn. Es war, als sei ihnen Musik nun nicht mehr so notwendig, und Scherenklappern, Stoffgeknister drang häufig in sein Spiel. Maßnehmen und Näharbeit wurden während der holdesten Klagen seines resignierten Herzens fortgesetzt.

Bloß die Kleine, die Neugierige, Hannerl, stand jetzt noch neben ihm. Als er eines Abends nach dem Spiel aufschaute und mit stillem Kopfnicken bemerkte, daß man wenig seiner geachtet habe, war sie nahe und sagte: »Ja, nun bin ich allein da.« Und als er sie bloß freundlich und geistesabwesend durch seine Augengläser ansah, wiederholte sie bedeutsamer: »Ja; Freund, Meister und Genie. Verstehen Sie nicht? Nun finden Sie nur mich allein noch. Sind Sie damit unzufrieden?«

Die andern aber klapperten von Aussteuer und maßen Leinwand für die Brauthemden aus, die allerfeinste. Und Spitzen.

*

Schubert sah das alles mit stillen Augen an, sagte nichts und wehrte sich nicht, klagte selbst in den einsamsten Stunden niemand an, sondern neigte sein Haupt, als könne es gar nicht anders sein und als sei es sein Beruf, von dem berauschenden Glück dieser Erde stets nur dessen Fluchtseite zu betrachten und verschmäht zu sein.

In jenem ganzen Jahre war er schon in seinen besten Stunden tiefernst gewesen. Von da ab jedoch fühlte er sich zu besonderer Einsamkeit geweiht oder verflucht und vermochte auch mit den Freunden nicht mehr recht frohmütig zu werden. Es gab fortab viele schlimme Tage. Er trank mehr als früher und zog immer häufiger dem billigen Bier und dem leichten Grinzinger die schweren Weine vor, auch wenn sie teuer waren und seine kleinen Schulden vergrößern halfen. In Gesellschaften tat er ganz offenkundig, als sei er zu nichts geladen, als um zu musizieren, und mit nichts zu entlohnen als durch Wein. Die schönen Frauen mied und tat er noch kürzerhin ab als früher. War er nicht vertieft über den Tasten, so saß er ebenso versunken oder wohl gar störrisch hinter dem Glase.

Der gute Geist des Weines war von ihm gewichen; der Geist, der ihm, als er noch seltener und mäßiger trank, das Leben erhöhte, die Menschen heiterer und farbiger machte, die Disharmonie des Tages verklärte, das Jugendgefühl hob und verstärkte. Der den Sehenden weltdurchschauend machte, den Horchenden zu ewigen Harmonien entrückte, dem Lebenden Unsterblichkeitsgefühle gab. Was war dem Rausche vergleichbar, mit dem ihn ehedem nur zwei Gläser Weines die Herbstpracht des Wiener Waldes empfinden ließen, und was dem Glücksgefühl, wenn er mit den Freunden, seiner Armut durch den Genuß eines armen Glases Bier lachend entrückt, sang, und die Schönheit der Erde pries!

Nun machte das Zuviel ihn stumpf und dumpf. Oft und öfter suchte er dieses bleierne Nirwana, das alles ausstrich, was ihm fehlte, und unfühlbar machte, was er besaß. Regungslos starrte er in eine Ecke; der Saft der Pflanze hatte ihn selber ins Pflanzendasein entrückt; das besonnene Leben war verhüllt, verpuppt, vergessen. Das liebte er jetzt so.

Der verständige Kupelwieser und der auch ohne narkotische Erregung heitere Schober redeten ihm oftmals zu: »Bertl, reiß' dich empor. Tu' nicht zuviel, du verdirbst deine Jugend und deine gesunden Kräfte. Laß das Trinken.«

»Wem schadet's?« sagte er. »Frau und Kinder krieg' ich nicht, Entbehrung und Sorge aber hab' ich. Schönheit und Liebe haben mich verlassen, das will vergessen sein. Laßt mir die drei einzigen, die's gut mit mir meinen: Die Musik, den Schlaf und den Wein.«

Freilich: Der Schlaf war gütig mit ihm und trostreich. Das eine war dem armen Musikanten geschenkt, daß er tief und herrlich schlief und am Morgen selten müde und zerschlagen erwachte, wie viel Tausende von jungen Menschen, die hierin unseliger und elender waren als er. Nein, dieses ächzende Inslebenkriechen, diese Trostlosigkeit des Erwachens, dieses verdrossene Erheben zu neuer Qual kannte er fast nie. Der Morgen, der Morgen hatte ihn lieb, und in ihm war er frisch, neu und glücklich. Denn dann begann die emsig frohe Hast der Einfälle: das Elend des vergangenen Abends war in ihm inzwischen wie zu Honig geworden, drängte sich süß und schwer aus seiner Seele, und sein Unglück war in die höhere, bessere Einsicht der Töne verwandelt. Täglich schloß er so den Gottesfrieden mit der Ewigkeit und gab dem Leben erhöhte, reiche Antwort. Da war er glücklich.

Aber der Vormittag endete im Schlachtgewühl der Mittagsglocken, die Mahlzeit drückte ihn aus gottnaher Entrückung in irdisches Behagen nieder, der Nachmittag mit seinen Zeitungen und Kaffeehausstunden erfüllte ihn mit dem wirren Mißton des ewig kleinen Tages. Und wenn Sommers um vier die Sonne wie unschlüssig und überflüssig am Himmel hinzögerte, oder gar, wenn vom November ab die nebelgraue Vesperstimmung schon um solch frühe Stunde begann, da rann eine Trostlosigkeit und eine endlose Enthoffnung ohnegleichen um seine Seele und stieg und hüllte ihn ein wie braunes gärendes Sumpfwasser.

Niemand konnte so himmlisch beseelt, so junggotteslaunig sein wie Franz Schubert. Niemand konnte so bodenlos traurig sein wie Franz Schubert.

Diese graue, stille Flut von Traurigkeit kam nun im Spätherbst fast alle Tage nach vier Uhr zu ihm, überstieg und bedeckte ihn, schien keinen sichtbaren Grund und keine Ursache zu haben und war doch so endlos, so trostlos, so bitter und schwer, wie sie nur sein könnte, wenn die Toten in den Gräbern zu fühlen vermöchten, daß sie ewig machtlos und zwecklos da unten in der dumpfen, schweren Erde gären müßten!

Stundenlang, viel hundert langsam rinnende gleichgraue Minuten lang bedeckte und überbrütete ihn so diese wache, reglose, stockende und ihren eigenen Bankrott erkennende, bittere Traurigkeit. Er dachte dann, daß er lebe, und es habe kein Glück und keinen Zweck. Er sagte sich vor, daß er schüfe und andere damit beselige, aber es schien ihm nicht Hinhorchens wert. Denn es müsse ja doch gestorben sein, für ihn und alle. Und aus dem durchleuchteten Tage wurde Dämmerung. O diese toten, schweren Dämmerstunden, sie waren eine seltsame Folie, auf die selbst das Bild dieses gottdurchgoldeten, tiefkräftigen Lebens gemalt sein mußte!

Wenn dann in Gasse und Läden die ersten Laternenlichter aufzuckten und traulich tröstend in das graue Einerlei und Alleseins flimmerten, da stand die schwere Todesahnung langsam auf, zog erst einen Mantelzipfel von seiner Brust und ließ ihn atmen, enthüllte ihn langsam und gab ihn endlich frei, der doch in ihre dichten Fäden regungslos eingewoben schien wie die Fliege von der Spinne. Da sah er um sich, leise klang in verborgenen Nischen seiner Blutgefäße das Lebensmotiv an, er erwachte, ward klar, schüttelte die tiefe Angst von sich und lief und lief; zu den Freunden, zu lieben, lebenden, lachenden Gesichtern, zu warmen Stimmen, zu Musik oder Theater oder gar ins schmerzensreiche und doch so traute Dreimäderlhaus, kurz: mit allen Sinnen, aller Sehnsucht und vollen Segeln ins Leben.

Tiefatmend! – Selten jedoch ganz befreit und heiter, in jenem Jahre des allzu schweren Trunkes. Er blieb reizbar, auch wenn er sich erhöhte.

So war er einst seiner tiefen Angst und Trostlosigkeit entronnen zu dem, dessen bloßes Timbre der Sprache, dessen geistiges Anwehen ihn schon zu Gott wies und der ihn stark, demütig-stolz und froh machte. Schubert war im »Faust« gewesen; im Hof- und Nationaltheater, und das hatte einen gottesdienstlichen Abend bedeutet.

Nun saßen die Freunde zu Abend beim Haidvogel am Stefansplatz, sprachen und stritten über die Künstler, Schober lobte das Gretchen, Kupelwieser bekrittelte den Teufel, und Jenger den Darsteller des Faust, und Schubert saß still, ganz in heiliges Nachhallen eingesenkt, hinter seinem Weine und trank nur sehr mäßig, wie stets, wenn er glücklich war. Er sagte gar nichts oder wiederholte nur völlig in sich und leise die wunderbarsten Aufschwünge der Dichtung ins Allreich der Natur, das er selber so inniglich verstand. Dreimal, viermal, neunmal sagte er vor sich in tiefer Rührung hin: »Im Tale grünet Hoffnungsglück.« – Es war Ende Februar, und er sehnte sich nach den Palmkätzchen der Weiden und den kecken, grünen Grasspitzen. Alles Leid, alle Verschmähtheit war dahin, denn das gab es noch für ihn: »Im Tale grünet Hoffnungsglück.« Die ewig holde Erfüllung neuen Lebens! Und dann die Sehnsucht, das herzausreißende Emporschauen.

Und das breitflüglige Ausruhen des Adlers auf der Luftschicht unter ihm. Triolen? Nein. Das mußte königliche Ruhe sein, hoch oben.

Die Freunde horchten schon mehr auf die Nachbarn am Nebentische, von denen einer, ein Doktor, bewies, daß der Faust ein kleines Menschenmachwerk sei, weit hinter der großartigen Uridee des Volkes!

Schubert rüttelte sich die störende, boshaft fremde Stimme aus den Ohren, trank rasch nacheinander ein paar Gläser Wein, um besser in das Rauschen seines eigenen Blutes eingehüllt zu sein, und fand sich beglückt wieder zu dem Ausdruck unsäglichen Heimwehs zurück: »Und über Flächen, über Seen –!«

Aber jener Doktor redete immerzu gegen den Tisch des Musikers, dessen Versunkenheit und dessen fernes Lächeln ihm Verachtung zu bedeuten schienen. Ja, er sandte seine Sentenzen mehr an ihn als an die andern in der Wirtsstube, so eindringlich, böse herausfordernd und hakig, daß Schubert endlich ganz und gar gestört war. Wie zu saurem Quark gerann ihm die Stimmung. Nun horchte auch er und sah sich den Menschen an, einen trübblonden Gesellen mit ranzigem Haar und einem Antlitz wie eine feuchte, blaßgebackene Semmel. Die fettlichen Backen hingen ihm mißliebig herab, und wenn er sprach, so klang oft ein störender Mitton hindurch, als zöge und zöge er an einem hohlen Zahn, ein Laut, der mit Buchstaben nicht zu geben wäre.

»Ich habe also bewiesen, daß der ›Faust‹ des alten Herrn Beamten, rein sachlich, als dramatisches Kunstwerk angesehen, nichts taugt. Exposition: Statt daß charakterisiert würde durch Handlung, eine lange Rede. Sehr bequem allerdings. Dann wieder nichts als Ergüsse! Landschaftslyrik, und auch sonst lauter abseitige Dinge, die nicht zur Sache gehören. L'affaire, l'affaire, meine Herren? Nun denn: schälen wir sie selber heraus. Was ist von dem herzverzehrenden Faustdrange des alten Fabelbuches geblieben? Die Verführungsgeschichte einer kleinen Gans.«

»Herr,« sagte Schubert, »lassen's uns jetzt in Ruhe.«

»Macht Ihnen das Mitdenken Kopfweh?« fragte der andere.

»Nein,« erwiderte Schubert. »Denn was mich betrifft, so habe ich viel mehr im ›Faust‹ gefunden als Sie, der Sie bei allem Kopfzerbrechen in dem Stück nichts sehen als Armseligkeiten, an welchen der Dichter wahrlich schuldlos ist.«

»Ja, wer denn?« rief der mißliebige Herr.

»Der Herr Sandgrubenarbeiter, der da im Golde gräbt und leider schon gar kein Mineralog zu sein scheint,« sagte Schubert, der zu Zeiten beißend witzig sein konnte.

Die Freunde lachten, aber der Doktor rief nachlässig:

»Ja so, verzeihen Sie. Ich dachte zu einem unvoreingenommenen, objektiven Auditorium zu sprechen. Ich vergaß, daß ich einen kritiklos demütigen Nachbeter des Herrn Hofrates zu Weimar anredete.«

»Na also,« sagte Schubert. »Zu was strengen's Ihnen an?«

»So demütig,« fuhr der Doktor fort, »daß Sie selbst durch das hochmütige Schweigen, mit welchem bekanntlich Ihr Werben um die Gunst Seiner Exzellenz beantwortet wurde, nicht in Verlegenheit zu bringen waren. Ich vergaß, daß Sie gewohnt sind, im Dienste eines Herrn, der Sie ja doch nur verachtet – –«

Schubert sprang empor wie eine losklirrende Stahlfeder. Der Tisch prellte hochauf, schmetternd fielen zwei Gläser und ein Bierkrug um, und nur der geschwinde Kupelwieser rettete noch durch eiliges Zugreifen die Rotweinbouteille. Die farbige Nässe rann über den Tisch bis auf den Boden.

»Was Goethe an mir übersehen haben mag, das geht Sie nichts an, und mich auch nichts, wenn von seinen Werken die Rede ist!« schrie der kleine Musikant in hochrotem Zorn. »Was mich aber trotz seines Schweigens zu ihm emporhebt, das ist ein Ding, von dem Sie, Sie armer Kerl, Doktor, der alles weiß und so gescheit ist, daß er Gottvaters Tagewerke nachher kritisch beleuchten kann, von dem Sie zu Ihrem Unglück nichts, schon gar nichts geschenkt bekommen haben.«

»Na?« fragte der andere.

»Die Ehrfurcht!« schrie der Musiker … »Die Ehrfurcht, Sie bloßes Meßbandel! Die Ehrfurcht vor der Arbeit wie die Ehrfurcht vor dem Mißlingen. Sie haben das traurige Vorrecht, hinter jedem Worte, das nicht das Ihre ist, den Timbre der Stimme Gottes zu überhören. Das heilige, demütige Nachforschen, kennen Sie denn das, Sie Nußkern? Was nicht im Bezirk Ihrer Rinde steckt, ist für Sie keine Welt! Und weil Sie beweisen können, daß auch Sie Windungen haben, halten Sie sich für das Gehirn der Schöpfung?«

Der Wirt und die Kellner stürzten herbei, um zu beruhigen, und Kupelwieser zahlte ängstlich und eilig für alle, in seiner vorsichtigen Art.

»Wischen Sie dort auf!« sagte der Doktor. »Der betrunkene Herr hat beinahe den ganzen Tisch umgeworfen.«

Aber Schubert toste weiter. »Seht mir den Nüchternen an, den gelobten Nüchternen! Sie armer Teufel, dem statt der Demut der wahren Größe das Grinsen eines Affen in den Augen steht! Sie wollen mir meine Ehrfurcht gegen den Dichter verhohnigeln, weil Sie ihn nicht kapieren!«

Die Freunde zogen und zerrten ihn fort, er aber schrie: »Sie armer Beraubter. Bedauernswert sind Sie, Sie ganz Gescheiter, Zuletztgekommener! Der alles beurteilt, weil er selber nichts hat. Ehrfurcht, mein Herr, Ehrfurcht, dann werden Sie ein bißerl glücklicher sein!«

Schober und Jenger hatten ihren zornigen, aufrechten kleinen Kämpfer je an einem Arme. Kupelwieser machte die Tür auf, Schwind schob hinten an, und so marschierte der Trupp lachend ab, nicht ohne daß Schubert sich noch in der Tür umdrehte und schrie: »Ja! Und ein besserer Mann wären Sie dann noch obendrein. Ehrfurcht, Sie aufgequollener Herr, Ehrfurcht!«

»Der Säufer!« rief ihm der Doktor empört nach. »Wie habe ich mich nur mit einem notorischen Trunkenbolde einlassen können! Und aufgequollen! Das sagt diese Pilzlingsfigur!«

Wirt und Kellner gaben, wie von je, dem zurückgebliebenen und überdies besser zahlenden Gaste recht, und der temperamentvolle Künstler hatte viel üble Nachrede.

*

Unter solchen Umständen tat dem Ärmsten Freundschaft not; und wahrlich, treu wie Gold bewies sich in diesen unglücklichen Zeiten der feinfühlige Schober. Als er den Druck zu merken begann, der sich auf den Freund gelegt hatte, und einsah, daß der Tieftraurige bei seiner Neigung für das sorgenvernebelnde Element des Weingeistes nicht sich selber überlassen bleiben dürfe, bot er dem Musiker nebst gutem Rat auch tätige Hilfe an. Schuberts Geldsorgen waren mit jenen Ausgaben für teure Weine gestiegen, seine Arbeitskraft gesunken. Die Verleger zahlten schlechter als je, und zu dem stillen Gram des Vereinsamten und Abgewiesenen kam noch der Druck anwachsender Schulden.

So war denn Schober schon am Michaelstage des Jahres Sechsundzwanzig in Schuberts Wohnung getreten und hatte gesagt: »Du, das geht so nicht weiter. Du vergräbst dich in Schwermut, darfst also nicht allein bleiben. Es war diesen ganzen Sommer schlimm genug mit deiner Weltflucht. Nun leidest du und brauchst einen Freund. Du bist reizbar geworden, und in der Einsamkeit frißt der Gram an dir: allein darfst du nicht mehr bleiben, und wenn du stets neben einem Menschen bist, der dich lieb hat, so wird dir der auch das allzu viele Glaserlgucken ausreden können. Du kündigst also dein verräuchertes, spinnwebiges Raupennest da, entpuppst dich und ziehst zu mir!«

Schubert sah den Freund scheu und zweifelnd an.

»Du ziehst also zu mir?« fragte Schober.

»Ja, abgemacht,« sagte Schubert nachdenklich. Ihm war schon vor sich selber bange geworden.

*

Das war ein echter Freundesgedanke gewesen. Schubert war in jenem Jahre so sehr in Not gewesen, daß er nicht nur den Zins schuldig bleiben mußte, sondern auch dem Drängen Jengers, der ihn zu lieben Freunden in die Steiermark führen wollte, traurig ausweichen mußte. Schubert nahm nur von solchen Freunden Wohltaten und Geschenke, denen er in Zeiten des Überflusses wieder aus seiner Tasche eine Reihe froher Tage zurückzuwenden vermochte. An dieser in den Gesetzen der Bruderliebe so drastischen Christengemeinde mit nur einem einzigen Säckel hatte nicht viel über ein halb Dutzend Freunde Anteil, die Schubert an Tagen, wenn die Verleger Geld geschickt hatten, wohl vollzählig in ein teures Konzert zu führen pflegte, und wenn's Paganini selber mit seinen unerschwinglichen Preisen gewesen wäre. Von bloßen Verehrern, und wenn sie noch so herzlich an ihm hingen, nahm er nichts an. Nicht einmal von der ihm längst durch Jenger lieben und vertrauten Familie Pachler in Graz, die ihn eingeladen hatte, obwohl selbst Beethoven als Freund und Gast der prächtigen Leute galt. Darum hatte sich Schubert im Sommer des schwermütigen Jahres, das nun endlich dem Ende nahe kam, lieber im billigen Währing versteckt und hatte zum Abendessen Käse und Brot gehabt, als daß er die Reise ins grüne und erquickte Land von andern bestreiten hätte lassen.

Nun wohnte er umsonst und in der heitersten und freundlichsten Gegend. Zwar war es nicht die Südbastei, aber das Haus an der Karolinenbastei ging doch gegen Südosten, überblickte weithin das Wasserglacis, die Vorstadt Landstraße und die Ebenen gegen Ungarn hin. Das munterste und farbigste Markttreiben war jenseits, unten in den schönen Anlagen der Glacis gingen die dicken, reichen Leute auf und ab und tranken die Mineralwässer aus Marienbad und Karlsbad im Kiosk des Herrn Pelikan, viel Licht und Wärme war daselbst im Winter, und an den vielen Sturmtagen wurde diese vor dem Nordwest behaglich geschützte und oft besonnte Stelle der Bastei gerne besucht. Da schien es, als ob sich nebst den dürren Blättern, die von allen Seiten in diesen stillen Winkel gewirbelt worden waren, das ganze Wiener Volk wärmeschauernd hieher zusammenwehen hätte lassen.

Es begann für den bedrückten Künstler eine bessere, hellere und befreitere Zeit.

Namentlich das viele und schädliche Trinken geriet an dieser heiteren Stelle langsam ins Versiegen. Schober, der stets ein heiteres Ebenmaß zu bewahren wußte, sich immer selbst in scharfem Augenmerk behielt und trotz leichtsinniger Jugend nach Vertiefung und Vollkommenheit strebte, gab hierin gutes Beispiel und redete dem gänzlich teilnahmslos gewordenen Freunde in einer Sprache voll gütiger Warnungen und Vorbilder zu, das regelmäßige, täglich gleich ausgiebige Trinken zu lassen und für den Alltag Mäßigkeit zu halten.

Wirklich begann Schubert, nicht ohne leise Freude an der Selbstüberwindung, die er übte, zuerst alle Mittage ohne Wein oder Bier auszukommen. Das war gar nicht so schwierig, und er ging vom Essen viel heiterer und aufnahmsfähiger in seine Kunstsammlungen oder in das Kaffeehaus, wo er bis in den späten Abend nichts Schlimmeres genoß als eine Tasse Schokolade oder Kaffee und sich mit größerer Begierde als zuvor in die Zeitschriften einstudierte.

Nur zu Nacht, da Schubert ohne die gewohnte Lähmung nicht mehr einschlafen zu können vermeinte, glaubte er die einlullenden Geister holder Vergessenheit nicht mehr entbehren zu können. Da ihn aber der Freund bat, eine kleine Kur auch hier zu beginnen, indem er ihn täglich um fünf Minuten früher ans Zubettgehen mahnte, so wurde das Quantum des regelmäßigen und langsamen Zechers um ein Beträchtliches verkleinert, als beide es erreicht hatten, um eine volle Stunde früher schlafen zu gehen als bisher.

Die Wassertrinker, die Sünder in jüngeren Tagen, die er so ängstlich am Glacis unter sich Buße tun sah, wegen schmerzender Lebern und Nieren, die mahnten ihn mehr noch als der freundliche Schober zur Enthaltsamkeit, und so kam es, daß sein noch junges Blut von Tag zu Tag reiner, beweglicher und dünner wurde.

Nach wenigen Wochen schon fühlte er sich frischer, und immer mehr, namentlich in den ersten Frühjahrszeiten des nächsten Jahres, hob und verjüngte sich die gedrückte und betäubte Natur des kleinen Menschen. Energischer und fröhlicher preßte das ungehudelte Herz das Blut durch alle Pulse, und ein helles, freies, fröhliches Wesen kam in ihn, leicht wie Äther und voll heiteren Frohgefühls. Jung wurde er wieder, jung!

Freilich! Auch die alte, ewig erneute Blutwelle der Leidenschaft kam in jenem Vorfrühjahre mit leidvoll schöner Bedeutsamkeit angebrandet! Wenn jetzt neben ihm die hübschen Kinder im Dreimäderlhause einmal der Ausstattungsarbeit vergaßen und hellauf sangen, da mußte er an sich halten, um nicht der verlorenen Heide zu Füßen zu sinken oder die Jüngste, die geheimnisvoll erregende schwarze Schlanke, halb im Ernste und halb im Spiel an sich zu ziehen. Denn die stand immer am allernächsten bei ihm, als suche sie eine leise Berührung. Es war schwer, das mit unbewegtem Antlitz zu ertragen. Dann warf er wohl die Noten hin, den Klavierdeckel zu, suchte seinen Hut und stürmte davon, indes die Jüngste, hinter ihm lachend, die Arme ausbreitete: »Nun?! Nun, Musje? Will er nicht daher?«

Er nahm es für Spott, sie nahm es für anregendes Spiel, und Heide sah ihm in tiefer Wehmut nach. Ihr tat er leid, während seine kämpfende Erregtheit von dem biegsamen und heißen jüngsten Ding prickelnd bemerkt wurde. Hannerl tat das gerne, in ihm die wilde Angst vor sich selber hochzumachen; es tat ihr wohl, wenn seine Augen hinter der Brille sich verschleierten und die allzu vollen Lippen so stark zu zucken begannen, wie sie es sonst nur um einen nervöseren, mageren Mund spielen sah: den des leichtlebigen Schober. Soviel Heide leise schalt oder sie bittend ansah, es half nichts. Mit frieselnder Neugier drängte sie sich stets wieder an den scheuen, stillen, kleinen Mann, hauchte ihm den warmen, jungen Odem an der Wange vorbei und sang seine Lieder so klangvoll sehnsüchtig und zärtlich, daß ihr armes Präparat zu kochen und zu zittern begann. So wollte sie ihren Künstler haben; dann schwoll ihr das Herz, und ihre Fingermuskeln spannten sich vor Lust, in seine kleinen Löckchen zu greifen und ihm noch weher zu tun. Hedderl sagte gar nichts; sie war ernst und bereitete sich auf ihren neuen Stand. Denn um jene Zeit sollten die kluge Hedwig und die sanfte Heide an einem Tage in der letzten Myrtenblüte stehen und Hochzeit halten.

Das Frühjahr war stürmisch. Oft, wenn Schubert inne ward, daß niemand sich viel um sein Spiel kümmerte als das kleine, gefährliche Ding, ließ er die Hände sinken. Dann hörte man den Todeskampf des Winters draußen. Es heulte um Haus und Bastei. Und zwischen die Gedanken Schuberts, daß jetzt der tieferregte Beethoven nicht mehr unten vorbeirenne, sondern in Todeskrankheit zu Hause liege, knarrte und schrillte immerzu die Wetterfahne! Seltsam, wundersam gemischte Zeit! In ihm brach das alljährliche schmerzliche Wunder aus, und sein verträumtes Blut wurde heiß und flüssig, ja siedend. Der Sturm sang vom Frühling, die Wetterfahne höhnte ihn aus und schrie die Wandelbarkeit der Liebe in alle Winde. Und schweigsam kämpfte in dieser toll und voll ins Leben schießenden Zeit drüben im Schwarzspanierhause der große Beethoven mit dem Tode.

All das war in ihm und durchgrauste oder durchbrannte ihn wie wechselndes Fieber. Entstehungsschauer, Wandelbarkeit, Sehnsucht und Tod. Und als wieder einmal die Wetterfahne in eine kleine Ruhepause von droben hereinknarrte, ging er schweigsam nach Hause, ohne es zu achten, daß ihn die Jüngste wie ein Kätzlein umschmeichelte, damit er bliebe und sie ihm heiß und bange machen könne. Daheim dann saß er lange vor dem Klavier in wehem Ringen, dann breitete er die zuckenden Hände und spielte das unerbittliche Lied von der Wetterfahne in endgültiger Fassung ganz herunter. Kaum war er zu Ende, als er sich Papier herbeiriß und tiefseufzend neue Noten hinschrieb, indem er fortwährend ein Lied Müllers zu Rate zog, obwohl er es auswendig kannte, so teuer war es ihm. »Fremd bin ich hergezogen, fremd zieh' ich wieder aus.« Nach den harten, scharfen Rhythmen der »Wetterfahne«, die voll verzweifelnden Hohnes waren, bedurfte seine Seele sanfterer Lösung. Und während draußen der Sturm dem ersten Tage des Lenzmonats zu Ehren gewaltig in den Schnee der Dächer stürmte, daß des Winters Entsetzen wirblig aufstäubte, war milde, wohllautvolle Wehmut um den jungen, verlassenen Meister. – So traut umdrängten ihn die geliebten Akkorde, daß, als das Thema sich instinktiv und versöhnend aus Moll in Dur wandte, ein Lächeln über die stumpfen, runden Züge lief, so himmelklar, erkennend, selig und schön, daß dieses bedeutungslose Antlitz leuchtend und zum Ebenbilde Gottes wurde, an Erkenntnis, Güte und Geist.

 

Diese Stunde war gut, wie alle die Stunden seiner Arbeit, und rein; aber seltsam gemischt aus leisen Ahnungsschauern. Er dachte, seit er auf alle Frauenliebe einsichtig und schwerblütig Verzicht getan hatte, mehr als je an die Vergänglichkeit all jener Freude, die sich an Irdischem trunken sog. Sonst war er in solchen Stunden gerne zum ernsten, groß gehaltvollen Vogl gewandert und hatte den zum Philosophieren gebracht. – Vogl, dessen Weltweisheit in dem Satze bestand, man müsse an jedem Tage seines Lebens in einem kleinen besser zu sein versuchen als am vergangenen Tage, war im übrigen voll Weltabkehr, fromm und katholisch, aber auch mystisch allgottfühlend, wie sich dies mit der geheimnisreichsten der Christenlehren ja gut verträgt. Der hatte den jungen Freund dann mit wehmütigen Betrachtungen erhoben und geläutert. Nun war's mit Vogl leider nichts. Seit dessen Gicht in Italien besser geworden war, schien Vogl aus dem heiteren Sonnenlande mehr die Freudigkeit des heiligen Franz als die Lehren der Askese beherzigt zu haben. Seit er zudem die treffliche, lebensmutige Hausfrau hatte, seine ehemalige Schülerin Kunigunde Rosas, gab es noch mehr Heiterkeit im Hause, ja Trällern und Lachen. Und nun war gar noch ein kleines Voglkind ins Haus gekommen; ein liebes, gesundes Mädchen, das der alternde Vater mit der Innigkeit eines Großahns umgab. Dergleichen konnte Schubert ohne geheimes Herzweh nicht sehen, und andere Philosophie als die einer vertrauten, tüchtigen Ehefreundschaft gab es nicht mehr im Voglschen Hause.

