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Erster Akt.

Salon bei Heink. In der linken Wand Türe zum Zimmer der Frau Marie, in der Mitte Türe zum Musikzimmer, in der rechten Wand Türe zum Vorzimmer. Bilder Gustav Heinks, eine Büste Gustav Heinks. Links Tisch mit Stühlen. An der Türe rechts ein Kamin, weiter nach vorn ein Wandsofa, vor diesem ein rundes Tischchen mit Stühlen. Überall Blumen in hohen schmalen Gläsern. Alles ist hell, behaglich und reich, von einer angenehmen ungesuchten Eleganz.

Auf dem Tische links: Sträuße von Tulpen, Narzissen und Flieder, eben hingelegt, dann ein Stoß von uneröffneten kleinen blaßblauen, gelben und rötlichen Briefen mit Monogrammen und ein Handkoffer in gelbem Leder, halb gepackt. Auf dem Tischchen rechts ein Stoß von uneröffneten kleinen Briefen.

Die Tür zum Musikzimmer steht auf; man erblickt einen großen schwarzen Steinway und an der Wand Lorbeerkränze mit großen Schleifen. Auch die Tür rechts steht auf.

 

Heink (dreiundvierzig Jahre; groß, auffällig schlank, was er durch seine Kleidung noch hervorzuheben sucht, und sehr jugendlich in seinen eiligen Bewegungen; pechschwarzes Haar in langen glatten Strähnen bis auf die Schultern; das unruhige Gesicht rasiert, sehr gescheit, mit einem Zug ins Spöttische, der seinen Ausdruck banaler Liebenswürdigkeit stört; es wäre der Kopf eines durchtriebenen Weltmannes oder Diplomaten, ohne die langen Haare, die ihm etwas gewerbsmäßig Künstlerisches geben; er ist weibisch kokett, besonders wenn er im Gespräch die müden, ein wenig verschlafenen Augen plötzlich aufreißt und nun visionär ins Weite starrt; er spricht mit einer affektierten Herzlichkeit, seine zärtliche Stimme hat etwas Bittendes, Streichelndes, doch vergißt er sich leicht und wenn er ungeduldig wird, ist sie hart und schreit; er trägt einen Automobilmantel; er ist im Musikzimmer rechts, noch unsichtbar, und kann sich der andrängenden Damen kaum erwehren): Glauben Sie mir, meine Damen! Ich bin untröstlich! Ein Versehen meines Sekretärs offenbar, das ich mir selbst noch gar nicht erklären kann, denn Sie können sich doch denken, meine verehrten Damen, daß ich – (immer noch unsichtbar, bricht er, da er etwas sucht und nicht findet, plötzlich ab und ruft ungeduldig nach dem Vorzimmer hin) Fräulein! (Und gleich wieder in seinem sanften Ton zu den Damen) Wie gesagt, ich bin untröstlich, ich konnte doch nicht denken, daß mein Sekretär – ich kann's auch noch gar nicht verstehen, er hatte den Auftrag, die Damen noch gestern sofort zu verständigen, und ich weiß gar nicht was – (wieder in dem andern Ton, nach dem Vorzimmer rufend, noch heftiger, indem er, einen Pyjama über den Arm, ein Täschchen in der Hand, zur Tür des Musikzimmers schießend, einen Augenblick sichtbar wird, von den Damen begleitet) Fräulein! (Gleich verschwindet er wieder im Musikzimmer nach rechts und fährt mit sanft klagender Stimme fort) Sie sehen mich untröstlich, meine Damen! In zwei Tagen bin ich ja freilich wieder zurück, aber 12 Sie können sich denken, wie bang mir nach Ihnen sein wird, die zwei Tage! (Wieder in dem anderen Ton, indem er wütend schreit) Fräulein!

Frau Fanny Mell (klein, aufgeregt, schusselig; rennt aus dem Musikzimmer in den Salon, nach dem Vorzimmer rufend): Fräulein!

Frau Claire Floderer (blond, dick, tragisch; tritt aus dem Musikzimmer in die Tür, lehnt sich an und seufzt, Tränen in den Augen): O Gott! O Gott!

Fräulein Selma Meier (enthusiastisch, atemlos; folgt stürmisch der Frau Mell, nach dem Vorzimmer rufend): Fräulein!

Frau Fanny Mell (vor der Tür rechts, ins Vorzimmer rufend): Fräulein! (Sie will ins Vorzimmer und prallt mit der eintretenden Eva Gerndl zusammen; vor dem großen Blumenstrauß, den diese vorstreckt, zurückschreckend) Oh!

Eva (neunzehn Jahre; sehr schlank, phantastisch, auf Schlange stilisiert, Klimtaugen, Klimtfrisur, überhaupt ganz Klimt; versucht auf alle Weise nervös zu schillern; ist immer aufgeregt und hat immer Verdacht; unter ihrer Maske sieht, wenn sie sich zuweilen vergißt, ein argloses liebes Wiener Gesicht mit großen verwunderten Augen kindisch hervor; zuerst erscheint ein ungeheurer Strauß von gelben Tulpen, den sie trägt, dann folgt sie selbst, erschrickt vor Frau Fanny Mell und fragt gleich sehr mißtrauisch): Was? Was ist denn? Was ist geschehen?

Frau Fanny Mell (mit einem Blick ins Musikzimmer zurück und dem Ausdruck des höchsten Entsetzens): Er verreist!

Fräulein Selma Meier (tritt zu Frau Fanny Mell): Er verreist!

Frau Claire Floderer (tragisch mit tiefer Stimme): Der Meister verreist! (Kommt langsam vor.)

Eva (an dem Worte würgend, das ihr im Hals stecken bleibt): Ver – reist?

Frau Fanny Mell (rasch): Die Stunde fällt aus – 13

Fräulein Selma Meier (einfallend): Auch morgen und –

Frau Fanny Mell (einfallend): Er gibt ein Konzert –

Fräulein Selma Meier (dazwischensprechend): Der Sekretär hat uns abschreiben sollen –

Frau Fanny Mell: Mir hat er nicht geschrieben –

Fräulein Selma Meier: Mir auch nicht –

Frau Fanny Mell (zu Eva): Hat er Ihnen geschrieben?

Eva (noch ganz starr): Mir? Mir?

Frau Claire Floderer (zu den anderen vortretend; tragisch): Der Meister verreist!

Eva (atemlos): Kein Wort! Kein Wort! Aber da – da – (ringt nach Luft).

Heink (im Musikzimmer, unsichtbar; ruft nach dem Vorzimmer): Fräulein!

Eva: Da steckt ein Geheimnis! (Läßt mit einem kurzen Aufschrei den Strauß fallen, fährt mit der Hand ans Herz und sinkt auf das Wandsofa.)

Frau Doktor Kann (kurz, stämmig, asthmatisch; mit einem Riesenhut und vielen Ringen; stürzt aus dem Musikzimmer vor): Fräulein!

Frau Fanny Mell (ins Vorzimmer rennend): Fräulein! (Rechts ab.)

Fräulein Selma Meier (der Frau Fanny Mell folgend): Fräulein! (Rechts ab.)

Frau Claire Floderer (will ins Vorzimmer, bleibt aber an der Tür rechts; seufzend): O Gott! O Gott!

Frau Doktor Kann (wackelt auf Eva zu): Die Stunde fällt aus, der Meister verreist!

Eva (mit geschlossenen Augen, mit schwacher Stimme): Wasser! Wasser!

(Liegt malerisch auf dem Wandsofa.)

Frau Doktor Kann (zu Eva, gleichgültig fragend, ohne sich zu rühren): Was haben Sie denn?

Heink (kommt aus dem Musikzimmer, mit seinem 14 Pyjama, dem Täschchen und einem Fußsack beladen, den ihm Miß Garden durchaus abnehmen will; sich dagegen wehrend, geziert, verschämt): Aber nein, nein! Was fällt Ihnen ein? Das geht doch nicht, mein Kind! (Geht an den Tisch links.)

Miss Garden (Amerikanerin; sehr exotisch aufgedonnert; mit leisem Akzent; zerrt an dem Fußsack): O geben Sie doch, Meister! Geben Sie mir ihn! O es macht mich glücklich!

Frau Doktor Kann (wackelt auf Heink zu): Mir, Meister, mir!

Eva (schlägt blinzelnd die Augen auf, und da man keine Notiz von ihr nimmt, erhebt sie sich und greift nach dem Tulpenstrauß).

Heink (sich wehrend; geziert, verschämt): Nein, Kinder, nein! Es geht doch wirklich nicht! Das ist für eure zarten Damenhände nichts!

Frau Doktor Kann (erwischt seinen Pyjama und hält ihn hoch).

Miss Garden (reißt ihm den Fußsack weg, den sie an ihren Busen drückt).

Heink (zwischen Frau Doktor Kann und Miß Garden in der Mitte, das Täschchen in der Hand; schmerzlich vorwurfsvoll klagend): Nein, Kinder! Aber Kinder! Seid ihr toll?

Frau Claire Floderer (von der Tür rechts her hinter Heink tretend; langsam, mit tiefer Zärtlichkeit, bittend): Meister!

Heink (gleichgültig fragend, rasch): Ja, mein Kind?

Frau Claire Floderer (mit schwerer Innigkeit): Vertraun Sie mir das Täschchen an, Meister!

Heink (legt rasch die Hand schützend auf das Täschchen; wieder in jenem geziert verschämten und schmollenden Ton): Nein, Kinder, nun hört schon auf! Ihr wißt, daß ich das nicht mag, wenn ihr es so mit mir treibt! Es macht mich ganz befangen.

Frau Claire Floderer (tief traurig): Wird denn nur mir gar nichts gewährt? 15

Heink (sieht sie kokett an, lächelt und reicht ihr bezwungen das Täschchen): Wer könnte solchen Augen widerstehen? (Klatscht in die Hände; in einem andern Ton, ungeduldig) Nun macht aber rasch, daß endlich gepackt wird! Es ist die höchste Zeit. Ich versäume sonst wirklich noch mein – Konzert. (Lustig) Rasch, Kinder, rasch!

Miss Garden, Frau Doktor Kann und Frau Claire Floderer (packen an dem Tische links den gelben Koffer).

Eva (tritt zu Heink, der sie jetzt erst bemerkt, und reicht ihm die gelben Tulpen): Verehrter Meister!

Heink (affektiert überrascht, indem er die Tulpen nimmt): Ach die schönen, schönen Blumen! Danke schön! Und wissen Sie, Kind, daß das meine Lieblingsblumen sind?

Eva (ein freudiges Erstaunen heuchelnd): Nein?

Heink (die Blumen streichelnd, kokett): Ja!

Eva: Wirklich, Meister?

Heink: Klein Evchen errät doch meine geheimsten Gedanken!

Eva: Ich wünschte mir, der Meister erriete meine!

Heink (kokett): Nun?

Eva (leise): Ich möchte mit. (Sieht ihn frech an.)

Heink (erschreckt, verwirrt; plötzlich in einem harten ungeduldigen Ton): Was denn, wie denn, wohin?

Eva (frech): In das Konzert.

Heink (rasch): Welches – (ärgerlich) Ach so! (Scharf) Was fällt Ihnen ein!?

Eva (frech): In das Konzert, das Sie geben. Ich weiß ja nicht wo. Aber warum denn nicht?

Heink (heftig): Nein. Ausgeschlossen, mein Kind! (Wieder milder im Ton) Daß es vielleicht noch heißt, ich schleppe den ganzen Troß meiner Schülerinnen mit! Das wäre so was für die Herren der Presse! Und dann, Kind, ist es auch gar kein öffentliches Konzert, sondern auf einem Schloß, nämlich bei der Gräfin – aber der Name ist ja gleich, ich will nicht, daß man ihn weiß, 16 es sähe aus, als ob ich damit prahlen möchte, und Sie wissen, mein Kind, ich hasse nichts mehr, als was irgendwie nach Reklame schmeckt. (Plötzlich wieder in einem sehr netten, schmeichelnden Ton) Also seien Sie lieb und hüten Sie mein Geheimnis! Ja?

Eva (heuchlerisch treuherzig): Ja, Meister.

Heink: Klein Evchen wird mich doch nicht verraten? Ich kenne Klein Evchen doch! Und wenn es brav ist und schön zu schweigen weiß, dann –

Eva: Dann?

Heink (sieht sie kokett an): Tja! Wer weiß?

Eva: Darf ich dann ein anderes Mal vielleicht mit, ins – Konzert?

Heink (ganz nahe an ihrem Gesicht, kokett): Wer weiß?

Eva (langsam): Auch in ein so ganz geheimes Konzert?

Heink (plötzlich ärgerlich, trocken): Mein liebes Kind, benutzen Sie lieber die paar Tage, um einmal tüchtig zu üben! Ihr Anschlag ist höchst mangelhaft. Das kommt aber davon, wenn man allerhand Torheiten im Kopfe hat. Ich kann schon auch einen Scherz verstehen. Aber die Kunst, mein Kind, die Kunst fordert den ganzen Menschen für sich! (Er läßt sie stehen und wendet sich ab, zum Tische links hin; plötzlich in einem andern, weinerlichen Ton) Aber nicht den Fußsack! Was treibt ihr denn, der Fußsack kommt doch nicht in den Koffer!

Frau Doktor Kann, Miss Garden und Frau Claire Floderer (reißen alles wieder aus dem Koffer).

Eva (blickt Heink einen Augenblick nach, stampft dann zornig mit dem Fuß auf und tritt an den Kamin rechts, wo sie trotzig bleibt).

Fräulein Wehner (siebenundzwanzig Jahre; ängstlich, gehetzt; eine Automobilmütze bringend, atemlos durch die Tür rechts): Hier, Herr Professor, ist die –

Frau Fanny Mell und Fräulein Selma Meier (hinter dem Fräulein Wehner, durch die Tür rechts und gleich zum Tische links). 17

Heink (als er die Stimme der Wehner hört, ohne sich nach ihr umzuwenden, an einem Koffer beschäftigt; ungeduldig klagend): Endlich, Fräulein! Wo stecken Sie denn, Fräulein? Ich will doch abreisen, Fräulein! Und Sie lassen mich ganz allein! Ich habe doch wirklich noch andere Dinge im Kopf!

Fräulein Wehner (hält ihm die Mütze hin, atemlos): Ich habe die Mütze gesucht, Herr Professor!

Heink (ungeduldig ärgerlich): Ach ja die Mütze!

Fräulein Wehner: Sie hing im Garten auf dem Apfelbaum.

Heink (gereizt): Nun ja! Das hätten Sie sich auch denken können. (Sieht sie vorwurfsvoll an und sagt in einem Ton tiefer Kränkung) Fräulein, Fräulein!

Fräulein Wehner (steht schuldbewußt; leise, flehentlich, zerknirscht): Verzeihen Sie, Herr Professor!

