Josef Baierlein
Das Kastell in der Kiloa-Bucht
Josef Baierlein

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10.

Und das Jagen begann sofort. Die »Fearleß« fiel von ihrem südlichen Kurs ab und steuerte nach Osten, wo die Sklavendhau noch immer wie eine winzige weiße Möve zwischen Himmel und Meer zu schweben schien. Ihre Entfernung von dem Dampfer mochte etwa vierzig Seemeilen betragen. Wäre es ihr gelungen, diese Entfernung nur noch um die Hälfte zu vergrößern, so hätte sie vom Dampfer aus nicht mehr gesichtet werden können. Dann wäre sie wahrscheinlich auch diesmal wieder samt ihrer menschlichen Fracht den britischen Kreuzern entgangen.

Der ganzen Besatzung des Dampfers hatte sich eine unverkennbare Aufregung bemächtigt. Der Kapitän blieb auf der Kommandobrücke und schaute durch das Fernglas unverwandt nach dem Sklavenhändler hinüber, obgleich der erste Leutnant an der Reihe gewesen wäre, die Wache zu übernehmen. Aber der Schiffsführer hatte abgelehnt, sich ablösen zu lassen.

Die anderen Offiziere und die europäischen Reisenden hatten leeseits an der Bordwand 72 Aufstellung genommen. Auch sie benützten die Fernrohre und beobachteten das weiße Segel.

»Der Bursche scheint uns noch nicht bemerkt zu haben, denn er läßt uns immer näher an seinen Leib rücken,« sagte Mister Brown, der erste Leutnant, zu Dr. Bender. »Sollte er etwa im Sinn haben, uns dadurch zu täuschen, daß er sich recht harmlos stellt? Aber das nützt ihm nichts! Ich erkenne in ihm ganz genau den Sklavenhändler wieder, den wir gestern abend verfolgten; ich unterscheide deutlich das niedrige, scharf geschnittene Unterschiff der Dhau und ihr hohes Verdeck, den stark nach rückwärts hängenden Groß- und Fockmast mit den breiten Rahen. Ich gestehe zu, daß die Dhau ein Segler ersten Ranges ist und offenbar nach der ganzen Bauart den Zweck größter Schnelligkeit erstrebt, wie kein gewöhnlicher Kauffahrer. Aber unserm Dampfer gegenüber kann das Sklavenschiff dennoch nicht aufkommen. Deshalb begreife ich nicht, warum es uns so nahe heranläßt und nicht einmal den Versuch macht, uns die Fahrt abzugewinnen. Sollte es keine Sklaven an Bord haben? Oder hat es uns wirklich noch nicht wahrgenommen?«

»Es scheint uns tatsächlich erst diesen Augenblick gesichtet zu haben,« erwiderte der Arzt; »denn wie Sie sehen, Herr Leutnant, wird es jetzt lebendig an seinem Bord.«

»Wahrhaftig – Sie haben recht,« sagte der Offizier, »der Bursche setzt jetzt mehr Segel. Nun, wenn er wahnsinnig genug 73 ist zu denken, daß er es auf offener See mit einem britischen Dampfer aufnehmen kann, so mag er's probieren!« –

Sogar mit bloßen Augen ließ sich wahrnehmen, daß der kleine weiße Fleck im Osten mit einem Mal eine andere Gestalt angenommen hatte. Er war breiter und voller geworden, als ob der Möve, die in der Ferne zwischen Himmel und Meer zu fliegen schien, plötzlich größere Flügel gewachsen wären. Durchs Fernglas gesehen, entpuppte sich aber die Veränderung in der Gestalt der Dhau als eine starke Vermehrung ihres Segelwerks.

Statt des einzigen großen Segels, das sie bisher getragen, und das schon genügt hatte, sie mit außergewöhnlicher Schnelligkeit durch die Wellen zu treiben, waren jetzt der Großmast und der Fockmast bis zu den obersten Rahen mit Leinwand bedeckt. Vom Landwind geschwellt, drückten die vollen Segel mit solcher Gewalt auf das Schiff, daß sein scharfer Bug wie ein Messer das Wasser zerschnitt. Hatte es schon unter dem einen Segel eine außerordentliche Behendigkeit entwickelt, so hatte sich seine Schnelligkeit jetzt unheimlich gesteigert. Es flog gleichsam über das Meer, das zu milchweißem Schaum aufgewühlt vor ihm zurückzuweichen schien. In wenigen Minuten war das Schiff wieder so weit vom Dampfer entfernt, wie im Augenblick, als der Ausguck ein Segel in Lee gemeldet hatte.