So war unter den Freunden Schuberts nur noch einer, der voll Schwermut, Weltfeindschaft, Menschenverachtung und anderer herber Philosophie war, und das war der Zensor Mayerhofer, in dessen freiheitsdürstiges Herz jeder Tag seines Berufes, der alle wildschönen Gedanken und alle Offenheit knebeln mußte, wie ein glühender Bleitropfen sank. Zu ihm ging Franz Schubert jetzt öfter und ließ sich viel Bitterkeiten über diese Welt von ihm vorsagen. Wenn er aber dann wegging, siegte die gütige Milde seines Herzens stets wieder, und wenn er Mayerhofers Grimm und Galle, Menschenhaß und Weltlästerung zu Hause auspacken, besehen und ruminieren wollte, siehe, da war lauter Wehmut, goldreine Nachdenklichkeit und tiefe, milde Verzeihung und Entsagung daraus geworden, so daß über die Lieder seiner Winterreise wohl oft lastende Schwermut und düstere Trauer sank, nie aber Unversöhnlichkeit und Haß. Denn in dieser Künstlerseele, dieser wahren Biene Gottes, wandelte sich selbst der Saft der Belladonna und der Eibenblüte zu Honig.

In jenen Vorfrühlingstagen voll Ahnung und Nähe einer grausigen Vergänglichkeit ließ den Meister der Sehnsuchtstöne ein Gedanke nicht los: das zerrende, angstvolle Verlangen, den großen Herben, den Ringer, Beethoven, noch einmal zu sehen, der nach seinem Lebenskampf mit den Tiefen der Erkenntnis auch die letzte, schwerste Pflicht aller Vergänglichen so furchtbar ernst nehmen mußte; der so schwer starb.

Allein wagte er sich nicht in das lange, drohliche Schwarzspanierhaus; sollte er hinausgewiesen werden, so wollte er mit andern davonschleichen. Er bat denn ein paar Freunde, die dem Gewaltigen bekannt galten, ihn mitzunehmen. An der Tür zu Beethovens Wohnung erfuhren sie, daß der Unvergängliche die Bürden der Leiblichkeit schon zur Hälfte abgeschüttelt hätte. Dennoch brachte einer der Freunde dem tauben Mann die Namen der sorgenvollen Besucher auf einem Zettel, und die flackernden Augen dessen, der schon seit Wochen immerzu an dem einen Tode zu sterben fortfuhr, ergriffen sich das Wort Franz Schubert heraus. Stürmisch stieß der Kämpfende mit dem Finger gegen den Namen und winkte: Herein! Da kam Schubert zum ersten und zum letzten Male als Bekannter vor die Blicke des Mannes, dem er jahrzehntelang so nahe und so fremd gewesen war. Fremd aus eigener Schüchternheit. Denn in sein freudevoll zuckendes Herz waren doch die Worte gegraben, die der Wortkarge ausgerufen hatte und die man ihm hinterbracht: »In dem Schubert steckt der göttliche Funke!«

Schubert trat ans Krankenlager, in ein kahles, fahles Zimmer, die andern blieben in der Tür. Da wies Beethoven auf einen Notenstoß, der auf seinem Bette lag. Der junge Meister verstand nicht, denn er wußte nicht, daß seine Musik die letzten Tage des Sterbenden beschäftigte und verklärte und daß diese Hefte Schubertsche Kompositionen waren. »Sieh her da, das liegt bei mir!« hatte Beethoven sagen wollen. Dann erhob der Tondichter die Hand, reckte sie gegen den jungen Bruder, ballte die Faust und tat, als zöge er ihn zu sich, reißend, kurz und leidenschaftlich. Die Faust fuhr bis an das Herz Beethovens, erhob sich dann hoch empor und öffnete sich.

Verlegen schaute Schubert zurück. Er ahnte, wagte nicht zu verstehen und fürchtete, den Leidenden, der sich nur mehr durch ungestüme Zeichen verständigen konnte, durch seine Anwesenheit zu erregen und zu quälen. So schlich er denn hinaus. Aber die fiebernden Augen des großen Sterbenden klammerten sich an seinen Rücken und bohrten dem Scheidenden bis durch die Tür nach. Dann schlossen sie sich, und die prophetische Seele versank wieder in das traumschwere Bereitsein zum Ende.

Draußen fragten sich die Freunde flüsternd und von einem leisen Grauen durchschauert: »Was hat er sagen wollen?« Anselm Hüttenbrunner stieß aufgeregt hervor: »Habt ihr nicht verstanden? Er wollte Schubert bedeuten: Du wirst meine Stelle einnehmen. Komm an meinen Platz und sei der, der sie zu den Sternen erhebt, wenn ich nicht mehr bin!«

Schubert aber sagte: »Nein. Er hat mir prophezeit: Du, der du mir folgen möchtest, wirst mir auch nach müssen, wohin zu folgen so schwer ist: ins Jenseits!«

»Aber Bertl!« riefen die Freunde, und Hüttenbrunner lachte: »Pilzfigürl, du närrisches, du! So ein Glückspilz, und sterben?«

Da fuhr ein wehmütiges, zuckendes Lächeln ganz kurz und leise um Schuberts Mund, und er sagte in seiner ernsthaft scherzweisen Art: »Schwammerln haben ein kurzes Dasein.«

Und er ging davon und versenkte seine ganze Seele ins Unendliche.

»Ja, du Großer, du Einsamer, du Leidender, dir will ich folgen! Dir nach und empor, und wär' es selbst in ein nahes Ende.«

Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr frei.

Das Schicksal hatte es gefügt, daß der gewaltige Meister der heroischen Musik gerade an dem Tage zu Grabe getragen ward, an dem Franz Schubert zur Hochzeit Hedwigs und der guten Heide geladen war. Ja, er sollte sogar Beistand sein. Er aber wählte den Gang hinter dem Sarge des großen Toten, und während die beiden schönen Mädchen, von denen jede eine leise Hinneigung zu dem armen Musikanten unterdrückt hatte, ihre Jugend und ihr Glück in die Hände zweier braver Philister legten, schritt er hinter einem Sarge einher; er, dem kein Liebesglück in sein ganzes Erdendasein gelegt sein sollte, damit er singe gleich dem geblendeten Vogel.

Schubert trug eine Fackel wie die andern Musiker, und als der Sarg in die Erde versunken war, stießen die Künstler all ihre Lichter gegen die Erde, so daß sie knisternd und dampfend verloschen.

Als die Freunde aus dem sich zerstreuenden Leichenzuge zueinander fanden, ging er immer noch schweigend mit ihnen durch Währing und den Alsergrund heimwärts. Es war spät geworden, und die Freunde sprachen davon, irgendwo in der Stadt einzukehren. Am Schottentor mußten sie dreien Wagen ausweichen. Es waren die beiden jungen Ehepaare, die zu ihrer Hochzeitsreise ausfuhren, und Herr und Frau Tschöll, die ihnen mit Hannerl ein Stück Weges das Geleite gaben. Die jungen Frauen riefen und winkten, Hannerl schrie: »Bertl, Bertl!«, und auch Herr und Frau Tschöll erhoben sich im Wagen und berieten, ob sie nicht dem liebsten Freunde und Urheber unsäglicher Freuden ein Plätzlein in ihrem Wagen anbieten sollten. Hannerl schob schon ihre Kleider zusammen, Schubert aber lüftete nur in tiefen Gedanken den Hut und grüßte ganz abwesend, ganz traurig. Die Wagen rollten weiter, in den letzten Märztag hinein, in den Frühlingsnachmittag, der beginnenden Obstblüte entgegen; – Schubert sah sich gar nicht um. Nur die Freunde blickten dem vielen jungen Glück, der Schönheit und der Liebe lange nach, so lange, bis die Wagen in der Roßau verschwunden waren.

Schubert aber trat in eine Weinschenke, ließ für sich und die Freunde eine Flasche vom Besten und volle Gläser auf den kleinen Tisch tragen, der in der Gasse stand, und hob mit feuchten Augen sein Glas. »Lassen wir die Torheiten und Hoffnungen der Vergänglichkeit an uns vorbeirollen, liebe Freunde! Das erste Glas dem Tode und der Unsterblichkeit! Dem, der heute zur Ewigkeit versenkt wurde. Beethoven: Fiduzit!«

Die Freunde tranken ernst und ehrfürchtig ihre Gläser bis zur Neige; Schubert füllte sie von neuem und hielt den Wein hoch empor.

»Das zweite Glas,« sagte er tief bewegt, »jenem, der von uns zuerst dem Großen, dem Unvergeßlichen folgen wird. Mögen sich ihm die wenigen Stunden der Vergänglichkeit vertiefen und ihn weihen, damit er bereit sei! Vivat!«

Dann verabschiedete er sich von den betretenen Kollegen, die ihm ahnungsvoll und bange nachsahen.

»Er hat sich selber damit gemeint,« sagte einer. »Gott laß ihn noch lange unrecht behalten!«

Schubert aber ging zum Tschöllschen Hause, erbat sich Einlaß und ging vor dem erstaunten Diener schweigsam durch alle die verödeten Räume, sah sich das Zimmer mit den wüsten Resten des Hochzeitsmahles an, das soeben verlassen war und abgeräumt hätte werden sollen. Ein paar Stühle waren umgestürzt, welkende Blumen, zertretene Myrten lagen umher, und widrig rochen die Speisereste und der schale Wein in den Gläsern.

»Das ist die Stunde, zu welcher ich an der Hochzeit teilnehmen darf. Wenn der letzte Jauchzer verklungen und die Komödie aus ist. Dieser Tisch ist ein Bild der Vergänglichkeit, wie mein Herz es braucht. Dieses Zimmer feiert Allerseelen.«

Und er wollte, ohne weiter etwas zu sagen, in schweren Gedanken davongehen.

Der Diener hielt ihn auf. »Die Herrschaften kommen heute abend mit der Jungfer Hannerl zurück. Soll ich denen was ausrichten?«

»Nein,« sagte Schubert.

»Und der Herr kommt auch nicht heute abend? Die Herrschaften werden allein und traurig sein. Da täte ihnen ein bißerl Musik wohl.«

»Ich glaube kaum, daß ich kommen kann,« erwiderte der Musiker und ging fort.

Zu Hause dann stieg aus allen Dielenritzen und Winkeln mit einbrechender Dunkelheit jene tiefgraue Flut der unbestimmbaren Trostlosigkeit, jene tödliche, hilflose, bittere Traurigkeit ohne Aussicht, ohne Lebensgefühl und ohne Zukunft empor, die von Anbeginn dagewesen sein und Chaos geheißen haben mußte, bevor Gott der Herr seinen wilden Lebensdrang hineinschleuderte.

Und der Genius, der soviel Glück und Seligkeiten zu verschenken hatte, saß gebückt, wehrlos, schwach und elend, war freudlos und in seinem Herzen so voll Melancholie, daß er hätte sterben mögen und sich neben den betten, der das traurige Spiel zu Ende gelebt hatte.

»Nur nichts mehr wissen! Nur ein Ende!«

*

So fand ihn Schober, der an diesem Tage selber ergriffen und nachdenklich war, an dem Beethoven hinabgesunken und die beiden Mädchen ihr Gelübde zu neuer Lebensbereitung so fröhlich und mutig hingeschworen hatten. Aber Schober war eine Natur, biegsam wie Federstahl. Mit heiterer Güte nahm er den Freund an den Schultern.

»Wach auf, Franz Schubert, du, den Gott hoch erhoben hat über alle Sterblichen! Du bist nun allein. In Wien; allein auf der Welt. Du bist fortab der größte Musiker in Österreich und Deutschland, ja sicherlich auf Erden. Franz Schubert, heb' Er seinen eigensinnigen Kopf!«

»Wozu das?« sagte der Trostlose müde.

»Ja, ich möchte Ihm eine Krone aufsetzen, hab' aber keine. Nun, ich bin gekommen, dich ein wenig zu erheitern. Vor allem wird Licht gemacht!«

Als das Zimmer hell und die warme Gegenwart des herzlich besorgten Freundes mit ihrer lieben Regsamkeit es erfüllte, verwehte langsam der tief trostlos graue Schleier.

»Wohin gehen wir?« fragte Schober.

»Ich weiß nicht,« sagte Schubert. »Der alte Diener von den Tschöllischen hat gemeint, ich sollte den vereinsamten Eltern ein bißerl Musik machen.«

»Brav, das wird eine Wohltat sein, und ich gehe mit!« rief Schober fröhlich. »Komm, leg das schwarze Trauerzeug ab; mach dich schön, Franzel. Da bring' ich dir deinen ambrafarbigen Frack. Das weiße Jabot kannst behalten. Und die amaranthene Weste. Na ja; ist doch noch ein junges Mäderl dort geblieben. Vielleicht die reizendste von allen. Geh, Franzel, geh! Schmunzel doch ein wenig! Na, aber!«

Und gutmütig scheltend, tröstend und wieder leise ein paar Takte aus Schuberts liebsten Meistersachen singend, machte der hübsche, heitere Junge sorgfältig Toilette und half auch dem zögernden Freunde. Sie gingen fort, entlang den Basteien, aber eilig, denn der kluge Schober wußte, daß schwere Stimmungen bei raschem Gehen ihre sirupne Trägheit und Zähigkeit nicht zu erhalten vermögen, sondern zerrüttelt und dünn werden. Es ward denn auch wirklich Schuberts Blut dünner und lebhafter, und als die Freunde über die Treppe emporgestiegen waren, hatten die Augen alles Trübe und Stumpfe verloren; sie glänzten ein wenig, und die Wangen waren wieder leise gerötet. Da sie nun eintraten, fanden sie Herrn und Frau Tschöll am verödeten Tische brüten, und beide hatten geweint. Hannerl aber schlug am Klavier nachdenkliche Akkorde an, summte leise und war weder zu einem Liede noch zu einem andern Entschluß gekommen, wie sie die Eltern heiterer machen sollte. Das zögernde, seltene und trübsinnige Emporsprechen der Saiten machte nur die Stimmung noch bodenloser in ihrer Verlorenheit und Verlassenheit.

»Nun?« sagte Schubert, dessen diskretes Hereintreten die schweigende und selbstverlorene Familie gar nicht gehört hatte. Die Frau stieß ein leises »Gott sei Dank!« aus. Herr Tschöll aber sprang empor, und ein Seufzer zerbrach sich an den Wänden; der war bei all der Erleichterung des Vaters so schwer und bang, daß er einem Schrei ähnlich war. »Schubert, du! Und Schober! Ihr habt mich nicht vergessen? O Dank, Dank, daß ihr an diesem Abend gekommen seid!«

Und er riß stürmisch und bewegt den stillen kleinen Freund an sich. »Dich hab' ich gern, als wärst du mein liebster Bruder! Weil du nur da bist, und der beste Freund, unser Schober. Mädel, wir wollen Kehraus machen mit der Betrübnis. Mädel, Wein vom allerbesten!«

Während alle an den Tisch rückten, streifte Hannerl an Schubert hinauseilend an, faßte nach seiner Hand und drückte sie mit allen Kräften. Ihr war selber bange gewesen, und sie hatte den Eltern die erste einsame Stunde leider nur bitterer gemacht.

Denn als die Schwestern so in die liebe Frühlingswelt hinausfuhren, jede den jungen Herrn Eheliebsten an der Seite, und ihr Wagen unter Greifenstein an der Donau allein stehenblieb, umdrehte und wieder nach Wien fuhr, da war ihr Herz so unbändig geworden, daß sie die Arme nach den fernen Wolken im Westen zurückbreitete und ganz fassungslos ausrief: »O du weite, weite Welt!«

Dann hatte sie zu bitten begonnen: »Herr Vater und Sie, Frau Mutter! Lassen Sie mich fort, lassen Sie mich nicht umkehren und wieder in das Haus mit seinen Magazinen eingesperrt sein! Allein bin ich jetzt! Nichts, als alle Tag der Spaziergang an der Bastei entlang. Jetz' sag' ich's dem Herrn Vater und der Frau Mutter: Sängerin will ich werden! Zum Theater will ich und fort muß ich!«

Da waren Schreck und Zorn groß gewesen. Die Jüngste hatte geweint und getrotzt, und allen dreien kam das Haus jetzt ganz und gar traurig vor, als sie zu Abend wieder heimkehrten. Im Hin- und Widerreden waren sie müde geworden, ein wenig hatten die Eltern nachgegeben und ein wenig Hannerl; es war die Rede gewesen, sie, die eine so tiefklare, prächtige Altstimme hatte, ordentlich singen lernen zu lassen, und dann, dann würde man ja sehen.

So waren alle drei nur halb zufrieden, und als die beiden Freunde gekommen waren und Hannerl den Wein holen gegangen war, erzählte Herr Tschöll, noch während seine Frau den Freunden das Abendbrot vorlegte und zuschob, seufzend die ganze Geschichte von Hannerls jähem, wildem Sehnsuchtsausbruch.

»Na,« sagte Schubert gemächlich, »vor allem sieht die Geschichte heut' über drei Tage ganz anders aus. Das Haus ist ein bißel still, Kameradschaft hat sie keine, der Tag und die Welt war auch schön, und ich, unter gleichen Umständen, ich wär' euch durchgegangen. Daß sie jetzt das Singen lernen soll, find' ich recht gut; das wird sie fürs erste alle Flausen vergessen machen. Die Hoffnung bleibt ihr ja, also wird sie fleißig sein.«

»Du – Bertl,« begann Herr Tschöll nach einigem Nachdenken zögernd.

»Ja, Herr Schubert –« fiel die Frau bittend ein.

»Na, was denn?«

»Möchtest du nicht die Korrepetitionsstunden bei der Hannerl übernehmen und neben dem Singen ein bißerl Klavier üben, daß sie das nicht vernachlässigt?«

Schubert erschrak ein wenig. Sollte das Abenteuer seiner stillen Entsagungen noch nicht zu Ende sein? Er überlegte noch, als Hannerl hereinkam und fragte: »Was wird denn meditiert?«

»Der Vater hat den Franzel gebeten, daß er Ihnen bei den Gesangsübungen helfen soll«, lächelte Schober, »und der Franzel mag nicht recht, scheint's.«

Da fing nun aber das Mädchen so stürmisch zu bitten an, nahm den überraschten Musiker beim Kopf zwischen beide Hände, die noch ganz kalt von den Erregungen des Nachmittags waren, schmeichelte ihm, blitzte ihn mit ihren Augen voll Begehren an und trieb es so lange, bis der arme Schubert »Ja« sagte.

Da ließ sie ihn los, trat zurück und nahm einen jauchzenden Anlauf, ihn in die Arme zu schließen und zu küssen. Er aber sah so betreten vor sich aufs Tischtuch und fürchtete sich so offenkundig vor ihren jungen Lippen, daß sie die Arme sinken ließ und langsam sagte: »Ja, wenn der Musje kein Bussel mag – – wie's beliebt.«

»Es ist auch besser,« sagte der Vater mit leichtem Stirnrunzeln. »Er ist dein Lehrer, und also Respekt: ja? Jetzt aber gehn wir's an und lassen unsere Kinder in der Ferne hochleben. Die Hedderl und die Heiderl! Gut soll's ihnen ergehn!«

Als die Gläser zusammenstießen, sah Schubert die reizvolle Dunkle an, die allein noch im Hause geblieben war und ein wenig schmollte. »Na, Hannerl? Mit mir wollen's nicht anstoßen?«

Da legte sie den gesenkten Kopf zurück, dachte ein wenig nach, sah ihm dann in die Augen und sagte: »Ich bin schon wieder gut.« Und während sie die Gläser aneinanderhielten, fügte sie hinzu: »Wir werden ja jetzt Kollegen. Herrgott, mit Ihnen möcht' ich Konzertreisen machen! Möchten's nicht?«

»Ach Gott«, sagte Schubert ganz melancholisch.

»Vielleicht gehen wir noch einmal miteinander durch!« flüsterte ihm das übermütige Ding in die Ohren.

Schubert sah sie prüfend an, und leises Bangen, leises Verlangen entstand in ihm. Sie aber goß den ganzen Inhalt ihres Glases hinunter, schüttelte die Locken und sagte in ganz verändertem, andächtigem Ton:

»Wär's angenehm, Herr von Schubert, ans Klavier? Wenn ich gleich was singen tät.«

Da ging er gerne den Weg seiner täglichen neuen Erlösung, und die Augen der alternden Bürgersleute verloren ihre Trübheit und die Stirnen ihre Falten, als sie ihr Kind Franz Schuberts Leid und Glück so hingerissen mit der warmen Altstimme emporheben hörten. Nun war Versöhnung, Hoffnung und geläuterte Wehmut in dem stille gewordenen Zimmer des vereinsamten Hauses, und aller Herzen brannten.

Lange saßen sie so beisammen, und der Abend wollte kein Ende nehmen. Als aber Schubert und Schober Abschied begehrten, da bat sie der Vater Tschöll: »Geht heute nicht von uns. Wir sind schon halb vereinsamt. Teilt in der ersten Nacht, vor der ich solche Sorge habe, unser still gewordenes Haus mit uns. Die Betten der beiden Mädchen stehen jetzt leer in der Kammer. Wollt ihr nicht über Nacht bei uns bleiben? Damit das Haus nicht gleich so gähnt wie das leere Nichts!«

Da blieben die Freunde und lagen noch lange, mit seltsamen Gefühlen, voll Rührung und Ehrfurcht in den reinen, verwaisten Betten und sprachen dann und wann ein liebes Freundeswort zueinander durch die Nacht. Der Wind ging wieder draußen um die Bastei und spielte mit der Wetterfahne, so daß sie lautauf ächzte und schrillte. Da dachte Schubert, wie er so seitab und einsam und verachtet in der Welt sei, trotzdem ihn die Menschen so sehr zu begehren schienen; – wie er zu allem Glück zu spät käme und wie es ein Hohn des Schicksals wäre, daß heut er in das Lager der lieblichen Heide nachrücke, nun, da sie ausgezogen war.

Aber die Wetterfahne schnurrte und johlte in tollem Hallo. Manchmal kam ein klarer Ton in das Knarren, wie von einem sturmverwehten Horne. Da fuhr er halbträumend empor, denn ihm war gewesen, als hätte ein Wagen vor dem Hause gehalten. Die Melker Post wohl gar, und Heide war umgekehrt und hatte den nüchternen Gatten nicht ertragen? Nun blies der Schwager das Horn, um die Eltern zu wecken?

Schubert erwachte völlig. Nein: Wieder die Wetterfahne! Nun lag er wach und in nachdenksamer Wirklichkeit, die ihn dennoch seltsam hold und tröstend umgab, wie wenn ein herber Schmerz sich in den ersten Träumen löst. Es war ihm so wunderbar, so lind und dennoch weh, weh; hier im verlassenen Schlafgemach des unschuldigen Kindes liegen zu dürfen, im Zusammenrücken der schwermütigen Kontraste, als sei er in eines Dichters Reich eingedrungen. Und doch so hoffnungslos.

*

In diesen Zeiten ging es in seinem Herzen wie Eisschollen, die auf einem Flusse treiben. Es kämpfte, rang und knirschte, war gänzlich durchkältet, und dennoch war Tauwind Ursache, daß das Eis ins Treiben gekommen war. Als es mit den Kräften seines Lebens wieder freundlicher bestellt war und das linde Rekonvaleszentenweh mit seiner sanften und gerührten Schwäche ihn überkam, da verstand er des Liedes Aufseufzen: »Nun merk' ich erst, wie müd' ich bin!« Und all diese schauerlichen, ernsten Lieder der Winterreise erfand er erst, nachdem der geistige Tod überwunden war, so wie die Schauer des Fröstelns am stärksten über die Nerven beben, wenn erlösende Wärme an den Geflüchteten heranrückt. Er sah zurück wie in überstandene Gefahr, und er erinnerte sich an das verzweifelt tote Trinken des vergangenen Spätherbstes, an Entsagung und Ausgestoßenheit, an die viele Todessehnsucht und den großen Gedankenstrich, der aus seinem Herzen über alles Wesen und alle Erde hinging, damals, als Beethoven gestorben war.

Nun sprang der Frühling mit beiden Füßen über sein Herz, und die ahnungsreichen Todeslieder der Winterreise stockten mitten im Geschaffenwerden. Schubert vermochte nicht mehr die zehn letzten zu schreiben. Jetzt nicht. Das Leben ward zu stark, zu reich, zu sonnenvoll. Es ward zu schön, das Leben: – Noch einmal umsang und betrog es ihn, umschlang ihn, als wäre der Künstler das geliebteste Schmeichelkind des Glücks, schmollte ihm die schwermütigen Mahnungen ab, so daß er sie in ein Schubfach verschloß, und zeigte ihm den hellen, freien, weiten Himmel, das lautere, lustvollere Treiben unten auf dem Glacis und jenseits auf dem Markte, der die Güter Ungarns aufschloß; – lauter Schmaus und Lebensfreude herrschte bis unter seine Fenster heran in der aufgetauten Frühlingswelt, – und da, da sprang sein lichtes, gernbetrogenes Herz aus tiefster Abkehr und Versunkenheit wieder mitten unter die Menschen.

Jener Frühling war allzu stark!

Und das letzte der drei Mädchen aus dem Hause des Herrn Tschöll, das nun seine Schülerin geworden war, hing sich mit all ihrer Jugendwildheit an ihn und half so ihrem Halbbruder, dem April, ein tolles, unbesonnenes Lebensgefühl in die Brust des Dreißigjährigen zu hexen. Hannerl ging aus ganzer Seele in die Kunst auf. Sie sang von Tag zu Tag ahnungsreicher, tiefer, leidvoller und werbender. Das Verlangen nach der Welt, nach Erleben und Wandern riß unbändig an diesem wilden Kinderherzen. Sie wollte hinaus und fort, wollte berühmt und umworben sein und alle Herzen betören. Schubert war ihr teuer, als Führer in die Versuchung hinein. Ihm schloß sie sich gänzlich auf, nannte ihn Meister, Vater und Geliebter, wie Mignon ihren Herrn anrief, und so oft er in frohem Staunen die Fülle ihrer hinreißenden Gesangskunst sah und sein Lob wider Willen herausprallte, so oft schmeichelte sie ihm, ja legte den schlanken Arm um seinen Hals und drückte den rasch atmenden Mund nahe an ihn: »Nicht wahr? Wir gehen durch! Wir reisen zusammen und geben Konzerte. O du, du mußt nicht mehr all deine Lieder für den eingebildeten Vogl schreiben. Keine Baritonbrummereien mehr. Schreib für eine verlangende, lockende Altstimme. Du! Für mich, die dir gehört!«

Da riß er sich los, verbarg sein rotes Antlitz in den Noten und lachte mit erstickter Stimme: »Bis du was kannst, bis du wer bist.«

So machte er sie wieder böse und damit gefahrlos für sein erschrecktes Herz und sein heißes, tückisch auf Schwäche lauerndes Blut.

Stets aber kam sie wieder und lachte ihn leise und versteckt an, unter ihrem Taschentüchlein, so daß das unterdrückte Girren ihn umschwirrte wie die Rufe der wilden Turteltauben im reichumlaubten Maimittag. Sie schmeichelte ihm Sprödigkeit und Zurückhaltung fort, ihn an- und vorüberstreifend, wie das Bächlein dem vereisten Ufer kichernd Stück für Stück von der abstehenden Eiskruste entführt und wegschmeichelt. Sie hatte sich's vorgesetzt, ihn als ihren Musiker und Begleiter mitzuführen, an seiner hinreißenden Liedergewalt groß zu werden und ihn zugleich mit sich selber berühmt zu machen. An Liebe dachte sie wenig; das mochte kommen wie es wollte; sie stand zur Liebe bereit; für jeden beinahe! Konnte er's, so war sie auch für ihn da: Auch. Denn ihr heißes Begehr stand in die ganze Welt, nach recht viel Glanz und Glück und Ruhm, nach recht viel Liebe, bis der Eine, Endliche käme, der sie gänzlich gefangen nahm. Da träumte sie irgendwohin, stets groß und glänzend; aber Franz Schubert war dieser Eine, Erlösende nicht.

Er fühlte das wohl, daß er ihr bloß ein liebes Werkzeug war. Aber das Schmeicheln und Werben tat wohl, wie die wiederkehrende Sonne, wie Glanz und Duft im Tann, und ließ ihn träumerisch werden wie ziehende Himmelswolken.

Es wurde ein Frühling ohnegleichen; und nie hatte er solch ein Aufbrechen und Aufblühen seines Herzens erlebt als in der Zeit, da er neben sich ein liebliches Kind zum begehrenden Weibe anschwellen sah. Neben ihm gedieh die schlanke Schwarze zur rufenden Künstlerin, zur Herzaufwühlenden, ja, zu der, die die Massen zu rütteln stark genug war. Neben ihm und mit seiner Schuld sprang heiße, betörende Kunst in die Höhe und blühte weitausgebreitet auf. Aus der kleinen Hannerl erwuchs die Sängerin, wie nur Österreich und der Süden sie wachsen läßt. In dieser Art ist wenig selbstaufgebende Ichvergessenheit. Nein. All ihre bestrickenden Mittel als Weib und Verführerin warf sie zu einem hinreißenden Temperament des Könnens. Sie war imstande, Mignons Lied zu beginnen, indem sie den Menschen, die ihr unter den Zuhörern gefielen, unter halbgeschlossenen Lidern in die Augen träumte; – weithin scheinbar, entrückt und stöhnend vor Fernweh, während sie auf ein Opfer lauerte und mit wollüstig gesteigerter Sehnlichkeit die Stimme bedeutsamer und eindringlicher schwellen ließ, so daß eine unsagbare prächtige Plastik und Klangtiefe in die Stelle kam: »Kennst du das Haus, auf Säulen ruht sein Dach!« Und bei der Stelle, die ausruft: »Was hat man dir, du armes Kind, getan?«, war ihre magnetische Kraft schon so gewaltig, daß sie über die Gemüter hinwuchs, als sei die Sängerin alleingebietend, so daß sich selbst Männer von Beherrschung klein, elend und kindlich fühlten: »Armes Kind!« Die härtesten Herzen vergaßen ihr erstarrtes Leben und waren angerufen wie einst, von Mutterlauten. Dann sank die erobernde Macht des schönen, leidvollen Mädchens gleichsam vor den Bezwungenen lächelnd auf die Knie, wurde weich ergeben und warb und flehte so ziehend und sinnlich, daß bei dem jähen Armausbreiten, bei der offenkundigen Hingabe: »Dahin, du mein Geliebter!« alle Sinne in süßem Schreck entflammten.