Heink (ungeduldig, weinerlich; auf den Koffer zeigend, den er nicht zubringt): Aber nun kommen Sie doch endlich und helfen uns! (Während Fräulein Wehner an den Tisch stürzt) Vorher aber sehen Sie noch nach, ob denn der Johann bereit ist! Es ist ja die höchste Zeit, Fräulein! Er soll gleich den Koffer holen! (Während Fräulein Wehner vom Tische links an die Tür rechts stürzt) Und Fräulein, Fräulein! Haben Sie denn meiner Frau gesagt –?

Fräulein Wehner (an der Tür rechts): Gleich, Herr Professor! (Rechts ab.)

Heink (ruft ihr wütend nach): Nein, Fräulein! Hören Sie doch!

Frau Fanny Mell (zur Tür rechts stürzend): Fräulein!

Miss Garden (sich an dem Koffer bemühend): Man muß stopfen. Dann geht es gut.

Fräulein Selma Meier (zur Tür rechts stürzend): Fräulein!

Frau Claire Floderer (mit tiefer Stimme): O Gott! O Gott! 18

Fräulein Wehner (rechts draußen rufend): Ja? (Erscheint atemlos in der Tür rechts)

Heink (verzweifelt, weinerlich): Vor allem rufen Sie doch meine Frau! Ich habe Sie doch gebeten, meine Frau zu rufen, Fräulein!

Fräulein Wehner (stürzt von der Tür rechts zur Tür links): Ja, Herr Professor.

Heink: Und geben Sie mir doch meine Mütze! Warum geben Sie mir denn meine Mütze nicht?

Fräulein Wehner (die die ganze Zeit die Mütze in der Hand behalten hat; an der Tür links, fassungslos): Die Mütze? Die Mütze, Herr Professor?

Frau Fanny Mell: Die Mütze, Fräulein!

Fräulein Selma Meier: Die Mütze!

Heink (brüllend): Sie haben sie doch in der Hand!

Fräulein Wehner (erschrickt): Ja, Herr Professor! (Rennt von der Tür links an den Tisch und bringt die Mütze).

Heink (indem er die Mütze nimmt und aufsetzt): Vor allem aber meine Frau, Fräulein! Und den Johann haben Sie mir auch noch nicht gerufen! Und dann müssen Sie doch endlich den Koffer schließen!

Fräulein Wehner (an der Tür links): Gleich, Herr Professor! (Links ab.)

Heink (klagend): Wenn ich nicht alles selber mache! Sie sehen, meine Damen! Ach ja, Kinder, es ist schwer, berühmt zu sein! (Geht nach rechts, erblickt Eva und sagt zornig) Und Sie könnten auch ein bißchen helfen, statt sich da malerisch an den Kamin hinzugießen! Mit Ihrer Faulheit, mein Kind, werden Sie nie was erreichen! Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen?

Eva (zornig, ganz leise): Sie haben mich zu tief verletzt!

Heink (muß über ihr zorniges Gesicht lachen): Wie denn? Wann denn?

Eva: Glauben Sie, ich weiß nicht?

Heink (unruhig): Was?

Eva: Alles. 19

Heink (ungeduldig); Was denn?

Eva (mit einer spöttischen Verbeugung): Viel Glück zum – Konzert, verehrter Meister!

Heink (unruhig, streng): Kind, ich bitte mir aus, daß Sie –

Miss Garden (der es endlich gelungen ist, den Koffer zu schließen; triumphierend): Zu!

Frau Doktor Kann (triumphierend): Zu!

Fräulein Selma Meier (stürzt nach rechts auf Heink zu): Er ist zu! Meister, der Koffer ist zu!

Eva (tritt wieder an den Kamin mit dem Rücken gegen die anderen).

Frau Fanny Mell: Aber die Schlüssel?

Miss Garden und Frau Doktor Kann (tragen den Koffer zur Tür rechts): Ja, die Schlüssel?

Heink (in seinen Taschen suchend): Die Schlüssel?

Marie (zweiunddreißig Jahre; blond, klein, sehr zierlich; ihr Gesicht ist viel zu gescheit, um schön zu sein; ihr ganzes Wesen hat eine große Ruhe, der man nicht trauen darf; sie ist ganz unauffällig gekleidet, fast kokett einfach; durch die Tür links, die Fräulein Wehner, ihr folgend, hinter ihr schließt; als sie die Damen erblickt, nickt sie kurz und bleibt auf der linken Seite, links vom Tisch): Was ist, Gustl?

Frau Claire Floderer (zum Fräulein Wehner): Die Schlüssel, Fräulein! O Gott!

Heink (zu Marie gehend, indem er immer noch in allen Taschen nach den Schlüsseln sucht; eilig): Guten Morgen, Marie! Ich will dir nur sagen, daß ich – (unterbricht sich, bleibt stehen und schreit wütend) Ich habe die Schlüssel nicht! Fräulein, Fräulein!

Fräulein Wehner (gleich hinter Marie durch die Tür links): Die Schlüssel müssen im Musikzimmer sein! (Rennt durch die Tür in der Mitte nach dem Musikzimmer.)

Miss Garden und Frau Doktor Kann (lassen den Koffer an der Tür rechts stehen und stürzen ins Musikzimmer): Im Musikzimmer! 20

Frau Fanny Mell und Fräulein Selma Meier (stürzen ins Musikzimmer).

Frau Claire Floderer (folgt ihnen mit langsamen tragischen Schritten ins Musikzimmer).

Heink (ins Musikzimmer rufend; ärgerlich klagend): Und, Fräulein, ist denn nun der Johann so weit? (Mit einer halben Wendung zu Eva; ungeduldig, kurz) Ach, Frau Eva, Sie sind wohl so lieb, rasch einmal nach dem Johann zu sehen! Ja?

Eva (ärgert sich; verheißt es und nickt kurz; rechts ab).

Heink (geht zu Marie nach links; im Gespräch mit ihr hat sein Ton bisweilen eine Schüchternheit oder Verlegenheit, die ihm sonst fremd ist): Ich will dir nur geschwind Adieu sagen, Marie! Denn denk dir, ich muß auf ein paar Tage fort, das hat sich plötzlich so gemacht, eben jetzt erst, heute früh, nämlich, aber (verlegen auflachend) wir brauchen ja nicht feierlich zu werden, in zwei, drei Tagen bin ich wieder zurück, es wird mir ganz gut tun, einmal ein bißchen herauszukommen, es handelt sich nämlich um ein Konzert, übrigens ohne Bedeutung, die Hauptsache ist mir, ein bißchen frische Luft zu schöpfen, und so nebenher will ich, weil sich gerade die Gelegenheit ergibt, nicht wahr, du begreifst –

Marie (mit unverhohlenem Spott): Ich habe mir gleich gedacht, daß es sich um ein Konzert handeln wird.

Heink (durch ihren Ton betroffen; beleidigt): Marie! (Sieht sie an und muß lachen; lustig) Aber du hast recht, es ist ja zu dumm, ich werde dich doch nicht anlügen! Du verrätst mich ja nicht, ich muß das nur vor (mit einer Gebärde nach dem Musikzimmer), vor meinen Gänsen sagen, denn, Marie, glaub mir, sie sind fürchterlich, es geht nicht mehr, ich muß wieder einmal ein paar Tage heraus, ich will in die Hütte hinauf, ein paar Tage im Wald liegen und den Vögeln zuhören, ich halt's nicht mehr aus und der Frühling ist ja da, da packt's mich immer wieder und ich hab' mir's doch ehrlich verdient, die zwei, drei Tage, nicht? 21

Marie: Du hast dir's ehrlich verdient! Und es ist sehr lieb von dir, daß du mich nicht anlügst.

Heink (sieht sie zweifelnd an, ob sie das ernst meint): Nicht wahr? (Rasch weitersprechend) Und du wirst ja den Gänsen nichts verraten, die brauchen das nicht zu wissen, da wird nur gleich wieder getratscht. (In einem lebhaften Ton) Du kennst die Leute, da heißt's gleich, man ist müd, man ist krank, was weiß ich, gar in meinem Alter, sie rechnen mir ja so schon immer meine Jahre vor! Wer über zwanzig ist, wird doch in der Musik heute gleich als Patriarch behandelt! Also du verstehst, daß ich es da vorziehe zu sagen, es handle sich um ein Konzert, es ist wirklich gescheiter! (Lachend) Und du wirst mich ja nicht verraten!

Marie: Nein, ich verrate dich nicht. Du weißt doch, daß ich schweigen kann. Nicht?

Heink: Wenn du dir nur den ironischen Ton abgewöhnen könntest! Du sagst die nettesten Sachen oft so, daß es unheimlich ist.

Marie (tut erstaunt): Ich?

Heink (unsicher): Oder bilde ich mir das ein? (Rasch darüber wegsprechend) Es ist ja möglich, ich bin wieder einmal mit meinen Nerven so fertig, Gott, du mußt nur denken, der Winter war arg, erst die große Tournee, dann hier von Gesellschaft zu Gesellschaft und tagüber die Gänse! Ich bitte dich, beschwichtige mir die Gänse, sonst wirft sich noch eine vor mein Automobil!

Marie: Mein lieber Gustl, wie soll ich das? Du weißt doch, sie hassen mich alle.

Heink: Warum denn?

Marie: Sie denken wohl, ich nehme dich ihnen weg. Es ist mit Gefahr verbunden, deine Frau zu sein.

Heink (lachend): Du bist aber ganz tapfer.

Marie (in ihr Schicksal ergeben): Man lernt es mit der Zeit.

Johann (Heinks Chauffeur; durch die Tür rechts; nimmt den Koffer). 22

Eva (mit Johann durch die Tür rechts; tritt zum Kamin).

Heink (Johann erblickend): Na endlich, Johann! Sind wir so weit?

Johann: Jawohl, Herr Professor!

(Mit dem Koffer rechts ab)

Heink: Es ist auch die höchste Zeit! (Indem er Marie die Hand reicht) Also laß' dirs gut gehen, in zwei Tagen bin ich ja wieder bei dir! (Küßt ihr die Hand.)

Frau Claire Floderer (kommt aus dem Musikzimmer).

Marie: Strenge dich nur nicht zu sehr an!

Heink (durch ihren Ton verwirrt): Ach du! Du machst dich immer lustig über mich!

Marie (die Besorgte spielend): Nun, so ein Konzert –!

Heink (umarmt sie stürmisch): Adieu, adieu! (Küßt sie) Adieu!

Frau Claire Floderer (da sie Heink Marie küssen sieht; tragisch): O Gott!

Fräulein Wehner, Miss Garden, Frau Fanny Mell, Frau Doktor Kann und Fräulein Selma Meier (im Musikzimmer durcheinanderschreiend): Da sind sie! Die Schlüssel sind gefunden! Gefunden, gefunden! Geben Sie mir! Lassen Sie mich! (Stürzen, durcheinander drängend und schreiend, aus dem Musikzimmer vor, Fräulein Wehner mit den Schlüsseln an der Spitze, Miß Garden als die Letzte.)

Heink (die Flucht vor ihnen ergreifend, die Automobilbrille aufsetzend): Jetzt aber nur schnell, Gott steh mir bei! (Winkt seiner Frau noch einmal mit der Hand und rennt zur Tür rechts.) Adieu, adieu! Und den Fußsack, Fräulein! Vergessen Sie den Fußsack nicht! In drei Tagen, Kinder, bin ich ja wieder zurück! Haben Sie das Täschchen, Fräulein? Und haltet mir die Daumen, Kinder, für mein Konzert! (Rechts ab; man hört ihn noch draußen rufen) Und fleißig üben, Kinder, immer fleißig üben! Denkt an mich und übt! Fräulein, ich 23 habe die Blumen vergessen! Die Blumen, die Blumen müssen mit! Und die Briefe, meine Briefe! Nur fleißig üben! Immer fleißig üben, Kinder! (Seine Stimme verhallt draußen, man hört das Automobil pusten.)

Marie (lächelnd, langsam links ab).

Fräulein Wehner, Frau Fanny Mell, Frau Doktor Kann und Fräulein Selma Meier (drängen hinter Heink hinaus, rechts ab; man hört sie draußen schreien): Die Blumen, um Gotteswillen, die Blumen!

Miss Garden (eben an der Tür rechts, wendet sich noch einmal um und will die Blumen und die Briefe vom Tische holen).

Frau Claire Floderer (kommt ihr zuvor, stürzt an den Tisch, rafft alle Blumen und die Briefe zusammen und trägt sie feierlich hinaus, mit einem drohenden Blick Miß Garden messend).

Miss Garden (voll Haß und Zorn): O diese gräßliche Person! Ich hasse sie!

Fräulein Selma Meier (kommt durch die Tür rechts zurück; atemlos): Die Blumen! Er hat die Blumen vergessen!

Frau Claire Floderer (die Blumen fest an ihren Busen drückend; feierlich, mit schwerer Stimme): Ich habe seine Blumen. (Rechts ab.)

Fräulein Selma Meier (steht enttäuscht und unglücklich an der Tür rechts und läßt Frau Floderer vorüber).

Eva (tritt rasch auf Miß Garden zu; scharf): Ich muß mit Ihnen sprechen! Sie sind ja noch die Gescheiteste.

Miss Garden (erstaunt): O ja.

Eva (zur Tür rechts hin rufend): Selma!

Fräulein Selma Meier (auffahrend): Ja? (Kommt zu Eva.)

Eva (zwischen Miß Garden und Fräulein Selma Meier tretend, jede bei der Hand fassend; scharf fragend): Ihr glaubt an dieses Konzert? (Höhnisch) Ihr glaubt an 24 dieses Konzert? (Voll Verachtung) Ihr glaubt an dieses Konzert?

(Läßt ihre Hände los, läßt die beiden stehen und setzt sich auf das Wandsofa mitten hin.)

Fräulein Selma Meier (nach einer Pause nachdenklich und neugierig, indem sie langsam vor das Wandsofa tritt): Du meinst –?

Miss Garden (nach einer Pause, indem sie langsam neben Fräulein Meier tritt; zu Eva): Ich glaube nicht, aber ich weiß nicht.

Eva: Ich aber weiß. (Winkt den beiden, ganz nahe zu ihr zu treten; dann geheimnisvoll flüsternd, sehr rasch und scharf.) Noch gestern hat er von diesem Konzert nichts gewußt. Nicht wahr? Wir waren doch hier! (Die beiden nicken.) Erst heute früh taucht dieses Konzert auf. Heute früh! (Die beiden nicken.) Er sagt zwar, daß uns sein Sekretär noch gestern hätte schreiben sollen. Sagt er! Aber hat dir der Sekretär geschrieben? (Fräulein Selma Meier verneint.) Nein! Hat er Ihnen geschrieben? (Miß Garden verneint) Nein! Hat er mir geschrieben? Nein! Folglich, folglich, folglich?

Fräulein Selma Meier (gespannt): Folglich?

Miss Garden (breit): Folglich?

Eva: Oder habt ihr je gehört, daß es heute plötzlich ein Konzert gibt, das es gestern noch nicht gab?

Fräulein Selma Meier (rasch, überzeugt): Nein!

