Ernst Barlach
Protokolle und Porträts
Ernst Barlach

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Gesprächsphantasien über Däubler mit Fräulein Tina

in der Nacht vom 4. zum 5. Mai 1914

... Er ist sowas wie ein Gesandter – ich meine, ein Sendling, hier in der Strafanstalt, muß gemeine Arbeit tun. Wie kann es nun angehn, daß solch Humor an ihm ist? Ist es etwa Spott von mir, wenn ich sage: Gesandter, Gottexistenz, zum wenigsten Erzengelhaftigkeit? Nein, ich bin durchdrungen, er gehört nicht her, ist verwirrt und doch heimisch hier. Man stelle sich vor, ein Prinz, der kein Prinz Heinz ist, kommt in der Verkleidung mit Pöbel zusammen. Was macht da sein königlicher Anstand, vorausgesetzt, es ist vollwirkliche Königlichkeit? Er verleugnet sich und kann sich doch nicht ganz ausrotten. Es wird ein Spektakel: eine adlige Pöbelei, eine pöbelhafte Prinzlichkeit, ein Gemisch, das zum Lachen reizt. So Däubler im Kostüm der Männermode 1913, im kurzen Jackett, aber wallendem Haar, nein, im Apostelscheitel, nein, mit Zelotengelock, nein, mit Derwisch-Haargeschwulst. Im Ganzen schwulstig, denn sein anonymes Göttertum bläht sich in der Inkarnation und macht die Inkarnation verdächtig unwirklich; man ahnt etwas Gestopftes und verdrießt sich, daß es doch nicht so einfach ist. Sein Heldenleib wäre furchtbar, wenn eine Drohung, eine Majestät ihn umwallte; aber damit ist es auch nichts, man sieht nur Masse, nicht Stärke; und doch, wie ein Prinz, wenn er aus der Rolle fällt, sein Gelump um sich schlottern läßt wie ein Staatskleid, – doch liegt in Däublers Massigkeit etwas wie eine götterhafte Verachtung, eine Gleichgültigkeit des Bewußtseins vor einem hämischen Interesse. Er prunkt ohne Absicht auf, als wärs so allgemeine Gewohnheit und wir alle könnten es nicht anders. So fängt einer plötzlich in der Fremde an, heimische Brocken von Galligkeit oder Harmlosigkeit in die Rede zu mischen, und denkt nicht daran, daß man es nicht versteht.

Ruhe auf der Flucht II, Bronze, 1924, Zurückgehend auf Entwürfe von 1921
32,4 X 25,3 X 10,5 cm
Barlach=Nachlaßverwaltung Güstrow (Heidberg)

Ich glaube schon, daß im All der Mensch nicht die höchste Stufe ist; was wäre so sonderbar, daß einer von oben sich herabneigt, wie Christus, wie mancher sonst, wie ein anderer Heilsbringer? Er paßt aber wirklich nicht her. Beim Militär stellte er sich so dumm an; je besser er sich bemühte, desto fürchterlicher mußten die Leutnants lachen und schimpfen, und wenn der Unteroffizier schrie: »Strammstehen!«, antwortete er, im Hingekrampf Beweisstücke unsichtbar hin- und herweisend: »Herr Unteroffizier, immerhin ist das Strammstehen kein Vergnügen bei dem Wetter!« oder so etwas. Bis man ihn ins Irrenhaus sperrte und am Ende davonjagte.

Was uns solche komischen Gevattersleute von drüben sollen? Ja, mein Gott, erst müssen wir Unterschiede machen lernen. Wenn wir ihn kennen, ist er nicht komisch, dann wird er zur rührenden Einfalt. Die Prinzlichkeit ist echtes und gerechtes Gottesgnadentum, und nun kneipt der Gott mit bierfurzenden Kaschemmenbrüdern. Da kommt er schlecht weg, ist [sich] seiner Hoheit unbeholfen bewußt und weiß mit ihr so im Engen und Gemeinen nicht nach der Regel zu verfahren. Wir wollen ihn delikater behandeln. Zwar weit und groß können wir ihm den Raum nicht machen, haben keine Säle, keine Schlösser, und passen tut er auch zu uns nicht. Aber wir wollen ihn nicht ganz wie unsersgleichen behandeln, nicht mit Unerträglichkeiten rechten, die aufklaffen, wo überall seine Hoheit und Niedrigkeit nicht anschließt, wo seine Verkleidung seiner Prinzlichkeit eine Blöße gibt oder sein Geist seinen Leib zur Unform verzerrt.