Soviel vermochte sie schon in diesen jungen Tagen! So hatte die schlanke, dunkle Johanna singen gelernt, an der Seite des sich Wehrenden und Verschlossenen, in dem es so schwül, bedrückt und heiß brütete. So war sie gewachsen an Franz Schuberts Seite; – vollgesogen von seinem Herzblut. Stark durch sein Leid. Geübt an seiner Seelenangst, die sich wehrte vor allem, was ihn mit dem Hauche des Weibes anwehte. Lieblich und besiegend durch seine Sehnsucht. Magnetisch herrschend durch seine tiefe, innere Nähe zum Unendlichen, seine Bruderschaft mit dem Tode. Alles hatte sie ihm abgelauscht.

Schubert war aber im Tschöllschen Hause schon zweimal von der Liebe gestreift worden und hatte eine recht herbe Technik, sich zu wehren. Wenn es dem raschen, geschmeidigen Mädchen durch ein leichtes reizendes Schmeichelwort, durch einen flirrenden Blick oder gar durch eine lose Berührung gelungen war, sein verstocktes Herz zum Vibrieren zu bringen, dann tat er, wie der Metzger Santerre, der über die letzten, erschütternden Worte König Ludwigs des Sechzehnten alle Trommeln hinwirbeln ließ. Nur daß die Töne, mit denen Schubert sein rufendes Verlangen betäubte, schöner waren. Er versenkte sich gänzlich in seine schmerzlich reine Kunst und vermochte in solchen Minuten des Kampfes und der Überwindung so hinreißend zu erfinden, so herzbezwingend zu improvisieren, daß Hannerl aufhorchte, allen Leichtsinn über diesen Tönen voll mahnender, ewiger Schönheit vergaß und in einen Sturm kindlicher Freude und Bewunderung hingerissen wurde. Jedesmal, wenn sie ihm mit ihrer Schmeichelstimme und leichtfertig verliebtem Tun entgegenkam, bezwang er so sich und sie, und bewahrte sein an Bitterkeiten gestärktes Herz vor der Schmach, zum Spiel eines launenhaften Kindes zu werden. Denn ihr war er nur reizvoll, solange er trotzte.

Außer Hause war es ihm leichter, das sinnliche Nachbeben und Nachhallen ihrer einschmeichelnden Nähe zu überwinden. Der Frühling war überreich an Pracht und Glanz, und die Freunde waren vollzählig um ihn, gerüstet mit Jugend, Übermut und glänzend guter Laune. Daß alle, alle heimgefunden hatten, die ihm teuer gewesen waren, das empfand er erst in diesem Jahre völlig, wo sein Herz wieder leicht und elastisch wurde. Nun gab es wieder lichte Morgen voll Erfindungskraft und Glück, nachmittags voll Trunkenheit im endlosen Grün des Wiener Waldes und Abende, an denen die köstliche gute Laune nur so sprühte.

Die Freunde flogen bald hier-, bald dorthin ins Grüne aus, ihn aber zog es stets nach dem Herzen des Wiener Waldes, in dessen verschlossenste Tiefen man von Neustift am Walde über die Höhe in der Richtung nach Weidling am Bach geriet. Wenn die richtigen bei ihm waren, am liebsten Schwind oder Schober, der trotz seiner Lebensheiterkeit ein tief andächtiges Herz hatte, dann gingen sie wohl in den Wald hinein, wo er am tiefsten war; – wie der Mönch von Heisterbach. Immer tiefer, immer schweigender, ziellos und als sollten sie ins grüne Flüstern weiterziehen ohne ein Ende. In diesen Wald kann man hineinwandern wie in die Ewigkeit, wahrlich, und der Tag kann zu Ende gehen, ohne daß ihr ein Haus und einen Menschen sahet, und noch ein Tag und noch einer, so unsäglich einsam ist dieser große, große Wald, in dem der Bauernstand beinahe ausgerottet ist oder wohl niemals da war, seit die übermächtigen Stifter und Orden und der Herzog ihre Hand auf die den Ungarn abgerungene dichte Wildnis legten. Denn hier war immer Waldesendlosigkeit, seit die Geschichte geht, von je und je. Da überging oft ein leichtes Grauen die schweigsamen wandernden Freunde, wenn sie aus einem Walde traten, über die Talwiese und den Bach im Grunde schritten und schweigsam vom Walde der andern Seite wieder aufgenommen wurden. Sonst nichts anderes. Blickten sie wirklich einmal von einer kleinen Hochblöße über diese Welt der stillen Buchen, so sahen sie fast ohne Ende hin die grünen Berge wie Wellen; alle gleich groß, alle gleich sanft gekuppt, eine hinter der andern ins Weite hinaus bis dort, wo die Welt blaß und blauduftig wurde. Dort standen dann rissig die Gewaltigen der Steiermark in ihrer schwerkühlen Unnahbarkeit, ganz am Ende dieser, über alle Maßen stillen Wellenwelt, dieser grünen Übermacht der Buchen, die, von oben und in die Fernen gesehen, die Kuppen so eintönig überzogen wie ein Moosansatz. In diesen Verlorenheiten war es ihnen oft, als graue es sogar dem Unsichtbaren des Waldes, dem Kuckuck, munter und laut zu sein. Rief er aber, einer da und ein leiserer jenseits und abermals einer aus dem Graben, der sich abendwärts abwendend verklüftete, und kaum mehr hörbar noch einer schon ganz traumweit und weiß Gott wie sehr ins Ferne verloren, da ward die Erkenntnis der Verlassenheit dieser Welt noch stärker in ihnen.

Und dennoch liebte Schubert diese oft schaurige Unbesiedeltheit der einsamen Waldwellen aus seinem ganzen Herzen. Denn so war sein Wesen und dies war sein Geheimnis: das Wiener Geheimnis. Ganz nahe an einer umgänglichen, weltlich geselligen Stadt voll Genußfreude, Behagen und Mitteilsamkeit eine weite, ins Ferne horchende Ahnung des Endlosen. Und zu Wien mußte dieses schmausfreudige, trinklustige Menschenkind mit dem schaurigen Hang zur Auflösung erwachsen, in der Stadt voll leichten, glatten Lebens und unbekümmerten Sommergrillengesanges, die an der Flanke eines ganzen Königreiches voll ahnendem Schweigen hängt, das aus den Urzeiten, so unbelebt wie es nur je war, in unsere Tage ragt.

Mai und Juni blühten und stäubten; sie rissen das Herz der Welt auf, so daß in den Wäldern die Alliebe im Blütenstaube rauchend zum Himmel stieg; über den Feldern der Ebene wolkte der Brotduft des blühenden Kornes und in den Weingärten schwelte die resenhafte schwüle Verführungsluft der Rebenblüte. Ein Lebensgefühl ohnegleichen war hochauf und prächtig in der Brust des jungen Musikanten, und er fühlte sich begeistert stark, als sei er unsterblich und jung.

Er hatte auch wieder Geld; leichther geflossenes, leichtverrinnendes Geld. »Kinder, ihr seid meine Gäste! Bruderherzen, was wollt ihr Liebes und Schönes?« rief er in jener aufrechten Zeit zehnmal die Freunde an. Und wenn sie sagten: »Spar', Bertl, halt's fest,« da rief er lachend aus: »Was sparen? Wo ich doch für jedes Liederl einen ganzen Gulden krieg' und für ein Klavierwerk fünfzehn! Und solche Sachen machen mir nicht mehr Beschwer' wie dem ›Esel streck' dich‹ seine Dukatenentladung.«

»Schreib' nur nicht zuviel,« mahnte Kupelwieser.

»Nicht mehr, als was mir einfallt,« sagte Schubert dawider. »Da heißt's alleweil: Gib dich net aus, andere machen nicht den zehnten Teil. Ja, seht's ihr denn nicht ein, daß das österreichisch ist, das leichte, lustige Verschwenden? Und ausgeben! Hat sich der Mozart ausgegeben, der mit seine zehntausend Einfäll' gradso außerg'stürmt is?« –

»Ausgeben, ausgeben,« stotterte stotterte Kupelwieser. »Sein Leben hat er dabei ausgegeben. Verbrannt ist er an seiner Unerschöpflichkeit, wie du's nennst. Ja!«

Schubert wiegte mit eigentümlich ernstem Lächeln den Kopf hin und her. »Schau, siehgst, grad dasselbe wär' mir gar nit so unrecht. Es gefallt mir halt, daß einer sich herschenkt bis zum letzten Blutstropfen.«

»In Gott's Namen, aber fein langsam,« sagte Kupelwieser. »Und jetzt hörst mit deine Anspielungen auf'n Herrn Leichenbitter auf. Da ist das Wirtshaus und das will sein Recht haben.«

»Gut; wenn ihr meine Gäste sein wollt's, reden wir von was anderm.«

Und die lustigen Brüder trommelten auf den Tisch der Schenke, die sie sich erwählt hatten, und riefen nach Wein.

Einmal waren sie an einem wunderschönen Abend am Ende des Juni hoch oben in ihrer entlegenen kleinen Lieblingsschenke am Schafberg bei dem alten, naiven Ehepaar, waren aus offener Brust laut und froh und neckten Schubert, indem die einen behaupteten, er wäre verliebt, und die andern widersprachen: sein Herz tauge nichts, er sei ein unverbesserlicher Weiberfeind. Indem sie so stritten, wollten sie ihn reizen, sich in dieser hübschen Sache, die alle bewegte und von der zu reden bloß er sich niemals getraute, endlich zu einer Äußerung herbeizulassen. Er aber duckte sich vergnügt unter den hageldichten Verdächtigungen der Freunde, sah sich alle an, sah dann ins Weinglas, nippte ein tüchtiges, duckte sich wieder und freute sich über das lustige, laute Leben, über die Neugier der Freunde und den schönen, stillen Abend, voll Heuduft, der draußen über den Wiesen rötlich verschied.

»Mein Gott,« sagte er endlich in tiefer Andacht, und faltete die Hände: »Ist das schön.«

Die Freunde wurden stiller. Es waren nur mehr die Buchenwipfel rot vom Brande des Abends, und auf dem höchsten Baume hinter dem kleinen Weinhause saß die Amsel, stritt dem scheidenden Lichte nach, und stammelte ihren Rausch, wie ungeheuer das Lebensgefühl in ihrer kleinen Brust schwölle und dränge, in ekstatischen Strophen. –

»Mein Gott, o Gott,« sagte Schubert, immer noch mit gefalteten Händen: »Ist das schön.«

Der Abend blaute über dem Tale und kroch an den Wiesen kühlfarbig herauf, rankte sich an Busch und Baum, und wie das Frösteln eines Menschen frieselte der Abendwind über die Wälder, die nachdenklich und ungewiß in ihren Farben und Umrissen wurden. Nach dem ersten leisen Erschauern aber legte sich die Luft wieder still über Wald und Wiese, und nun hauchte die Erde, die den ganzen Tag in Sonnenempfängnis gelegen hatte, Sommernachtwärme zum verdunkelten Himmel empor. Die ersten Heuschober buckelten rings umher und dufteten Abendweihrauch, und die Hunde wurden wach im Tal der Ferne.

Dies milde, göttlich beruhigte Vollbrachtsein ließ selbst die Lustigen oben in der Weinlaube nachdenklich werden, und lange Zeit waren sie still, und die Seele jedes dieser Weltkinder löste sich in Andacht und war ein ungesprochenes Abendgebet.

Da brachte dann aber die alte Wirtin eine freundliche Windlampe, so daß sie alle ihre vertrauten, aber im Dunkeln gänzlich aus aller Schalkhaftigkeit geratenen Gesichter wieder sahen, jeglicher erstaunt über des andern Feierlichkeit.

»O, ihr scheinheiligen Kerle,« sagte Schubert in drolliger Erstauntheit. »Was wollt denn ihr mit solchen Beichtstuhlgesichtern anfangen!«

Da kamen sie sich einander ungemein komisch vor und lachten herausplatzend los, lachten lange Zeit grundlos und immer wieder von neuem wie dumme, junge Weibspersonen und fanden kaum den Atem, von neuem zu lachen, so oft nur einer etwas reden wollte.

»Schaut's den Bertl an,« rief Kupelwieser. »Der will heut nicht elegisch sein.«

»Es ist sonst wegen der Komteß Karolin,« sagte Bauernfeld, und alle lachten wieder, weil sie wußten, daß eine Sage im Umgang war, ihr Freund sei einer seiner jungen Schülerinnen in großer Andacht verbunden.

»Aber sag' du, wir sind doch jetzt weit von Wien. Bist du heute nicht dort eingeladen?«

»Beim Fürsten Esterhas?« fragte Schubert, indem er den Namen auf die in Wien übliche Weise aussprach. »Ja. Ich soll dort erst ein paar Lieder begleiten und gleich nachher die halbe Nacht Walzer trommeln.«

»Ja, aber so mach', daß du fortkommst! Es geht doch auf neun, du Unband!«

»Fallt mir nicht ein,« sagte Schubert gemütlich.

»Na, jetzt will er uns beweisen, daß er in die Komteß nicht verliebt ist.«

»Ich bin überhaupt nicht verliebt,« erinnerte Schubert sehr ernst.

»Warum gehst du aber nicht, wo man dich doch dort braucht und erwartet. Du wirst dir Übelwollen und schlimme Nachrede zuziehen,« mahnte Schober.

»Also entscheidet's selber,« seufzte Schubert, »und gebt's aber nachher Ruh. Da ist der milde Herrgottsabend, unten ein etwas brutaler Aristokrat, der sich Gönner nennt und mich oft genug mißachtet und verletzt. Was ist mehr wert, der Abend oder der Baritondilettant dort unten?«

»Der Abend,« sagte Schwind.

»Dann seid's hier ihr, habt's mich doch ein bißerl lieb und seid's freundlich. Unten machen's vor mir süße G'sichter und hinter mir ein Schnoferl. Wer ist denn mehr wert: die Katzeng'sellschaft dort oder ihr.«

»Wir, natürlich wir!« riefen mit großem Hallo die Freunde.

»Na, und wenn ich vielleicht nur noch ein Jahr oder zwei zu leben hätt', wär's da net schad um so einen wunderbaren Abend? Ganz abgesehen davon, daß mir der leichte Heurige hier viel besser bekommt als unten der Tokayer!«

»Recht hat er,« rief Schwind, und die Freunde freuten sich aus vollem Herzen, von ihrem Haus- und Bundesgenie so wert gehalten zu sein, daß er ihre Gesellschaft einer hochadeligen vorzog. Freilich kam mit dem Gläserklingen eine noch lebhaftere Trinkweise in Gang, und bis in die tiefe Nacht hinein sangen und becherten die Freunde.

Der einmal angeschlagene Ton der Neckerei aber hallte immer wieder durch ihre Luft. Schwind selbst wandte sich diesmal an den Freund. »Nun sag' einmal ganz ernsthaft, Franzel. Bist du wirklich nicht verliebt? Alle deine Lieder sagen doch das Gegenteil. Da müßt' einer ganz dumm sein, um nicht Verrat zu wittern. Also, Franzel! Bertl!«

Schubert aber saß fest, klein und dick hinter seinem Glase und schmunzelte bloß.

»Weißt du was,« sagte Kupelwieser. »Du sagst uns einfach, wo sie wohnt, und wir bringen ihr gleich heute noch ein wunderschönes Ständchen.«

»Gut is, das soll ein Wort sein,« sagte Schubert und trank langsam und in tiefem Zuge sein Glas aus. »Ich führ' euch hin.«

Schober prallte empor. »Ernst oder Scherz?« rief er im höchsten Staunen.

»Ernst.«

»Zum Palais Esterhas?« fragte Bauernfeld.

»Aber kein Gedanke!« lachte Schubert.

»Zum Dreimäderlhaus?« rief Schober.

»Bist du verrückt?« rief der Musiker erschrocken.

»Zahlen, zahlen,« lärmte der ungeduldige Schwind, und während die andern voll Neugierde drängten, beglich Schubert würdig und in unerschütterlicher Ruhe die Zeche.

»Kommt's also,« sagte er dann.

Und die Freunde zogen voll Erwartung und lebhaft durcheinander streitend über die Wiesen bergab zu Tale; dann begann Schubert mit seiner hellen Stimme leise zu singen, Schober fiel ein, Kupelwieser und die andern folgten, und die liebe Sommernacht wellte weithin von dem klangreichen Frohmut der Herzbruderschaft. So zogen sie durch die Gersthofer Gegend bis nach Währing hinein.

»Wo ist's denn?« fragte plötzlich Kupelwieser.

»Seid still, das Haus kommt gleich,« flüsterte Schubert.

In nicht geringer Spannung zog das Halbdutzend fürbaß.

»So, jetzt könnt's euch räuspern,« sagte Schubert. »Da es schon.«

»Wo?«

»Da.«

»Fopp' uns nicht. Das ist ja ein ganz neugebautes Haus, ein Ziegelrohbau.«

»Da sieht auch noch Gerüst,« lachte Schwind.

»Und doch wohnt sie drin.«

»Die Polierstochter? Oder die Bauwächtersfrau?«

»Nein, sie.«

»Wer, sie?«

»Auf die ich so vergeblich hoffe wie die Menschen, die sich hier ein Heim erwarten, auf Friede und Glück. Die ewig Zukünftige, die vielleicht einmal hier geboren und sich nach mir sehnen wird. Die es nicht gibt, die mir nie bestimmt ist, die ich doch so heiß wünsche und die bloß ein Traum ist: das selbstlose, treue, schöne, schuldlose, kluge und hingebende Weib, nach dem meine Lieder klagen!«

Die Freunde standen ernst vor dem häßlichen, feuchten Rohbau, der sie aus schwarzen Fensterlöchern widrig anglotzte.

»Ihr habt ihr doch ein Ständchen versprochen, der, nach der ich mich verzehre. Also, singen wir?«

Schober lächelte. »Die Idee ist nicht übel, aber bissig. Bringen wir ihr also ein Ständchen, dem einzigen vollkommenen Mädchen von Wien.«

»– – das noch geboren werden soll,« ergänzte Schwind.

»Womöglich hier,« sagte Bauernfeld.

Die gute Laune des kleinen Zirkels war schon wieder zurückgekehrt, und als einige verwunderte späte Heimgänger stehenblieben und ganz starr zu dem Tun der Sechse blickten, nahm Schubert feierlich den Hut ab, und die andern taten desgleichen, indem sie vorsichtig um sich blickten, ob der Ulk auch gebührendes Staunen bei den da und dort angesammelten Philisterresten fand, die es in der lauen Nacht noch gab.

Und mit andächtiger Innigkeit sangen sie erst einen Kanon, und dann das Ständchen, das Schubert ursprünglich für Grillparzers Freundin geschrieben hatte: »Zögernd leise …« Als sie dann gar noch einen Choral singen wollten, kam der Nachtwächter und trieb sie scheltend fort. Die gutgelaunten Freunde flüchteten lachend um ein paar Straßenecken, blieben dann tief aufatmend stehen und hörten ihn drüben die zwölfte Stunde singen und tuten. Schober, der kecke Ausländer, sang mit:

»Schlaf, mein Wien, im Mohnblumenkranz, Voran der gute Kai – – – –«

»Sei still, sei still, um Gottes willen,« riefen alle Freunde ängstlich, und Bauernfeld begann, um nur eilig die Gesellschaft auf andere Gedanken zu bringen, in langgezogenen Lauten wie ein Palmesel, das Nachtmotiv der Gesellschaft zu singen, in das die andern schallend einfielen: c–a–f–f–e–e: Caffee!

So gingen sie denn noch den weiten Weg ins Kaffeehaus, das einzige, das in Wien um diese Zeit wegen des beginnenden Grünzeugmarktes geöffnet werden durfte, auf die Freyung. In der Vorstadt Alsergrund und gar erst in der innern Stadt benahmen sie sich höchst sittsam, still und bieder, denn hier wurde der Bürger in scharfem Augenmerk gehalten.

Sie waren auch nachdenklich, wegen des bitterlustigen Einfalles ihres Freundes. Schubert tat ihnen so leid, daß immer je zwei wechselten, um sich traulich und liebreich zu beiden Seiten in ihn einzuhängen und ihm besorgt in die Augen zu sehen, ob er leide.

Er aber schien gleichmütig und von ruhiger Laune wie immer, schalt sie Narren und verbarg seine Bewegtheit. Ob es schon stets von neuem töricht in ihm emporwellte, und ihm das Herz bange machte, wie er doch enterbt sei und daß all die Liebe und Sorgfalt der jungen Männer jene weichere nicht ersetzen konnte, die ihm ewig fehlte, er muckste nicht.

In Schuberts heiterste Stunden schauerte so das leichte Frostwehen einer kleinen Bitternis, von der selbst sein Humor nicht frei blieb. Es konnte gänzliche Befriedigung in diesem Herzen, das verlangend nach Liebe rief, nie einkehren.

Und doch schenkte ihm dieses Jahr die lichtesten, lachendsten Stunden seines ganzen Lebens.

Jenger hatte ihm viel von der behaglichen, frischlebigen Steiermark erzählt und vom Hause Pachler zu Graz, in das um jenes Jahr Beethoven als Gast hätte kommen sollen. Nun, da der Große tot war, knüpfte ein Jugendfreund Schuberts, der Musiker Hüttenbrenner, mit dem alten Duzbruder und mit Jenger an: ob denn sie nicht als Gäste des Pachlerschen Hauses nach Graz kommen wollten? Man erwarte den berühmten Gast mit Sehnsucht. Jenger, den stets ein stilles Heimweh nach der sonnenhügligen, wunderbar in Natur versunkenen Stadt plagte, erzählte Schubert fast täglich von den Bergen der Steiermark, dem behäbigen Leben im Pachlerschen Hause und den heitern, traulichen Abenden dort. »Ich seh' es dir an, daß du dich im Tschöllschen Hause nicht mehr ganz wohlfühlst, seit das dreifach freundliche Lachen der Mädchen fehlt. Dort in Graz hättest du, wonach dich ja immer verlangt: wie das eigene Kind in einem behaglichen, heitern Hause zu sein. Dort ist alle Tage ein Fest der Kunst und Fröhlichkeit. Die Welt ist dreimal so grün wie hier; viel schöner, weiter, belebter!«

Und Schubert, den das leichte Musikantenblut schon seit den Frühjahrstagen zu wandern drängte, sagte voll Freunde zu. Freilich hieß es warten, bis wieder Geld einginge. Die beiden großen Streichquartette wurden fix zu Geld gemacht, und unerwartet gut losgeschlagen, für ein Trio und ein Rondo bekam er auch ein weit höheres Honorar, als er erwartet hatte, und da er sich vorgenommen hatte, als ein Krösus nach Graz zu kommen, schüttelte er gleich noch ein paar hinreißend schöne deutsche Tänze, ein Vierteldutzend Ekossaisen und einige Walzer aufs Notenpapier hin, wie süße, reife Früchte aus übervollem Baume; denn Tanzmusik setzte er am leichtesten ab, und in der guten Laune, in der er einmal war, schrieb er sie aus übermütigem Herzen heraus und sehr gerne.

Freilich, zähe Monate zogen wie Teig vorüber, ehe sich die Herren Verleger, Haslinger und Hüther, zum Zahlen entschlossen, und ächzend nestelten sie ihre Börsen auf. Aber dann, obgleich der August zu Ende gegangen, war alles da, was da sein mußte, und Schuberts Gleichgewicht war beinahe erschüttert, als er fand, daß er im Besitze einer Summe wäre, die er noch vor zwei Jahren, ohne vor Ehrfurcht ohnmächtig zu werden, kaum einzustecken vermocht hätte. Es waren über fünfhundert Gulden, und der kleine Musikant lief eiligst zu einem teuren Schneider, um sich, eigens für Graz, und der Steiermark zu Ehren, einen Überraschungsfrack von greller Farbe und neuestem Schnitt entwerfen zu lassen.

Endlich, endlich war der Reisetag da. Seit vier Uhr am frühen Morgen schaukelte die leichte Eilkutsche über die Ebene hin; so flink es nur anging, wurden die Pferde gewechselt, und um Mittag waren sie schon tief in den Bergen, rollten nachmittags in die Steiermark hinunter und weiter, weiter wie in einem fröhlichen Dusel; beide, Schubert und Jenger, waren halb betäubt vor vielem Schauen, Staunen, Berghöheschätzen und Windwehen, als der Abend kam und sie tiefmüde und schläfrig wurden. Der Tag ward grau, sie nickten ein, wurden hin und her gerüttelt, prallten wie Federbälle aneinander, erwachten höchstens auf eine Sekunde, wenn ihre Köpfe aneinander bumsten, und schnurrten wieder ein, tiefduselig und in behaglich müdem Hinträumen. Dann wurde zu ihrem Staunen der Wagen wie toll, sprang und bollerte, rumpelte und stieß so sehr, daß Jenger aus schnarchender Verschlafenheit aufschnappte. »Das wird doch nicht das Grazer Pflaster sein? Denn sonst ist doch keine Stadt der Welt mit steinernen Nockerln gepflastert!« Er schaute auf, da hielt auch schon der Wagen am Sacktor, und die Torwache fragte nach Inhalt und Pässen.

»Bertl, Bertl, wach' auf, Graz!«

So war denn Schubert wie im Traum in die liebste Alpenstadt versetzt, von der er so viel gehört hatte, daß es wie Heimweh danach in ihm rumorte. Eine wunderbare, scharf und köstlich herb zu atmende Luft drang zum Wagenschlage herein, gegen die weiche Wiener Luft schmeckte sie wie ein kohlensäureprickliger Sauerbrunnen gegen Flußwasser.

Hohe, alte, spitzgieblige Häuser aus verschlafenen Vorväterzeiten reckten ihre Dächer vor dem flimmernden Sternenhimmel hin, denn es war tief in der Nacht, und voll fröhlicher Verwunderung sah der wandernde Musikant an ihnen empor. Kein Lichtlein; alles schnarchte fest und brav.

*

Nur in der Herrengasse war noch Licht im Pachlerhause. Das war ein solides, freundliches, hohes Gebäude mit französischem Mansardendach, einem trefflichen Wirtshaus im Erdgeschoß, das den lustigen Namen »Zum Rabenschinder« führte, und rückwärts, gegen das Jungferngäßchen zu, war eine hochgedeihliche Brauerei, die Herrn Pachler gehörte und aus der das beste Bier im Städtlein quoll.

Herr Pachler hielt sehr auf Ehre seines soliden Hauses, wenngleich er selber für die Brauerei viel zu nobel war und sie in Pacht gegeben hatte. Denn er war Advokat und wollte noch viel höher hinaus; viel höher.

Auch jetzt, obwohl er die Freunde erwartete, gab ihm sein Ehrgeiz noch zu schaffen. Er saß an einem großen, grünen Tische stattlich und humorvoll behäbig anzusehen, selbst am Abende noch apfelglatt rasiert, den zu jener Zeit üblichen Schopf in kunstreichen Wellenlocken über die klare Stirn gebäumt, mit freundlichen, lichtgrauen Augen und einem Mund, dessen Oberlippe länger als die untere, aber zu ihr würdig und gefaßt hingekrümmt war, so daß Herr Pachler stets aussah, als unterdrücke er ein Schmunzeln. Das war denn auch sein Wesen. Wäre er in einem windigeren Berufe herangewachsen, etwa als Schneider, Maler, Friseur oder Musikant, er wäre offenkundig zu jedem Hallo zu haben gewesen. So hielt er sich jedoch in der gutlaunig gemilderten Olympierhaftigkeit eines wackeren Bürgers und behenden Hausvaters, wie sie zu jener Zeit voll Zügelung und Fassung allenthalben stolzierten.

Er hatte hübsche, gemalte Bilder mit Uniformen vor sich liegen, besah sich flüchtig und mit leichtem Interesse die Tafeln, welche je einen Grenadier von vorn, seitwärts und hinten darstellten, dann einen Scharfschützen ebenso und einen Kürassier. Aber lange und zärtlich hielt er die sorgfältig illuminierten Bogen vor die Augen, welche den Obersten dieses kombinierten Korps: zuerst in seiner Eigenschaft als berittener Stabsoffizier der Fußtruppen mit einem Tschako, mächtig, wie ein Akanthuskapitäl darstellte, über dessen Rose ein grünweißer Federstutz mindestens zwei Spannen hoch die Wolken herausforderte. Dann nahm er noch behutsamer die andere Tafel zur Hand, die denselben Hochgebietenden in strahlender Reiterkraft, mit grün berauptem Dragonerhelm und versilbertem Küraß glorifizierte; die Satteltasche grün und silber, Feldbinde und Portepee aber, auf allen Tafeln, welche Offiziere darstellten, schwarzgelb und golden, ganz wie bei wirklichen Offizieren.

Während er in tiefer Liebe dem prächtigen Anblick hingegeben saß, tastete jemand an der Tür. Herr Pachler versenkte eilig den Kürassieroberst und den berittenen Fußtruppenherrscher zu unterst in den Stoß Bilder und nahm eilig und wie in schärfster Beobachtung das Bild eines Grenadiers vor: mit weißlackiertem, über der Brust gekreuztem Riemenzeug und enormer Bärenmütze. Es trat nämlich Frau Pachler ein, die kluge Hausfrau, der er keinen Anlaß zu respektwidrigem Durchschauen seiner kleinen Eitelkeiten geben durfte. Die schöne Frau mit ihrem italienisch dunklen Gesicht sah in der verdämmerten Nachtstube ganz bronzefarbig aus, so hell war das Weiß ihrer lebhaften Augensterne und ihrer Zähne, denn sie kam lachend herein.