Eva: Denkt nach!

Miss Garden (langsam, breit): Nein!

Eva (triumphierend): Und nun merkt aber auf! Niemand hat gewußt, daß heute keine Stunde sein wird. Alle sind gekommen. Ich habe es nicht gewußt, du hast es nicht gewußt, Sie haben es nicht gewußt, und die Frau Fanny Mell nicht und die Frau Doktor Kann nicht und nicht einmal die Frau Claire Floderer, seine tragische Muse, (ihr nachspottend) o Gott! nein, und ich habe das Fräulein gefragt, das Fräulein hat auch nichts gewußt, nein, keine. Keine hat's gewußt, alle 25 sind gekommen. Nur eine hat's gewußt, denn die ist nicht gekommen. Wer ist nicht gekommen? Frau Delphine Jura ist nicht gekommen. Also muß sie's gewußt haben!

Fräulein Selma Meier (aufgeregt): Das ist wahr!

Miss Garden (langsam, breit): Das ist wahr.

Eva (feierlich bekräftigend): Das ist wahr! Und folglich –

Fräulein Selma Meier (den Kopf vorstreckend): Folglich?

Miss Garden (den Kopf vorstreckend, langsam): Folglich – (indem sie zu begreifen beginnt, freudig zustimmend) O ja, o ja, o ja!

Eva (ihren Schluß ziehend): Ist es klar, daß dieses Konzert, das Gustav Heink heute gibt, Frau Delphine Jura heißt!

Miss Garden (empört): O diese schändliche Person!

Eva (aus vollem Herzen zustimmend): Jawohl, Miß Garden! Da haben Sie wohl das richtige Wort gefunden. Mit der Dame zusammen war ich schon im Sacre-Coeur!

Fräulein Selma Meier (entsetzt): Glaubst du wirklich, Gustav Heink könnte die Jura, Gustav Heink die Jura –?

Eva: Auch Gustav Heink ist nur ein Mann. Es ist bekannt, wie schwach sie sind. Sie hat ihn verführt.

Miss Garden: Sie hat eine Nase wie ein Mops.

Eva: Was weiß denn Gustav Heink? Der lebt in einer höheren Region.

Fräulein Selma Meier (höhnisch, bitter, verächtlich): Mit ihr! Mit ihr! Mit Frau Delphine Jura!

Eva (triumphierend): Noch nicht! Denn da bin ich noch da! Noch nicht!

Fräulein Selma Meier (neugierig): Wenn du doch meinst, daß sie mit ihm –?

Eva: Sie sind schon im Automobil. In drei Stunden können sie in der Klamm sein. Von dort ist's kaum eine Stunde zu Fuß bis zur Hütte. Es ist stadtbekannt, 26 daß Gustav Heink immer in die Hütte geht, sein kleines Jagdhaus im Wald oben, jedesmal wenn er, wenn er – nun ja! Wenn er ein neues Konzert beginnt!

Fräulein Selma Meier (die sich noch immer nicht fassen kann): Nein, nein! Kein Zweifel. Du hast recht.

Miss Garden (empört): Gräßlich.

Eva: Gott, ein Künstler braucht das.

Fräulein Selma Meier (rasch zustimmend): Ja, da darf man nicht kleinlich sein, Miß Garden!

Eva (plötzlich zornig werdend, mit erhobener Stimme): Ja. Aber – aber Frau Jura braucht er nicht!

Fräulein Selma Meier: Nein!

Eva (immer zorniger): Aber Frau Jura glaubt ja seit je, sie muß überall die Erste sein! Immer drängt sie sich vor, von allem will sie haben! Ich hab' es ja gewußt, vom ersten Tag an, wo sie plötzlich hier aufgetaucht ist! Frau Jura hatte plötzlich ihr musikalisches Herz entdeckt! (Höhnisch) Musikalisch, die gute Delphine, ach Gott! Ganz so wie sie den Doktor Jura heiraten mußte, als das Skilaufen Mode wurde, denn da war ja der damals das Höchste! Nicht ein einziger echter Zug ist an dieser Frau! (In einem andern Ton, voll Mitleid; sehr rasch) Der arme Mann tut mir schrecklich leid! Ein so gescheiter, einfacher und netter Mensch! Unbegreiflich sind die Männer! Und nun, kaum ein Jahr nach der Hochzeit, noch kein Jahr nach der Hochzeit – das tut man doch nicht! Ich bin nicht prüde, ich bin auch modern, wer kann dem Zug des Herzens widerstehen? Aber eine anständige Frau hält doch eine gewisse Frist ein! Noch kein Jahr nach der Hochzeit! Der arme Mann! Aber ich hätte es ihm voraussagen können! Ich kenne die gute Delphine! Und sie – (Wieder sehr zornig; höhnisch entschlossen, indem sie aufspringt) sie soll mich auch kennen lernen! (Rennt durch das Zimmer) Denn da bin ich noch da! Oho, oho! Du sollst mich schon noch kennen lernen, mein stolzes Delphinchen! Oho, da bin ich noch da! (Reibt sich boshaft die Hände.) 27

Fräulein Selma Meier (rennt ihr nach; gierig): Was hast du vor?

Eva (lacht nur laut, ohne zu antworten).

Miss Garden (drängend): O sagen Sie doch! Sagen Sie!

Eva (lacht nur höhnisch, durchs Zimmer rennend).

Fräulein Selma Meier (gierig): Sprich doch! Du hast einen Plan!

Miss Garden: Ich bin fürchterlich gespannt!

Fräulein Selma Meier: Du hast etwas vor!

Miss Garden: O sagen Sie! O sagen Sie!

Fräulein Selma Meier: Was willst du?

Eva (hört zu lachen auf und bleibt stehen; rasch, scharf): Ich will – (sie tritt in die Mitte zwischen Miß Garden und Fräulein Selma Meier, faßt jede bei der Hand und sieht sie groß an; nach einer Pause, langsam, einfach, gelassen) Ich will den Meister retten.

Fräulein Selma Meier (berauscht): Herrlich!

Miss Garden (bewundernd): O Sie sind eine tapfere Frau!

Eva (einfach): Ich rette den Meister.

Fräulein Selma Meier (gierig): Wie?

Miss Garden: Ich möchte mit retten.

Fräulein Selma Meier: Sag uns doch deinen Plan!

Miss Garden: O sagen Sie! Sagen Sie!

Eva (überlegen lächelnd, sehr bestimmt, sehr ruhig): Ich rette den Meister. (Läßt die Hände der beiden los und wendet sich zur Tür rechts.) Adieu.

Fräulein Selma Meier (aufgeregt): Was denn? Wohin willst du?

Eva: Ich habe keine Zeit mehr.

Miss Garden: O nehmen Sie mich mit!

Eva: Morgen sollt ihr alles hören.

Fräulein Wehner (rechts draußen; noch unsichtbar; schreiend): Nein, ich lasse Sie nicht fort! Sie müssen mit zur gnädigen Frau! 28

Eva (durch den Lärm draußen aufmerksam; neugierig): Was ist denn da? (Steht nach rechts hin horchend.)

Frau Claire Floderer (rechts draußen; noch unsichtbar; mit erregter Stimme): Aber hören Sie doch nur, wenn ich Ihnen schon sage –

Fräulein Selma Meier (erregt flüsternd): Da geht etwas vor! (Steht nach rechts hin horchend.)

Fräulein Wehner (noch draußen): Nein, Sie müssen mit!

Miss Garden (begeistert): O heute geht entsetzlich viel vor! (Steht nach rechts hin horchend.)

Frau Claire Floderer (noch draußen): Wenn ich Ihnen doch schon sage –!

Eva (nach rechts hin horchend; spöttisch): Die tragische Muse!

Fräulein Wehner (in der Tür rechts erscheinend, ein kleines eingerahmtes Bild in der Hand, Frau Floderer nachziehend; sehr aufgeregt): Ich habe die Pflicht, der gnädigen Frau das anzuzeigen.

Frau Claire Floderer (in der Tür rechts, hinter Fräulein Wehner erscheinend): Aber hören Sie mich doch erst an, daß ich Ihnen erkläre –!

Fräulein Wehner: Die gnädige Frau soll dann entscheiden! (Sie will die Frau Floderer nach links ziehen, erblickt jetzt Eva mit den Damen und bleibt verwundert stehen; erstaunt) Oh! Die Damen sind noch hier?

Eva, Fräulein Selma Meier und Miss Garden (sich um das Fräulein Wehner und Frau Floderer drängend, neugierig durcheinander fragend): Was ist denn geschehen? Sagen Sie, Fräulein! Erzählen Sie doch, Frau Floderer! Was habt ihr denn? Was geht denn vor?

Frau Claire Floderer (tragisch klagend): Die Person hat sich erkühnt –

Fräulein Wehner (einfallend, das kleine Bild schwingend): Bitte, meine Damen, sie hat dieses Bild –

Eva (den Hals reckend): Was für ein Bild? 29

Frau Claire Floderer (immer sehr breit, mit tiefer Stimme): Es ist ja nicht wahr, sondern –

Fräulein Selma Meier (den Hals reckend): Lassen Sie sehen?

Miss Garden (den Hals reckend): Ein Bild? Oh!

Fräulein Wehner (schreiend): Hören Sie doch, meine Damen! Frau Floderer hat –

Frau Claire Floderer: Diese Person lügt!

Fräulein Selma Meier: Hört doch, hört! Erzählen Sie doch, Fräulein!

Eva (heftig zu Frau Floderer): So lassen Sie sie doch endlich erzählen!

Fräulein Wehner (fast weinend vor Aufregung): Ich kam eben dazu, wie Frau Floderer im Vorzimmer dieses Bild von der Wand nahm und zu sich stecken wollte!

Eva (empört): Oh!

Fräulein Selma Meier (entsetzt): Oh!

Miss Garden (gleichgültig): Oh!

Frau Claire Floderer (leise klagend, fast weinend): Aber ich wollte doch nur –

Fräulein Wehner (die Hand mit dem Bilde senkend, das Bild betrachtend; in einem andern Ton, verzückt): Ein Bild des Meisters mit siebzehn Jahren!

Eva (sich an das Fräulein Wehner drängend, um über ihre Schulter das Bild zu betrachten; alles vergessend, verzückt): Die lieben Augen!

Fräulein Selma Meier (sich von der anderen Seite an Fräulein Wehner drängend; verzückt): Der weiche Mund!

Miss Garden (hinter Fräulein Wehner, über ihre Schulter auf das Bild blickend; verzückt): O sein Mund ist seitdem viel härter geworden!

Frau Claire Floderer (sich an Fräulein Wehner drängend, das Bild betrachtend; verzückt): Sein Mund ist doch noch immer weich!

Miss Garden: O jetzt ist sein Mund prachtvoll hart! 30

Frau Claire Floderer: Weich!

Eva (entscheidend): Sein Mund ist weich und hart zugleich.

Fräulein Selma Meier (begeistert zustimmend): Ja!

Fräulein Wehner (plötzlich sich erinnernd, das Bild hebend, anklagend): Und dieses teure Bild hat Frau Floderer stehlen wollen!

Miss Garden, Eva, Fräulein Selma Meier (auseinanderfahrend, durcheinander sprechend): Oh! Gräßlich! Nein!

Frau Claire Floderer (mit tragischer Beteuerung): Nein! Nicht stehlen! Nein! Ich will es doch nur für mich photographieren lassen!

Eva (rasch): Für mich auch, Frau Floderer!

Fräulein Selma Meier (rasch): Für mich auch!

Miss Garden (rasch): O ja für mich auch!

Miss Garden, Eva, Fräulein Selma Meier (Fräulein Wehner bedrängend, durcheinander): Das darf sie doch! Lassen Sie sie doch, Fräulein! Das ist erlaubt! Warum denn nicht? Sie will es ja nur photographieren! Für uns alle!

Fräulein Wehner (in einem anderen Ton, hoffnungsvoll selig): Für mich auch?

Fräulein Selma Meier (drängend): Für uns alle doch!

Frau Claire Floderer: Natürlich auch für Sie. (Streckt die Hand nach dem Bilde aus.)

Fräulein Wehner (das Bild verzückt betrachtend): Für mich auch!

Frau Claire Floderer: Geben Sie mir nur das Bild!

Miss Garden und Fräulein Selma Meier (durcheinander): Für uns alle doch! Aber geben Sie ihr das Bild! Sie hören doch!

Fräulein Wehner: Wenn Sie mir versprechen, daß ich wirklich –

Frau Claire Floderer, Miss Garden und 31 Fräulein Selma Meier (durcheinander): Sie hören doch! Jede kriegt ein Bild! Geben Sie nur!

Frau Claire Floderer (ergreift das Bild und drückt es an ihren Busen): Jede kriegt ein Bild!

Eva (greift plötzlich mit der Hand an ihr Herz und schreit auf; dann atemlos): Es ist ja die höchste Zeit!

(Stürzt rechts ab.)

Frau Claire Floderer (durch Evas Schrei erschreckt; tragisch): Was ist geschehen?

Fräulein Wehner (durch Evas Schrei erschreckt): Um Gottes willen! (Will Eva nach.)

Fräulein Selma Meier (tritt dem Fräulein Wehner in den Weg; triumphierend): Nein! Lassen Sie sie!

Miss Garden: Sie muß fort.

Fräulein Wehner (erschreckt): Was hat sie?

Frau Claire Floderer: Sie war ganz bleich!

Miss Garden (stolz): Ja, Sie wissen noch nichts!

Fräulein Selma Meier (triumphierend): Sie rettet den Meister!

Miss Garden: Sie rettet den Meister!

Fräulein Wehner (aufgeregt, fast weinend): Um Gottes willen!

Frau Claire Floderer (tragisch, mit tiefer Stimme): O Gott! O Gott!

Fräulein Wehner: Was ist mit dem Meister?

Fräulein Selma Meier (stolz): Ja, Sie wissen noch nichts?

Fräulein Wehner (atemlos): Sagen Sie!

Frau Claire Floderer (tief): Sagen Sie doch!

Fräulein Selma Meier (lachend, sehr rasch): Nämlich das Konzert –

Miss Garden (fällt lachend ein): Ja, das Konzert –

Fräulein Wehner (gierig): Das Konzert?

Frau Claire Floderer (angstvoll): Das Konzert?

Fräulein Selma Meier (mit ganz heller Stimme): Ist gar kein Konzert, sondern – 32

Miss Garden (lachend, breit): Ist gar kein Konzert!

Fräulein Wehner (sprachlos): Kein Konzert?

Frau Claire Floderer (das Bild an ihren Busen drückend; angstvoll drängend): Sondern? Sondern?

Fräulein Selma Meier (hell, durchdringend): Sondern Frau Jura –

Fräulein Wehner (kurz aufschreiend): Frau Jura?

Miss Garden (breit): Frau Delphine Jura!

Fräulein Selma Meier (hell): Frau Delphine Jura hat den Meister entführt!

Frau Claire Floderer (tragisch, mit tiefer Stimme): O Gott!