74 Verdrießlich schob der erste Leutnant sein Fernrohr zusammen.

»Der Racker segelt doch schneller, als ich schätzte,« sagte er zu Dr. Bender; »Da kann es noch Stunden dauern, bis wir ihm den Befehl zum Beidrehen geben können.«

»Er hat einen großen Vorsprung und nützt den günstigen Wind vortrefflich aus.«

»Das wird ohne Zweifel auch bei uns geschehen. Der Kapitän der »Fearleß« ist nicht der Mann, der sich von einem verd– Sklavenhändler lange an der Nase herumführen läßt.«

In der Tat schrillte in diesem Moment schon die Bootmannspfeife. Die Matrosen kletterten ins Tauwerk der Masten und entfalteten die Segel. Der Dampfer verfolgte den Sklavenhändler mit vermehrter Geschwindigkeit. Dessenungeachtet wurde die Entfernung zwischen den zwei Schiffen nicht wesentlich geringer.

Die Sonne hatte schon längst die Mittagshöhe überschritten, und die Hauptmahlzeit des Tages war von der ganzen Besatzung der »Fearleß« eingenommen. Kapitän Raleigh lud den deutschen Arzt ein, sich wieder mit ihm auf die Kommandobrücke zu begeben.

»Schier hätte ich die Hoffnung aufgegeben, die Dhau noch vor Nacht einzuholen,« sagte er, nachdem er einen Blick auf den Wimpel und die Segel des Dampfers geworfen. »Jetzt aber hat sich der Himmel schließlich doch für uns entschieden.«

»Wie meinen Sie das, Herr Kapitän?«

75 »Haben Sie nicht bemerkt, daß der Wind, der gegen Mittag nur abzuflauen begann, seitdem umgesprungen ist? Wir haben jetzt Ostwind statt einer westlichen Brise. Holla, Hochbootsmann,« wandte er sich an den Maat, »pfeifen Sie alle Hände auf Deck und lassen Sie die Segel wieder reffen und beschlagen!«

Hierauf richtete er das Wort neuerdings an den Doktor.

»Das nämliche,« sagte er, »muß jetzt auch der Menschenhändler auf seinem Schiff vornehmen. Denn gegen den Wind kann er nicht fahren, wenn er nicht mit dem bösen Feind im Bund steht. Sie werden nun gleich sehen, wie schnell er klein beigibt.«

»Fürchten Sie nicht, Herr Kapitän, daß er zu einer Gewalttat schreitet, sobald er merkt, daß er unmöglich mehr entrinnen kann? Es ist mir nämlich bekannt, daß die arabischen Sklavenhändler in solchen Fällen alle gefangenen Neger binden und mit Gewichten beschwert über Bord werfen, um jede Spur ihres abscheulichen Gewerbes zu vertilgen. Die ersäuften Schwarzen können nicht mehr gegen sie zeugen, und wenn ihr Schiff durchsucht wird, so sind keine Sklaven vorhanden.«

»Zu diesem äußersten Mittel greifen die arabischen Seelenverkäufer doch nur in den verzweifelten Fällen, wo sich ihrer Schlauheit nirgends mehr ein Ausweg zeigt. Eine Ladung Ebenholz, wie sie mit blutigem Hohn die gefangenen Neger heißen, repräsentiert ein ganzes Vermögen, und die 76 Menschenhändler sind viel zu habgierig, als daß sie ein solches – außer in der zwingendsten Not – ins Meer würfen.«

»Glauben Sie denn, der Befehlshaber jener Sklavendhau hofft noch auf ein Entrinnen?«

Der Kapitän zuckte nur die Achseln, ließ aber die Frage unbeantwortet. Dagegen blickte er wieder aufmerksam durch das Fernglas.

»Der Bursche zieht nun auch seine Segel ein,« sagte er sodann, »und ich werde nun bald ein ernstes Wörtchen mit ihm reden können. Es ist aber auch an der Zeit; denn die Sonne neigt sich schon nach Westen, und aus der lustigen Jagd ist mittlerweile eine langweilige geworden. Überdies gefällt mir der Nebel nicht, der plötzlich und noch am hellen Tag südlich von unserm Steuerbord aus dem Meer aufsteigt. Die Erscheinung ist um diese Jahreszeit fast stets der Vorbote eines Tropengewitters.«

Dr. Bender sah hinaus nach der vom Kapitän bezeichneten Gegend und mußte ihm recht geben. Südlich vom Dampfer quoll, obwohl die Sonne noch hoch am Himmel stand, ein dichter Nebel aus der See heraus, der sich zusehends immer mehr ausbreitete, in grauen wolkenähnlichen Schwaden über dem Meer hin und her wogte und bald zu einer undurchsichtigen Wand emporwuchs, welche die Aussicht versperrte. Da derartige plötzliche Nebel unter den Tropen gewöhnlich heftige Gewitter einleiten, so lag dem Kapitän viel 77 daran, noch vor Ausbruch eines solchen der Dhau so nahe zu kommen, daß er ihr seine Befehle signalisieren konnte.

Das schien auch weiter keine Not zu haben. Denn seit das Sklavenschiff wegen des konträren Winds seine Segel hatte bergen müssen, lag es beinahe ohne Bewegung auf dem Wasser, und die Entfernung zwischen ihm und der »Fearleß«, die ihre Fahrt mit vollem Dampf fortsetzte, wurde von Minute zu Minute kleiner. 78

 


 


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