Du, Karl, der kleine Faust hat sich's in den Kopf gesetzt, wachzubleiben, um den Schubert heute noch zu sehen.«

»Marsch ins Bett mit ihm.«

»Das hab' ich mir auch gedacht; es ist schon bald elf Uhr.«

»Dann um so geschwinder.«

»Was hast du denn da Schönes? Ah!! Die Tafeln, die du dem Kaiser für die Uniformierung des Bürgerkorps vorlegen willst. Sapperlot, der Grenadier! Glaubst du, daß der Kaiser die Organisierung bewilligen wird?«

»O sicherlich,« sagte Herr Pachler eifrig.

»Ja was! Und die Offiziere sollen goldene Portepees und Feldbinden haben wie echte?« staunte Frau Pachler.

»Der Kaiser wird ein Privileg geben. Nun aber schicke den Faust zu Bette, schnell!« drängte Herr Pachler.

Aber schon hatte die rasche Frau den Infanterieobersten in der linken und den silbernen Kürassier in der rechten Hand. »Heilige Prozession,« staunte sie. »Das nenn' ich prächtig … Du aber, Karl, das bist ja du!?«

»Ja,« sagte Herr Pachler verlegen. »Der Maler Wonsiedler hat geglaubt, mich als Obersten porträtieren zu müssen!«

Frau Pachler brach in ein lustiges Lachen aus. »Nein, schaut's her, schaut's her,« rief sie, fröhlich, daß sie eine Schwäche des Gatten weghatte. »Nein, das Schabrackerl! Und der Federstutz! O du Afferl, du, herausgeputztes!«

»Leopoldine,« mahnte der Herr der Ehe sehr ernst.

Sie nahm ihn um den Hals. »Ich hab's ja nur aus Zärtlichkeit gesagt, Karl. Ich möchte dich selber gern so prächtig sehen. Mein Gott, die Uniform macht halt doch einen ganz andern Menschen.«

»Bin ich dir als Bürger nicht gut genug?« fuhr Herr Pachler aus, in Sorge, der Kaiser könnte das erbetene Privileg am Ende gar nicht bewilligen.

»Aber freilich, aber versteht sich. Du weißt es so gut wie ich, daß ich eine Frau bin, die auf Äußerlichkeiten nicht sieht. Schau, den Schubertl hab' ich eingeladen und werd' ihn verwöhnen wie ein Kind, obgleich er mausarm und gar nicht hübsch sein soll. – Ja, sag' aber: Du wirst doch nicht beide Oberstuniformen brauchen? Das wär' doch sündteuer!«

»Darüber wird der Kaiser entscheiden,« sagte Herr Pachler mit Erhabenheit. »Und jetzt geh' und bring' den Faust ins Bett.«

Kurze Zeit danach schellte es, und die beiden Gäste waren da, wurden umarmt, leise flüsternd gestärkt und bewirtet und dann eilig ins Bett komplimentiert, da sie todmüde waren.

*

Der nächste Tag kam. Er war, wie fast alle Herbsttage in der südwärts geneigten Steiermark, auf die Welt herabgesunken wie aus dem Schoße der Gottheit: groß und klar, überirdisch mild und durchsichtig, hellblau, frisch und lebensstark unter einem weiten, weiten, wolkenlosen Firmaments.

In der blitzhellen Stube war der Frühstückstisch mit einem ganz neuen fraisefarbenen Kaffeetuche gedeckt und funkelte rosenrot und weiß, vom schönsten Porzellan. Der Mokka duftete, und mitten auf dem Tische stand ein schwerbehaglicher Gugelhupf, noch verschlossen, aber voll vom süßen Geheimnis seiner tausend Rosinen, die durch seine goldbraune Rinde guckten. Vater und Mutter waren da, der kleine Faust trat sich vor Neugier in einem fort auf einen Fuß, dann riß sich die Tür aus, und Jenger kündigte seinen Freund an.

Schubert, kurz, energisch und erquickt, trat mit Fröhlichkeit ein, und ein lautes Ah ertönte bei Familie und Dienstboten. Denn Schubert hatte ihn heute zum ersten Male an, den neuen Frack mit Silberknöpfen. Grasgrün! Grasgrün! Und eine porzellanweiße Hose dazu. So kam er daher wie das steirische Landeswappen, glückselig über seine gelungene Höflichkeit, die alsogleich erraten und stürmisch akklamiert wurde. Und über dem Weißgrün des galanten Gastes saß das treuherzige, runde, gute Gesicht auf kurzem Halse und lachte so glücklich, wie es in Wien selten zustande kam.

Der berühmte Gast wurde zu Tisch gebeten und bekam den Ehrenplatz. Aus Scheu vor seinem neuen Frack band er die Serviette um den Hals, so daß die Zipfel hinter seinen Ohren lustig in die Weite standen, und war gehoben und stille, als säße er zum Rasieren, bis ein herrlicher Kaffee und eine mächtige Schnitte des Napfkuchens ihn und alle nach ihm zu gutgelaunter Tätigkeit brachte.

Dann führten ihn seine Wirte durch die Stadt; er kam sich wie umwittert von den Geistern der Renaissance vor und wünschte in seiner Freude über das eigenartige, mit Italienischem gemischte Altdeutsch der Stadt nur noch, daß Schwind bei ihm sein könnte. Durch die hochgiebligen Gassen und an Palästen von venezianischer Bauweise vorüber stiegen sie auf den Schloßberg, welcher damals noch als eine ungeheure Trümmerhalde voll des gesprengten Ruinenschuttes dalag, wie ihn die Franzosen verlassen hatten. Herr Pachler aber erzählte, daß dieser Berg mitten in der Stadt mit Wald bepflanzt werden sollte, so daß das Herz des steirischen Hauptanwesens dereinst voll stillem Hochwald emporragen würde. An der Südseite und gegen Abend zogen ohnehin schon die freundlichsten Bürgergärten in südlich hellen Terrassenanlagen den Berg hinan. Hier stand ein gotisches Weingartenhäuschen und die edeln Reben schlangen sich in üppiger Wildheit um die Trümmer. Lang blieb der junge Musiker auf der Bastei unter dem alten Uhrturm stehen, der, nebst dem Glockenturme, durch den Opfermut der Bürger von der Sprengung verschont geblieben war. Hier sah man grenzenlos weit gegen Mittag ins Blaue hinein und ins ferne Silber des sonnenduftigen Septemberhorizontes. Bergbläue und dazwischen wieder Ebenen, bis an die Grenzen Krains hinan, bis dorthin, wo der Boden voll antiker Erinnerungen träumt. Herr Pachler machte seinen Gast auf einen Feigenbaum aufmerksam, der vielästig und mit reifenden Früchten in einem Winkel der Bastei aufwuchs.

»Der Süden, der Süden,« sagte Schubert gerührt.

Und der junge Faust wies lebhaft nach den landhausbelebten Hügeln des Ostens und fügte hinzu, daß es dort ganze Haine voll Edelkastanien gäbe, deren Maronen nun auch bald, voll süßen Mehles, an allen Ecken der Stadt geröstet zum Verkaufe stehen würden.

»Der Süden,« wiederholte voll Andacht der Musikant. »Der Süden, der reiche, der reiche! Wie sich hier die Sonne herlegt. Hier oben möchte ich im Winter ein kleines Stüberl haben und arbeiten.«

Als die Freunde dann weitergingen und auf die höchste Platte des Berges kamen, wo die drohend großen Berge des Oberlandes mit wildem Fichtenwalde ganz nahe waren, wo die Mur sich zwischen schroffen Höhen, auf denen Ruinen stehen, ins eiförmige Becken der Ebene herauswindet und wie eine silberne Schlange nach der Stadt rollt, da gingen dem armen Kinde einer formenarmen Gegend, das noch nie den Zauber reichbesiedelten Hügellandes erfaßt hatte und deshalb den Ausblick nach Süden nur in instinktiver Gestimmtheit empfangen hatte, die Augen über. Denn das kannte er schon von seinen Erinnerungen aus dem Salzkammergute und begriff es: die deutlichere, derbere Schönheit der rauhen Bergschroffheit. »O, ist das schön!« rief er aus. »Laßt mich recht lange da verweilen und schauen. Wie schön!«

»Siehst du,« sagte Frau Pachler leise zu ihrem Gatten, »ich hab' es immer gesagt, daß er nur das ganz Romantische an der Landschaft sehen kann. Woher sollte er mehr verstehen? Wir werden ihn nicht gleich in die windischen Bühel führen.«

»Du hast recht,« lächelte der Doktor … »Wir fahren mit ihm zuerst nach Wildbach.«

Jenger hatte die letzten Worte gehört. »O, dort ist es schön,« rief er, und Schubert wandte sich lebhaft um.

»Was ist?« fragte er.

»Ach, lassen wir unsern berühmten Freund erst in Graz warm werden und ein bißchen Gesellschaft probieren,« lächelte die Frau. Und zu dem Gaste gewendet, sagte sie: »Sehen Sie, so ein Ausflug in ein prächtiges Stück Landschaft ist am schönsten in mäßig großem, aber herzlich vertrautem Kreise. Den wollen wir Ihnen erst schaffen.«

*

Ein paar Tage vergingen nun mit der heiteren und unaufdringlich geübten Pflicht, den lieben Gast mit den besten und liebsten Menschen vertraut zu machen, welche die Familie Pachler seit Jahren erprobt hatte. Auch die Brüder Hüttenbrenner kamen da wieder ans Tageslicht; der hingebend treue und einfache Josef, der Schuberten einst in jüngeren Tagen in Wien Sekretär war und ihm all seine Ausgaben gebucht, seinen Haushalt geführt und wie die trefflichste Wirtschafterin für ihn gesorgt hatte, und der in jener Zeit immer noch umgängliche Anselm. Freilich hatte Anselm Hüttenbrenner schon jetzt schrullige Stunden; er sonderte sich gern ab und war ab und zu verschlossen. Aber das wirkte eher drollig und in jenen heiteren Tagen wurde Anselm hundertfach damit geneckt, daß eine stille und weltabgekehrte Nachbarschaft eine schauerliche Wirkung auf das Herz des etwas steifen, jungen Bürgers ausgeübt haben mochte. Das Hüttenbrennersche Besitztum lag nämlich am Graben, am Abhang des dort schwersonnigen, rebenreichen Rosenberges und grenzte mit dem nicht allzu breiten Streif seines Gartens an einen im Bau begriffenen, schwermütig stillen Klostersitz der Karmeliter und an die linke Flanke sollte ein Nonnenkloster derselben Observanz hinkommen. Angekauft war der Grund schon, und einige Schwestern jäteten dort Unkraut, denn sie wollten vor beginnendem Bau die Rebenlese nicht verlieren. So saß der wackere Anselm als Weltkind zwischen den Männern und Frauen des Schweigens. Buße und Abkehr; stille Nachbarn, die ohne einen Laut in Weingärten jäteten und harkten und in deren entstehendes Gefängnis die Hüttenbrennerschen von ihrer Gloriette hineinsehen konnten, so oft es ihnen beliebte.

Unten ging weltlich und fröhlich eine vielbefahrene Straße, und hinten reifte verführungsstark der lichtrote Wein, den man in Steiermark Schilcher nennt; ein stets mussierender, prickelnder, köstlicher Sommertrunk, leicht und voll Labsal.

Kaum hatte Schubert von der seltsamen Lage dieses Besitzes vernommen, als er auch schon bat: »Du, das muß i sehen.« Denn das war wieder recht sein Wesen: genußfrohestes Diesseits und die ahnungsreiche andere Welt nahe beisammen. So ward denn einer der ersten Nachmittage dazu bestimmt, die kleine Gesellschaft der Grazer Freunde im Hüttenbrennerschen Anwesen zu vereinen und sie bei dem freundschaftwerbenden Weine, der dort wuchs, heiter und mühelos bekannt zu machen und zu verbinden.

Da war der Dichter Leitner; ein braver Junge voll wackerer Gesinnungen und trefflich gemeinter Reime. Dann die Familie des Doktors Haring. Keiner seiner eigenen Brüder war Herrn Pachler so lieb als diese weitschichtige und recht zahlreiche Haringsfamilie! Eine ungezwungene Nähe der Herzen verband all diese Menschen, als seien sie durcheinander verschwistert und verschwägert.

Pachlers und Hüttenbrenners waren an jenem Tage schon versammelt, und beide Familien warteten mit Jenger, Schubert und Leitner oben auf der Gloriette im Weingarten auf den Haringsschwarm, der einen ziemlich weiten Weg vom Hallerschlössel her hatte und sich infolge seines zahlreichen Anhanges mehrerer Wagen bedienen mußte.

Wirklich sahen die Ausspähenden, von denen der umständliche Anselm sogar ein Fernrohr benützte, bald am Ausgang der Grabenstraße Staub aufwirbeln und zählten dann bei der nächsten leichten Biegung drei Wagen hintereinander. Das konnten nur die Haringschen sein. Je näher die Kavalkade herankam, desto bunter und fröhlicher sah der Zug mit großen und kleinen Sonnenschirmen im hellen Sommerglanze aus, und es war ein eifriges Winken und Hin- und Widerjauchzen, bis endlich die ganze Gesellschaft aus der Gloriette in großen Sprüngen hinabstürmte und zurechtkam, als sich die farbige Wirrnis der aussteigenden Damen und Kinder aus wahrhafter Malkastenbuntheit endlich in einzelne knicksende, rosarote, hellgelbe, blaue, grüne, weiße, lila und fraisefarbige Gestalten löste. Herr Haring trug einen braunen Frack, schwang offenherzig und mit hellgrauen Augen, die alles anlachten, seinen ehrbaren Festhut und stellte sich und all das Gewimmel vor.

»Meine Frau.« – Die war sehr hübsch und sehr jung, lustig und offenblickend, wie ihr Mann, und ganz ohne Verlegenheit.

»Meine Mutter.« – Die war sehr verlegen, zwiebelförmig und sah aus, als ob bei ihrer Bescheidenheit ein Teil in die Erde versänke; hatte aber ein herzensgutes Gesicht, stumpf, rund und freundlich.

»Meine Schwiegermutter.« – Trotz ihres schrecklichen Titels lachte die Dame laut, gab aber Herrn Haring einen flüchtigen Backenstreich. Sie war eine schöne Frau mit ganz weißem Haar und roten junggebliebenen Wangen; sehr gut gekleidet und Weltdame von leichten, weichen Bewegungen.

»Meine Tante Lisa.« – Sah der Mutter ganz ähnlich und war noch schüchterner.

»Meine Schwägerin Hortense; Witwe. Wenn also einer der Herren –«

Ein groß Hallo stäubte empor, denn Frau Hortense war so lachend und so schön, daß man wahrlich Lust an ihr haben mußte. Sie hatte als eine Base der Frau Pachler das prächtige italienische Gesicht der Ruards, mit den braunen, beweglichen Augen und der dunkelmatten Hautfarbe. Die geschwungene Nase ließ trotzdem weder bei Frau Marie noch bei Hortense den Eindruck des Hochmuts aufkommen, da der ganze, feine, kleine Mund fortwährend vom Lächeln ins Lachen auseinanderzuspringen bereit war.

Dann waren noch ein paar hübsche, junge Nichten da, unbedeutendes, durcheinanderkicherndes Heiratsvolk. Vor Schubert brachen sie aus Respekt fast in die Knie ein, musterten ihn erst von rückwärts aufmerksamer, blieben aber schüchtern, denn der Frack Schuberts war diesmal viel zu modern und gut geschnitten, als daß sie als Provinzlerinnen gewagt hätten, an einem in der Wiener Mode so untadelhaften jungen Manne Kritik zu üben; – nur um zwei Schuh länger hatten sie den »großen Mann« gedacht. Und mit großgewellten Locken. Ohne Augengläser, aber mit einer Adlernase. Und mit majestätisch durchbohrenden Feuerblicken. Immerhin: Der Wiener Frack hielt sie im Respekt, nebst seinem großen Rufe.

Haring war ein Mann von jener glücklichen offenherzigen Allerweltsgüte, an die sich auch pünktlich alle Welt ansaugend hängt und von ihr zehrt. Er hatte deshalb stets Gäste: Tanten und Schwieger, Schwäger und Basen, besonders aber viele Freunde, – und dann weither angeneffte Studenten und heiratsdurstige Nichten aus der Provinz, die auf billige Art zu den Vergnügungen der Hauptstadt und zu einem Manne gelangen mußten. Freilich duldete er kein mürrisches Antlitz, keinen Klatsch und kein eigensinniges Wesen. Dergleichen mußte fort, das war bekannt. So ging er denn stets mitten in einem Blumengarten von strahlend guter Laune und frohem Gelächter einher, lachte und stieß sich mit allen herum, war oft würdelos gutmütig, zu jeder Neckerei bereit, und beliebt wie ein Frühstückstisch, zu dem alle Welt hinrückte. Er war so gastfrei wie nur möglich; ein wahres Glück, daß er reich war.

Er schwärmte für Anakreon, wie Pachler für Euripides und Sophokles, und die Freunde nannten sich stets mit den ernsthaftesten Mienen Packleros und Harengos.

Gleich nach vollzogener Vorstellung hastete die ganze Gesellschaft zum Jausentisch, der auf der ersten Etage des bergansteigenden Gartens gedeckt stand. Da die Stufen, die hier heraufführten, etwas hoch waren, stellte sich Herr Pachler, der infolge seiner robusten Vorfahrenschaft – es waren jahrhundertelang Brauer gewesen – starke Muskeln hatte, über die schwierigste Stufe hin, hob eins der Mädchen nach dem andern wie einen Blumentopf empor und setzte es oben wieder ab. Alle spendeten Beifall, nur Frau Pachler neigte bedeutsam lächelnd den schönen Kopf und sagte: »Das tut er halt gern. Das tut er halt gern.« Denn Herr Pachler war galant, wiewohl nicht untreu.

Die Jause sollte nun eigentlich bloß aus Kaffee und Napfkuchen nebst reichlichen Herbstfrüchten, besonders Trauben, bestehen. Aber nach einigem Geflüster zwischen den Herren Haring, Jenger und Hüttenbrenner verschwand plötzlich der schweigsame Anselm, und als er wieder erschien, erhoben sich die Herren alle. Sie bildeten trotz großen Einspruchs einen separaten Konventikel am Nachbartische, dessen Zweck sehr bald unter großem Hallo klar wurde, als die Wirtschafterin ein paar große, prächtig geschliffene Flaschen mit dem ganz lichtroten Schilcherwein heraufbrachte, der so kühl war, daß er seine strahlende Rubinklarheit augenblicklich unter einem Beschlage von bläulichem Reife verbarg, was bei dem brennend heißen Spätsommerwetter das größte Behagen erweckte.

Gleich darauf stießen die Herren auch schon an, und Schubert lernte da den steirischen Schilcherwein zum ersten Male kennen, der so leichtsinnig und so übermütig macht und mit seiner säuerlich prickelnden Frische recht zur Besiegung schweratmiger, drückender Sommerhitze geschaffen scheint.

Die Gläser prallten und läuteten ohne Unterlaß und die Männer hatten ihr Gaudium so sehr, daß das eifrige, geschwinde Schwatzen der vielen Weibermäulchen nebenan immer öfter stockte. Erst huschten neidvolle Blicke zu den lustigen Mannsbildern hin, dann kam Frau Pachler naschen und bat sich ein Gläschen aus, und dann tat Frau Hortense desgleichen, der Jenger mit zärtlichem Blick ein volles Glas darreichte. Zuletzt saßen alle beim Wein, und es war eine dichtgedrängte Lustigkeit, so voll fliegender, flirrender Scherze, losbrechendem Gelächter und Mädchenrufen, daß sich nebenan bei ihrer stillen Arbeit Mönche hier und Nönnlein dorten unbehaglich hin und her schoben. Aber auch sie wurden zufrieden, als sich aus dem lustigen Schwärmen ein gefaßter, tonreicher Chor löste und vier ernste Männerstimmen ein wunderschönes Lied sangen.

Schubert aber zog es mächtig nach der verlassenen Gloriette oben im Weinberg. Einsam stieg er empor und setzte sich, während die Genießenden unten ihn gerne seiner ernsten Stunde überließen. So hatte er denn die Berge in weitgedehntem Halbkreise allein für sich, sah zur Seite die Niederlassungen der still für das Jenseits bereiteten Menschen, und weiter ab die wirrgewürfelte Stadt; gerade ihm gegenüber aber trat die Sonne hinter die Berge, über denen stets der feuchte Dunst der zahllosen großen und kleinen Wälder steht, die den Westen der Steiermark gänzlich bedecken. Diese Luft entzündete sich flammend rot und ließ das Antlitz des jungen Schweigsamen entbrennen wie in glühender Scham ob der allzu leichten Welt. Vor ihm der Abschied und die hochauf drohende Mahnung an die Nacht, neben ihm das Schweigen und die Ertötung der Sinne.

Nur unter ihm, in der Eschenlaube waren sie toll vom vergeßlichen Fieber des Lebens.

Ihm aber ging ein Stich durch das Herz, ob der stets erneuten, großen Mahnung, die ihn immer in Stunden der Lust wie in Stunden des Druckes und der Angst ernstäugig anblickte:

»Willst nicht auch du dich bereiten für den Abend? Denn daß dein Tag sich neigt, das ahnst du wohl.«

Und während das junge Leben unten schäumte, saß er tiefversunken und dachte an seine Sterbestunde. Nicht in Angst und ringender Wurmesqual, nein: harmonisch, und sanft gehoben durch all das große Einverständnis, mit dem diese schöne Erde sich der Dunkelheit ergab.

Unten dachten sie, er dichte seine wunderbar quillenden Töne des Lebens und ließen ihn in Ruhe, auch als vom Schloßberge die große, dunkle Siebenglocke mit ihrem tiefen Gongton über das gestillte Tal bebte. Dieser eine Ton, dieses unerbittlich gleiche Bumbom aber wurde ihm wie das Motto der Ahnung und Mahnung. Er hatte damit das Endmotiv zu dem todschwermütigsten seiner Winterlieder: Dem Wegweiser, das fortan mit furchtbar schwerer Eintönigkeit in ihm auf und ab schwang, so oft seine Seele in eigenartig magnetischer Gebanntheit nach dem Ende hinzustarren begann. Ein Ton, ein Ton, wie wenn das holde Licht sein Haupt verborgen hat und über der verdunkelten Erde die große, ferne Bergglocke schwingt.

*

Doch das waren stets nur Minuten oder seltene Stunden in diesem Kindergemüt. Denn wie bei einem Kinde schlugen auch bei ihm die Stimmungen rasch um, er warf die Trauer samt der Ahnung in den Wind und lachte schon wieder.

Selbst an jenem Abend war er nach längerem Stillesitzen, das in der Gesellschaft mit zartem Bedachte niemand störte, nach und nach teilnehmend, dann erheitert und endlich umgänglich geworden, saß neben dem wackeren Packleros als tüchtiger Weinkamerad und stellte seinen Mann so sehr, daß beide sich mehrmals bewundernd und lachend die Hände drückten vor inniger Gehobenheit, wie doch jeder so ganz bemerkenswert viel vertrüge.

Daß die Mädchen immer noch einige Scheu vor dem Musiker hatten, der sich so still aus der Gesellschaft fortgestohlen hatte, wurde dem bis zur Lustigkeit gediehenen Schubert nun nicht recht, und er beklagte sich bei der schönen Frau Hortense, daß man ihn gar so fremd ansähe und seine Fragen gleichsam knicksend beantworte.

»Da kann man nichts machen,« lachte die schöne Frau. »Daran ist der Name Schubert schuld; der ist ihnen viel zu berühmt.«

»Aber so gebt ihm doch einen Kneipnamen,« rief Herr Pachler.

»Ja, was?« Niemand getraute sich recht. Jenger war in der Küche verschwunden. So erbot sich denn Hüttenbrenner, den Mut der Gesellschaft zu stacheln, indem er sich zuerst taufen ließ.

»Schilcherl,« rief Hortense.

Unter großem Hallo wurde der Name angenommen; – Jenger, der in der Küche das Weibspersonal gemustert hatte, erhielt noch während seiner Abwesenheit seinen Namen: »Schlankerl«. Auf die Frage, wie man Schubert nennen sollte, fügte der eben herzukommende Jenger ganz naiv und selbstverständlich:

»Na, Schwammerl doch! Schaut's ihn an. Hat er nicht eine Figur wie ein Herrenpilzerl?« Groß Gelächter folgte, und da der gutgelaunte Schubert erklärte, er habe gegen den Namen nichts einzuwenden, nur dürfe er niemals Giftschwammerl genannt werden, wenn er einmal böse werden sollte, so waren alle voll Freude und Lust, das Genie endlich zu sich hergerückt und familiennahe gemacht zu haben. Für Schubert hatte der Spitzname nur Freundliches zur Folge. Denn diesen guten Menschen mußte die Hochachtung erst durch einen Scherz sozusagen weggetaut werden, bevor sie all ihre Herzlichkeit an ihn heranzubringen getrauten. Nun war er Freund Schwammerl, nun riefen ihn sogar die Kinder so, nun gehörte er gänzlich ihnen.

Und, von jener Stunde an, sagte selbst in Wien kein Mensch mehr, der ihn liebte, anders zu dem kleinen Musikanten als: Schwammerl.

*

Ja; der Wildbacher Ausflug.

Seit dem frühen Morgen fuhren die Pachlerischen in dem einen, Schubert und Jenger in dem andern Steirerwägelchen bergauf und bergab durch das wechselnde Land mit seinen Höhen und Fernen, mit seinen engen Mühlgräben und Waldverborgenheiten, von den Höhen des Hafers in die Weizenfeldweiten hinab und an Weingeländen vorbei, durch die buntbelebte Stainzer Gegend nach Deutschlandsberg, und von dort, nach der Mittagsrast, weiter, wo das Tal immer enger und waldstiller wurde. Sie waren schon an den Pylonen der Waldeinsamkeit, den Brettersägen, vorbeigekommen, als sich ganz am Ende dieser stillen Welt noch ein ganz kleines Kesseltal zu einer letzten, sonnenbehaglichen Freundlichkeit öffnete, ehe die ganz großlinige Alpenwelt emporstieg. Das war Wildbach mit dem Schlößchen der Frau von Massegg.

»Du, das ist ein Sechsmäderlhaus, mitten in der Einsamkeit; ganz verhext und aufs lieblichste versteckt,« hatte Jenger gesagt. Dergleichen war Schubert lieb, und freudigen Herzens hatte er die Partie mitgemacht.

Nun waren sie dem Ziele ganz nahe; nur noch eine Straßenbiegung, und der große Schloßgarten kam.

Schubert hatte schon zweimal, dreimal geglaubt, nun sei die Besiedlung zu Ende und die Welt mit Brettern verschlagen, welche die nachdenklichen Waldsägen am Wege reichlich hätten liefern können. Daß noch ein so lieblicher, kreisrund scheinender Taltrichter kommen könne, freute ihn sehr. Es war dies aber nun auch wirklich der letzte. Gleich hinter dem Schlößchen stieg ein fichtenstarrender Kegelberg empor, hinter dem noch einige höhere sich drängten, und dann sperrte sich riesenhaft die weltverlorene Wand der Koralpe überquer, siebentausend Schuh hoch, bis in die Region der gnadenlosen, toten Felshöhe und schloß hier die steirische Welt gründlich ab. Jenseits war schon das Kärntnerland, und ein weiter Weg durch lauter Waldödnis wäre bis hin gewesen. – Es sah ganz so aus, als gäbe es nichts mehr hinter dieser ungestüm aufsteigenden verlassenen Welt endlosen Fichtenhanges.

Um das Schloß aber wuchsen, höchst verwunderlich in solcher Waldverlorenheit, reichlich und in freundlichstem Gedränge die Reben, denn es war hier ein Sonnenwinkel; der letzte weithin gegen Westen zu.

»Hier wachsen die allerletzten Reben,« sagte Doktor Pachler. »Den Schilcherwein, der hier in den Kellern liegt, müssen Sie mit Gemütsbewegtheit trinken. Denken Sie sich: Längs des ganzen nach Westen hin durchlaufenden Wendekreises ist es der einzige Wein, der von hier ab bis an die französische Schweizergrenze wächst, ja vielleicht bis ins Rhonetal. Von da ab ist nichts als Milch, Käse, Kuhglocken, Fels und Schnee und extra hier hat der Herrgott noch herlächeln müssen.« Er unterbrach sich, indem er aufschrie: »Da wird ja das Tor aufgetan. Natürlich: hallo!«

Außer der Hausfrau stürzten nämlich sechs Mädchen und drei Hunde heraus, zehn Lebewesen auf einmal aus einem so einsam scheinenden Waldtalschlößchen, und neune davon mit einem Gejohl und Lärmen, daß die schweigsamen Wälder unruhig wurden und nachhallend bis in die tiefernsten Hänge der Koralpe hinauf räsonierten. Kaum ausgestiegen, waren die vier Gäste in einem Hui umringt und umjubelt, Schwammerl wurde von den übermütig jungen Dingern augenblicklich mit dem in der Steiermark erhaltenen gemütlichen Namen begrüßt, und, ohne Umstände und Scheu, gänzlich in Freundschaft und unbefangenste Lustigkeit eingewickelt, gelangte er in das schöne alte Haus, das noch fest und tüchtig in der Form dastand, wie es sich die Wildbacher vor damals dreihundert Jahren gebaut hatten.