Fräulein Wehner (ausbrechend): Ich hab's aber geahnt! (Fängt zu weinen an.)

Fräulein Selma Meier: Sie sind zusammen in die Hütte hinauf –

Fräulein Wehner (zuckt zusammen; weinend): In die Hütte!

Fräulein Selma Meier: Wo der Meister stets –

Miss Garden: Ja, dort pflegt der Meister –

Frau Claire Floderer (tief, dumpf): In die Hütte! Mit ihr!

Fräulein Wehner (weinend): Und ich hatte Frau Eva in Verdacht!

Marie (öffnet die Tür links; noch unsichtbar, rufend): Fräulein!

Fräulein Wehner (sucht sich zu fassen): Ja, gnädige Frau!

(Winkt den Damen, daß sie fortgehen sollen.)

Frau Claire Floderer (zuckt bei der Stimme Maries zusammen): O Gott!

(Schleicht tragisch zur Tür rechts.)

Marie (tritt ein und bemerkt die Damen; verwundert): Die Damen sind noch hier?

Fräulein Wehner (verlegen): Die Damen wollten eben – 33

Fräulein Selma Meier (hochmütig, kühl): Wir wollen eben – (kurz grüßend) Gnädige Frau!

(Geht nach rechts.)

Marie: Lassen Sie sich nicht stören!

(Geht ins Musikzimmer.)

Miss Garden (langsam): Good bye!

(Rauscht mit verächtlicher Miene rechts ab.)

Frau Claire Floderer (tragisch, mit schwerer Stimme): Und das ist seine Frau! (Rechts ab.)

Fräulein Selma Meier: Darin sind alle Männer gleich. Auch die höchsten. (Rechts ab.)

Fräulein Wehner (schließt hinter den Damen die Tür rechts und kommt dann ins Zimmer zurück.)

Marie (aus dem Musikzimmer kommend, Blumen in der Hand): Da liegen noch überall Blumen, Fräulein! Bitte, bringen Sie sie mir! Und bringen Sie mir ein paar Vasen!

Fräulein Wehner (geht ins Musikzimmer).

Marie (geht an den Tisch und sortiert die Blumen; sie blickt dann auf und sieht schnuppernd durch das Zimmer; die Nase rümpfend, ins Musikzimmer rufend): Und machen Sie drin die Fenster auf!

(Setzt sich an den Tisch, die Blumen sortierend.)

Fräulein Wehner (aus dem Musikzimmer rufend): Ja, gnädige Frau!

(Pause; dann kommt sie zurück und bringt Blumen und zwei Vasen an den Tisch.)

Marie (nimmt eine der Vasen): Danke. (Während sie die Vase füllt.) Und Fräulein, trachten Sie doch, den Damen abzugewöhnen, daß sie sich hier häuslich niederlassen! Hier ist ja schließlich kein Klub.

Fräulein Wehner (gehorsam, mit ein wenig zitternder Stimme): Ja, gnädige Frau!

Marie (ruhig): Ich habe Ihnen das neulich schon einmal gesagt und möchte es nicht noch einmal sagen müssen. (Auf die Vase zeigend, die sie gefüllt hat) Auf das Tischchen, bitte!

Fräulein Wehner: Es soll nicht mehr 34 vorkommen. Nur heute, bei der Aufregung der Damen –! (Trägt die Vase zum Tischchen rechts.) Es war unmöglich, sie zu beruhigen, gnädige Frau!

Marie (mit einer ganz leisen Ironie): Waren die Damen aufgeregt?

Fräulein Wehner (am Tischchen rechts): Ja. Sehr.

Marie: Warum denn?

Fräulein Wehner: Gnädige Frau wissen doch, wie die Damen sind, wie die Damen an dem Herrn Professor hängen! Nun und als sie da heute plötzlich erfuhren, daß der Herr Professor verreist, um ein Konzert – (sie stockt, weil sie sich bei dem Wort erinnert; es kommen ihr wieder die Tränen.)

Marie: Was haben denn die Damen gegen das Konzert? (Auf die zweite Vase zeigend) Geben Sie das aufs Klavier, bitte!

Fräulein Wehner (kommt wieder zum Tisch; sehr verwirrt): Nein, natürlich können sie gegen das Konzert nichts haben. Nein, natürlich nicht. Aber doch. (Sie nimmt die Vase, hat vergessen, wohin sie soll, und blickt ratlos umher.)

Marie (bemerkt ihre Verwirrung, sieht ihr zu und wiederholt dann, ruhig): Aufs Klavier, bitte.

Fräulein Wehner (erschrickt, eilig): Gewiß, gnädige Frau! (Geht ins Musikzimmer und trägt die Vase zum Klavier; dann, zurückkommend, in der Hoffnung, fort zu dürfen) Brauchen Gnädige Frau sonst noch was von mir?

Marie: Kommen Sie einmal her, Fräulein!

Fräulein Wehner (kommt an den Tisch).

Marie: Setzen Sie sich einmal ein bißchen zu mir, Fräulein!

Fräulein Wehner (setzt sich).

Marie: Sehen Sie mich einmal an, Fräulein!

Fräulein Wehner (blickt verlegen auf).

Marie: Sie sind ja ganz verweint!

Fräulein Wehner (verwirrt): Ich? Aber nein! 35

Marie: Ist Ihnen vielleicht auch das Konzert nicht recht?

Fräulein Wehner: Mir? O nein! (Sich verbessernd) O ja!

Marie: Was haben Sie denn?

Fräulein Wehner: Aber nichts, gnädige Frau! Wirklich nicht.

Marie: Warum haben Sie denn dann geweint?

Fräulein Wehner (fängt zu weinen an): Ich habe doch nicht geweint!

Marie: Nein? Und jetzt?

Fräulein Wehner (weinend): Ich habe nur, ich habe nur – (ringt die Hände).

Marie: Nun was denn?

Fräulein Wehner (weinend, jammernd): Meine Nerven, meine Nerven, gnädige Frau!

Marie: Früher aber haben Sie doch keine Nerven gehabt? Nie!

Fräulein Wehner (sich schneuzend): Nein.

Marie: Hören Sie, Fräulein, ich will Ihnen was sagen.

Fräulein Wehner (sich schneuzend): Ja.

Marie: Sie sind jetzt den vierten Monat hier. Ich war sehr zufrieden mit Ihnen. Ich habe schon gehofft: mit Ihnen wird es gehn! Es ist ja noch mit keiner gegangen.

Fräulein Wehner (bittend): Aber, gnädige Frau, ich will ja doch –

Marie (einfallend): Hören Sie mir nur zu, Fräulein! Erinnern Sie sich, was ich Ihnen damals gesagt habe? Als Sie sich vorstellten?

Fräulein Wehner (nickt heftig).

Marie: Ich habe Ihnen gesagt, was Sie hier zu tun haben werden und daß das gar nicht viel ist und daß es Ihnen sicher ganz leicht werden wird und Sie sich gewiß bei uns sehr wohl fühlen werden, bis auf eine große Schwierigkeit, die hier besteht und an der noch alle Ihre Vorgängerinnen gescheitert sind. Erinnern Sie sich? 36

Fräulein Wehner: Ja, gnädige Frau!

Marie: Ich habe Ihnen gesagt, daß Ihre Vorgängerinnen sich stets in den Herrn verliebt haben und daß sich das dann immer wieder als untunlich herausgestellt hat. Das, habe ich Ihnen gesagt, ist die große Schwierigkeit in unserm Haus. Und Sie haben mir versprochen –

Fräulein Wehner (beteuernd): Aber gnädige Frau!

Marie: Denn schauen Sie, Fräulein! Es geht nicht! Es hat sich noch jedesmal wieder gezeigt, daß es nicht geht! Der Herr mag das durchaus nicht, die Schülerinnen merken es gleich und klatschen, Sie kennen die Damen doch, und ich kriege dann die Vorwürfe. Denn der Herr will wenigstens im Haus Ruhe haben und ich kann es ihm nicht verdenken. Und darum, so leid es mir täte, Sie zu verlieren, da ich wirklich mit Ihnen sehr zufrieden bin, es bliebe mir doch nichts anderes übrig. Wir haben da schon zu schreckliche Erfahrungen gemacht. Und nun sagen Sie mir: wäre es denn nicht vielleicht doch noch möglich, das zu vermeiden? Vielleicht läßt sich doch noch ein Mittel dagegen finden! Denn wenn Sie jetzt wieder gehen und wieder eine andere kommt, ist ja doch in vier Wochen dieselbe Geschichte! Der Gedanke macht mich schon ganz verzagt. Also, wär's denn nicht möglich, Fräulein?

Fräulein Wehner (heulend): Der Herr Professor ist so schön!

Marie (ratlos): Ja, mein Gott!

Fräulein Wehner (heulend): Und ich will ja gar nichts, ich will doch nichts! Schicken Sie mich nur nicht fort!

Marie: Das nützt doch alles nichts! Eines Tages merkt es der Herr doch und dann ist es aus. Sie werden ja sehen! Es macht ihn zu wütend. Da kann ich Ihnen dann auch nicht helfen.

Fräulein Wehner (plötzlich zornig): Und die Damen von der Schule? Die sind doch auch alle 37 verliebt in ihn! Da sagt er nichts. Warum dürfen denn die?

Marie: Das ist was anderes. Die Damen der Schule, das läßt sich schließlich nicht ändern. Da gehört es zu seinem Beruf. Nicht wahr, dafür wird er ja bezahlt, davon leben wir ja. Das müssen Sie doch einsehen, Fräulein! In seinem Beruf beherrscht er sich. Aber gerade darum kann er wohl verlangen, in seinem Hause dann Ruhe zu haben. Ich mein's Ihnen ja gut! Ich warne Sie bloß. Es ist immer wieder dieselbe Geschichte.

Fräulein Wehner (ihre Tränen trocknend, zerknirscht): Ich danke schön, gnädige Frau! Ich danke vielmals. (Ergreift die Hand Maries und küßt sie.) Gnädige Frau sind ja so gut! (Fängt wieder zu weinen an.)

Marie: Also nehmen Sie sich ein bißchen zusammen! Es geht eben nicht. Ich kann Ihnen da nicht helfen, ich muß mich an das halten, was der Herr will. (Es klopft an der Tür rechts.) Sehen Sie doch einmal nach!

Fräulein Wehner (steht auf und geht zur Tür rechts).

Eine Stimme (rechts draußen): Einen Augenblick, Fräulein!

Fräulein Wehner (rechts ab).

Marie (sieht ihr nach, dann lehnt sie sich zurück und blickt aus ihren gescheiten Augen lächelnd vor sich hin, innerlich sehr amüsiert).

Fräulein Wehner (durch die Tür rechts, mit einem großen Veilchenstrauß; sie trägt ihn an den Tisch und sagt, den Namen mit auffälligem Mitleid betonend): Es sind nur die Veilchen von der Gräfin Negra! (Geht zum Kamin und holt eine Vase für die Veilchen.)

Marie (lächelt unmerklich; dann wieder in ihrem ernsten und ruhigen Ton, aus dem nur bisweilen ein leiser Schimmer von Ironie dringt): Sehen Sie, Fräulein, das dürfen Sie doch auch nicht!

Fräulein Wehner (erschreckt): Was denn, gnädige Frau?

Marie: Sie sagen (den mitleidigen Ton des Fräulein 38 Wehner kopierend): die Veilchen von der Gräfin Negra! Mit einem solchen Mitleid in Ihrem Ton, daß man unwillkürlich fragt: Um Gottes willen, was ist der armen Gräfin denn passiert?

Fräulein Wehner (sehr verlegen): Aber nein, gnädige Frau, gewiß nicht!

Marie: Es klang aber so.

Fräulein Wehner (immer mehr verwirrt): Keineswegs, gnädige Frau! Wie käme ich denn dazu?

Marie: Es klang, als ob Sie sagen wollten: Diese arme Gräfin mit ihren zärtlichen Veilchen ahnt auch noch nichts von dem Konzert! So klang es.

Fräulein Wehner (wird rot vor Verlegenheit): Nein, gnädige Frau, wirklich, ich weiß gar nicht –

Marie (unerschütterlich fortfahrend): Und das muß mir dann doch auffallen, nicht? Was soll ich mir da denken? Mein Mann hat ein Konzert und ich erfahre von Ihnen, daß die Damen darüber entsetzt sind, Sie selbst sind auch ganz aufgeregt, und nun sprechen Sie noch von der Gräfin in einem Ton, als ob ihr ein schweres Unglück geschehen wäre! Muß mich das nicht auf allerhand Gedanken bringen? Warum regt es denn die Damen auf, wenn mein Mann ein Konzert hat? Und warum weint unser Fräulein, wenn mein Mann ein Konzert hat? Und warum bedauert man die Gräfin Negra, wenn mein Mann ein Konzert hat? Muß es mich nicht auf den Verdacht bringen, daß am Ende dies alles irgendwie geheimnisvoll zusammenhängen könnte?

Fräulein Wehner (in höchster Aufregung): Nein, gnädige Frau! Wie können Sie nur denken? Das ist ein unseliges Mißverständnis, ich schwöre Ihnen, nein!

Marie (die kaum mehr verbergen kann, wie sie sich amüsiert): Nein?

Fräulein Wehner (außer sich): Ich schwöre Ihnen, gnädige Frau!

Marie: Da sehen Sie doch aber, wie man sich in acht nehmen muß, und daß es in Ihrer Stellung nicht ratsam ist, zu sehr eingeweiht zu sein. Nicht? 39

Fräulein Wehner (flehentlich): Verzeihen Sie mir, gnädige Frau!

Marie: Nun beruhigen Sie sich nur! Mit mir macht das ja nicht so viel, weil ich arglos bin. Nur darf man mir es doch nicht zu sehr erschweren, nicht wahr?

Fräulein Wehner (sieht sie verständnislos an und sagt mechanisch): Ja, gnädige Frau!

(Es klopft an der Tür rechts, sie geht zur Tür rechts.)

Eine Stimme (rechts draußen): Einen Augenblick, Fräulein!

Fräulein Wehner (durch die Tür rechts ab.)

Marie (sieht ihr lächelnd nach, steht dann auf und trägt die Vase mit den Veilchen ins Musikzimmer.)

Fräulein Wehner (durch die Tür rechts): Frau Eva Gerndl will durchaus mit der gnädigen Frau sprechen.

Marie (aus dem Musikzimmer kommend; den Namen wiederholend, da sie sich nicht gleich zu besinnen weiß): Eva Gerndl?

Fräulein Wehner: Eine von den Damen. Die mit den Haaren. (Zeigt pantomimisch die Frisur Evas.)

Marie: Ach die? Die Schlange! (Kurz) Ja sagen Sie der Dame, mein Mann kommt erst in zwei Tagen zurück.

Fräulein Wehner: Nein, sie will ausdrücklich mit der gnädigen Frau selbst –

Marie (achselzuckend, ablehnend): Ich lasse sehr bedauern. (Geht wieder ins Musikzimmer.)

