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Von Petersburg nach Warschau.

 

Den 22. April.

Nun rolle ich schon bald einen Tag, einsam und verweint.

Ja, ich will es gestehen: erst war ich ganz tapfer und Niemand hat etwas bemerkt; aber wie sie mir dann das letzte Mal die Hand gab und sich wendete, da wurde mir, als ginge mit ihr alles Glück aus meinem Leben fort. Ich konnte mich nicht mehr halten. Wie ein Kind habe ich bitterlich geweint. Es ist eine Schande; aber es war ja Niemand im Waggon.

Ich schulde ihr so viel. Vier Wochen lang bin ich glücklich gewesen. Sie hat alles Böse aus meiner Seele verwiesen. In acht Tagen weiß sie ja nichts mehr von mir und hat längst meinen Namen vergessen. Aber mir soll ihr helles Bild das ganze Leben mein guter Engel bleiben.

Vielleicht kann ich später doch einmal etwas Schönes gestalten. Vielleicht erblüht einmal aus meiner Seele eine gute That. Sie ist es, der ich diese liebliche Hoffnung schulde. Sie hat mich aus Leid und Laster geweckt. Sie hat mich erlöst.

Ich habe mich lange gewehrt, mit dummen Einwänden und alberner Ausflucht. Es war mein eitler Stolz. Es kränkte mich auch, daß sie nichts von mir wissen wollte und für mich nichts empfinden konnte.

Jetzt erkenne ich, daß ich sie immer lieben werde. Es ist blos eine ganz andere Liebe. Sie hat Demut und Einfalt und weiß von keiner Begierde. Vom Leibe klebt an ihr keine Spur. Sie ist eine reine, süße und unvergängliche Wollust des dankbaren Gemütes.

Ich will nichts von ihr. Wir werden uns wohl nicht mehr sehen. Ich möchte blos, daß sie immer recht glücklich sei. – – – – – – – – – – – – – – –

Draußen verlischt das grelle Abendrot, als ob der Rand des Himmels brenne. Ein trüber Dampf wird davon über die schwarze Erde gewälzt. Vorne sind glitzernde Tümpel. Kein Flüstern rührt an die stumme Ebene. Ich bin mit frommen und lichten Gefühlen ganz allein.

Es ist mir jetzt ganz gleich, was etwa noch mit mir geschehen kann. Ich verlange nichts mehr. Wenn ich nur still und dankbar mich erinnern darf! – –

Ich will jetzt immerfort diesen gnädigen Gefühlen leben. Vielleicht wird Mancher lachen. Es kann schon sein, daß sie hochmütig die Achsel zucken und mich mitleidig verachten. Größe und Besonderheit ist ja keine dabei. Alles ist schlicht, unverdorben und kindlich. Aber es wird daraus Lust und Jubel, dem Irdischen entrückt, sonnenwärts getragen. – – –

Nein, es gibt keine Worte dafür. Geigen und Farben allein könnten es sagen. Aber es wäre unnütz. Keinem würde es helfen. Aus sich selber muß Jeder die Gnade erleben.

Man soll den Anderen nichts davon erzählen. Für die Anderen sind unsere niedrige Naturen. Die reine und freudige bewahre Jeder für sich selbst, als sein köstliches Geheimnis. – – – – – – – – –

Manchmal sehe ich hinaus in die entgleitende Landschaft. Wie mir das Alles fremd geworden ist und nichts mehr über mich vermag! Die ganze Welt ist mir entfremdet! In mir habe ich eine schönere und reichere entdeckt. Darin will ich jetzt reisen.

 

Warschau, den 23. April.

Allerliebste Stadt, chic, flott, elegant. Es schwimmt etwas Parisisches in der Luft. Die Weiber haben den Teufel im Leibe. Da steht gleich die alte Bestie in der Seele auf und reckt sich und brummt behaglich. Ihr schweres, schwarzes Haar mit den blauen Schimmern, diese schwülen, üppigen Lippen, auf welchen zwischen den schimmernden Zähnen hervor die buhlerische Zunge lauert, die steilen, aufgesträubten Brüste – Alles knistert von Lüsternheit und Sünde.

Und es geht wie ein toller Walzer immer durch alles Leben, in dem die Sinne straucheln und die Nerven taumeln.

Was ich da gestern auf der Fahrt zusammengeschmiert – mein Gott, die alte germanische Sentimentalität des Abschiedes! Es ist ganz gut, seine idealistischen Schwindel manchmal zu verzeichnen. Da hat man später wenigstens etwas zum Lachen.

Ich habe noch ein niedliches Abenteuer vor. Weit draußen, am fahlen Rande der Stadt, wo keine Laterne mehr brennt, in einer dumpfen, qualmigen Schenke. Ein munterer Zufall hat es eingefädelt. Eine derbe, schwüle, gierige Hexe, und kriegerisch lodert der schwarze, wilde, unbändige Blick. Es lebe das Leben! Alles andere ist ja blos Wahn und Betrug.

Ich will wieder einmal, wie Lemaître sagt, prendre un bain de bêtise et de crapule: c'est un plaisir d'orgueil el c'est aussi un plaisir d'encanaillement. Das hat man von der mühsamen Zähmung der Bestie: Sie holt am Ende alles immer wieder nur desto ausgiebiger nach.

Es lebe das Leben! Alles andere ist ja doch blos Wahn und Gaukelei. Und wenn es wir heute just so beliebt? – – – – – – – – – – – – – – – –

Sie kam, wie es versprochen war. Aber sie brachte keine Freude mit. Ich plagte mich eine Weile mit umständlichen Beweisen: Ich rechnete mir alle Bedingungen vor, welche erfüllt waren, nach dem unanfechtbaren Schlusse hin, daß ich also durchaus nicht umhin könnte, sehr vergnügt zu sein und sehr Angenehmes zu empfinden. Aber es half nichts. Das alles ist nicht mehr für mich.

Ich weiß nicht, was mit mir ist. Ich weiß nicht, wie mir ist. Ich weiß nicht, was an mir geschah. Ich weiß überhaupt gar nichts mehr. Ich kenne mich nicht mehr aus. Bald möchte ich jauchzen vor unsäglichen Wonnen, aber gleich sind schon wieder die Thränen da, aus banger Qual. Ich weiß mir keinen Wunsch, als blos, daß ich mir einen Wunsch wünschen möchte. Ich habe das Gefühl, alles zu haben. Aber es ist doch eine seltsame Freude, mit herber Bitterkeit gewürzt.

Es mag wohl an dieser Luft und an diesem Himmel sein. Jede Entschiedenheit fehlt; wie also sollte ich mich entscheiden? Wenn ich nur erst wieder unter eine buntere Sonne und in laute Farben komme!


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