Hugo Ball
Flametti
Hugo Ball

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Ein Plakat ließ Flametti entwerfen von einem ersten Maler der Fuchsweide. Darauf stand in Majuskeln: »Die Indianer.« Abgebildet war Flametti als Häuptling Feuerschein in vollem Federnaufputz, Rothaut über und über, mit Ohrringen, Funkelaugen und einer Kette aus Bärenzähnen.

Darunter aber stand: ›Alleiniges Aufführungsrecht: Flamettis Varieté-Ensemble.‹

Hinging Max zu Herrn Fournier, dem Vorstand der Eisenbahner-Kapelle, und fragte ihn, ob er bereit sei, mit fünfzig Mann Blasorchester zur Stelle zu sein. Und welche Konditionen.

Vorsprach Flametti beim Beizer und legte ihm den Gedanken nahe, um Freinacht und Tanz einzugeben bei der Polizei, was Herr Schnabel zwar überrascht, aber bereitwillig versprach. Er hatte ja keine Ahnung.

Und zur festgesetzten Stunde traf Flametti Herrn Rotter im Terrassencafé.

Der Rotter war elegant wie immer. Er las gerade die ›Daily Mail‹ – ob er das konnte? Ob das nicht Getue war? –, lud Flametti mit einer raschen, geschickten Handbewegung ein, Platz zu nehmen, setzte den Kneifer vor seine lidlosen, entzündeten Augen, rieb sich die Nase und zückte das Manuskript aus der Mappe.

Flametti bestellte ein Pilsner, und dann befummelten sie die Affäre.

»Also sieh her, Flametti!« sagte Herr Rotter, »das ist der Dreck.« Dabei wog er das Manuskript auf der Hand.

Flametti beugte den Oberkörper herunter aufs Knie und rauchte Zigarre.

»Also es ist so: ›Die Delawaren‹. Du machst den Feuerschein. Die andern, die Weiber, fünf Stück, machen die Bande. Ausstattung: Fellkostüme, wie gesagt, Lanze, Tomahawk, Kopfaufputz. Musik: C-Dur. Beleuchtung: Rot. Einstudieren mußt du's selbst. Hier ist der Text.«

Flametti bemerkte sofort, daß Herr Rotter Eile hatte, und beeilte sich seinerseits, aus der Brusttasche einen Fünfzigfrankenschein in Bewegung zu setzen, der als Honorar vereinbart und von Mutter Dudlinger mit riskierender Teilnahme vorgestreckt worden war.

»Hier«, sagte Flametti, indem er den Schein auseinanderfaltete, »jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert.«

»Ah was, Bagatelle!« sagte Herr Rotter und steckte den Schein nachlässig in die Rocktasche.

Flametti hatte sofort das Gefühl: »der ist das Einheimsen gewohnt!« und erinnerte sich jener erstaunlichen Fertigkeit, mit der Herr Rotter im Germania-Cabaret die Pausen füllte durch Selbstverkauf seiner ›Gesammelten Werke‹.

Flametti nahm das Ensemble jetzt an sich mit beiden Händen und begann zu lesen.

»Na, kannst es zuhaus in Ruhe studieren!« meinte Herr Rotter, »es klappt. Sei versichert!«, und intonierte probeweise die erste Strophe.

Flametti gingen die Augen über vor Bewunderung.

›Die letzten von dem Stamm der Delawaren,
Die Kriegerscharen
Der Delawaren – – – –‹

Ausschritten die Rhythmen in gravitätischer Folge.

Flametti fühlte, wie seine Nase schärfer wurde, energischer: eine Adlernase. Seine Augen kühner, verwegener, sprühend. Er fühlte die Lanze in seiner Faust. Die Federbüschel liefen ihm kalt über den Rücken hinunter. Sein Unterkiefer schob sich vor in bestialischer Vehemenz.

Der Ober, beladen mit einem Pack Zeitungen und einem Cafécrème, schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und stieß an den Stuhl. Flametti wäre ihm knapp an die Gurgel gefahren. So schreckte es ihn aus der Illusion.

»Klappt alles. Unbesorgt!« versicherte Rotter.

»Hören Sie zu«, sagte Flametti, »ich hab' ein Plakat machen lassen: ›Die Indianer‹. Großartig, imposant. Dreißig Franken. Beim Lemmerle. Kennst ihn doch!«

»Schon gut! Mach' was du willst mit dem Dreck!« sagte Herr Rotter und drückte den Klemmer fest. »Ist ja nicht mein Beruf. Macht man so nebenbei.«

»Schau«, meinte Flametti treuherzig und verlegen, »mich packt's. Mußt nicht so sprechen. Mir tut's weh. Mich freut's halt. Akkurat weil du mir die ›Indianer‹ gemacht hast. Siehst du, ich hätte dir auch einen Hunderter gegeben, wenn du's verlangt hätt'st.«

Rotter kraulte sich mit dem Taschentuchzipfel im Nasenloch und sah über den Kneifer weg Flametti an, als traue er seinen Ohren nicht.