Nie noch, selbst nicht bei den stets vergnüglichen Pachlerischen, war Schubert so schnell daheim wie hier mitten in der Jugend, Neugierde und Zutraulichkeit dieser sechs frischen, drolligen Landmädchen. Die Freunde wurden nach gutem österreichischem Brauche alsogleich zu kräftigster Fütterung in den Garten geführt, wo der große Weinstock am Hause emporklomm, der so alt war wie das kleine Schlößchen selber. Der Jausentisch stand auf der Terrasse, die über dem Talbächlein aufgestuft und von vier Pfeilern flankiert war, auf deren jedem eine schreckliche Brutusbüste drohte; vier ganz gleiche Köpfe mit rollenden, gequollenen Augen und verzerrten Gesichtern, als seien sie gerade von einem lebendigen Leibe abgeschlagen worden. Die Mädel machten sich aus dem Greuel, den die Freunde in lustiger Verwunderung anblickten, gar nichts, nannten sie bloß die vier Verschwörer, versprachen aber Schubert, ihm würden sie im Garten ein viel prächtigeres Denkmal setzen. Ein Bild von ihm hätten sie ohnedies seit langem, und sie wüßten also genau wie er aussähe und – überhaupt! Alles wüßten sie!«

»Ja, was denn alles!«

»Daß Sie halt so schaffen wie im Traum, und dann selber nicht wissen, was für schöne Sachen Sie gemacht haben,« sagte Mizzi, die Älteste.

»Und daß der Vogl gesagt hat, es wäre Hellseherei bei Ihnen: Clairvoyance!« fügte Nannerl sieghaft hinzu. Jenger, der an ihr Gefallen gefunden, hatte es ihr eben erzählt.

»Und daß Sie sogar bei Nacht deshalb die Brillen aufbehalten,« rief die naive Pepi.

Ein Gelächter rollte ab, wie von einem gestürzten Schotterkarren, und Herr Pachler wäre rücklings vom Sessel gefallen, wenn ihn nicht Jenger noch rechtzeitig erwischte.

»Ja, und daß Sie gar kein Freund von allem was Liebe heißt, sein wollen,« schmollte ihn Hannerl an.

»Man merkt's,« lachte Schubert, der sich zum erstenmal wohlfühlte, trotzdem er der Mittelpunkt einer Gesellschaft war und nicht am Klavier saß. Was ließ ihn nur hier so breit und prächtig sitzen und lachen? Da er sich doch sonst unbehaglich aus dem Zentrum schöner Augen wegstahl!

»Und hier sind Sie auch nur hergekommen, weil's gar so einsam sein soll in Wildbach.«

»Na, sollt' ich noch mehr solche Bälge haben, als euch halbdutzend?« lachte die Hausfrau.

Schubert wandte sich zur Jüngsten, die stand erst im fünfzehnten Jahre und war ganz still.

»Und Sie, was haben denn Sie über mich auszuplauschen, Fräul'n Fannerl?«

Fannerl wollte reden, getraute sich nicht und wurde deshalb rot.

»Heraus damit,« rief Herr Pachler.

»Ihre Lieder plauschen eh' alles aus,« sagte Fanni verlegen.

Der Musiker setzte sich still und verdutzt auf seinem Sitze zurecht und sah auf den Tisch. »Freilich,« sagte er leise. »Das Kind weiß von mir mehr als ihr andern.«

»Geh', mach' dich net wichtig,« rief die Mutter. »Der Herr Schubert is noch nie mit keinem todkranken Kind durch die Nacht geritten und hat doch den Erlkönig so schrecklich schön zuweggebracht.«

»Dann kennt er halt die Angst,« sagte Fanni.

»Und die Nacht und den Nebel über den Wiesen,« fügte Hannerl leise bei. Und der Musiker, der hier im letzten Waldkessel der Steiermark in jungen, weltfremden Mädchenseelen mehr Erkenntnis fand, als in der gescheiten Stadt zu Wien, nickte den beiden lieben und nachdenklichen Gesichtchen ein wenig schwermütig und ein wenig versteckt und heimlich lächelnd zu, sie hätten wohl recht.

Das leise Frösteln, das die letzte Erinnerung der beiden jungen Mädchen an ein geheimes Weh, daran alle Menschen leiden, unter die frohe Plattheit des Nachmittagsbehagens schob, war nur sehr kurz. Denn recht zu gelegener Minute kam durch den Garten er: der Herr über alle Musik dieser entlegenen Gegenden weit und breit, der Lehrer Fuchs aus Frauental, eilig und aufgeregt, weil die Sache allzu wichtig war, den Schubert, seinen Halbgott, nicht um das geringste zu versäumen. Als Landschullehrer, der dicht am Hochwalde hauste, war er an Förstergrüße gewöhnt und riß im Überdrange seines aufstürmenden Herzens dem verehrten Komponisten beim Händeschütteln fast die beiden Arme aus den Gelenken, indem er sich für seine gewaltige Hochachtung der landesüblichen Dynamik als Ausdruck bediente. Nach drei- oder viermaligem reckhaften und schmerzlichen Reißen ließ er die Sturmglocke los, setzte sich tiefatmend und steckte in seinem Überschwang eine komplette Schnitte des unvermeidlichen Festjausengebäckes in den Mund. Da er lang und mager war, sah man den riesigen Gugelhupfknollen noch bis an den Kragen durch den hochgehobenen Hals zwängen wie ein Kaninchen im Leibe einer Boa. Dann verhüllte die ehrbare Halsbinde alles weitere Geschäft, und der Lehrer begann sofort einen Vortrag über den Wandertrieb in Schuberts Liedern. Das geschah mit der ganzen, selbstkritiklosen Allwissenheit des Volksschullehrers auf dem Lande, also mächtig und göttlich breit, daß Schubert, voll Erleichterung, daß er nicht mehr der Mittelpunkt war, sich zurechtrückte und sich mit Kaffeeschlürfen eine mollige und stillvergnügte halbe Stunde schuf, ohne mehr sagen zu brauchen, als »Bitte« und »Danke« und »Küss' die Hand«. Denn die allgemeine Teilnahme der lieben, zahlreichen Frauenhände war durchwegs akzeptabel, und die Ohren gehörten dem Herrn Lehrer. Beiläufig so wie ehemals in der Schulstube: alle waren still, horchten aber möglichst anderswohin.

*

Der Abend war dann freilich nicht von der Art, die im milderen steirischen Weinlande eine Kostbarkeit ohnegleichen ist. Denn im südlichen Rebenhügellande ist die laue, einbrechende Nacht aus der wundersamsten Kreuzung von italienischer Belebtheit und deutscher Traulichkeit gezeugt. Hier aber im Walde, in der rauhen Nähe der Hochlandsgewalt war es kühl, und das laute, junge Leben flüchtete in ein großes Kaminzimmer, wo der Herr Lehrer am Klavier vorzeigte, wie herzlich er sich in Schuberts Herrlichkeit vertieft hatte. Zuweilen dann saß der junge Meister selber zum Instrumente nieder. Einmal, um seinen »Wanderer« zu begleiten. Hannerl sang. Auch eine Hannerl! Wie zu Wien. Keine so sinnliche, tiefglockige, erregende Altstimme wie jenes schwüle Kind voll geheimer Lüste sie hatte; eher herb und rissig, wie das Wesen der Seelen, die nah am Walde wohnen. Aber weil in diesem Winkel in den Waldbergen die ganze Welt um so mächtiger geahnt wurde, deshalb hatte dieses Kind, dieses ungelehrte, waldversteckte, den Ursang der Sehnsucht in der Kehle, und ihr Ausdruck war erregend wie der Schrei der wilden Zugvögel am Herbstabend. Diesem stolzen Mädchenlaute war der Anfang des Liedes aufrichtig: »Ich komme vom Gebirge her!« Und als das weichere Gestehen im Kantabile hinschwamm: ich wandle still, bin wenig froh, und immer frägt der Seufzer: wo? da erkannte Schubert, er, das Kind der Einsamkeit in großer Stadt, in der waldnahen Dryadenstimme des Landmädchens sein Echo; seins: zum ersten Male; trotz aller großen Künstlerinnen, die er dieses Lied singen gehört. Mit heißerer Teilnahme spielte er weiter und war zu Hause, hier, wald- und bergumrungen, bei den belächelnswerten drolligen Kindern des Landes und fühlte, daß er dieses Lied so recht in der Residenz des geputzten und verlorenen Tages hatte empfinden und mit Tönen voll Weh hinströmen müssen:

»Die Sonne dünkt mich hier so kalt,
Die Blüte welk, das Leben alt,
Und was sie reden, leerer Schall, –
Ich bin ein Fremdling überall;
Wo bist du, mein geliebtes Land?
Gesucht, geahnt und nie gekannt!
O Land, wo bist du?«

Die Hände des Musikers liefen über die Tasten des Instrumentes wie verloren; mechanisch und nur von der Erinnerung der Gewohnheit geleitet. Denn die Seele dessen, der in dem Wien der Täuschungen niemals zu Hause war und an dieser Stadt voll flüchtiger Schönheiten vorbeiging, um sich der reichen, nahen und unbeachteten herben Natur in die Arme zu werfen, die rief, jetzt aufwuchernd wie eine Schlingpflanze im heimischen Grunde, und tausend feine Kletterranken treibend: »Hier, hier wäre, wo ich froh sein könnte. Hier, von wo ich wieder fort muß.«

»Im Geisterhauch tönt's mir zurück:
Dort, wo du nicht bist, ist das Glück.«

Und als das Lied verrollt war, die wilde, junge, herbe Stimme ausgeklungen hatte, stand Schubert auf und ging in den dunkelsten Winkel des Zimmers, darum, weil ihm die Tränen vollauf über die Begrenzung seiner Augen stürzten. Dieses Kind hatte gesungen, als wäre es seine eigene, begehrende Seele gewesen.

Als er sich ein wenig gefaßt umkehrte, um zu spähen, ob die vielen hübschen und neugierigen Kinder seine Bewegtheit am Ende erforscht hätten, fand er alle um den Tisch, jedes seinen Platz suchend, und nur die Allerjüngste stand in der andern Ecke des Zimmers, wohin ebenfalls weder der Reflex des Kamins noch die Lampe leuchtete. Und die weinte, aber schon ganz aufrichtig und fassungslos, daß es sie schüttelte.

Da ging er zu ihr hin, strich ihr über die nassen Wangen, scheitelte ihr die Haare zurecht und sagte: »Wir wollen nicht dumm sein, oder nur ganz im geheimen. Wie?«

»Freilich, ja,« sagte Fanni, indem sie den Kopf zurück und an seine Brust legte.

Er hielt das Kind einen Augenblick, so nahe an sich hingerettet, aus; dann erinnerte er sich, daß er mehr als doppelt so alt war als sie und ihrer unreifen, dunkeln Sehnsucht nicht stillehalten dürfe, als gälte sie ihm. Ehrfürchtig und beklemmten Herzens, als führte er sie in die Arme eines andern, geleitete er sie zu Tische.

Es war nun freilich ein Glück, daß bei dem zehnmal kräftigen Leben dieser frischen Menschen, die mitten zwischen Wein und Wald, zwischen sinnlich frohem Schmause und lohherber Bergnatur unbändig lebensvoll geraten waren, sentimentale Gefühle, schaurige Ahnungen und dergleichen spiritusblaue Geistereien bloß sehr vorübergehend empfunden werden durften.

»Schwammerl! Schwammerl,« riefen die Mädchen samt der Hausfrau, und Schubert erhielt seinen Platz zwischen der rüstigen Witwe Massegg und der schönen, dunkelfarbigen und lebensfrohen Frau Pachler.

»Da, sehen Sie her!« rief Herr Pachler neidisch und wies auf Schuberts Ehrenplatz. Denn jedes hatte vor sich eine hellglühend rote Flasche Schilcherwein stehen, der brave Schwammerl aber, à la Schweppermann, deren zwei, und zwar sehr große.

Da warf er sich nach seiner Art alsogleich vergnügt der Fröhlichkeit in die Arme, mit der man ihn hier in so lustiger Art »doppelt ehrte«.

Sein Lebensgefühl, das von jeher plötzlich in naivste, ganz kulturferne Menschenkindschaft zu versinken vermochte, stieg lachend empor und er war gänzlich dabei; beim rüstigen Zusammenrücken der Familiengeselligkeit und bei schmausbackiger Bratenfreude. Schmackhaft und trinkfest, ganz wie der künftige Bürgerwehroberst ihm gegenüber, der wackere Packleros: – Und der hieb ordentlich ein!

Und einen nach dem andern ließen sie hochleben. Den Tondichter, die musikfreudige schöne Frau Pachler, die Hausfrau, all ihr Halbdutzend Prachtmädelvolk, den Herrn Doktor vom Rabenschinderhaus, den hübschen Herrn Hofkriegsbeamten, der seine Nachbarin Nannerl so zärtlich ansah, und am Ende, aber keineswegs zuletzt, den Herrn Lehrer Fuchs: So viel Gesundheiten, so viel Gläser, und keinem tat es Schaden.

Schubert lag zu Nacht in seinem Zimmer und horchte auf den schnellen, sanguinischen Atem seines Freundes Jenger, der augenblicklich eingeschlafen war. An den großen Fenstern stand eine Scheibe in ihrem Rahmen zur Lüftung geöffnet; und durch diese hörte Schubert von draußen das dunkle Rauschen der Fichten, das über die Wälder von allen Seiten wie Wasserfälle herabkam, so daß das einsame Schlößchen fast verschüttet in dem Tönen der Waldnacht lag. Urlaute waren es, ewige.

Von dem großen leeren Dachboden verstärkt aber nagte sich das scharfe Ticken der Turmuhr ab und zu durch das wohllautende Aufschauern der Wälder, wie das Arbeiten eines Totenwurmes im Holze.

Der Ton aber, der ihn an anderem Orte sicher ins Herz gestochen hätte, vermehrte nur sein Behagen. Was war es doch, was ihn hier so froh machte, daß er wie ein Bruder bei den Kindern dieser Ländlichkeit saß? Hier war er zu Hause, am ersten Tage schon; und selbst im Tschöllschen Heim fühlte er sich oft nur als zögernden Gast. Und eine Art Angst klemmte sich um sein Herz, wenn er an Wien dachte, an das schöne, frauenreizvolle, vergnügte und komplimentreiche Wien. – Aus solch einem Waldwinkel!

»Bauernbub,« sagte er sich selber vergnügt, freute sich, daß das Wildbacher Leben noch ein paar Tage dauern sollte und schlief ein, dem Augenblicke dankbar.

*

Ob die muntere Gesellschaft zu Berge stieg oder am Bache den Forellen zusah, ob sie im Garten schmauste oder ihren großen Schabernack, wie die Denkmalsenthüllung zu Ehren des Komponisten hatte, es war all dasselbe Kinderdasein, das ein Tagpfauenauge interessanter und wichtiger fand als den Fürsten Metternich. Jenes kleine Denkmalfest hatte der Abreise Schuberts gegolten. Da er nun doch fort mußte, beschlossen die Mädchen, eine der Lithographien mit dem Bilde des Tondichters feierlich in einem kleinen Gartenhause, das Tempel hieß, als Götterbild anzubringen. Schubert aber, dem der leiseste Hauch der Sentimentalität jener Tage in der frischen Luft dieses Waldtales leid tat, setzte den Mädchen die Köpfe zurecht: solch eine Gefühlsduselei sei für Berlin gut genug, und wenn es schon sein müsse, so solle ein kräftiger Landschabernack draus werden. Nur, wenn sie sein Bild an die Stalltür im Hof nagelten, wollte er dabei sein.

So wurde aus der wehmütigen Abschiedsehrung ein viel belachter Spaß. Das Bild des Musikers wurde auf einem großen Blatte Löschpapier in Form einer Kirchenfahne um das Haus getragen, wobei alle Mädchen und Gäste Prozession spielten. Dann ward es mit allem Pomp einer Fahnenweihe an die Stalltür genagelt. Die Hausfrau schlug den ersten Stiften ein, Frau Pachler den zweiten, Herr Pachler den dritten und die älteste Tochter den vierten. Die andern Mädchen streuten Rosen, Jenger und Nannerl schwangen Weihrauchfässer aus alten Blechbüchsen mit Räucherkerzen, und Hannerl, Resi und Fanni sangen den ganzen Part der drei Damen aus der Zauberflöte dazu, der sehr ernsthaft also begann:

»Stirb, schwarzes Ungeheuer, von unserer Hand!« Schubert selbst begleitete auf der Gitarre und griff vor lauter Lachen falsch.

Dann trat der kraftvolle Packleros vor und hielt eine Anrede, bei der er leider trotz ihres schalkhaften Grundtones mißbräuchlich etwas Sentiment hineinschob; so sagte er, daß dieses Monument des Übermutes das erste sei, das Freund Schwammerl erhielte, dieses aber schon bei Lebzeiten. Und er wünsche, daß in dem nächsten halben Jahrhundert kein zweites folgen möge, nämlich von wegen der Unsitte, dem Bildhauer erst nach dem Totengräber einen derartigen Auftrag zu erteilen. Bei der bloßen Anspielung aber auf die Möglichkeit, Freund Schwammerl könnte sterben und dann freilich ein Denkmal erhalten, wurde die Jüngste ergriffen, daß sie mitten in das Gelächter der andern laut hineinheulte, aber sogleich – – beschämt über ihre Rührung – herumfuhr und verschwand. Da ihr Schubert nachlief, zerstreute sich der Festzug; der Musiker aber erwischte das junge Ding noch auf der Treppe und gab ihr, entzückt von ihrer lieben Dummheit und aus dankbarem Herzen einen Kuß, den sie, auf allerliebste Weise getröstet, in ihrer reinen Unbefangenheit erwiderte, aber dann weiter davonlief und den guten Schubert in einer ganz seltsamen, gerührten Verwirrung seines Herzens zurückließ. – Und das war der einzige Kuß, von dem die Geschichte Franz Schuberts zu erzählen weiß …

Zur Abfahrt verwüsteten die Mädchen den ganzen Garten, um die zwei Wagen ihrer Freunde mit Rosengirlanden zu schmücken, und als sich das Dutzend Menschen noch viele Male hin und her die Hände schüttelte bis endlich die Pferde anzogen, da weinten von den sechs Mädchen zweie bitterlich, Nanni um den hübschen Hofkriegsratsbeamten Jenger und Fanni um Freund Schwammerl.

*

Nun war die Seele des, der in den Mauern von Wien so sehnsüchtig um Landschaft und ursprüngliche Natur litt, genugsam empfänglich und offen geworden, um auch das geheime Glockenspiel der Stunden in dem traumreichen steirischen Süden zu belauschen. Die Pachlerischen gingen fortab alle Tage mit ihren Gästen nach dem Hallerschlössel auf den Ruckerlberg hinüber, hinter dessen Mittagsturm eine Plattform lag, auf der Schubert sich wie verzaubert festsetzte und selbst zu einem Spaziergang in den tiefschattenden Park sich nur dann losriß, wenn die Gesellschaft, etwa durch die schöne Frau Hortense, gar zu verlockend wurde.

Nach dem Verwandtschaftsverhältnis, das ihn in der Wildbacher Waldverlorenheit umfangen hatte, lebte er hier wie in einem Traume, in dem alles wohltut, was immer vorkommt. Die Familie um den herzensguten Haring war hell und froh. Und wenn Anselm Hüttenbrenner neben der schönen Hortense ging und, halb im Scherz und dennoch immer fester gefangen, um ihre Liebe warb und Schubert auch da, wie stets, sogleich scheu und achtungsvoll zurückwich, so tat das nicht wehe. Auf der Terrasse stand eine Urne aus der antikisierenden Zeit des zärtlichen Rokoko. Weiß Gott, welchen Gefühlen das schwermütig schöne Stück Stein seine Aufrichtung verdankte, denn es war wie eine Graburne von einem Trauerflor dezent umwunden. Liebtraurig und ein klein wenig kokett zugleich stand das hübsche und einfache Denkmal auf seinem Marmorsockel vor dem Schlößchen. Hatte es ein Edelherr vor einem halben Jahrhundert einer verlorenen Liebe in wehmütig frivoler Spielerei gesetzt oder dem Angedenken eines entschlafenen Freundes zu täglicher Mahnung ins Angesicht des Schlosses und in die hellste Sonne gesetzt? Nun hing sich eine eigentümliche Zuneigung Schuberts um das liebliche Trauermal und er sagte, so oft man ihn mit der kleinen Fanni oder der großen schönen Witwe neckte, in halbem Ernst: »Mein Herz ist in jener Urne.« So hieß denn das eiförmige Marmorgefäß in aller Munde das Grab von Schwammerls Liebe.

Es hatte übrigens jede der mythologischen Liebhabereien im alten Garten ihr Scherzwort auf sich sitzen, das in Stunden heiterer Neckerei entstanden war. Im unteren Teil, wo es von hohen Silberpappeln, Linden, Edelkastanien und Fichten düster wurde, stand eine ganze Gesellschaft von Steingöttern. Ein Hermes trug den Namen Harengos und eine Ceres den seiner jungen Frau; eine bildhübsche, liegende und himmelan sehende Flora aber, die dem verschollenen Künstler wirklich gelungen war, hieß die schöne Hortense. Besonders deshalb, weil diese Göttin, die träumend nach einer Sonnenblume griff, währenddessen ihr ein Putto das Kleid von der Brust wegzog, an ein Geschichtchen erinnerte, das sich im hellbesonnten Blumengarten des kleinen Schlosses zugetragen hatte. Frau Hortense in ihrem Gesellschaftsstaat pflückte eifrig viele Nelken und Helianthen für den Mittagstisch, während Anselm Hüttenbrenner wie gebannt stets jenseits des Beetes stand und sich immer, wie Frau Hortense in ihrer vorgeneigten Haltung weiterrückte, in einer Linie mit ihr hielt. So sehr sie ihn bat, ihm zu helfen, hörte und sah er nichts. Hm: sah. Die in allen Dingen des Lebens erfahrene Frau Pachler kam viel zu spät dazu, um die empörte Hortense aufmerksam zu machen, welche Aussicht sie dem verstockten, stillen Sünder in ihrer Verkürzung und bei der tief ausgeschnittenen Mode jener Tage geboten hatte.

Hortense blieb übrigens nicht lange böse, denn sie wußte, daß sie sehenswert war, und an all den Neckereien, welche aus dem Geschichtchen entsprangen und bis zur Umtaufe jener Flora gingen, nahm Schwammerl sein Anteil, entzückt über die heitere Natürlichkeit dieser Landkinder. Denn das Städtchen Graz von damals war trotz Wall und Mauern so sehr von Natur umwuchert, daß man in einer Sommernacht von jedem Hause aus die Grillen auf den Wiesen vor den Wäldern zirpen hören konnte, und Ziererei gab es dort so selten wie auf dem offenen Lande.

In jenen Tagen, da im Garten des Hallerschlössels die ersten reifen Edelkastanien in ihren feinen Igelpelzchen zu Boden platzten, erwachte das oft anklingende Südweh von neuem im Herzen Schuberts.

Stundenlang saß er auf der kleinen Terrasse neben dem einen der drei Türme des Schlößchens und sah sich nur um, wenn die Wetterfahne auf dem mittelsten Spitzturm sich singend drehte. Sie hatte die Form einer Sirene. Da wurde er denn an Wien erinnert und wandte sich wieder ab und sah nach der weiten, offenliegenden Ebene nach Süden und genoß die Gnade der Septembersonne. Bald war Herbstrauheit, Heimkehr, Verkriechen und Verpuppen droben in Wien. Nicht dran denken! Nicht dran denken! Und er breitete die Arme, lehnte sich zurück und ergab sich den Fluten des südlichen Mittagshimmels, während er die andern, die sich sogar vor dem milden Septemberwetter noch Schatten gesucht hatten, fern bei den Göttern unter den Bäumen ihr Fangenspiel treiben hörte.

Ach, kein Ding auf Erden ist so unsterblicher Gegenwartsgenuß wie dieses einfache Sichsonnen!

Und immer von neuem blinzelte er in das bläuliche Silber der Mittagsweite nach der Ebene, die ihm zum ersten Male lockend erschien, der bisher nur Berge allein verstand.

Eines Tages bat er Herrn Pachler, er möge doch einmal auch einen Ausflug dort hinunter veranstalten; dort, wo der Fluß sich in Auen ausströmte, wo die Welschkornfelder blaßgolden flimmerten und der rötliche Buchweizen das Land wie in beständiger Abendröte erblühen ließ. Wo sich die Dörfer ganz in den Obstsegen buschiger Bäume mit geduckten Strohdächern behaglich versenkten und nur einzelne Kirchtürme oder Pappeln in die bläuliche ferne Luft Merkstriche zeichneten.

Und wirklich; am letzten Tage dieser drei unerschöpflich schönen Septemberwochen voll Gesang, Musik und Scherz ward ein stiller Gang durch die Ebene gehalten, bei dem alle Teilnehmer merkwürdig still und in sich gekehrt waren. Das Luftmeer war weiter als sonst, und der herrliche Horizont dieses unsagbar weiten Landes war wunderbar mit Hermelin verbrämt. Denn glänzend weiß lag die lange Schneelinie der Alpen des Nordwestens und des Westens in endlos scheinendem Schwunge in der Ferne. Herr Pachler ging neben Schubert, während Jenger und Hüttenbrenner bei den beiden Frauen blieben, aber keines sprach viel oder laut. Hingegen bemerkten sie an diesem wehmütigen Abschiedstage selbst die kleinsten Dinge der Natur. Es war ihnen ein nachdenkliches Wunder, als sie in den Büschen am Rande der Au Veilchen fanden, die zum zweiten Male blühten; sie sahen lange den Schwalben zu, die dieses Jahr bis zum Ende des September geblieben waren, sich aber nun in lauten Scharen um den Kirchturm schaukelten. Sie sogen den Duft des Heidekornes ein, der, scharf und süß zugleich, eine eigentümliche Bangigkeit des Herzens verursacht, wohl weil er der letzte Blütenduft des Jahres ist, da nach ihm nur mehr Astern, Georginen und Herbstzeitlose im Kalender stehen. Um seine Gäste heiterer zu machen und sie von der ängstlich dankbaren Sorgfalt abzulenken, mit der sie jedes letzte Stückchen der scheidenden Natur entdeckten und hätschelten, kaufte Herr Pachler in einem kleinen Dorfe jeglichem eine Tüte voll reifer Pflaumen. So zogen sie von Liebenau gegen Sankt Peter hin und aßen nachdenklich die schönen Früchte, und als eben Herr Pachler die andern mit Kernen zu werfen beginnen wollte, um sie zu zerstreuen, begann zu allem Überflusse noch ein verstimmtes Werkelchen in der wehmütigen Feldweite ein trauriges, gänzlich veraltetes Marienlied zu spielen. Als nun aber gar in die zum Durchgehen melancholischen Laute ein ferner Hund hineinzuheulen begann und unübertrefflich sicher den ärgsten Ton bodenloser Wehmut fand, schalt Herr Pachler: »Na, jetzt ist die Scheidestimmung komplett. Das hat noch gefehlt. Wer heult mit?«

Schubert aber bat ihn, stille zu sein. – All das sei so wunderbar wehmütig, und heute wolle er sich einmal mit Schwermut sattrinken. Dergleichen Stimmung der Ebene voll sanfter Erfülltheit und Resignation habe sein Herz noch nie gekannt. »Es ist alles ganz wunderbar und so reingestimmt,« schloß er, »wie das leise Weinen eines jungen Weibes.«

Das Werkelchen wanderte in der Feldferne von Haus zu Haus, immerzu, und spielte das süßtraurige, verschollene, uralte Marienlied.

»O das Werkel, das Werkel,« schrie Herr Pachler. »Das spielt ja so falsch!«

Aber Schubert war aus einer wunderbaren Rührung nicht herauszubringen. »Das ist ja grad das Herzige,« sagte er versöhnlich.

Der wackere Packleros aber, dem es ganz und gar nicht gegeben war, das leise Klirren eines Sprunges im eigenen Herzen zu belauschen und sich in Wehmut zu vertiefen, stellte sich breit in den Weg: »Achtung,« sagte er. »Da ist die Feldeinsamkeit, sehr schönes Blaukraut, Rüben und Kürbisse. Und was sonst noch zwischen den traurig abgehausten Feldern übrigbleiben will, das soll dableiben und Trübsal blasen. Dort drüben aber ist der Reiterbauer mit seinen berühmten Backfischen und einem Schilcher, der andere Liederln weiß als das verhexte Altweiberwerkel dort. Ich geh' zum Reiterbauer. Wer geht mit?«

»Ich, ich,« riefen alle und waren vergnügt, daß ein kräftigeres Dasein beginnen sollte.

»Na, dann komm ich schon mit,« fügte Schubert lächelnd hinzu. »Aber ich bleib' hundert Schritte hinter euch. – Jenger, bestell' mir einen Karpfen, das ist auch was Gutes. Aber die Stimmung da, die lass' ich noch nicht aus.«

Und während die andern rasch und fröhlich dem Wirtshause am Rand der Ebene zumarschierten, zog Schubert ganz langsam den Feldweg zwischen Zichorien und Erdschollen dahin, horchte auf das klagende Lied der Heidelerchen und gab sich in bewußter, süßer Schwachheit dem weitausgebreiteten, sanften Leide dieses Tages voll banger Ahnung hin.

Langsam, langsam ging er durch die scholligen Felder und das altsilberbräunliche, bleiche Gras und sang leise. Er hatte ein Lied.

Als er endlich die Kastanienbäume des Reitergartens mit ihrem kräftig braunen Ton, das rote Tischtuch mit den Flaschen Weines und die behaglich gewordenen Gesichter der Gesellschaft sah, kehrte sich auch in ihm das Weltkind wieder nach oben.

»Na, grad sind die Karpfen gekommen. Haben Sie ausgeschwärmt?« rief Herr Pachler.

»Ja, aber es war ganz was Feines. Ganz was Feines,« lächelte Schubert, der noch voll Nachsinnen war.

»Das verstehen halt nur Sie,« sagte Pachler freundlich.

»Na, ich wohl auch,« flüsterte seine Frau. »Und ich habe dir's gesagt: Gib acht, der Schubert kommt noch auf das Geheimnis dieser versteckten Landschaft.«

»Ja, das war das Hügelland,« widersprach Herr Pachler und fischte sich einen goldbraunen Karpfen aus der Schüssel.

»Die Ebene ist das Tiefste,« sagte Frau Pachler, und Schubert nickte.