Fräulein Wehner: Ja, gnädige Frau. (Rechts ab)

Marie (kommt aus dem Musikzimmer, mehrere uneröffnete kleine farbige Briefe in der Hand; sie sieht der Reihe nach die Adressen an und riecht an den Briefen, die Nase rümpfend; dann schaut sie durch das Zimmer, erblickt die Briefe auf dem Tischchen, betrachtet auch diese, riecht an ihnen und nimmt sie zu den anderen).

Fräulein Wehner (durch die Tür rechts, mit einer Visitkarte in der Hand): Frau Gerndl läßt dringend 40 bitten, die gnädige Frau möchte lesen, was sie hier aufgeschrieben hat. (Reicht Marie die Visitkarte.)

Marie (am Tischchen rechts; nimmt die Visitkarte; dem Fräulein die Briefe hinreichend): Lassen Sie doch diese Briefe nicht überall herumliegen, Fräulein! Der Herr wünscht, daß sie aufgehoben werden. Er wird sie vielleicht später einmal lesen, bis er sich zurückgezogen hat. (Liest die Visitkarte; wiederholt dann, achselzuckend, halblaut) »Es handelt sich um des Meisters Leben und Tod.« (Blickt einen Moment ruhig vor sich hin; dann achselzuckend) Ich lasse bitten.

Fräulein Wehner (mit den Briefen durch die Tür rechts ab; sie läßt Eva eintreten und schließt dann die Tür rechts).

Eva (durch die Tür rechts, mit allen Zeichen der höchsten Aufregung; nach einer tiefen Verneigung vor Marie, atemlos): Verzeihen Sie, gnädige Frau, aber ich kann nicht anders! Ich habe etwas Entsetzliches getan! O was habe ich getan!

Marie (förmlich): Bitte, nehmen Sie Platz! (Setzt sich auf einen Stuhl am Tischchen rechts.)

Eva: Nein, um Gottes willen! Die Zeit drängt, sonst ist alles verloren! (Die Hände ringend) Und ich hab' es doch aber nur aus Liebe getan! Aus übergroßer Liebe, glauben Sie mir!

Marie (immer sehr ruhig): Wen lieben Sie denn?

Eva (höchst erstaunt, rasch): Ihn doch natürlich, den Meister!

Marie (die Erstaunte spielend; breit): Meinen Mann?

Eva (sieht höchst verwundert auf und weiß erst gar nicht, was sie gleich antworten soll; dann, verlegen, kleinlaut): Ja, Frau Professor.

Marie (wieder ganz ruhig, förmlich): Aber bitte, nehmen Sie doch Platz!

Eva (setzt sich kleinlaut; dann, zögernd, halb entschuldigend): Wir alle lieben ihn doch.

Marie (wieder höchst erstaunt): Wer?

Eva (unschuldig): Alle Damen von der Schule. 41

Marie (wie jemand, der kaum mehr seinen Zorn beherrschen kann): Das ist aber doch höchst seltsam!

Eva (verblüfft): Haben Sie denn das nicht gewußt?

Marie (sehr stark): Ich?

Eva (ängstlich): Ich meine nur –

Marie (einen immer heftiger aufsteigenden Zorn spielend): Sie meinen, ich weiß, und Sie denken, ich könnte – wie können Sie es wagen –?

Eva (ängstlich, rasch): Ich kann mich ja auch irren.

Marie (drängend): Wen haben Sie in Verdacht? Wen von den Damen? Ich will wissen, wen?

Eva: Ich kann mich ja auch irren.

Marie: Man spricht einen solchen Verdacht nicht aus, wenn man keinen Beweis für ihn hat!

Eva (rasch): Nein, ich habe keinen Beweis.

Marie: Aber Sie selbst! Sie sagten doch, daß Sie selbst –! Oder irren Sie sich vielleicht auch da?

Eva (ganz verwirrt): Nein. Da nicht!

Marie: Und Sie suchen mich in meiner Wohnung auf, um mir das ins Gesicht zu sagen? Ich muß gestehen, daß –

Eva: Aber nein, Frau Professor, das will ich ja gar nicht, sondern, aber, aber hören Sie mich doch nur an!

Marie: Lieben Sie meinen Mann oder nicht?

Eva (immer ängstlicher, immer schneller): Darauf kommt's aber jetzt ja gar nicht mehr an, Frau Professor!

Marie: Darauf kommt's mir sehr an, Frau Gerndl!

Eva (flehentlich): Denn die Zeit drängt –

Marie: Lieben Sie meinen Mann oder nicht?

Eva (sehr rasch): Ich liebe ihn schon, aber das macht gar nichts, Frau Professor, denn er weiß es nicht, er wird es nie wissen, ich schwöre Ihnen, aber retten Sie ihn, retten Sie ihn doch! (Springt auf und rennt durch das Zimmer) O was hab' ich getan! Was hab' ich getan!

Marie (zeigt, sobald ihr Eva den Rücken kehrt, wieder ihr ruhig lächelndes, gescheites Gesicht; dann gelassen fragend): Ja, was haben Sie denn eigentlich getan?

Eva (kehrt wieder an das Tischchen zurück): Nämlich, 42 ich war doch in einer solchen Wut, weil, denn ich, da kann ich ja nichts dafür, ich liebe ihn, aber er weiß es nicht, er wird es nie wissen, ich schwöre Ihnen, ich will ihn nur ganz im geheimen lieben, das macht doch nichts, nicht wahr, aber, also denken Sie sich, ich liebe ihn und also, als ich da hörte, das heißt, als ich glaubte, als ich mir einbildete – (Da sie merkt, daß sie sich immer mehr verwirrt, in höchster Angst) Gott und inzwischen vergeht die Zeit und er ist vielleicht, (ausbrechend) er ist ja vielleicht schon tot!

Marie (erschrocken, ernst): Ja was ist denn eigentlich? Erzählen Sie doch endlich! (Steht auf.)

Eva (weinend): Ich habe dem Doktor Jura telegraphiert, denn ich habe ja nur gedacht, er wird sie töten, und später ist mir dann erst eingefallen, er kann doch auch ihn töten! (Wieder durchs Zimmer rennend) Gott was habe ich getan! Was habe ich getan! Daran habe ich ja gar nicht gedacht!

Marie (überlegend, schon wieder ruhiger): Der Doktor Jura –? (Lächelnd) Der Doktor Jura sieht mir nicht gar so gefährlich aus.

Eva (stürzt herbei): Aber Sie wissen ja nicht! Ich habe ihm doch telegraphiert, daß seine Frau mit dem Meister fort ist! Und die genaue Adresse der Hütte! O was habe ich getan! Was habe ich getan!

Marie: Wann?

Eva: In einer Stunde werden sie dort sein.

Marie: Nein, wann Sie telegraphiert haben?

Eva: Gleich wie ich von hier fort war! Wie mir dann eingefallen ist, daß er ja vielleicht auch ihn töten kann, bin ich ja sofort aufs Amt zurück, Aber das Telegramm war schon weg. (Wieder ausbrechend) Und was soll denn jetzt geschehen?

Marie (die nachgerechnet hat; lächelnd): Jedenfalls kann er jetzt noch nicht tot sein. Es stimmt mit der Zeit nicht.

Eva (mit einem Hoffnungsschimmer): Nein?

Marie (trocken): Nein. 43

Eva: Was aber werden wir tun?

Marie: Ich werde gar nichts tun.

Eva (entsetzt): Frau Professor! Um Gottes willen!

Marie: Sie haben Herrn Doktor Jura telegraphiert, daß mein Mann mit Frau Jura fort ist, in unsere Hütte hinauf?

Eva (nickend, rasch): Ja.

Marie: Wenn nun Herr Doktor Jura dieses Telegramm bekommt und wenn etwa der Zufall will, daß wirklich seine Frau gerade nicht daheim ist –

Eva (unwillkürlich, rasch): Sie ist nicht daheim, weil sie doch –

Marie (unbekümmert fortfahrend): Und wenn ferner Herr Doktor Jura von seiner Frau so schlecht denkt und ihr so wenig vertraut, daß er das Telegramm nicht einfach in den Papierkorb wirft –

Eva (sehr rasch): Ausgeschlossen! Das tut kein Mann. Und er muß seine Frau doch kennen!

Marie (unbekümmert fortfahrend): Nun dann, dann wird sich Herr Doktor Jura jetzt ein Automobil nehmen, wird in die Klamm fahren, wird in drei Stunden dort sein und von dort dann nach der Hütte gehen, die er auf einem wunderschönen Wege bequem in einer Stunde erreicht; und die Hütte wird leer und das wird ihm eine gute Lehre sein, daß ein Mann, der jeder albernen Verleumdung glaubt, sich bloß lächerlich macht. Denn die Hütte wird doch leer sein? Mein Mann hat mir doch gesagt, daß er ein Konzert hat. Oder glauben Sie, daß mein Mann mich anlügt und mich hintergeht?

Eva (sehr rasch): Nein, nein!

Marie: Nun also!

Eva (in ihrer Angst): Wenn aber doch vielleicht –

Marie: Was?

Eva (immer schneller): Wenn durch einen unseligen Zufall vielleicht –

Marie: Was für einen Zufall?

Eva: Ich meine nur, Sie kennen ja diese fürchterliche Frau nicht, und der Meister, in seiner Güte, wer weiß – 44

Marie: Ah, Sie meinen, wenn die Hütte –

Eva (eilig): Ja, wenn die Hütte nicht –

Marie: Wenn die Hütte nicht leer wäre?

Eva (gespannt): Ja!

Marie: Wenn mein Mann mich angelogen hätte? Wenn mein Mann ein Elender wäre?

Eva (beschwörend): Nein, Sie wissen ja nicht, wie gefährlich diese Person ist! Sie hat den Meister eben umgarnt!

Marie (gleichgültig): Ja dann!

Eva (in höchster Spannung): Dann?

Marie (gleichgültig, langsam): Dann wird Herr Doktor Jura seine Frau töten, oder meinen Mann, oder alle zwei, das hängt von seinem Temperament ab.

Eva (hält sich beide Ohren zu): Entsetzlich!

Marie (gleichgültig, bis zum Parodistischen): Ich kann da natürlich gar nichts tun. Ich muß auch offen sagen: ein Mann, der mich betrügt – (bricht achselzuckend ab, mit einer wegwerfenden Gebärde; dann, in einem anderen Ton) Und ich kann das um so ruhiger sagen, als ich ja ganz sicher bin, daß mein Mann mich nicht betrügt. Nicht wahr?

Eva (sich ganz vergessend, losbrechend): Aber, Frau Professor, da muß ich Ihnen doch sagen – (hält erschrocken ein.)

Marie: Was? Was könnten Sie mir sagen? Elf Jahre sind wir verheiratet! Da hätt' ich doch einmal etwas merken müssen. Nicht?

Eva (sieht sie starr an und kann nichts sagen).

Marie (durch Evas Verlegenheit belustigt): Aber sprechen Sie nur! Was wollten Sie mir sagen!

Eva (schüttelt ratlos den Kopf): Nein, nein! Nichts, wirklich nichts! (Wieder durchs Zimmer schießend.) Was hab' ich getan! Und die Zeit verrinnt! Ich Unglückselige! Was hab' ich da getan?

Marie: Und es gibt doch ein so einfaches Mittel!

Eva (schießt auf sie zu; mit einer letzten Hoffnung): Ja? Was? 45

Marie: Gehen Sie doch einfach zum Doktor Jura hin! Sie finden ihn sicher daheim, und mit seiner Frau.

Eva (blickt Marie noch einmal fassungslos an und gibt es auf; rasch): Sie haben recht. (Rennt zur Tür rechts, kommt aber gleich noch einmal zurück; förmlich) Verzeihen Sie, Frau Professor, daß ich Sie gestört habe. Es muß ein Irrtum gewesen sein. (Nach einer tiefen Verneigung, die in der Eile sehr ungeschickt ausfällt, rechts ab.)

Marie: Und vergessen Sie nicht, dem Doktor Jura zu sagen, von wem das Telegramm ist! (Nachdem Eva fort ist, wird ihr Gesicht ernst und sie steht einen Moment nachdenklich, dann geht sie zur Tür rechts und läutet!)

Fräulein Wehner (durch die Tür rechts, bleibt in der Tür).

Marie: Sehen Sie doch einmal nach, ob Herr Doktor Jura ein Telephon hat. Doktor Franz Jura. Wenn er eins hat, so fragen Sie an, ob der Herr Doktor zu Hause ist. Und sagen Sie meinen Namen und daß ich ihn zu sprechen wünsche und rufen Sie mich. Aber besorgen Sie das jetzt gleich!

Fräulein Wehner: Ja, gnädige Frau! (Rechts ab, die Tür bleibt offen, man hört das Telephon.)

Marie (ungeduldig im Zimmer auf und ab; sie ist jetzt sehr ernst; nach einer Pause, nach rechts hinausrufend, ungeduldig): Nun, Fräulein?!

Fräulein Wehner (von draußen rechts rufend): Gleich, gnädige Frau! (Man hört das Telephon.)

Marie (wieder unruhig durchs Zimmer; sie zupft an den Blumen und kann sich kaum beherrschen).

Fräulein Wehner (durch die Tür rechts; bleibt in der offenen Tür): Herr Doktor Jura ist nicht zu Hause. Er ist vor kaum einer halben Stunde fortgegangen.

Marie (nickt nur kurz, steht nachdenklich).

Eine Stimme (rechts draußen; rufend): Fräulein! Bitte!

Marie (geht ins Musikzimmer).

Fräulein Wehner (geht rechts ab und kommt 46 sogleich wieder eilig zurück): Herr Doktor Jura möchte mit der gnädigen Frau sprechen.

Marie (im Musikzimmer, rasch vorkommend, froh): Am Telephon? Ist er doch noch –?

Fräulein Wehner: Nein, der Herr Doktor selbst. Er ist hier.

Marie (sehr froh): Er ist hier? Ich lasse bitten.

(Sie muß lachen und hat sich nun wieder ganz in der Gewalt.)

Fräulein Wehner (rechts ab, läßt Doktor Jura ein und schließt hinter ihm die Tür.)