»Wirst mal sehen«, meinte der, »wenn die Beleuchtung dazu kommt, Musik, Reklame, der ganze Klimbim!« Und er versuchte, durch gleichzeitige Anspannung aller Gesichtsmuskeln, Wackeln der Ohren, vorgeschobenen Unterkiefer, Hochziehen der Brauen, einen Begriff zu geben von der Schlagkraft der Dinge, die dann kommen würden.

»Apropos«, behielt Rotter sich vor, »bei der Hauptprobe will ich dabei sein. Damit ich auch sehe, was ihr draus macht.«

»Sowieso«, beruhigte Flametti. Und um zuverlässig zu beweisen, daß das Ensemble in guten Händen sei: »Fünfzig Mann Blasorchester!« Und nahm einen tiefen Schluck Pilsner.

»Das ist alles nichts«, meinte Rotter, »wenn ihr den Schick nicht trefft. Wenn das gewisse Etwas fehlt.«

»Es kommt«, versicherte Flametti, »da ist das Wort zuviel.«

»Na, wollen mal sehen«, schloß Rotter und griff nach der Daily Mail,.

Flametti fühlte sich unbehaglich.

»Zahlen!« rief er, »hab's pressant!« und der Kellner kam, und Flametti reichte Herrn Rotter indianisch die Hand, sagte »Salü!« und »Merci!« und ging. Ein unerhört despektierliches Wort unterdrückte er, als er das Lokal verließ.

Zu Hause aber warf er sich aufs Sofa und las. Las mit immer wilderem Entzücken, immer hellerer Begeisterung. Las das Ensemble von A bis Z, ertrank darin; ritt, galoppierte, rasselte, tobte; donnerte, blitzte und fluchte; strahlte und weinte, lachte und staunte.

Setzte sich hin und schrieb mit kalligraphischen Lettern, Silbe klar an Silbe reihend – er war ja der Sohn eines Lehrers – die Rollen heraus.

Sprechproben wurden angesetzt; Ensembleproben. Die Rollen wurden verteilt. Persönlich probte Flametti vor dem Spiegel.

Probierte mit den Mädels, teilte Ohrfeigen aus, rannte Köpfe an die Wand; schrie, brüllte und fluchte.

Konnte gar nicht Worte genug finden, sein Erstaunen über die Borniertheit dieser Weiber, Jenny und die Soubrette mit eingeschlossen, kundzugeben.

Es ging denn auch rapid vorwärts. Nach drei Tagen saß schon der Text. Nach weiteren drei Tagen saßen auch die Bewegungen, Auf- und Umzug des Ensembles auf der Bühne.

Was hatten die armen Weiber alles für Vorstufen durchzumachen, bis sie wirkliche, richtige, echte Indianer waren! Kalb, Ochs, Esel, säbelbeiniges Frauenzimmer, Schmerbauch, Mistvieh, Bauer! Was alles mußten sie anhören in hartem Ringen um die Kunst!

Und erst die Bewegungen! Bis die saßen! »Links! Links! Links herum, Stoffel!!!«... »Vor, die Lanzen! Hoch den Tomahawk! Runter aufs Knie!«... »Um mich herum! Vor mich hin! Ich beschütze euch!«... »Apotheose! Verklärung! Verklärte Augen sollst du machen, Mistvieh damisches!«

Und die Musik, bis die saß! »Hörst du denn nicht?? Sperr' deine Löffel auf! Wozu hast du denn deine Windfänger! Die Nasenlöcher kannst du doch auch aufsperren!«... »Den Allerwertesten werd' ich dir treffen, wenn du nicht aufpassen willst. Himmelherrgottsakrament, sperr' deine Ohren auf!!!!«

Aber dann ging's auch wie am Schnürchen, nach sechs Tagen, und alle waren des Lobes voll und bekamen allmählich Geschmack an der Sache und machten die Bewegungen von selbst; auch bei Tisch, beim Zubettgehen, beim Morgenkaffee; im Hemd und in Unterkleidern. Sangen, pfiffen und trällerten die Musik vor sich hin, die Herr Meyer feinsinnig aufgefaßt hatte und kongenial wiedergab.

Und Flametti studierte solo mit Meyer ein: den Auftritt des Häuptlings.