Und dann schwiegen alle: teils vor Nachdenklichkeit und teils wegen der Fischgräten.

*

Nun war auch das vorüber.

Dieses Leben voll Geselligkeit, in dem man ihm unbegrenztes Vertrauen, herzliche Achtung und Liebe und zwanglose Menschenbruderschaft entgegengebracht hatte. Alle Tage im Freien, über Berge oder durch den Wald! Ja, selbst im schönen Biergarten zum wilden Mann, oder im Murbräustübel, im Krebsenkeller oder hoch auf der alten Südbastei nahe am eisernen Tore, wo rotes Löwenmaul aus der Festungsmauer wucherte und der Wein sich zu Häupten schlang, dort, am frohesten Plätzlein des alten Graz war Natur, freie Weite und endloser Fernblick gewesen. Ein Übermaß von frischer Luft hatte ihn umströmt, das Leben war voll Kraft gewesen und die Munterkeit dieser Leute unwiderstehlich.

Und nun war Franz Schubert wieder in Wien. Aber er hatte Kräfte gesammelt in Graz, und sein Leben blühte wieder, seine Gesundheit war wieder da und das allzuoft anschleichende Mahnen jener gewissen ahnungsreichen Grabesschwermut war weg: sogar die Kopfschmerzen, die ihn vorher manchmal gequält hatten. Er war vollgepumpt mit frischer Luft, wie ein dicker Käfer, der fliegen will – und es aber auch kann!

Der Wein war gut geraten, die Wälder brannten in Fieberglut, und der Himmel leuchtete so sehr in das Herz des erquickten Künstlers, daß sich all seine Lebenskräfte mit unsagbaren Lustgefühlen in ein Werk drängten, das ihm gleich nach seiner Rückkehr aus dem Königreich der Bergluft und der Weite eingefallen war. Dieses sein Leben jauchzte sich in Tönen aus, als sei es unsterblich; diese göttliche Seele sang ein Lied, das dem Paradiese der befreiten Geister entgriffen schien. Ja; das war einmal ein Werk; mühelos geschenkt, wie der Göttliche allein zu schaffen vermag! Dieses Kind rollte die kuriosesten Einfälle guter Laune hin; es vergab an jedes der Instrumente hinreißende Schönheiten und leuchtete hell auf, wie das Glück des jungen Schöpfers, dem es entströmte: das göttlich heitere Opus Hundert, das Trio in Es-Dur! Als es dem beglückten Herzen wie eine Quelle ausbrach, mußte der junge Meister selbst oft innehalten, so sehr ergriff und entzückte ihn der eigene Reichtum; und in jenen Tagen ging er wie berauscht umher, suchte für den köstlichen Schatz seiner tausendstimmigen Welt Einsamkeit, nur Einsamkeit, bedurfte keines Weines, keiner Freunde und keines andern Glückes der Erde: nur sich selber gehören! Nur ungestört.

In jenen Tagen wies er alle und alles ab mit der schnell hingehaltenen Ausrede, er sei krank und unsäglich schonungsbedürftig, – indessen seine Seele vor Lebenskraft schwoll und den unmittelbarsten Blütenlufthauch aus dem Paradiese genoß.

O, dieses Leben war schön! Die Verzückung des Heiligen, der die Himmel offen und Gottes Herrlichkeit sieht, sie ist die einzige, ungeheure Erkenntnis, die zu dem beglückten Künstlerschaffen heranreicht. Sie ist das Brudergefühl. Beide sind Entrücktheit in die befreite Höhe des Lenkers der ewigen Zeugung und des ewigen Sterbens. –

Glückselig strömte die Erfindung weiter aus ihm, auch nachdem der erste drangvolle Strahl des Springquelles der Lebenslust, jenes Werk, versprudelt war. Es gelang ihm alles, alles in diesen Tagen nach der Stahlluft kräftiger Waldwinkel und seit dem Anhauch des Südens.

Der nachdenkliche Vogl selber staunte und schaute mit großen Augen in jene Kraft und Fülle. »Die Mittelmeerluft hat den Deutschen angeweht,« sagte er in jenen Tagen öfter. »Das gibt einen Brand der Seele ohnegleichen.« So deutete sich der nachdenkliche Kenner Goethes und Italiens, der zurückgehaltene, herbe Philosoph die Erquicktheit Schuberts in jenen erfüllungsreichen Herbsttagen.

*

Und fast wäre es zu viel des Glückes gewesen. War doch Schuberts ganzes Leben und nun gar die Höhe dieses Rausches dem endlichen Blütenausbruch der hundertjährigen Aloe gleich, welche für das enorme Lebensgefühl ihres leuchtenden Zeugungsbrandes sterben muß.

Es kam erst eine schläfernde Eintönigkeit in seine Tage, dann ein Zusammensinken der hohen Lustempfindung, dann ein resigniertes müdes Kinderkranksein, raunzig, unbewußt der eigenen Schwäche, freudlos, glanzlos: wie eben der Alltag unnötig und beiläufig Gezeugter, deren schales Leben nicht einmal durch den Kontrast des bedrückten Werktages zum Sonntag aufgeflittert wird. Novembergrauheit sank auch über ihn: tagelang, wochenlang. Der Sonntag war freudlos, der Montag hilflos, der Dienstag dumpfig, der Mittwoch müde, der Donnerstag elend gleichgültig, der Freitag ein wehes Hindösen, der Samstag hoffnungslos, immerzu; alle Tage grau wie das Hintrotten eines Zugpferdes in lehmiger Ebene unter Regen und Kot. So zog er sein Leben wie eine fremde Last zu fremdem Nutzen. Die Erde starrte und klebte und klumpte an ihm, so daß er träge und in alles ergeben jeden Schritt dieses zähen Lebens ziehen und losreißen mußte. Wie arme Bauernsöhne, die, todmüde und gänzlich gleichgültig wie armes, getriebenes Schlachtvieh, durch mährischen, polnischen, russischen Lehm als Soldaten marschieren müssen; alle Tage Regen und Verdrossenheit, Müdigkeit, Kot, Entfernung von allem was Heim ist, alle Tage Leerheit, bis daß sie endlich am Feinde heran sind, um totgeschossen zu werden.

Solche Höhen und solche Tiefen gab es in Franz Schuberts Leben.

Jedoch die unergründliche Güte, welche dieses Geschöpf voll Durst nach Leben und Liebe geschaffen hatte, machte ihm selbst die Qual zur Kraft. Was dem Karggeborenen nur Stöhnen und Klagen entpreßt hätte, des hatte er Macht, es in sich zu erlösen und der Schöpfung besser und reiner zurückzugeben, als er es empfing. Er gab dem seelenlosen, bleischweren Leide den heiligen Geist, und so ward es zum fliegenden singenden Wundervogel, der sich über die Erde schwang, zu tausender bedrängter Herzen Trost. In diesen Tagen erwuchsen ihm die letzten zehn Gesänge der Winterreise mit ihren Jenseitsvibrationen, mit ihrem schaurigen Herübergreifen aus der Ewigkeit. Im Liede vom Wirtshaus rief seine ringende Seele selber nach Erlösung. Oft sah er nun um sich und entdeckte gleichsam mit Verwunderung, daß er immer noch auf dieser Erde wäre, die ihm so fremd geworden war. Was hatte er mit diesen Menschen zu tun, die sich von Martini ab in ein ungeheuerliches Essen und Trinken, in Besuch und Klatsch warfen?

»Warum ist Ihnen so weh in dem lustigen Wien?« hatte ihn Frau Pachler vor Wochen gefragt, als er mitten in und mit den Lebendigen lebte. Da hatte er ein Wort gesagt, daß alle in dem munteren Kreise für ein Weilchen still und nachdenklich wurden. Er hatte geantwortet: »Wenn mit den zuströmenden Glücksgütern die Aufrichtigkeit im Hause bliebe! Die große Stadt zeugt eine Gesellschaft, die anders wird als die kleinen Kreise eines weniger künstlichen Daseins, wie ihr es hier lebt. Dort geht der Eigenmensch verloren, dort in Wien, und wird zum Narren, weil er stets vor einem Spiegel lebt.«

»Wie meinen Sie das?« hatte die Frau gefragt, und Schubert hatte die unmutigen Worte gefunden, welche die Gesellschaft des ewigen Faschings trefflich zeichnete: »Dort leben sie einander was vor. Sie leben einander an; und damit will ich nichts zu schaffen haben.«

Nun kam aber wieder die Zeit, wo sich die unter Wachskerzen rotteten und sich mit Flitter behingen, die sich ewig nichts zu sagen haben; er hatte noch die Fröhlichkeit bescheidenerer Menschen im Ohre, und so wuchs dieses Gefühl der Fremdheit und Wunderlichkeit, in einer Welt zu sein, in die er von ungefähr geraten wäre, so sehr, daß ihm unheimlich wurde, wie dem Taucher, der zu den glotzäugigen Fischgespenstern der glasschwarzen Tiefe entrückt ist. »Was will ich unter den Schläfern säumen? Ich bin zu Ende mit allen Träumen. Was will ich unter den Schläfern?«

Diese erste, sonderbare Ahnung baldigen Auskriechens aus einem Verpuppungszustande ließ ihn nicht los. Es waren die Tage, da die Krähen des Waldes zahlreich nach der Stadt kamen. »Alle gierig, alle schreiend nach dem großen Schindanger, nach dem Galgen des nutzlosen Lebens der Tausende,« sagte er in einsamer Bitterkeit. »Krähe, lass' mich endlich seh'n Treue bis zum Grabe.«

So fühlte er seine Winterlieder wie ein langes, halbbetäubtes Auffahren aus einem bangen Traume; und nach dem Reiche des Mohngekrönten starrte er immer von neuem wieder hin wie magnetisch gezogen. Wunderbar, höchst wunderbar: dieses Kind wußte oft so platt im platten Tage zu leben, daß die Menschen darüber mit den übeln Worten hausten, die sie einstmals dem Heiland nachschrien: sehet, was ist der Mensch, ein Fresser und Weinsäufer! Und gerade dieses Weltkind schaute sich die Augen aus in banger Sehnsucht nach der Bedeutsamkeit, welche jenseits alles Grauens liegen muß! – Muß!

Während die allzeit Geselligen unter den Kristallleuchtern zusammenrückten, um nicht die langen, nachdenklichen Adventabende in ihren Rückennerven zu fühlen, während dieser lauten Tage wußte er, wovon kein anderer wissen mochte. Und er sagte es in dem schweren, ewig gleichen Glockenanschlage des g im Wegweiser; in diesem tiefresignierten Tone der unerbittlichen Abendrunde, die von des Tages Ende gleichförmig sagt und sagt, bis sich ihm die Ohren öffnen. »Einen Weiser seh' ich stehen unverrückt vor meinem Blick.«

Und als Schubert seine Freunde zu sich lud, die allerbesten, die nachdenklichsten und tiefsten noch von den Weltkindern, die sich um der sinnlichen Süße seiner Musik um ihn drängten, und ihnen sagte: »Ihr werdet bald hören und begreifen, warum ich einsam und düster bin,« und als er ihnen diese Lieder vorspielte, da krampften sich die Wiener Herzen vor dem tötenden Anhauch dessen, was der Seher geahnt; sie schauderten, und ihre Seelen wehrten sich, als drücke sie die Nachtmahr.

Kaum daß sie das versöhnte, weiche, reiche Lied vom Lindenbaume gelten lassen wollten; und selbst da war eine Strophe, unbändig, wild und rauhfrostig.

»Steht ihr so erstaunt da?« fragte sie Schubert und nickte wie ein stiller Wissender. »Starrt euch das Blut? Auch mich haben diese Lieder mehr angegriffen, als dies je bei andern Liedern geschah.«

»Das glaube ich dir,« sagte der gute, weltleichte Schober leise.

Schubert sah unter seiner Brille zu Boden und sprach, als geschähe es zu sich selber, in sich hinein: »Mir gefallen diese Lieder mehr als alle andern.« Und bedeutsam, aber so leise, als fürchte er, die Freunde könnten ihn erraten, schloß er mit jenem seltsamen, fortwährenden Kopfnicken: »– und sie werden euch auch noch gefallen.«

Aber die andern waren noch jung und gewöhnten schwer die Mahnungen dieser ewigen Töne. Nur Vogl, dem Alter nahe, tief ernst und ewig Auge in Auge mit der Ewigkeit, ein Mann, der gegen seine Eitelkeiten rang und sich täglich durch wuchtiges Nachdenken entsühnte, der riß diese Gesänge mit Inbrunst an sich und versenkte sich in sie wie ein Christengemüt in seines Heilandes Leiden.

Als dann die mächtige Stimme des Sängers jenen Liedern Wucht und Pracht verlieh, als sie im Widerscheine seiner Spiegelkunst aufglänzten und durch eines Menschen Stimme erträglicher wurden, als so in ihrem baren, nackten Ewigkeitsvibrieren, da drangen sie ein, da lebten sie auf, da versenkten sich auch die jungen Freunde mit süßer Wehmut in sie.

*

Schubert aber hatte, nachdem er jene Lieder den Freunden zum ersten Male gezeigt und gesungen hatte, den Klavierdeckel mutig und kurzab zugeschlagen und gesagt: »Abgetan. Sargdeckel zu! Nun wollen wir uns wieder das Leben besehen.«

Und wahrlich; dieser Mensch, der eben durch alle Gründe und Tiefen der Wehmut und Schwermut bis nahe an Thanatos herangedrungen war, vermochte vorderhand ein Schnippchen zu schlagen und nicht mehr daran zu denken. »Fertig, abgetan.« Und er ging zu denen, die leichtlebig unter den vielen Lichtern der geselligen Abende saßen, aß und trank und war vergnügt.

Ja, sein Behagen an den einfachsten Genüssen schien nur stärker und schmausiger geworden zu sein, seit er aus jenem düsteren Reiche heraus war, dessen Tür er so fix und leichtfertig hinter sich zugeschlagen hatte.

Eines Abends im Advent bat er Schober, schon gegen sechse mit ihm ins Wirtshaus zu gehen und im Hinschlendern den allzeit bereiten Schwind mit zu holen.

So saßen sie denn eine Stunde früher als sonst beim Weine, im traulichen Licht, im Pfeifenrauche, in der Wirtsstubenwärme. »Nämlich,« sagte Schubert und schlug behäbig ein Bein über das andere: »Das sind die Tage des Einspinnens, der Heimkehr, des Zusammenrückens. Das sind die Tage, deren Seele der Ofen ist und auf dem Lande der Herd. Wir Menschen brauchen dann keine andere Seel'. Man kann gar net früh genug zum Trunk und Schmaus gehen. Ich bitt' euch! Wenn vormittags schon die düstergrauen Staubnebel dickmantlig und schwer über die Straßen liegen und die Geschäftsleut' am Mittag Licht brennen müssen. Was soll man tun? Und was für ein Trost ist da Lampenlicht, Malvasier und Schinkenweck! Es ist die Zeit der Einkehr; und der Mensch soll froh sein und sich wie eine Scheune benehmen, in welche die schweren Fruchtwagen einfahren. Also, Kellner, was gibt's Gutes? Aber recht Gutes! Hallo: Haben Sie mir das glacierte Schweinsstelzerl reserviert? Mit Sauerkraut und Erdäpfel, jawohl. Und recht bald und schön warm.«

»Aaah. Schön ist das Leben. Heut schmeckt mir der Wein doppelt so gut. Schober: ich wer' doch um eine Halbe mehr trinken.«

»Geh, Schwammerl, du bist ohnehin schon kurzatmig und rot; schau', bezwing' dich!«

»Mein Gott,« sagte Schubert ganz nachdenklich. »Wenn mir der liebe Gott den Wein net herg'setzt hätt', – – die Weiberln lassen mi' eh in Frieden und machen sich nix aus mir – –, so hätt' ich gar nix Körperliches zum Vergnügtsein auf dera Welt. Vivat, Bruderherzen!«

So trieb er es, kaum vom Reiche heimgekommen, das nicht von dieser Welt ist, schon wieder im Schlaraffenlande. Sein sonniges Gemüt blühte wieder auf und ließ in diesen trüben Schneenebeltagen seine Fähigkeit, in derber Sinnenfreude nach den Gütern des Alltags zu greifen, gedeihen. Aber die Freunde hatten wieder Freude an ihm und lachten wieder viel über Schuberts himmlischen Leichtsinn, wie Schwind sich ausdrückte, wenn er über das runde Gesicht des Freundes des Lebens dickbackigstes Lachen verbreitet sah.

Es waren jene Tage, wo das ganze musikalische Wien über die Geschichte vom versoffenen Quartettel lachte, das man bei Schubert gegen ein Honorar von vierzig Gulden Wiener Währung bestellt hatte. Der Musikant, der schon seit langer Zeit eine solche Summe nur in den Schaufenstern der Banken beisammen gesehen hatte, bat sich fix das ganze Honorar als Vorschuß aus, erhielt es von dem gerührten Auftraggeber, dem er seine Not klagte, zugestanden, und Schuberts Beine waren bei all ihrer Kürze pfeilschnell im Umherlaufen zu allen Freunden, die er zu einem Punschabend einlud, an welchem ungeheuerlich gegessen und getrunken wurde. Kurz und gut: so leicht und rasch dem Gotteskind die Melodien strömten, – das Geld war sehr viel geschwinder fertig als das Quartettel, welches der lustige Musikant nachher, als alles vertan war, an Stelle eines fehlenden Mittagessens vollendete. Und, es ist wahr, daß er den Freunden gestand: jene Stimmung, als alle Glocken von Wien zwölfe läuteten und sein Magen stürmisch aufbegehrte, dieser ganze Chorus von Entbehrung und unbekümmerter Freude, samt dem Mittagsgeläute, welches alle Schöpferkräfte dieser hungrigen Stunde aufhetzte, werde ihm unvergeßlich bleiben und sei noch viel schöner als jener Punschabend.

»Der Hunger, Kinder, der Hunger ist der Cicerone Gottes,« rief er den Freunden zu, »der führt einen unmittelbar in den Bildersaal aller gesunden Wünsche. Ach, der göttliche Hunger!«

»Ja, wenn man so kugelrund ist wie du, Glücksschwammerl,« sagte der enthaltsame Bauernfeld, »da ist leicht hungern.«

Damals war es übrigens, daß ihn die Freunde gründlich drängten, er möge sich recht ergiebige Geldquellen erschließen. Dem Beethoven hätte jedes Konzert nah an die Tausend getragen und nun sei er allein da, er, als der einzige große Musikant von Wien. Ein Konzert, ein Konzert solle er geben. Dann hätte er Geld und könne überdies die Verleger mit den Honoraren hinaufsteigern. Er könne wieder nach Oberösterreich zu den auffälligen Bergseen, nach Graz in die lachendste aller Weltweiten, ja nach dem ewig ersehnten Süden, zum blauen Feuer des Meeres wallfahrten, das phosphorbeweglich in der Sonne rieselt und eine so ungeheure Traumseligkeit in dem erzeugt, der zu träumen vermag!

Ein Konzert also!

»Ihr habt wohl recht,« hatte Schubert damals gesagt.

»Wenn ich nur nicht bei Sängern, Harfenisten und böhmischen Klarinettelkönigen betteln laufen müßte!«

Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn man von ihm eine Symphonie gespielt hätte, wie von Beethoven, dem Starken, Zornigen, der ihm unvergeßlich war. Das unzugänglich Jähe dieser Menschennatur, die verwilderte Einsamkeit, das endlos tiefe In-sich-sein! Dieser Übernatürliche war gewesen wie schneeferne, starr aufgebäumte Alpenhöhen: unerreichbar, toddrohend, von tausend Formungen und undurchdringlich. Immer, immer unnahbar in allem, außer in seiner Kunst: und selbst zu der hieß der Schlüssel Ehrfurcht.

Nun war bald der Tag, an dem der Gewaltige vor einem Jahre emporgefahren war zu den Chören, die Gott umkreisen. Die Freunde hatten diesen Tag bestimmt, daß Schubert ihn mit seinem Konzert feiern sollte. Er aber nahm sich inzwischen vor, eine Symphonie auf Beethovens Grab zu legen.

Und mit erhobener Seele begann er trotz Winterfrost und grau drückender Nebeltage seine Arbeit. Die lustige Zecherei der Adventtage, die bis über Neujahr gereicht hatte, war mit einem vergessen. Rein, stark und voll vom Göttlichen trat er in sein Reich, jenes, in dem er der Welt vergaß, und unbändig quoll Schönheit und Größe aus seinem sehnsuchtswunden Herzen, das aus sich geben mußte, was es auf der Erde vergeblich suchte.

So stark war in diesen Tagen, da über der Stadt der bräunliche Schmutznebel drängte und die Seelen ängstigte, die Auftriebskraft seiner Sehnsucht, daß er die niedrigen, lastenden Wolken nicht empfand und Himmelsbläue über die Welt ausrief; dasselbe Glück war wieder in ihm, wie bei seinem unvergeßlichen hundertsten Opus, nur tiefer, ernster und gehaltener. Wieder ward es ein langes, langes Werk, doch diesmal lang vor überreichem Wechsel der Gestaltungen, vor dem Drange inneren Geschehens. Tag um Tag brachen Blüten des innigsten Lebensempfindens aus und rankten hochauf; und nur einmal schwang wieder jene Glocke der Karmeliter hinein, der schweigend Entsagenden: mitten in das Trio des Scherzo entsandte sie das schwere, fast schon tötende E. Es war einer jener Tage, da plötzlich die alte Mahnung, die alte Ahnung heraufgestiegen war: »Du! umsummt von den törichten Minutenschwärmen: Und deine Sterbestunde?«

Außer diesem einen Erschauern aber war er glücklich wie seit Monaten nicht mehr.

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Es war Lichtmeß im Jahre Achtundzwanzig, da begab sich ein betrüblicher Umschwung in den äußeren Lebensverhältnissen Schuberts. Die Freunde hatten, von der schönen Wohnung Schobers auf der hellbesonnten Bastei allzusehr angezogen, ihre geselligen Zusammenkünfte immer häufiger aus dem Wirtshaus zu den beiden hinverlegt, und wenn Schubert nicht gerade durch die bodenlos schwermütigen Klänge zur »Winterreise« die ganze Bewohnerschaft des Hauses in Erhenkensstimmung versetzte, dann empörte der Rumor der Künstlerfreuden das gesamte Philisterium vom ersten bis ins dritte Geschoß. Kurz, Schober erhielt Kündigung.

So verzogen sie in der Zeit des qualligen, braunschmutzigen Schneekotes und des grauen Himmels in die düstere, uralte, enge Bäckerstraße: aus freier Sonnenweite in verräucherte Enge.

Da fand Schubert wohl wieder einen Weg öfter und aus freien Stücken, den er seit dem vertraulichen Grazer Leben nur mehr als Schulmeister einmal in der Woche gegangen war, um Lektionen zu geben. Er ging in das Haus, welches er nun in seinem Herzen Sonnenhäuserl taufte; in das weiland Dreimäderlhaus auf der Südbastei. Er hatte aus Furcht vor der irrlichtartigen Lust der kleinen Verführerin, die nun dort allein auf ihn lauerte, allen Unterricht von sich weggeschoben bis auf eine Stunde Korrepetition, wie es hieß: in Klavier und Gesang. Den eigentlichen Unterricht besorgte ein junger, fixer Italiener aus dem Friaulischen, nach dem er auch hieß: Domenico Furlani. Der flinke, feurige Kerl, der trotz aller Polizeivermahnungen und Arreste unverbesserlich seinen Schlapphut benebst Karbonarimantel trug und deshalb im damaligen Wien als Persönlichkeit galt, sang leicht und leidenschaftlich wie eine Amsel, konnte und kannte alles, sogar tiefes Sentimento, und die erb- und eingeborene Lust seines ewig schauspielerischen und doch innerlich so wahren Volkes zu aufregendem Verschwörertum war auch in ihm. Er lebte stets in Vorstellungen, Darstellungen, Aufopferungen und Eindringlichkeiten. Er war wie die männliche und südlichere Wiederholung des neugierigen Wesens der geschmeidigen Hannerl, und sie duckten allweil in einen Winkel zusammen und trieben mehr wildgewachsene Ausreißerpläne als bel canto und sonstige stichhaltige Künste. Freilich machte die große Begeisterung viele Mängel wieder gut und die zwei sangen, wenn sie sich zeigen sollten, wild und schön wie gefallene Engel.

Schober, der auf seinen Fahrten die bestrickende Art solcher Fixkerle durchschauen gelernt hatte und den gewandten Sänger aus Monfalcone stets Demonico Furore nannte, weil er das bildschöne und talentierte Mädchen völlig ausreißerisch machte, bat den unaufmerksamen Freund Schubert, ein Auge auf seine schöne Schülerin zu haben. Nun – der Musiker, der von einer leisen Eifersucht nicht ganz frei war, begann zunächst dem schönen Ding, das infolge ihrer leichten Siege oberflächlich geworden war, nachzuweisen, wie wenig sie könne und wie sehr sie sich verwildern hatte lassen. Das unternahm er gar nicht im Schulmeistertone, sondern mit neckendem und aufreizendem Spiele. Wenn sie gesungen hatte, sagte er etwa: »Net übel. Sie haben's grad so außerg'sprudelt wie Ihner Katzelmacher, der Demonico. Jetz' singen's es aber nach Noten, fein künstlerisch, so wie's zum Beispiel die Milder kann; und lassen's die Leidenschaft dorthin schießen, wo zwei ff stehen – oder gar zwei pp; – aber das kapieren's ja net.«

Da ärgerte sie sich sehr, sang noch einmal, und so wies er ihr in seiner versteckt lustigen Art all ihre Gebrechen nach und was sie sich von dem Italiener an Unarten und Unbesonnenheiten angewöhnt hatte. Bald begann sie über den Domenico selber zu schimpfen, zu lachen, zu spotten und seine Schwächen auszuspüren. Schubert war oft lustig erstaunt, wie scharf das junge bewegliche Ding sah. –

Freilich machte sie es mit dem dicken, kurzen Deutschen nachher gradso, zum Gaudium des Italieners. Der Respekt vor dem Können wog freilich schwerer für Schubert, infolge des untrüglichen Instinktes einer, die zur Künstlerin geboren war. Ihm, dem Ahnungsreichen, lauschte sie ganz anders als dem geborenen Könner von obenhin, dem Virtuoso aus dem Furlanischen. Aber wenn sie auch vor dem Musiker ihre Art von Ehrerbietung hatte, – der Mensch, seine Figur, Hut, Frack, Hose und Schuhe gaben unerschöpflichen Stoff zum Lachen. Der Furlaner nannte den Komponisten Funghetto, in Übersetzung seines Spitznamens Schwammerl, der rasch in alle Bekanntenkreise von Wien gedrungen war. Die an den dicken und kurzen Beinen des bescheidenen Meisters stets etwas zusammengeschobenen und also in waagrechten Ringen gefältelten Hosen hießen bei ihm Calzoni all'armonica: Ziehharmonika. Das Mädchen sprach, wie damals die meisten Wienerinnen aus gutem Hause, das Welsche flink wie ein fließendes Wässerlein, und der Übermut der beiden rollte und perlte mit tausend Possen hinter dem Rücken des, der allen schönen Frauen so wenig behagte.

*

Das ging so bis ans Ende des März: da aber riß ihr Lachen und Drollen plötzlich vor Staunen ab.

Sie war in Schuberts großem Konzert gewesen. In dem Konzert, von dem ganz Wien in Aufregung sprach und in dem der stets so still aus aller Geselligkeit fortduckende Maestro mit einem Male in dem überhellen Kerzenlichte des Festsaales als oberste Gottheit sichtbar geworden war. Nun war er anerkannt, ein Staunen und Jubeln ging über ihn los; die schönsten Frauen, die geckenhaftesten Hofleute und Dandys nannten seinen Namen in Geschwätzigkeit, und Hannerl hatte gesehen, wie er unter dem ungeheuersten Getöse gerufen und angejubelt, festlich begrüßt und berühmt in der Taghelle des Spiegelsaales gestanden hatte. Ihr kleiner stiller Freund! Alle nannten ihn groß und hießen ihn den Genius, der Beethoven in dessen Höhen nachzufolgen imstande wäre. Ihren kleinen Funghetto, das Pilzchen mit den ungeschickten Hosen! Und nun war er berühmt, belobt und beschrien von den Schwatzhaften, heiß und still geehrt von den Kennern, so daß sie die Augen schließen mußte, wenn sie an ihn dachte, als blende sie sein Licht.

Ihr Herz riß an ihr und schlug angstvoll und vorlaut, noch am andern Tage und am dritten, und fortab noch lange.

Als nach dem hinreißend schönen Trio der Tondichter im Sturme aller Hände und Stimmen erschien und, umbraust vom Jubel, dankte, hatte der Friaulaner, der unter den Gratulanten herandrängte, Schubert die Rechte hingehalten: »Italien grüßt Sie durch mich!« – Aber da hatte der berühmte Cellospieler Linke ihn mit den vor Ergriffenheit nassen Augen angeblitzt, hatte dem übermütigen Sänger die Rechte des Meisters entzogen und sie geküßt mit den Worten: »Wir Musiker können ihn nicht anders grüßen als so!«

Und das hatte das Mädchen gesehen. Nun brannte ihr das Herz, und in ihrer Aufregung wußte sie nicht, was es war: Reue? Neid? Liebe? Sehnsucht? Die ganzen Tage dachte sie an ihn, ihre Ruhe war gänzlich gestört, ihre Pulse jagten.

Sie versuchte seine Lieder zu singen, aber die Stimme versagte ihr von einem gänzlich unbekannten Weh, und nur Mignons wilde Klage: »Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide,« wiederholte sie oftmal, oftmal am Tage und zur Nacht.