Jura (fünfundzwanzig Jahre; klein, schmächtig, anscheinend schwächlich; seine ganze Kraft scheint in den Kopf gedrängt, der im Verhältnis zu groß wirkt; kurze, glatte, blonde Haare, die Stirne sehr stark, große, sehr helle, sehr lustige blaue Augen, die, wenn er im Sprechen oder beim Zuhören lebhaft wird, fast herauszuhängen scheinen, mit einem fast glotzenden Ausdruck; er hält sich schief und hat die Gewohnheit, die Ellbogen an den Leib gepreßt zu halten und nur mit den Unterarmen zu agieren, wodurch er bisweilen einer Marionette nicht unähnlich ist; im Gespräch drängt er sich gern ganz an den Partner heran und hat das Bedürfnis, ihn bei der Hand zu nehmen oder an einem seiner Knöpfe zu drehen oder einen Faden aus seinem Rock zu zupfen; er ist sehr zutunlich, schmiegt sich an und hat etwas Bittendes, Schmeichelndes in seiner ganzen Art, die dabei doch immer zu verstehen gibt, daß er sich im Grund über alle Welt lustig macht, gar keinen Respekt hat und gewohnt ist, sich alles erlauben zu können; er hat allerhand seltsame Manieren, wie er denn keinen Augenblick ruhig steht, sondern immer von einem Fuß auf den anderen tanzt und, wenn er ungeduldig wird, was sein gewöhnlicher Zustand ist, mit beiden Füßen scharrt; dies gibt seinem ganzen Wesen etwas Springendes und Flackerndes, er ist wie ein Licht in der Hand eines Betrunkenen; er trägt sich so salopp, daß man ihn auf den ersten Blick für ärmlich gekleidet hält und allmählich erst mit Verwunderung entdeckt, wie 47 teuer, wenn auch freilich ganz unmodisch, er angezogen ist, nur flattern seine Kleider wie an einer Stange; sieht er zuerst fast einem vazierenden Schauspieler gleich, so möchte man ihn dann eher für einen halten, der sich in einer lächerlichen Verkleidung gefällt; er trägt einen verdrückten, hellgrauen italienischen Schlapphut, ein weiches blaues Hemd mit einer schlecht geknüpften weißen Krawatte, einen sehr weiten Anzug aus derber Rohseide mit sehr vielen, sehr großen Taschen, in denen Zeitungen, Bücher und eine Menge Bleistifte stecken, blaue Strümpfe und gelbe Sandalen; tritt durch die Türe rechts rasch ein, ins Zimmer fallend, sieht Marie neugierig an, lacht, nickt ihr lachend zu und wartet, was sie sagen wird).

Marie (sieht ihn lächelnd an, durch seinen Anblick gleich ganz beruhigt, und sagt dann, um nur etwas zu sagen, halb fragend): Herr Doktor Jura?

Jura (lachend): Kennen Sie mich noch? Wir haben uns ja manchmal in Gesellschaft gesehen, aus der Ferne. (Lachend, halb entschuldigend) Meine Frau schleppt mich überall herum!

Marie (indem sie zu dem Wandsofa geht und sich setzt): Ja, ich habe das Vergnügen. (Ladet ihn ein, sich zu setzen.) Bitte.

Jura (ihr mit dem Finger drohend): Das werden wir ja erst sehen, ob es ein Vergnügen ist. (Durchs Zimmer sehend, die Blumen erblickend; ernst) Das sollten Sie aber nicht tun! Haben Sie keinen Garten?

Marie (überrascht): O ja. Warum?

Jura: Dann lassen Sie doch die Blumen im Garten. Blumen gehören in den Garten.

Marie: Sie sind so schön, das ganze Zimmer wird davon hell.

Jura (ernst, sachlich): Wenn einer Ihnen den Kopf abschneiden möchte, Sie sind auch schön! Blumen abzuschneiden ist gemein, weil es ihnen weh tut. Und ist Ihnen das nicht ungemütlich, unter Leichen zu sitzen? (Nimmt die Vase vom Tischchen und stellt sie auf den Tisch links weg.) Schrecklich, daß die Menschen 48 die einfachsten Dinge nicht einsehen! Wenn die Menschen sich untereinander weh tun, meinetwegen, das hat noch wenigstens einen Sinn; denn es belebt. Aber den armen Blumen, die sich nicht einmal wehren können! (Kommt zum Tischchen zurück und sieht Marie lächelnd an, mit einem schmeichelnden Blick.) Sind Sie beleidigt? Aber nein!

Marie (lächelnd): Nein.

Jura (herzlich): Nicht wahr? Mit mir darf man nie beleidigt sein. Denn ich meine es nicht so. (Setzt sich.) Und Sie sind ja ganz gescheit!

Marie (lustig): Glauben Sie?

Jura (sieht ihr fest ins Gesicht): Sieht man doch! Nämlich nicht mit dem Kopf gescheit, das nutzt doch auch nichts. Sondern man muß wie ein Hund gescheit sein, mit der Nase.

Marie (greift unwillkürlich an ihre Nase): Mit der Nase?

Jura (ernst): Beim Menschen ist es eine innere Nase, gewissermaßen. Deswegen sind Sie mir gleich aufgefallen.

Marie: Sie haben aber nie mit mir geredet!

Jura: In Gesellschaft kann man doch nicht reden. Gott bewahre! Wenn mir deshalb einmal in Gesellschaft etwas Besseres unterkommt, denke ich mir: Nein, nur acht geben, daß du den oder die nicht kennen lernst, denn du verdirbst dir sie nur! Weil nämlich, wenn ein dummer Mensch was Dummes sagt – das geht ja noch! Wenn aber ein gescheiter Mensch was Dummes sagt, das ist gräßlich! In Gesellschaft sagt aber auch der gescheiteste Mensch nur Dummes, weil er muß, sonst wird er unbeliebt, weil er so schon verdächtig ist.

Marie: Auch Sie?

Jura (vergnügt): Nein, ich darf. Ich darf schon gescheit sein, mir erlauben sie's. Weil ich die Spezialität habe, für verrückt zu gelten.

Marie (etwas hochmütig): Und das macht Ihnen Spaß? 49

Jura (ernst): Nein.

Marie: Sonst gingen Sie ja doch nicht in Gesellschaft!

Jura (stockernst): Ich gehe ja nicht. Meine Frau bringt mich mit. (Blickt auf und lacht.)

Marie (lächelnd): So ist das bei Ihnen?

Jura (nickt): Umgekehrt wie bei Ihnen. Der gescheitere Teil ist immer das Opfer.

Marie (unangenehm berührt): Sie kennen doch meinen Mann kaum.

Jura: Ich habe ihn gesehen.

Marie (gereizt): Finden Sie es sehr taktvoll –?

Jura (vergnügt): Sie werden noch staunen, wie taktlos ich bin! (Ernst) Aus lauter Takt kommen die Menschen nie zusammen. Statt einander offen zu sagen: Ich bin so und so, das mag ich und das mag ich nicht, dafür darfst auch du so und so sein, das mögen und das nicht, bis daher geht mein Gebiet, bis daher deins, und jetzt wollen wir gute Nachbarn sein! So ist es, meine liebe Frau! Man kann mit einem Hund auskommen und man kann mit einer Katz auskommen, aber wissen muß man, ob's ein Hund oder eine Katz ist. Das aber verhindert der sogenannte Takt. Klarheit tut uns not, Klarheit ist das einzige; dann geht alles. Und Klarheit gibt's bloß unter taktlosen Menschen.

Marie: Sie hören sich gern reden.

Jura: Sehr gern. Denn es ist ein Vergnügen, einem Menschen zuzuhören, der sich klar ist.

Marie: Es ist sehr lieb von Ihnen, auch mir dieses Vergnügen zu machen.

Jura: Deswegen bin ich aber eigentlich gar nicht da.

Marie: Ich dachte!

Jura (lachend): Nein, so menschenfreundlich bin ich gar nicht. (Sieht sie an.) Sie sind wohl schon schrecklich neugierig, was ich eigentlich will? Es ist auch komisch. (In einem anderen Ton; naiv) Sie haben gewiß schon viel von mir gehört? (Plötzlich erschrocken, da 50 Marie ihn lächelnd ansieht) Was sehen Sie mich denn an? Hab' ich denn –? (Greift nach seiner Krawatte) Nein, ich habe ja meine Krawatte sogar! Ich vergesse so leicht meine Krawatte und dann sehen mich die Damen immer an. Aber ich habe sie ja, was wollen Sie denn? (Sieht sie lachend an.) Ein so angenehm gescheites Gesicht haben Sie! Ich habe mich sicher in Ihnen nicht getäuscht. Nun?

Marie (seinen fragenden Ton übernehmend): Nun?

Jura: Ach ja, Sie haben recht, an mir ist es. Kennen Sie meine Frau?

Marie (kühl): Wir sind uns begegnet.

Jura: Genieren Sie sich nicht!

Marie: Ich habe gar kein Urteil über sie.

Jura: Sie genieren sich!

Marie: Sie ist eine Schülerin meines Mannes.

Jura: Aber sonst haben Sie nichts gegen sie?

Marie: Warum?

Jura: Ich habe nämlich auch sonst noch manches gegen Ihren Mann.

Marie (seinen Ton ablehnend): Ich habe meinen Mann sehr gern.

Jura: Ich habe meine Frau sehr gern.

Marie: Dann sind wir ja einig.

Jura: Bis auf eins. Es ist ein großer Unterschied. Meine Frau betrügt mich nämlich. Denken Sie sich! Ganz gewiß.

Marie: Und um mir das zu sagen –?

Jura (nickt): Ja. Darum bin ich da. Sie haben doch ein bißchen Zeit? Und es interessiert Sie ja gewiß. Das interessiert eine Frau doch immer.

Marie: Es ist ja sehr ehrenvoll für mich, daß Sie sich gerade bei mir Rat holen wollen, aber ich weiß doch nicht –

Jura: Rat? Nein. Aber nein! Ich bin mir nur jetzt nicht klar, was ich eigentlich tun soll. Ich muß nachdenken.

Marie: Und da denken Sie bei mir nach? 51

Jura (nickt): Denn zum ordentlichen Nachdenken gehört, daß man laut nachdenkt. Ich brauche das. Wenn ich mich nicht auskenne, frage ich einen, aber nicht, um aus seiner Antwort etwas zu erfahren, sondern bei der Gelegenheit fällt es mir dann selbst ein. Versuchen Sie es nur einmal, Sie werden sehen! Und am besten mit einem, der einen gar nichts angeht und den man gar nichts angeht, so daß sich alles rein sachlich abspielt. Also wie Sie in diesem Falle! Deshalb! Und es ist ja so wenig, was ich von Ihnen verlange. Nicht? Sie haben doch ein bißchen Zeit?

Marie (langsam): Gern. Sie haben sicher recht. Denn ich glaube, wir haben etwas Ähnliches im Ton, Sie und ich. Daher werden wir uns leicht verstehen. (Sie messen einander, einen Moment lang.) Auch gefällt es mir, wenn sich jemand, ohne viel Geschichten zu machen, ganz aufrichtig stellt.

Jura (horcht bei ihrem letzten Wort auf und sieht sie forschend an, ungewiß, ob er sie richtig verstanden habe und wieviel sie denn eigentlich schon wisse; plötzlich, in einem ganz andern Ton, nebenbei): Sie haben einen guten Hals. Ich meine: gut gebaut. Sie sollten ihn nicht so zusperren. (Mit der Hand an seinem Hemdkragen) Machen Sie das doch auf! Wenn der Mensch sich schon bekleidet, so doch wenigstens nicht mehr, als unbedingt nötig ist. Sie werden sehen, man kommt noch ganz davon ab.

Marie: Ich muß nicht alle neuen Dummheiten mitmachen.

Jura: Das sollten Sie! Das soll man immer. Denn man hat keine Wahl, als die neuen Dummheiten mitzumachen oder die alten. Die neuen sind wenigstens eine Abwechslung. (Gnädig) Aber wie Sie wollen!

Marie: Wenn Sie nicht darauf bestehen!

Jura (trocken): Manchmal klingt es, als ob Sie sich über mich lustig machten. Aber ich habe nichts dagegen.

Marie: Nein? 52

Jura: Man muß es nur wissen. Und Sie werden erlauben, daß ich dagegen ernst bleibe, weil das meinem Wesen gemäß ist.

Marie: Ich bitte darum. (Sie messen sich wieder, einen Moment lang.)

Jura: Schön. – Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, daß mich meine Frau betrügt, wie man das ja zu nennen pflegt, wenn ein Mann bemerkt, daß seine Frau beginnt, einen anderen lieber zu haben. Dies ist sicher bei meiner schon seit einiger Zeit der Fall. Wie weit sie die Konsequenzen gezogen hat, weiß ich nicht. Es scheint aber. Ich habe wenigstens eben jetzt ein Telegramm bekommen, von einem unbekannten Spender, sie sei fort, mit jenem Mann, den sie die Neigung hat, lieber zu haben als mich. Tatsächlich ist sie heute fort. Nach ihrer Versicherung: um eine Tante zu besuchen. Die sie, darüber kann kein Zweifel bestehen, auch wirklich hat. Der freundliche Telegraphist gibt mir nun mit einer sehr dankenswerten Genauigkeit an, wo sie zu finden sei. Es wäre gar nicht so weit, die Gegend wird sehr gerühmt und das Wetter ist schön. Ich aber bin mir noch einigermaßen unklar, trotzdem, ob ich den Ausflug unternehmen soll oder nicht. Und die Hauptsache scheint mir, wie Sie schon bemerkt haben werden, in allen Fällen zu sein, daß sich der Mensch zunächst klarmache, was er denn eigentlich will. Nicht wahr? Gerade das aber weiß ich jetzt gar nicht.

Marie (merklich ungeduldig): Haben Sie das Telegramm mit?

Jura (gar nicht verlegen, ganz unbefangen; rasch): Ja. Hier! (Greift in eine Tasche, dann in eine andere, in eine dritte, kramt Notizhefte, einen Pack Zeitungen und mehrere Bücher aus, legt sie auf das Tischchen und sagt, auf eins der Bücher zeigend, in einem sachlich referierenden Ton) Da hat jetzt einer ein ganz merkwürdiges Buch geschrieben. Nämlich, daß sich das Leben des Menschen in regelmäßigen Wellen bewege, guten und bösen Wellen. Oder, daß es in unserem Leben sozusagen 53 Serien gibt, wie bei der Roulette die schwarzen und die roten Serien. Er bemerkt zum Beispiel – (blättert in dem Buch, die Stelle suchend) warten Sie, wo ist das nur?

Marie (halb ärgerlich, halb ungeduldig): Gehört das unbedingt dazu?

Jura (tut, als ob er zerstreut gewesen wäre und nur vergessen hätte; indem er das Buch zuklappt und fortfährt, suchend seine Taschen auszuräumen): Ach so! Nein, eigentlich nicht! Ganz eigentlich aber doch! Weil schließlich im Leben alles dazu gehört, nämlich alles zu allem, und wenn wir erfahren, daß sich in der Astronomie etwas anders verhält, als wir bisher meinten, so muß dadurch auch unser ganzes übriges Leben dann anders werden, nach und nach, und das Elend ist nur, daß sich die Menschen dazu so schwer entschließen können! Also zum Beispiel, wenn der Mann recht hat mit seinen Serien und es stellt sich heraus, daß ich gerade jetzt in einer schwarzen Serie bin, in der tragischen, nicht wahr, was soll ich denn dann erst –? (Hat seine Taschen ausgeräumt, hält ein und sagt achselzuckend) Ich muß das Telegramm liegen gelassen haben.

Marie: Da wird sich Ihr Dienstmädchen freuen.