Unten in der Musik muß es donnern und blitzen: Brwrr, brwrrrr, worgeln und tremolieren. Dann muß die rechte Hand höherlaufen. Feuerschein kommt von links, späht durch das Kulissenfenster der Bauernstube, drohend, erschrecklich, in hohem, dämonischem Federnschmuck, mit der Lanze. Kommt dann heraus auf die Bühne, vorsichtig, schleichend, verfolgt, den Kopf spähend vorgestreckt, die Halsmuskeln gespannt, den Tomahawk mordbereit. Verschwindet unter Donner und Blitz der Musik in der Kulisse rechts. Es beginnt das eigentliche Ensemble. C-Dur. Andante. Mächtig und breit: Auf dem Kriegspfad:

›Die Letzten von dem Stamm der Delawaren,
Die Kriegerscharen
Der Delawaren...‹

Dann haben zu singen die Weiber, mit vorstellender Handbewegung zu Flametti gewandt:

›Der tapfre Häuptling Feuerschein...‹

Und Flametti antwortet mit stolz erhobenem Haupt und gestrafften Zügen:

›Mit seinen wilden Mägdelein...‹

Dann tutti, zum Publikum gewandt mit dargebotener Rechten:

›Entbieten euch die Freundeshand
Zum Gruß. Schlagt ein!‹

An den Türken dachte Flametti nicht mehr, seit er Indianer geworden war. Aus dem Opiumhandel war nichts geworden. Desto besser. ›Wenn nicht, dann nicht!‹ hieß es in einem Couplet der Soubrette.

Dafür hatte Flametti jetzt selbst einen Harem, und gewissenhaft war er darauf bedacht, seiner Illusion Greifbarkeit zu verleihen. Einteilte er seinen Wigwam in drei Gemächer.

In der Mitte die Stube wurde das Häuptlingszelt, wo man Beratung pflog, Botschaften empfing, Mahlzeiten einnahm, Siesta hielt. Das Schlafzimmer rechts davon ward zum Gemach der obersten Lieblings- und Hauptfrau. Der Bretterverschlag links Kemenate der Favoritinnen und Nebenfrauen.

Das ideal in der Mitte gelegene ›Hauptgemach‹ erregte zwar den heftigen und unverhohlenen Widerspruch der Lieblings- und Hauptfrau, aber Flametti ließ sich nicht beirren, und bald hatte er es denn auch dahin gebracht, den Begriff seiner männlichen Würde und Überlegenheit von den Kebsweibern akzeptiert zu sehen. Und es war ein zwar ungewöhnlicher, aber in seiner Totalität strammer Anblick für Mutter Dudlinger, eines Tags den Häuptling in vollem Kriegsschmuck zu finden beim Anprobieren der fertigen Fransenhosen, um ihn herum die Haupt- und die Nebenfrauen, hockend mit Herstellung kleiner roter Lämpchen beschäftigt, die dazu bestimmt waren, von den Delawaren auf dem Kriegspfad an langen Schnüren als Beleuchtungskörper geschwungen zu werden. Herr Schnabel, der Wirt, hatte sich nämlich das bengalische Pulver verbeten, des unbändigen Gestanks wegen, den die beiden Feuerwerker schon auf der Probe damit hervorgebracht hatten.

Solcherlei Zurüstungen konnten der Konkurrenz nicht verborgen bleiben.

Der Neid war grenzenlos. Die Versuche, Flametti das Wasser abzugraben, gingen ins Lächerliche.

Pfäffer zeigte an:

›Die exzentrische Schwiegermutter oder eine Nacht am Orinoko. Posse in drei Akten!‹

Einen absonderlichen alten Onkel mit Botanisierbüchse und rotem Regenschirm sollte Fräulein Mary singen, eine zwar nicht mehr jugendliche, aber sympathische Darstellerin, von der Jenny beruhigt voraussah, daß sie mit ihren Beinen eines alten Kaleschengauls, abgewetzt, knollig und dürr, notwendig müsse Fiasko machen.

Ein andrer Direktor begann ebenfalls ›Indianer‹ einzustudieren, die er ›Komantschen‹ nannte. So daß Flametti sich genötigt sah, unter das Plakat des Herrn Lemmerle noch setzen zu lassen: ›Jede Nachahmung verboten! Wer die Indianer nachmacht, wird gerichtlich verfolgt!‹

Den Vogel aber schoß Ferrero ab. Unter Zuhilfenahme maßloser Reklame zeigte er an: ›Lullu Cruck, König aller Bauchredner! Man lacht, lacht, lacht!‹

»Krampf!« lachte Flametti, »Macht er ja selbst.«

Flamettis Selbstgefühl erreichte den Gipfel. Und als eines Tages die Zusage des Herrn Fournier eintraf wegen der fünfzig Mann Blechmusik; als Herr Schnabel die Erlaubnis vorzeigte für Freinacht und Tanz; als endlich die Hauptprobe angesetzt werden konnte, da fand er sogar den Mut, dem Rotter die Spitze zu bieten. Und das war gut, denn um ein Haar wäre durch Rotters provozierendes Benehmen noch auf der Hauptprobe alles gescheitert.