*

Schubert selbst war von dem Ereignis jenes Festabends, zu dem seine Freunde fast ohne sein Zutun gerüstet hatten, so sehr überrascht und überrannt, daß er selber kaum zur Fassung kam. Er hatte nie recht daran glauben wollen! Hatte doch vor einigen Tagen eine neue Enttäuschung ihn getroffen, als der Musikverein ihm die kürzlich vollendete Symphonie, die himmlisch schöne, als zu schwierig, zu lang zurücksandte! – Und nun doch! Ehe er noch recht daran dachte, daß sein Konzert Wahrheit werden sollte, war es auch schon da. Auf Absagen und Hindernisse gefaßt, nahm er den Tag kaum recht ernst: er war ihm aufregend, unangenehm und hoffnungslos.

Und nun heller Lichtglanz, ein gedrängt voller Saal, Erfolg auf Erfolg, Jubelsturm und hundert Menschen, die ihm vor Dank und Begeisterung fast die Arme ausrissen.

Die Freunde hatten den halb Bewußtlosen dann in eine Weinstube gezerrt, es hatte Triumphreden, verwegene Prophezeiungen und viel, viel Champagnerwein gegeben und den ganzen Abend war er wie im Traume. Es wogte hochauf und hochab in ihm, er sah immer noch den gewaltigen Vogl und hörte ihn hinreißend singen, sah seine braven Musiker, die verwirrend schönen Frauen in ihren hellen Kleidern, die Vornehmheit der Herren, und trotzdem: solch ein Sieg über all diese, welche toll waren wie beschenkte Weihnachtskinder.

Er schlief dann, bei Schober, in dieser Wolke von Rosen, Klang, Schönheit, Freude und Ruhm weiter, hatte während der ganzen Nacht ein großes, wirres, bilderreiches Glücksfieber und erwachte am andern Morgen betäubt, mit leise mahnenden Kopfschmerzen, aber lächelnd in der Erinnerung, daß das Unglaubliche wahrlich stattgefunden hatte. Sein Ruhm war vollkommen.

Der gute Schober stürzte, sobald Schubert sich regte, aus seiner Stube herüber, noch in Hemd und Hosen, das Handtuch schwingend.

»Hurra, hurra: bist du wach? Draußen scheint die herrlichste Frühlingssonne, spring' aus dem Bett. Und horch' auf, Schwammerl. Weißt du, was es für dich absetzt? Der Kassenbericht ist gekommen! Na?«

Schubert, der wie gewöhnlich mit der Brille geschlafen hatte, fuhr aus dem Bett und saß stracks da, die Beine am Boden, die Hände in leichter Nervosität an der Brille umherschiebend.

»Dreihundert Gulden am End'?« fragte er.

»Achthundert. Schwammerl: über achthundert bare blanke Gulden! Herzenskerl, du bist die Juden los. Und du bist Herr und Gebieter der Häuser Haslinger, Diabelli und Artaria. Du bist einer der größten Leute von Österreich, und das ist mehr als die paar Dutzend Silberlinge. Auf, auf. Wir gehen einkassieren und dann einen Ausflug machen!« Und glücklich lief Schober wieder an seine Toilette.

Schwammerl aber legte sich vergnügt wieder ins Bett zurück, zog die Beine ein, die Decke über, kreuzte die Arme hinter dem rundwolligen Kopf und sah lächelnd zur Zimmerdecke.

Über ihm schwebte die kerzenhelle Erinnerung, das Konzert: Glänzend, prächtig, voll, erregt, farbig, wie nur je eines dieser Wiener Ereignisse. Was für schöne Leute da zusammengekommen waren! Dieser Aufwand an Bedientenschaft, Wagen und Sänften unten auf der Gasse. Da mußte ihm ja der ganze Adel von Wien zugelaufen sein. Und die berühmten schwerbehäbigen Bürgersfamilien; alle waren sie da. Und diese Weiber: mein Gott, diese Schultern, diese Arme und die zarten, schmalen Hände mit den Fächern. Und was für süße Gesichter, für nachdenkliche, träumende, liebe Augen. Schön waren diese Wienerinnen, betäubend schön!

Der junge einsame Meister schloß in verworrenem Taumel die Augen, und durch sein Herz ging der Siegeszug dieser überwältigenden, gesammelten Schönheit. Er dachte an ein Köpfchen nach dem andern, wie er sie gestern im holdesten Traume versunken angestaunt hatte; er fand kein einzelnes so heraus, daß er all die Wucht und den Aufruhr seiner stürmischen Sehnsucht auf dieses eine hätte werfen können, denn er war in alles, in alle verliebt, verliebt.

Zurückgeworfen lag er da, mit geschlossenen Lidern, und hatte Deckengemälde über sich, wie kein Maler sie noch je vermocht hatte. Schönheit über Schönheit. Und er seufzte und lachte und weinte vor Ergriffenheit. Jener Rausch hatte ihn erfaßt, auch ihn: wie er jedem übers Herz stürzt, der weiß, wie Frauen schön sein können; der ein Festkonzert überblicken durfte in der Stadt Wien.

Dies ist eine Betäubtheit, die Tage, ja Wochen dauern kann, in der das überwältigte Herz nicht mehr ein Weib zu lieben vermag und nichts einzelnes begehrt, sondern in der Fülle der Schönheit rettungslos auf und ab wogt wie ein Schiffchen bei hoher See; dies ist das Gift, das so hold zu überschleichen weiß und so schwach macht, und weshalb einsam herbe, abgewandte Männer unerhört selten sind in der allzu schönheitreichen Wienerstadt.

Und denen, welche dennoch einsam zu bleiben vermögen, starrt das Herz in ewigem Kampfe und will sich oft gegen den stolzen Willen wenden, nach den Sälen mit den Lichtern und den Juwelen, wo sie versammelt sind, die sanften Augen und die perlweißen Schultern, die den Mann unnütz, aber glücklich machen.

*

Zweimal, dreimal mußte Schober den verlorenen, verwirrten Freund anrufen, bis dieser ihm folgte und auf- und der Welt zustand.

Es begann eine verlorene Zeit für den jungen, verschlossenen Meister, in dessen Adern jenes zehrende Weltgift geronnen war. Er war nicht mehr, der er bisher gewesen. Nur sein Leichtsinn war freilich der gleiche geblieben; ja der wurde nun noch viel lustiger, seit so viel Geld da war, wie der arme Musikant es weitaus nicht gewohnt war. Er warf's kreuzfidel nach allen Seiten hinaus und Schuldenzahlen wurde nur nebenher geübt. Aber die Leute grüßten ihn nun oft auf der Gasse; da nahm er schönere Westen, spitzenreiche Krawatten, ließ gleich ein halbes Dutzend neue Röcke schneidern und hielt was darauf, daß fortab die Hosen sich nicht mehr schoppten wie eine Ziehharmonika. Schubert wurde fein; so fein er's nur vermochte, bei seiner ewigen Zerstreutheit und Musikverlorenheit. –

Hannerl sah das alles mit großen, staunenden Augen. Von der netten Kleidung des nach seinem Triumphe Wiederkehrenden nahm sie mit stürmischem Jubel Kenntnis. Nun sah er wahrhaft präsentabel aus, als er durch die Tür trat.

»Nein, Maestro, sind Sie aber schön! Und die prächtige Haltung! Ist das nur, weil der Frack so gut sitzt, oder ist es der Ruhm?«

Dann erinnerte sie sich an seinen Glanz und rief stolz und glücklich aus: »Denn nun sind Sie ja ein großer, großer Mann.« – Sie trat nahe zu ihm und fügte mit zitternder Stimme hinzu: »– mein kleiner Freund und Meister.«

»Jetzt lassen's die dalketen Redensarten, Fräul'n Hannerl, und sagen's mir wieder Schwammerl,« beruhigte sie Schubert. »Sind's denn verrückt?«

»Ach ja,« sagte das Mädchen kläglich.

»Warum denn?«

»Weil ich's jetzt gesehen und mitgemacht hab', wie großer Ruf und Ruhm ist. Was ist denn das bisserl Beifall, das bisher ich anhören hab' dürfen? So muß es aussehen; so wie unter den Fenstern des Musiksaals bei Ihrem Konzert: Wappen, Kronen, Galonierte, Livrierte, prachtvolle Viererzüge …«

»Hm. Das ist also das Künstlerische?«

»Ach, gehen Sie mir. Es ist doch das Große, das Berauschende an der Kunst, was Sie auch sagen mögen, dieses Gedräng', diese Erregung, dieses Beredet- und Bejubeltsein. Ich möchte mitten drin sitzen, oh, oh: Ich möchte auch einmal sozusagen in Champagner baden! Schubert, gehen Sie mit mir durch oder ich muß allein in die weite Welt!«

»Aber, Mäderl, nur keine Dummheiten!«

»Ich will Dummheiten machen! Ich will,« schrie sie. »Sie brauchen ja nur gescheit zu sein. Oder ist es nicht die größte Dummheit von Ihnen? Da, da stehe ich, und Sie können mich haben, ganz: mit Haut und Haar. So schauen Sie; so rühren Sie sich; so mucken Sie, so reden Sie! – – Bin ich nicht hübsch?«

»Ach, ja; sehr. Sehr!« seufzte Schubert.

»Sind Sie nicht in mich verliebt?« rief sie ungeduldig.

»Hannerl – – –« rief er und atmete tief. Dann sagte er: »Aber das ist ja verrückt. Es kann nicht sein und darf nicht sein. Ihr Vater ist mein Freund. Er hält mich für wen und soll nicht wieder glauben, daß ich ein Lump bin, – wie schon früher einmal …«

»Ja, da hat er Ihnen die Resi abgeredet. Und wollen Sie's ihm nicht heimzahlen? Franz: Ich frag' nicht mehr! Nie mehr, wenn Sie nicht augenblicklich wissen, ob Sie mit mir wollen oder nicht.«

Aber über das angstvoll kämpfende Herz war schon der Name der nie vergessenen Jugendgeliebten gesunken. Schubert nahm seinen Zylinder. »Ich geh', weil ich nicht schwach werden darf, Hannerl,« sagte er gefaßt. »Und Sie, Sie lieben nicht mich, sondern den Glanz und den Ruhm. Das ist alles. Hab' ich recht?«

Sie wandte sich in Zorn und Aufregung fort und war blaß geworden.

»Adieu,« sagte er leise und ging.

Die Tür klappte zu. Einen Augenblick horchte sie. Dann schoß ihr das Blut in die Wangen, ihre Augen blitzten. Sie riß das Fenster auf und beugte sich in den Hof hinab. »Domenico!« schrie sie. »Domenico! Furlani! Maestro Furlani!« Dann sank sie mit einem Seufzer, der so wild wie ein Schnauben oder ein Schrei war, in ihr Sofa und wartete. Daß der andere käme!

*

Den ganzen hellen April lang hatte Franz Schubert vollauf beides, was zum lustigen Tage gehört: Geld und Leichtsinn.

Das einzige nagte in ihm: Die Verführung, die nahe an ihn getreten war; mit ihr, der Schlanken und brennend Sehnlichen; die, von seinem Ruhm zu sinnloser Ehrsucht verwirrt, mit ihm in die Welt hinaus wollte. Ob er dennoch zugriffe? Nein. Ob er zum Vater hinginge und um sie als Frau bäte? Nein. Ob er Freund Tschöll warnte? Nein. Nichts tun, nichts wissen; vergessen, was ihn verführen wollte und der Welt des brennenden Blutes fremd bleiben. Denn sie, die andere Welt, die endlose Blauweite stand ja wieder so weit offen! Hinaus und hinein in die Arme des ewigen Gottes! »Und vergessen soll sie sein,« fügte er hinzu, »die dritt' und letzte aus dem Dreimäderlhaus, dem verflixten und verhexten!«

So lief er oft in die Wälder und Hage, die voll Dranges standen, und war unruhvoll, vielspältig! Und oft auch rannte er in den platten Tag und in jenes Leben, das andere Glück und Genuß nennen und das auch er sich nun kaufen konnte. Den ganzen neckenden April lang hatte er Geld.

In jenen Tagen wurde Franz Schubert viel lustig gesehen mit Freunden. Und mit Mädchen freilich auch; zu Nacht, wenn seine Lust zu verzweifeln begann. Dann vergaß er, wie billig diese Liebe war. Aber fast sein ganzes Wesen enthüllte sich in jenen Tagen, da er das große Los, das ihm nun alljährlich gezogen werden sollte, den sicheren Ertrag seines Konzertes, verjubelte. Dieses Wesen glich in der drangvollen und vor Fülle fast desperaten Entladung einem weitverzweigten Blitz; es fuhr nach Aufgang und Niedergang, griff feurig nach aller Welt, wollte entzünden und fressen wohin es kam und verzischte in der Endlosigkeit der Nacht.

Wie sagten sie von ihm, die ihn kannten? »Er war derbsinnlich und zart, genußliebend und treuherzig, gesellig und melancholisch, bescheiden und trotzig, aber offen und kindlich in all den Äußerungen dieses Wesens!« Ein Menschenkind, ein ganzes – und überirdisch nur in seinem Verlangen und in der Sprache, die ihm dazu gegeben war.

Dieses Tummeln im allgemeinen Bach, das er wie das Bad lärmender Jungen mitmachte, erfreute ihn zuerst aufs köstlichste. Es war Erholung, erquickender Gegensatz, und Geld ausgeben zu können, das war prächtig. Nach dieser Zeit sah er wohl öfter nachdenklich in sich hinein und sagte mit dem verborgenen Ernste in ihm, der bisher zu alldem so seltsam schwieg: »Es ist nicht recht, so dumm zu tollen; ich weiß es. Aber nur ein paar Tagerln noch. Nur noch eins!«

Jedoch es wurden wieder mehrere Tage und eine Woche. Immer öfter sah er nachdenklich nach sich selber zurück; nach seinem innigen, innerlichen Wesen, das weiß Gott wo in der fernen Tiefe zu stehen und traurig zu warten schien, bis er zurückkäme. Vormittags arbeitete er wohl wie stets: Aber es waren Märsche, Walzer, Ekossaisen; freilich von unverwüstlicher Frische, hell, vielfältig, wohllautend und stark wie dieses Leben im Frühling: mitten unter Freunden und manchmal an jedem Arm ein Mädchen! Diesmal brannte die geheime Flutwelle dieser wundersam erregten Erweckungsperiode – vom März bis zum Mai – wenigstens nicht so wahnwitzig in ihm.

Aber sie wandelte sich zu anderem Verlangen.

Es geschah zuerst, daß er sich von den Mädchen wegsehnte, mit denen eine flüchtige Bekanntschaft ihn verband und von denen er auch leicht loskam. Sie gingen sogar leichter und sorgloser ihres Weges als er, der nach solchen wilden Wegen, so sehr er sich ihrer beim Weine rühmen mochte, in das Gefühl einer tiefen Unerfülltheit versank. Es war so nehmensunwert, so die liebe Lebenszeit entehrend, was er da statt Liebe nahm und gab. So tief bedrückend. Und aus der größten Niedrigkeit seiner jungen Tollheit schwang sich die wohllautendste Sehnsucht empor, ein wehmütiges Begehren nach Reinheit.

Und von der leichtfertigen Liebe dieser Putzmamsellen und Kellnerinnen, die er zwar nicht mit Gelde, wohl aber mit einem lustigen Zechabend oder einer Wagenfahrt ins Grüne und lachender Geselligkeit gekauft hatte, verlangte ihn zurück nach der himmlischen Liebe: dem überdrängenden Gottesgefühl, das er besessen hatte und mit dem er trotz alles Wehes reich gewesen war. In ihm allein ruhte die rechte Liebe: die, die ihm zugemessen war. Und aus einem Leben, das für ihn nicht gemacht war, aus einer Partie in das Land der tausendfältig Irrenden, die für den Tag geboren sind, suchte und ruderte er nach sich selber zurück und nach dem mächtigen Feiertage seines Gottesgefühls.

Nur wieder sich selber gehören: nur wieder daheim sein: Dort, wo das Leben entbehren mußte, um zum Kristalle der Sehnsucht zu werden. Denn geschaffen war er, ein Symbol göttlich leichter, göttlich inniger, göttlich geordneter Schönheit zu geben, und in all die Süßigkeit den bitteren Wurm zu legen, der sich wider diese Welt windet. Die Mahnung, die er ahnte wie kein anderer.

Eben er, das tagleichte Wiener Kind voll reicher Fülle.

So rang sich sein Wesen nach dem Schwärmen wieder in die Tiefe, wie das Insekt im Herbste, das hinunter muß unter die vielfältige und holdblühende Erdrinde, fort von den Bäumen, Blumen und träumerisch wehenden Gräsern der Wiese in jene dunkelbraunen Tiefen, welche der Frost nicht erreicht, um dort sein neues Leben zu bereiten: jenes Stückchen an der Unsterblichkeit, das ihm zugebilligt ist, indem es sein Ei legt.

So rang auch er sich den Tiefen der Einsamkeit wieder zu, um zu tun, was er allein von Millionen konnte und mußte, und was ihm Glück gab.

Nicht ohne Rückfälle nach den bunten Farben der besonnten Oberfläche geschah dies, und von einer köstlichen Rezidive soll noch erzählet sein.

Derer trug die Schuld der erste Mai, der zu Wien in alten Zeiten ein Tag des siegreichen Lebensgenusses war wie kein anderer. Ein Auferstehungsfest des lieben Truges und der wonnig getäuschten Jugend, der Farben, der Moden, der Herrschaften und Barschaften und Liebschaften, des Hofes und der Schaulust, kurz aller Sinnlichkeiten der buntesten Oberfläche des Lebens.

Der erste Mai im Prater! An dem sich die nie Erlösten, die sich nur aneinander ewig erlöst fühlen und sich für die Blüte und Trefflichkeit des Lebens halten, bloß weil sie bunt und sorgenfrei sind, dem erfreuten Volke zur Schau stellten; gewiegt in köstlichen Wagen, schwimmend in Tüll, Seide und Blumen, lieblich betörte Jugend und eitles Alter, neben- und nacheinander, alle aber sehenswert, beneidenswert und schön; eine Parade des Lebens, das obenauf ist, ohnegleichen!

»Du, das machen wir einmal mit,« hatte Schober zu seinem Freunde gesagt. »Wer in Wien etwas gilt, muß sich da sehen lassen können und in Erinnerung bringen. Die schönen Frauen werden sich anstoßen: Aha, unser Schubertl vom Konzert her! Schön, daß er heute zu uns kommt. Und du wirst sie alle wiedersehen, die dich berauschten und entrückten. Du wirst abermals den Duft des Glückes, der Jugend und Schönheit haben und die wunderbaren sanften Augen werden dich wieder um Glück und Seele fragen, die du ihnen geben kannst, du Reicher!«

Da nahmen die Freunde den leichtesten, grazilst gebauten Wagen, der zu erhalten war, taten sich Veilchen und Maiglöckchen ins Knopfloch, und der Kutscher trug sogar eine rote Rose auf hochgelbem Frack. So fuhren sie von der Bäckerstraße, umwundert von armen Zurückbleibenden der Alltagsnot, in die lächelnde, nickende Welt des Gelingens hinein, durch die Jägerzeile in den vollen, brausenden, festlich durchdrängten Prater, um in der Hauptallee das Paradies der Erfülltheit bis zum Lusthause zu durchfahren, eine Meile weit beinahe hin, zurück, hin und übermalen zurück, daß die Sinne wirbelten.

Erst raste der Fiaker und suchte zu überholen, was möglich war; damit man merke, er führe Herrschaften. Im Rückfahren trabte er ganz gemächlich: man sollte sich nun auch kennenlernen.

Und die Freunde schauten unter Hüte und Blumen, unter Duft und lose Stoffe und Farben in Schönheit und wieder Schönheit hinein oder doch, wenn diese einen Augenblick mit Alter wechselte, in lächelnden Sieg. Oder wenn Großgewerksleute oder Bankiersfamilien kamen, in lustig knallenden allerneuesten Triumph, der nur noch Zeit und Generationen brauchte, um fein, still und schön zu werden. Die schönen Frauen guckten und hoben die Hälse; Schober, der überallhin bekannt war, grüßte und winkte, die reizenden Köpfchen nickten und lächelten immer wieder, dutzende Male stieß der Freund den glücklich duselnden Schwammerl an, er sei erkannt worden: bald mit einem aufleuchtenden Blick, bald mit leisem Aufschrei, bald mit neckendem Zuruf und bald mit überraschtem Emporsetzen und Umschauen: Was!? Der gehört auch schon zu uns?

Dann rissen sie beide wieder die Hüte von den Köpfen und grüßten in fröhlichem Schwunge den Kaiser Franz, welcher heute mit seiner Tochter, Kaiserin der Franzosen von einst, der breit in die Welt hinausblühenden Maria Luise da war. Ein herrlicher Viererzug weißer Vollblutpferde. Und der Kaiser, trotzdem er alles gebändigt haben wollte, was nicht blanke Freude der Oberfläche war, war ein Kaiser; ein Ganzer, Hochherrschender, Kühlüberschauender, mit seinem weißen, ehrwürdigen, hohen, dünnschaligen Alterassenkopf.

Und Erzherzog Rudolf, der zu Schubert ein leises, hoffnungsreiches Lächeln hinblinzelte. Nun freilich, da Beethoven tot war! Und dann kam Metternich, lächelnd zurückgelehnt in seinen Glanz und seine Macht, ein dünnes Bein übers andere: souverän im Kreuzgezischel und den lauernden Blicken der Hunderttausende, die er bändigte.

Gentz! Ganz den schönen Frauen gehörig. Sedlnitzky, mißtrauisch und verlegen lächelnd, aber auch er war da und wagte, sich sehen und beneiden zu lassen. Und dann wieder rosa und elfenbeinweißer Tüll, kleine Sonnenschirme oder große Guckerlukuhüte, Schultern schlank und rund, bräunlichblaß und perlweiß, Reiter im Frack, alte Herren mit Zylindern wie Palmkübel, junge Hofmacher in, neben den Wagen, steifstolze Kutscher und Bediente vorn und hinten, und dazu in den Alleen rechts und links das Gedränge der Wiener. Gassen von Gesichtern, gekreuzte spanische Reiter von gaffenden Sehstrahlen; Neid, Ehrfurcht, leiser Spott, ehrliche Schaulust, Familiengefühl nach all dem Glanze hin, herzliche Teilnahme und frohgrüßende Blicke, alles das in verschiebender Mischung, unter Schirmen, Hüten, Fächern, farbendurchrollt, wandelnd, sich stauend, stockend und immer, immer erregt und festtäglich.

Und die Sonne durchwärmte alle Farben, schoß zwischen den Blättern Koketterielichtlein über das Wagengedränge, spielte, zitterte mit wechselnden Schatten und segnete das ganze Bild des Lebens und der Lust, so daß dem kleinen Musikanten das Herze hochauf schwoll, als gehöre er selber mit zu den leicht Lebenden und den Herrschaften. Wie im Taumel, wie im Rausche ließ er sich auf und ab führen, erkennen, belächeln, und er grüßte nach allen Seiten mit stiller, gehalten sittlicher Würde.

Er machte sich sehr gut, und selbst der Adel freute sich, daß Franz Schubert mit dabei war. »Nun kommt er doch,« hieß es. »Das kleine Rauhbein ist auch kaptiviert. Mein Gott, man braucht so erquickende Originale. Werden sehen, wie er sich weiter präsentiert.«

Ja: nun war Franz Schubert eingeführt und gutgeheißen von der großen Welt, und den Nachmittag und die Nacht noch war er voll von den Farben und der Schönheit dieses Tages.

»Und was nun?« fragte er sich am andern Tage und fuhr in seine Taschen.

Seine Mittel langten noch gar wohl, solch ein Leben wie in den letzten Wochen samt einer Praterfahrt vierzehn Tage fortzusetzen. Sollte er's noch mitmachen, solange? Und was war er dabei? Was galt er für sich selber dabei?

Hm. Diese paar Dutzend Gulden, die übrig waren, würden wohl auch dafür auslangen, einen ganzen Sommer Kost und Station hoch oben im Häuschen am Waldrande des Schafbergs zu erhalten. Göttlich überlegen über der triebvollen Stadt; heilandsmäßig schlicht – und billig!

Er schwankte gar nicht. Es riß all seine Sinne saugend nach einwärts, in sich selber zurück, ins Tiefe, Versunkene. Und er trug sein letztes Geld zu Philemon und Baucis auf den Schafberg und kaufte sich dort für den ganzen Sommer frei.

Das wenige, was ihm nun noch übrigblieb, hörte man kaum, in schüchternem Geklimper verloren, im Bausche der Hosentaschen.

Aber am dritten Mai, da tat er sich's an und kaufte sich eine Knackwurst, ein Stück Brot und einen Schluck Wein und ging abermals in den Prater. Trotzig und zu Fuß, durch die Hauptstraße bis zum Lusthaus, aber dann selig erleichtert in die Gründe der Freudenau, wo die Wildenten in den stillen Schilfwassern ihre rudernden Jungen führten, und in Alleen, durch die über tiefschattigen grasbewachsenen Straßengrund kein Wagen fuhr, während ihre mächtigen Baumwände mit Millionen blühender Kastanienkerzen zum Himmel strotzten.

Da war es weich und kühl und versöhnt!

Er brauchte jene Augen nicht, die ihm Gnaden aus der Welt der Handschuhe zuwinkten, und nicht das Getriebe und Gedränge derer, die sich vorlügen, obenauf zu sein.

Obenauf war er, arm wie er wieder war! Denn das heutige stolze Hochblühen seines Herzens war viel, viel schöner noch als die ganze Praterausfahrt. Um ihn sang und schallte es, in ihm sprangen wie hundert Brunnen seine Melodien, und eine Lust, eine Leichtigkeit und Freude zu leben wuchs wie aus seinen Stiefeln in die ganze Persönlichkeit empor, daß der kleine, gestrammte Mensch glaubte, er platze vor Glücksgefühl.

Er lachte vor Freuden, wie man sonst nur über einen herzlichen Scherz lacht.

O Glück und Lob der Armut! Endlich, endlich wieder das allzu viele Geld los sein, das ihn ablenkte, hinderte, an jedem Zufall festkleben machte und ihn ganz verschändet hatte! O Glück und Lob der Bedürfnislosigkeit, der paradiesischen! Nun war er wieder er selber, und was für ein Staatskerl!

Das war einmal eine Sommerszeit, die hatte Früchte hundertfach. Schubert war so froh und vogelleicht, seit er dem Irrtum dauernden Genusses entronnen war, wie kaum in den besten oberösterreichischen Wandertagen oder in den Zeiten der treuherzigen steirischen Geselligkeit. Während die Alten auf dem Schafberge sein Zimmerchen für die Tage nach der Heumahd richteten, genoß er schon in der kühlschattigen Stadt das Werden jener sechs heiligen Wochen der Zeugungsblüte, die vor Sonnwende stehen. Alles in ihm war Erfülltheit, alles himmlische Leichtigkeit der Reife, die von selber da ist. Und hatte er sich bis nach dem Mittag im Glücksgefühle seiner Unerschöpflichkeit versprudelt, in gedrängten, selig hingehasteten Noten, dann ging er mit einem höheren Mute und einem beglückteren Stolz zum Haidvogel durch die Gassen mit den Palästen der Großen dieser Welt, als alle diese, zusamt dem Staatskanzler, in ihren besten Stunden kannten. Er verspürte es oft gar nicht, daß er ging; er war sich wie eine dahinrauchende Wolke, so körperlos vor lauter Ideen! Und wenn dann das gemütliche Lokal, in dem gleich ein paar Gitarren und noch mehr große Tabakspfeifen von Stammgästen an den Wänden hingen, ihm den Überschwang jener Welt herunterstreifte, da setzte er sich fest und gesund in dieses Leben auf seinen Erbeplatz und ließ sich die Suppe und das köstliche Rindfleisch mit Kohl und gerösteten Kartoffeln zusamt dem Seidel Bier herrlich schmecken, ein Mahl, wie er es ähnlichermaßen täglich genoß, und stets um sechzehn Kreuzer Wiener Währung, alles miteinander, samt einem Kreuzer Trinkgeld! Und ihm, der kurz vorher manchen geselligen Gulden nach ermüdendem Gelage vielen andern nachrollen hatte lassen, quoll das Herz saftig vor Vergnügen über die eigene Genügsamkeit und die liebe Billigkeit dieses Lebens, das mit all dem erst recht schön wurde!

So lebte er mit lachenden Backen und freudvollen Augen in einer Zeit, in der ihm sonst vor Sehnsucht nach der freien Weite die Seele im Leibe rebellisch worden wäre. Selbst daß er bei dem bescheidenen Zuflusse seiner Honorare, die einzelguldenweise herbeisickerten, nicht zu den rufenden Grazer Freunden wiederkehren konnte, tat nicht sehr wehe. Denn sobald die Schmerzen der Sehnsucht aufbrachen wie rote Knospen, waren sie auch schon Ton und Erlösung geworden.

Für die zudringliche Welt war Schuberts Adresse in jenem Sommer in Währing, bei Schober. Er selbst aber wohnte selten dort. In dem Häuschen am Schafberge, wo die schlanke Weinstange mit dem Föhrenbüschel über spitzem Strohgiebel vor dem Himmel gaukelte, dort brachte er seine allermeisten Tage zu, gänzlich versteckt wie ein Flüchtling, und dort begann des Sommers beste Reife. Dort war die tiefste Beseeltheit zu Hause, die es in jenem Jahre nicht nur über der Stadt, sondern vielleicht auf der ganzen Erde gab. Sicherlich war kein anderer Mensch so ruhgemut glücklich, als Franz Schubert in dem Giebelzimmer bei den beiden alten Leuten, deren kleine Weinwirtschaft er nur an Sonntagen floh; gegen Weidling am Bache zu, wo die große, kühle Mühle war, oder noch tiefer in den Wald hinein, der so endlos nach dem Westen griff.