Jura (trocken): Die hat das doch sicher nicht erst nötig!

Marie: Sie scheinen also zu glauben, daß das Telegramm die Wahrheit sagt?

Jura: Sicher! – Ich war auch gar nicht überrascht. Denn ich habe meiner Frau an ihrem Gesicht die Tante angesehen.

Marie: Und Sie haben nicht versucht, sie zu hindern?

Jura (verwundert aufblickend, sie mit seinen großen Augen anglotzend; plötzlich sehr ernst und in einem merkwürdigen Ton): Hindern? Einen Menschen hindern, der ins Glück will? Oder was er halt für sein Glück hält! Nein, das möchte ich nie! (Wieder in einem anderen Ton, trocken) Es nutzt auch nichts. (Wieder in dem früheren ernsten und festen Ton) Nein, wenn sie 54 glaubt, daß es ihr Glück sei! Und die Frage ist nur, ob es ihr Glück ist.

Marie: Und Sie?

Jura (verwundert, weil er nicht versteht, was sie meint): Ich?

Marie: Ja.

Jura: Wieso denn ich?

Marie: Es kommt doch auch auf Sie an.

Jura: O nein. Wenn es wirklich ihr Glück ist, hat sie recht. Das ist sogar wahrscheinlich das einzige Recht, das dem Menschen gar niemand durch nichts auf der Welt bestreiten kann.

Marie: Sie lieben Ihre Frau nicht. Denn sonst –

Jura (schnell, fast heftig): Denn sonst, meinen Sie, müßte ich alles aufbieten, sie unglücklich zu machen. Meinen Sie?

Marie (betroffen): Oder Sie lieben sie mit einer fast übermenschlichen Liebe.

Jura (ärgerlich, heftig): Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch, gar nicht »über«, das muß ich mir ausbitten! Und übrigens weiß ich wirklich nicht, ob ich meine Frau liebe, weil ich überhaupt nicht weiß, ob ich einen Menschen lieben kann, weil ich lieber alle Menschen liebe, oder wenigstens mehrere!

Marie: Das ist mir zu hoch.

Jura (ärgerlich aufspringend, mit den Händen agierend): Wie etwas ganz einfach und selbstverständlich ist, ist es den Leuten zu hoch! (Indem er in seinem Ärger zum Tische links geht) Nur das Verstiegene finden sie natürlich. (Auf eine Vase mit Tulpen zeigend) Lieben Sie Tulpen?

Marie (neugierig, was er eigentlich meinen mag): Ja.

Jura: Sehr?

Marie: Sehr.

Jura (auf eine Vase mit Veilchen zeigend): Lieben Sie Veilchen?

Marie: Ja.

Jura: Auch sehr? 55

Marie (lustig): Auch sehr.

Jura: Und es fällt Ihnen nicht ein, zu sagen: Halt, das geht nicht, die Veilchen darf ich ja nicht lieben, weil ich ja schon die Tulpen liebe! (Indem er an das Tischchen zurückkommt; schreiend) Oder fällt Ihnen das ein?

Marie (lachend): Nein.

Jura: Nein! (Mit den Händen agierend) Also, also, also! Was ist das für eine Zumutung, daß ich mein ganzes großes schönes Gefühl in einen einzigen Menschen vergraben soll? Aber das ist ja nur wieder unser alter verrotteter sinnloser Eigentumsbegriff, von Sachen noch auf Menschen übertragen, wo er ganz unerträglich wird! Das Natürliche wäre, alle Menschen zu lieben! Weil aber alles Natürliche eine Sünde ist, soll der Mensch gezwungen sein, einen einzigen zu lieben!

Marie: Aber dann hat Ihre Frau ja recht, wenn sie – wenn sie sich zur Tulpe noch ein Veilchen sucht.

Jura (rasch): Ja, wenn's das wäre! Aber nein! Tut sie ja nicht! Sie kennen meine Frau nicht! Die steht noch ganz auf dem Entweder – oder.

Marie: Haben Sie ihr das noch nicht beigebracht?

Jura: Ja, sehen Sie, das ist mein Fehler: ich habe einen solchen Respekt vor der inneren Freiheit meines Mitmenschen, daß ich ihn selbst in seiner Dummheit nicht stören mag. (Da Marie lacht) Nein, ganz im Ernst, das ist mein größter Fehler. Deshalb glaubt ja meine Frau auch, ich kümmere mich nicht um sie, und fühlt sich vernachlässigt von mir. Ich aber, weil ich es selbst als eine Behelligung empfinde, wenn sich jemand um mich kümmert, um mein Inneres nämlich, und weil ich meine, daß das jeder mit sich allein abmachen muß, habe mir gedacht, es ist besser, sie zu lassen, bis sie sich schon selbst in ihrer Entwicklung zurechtfinden wird. Ich sehe jetzt ein, daß das vielleicht falsch war. Mit der Zeit sieht man alles ein, aber zu spät. Denn so ist sie sich allmählich ganz verlassen vorgekommen. Und da – natürlich! (Heftig) Drum sag' ich ja, daß das ein 56 Unsinn ist, mit dem berühmten Takt! Man soll einen Menschen nur ganz fest anpacken, um ihn auf den rechten Weg zu bringen. Und besonders die Frauen scheinen sich das zu wünschen. Nicht?

Marie: Da werden Sie sie jetzt also fest anpacken?

Jura: Weiß ich eben nicht! Denn vielleicht ist es jetzt schon zu spät. Jetzt ist sie schon einmal drüben, bei dem anderen. Und alles ging ja noch, wenn ich nur wüßte, wie der eigentlich ist! (Indem er zu ihr kommt und sich neben sie auf das Wandsofa setzt) Denn sehen Sie, sie, die ja, wie gesagt, noch ganz auf dem Entweder – oder steht, gar nicht Veilchen und Tulpen, sie bildet sich jetzt doch sicher wieder ein, daß es die ganz große Liebe ist. Bildet er sich nun das auch ein, no dann wäre ja alles gut.

Marie (verwundert): Und Sie?

Jura (lachend; aber naiv, nicht zynisch): Ich werd' doch auch schon noch wieder eine finden! (Plötzlich ärgerlich, fast verzweifelt) Ja, Sie verstehen mich nicht! Das wollen die Leute nicht verstehen! Ich bin einmal nicht so! Ich habe meine Frau wirklich sehr gern, aber ob sie jetzt gerade bei mir ist oder aber glaubt, daß sie es bei einem anderen besser hat, das ist doch nicht so wichtig! Und wenn ich sie gern habe, das ist doch auch kein Grund, es ihr übelzunehmen, daß sie das tut, was nach ihrer Meinung das beste für sie ist! Sonst wär's ja fürchterlich, wenn einen jemand gern hat! Und ebenso ist das doch, wenn ich sie gern habe, noch um Gottes willen kein Grund für mich, nicht eine andere vielleicht ebenso gern zu haben! Und gerade wenn ein Mensch ein gewisses Talent dazu hat, gern zu haben, warum soll man ihm denn das so beschränken? Ich weiß gar nicht, was die Menschen haben! Sonst heißt's doch immer, man soll seine Fähigkeiten so viel als möglich auszubilden trachten. Also da ist das doch nur logisch, nicht?

Marie: Nun, Ihre Frau ist ja logisch.

Jura (sehr lebhaft): Recht hat sie! Darüber denken doch alle vernünftigen Menschen heute gleich. Nur, 57 daß es die einen offen sagen und die anderen nicht. Aber die es nicht sagen, handeln erst recht so. Nicht wahr?

Marie: Was wollen Sie denn dann aber eigentlich noch, wenn Sie finden, daß sie recht hat? So lassen Sie sie doch! Dann ist es ja sehr einfach.

Jura (rasch): Sie hat recht, aber ich hab' Angst. Das ist es. (Langsamer, wieder sehr ernst, leise.) Angst hab ich um sie! Weil ich diesen Mann nicht kenne. Weil ich also nicht weiß, ob sie sich in ihm nicht täuscht. Denn es könnte ja sein, daß das, was ihr das ganz große Glück ist, vielleicht für ihn bloß ein Abenteuer wäre. (Ganz leise) Und das wäre für sie dann furchtbar, ich kenne sie. Davor muß ich sie bewahren.

Marie (nach einer kleinen Pause, leise): Verehrter Herr, Sie lieben Ihre Frau.

Jura (heftig): Aber das sag' ich Ihnen ja die ganze Zeit schon!

Marie (heftig): Aber dann geben Sie sie doch nicht her!

Jura (heftig): Aber wenn das für sie besser ist! Wenn der Mann so ist, daß sie mit ihm glücklich wird!

Marie (heftig): Aber wenn Sie sie lieben!

Jura (verzweifelt): Sie begreifen aber schwer!

Marie: Das begreife ich allerdings nicht!

Jura (rasch): Ja lieben Sie denn Ihren Mann nicht?

Marie: Ja!

Jura (rasch): Und?

Marie (ihn fest anblickend): Und? Was?

Jura (sich besinnend, stockend): Ach so! – (Rasch) Nein, ich meine nur! Aber setzen wir den Fall, nehmen wir an, man kann doch etwas annehmen, nicht?

Marie: Ja. Was?

Jura: Nehmen wir an, Ihr Mann hätte sich in eine andere verliebt –

Marie: Und?

Jura: Nun und, und wollte von Ihnen weg, nehmen wir an! Was dann? 58

Marie: Ich würde mit meiner ganzen Kraft um ihn kämpfen.

Jura (überrascht, naiv fragend): Wirklich?

Marie: Mit meiner ganzen Kraft oder List, mit allem, was ich nur in mir habe.

Jura: Wirklich! (Steht auf und geht vom Sofa weg.) Und Sie sehen so gescheit aus! (Nach ein paar Schritten; in Gedanken) Aber das ist es ja, das erschwert die Sache so! (Wendet sich wieder nach ihr um; in einem anderen Ton) Wissen Sie, was mein erster Gedanke war, als das Telegramm kam? (Er greift bei dem Wort »Telegramm« unwillkürlich an eine seiner Rocktaschen.)

Marie (die es bemerkt; unschuldig fragend): Haben Sie nicht doch vielleicht das Telegramm bei sich?

Jura (gelassen lügend): Nein. Ich habe ja schon gesucht! (Tut, als ob er noch einmal suchte.) Es liegt gewiß auf meinem Tisch.

Marie: Also was war da Ihr erster Gedanke?

Jura (kommt wieder an das Tischchen und setzt sich): Es ist so schade, daß Sie meine Frau nicht besser kennen. Dann könnten Sie verstehen, warum ich Angst habe. Sie hat nämlich eine fast rührende Sehnsucht nach dem Schönen, (achselzuckend) was man halt so das Schöne nennt, und denkt, es müsse sich irgendwo gleichsam einfangen lassen. Das ist ja der Irrtum der meisten Menschen, daß sie hoffen, das Schöne, das über die ganze Welt zerstreut und in allen ihren Teilen ist, das einmal irgendwo in einem einzigen Exemplar ganz beisammen zu finden. Und so steht sie mit offenem Mund vor der Welt und die gebratenen Tauben des Glücks sollen hineinfliegen. Wir sind mit einem Dichter bekannt, der sagt immer, sie sei eine »Sucherin«. Ich finde das ein entsetzliches Wort, aber ich kann mir schon was dabei denken, der Dichter gewiß nicht. Also und die erste Taube war ich. Mein Gott, da oben im Schnee damals – ich war nämlich ein ganz armer Student und hatte mich im Hotel als Professor für Wintersport verdingt, die jungen Damen lernten bei mir Skilaufen, 59 und da droben im Schnee mag ich ihnen ja wohl sehr begehrenswert erschienen sein. (Lacht.) Und meine Frau hat das ja, daß sie überall das Beste haben will. Und wenn sie einmal etwas will, ist sie sehr exzessiv. So ist es geschehen.

Marie: Sie haben sich in sie verliebt?

Jura: Ich bin eigentlich gar nicht genau gefragt worden. Ich war auch ganz geblendet von ihrer Schönheit, von ihrer ganzen Art, die doch mir armem Teufel völlig neu war, und ja schließlich auch von ihrem Reichtum. Natürlich das auch. Denn ich muß sagen, es war mir schon sehr angenehm, reich zu heiraten. Zur vollkommenen Bildung eines wirklichen Menschen gehört es nämlich doch durchaus, den Reichtum zu verachten, und das kann man ja nur, wenn man ihn hat. Kurz, wir waren sehr glücklich. In der Stadt aber scheint sie dann nach und nach gefunden zu haben, daß ich da vielleicht doch nicht das Beste bin, und so fing die Sucherin allmählich wieder zu suchen an. (In einem andern Ton) Ganz genau dürfen Sie sich übrigens nicht an alles halten, was ich sage, denn ich färbe manchmal, was aber schließlich nichts macht, weil ja doch kein Mensch je weiß, wie sich solche Dinge wirklich zugetragen haben. Jedenfalls bin ich an allem schuld, wenn man überhaupt von einer Schuld an solchen Naturbegebenheiten sprechen kann. Und wenn es jetzt am Ende schief geht, müßte ich mich wirklich doch sehr schämen.

Marie (nachdenklich): Sie sind ein seltsamer Mensch.

Jura: Sagen Sie ruhig, daß ich ein komischer Mensch bin! Das findet man immer, wenn einer das Natürliche tut.

Marie: Und als nun heute das Telegramm kam?

Jura: Ja, als nun heute das Telegramm kam, da war mein erster Gedanke, hinzufahren. Nämlich nur aus Angst, sie könnte sich in dem Mann vielleicht täuschen, in ihrer Enttäuschung über mich und wie sie schon einmal immer nach allem greift, was glänzt. Also hinzufahren 60 und diesen Mann – (Das ängstliche Gesicht Maries sehend; indem er plötzlich herzlich lacht) Aber nein, nicht was Sie glauben! (Mit einer Gebärde, eine Pistole abzudrücken) Nicht bumbum! (Steht herzlich lachend auf.) Nein, nein! Seh' ich denn so aus? Gar so ritterlich? Das ist ein Irrtum! Nein, sondern hinzufahren und vor die beiden hinzutreten, ohne Schießgewehr, und ihnen zu sagen, ganz einfach: Wozu das Verstecken? Ihr könnt euch haben! Also da muß es sich dann doch zeigen, nicht? Denn entweder wird der Mann ganz selig sein und umarmt mich und springt vor Vergnügen, das ist dann ein Zeichen, daß auch er es so fühlt wie sie, daß es für ihn auch das große Glück ist – nun also, bravo! Oder aber es kann auch sein, daß der Mann am End einen großen Schreck kriegt! (Muß bei der Vorstellung lachen.) Ja, das kann uns auch passieren! (In das Lachen hinein plötzlich ernst) Armes Delfindl! Aber besser ist's doch noch, das gleich zu wissen. Ein bißchen weh wird's ihr freilich tun. Aber immerhin, das muß sie doch einsehen: lieber jetzt etwas unsanft aufgeweckt, sozusagen aus dem ersten Schlaf, bevor sie noch recht Zeit sich einzuträumen gehabt hat! Und ich werde sie schon trösten!