Daß er zu viel ißt, kann mir auch nicht gefallen; er mästet sich und schändet sein Fleisch. Soll er etwa die Form des schönen Jünglings anlegen? Aber so wie er tut, wie er sich im Fett vertut, in Muskeln verwahrlost, macht er seine Verkleidung verächtlich. Er ist wirklich nicht von hier, zu Hause hängen die herrlichsten Röcke und warten, daß er ihnen zuruft: macht mich zur Gestalt in Ehren, umwandet mich mit dem Glanz meiner Natürlichkeit, laßt mich scheinen, was ich bin. Dann schnippst er mit dem Finger, und sein Leib wird ein Aas, schnippst abermals und umflügelt sich mit dem Gesaus von Falten-Strahlen, gestaltet sich zum Turm in Winden (in der Kneipnacht in Wismar stand er vor dem Turm und sagte: Du sollst den Hochturm in den Nordsturm recken ...) und schüttelt sein Haupt, daß die Locken wie Glocken schallen.

Aber was geht das uns an. Wir finden Behagen im kleinlichen Humor am komischen Mißverhältnis, durch dessen Spalte wir wohl seine Herrlichkeit spüren.

Empörung (Der Prophet Elias), Lithographie, 1922
52 X 42,5 cm
Die Vorzeichnung in der Sammlung Fritz Niescher Aachen

Nicht umsonst sind hohe Türme unsre Ideale, nicht umsonst gestalten wir ragende Schönheiten, kantige Aufbäumungen zu Ewigkeitsgestalten. In Wismar ist ein Däublerturm, der mit den breiten Schultern und dem kurzen Hals. Das ist schon die Verklärung seiner Diesseitsgestalt, Vertürmung möchte man sagen. Nicht umsonst gibt es Türme, die wie der von Pisa bei aller Schwere und Wucht wie herabgeschwebte Erscheinungen wirken, die leise knirschend mit steinernen Zehen den Erdboden berühren und heiligen. Aber sie kommen noch tiefer! Der Däublerturm wird zum Däubler.

Wie sonderbar, nicht? Diese Vorstellung, wie gespensterhaft und rätselmäßig! Diese Turmwelt berührt die unsrige, bestapft sie, bezeichnet ihre wahren Entwicklungspunkte. Hier in die religiösen Stätten strebt das Schwergewicht des menschlichen Seins. Und wir sehen als Ausrichter der neuerlichen Erhöhung eine komische Figur. Richter in Israel, Aufrichter, Aufrecker, Hochstrecker, Turmweiser – und ein verlachtes Ungetüm, ein komisches Elefantenkalb in Menschenform. Lassen Sie ihn uns betrachten, wie er geht und sitzt, spricht und ißt, wie er, ein Himmelsgespräch auf den Lippen, eben dieselben Lippen in Ermanglung eines Taschentuchs am Tischtuch verstohlen, aber doch so offenkundig, daß die Oberkellner den Stiften zuzwinkern müssen, abwischt. Wie sein Leib auf dem schwachen Stuhl hin- und herdreht, wie ein Ballon vor dem Aufstieg im Wind am Seil arbeitet, wie seine Unruhe gefangensitzt und nicht ausstürmen, nicht atmen kann! Seine innerliche Atemnot kämpft sich mühsam zur Ruhe, beschwichtigt sich immer wieder mit Geduldentschlüssen und ahnt immer ein rätselbanges Unheil. Er weiß es ja nicht, was mit ihm ist; er denkt, es ist gut und in Ordnung so und muß so sein, und ahnt nicht, daß er verzaubert, ins Niedrige gebannt, zu schwerem Dienst außer Landes gewiesen, wie ein umgekehrter Spion die Geheimnisse seines Heimatlandes in das fremde einschmuggeln muß, jeden Augenblick in Gefahr, als Fremdling erkannt und aufgehängt zu werden, ja immer ein wenig stranguliert.


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