Freilich, Schwind war schon wieder fortgebraust. Der hätte sich über das Einsiedeldasein gefreut, hätte vielleicht wohl gar mitgehalten. Aber der lustige Maler gehörte schon wieder der weiten Welt, der äußerlichen freilich, so hinreißend schön sie war. Dem Musiker jedoch ward die innere in jenem Sommer zuteil wie nie zuvor. Er fraß sich in Arbeit wie ins Schlaraffenland hinein, und seine Gier vergaß die Mittagsglocken und den Ruf der alten Leute, so groß war die herrlichste der Versunkenheiten. Diese vor Glück zitternde Raserei des Eindringens und Findens wurde immer erregter, je mehr der Sommer zur Hochglut gedieh. Wie ein Schweißhund, der auf der Rotfährte des krankgeschossenen Hirsches sich in die Leine legt und reißt und zerrt und vor Aufregung an allen Gliedern zittert, je näher er an das Wundbett des Verblutenden gelangt, so stachelte sich seine wahnfrohe Lust am Schaffen in jenen tödlich heißen Tagen zwischen Juli und August mehr und mehr. Er ließ sich sein bißchen Essen neben die Arbeit bringen, sah hin, vergaß es, und weiter flog die Notenfeder. Dann nahm er einen Bissen, einen Schluck, die Augen auf seinen Schatz eingestellt, besserte da und dort und versank sogleich wieder ins Schwellen der himmlischen Musik, weit fort von Essen und Trinken. In den Tagen, da die andern Menschengesichter braun wurden, verblaßte das seine vor schüttelnder Aufregung und vor dem Fraß der zehrenden Ideen.

Die alten Leute hätten beinahe den nicht mehr erkannt, der fast stets nur herausgekommen war, um bis über alle Maßen zu zechen und dann in einer verheimlichten Dämonie vor sich hinzulächeln. In den Stunden, wo die Sonne fast senkrecht über der empfängnisbetäubten Erde stillehielt und im eigenen Glaste trunken oben festzuhängen schien, da schlief doch sonst alles. Der Wind schlief, und es schliefen die Hühner. Die alten Leute schliefen und unten die Stadt. Ja, die Zeit hielt inne, schien es. Er aber, der Kleine, Aufgewühlte oben im Giebelzimmer, er keuchte vor dem Anprall ganzer Geschwader von Einfällen, die er gar nicht alle aufzufangen vermochte. Dachstubenhitze war in seinem Zimmer und zerglühte alles Leben zu Traum. Bis auf die dicken Brummfliegen, die wieder gänzlich verrückt wurden und sich in verzweifeltem Wahnsinn die dicken Köpfe an den Fenstern zerstießen. Aber die erhöhten gerade das volle Gesurre seines Hirns. Nichts war sonst als dieses tolle Brummsen, dies tiefzornige sommerliche Anprallen an die Fensterscheiben, die der ans Jenseits Verlorene nicht auftat, und seine schweren Atemstöße und das gehetzte Schnarren der Kielfeder.

Ach, dies Zeugen, das sinnlose und doch so tiefe Hinhetzen nach dem Verknotungspunkte im Jenseits: das größte und tödliche Glück brütete und brütete sich hier zu Ende.

Zu Ende … War es Angst, was hier Werk auf Werk drängte?

Der Erntemond streckte und trägte sich dahin, und es war kein Aufhören der berückenden Einflüsterungen dort oben in dem Häuschen am Schafberge. Selten kamen die Freunde, und auch die nur an den Abenden, wo dann Schober den Freund mahnte, als er hörte, daß in den letzten Tagen Schwindel und Druck im Hirn die Arbeit geschmälert hatten. Er schalt:

»Du begehst immer Ausschreitungen: bald im Genießen, bald im Schaffen. Was soll das werden? Es zehrt dich ja auf. Der Sommer ist zur Erholung da. Jenger will dich nach Graz bringen. Spaun und ich geben dir das Geld. Zahl' du es nach deinem nächsten Triumph wieder oder nach dem zehnten Konzert meinethalben, nur brich da ab und geh in die liebe, leichte Welt hinaus. Das Jahr neigt sich, und die Tage werden kurz.«

»Ja,« sagte Schubert nachdenklich, »allzu kurz.«

Und er blieb oben. Als dann seine Mietezeit zu Ende war und üble Regentage einfielen, war er noch einige Tage bei Schober, der in die Tuchlauben verzogen war. Aber auch dort vergaß er des Lebens und wußte nichts anderes als »Noten zu hetzen«, wie Schober ihn vor den Freunden anklagte.

Einmal trat er, wirklich aufgeregt, zu Schubert und rief ihn an: »Was zuviel ist, ist zuviel! Warum verfrissest du dich so in ein Tun, das dich zerstören muß?«

»Ich weiß nicht. Ich muß. Vielleicht muß ich zerstört werden.« Und Schubert kicherte wieder sein eigentümliches, rätselhaft verdecktes und gepreßtes Lachen, leise und scheu wie immer.

Und er senkte das Haupt und sann über den Worten eines Liedes: »Was ziehst du mich, sehnend verlangender Sinn, hinab, hinab? – –«

*

»Du wirst doch erwachen müssen,« sagte Schober eines Tages, als er zu dem gänzlich Versunkenen trat. »Da sind auch andere, denen du hättest helfen sollen. Warum hast du Hannerl im Stich gelassen? Warum bist nicht ein einzigmal von deinem Waldberg zu ihr gekommen? Du hättest sie zu halten vermocht. Jetzt ist sie fort!«

»Fort?« sagte Schubert noch halb gedankenlos.

»Tschöll hat dir doch alsogleich und dringlich geschrieben. Hast du doch den Brief – –?«

»Da liegen mehrere,« sagte Schubert betreten.

»Und alle zu, und alle gedankenlos liegen gelassen!« zürnte Schober. »Der Vater in seiner Einsamkeit und Verzweiflung und Schande hat nach dir gerufen, und du bist nicht gekommen!«

»Aber Jesus, Maria und Joseph, was ist denn geschehen?« fuhr Schubert endlich auf. Nun erst hörte und verstand er.

»Hannerl ist fort. Durchgegangen ist sie! Mit dem Italiener und will Sängerin oder Komödiantin werden!«

Schubert sprang empor; bleich, ganz bleich.

»Mich hatte sie vielmals ausgefragt, weil ich mit einer Wanderbühne reiste, und ich erzählte ihr – aus Eitelkeit und Erzählungslust – nur das abenteuerlich Reizende. Jetzt weiß ich wohl, wozu das war.«

»– – – Da muß ich freilich zu Tschöll gehen,« sagte Schubert mit tonloser Stimme.

»Deinen Hemdkragen, die Binde!«

»Ja, so!« Und der tief Gestörte machte sich fertig, rannte über den Kohlmarkt gegen die Augustinerstraße und nach der Gegend des Wiednertores.

Da gab es freilich niedergeschlagenes Bekenntnis. Das Mädel hatte einen Sommer lang in verdeckter Schlauheit Geld gesammelt wie ein Bienchen ihr Winterfutter und dabei geübt, Rollen gelernt und probiert bei Tag und Nacht. Auch sie so wahnwitzig wie die Fliegen, die surrend gegen das Fenster stoßen und in die Weite wollen. Dann war sie mit dem ersten September, am Abend vorher oder in der Frühe, das war noch nicht auszumachen gewesen, fort. Sie hatte einen zuversichtlichen Brief zurückgelassen, der voll dringlich lieber Bitten war, wie sie dergleichen so gut konnte: man solle ihr die Fahrt nach der Sonne des Südens und zum Ruhme nicht abreißen.

Aus Angst vor Schande hatte Herr Tschöll geschwiegen, bis Schubert kam, und wie er in das besorgte, gute, runde Freundesgesicht sah, da brach der starke, sonst so behagliche Mann zusammen und weinte.

»Kopf hoch, Freund Tschöll!« sagte Schubert. »Es ist doch noch die Frage, ob Hannerl dem Welschen zugefallen ist oder nur der Kunst.«

»Ich fürchte, beiden,« klagte Herr Tschöll. »Die Schmach ist nicht zu ertragen für uns beide. Mutter hat den Dienstboten vorgemacht, das Mädel wär' nach Dresden in die Singakademie gegangen, zum Herrn Mosewius, und so lügen wir weiter und berichten's den Bekannten, derweil in uns die Schande frißt.«

Es war freilich das erstemal, daß im strengen Wien jener gebändigten Zeit ein Bürgerskind solch einen Extrastreich gewagt. Aber Schubert sah's nicht so schlimm an.

»Du, Tschöll,« sagte er, »hör' zu: Du, ich wär' auch durchgegangen! Meinem Vater zuerst, dann aus dem Stadtkonvikt, und später noch manchmal. Weißt du, an was es mir gefehlt hat? An Mut und Selbstvertrauen. Die, die kleine Schwarze, die hat's. Und sie braucht's. Denn bei der Komödiantin muß das Temperament nach außen springen. Bei mir brennt's bloß nach innen. Talent hat sie, Wildheit hat sie, Mut auch, was willst du? Es kann ihr nicht fehlen, und der Weg, den sie macht, ist eher neidenswert als zu beklagen. Geh, du wirst dich selber freuen, wenn sie als große Künstlerin zurückkommt.«

»Und wenn sie als Gebrochene, als Verworfene endet und all ihr Talent ihr zu nichts verholfen hat, als vielleicht zu einem Bankert?« schrie der Verzweifelnde.

»Dann,« sagte Schubert bedachtsam, »dann bleibt ihr immer noch das letzte, süßeste Glück: die tiefe Einkehr in sich, die Reue und die Heimkehr in den Frieden des Elternhauses. Die Hoffnung auf dieses Paradies der Entsagung aber wirst du deinem wilden Mädel doch nicht nehmen!«

Herr Tschöll schwieg. Aber in seiner brennenden Liebe zu dem verlaufenen Kinde wünschte er sie sich heimlich lieber gefallen und zurückgekehrt, als draußen in den Triumphen der Ferne.

»Geh, schreib ihr das!« bat Schubert. »Wohin ist sie?«

»Nach Venedig, zur Mutter des Furlani.«

»Du, das ist ein gutes Zeichen! Die Italiener hängen vielleicht zärtlicher an ihren Eltern als wir. Wenn der Fixkerl das Kind seiner Mutter zubringt, ist das ein Zeichen von Ehre und Ehrfurcht; Gott sei Dank!« rief Schubert.

»Meinst du?« fragte der Vater, indem er sich mit unbeschwerterem Herzen aufrichtete.

»Seit du das erzählt hast, ist mir selber ganz leicht. Und liegt nicht ein Beweis von gutem Gewissen darin, daß sie in den Staatsgrenzen bleibt, wo du sie doch in der Hand hast bei einer Polizei wie der unseren?«

»Ein kleiner Trost wäre das wohl; ein ganz kleiner, aber doch ein Trost,« sagte Herr Tschöll nachdenklich. »Ich will die Mutter herrufen, und wir beraten dann zu dritt. O Franzel, warum hast du dich so gar nicht um das Mädel gekümmert? Dir hätt' ich sie gegönnt!«

»Mir?« sagte Schubert erschrocken, und sein Herz zuckte in Reue und Verlangen auf.

Der Vater legte den Kopf in die Hände und schwieg.

»Du, Tschöll,« sagte Schubert mit bebender Stimme, »das hättest du mir auch früher andeuten sollen.«

»Ach, nun ist es alles eins. Warum hast du nichts gemerkt?«

»Wo du mir doch die Theres abgeredet hast, weil ich ein armer Lump war!«

»Damals warst zwanzig, und man hat noch nicht gewußt, was werden soll. Jetz' bist wer, und ich kenn' dein Herz.«

»Tschöll, Tschöll,« sagte Schubert in tiefer Trauer, »jetzt hast du mich so unglücklich gemacht, wie du selber bist.«

»Möch'st sie denn noch?« fragte Tschöll leise.

Schubert sah zu Boden. »Nein,« sagte er dann in gepreßtem Ton, »jetzt nicht mehr.« Er wandte sich und ging fort, soviel der verzweifelnde Freund ihm nachrief, zu bleiben, zu raten, zu helfen.

Es war das letztemal, daß Schubert im Dreimäderlhause geweilt hatte, das nun leer stand; gänzlich leer.

*

Schubert zog an demselben Tage von Schober fort. In ein elendes, feuchtes, neues Haus auf der Wieden. Verkriechen mußte er sich wie ein wundes Tier. Seinen Bruder, der ihn dort aufnahm, bat er um nichts als Einsamkeit.

Seine Sinne waren ganz und gar in Fühllosigkeit eingegossen, sein Kopf wie tot. Alle Gedanken waren, als hielten sie den Atem an, denn das Herz selber lag im lebenden Leibe wie in einem Sarge und schien kalt und starr wie ein Eisklumpen. Dieser Zustand des Eingeschlafenseins alles dessen, was Gefühl hatte, währte bis in den Abend, die einsame Nacht, den andern Tag lange über Mittag. Auch der zweite Tag neigte sich schon, und er saß immer noch gänzlich eingestillt in seinem Zimmer. Schober hatte nachgefragt, er hatte ihm kaum mit der Hand geantwortet; müde fortwinkend.

Erst als in dem mörtelmuffigen Zimmer die feuchten Flecke an der Wand sich abermals in den tiefdämmerig gewordenen Raum hinauszustrecken schienen und als Undeutlichkeiten ineinander schummerten, – als es wie Wolken um seine Augen zog, kreiste und sie dunkeln machte, erst da begann sein Herz wieder wehe zu tun. Denn nun kam die einhüllende Nebelflut wieder, jene gramvoll graue Vesperstimmung, die: zwischen Allerseelen und Advent! die er so schrecklich gut kannte! …

Und wehrlos stand sein Herz in der tiefen Flut der tödlichen Trostlosigkeit, die ihn und sein ganzes Zimmer hoch über seinen Kopf hinaus bis in die letzten vier Ecken der Stubendecke übersteigen und alles, alles ausfüllen konnte.

Es war nicht eigentlich wegen dem dunklen, reizvoll sündhaften Mädchen. Es war nicht wegen dieser drei, die an ihm vorbeigegangen waren wie drei verschiedene Farben, welche die Augen der Liebe haben können. Es war wegen keines Weibes! Es war, weil seine Verlassenheit so groß, so schwerdeutlich worden war.

Freilich: auch jene drei: Die eine wäre kluge, stillgeordnete Erfüllung gewesen; die Älteste: Hedderl! Immer sorgend um ihn, sein Leben mit zartbehutsamer Hand zurechtrückend, immer herrichtend, bereitend, voll lieber Sorge und Obhut. Und ihre Herzen hatten einander kaum gestreift. Wie im Traum war ein Ton erwacht, der in beiden schüchtern aufkam … geboren, verloren, wie das Anschlagen einer Glocke im Wind. Sie gingen aneinander vorbei, bevor sie wußten, daß sie sich nahe gewesen waren.

Die Zweite! Die gütereiche, angstvoll Reine, die so gut anschauen war, so gut. Ihre Stimme war kinderherb im Timbre und dennoch so hauchruhig, so weich wie ihre schüchterne Seele und wie ihr Name: Heide! Dieses Geschöpf war so gänzlich Geschenk, so sehr Hingegebenheit: ein köstliches Ding für den Mann, auf den ihr ahnungsloses Herz wartete. Ihr Herz, das trotz leiser Schwäche nie anders konnte als treu sein. Das Motto des alten Liedes, des Liedes auf die deutsche Frau, war wie auf sie gesungen! »Ein getreues Herze wissen hat des höchsten Schatzes Preis.« Ihr hätte er alles sagen und klagen und gestehen können. An ihrem stillen Busen wäre Heimat gewesen! Jenes wunderbare Zuhausesein, jene Geborgenheit, wenn Lieb bei Liebe ist, wo dann alles, alles gutgemacht ist und nichts mehr in aller Welt wehe tut. Solche Heimgefundenheit kann ein treues Frauenherz bedeuten.

Die Dritte aber war das heiße, raschatmende, töricht schöne Leben. Sie war das Flüstern der Wünsche, war das jähe Klopfen der Pulse, war die Phantasie. In die Welt des Flitters, der bunten Lappen und des Rampenlichtes war sie entflohen, deren Augen erst vor den Heimlichkeiten der Nacht aufsprühten und deren blasse Haut bei Kerzenlicht Farbe bekam. Lockung und Verführung war sie gewesen, und trotzdem hätte sie zu ihm, seinem Leichtsinn und seiner Armut, ja zu all den Wechselfällen seines Lebens, das zwischen lachendem Schuldenmachen und brausendem Ruhme schwankte, getaugt; gut getaugt, die Zigeunerin, die kleine!

Dreifach war dieses Lebens holdeste Gabe an ihm vorbeigestreift: Frauenliebe! Dreimal, und gestreift nur. Die war nicht für ihn. Er hatte sich nicht wert gehalten, zuzugreifen, da er ganz und gar ein Mensch war, nach dem die Dinge selber griffen. Er ließ sich treiben und war wehrlos. Der Wein konnte tun mit ihm, was er mochte, und was von Liebe von selber zuzugreifen pflegt, ist billig. Er stand da und wäre bereit gewesen für alle Treue und Innigkeit. Aber nur die Hände lachender Dirnen streckten sich nach ihm, griffen ihn zu sich und stießen ihn wieder ab. All das Holdere holten sich andere.

Und wie mit der Liebe, so war es mit dem Leben selbst. Er hatte nicht Glück noch Gut noch Schätzung. Heimlos und stets beim Mitleid der Freunde in Quartier, in einem Staate, der vieltausend überflüssige Ämter und Gehalte hatte, aber nicht eines für ihn. Und dennoch war er, der Glücklose, der größte Aufschwung und die Erhebung all jener Hunderttausende. Er machte ihre Augen leuchten, ihre Herzen gerührt, froh und dankbar. Von ihm strömte unermeßlich, was er selber nicht hatte und an dem sie alle sich satt tranken: die tiefste Erfüllung, die Harmonie, das Glück.

So saß Franz Schubert in feuchter, tiefdämmernder Stube in der bittersten, trostlosesten Traurigkeit unter allen Traurigkeiten. Er sagte nichts und klagte nicht, aber sein Herz sog und zog an der verdorrten Brust der Erfüllungen und ängstigte sich, verschmachtend!

So unsagbar groß war sein Hunger nach Erlöstheit, sein Gram um Unerfülltes, so schwer der tiefe Vorwurf seiner bodenlosen Traurigkeit, daß unter dem magischen Zauberwunsche dieses Elends der Weltgeist zusammenzuckte.

Es war nicht der graue Gram um Frauenliebe. Nicht der hoffnungslose Kummer, nichts zu sein und zu gelten auf dieser Welt; es war keines der einzelnen schweren Gefühle und Selbstvorwürfe Franz Schuberts; es war das dumpfe Allgemeinweh der verlassenen Kreatur, das auf aller Erden heute am ahnungsreichsten aus jener feuchten, düsteren Stube nach Auflösung rief.

Und es geschah ähnlich, wie sich Wolken und Wasser zueinander ziehen und sich wirbelnd vereinigen in der schaurigen Entgegenspannung zweier Magnetismen. Ihn zog es nach dem, was für dieses Leben das Nichts heißt, mit sehnlichen Gewalten und saugte seine Seele nach außen. Und von jener Welt senkte sich die Nacht herzu und streckte sich nach ihm wie eine Stichflamme, um ihn sich zu vereinen.

Es war ihm eine Lampe gebracht worden. Man hatte ihn anreden, ermuntern, speisen und weltlich machen wollen. Nein – es war nichts zu tun an ihm. Er sagte nichts und klagte nichts; da aber die Gewalt des wehen Fortverlangens so unerträglich war, so riß er sich Noten aus dem Herzen, die ganze Nacht, wie man Funken aus dem Leibe dessen zieht, der auf dem Isolierschemel steht. Ein schauerliches Heimbegehren schrie nach der großen Mutter Nacht, ein Gram und Erlösungsringen ohnegleichen, so wohllautvoll die Schwermut auch sprach.

Er dachte kaum daran, ein Werk zu schaffen. Man hatte zwar ein Quintett von ihm haben wollen. Ja, ja. Um sich zu tun zu machen, schrieb er's jetzt auch hin. Aber das Bodenlose seines Enterbtseins, das Hingreifen nach den Händen der vielen Heimgegangenen, das Allerseelenleid, es kroch zwischen alle Noten und fraß sich an Tönen satt.

Die Zauberformel, die den Geist der Erlösung mächtig anzog, ächzte aus seinem Herzen in die Nacht hinaus und rief die endlose Endlichkeit an und die Erfüllung.

*

Und aus der Nacht sprach es zu den Dünsten des Thanatos, dessen Allgegenwart wartebereit in allen dunklen Winkeln, Gassen, Kellern, Kanälen, Brunnen und Baumsäften brütet, die um die Fliege schwelt wie um die Tiefe eines Baugerüstes und aus Feuer und Wasser aufsteigt: »Umhüllt ihn sänftlich. Er ist ein Kind des Wohllautes.«

*

Ganz merkwürdig war, wie ihm fortab geschah. Freudlos, schmerzlos. Ganz jenseitig. Zunehmende Schwäche drängte ihn ins Bett. Selbst da arbeitete er noch und wunderte sich bloß, was mit ihm geschähe.

Und also bereitete sich das Ende eines Glücklichen. Als die Ärzte das schleichende, längstbereite Nervenfieber erkannten, lag der liebe, stille Freund und Beglücker so vieler Herzen in Delirien, die nichts Grausiges hatten. Nur stets wunderlich war ihm, lächelnd still, was da alles für Zeremonien mit ihm vorgingen.

Er hörte beten und roch Weihrauch. Eine Orgel begann zu spielen, als sei sie ferne. Dann kamen nicht so sehr die Töne, vielmehr die Orgel selber immer näher; immer brausender, immer herrlicher trotz des Schrecknisses, daß eine Orgel fliegen konnte. Denn wahrhaftig: die Orgel flog, dicht über ihm stand sie nun und spielte, stets in der Luft schwebend, immer herrlicher und kühner. Plötzlich krachten zwei Schüsse, die Orgel schlug weite Adlerflügel umher, überstürzte sich und sauste auf ihn herab. Er zuckte zusammen, wie sie kam, gerade gegen seine Brust. Aber sie wurde im Fallen immer kleiner. Ganz leicht tippte sie auf ihn auf. Merkwürdig: und doch hatte sie wie eine Büchsenkugel in seine Brust geschlagen, saß ihm nun im Herzen, spielte aber weiter. Wunderschön sogar.

»Schaut's, der Choral ist nit uneben,« lächelte er. »Von wem ist denn der?«

Mehrere Menschen lachten. Nun wußte er, daß es seine eigene Komposition war, die ihm so gefallen hatte und ihn immer mehr entzückte. Er horchte und freute sich. Als Leute kamen, flüsterte er: »Still, net trampeln, ich muß zuhören.«

»Aber Herr von Schubert,« sagten sie, »wir sind doch beauftragt, Sie neben den Herrn von Beethoven zu tragen. Es ist ein und dasselbe Requiem: Für Sie beide!«

»Neben Beethoven!« sagte Schubert tief gerührt. Er war gewürdigt, neben Beethoven begraben zu werden!

Aber das Delirium zog weiter über ihm dahin wie graue Wolkenschleier am Himmel, der lichtere Stellen hat. An einer solchen Stelle sah er etwas deutlicher, daß das mit der Orgel und dem herrlichen Requiem und Weihrauch nicht ganz stimmen könne. Denn die schöne Kirche, deren gemalte Kuppelwölbung er eben über sich gesehen hatte, fehlte nun. Die abscheuliche Decke seines feuchten Zimmers blickte ihn einen Augenblick nahe und kahl an.

Schubert erkannte seinen Bruder, der ans Krankenlager getreten war, und faßte ihn bei der Hand. Ihm war ganz wunderlich.

»Du,« fragte er geheimnisvoll, »was geschieht denn mit mir?«

»Du bist doch bei uns, in deinem Bett. Halt' dich nur still und brav. Willst du einnehmen? Der Arzt sagt, daß du sicher gesund wirst.«

Franz sah den Bruder an. »Du irrst,« sagte er dann langsam, bedeutsam. »Du irrst. Hier liegt Beethoven nicht.«

Dem armen Ferdinand wurde schauerlich zumute, und er bat den Arzt herbei: Der Bruder denke beständig ans Begrabenwerden, neben Beethoven. »Trösten Sie ihn doch, das ist ja schrecklich!« klagte er.

Als der Arzt mit kühler Hand an die Stirne des Fiebernden griff, erkannte ihn Schubert und sah ihn zufrieden an: ganz ruhig, ganz schmerzlos.

»Was ist Ihnen?« fragte der Arzt.

Da griff der Ahnungsreiche an die Wand neben dem Bette, als schreibe er eine Grabschrift, und sagte tiefernst: »Hier, hier ist mein Ende!«

Und ehe die bestürzt herzukommenden Freunde ihm das ausreden, und ihn, wie sie meinten, trösten konnten, wurde das Ziehen der Wolken, die ihm diese Welt verschleierten, wieder dichter und dichter, alles was wirklich war, versank und verschwand, und leise, anschwellend und immer stärker und herrlicher begann wieder die Orgel zu spielen. So schön, o so unerträglich schön, daß er einmal über das andere Mal aus dem Bette wollte, um es aufzuschreiben.

»So laßt mich doch! Ich bin ja gesund. Ich muß: es ist zu schön! Zu schön! O mein Gott,« flüsterte er dann und lag wieder still, mit bebendem Herzen und freudenassen Augen, horchte und war tief ergriffen. »So herrliche Musik hab' ich mein Lebtag nicht gemacht. Na, die Wiener werden schauen, beim nächsten Konzert! Und die Hannerl. Die geht noch weiter durch als diesmal.«

Und die ewigen Harmonien säuselten bald, bald brausten sie, so unsagbar herrlich, daß Franz Schubert gar nicht bemerkte, wie Freund Hein an sein Bett trat.

*

Gott hatte ihn lieb. Er hatte ihm ein seligvolles Herz geschenkt, und die Kraft, sich der Harmonien seiner Himmel auf Erden zu erinnern. Ein liebes, herzliches, gutes Kind hatte er in ihm geschaffen, voll Fähigkeit zur Freude, und nach dieser Glücksgabe hat er ihm lächelnd alles Zuströmen der Erfüllung abgesperrt. Die Frauen, der Süden, die Ehre der Welt, das Gold, abenteuerlich buntes Erlebnis, alles blieb ihm versagt. Und da begann denn der eingesperrte Vogel, sein Herz vor Sehnsucht zu schmettern und Wohllaut zu verströmen, daß seine Lust und sein Leid die ganze Erde durchzuckten.

Da ihm nichts sonst gegeben war, griff der Sänger der Sehnsucht nach dem Weine, der ihm das einzige Glück, das ihm geworden war, das eigene tiefrauschende Wesen, noch deutlicher fühlen ließ und das Glücksgefühl, dessen er fähig war, noch erhob.

Dieses hilflose Kind, dem das Leben so gar nichts geben wollte, flüchtete in seiner Sehnsucht nach Glück zu Dionysos – und sank dem Thanatos in die Arme. Das Herz des frohen Zechers war leicht zu brechen, das glückliche. Es kämpfte gar nicht schwer.

Ohne Schmerzen, ohne Angst, bloß von himmlisch schönen Harmonien umklungen, verschied er. Mitten im Wohllaut breitete der Tod, lieb und gütig wie ein schützender Vater, den dunkelpurpurnen Mantel der Bewußtlosigkeit um ihn und sagte: »Komm mit, Franzel. Dir darf niemand was tun, du Beglücker! Du, voll göttlicher Liebe. Du kindgewordene Sehnsucht. Du Seliger. Komm mit.«

Und so starb Franz Schubert; leicht und beinahe zutraulich.

Wie ein in selige Erinnerungen Zurückgesunkener lag er auf der Bahre. Die Freunde hatten ihm ein Pilgerkleid angetan; nun war er Einsiedel, wie er und Schwind geträumt hatten. Es war alles gut und erfüllt. Hätten sie ihm die Brille gelassen, die er ja auch bei Nacht aufbehielt, sie hätten denken müssen, er schlafe nur: so freundlich, so schuldlos, wunschlos, schmerzlos sah er aus. Nur der Lorbeerkranz, der den runden Kinderkopf umrahmte, sagte das Wort: »Erfüllt.«

Als dann die Glocken schwangen und endlos im endlosen Novemberregen die Menschen von Wien dem nach zum Grabe zogen, der neben Beethoven gebettet wurde, da ging bloß einer der Freunde nicht mit: Der einsame Vater des so gänzlich leergeflogenen Nestes auf der Südbastei.

Der alte Tschöll konnte, konnte nicht! Das wilde Weh hätte ihm das Herz gebrochen. Er hielt sich an der Wand und sah dem Zuge nach, der von der Wieden über die Festungsglacis gegen Währing ging, und seine Seele schrie vor Weh:

»O du, der du gabst und gabst, bis du dich selber gegeben hattest! Du, aus dessen Augen die Güte Gottes lächelte, aus dessen Harmonien das Glück zu uns strömte, das du besaßest, du allein: du Armer und Kleiner unter den Menschen.

»Du, der gesandt war, um zu erfüllen, was der Trotzige, der Titan, nicht vermocht hatte und übersah: Lebensgefühl, unbekümmert drauflos jauchzende Unschuld der Freude. Er, Beethoven, gab das wilde Begehren, du gabst die Sehnsucht. Er den Schmerzensschrei, du die erlösende Träne. Er war der Gewittergott, du warst das befreite Abendrot nach seinem Zorne. Du kanntest die Freude und die Trauer. Du warst uns die menschgewordene Sehnlichkeit der Ferne, die Ahnung. Du gabst das süßeste Verlangen nach Glück, das Gebet, die liebliche Schmeichelei und die sanfte Klage um Liebe. Und wieder die Frische aller Frischnis, der Tau selber, das warst du auch!

»Daß ich dich in meinem Hause nicht hielt! Daß sie, keine von meinen dreien, dich zu halten wußten. Du kamst, schenktest dich und gingst, und dennoch ist uns, als nähmest du alle Seligkeit der Erde wieder mit dir, die in dir war, ohne daß von außen auch nur ein Stäubchen Erdengold dazuflog. Du Glücklicher! Du Glücklicher! Du Glücklicher!«

*


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