Marie: Der Plan ist nicht schlecht. Klarheit hätten Sie dann auf jeden Fall.

Jura: Aber eins habe ich dabei ganz vergessen: der Mann hat ja auch eine Frau.

Marie (erstaunt, gedehnt): So? Das kompliziert den Fall allerdings.

Jura: Sehr. Denn wenn nun auch alles andere stimmt, wenn meine Angst grundlos war, wenn der Mann meine Frau wirklich liebt, ganz so wie sie ihn, dann bleibt jetzt noch immer das: Was fangen wir mit der Frau an?

Marie: Ja. Was fangen wir mit der Frau an?

Jura: Natürlich hängt da nun zunächst alles davon ab, ob die Frau gescheit ist oder nicht.

Marie: Es ist immer eher anzunehmen, daß eine Frau in solchen Dingen nicht gescheit ist. 61

Jura: Das wäre schrecklich! Denn dumme Frauen sind geradezu genial darin, die einfachsten menschlichen Verhältnisse zu verwirren.

Marie: Was hätten Sie aber auch davon, wenn es eine gescheite Frau wäre?

Jura: Dann ist doch alles gewonnen.

Marie: Wie denn?

Jura: Nun, man sagt ihr: Jetzt haben die zwei sich lieb! Eine gescheite Frau muß das doch begreifen.

Marie: Das glaub' ich nicht. So gescheit ist keine Frau.

Jura (ärgerlich): Was will denn die Person aber?

Marie: Ihren Mann.

Jura: Wenn der doch die andere liebt!

Marie: Sie wird hoffen, was Sie befürchten: daß es doch für ihren Mann vielleicht nur ein Abenteuer ist.

Jura (ungeduldig): Aber der Mann ist doch vorher befragt worden und hat ja, nehmen wir an, ausgesagt, daß es kein Abenteuer ist!

Marie: Aber sie, die den Mann kennt, wird behaupten, daß er sich schon öfter geirrt hat. Und sie wird sagen: Warten wir's doch ab, es hat schon manches wie die große Leidenschaft ausgesehen und sich dann doch nur als ein kleines Abenteuer gezeigt, warten wir's ab!

Jura (wütend): Ja, das könnte sie ja dann immer noch sagen. Immer wieder: Warten wir's ab! Ja, wie lange denn? Und was geschieht denn einstweilen mit den beiden? Sollen die zwei zunächst versuchsweise, bis man weiß, ob es die Leidenschaft oder ein Abenteuer ist –? Was sozusagen das Umgekehrte von einer Scheidung von Tisch und Bett wäre, umgekehrt, nicht? Nein, nein, das gefällt mir gar nicht!

Marie: Und selbst wenn die Frau das Gefühl hätte, daß es für ihren Mann mehr als ein Abenteuer ist, wird sie, wie ich die Frauen kenne, immer noch sagen: Aber ich habe diesen Mann nun einmal –

Jura: Aber sie hat ihn dann doch gar nicht mehr, sie hat ihn höchstens inne! 62

Marie: Vielleicht genügt ihr das.

Jura: Aber da er ihr doch innerlich nicht mehr gehört, was hat sie dann an ihm?

Marie: Und was hat sie denn sonst? Wenn sie ihn nun auch äußerlich hergibt, was hat sie denn dann?

Jura: Ja, ich kann ihr auch nicht helfen!

Marie: Was hat sie denn dann? Nicht einmal die Hoffnung mehr, daß er vielleicht doch noch zu ihr zurückkehren wird, nicht einmal seine lieb gewordene Gegenwart, nicht einmal den Klang seiner Stimme im Haus, der sie manchmal an glücklichere Zeiten erinnert! Jetzt, wenn er heimkommt, von der anderen oder von den anderen –

Jura (erschreckt, empört): Sie glauben doch nicht, daß –

Marie: Wir nehmen doch nur an, wir setzen doch nur einen Fall!

Jura (nur halb beruhigt): Ja, natürlich!

Marie (fortfahrend): Und so, wenn er heimkommt, setzt er sich jetzt doch noch manchmal abends wieder zu ihr und sie spielen Schach –

Jura (rasch): Sie spielen Schach? Meine Frau nicht.

Marie: Oder Domino, wir können das annehmen, ganz wie Sie wollen!

Jura: Nein, Schach ist ganz gut, ich kann es mir vorstellen, ich spiele selbst Schach sehr gern. Also –

Marie (fortfahrend): Also da sitzen die zwei, der treulose Mann mit der armen Frau und spielen Schach und sie kann sich doch eine halbe Stunde lang, seinem geliebten Gesicht gegenüber, wieder einbilden, daß eigentlich ja alles noch ist wie damals, in der schönen Zeit. Das ist ja nicht viel, aber es ist doch etwas.

Jura (nachdenklich): Ja, ich kann mir das schon denken. (Geht nachdenklich auf und ab.)

Marie: Und was sollte die arme Frau veranlassen, auch dies noch aufzugeben? Finden Sie nicht selbst, daß das doch ein bißchen zu viel verlangt ist?

Jura (auf und ab, nachdenklich): Man müßte rein einen für sie suchen! 63

Marie (die nicht gleich versteht): Wie?

Jura (auf und ab, nachdenklich; leichthin): Einen anderen, der mit ihr Schach spielt.

Marie (rasch): Ja dann! (Sieht auf, muß lachen, beherrscht es aber sogleich.) Dann natürlich! Ja, wenn der Frau nicht zugemutet wird, einer anderen wegen ihr eigenes Leben zuzuschließen! Wenn ihr dafür ein neues eröffnet wird! Ja dann – vielleicht!

Jura (auf und ab, nur halb zuhörend, mit einem Gedanken beschäftigt): Das wäre wirklich eine Idee!

Marie (eifrig): Und das wäre ja dann doch auch erst die wahre Probe für den Mann!

Jura (aufhorchend, stehenbleibend): Die wahre Probe?

Marie: Denn solange der Mann noch das Gefühl hat, die Frau sitzt verlassen und trauert nach ihm und wartet, ob er nicht doch vielleicht wieder zu ihr zurückkehren wird, das ist ein so angenehmes Gefühl für einen Mann, daß es noch gar nichts beweist, wenn er sich zunächst zur anderen entschließt.

Jura (eifrig zuhörend und überlegend): Glauben Sie? Sie müssen die Männer ja besser kennen.

Marie (lächelnd): Fragen Sie sich doch selbst!

Jura (überrascht): Mich? Ich bin doch kein – (hält ein und verbessert sich) nein, was man eigentlich heute einen Mann nennt, bin ich doch wahrhaftig nicht!

Marie (fortfahrend): Aber, aber wenn der Mann dagegen sogar den Gedanken erträgt, daß seine Frau, die frühere, ein neues Leben beginnt, ein Leben ohne ihn, ein Leben mit einem anderen, wenn seine Liebe zur zweiten so stark ist, daß er sogar darüber hinwegkommen kann, dann ist's kein Abenteuer, dann können Sie's wagen, dann muß es wirklich die große Leidenschaft sein, die ganz große.

Jura (eifrig): Ja, ja, Sie haben recht, das wäre die beste Probe, so scheinen die Männer wirklich zu sein! Und nun sehen Sie, wie sich das aber merkwürdig trifft! Nämlich die ganze Zeit schon, seit ich mir überlege, meine Frau freizugeben, wenn sie wirklich mit einem 64 anderen glücklicher wird, habe ich mir immer gedacht, daß ich mich dann doch auch umschauen will, möglichst bald wieder zu heiraten. Ich möchte nicht mehr allein leben, in einem leeren Haus – (da Marie lächelt) nein, ich meine: auch bei Tage nicht – denn ich muß sagen, es hat mir in der Ehe schon sehr gefallen. Das Leben mit einer Frau ist doch etwas Wunderschönes. Und ich weiß nicht, ob es eigentlich dabei gar so sehr darauf ankommt, mit welcher Frau! Ob man das nicht vielleicht ein bißchen überschätzt, daß es gerade diese eine und keine andere sein soll? Ich weiß nicht! Ich glaube, die Ehe als solche ist wunderschön, ganz im allgemeinen, die Ehe an sich, wahrscheinlich mit jeder Frau! Natürlich wenn's nicht gerade ein Ungeheuer ist!

Marie (lächelnd): Ja, das müßte man eben erst sehen, ob's nicht ein Ungeheuer ist!

Jura (bleibt hinter dem Tischchen stehen und sieht Marie prüfend an; ernst, überzeugt): Nein, nein! Es ging sicher.

Marie: Die Schwierigkeit wird aber nur sein, daß sie nicht vielleicht glaubt, Sie treiben am Ende bloß ein Spiel mit ihr –

Jura (einfallend, beteuernd): Aber nein!

Marie: Ein Spiel, um die andere zu schrecken oder den Mann durch Eifersucht von der anderen abzuziehen; denn dazu gibt sich doch eine Frau natürlich nicht her!

Jura: Aber wer denkt denn daran?

Marie (sieht ihn voll an): Sie nicht?

Jura (aus ehrlicher Überzeugung): Ich nicht! (Rasch) Ich bin doch riesig froh! Denn wirklich, das war mir das ärgste, jetzt erst wieder lange nach einer suchen zu müssen, wo ich doch in solchen Dingen so schrecklich ungeschickt bin! Ich hätte ganz sicher eine Dummheit gemacht! Nein, ein Spiel dürfte das durchaus nicht sein, schon auch deswegen nicht, weil, wenn man so was zum Spiel macht, es nämlich nie gelingt, denn dann spielt man doch von vornherein schlecht! 65

Marie (mit leiser Ironie): Ja, es ist besser, wenn man selbst daran glaubt.

Jura (immer sie ansehend, immer eifriger): Und ich kann mir ja wirklich gar nichts Schöneres wünschen! Nicht wahr, jetzt wieder einen ganz anderen Schlag kennen zu lernen, als meine Frau war! Und vielleicht sollte der Mensch überhaupt, solang er jung ist, zunächst einmal sozusagen das Allgemeine der Ehe kennen lernen, der Ehe und der Frauen überhaupt, um dadurch allmählich erst so weit erzogen zu werden, daß er dann die richtige Wahl treffen und selbst beurteilen kann, welche Art von Frau für ihn eigentlich paßt, wozu sicher eine gewisse innere Reife gehört, die man erst in späteren Jahren hat! Gott, ich bin ja noch so jung!

Marie (mit leiser Ironie): Das sollten Sie aber lieber dieser Frau nicht sagen.

Jura: Was?

Marie: Daß Sie sie so mehr als Erzieherin nehmen, eigentlich.

Jura (rasch): Das ist doch eher schmeichelhaft für sie.

Marie: Wer weiß?

Jura (noch einen Schritt näher, gespannt): Und was glauben Sie?

Marie: Wie?

Jura (langsam): Glauben Sie, daß, wenn ich also nun im Ernst der Frau den Antrag mache, glauben Sie –

Marie (lächelnd): Im vollen Ernst?

Jura: Ja. Und glauben Sie, daß sie –

Marie (ernst, langsam): Ich kann mir denken, daß, wenn es eine gescheite Frau ist und wenn sie das Gefühl hat, für ihren Mann sei das mehr als ein bloßes Abenteuer –

Jura (rasch einfallend): Es ist sicher mehr.

Marie (lächelnd., rasch): Eben waren Sie noch nicht so sicher!

Jura (bestimmt, rasch): Je mehr ich aber nachdenke! Und wenn sie nun also das Gefühl hat, daß es für ihren Mann mehr als ein bloßes Abenteuer ist –? 66

Marie: Und wenn es Ihnen dann noch gelingt, daß sie Vertrauen zu Ihrem Wesen gewinnt –

Jura (rasch): Oh, das wird sie!

Marie (langsam): Dann –

Jura (gespannt): Dann?

Marie (langsam): Dann könnte ich mir wohl denken – (Hält ein, sieht ihn lächelnd an und nickt.)

Jura (sieht sie noch einen Moment lang ernst an; dann plötzlich, eilig, in einem ganz leichten Ton): Also dann machen wir das doch! Aber da fahren wir jetzt auch gleich! (Nimmt seinen Hut und rennt zur Tür.) Ich hab' ein Automobil da.

Marie (überrascht tuend): Ja wie denn? Wer denn? Sie sagten doch –

Jura (ungeduldig): Jetzt nur keine langen Geschichten mehr!

Marie (steht auf; lustig): Sie haben mich also angelogen?

Jura (lachend): Nein, denn Sie haben es ja gewußt!

Marie: Aber woher wußten Sie denn, daß ich wußte?

Jura (drückt auf den elektrischen Knopf an der Türe rechts): Aber natürlich!

Marie: Nein, keineswegs! Wie konnten Sie wissen?

Fräulein Wehner (durch die Tür rechts).

Jura (zu Fräulein Wehner): Die Sachen der gnädigen Frau! Sie fährt aus. Schnell, schnell!

Fräulein Wehner (rechts ab).

Jura (Fräulein Wehner nachsehend, lachend): Die auch! Ihr Mann scheint alle melancholisch zu machen. Ich werde das Haus aber schon aufheitern.

Marie: Aber wie konnten Sie wissen, daß ich wußte?

Jura (ärgerlich, indem er in die Tasche greift): Ja, ist denn das Telegramm nicht von Ihnen?

Marie (ärgerlich): Sie konnten denken, daß ich –?

Jura: Wer denn? (Zieht das Telegramm aus der Tasche.) 67

Marie: Sie haben ja das Telegramm!

Jura: Natürlich!

Marie: Mir aber sagten Sie doch –?

Jura: Nur nicht überflüssig die Wahrheit sagen! (Lustig) Und es wäre doch vielleicht auch nicht ganz taktvoll gewesen, nicht? (Wieder ernst) Aber wenn das Telegramm nicht von Ihnen ist, wie konnten Sie dann wissen?

Marie (indem sie zur Tür links geht): Ihr Telegraphist war so freundlich, auch mich zu verständigen. (An der Tür links; kokett) Aber die Hauptsache fehlt ja noch!

Jura (indem er an das Tischchen geht; verwundert): Was denn?

Marie: Sie haben ja mein Vertrauen noch nicht gewonnen!

Jura: Unbesorgt! Wir fahren doch drei Stunden zusammen im Automobil. (Indem er seine Sachen vom Tischchen wieder in die Taschen räumt; ungeduldig) Aber machen Sie doch nur schon, wir kommen sonst noch zu spät! (Plötzlich ernst) Ich möchte nicht zu spät kommen.

Marie: Unbesorgt! Wir kommen nicht zu spät. Ich kenne meinen Mann. Mein Mann übereilt sich nicht.

Jura (sieht sie an, versteht dann erst, was sie meint und muß lachen). Ach so! (Achselzuckend, in einem philosophischen Ton) Und am Ende, wenn er sich auch übereilt!

 

(Vorhang.)

 


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