Haltlos ironisch, wie es seiner Gemütsart entsprach, kam Herr Rotter am Tage der Hauptprobe an in Lackstiefeletten und Streifenhosen, den Koks keck auf den Kopfwirbel geschoben: Dandy, Genießer und Zyniker.

»Nu man los!« rief er, indem er sich vorn an die Bühne placierte, Arme und Beine verschränkt, an den Wirtstisch gelehnt.

»Hoch mit die Röcke!« rief er dem vorhangbedienenden Engel zu.

»Wa?« schnodderte er die Kellnerin an, die ihn nach seinen Belieben fragte.

Flametti verstand nicht, wie sich ein Mensch seinem eigenen Geisterprodukt gegenüber so heillos frivol benehmen könne. Ihn schauderte. Doch er versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und schwieg.

Als aber der Auftritt kam:

›Die Letzten von dem Stamm der Delawaren‹ – die selbstverfaßte Häuptlingsouvertüre unterdrückte Flametti in einer Anwandlung von Unsicherheit –, als also der Auftritt kam und Herr Rotter in ein prustendes Gelächter ausbrach, und als infolge der höchlichen Laune des Herrn Autors auch die fellgegürteten Weiber auf der Bühne anfingen, die Sache lustig zu finden, da riß Flametti die Geduld.

Auf den Hacken drehte er sich vor Wut wie ein kirrender Hahn. Die Lanze stieß er auf den Boden, daß das Bauernhaus rechts und die Renaissancelandschaft im Hintergrund ins Wackeln gerieten. Hochrot wurde er im Gesicht wie ein Puter. Und er schrie mit drosselnd erhobenen Händen im Dialekt seiner Heimat über die Rampe hinunter:

»Wellet Se sich nit einen Augenblick auf Ihre vier Buchstaben setzen, Herr Dichter? Nur einen Augenblick, wenn es gefällig ist! Sie seh'n doch, daß hier gearbeitet wird.«

Der Rotter war ganz überrascht. Das war ja eine unglaubliche Frechheit von diesem Flametti! Was fiel dem eigentlich ein! Das war doch die Höhe!

Hoch hob er sein Stöckchen, fitzte es durch die Luft und rief auf die Bühne hinauf:

»Sie, hören Sie mal: Hab' ich mit Ihnen vielleicht mal die Schweine gehütet oder hab' ich Ihnen das Ensemble geschrieben? Das Frauenzimmer dort mit der Gurkennase ist doch unmöglich!«

Das Frauenzimmer mit der Gurkennase war Fräulein Rosa. Und Flametti sah hin und stand einen Moment lang betroffen.

»Ich hab' das Ensemble doch, Gott verdamm' mich, für Hakennasen und nicht für Himmelfahrtsnasen gemacht!«

Er schlug mit dem Stöckchen C-Dur an und rief:

»Na, mal weiter!«

Aber Flametti war jetzt die Lust vergangen.

»Lassen Sie das Klavier in Ruh!« schrie er herunter und fuchtelte mit der Lanze. »Was fällt Ihnen eigentlich ein? Sind Sie hier Direktor oder ich?«

Herr Rotter jedoch wurde auffallend ruhig, nahm sachte sein Stöckchen von den Tasten, rückte die Mütze zurecht und sagte:

»Hören Sie mal! Wenn Sie glauben, Sie Botokude, mich für Ihre fünfzig Franken hier anschreien zu können, dann sind Sie im Irrtum.«

»Und Sie«, rief Flametti, stellte die Lanze hin und sprang, in vollem Häuptlingsschmuck, über die Bühne herunter, »machen Sie, daß Sie rauskommen. Raus! Ich habe genug von Ihnen.«

Und da Herr Rotter als Antwort hierfür nur ein spöttisches Grinsen hatte, die Stirnhaut hochzog, die Ohren bewegte und den Blöden spielte, packte Flametti den Patron am Ärmel und spedierte ihn höchst persönlich durch das Lokal zum Büfett, wo Herr Schnabel automatisch und ohne zu fragen sich seiner annahm und ihn im Hinblick auf seine moralische Zweideutigkeit vor die Türe setzte.

Nachdem der Dichter entfernt war, ging alles glatt. Von vorne, von vorne, und nochmal von vorne, bis daß es saß.


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