Franz Bacon
Neues Organon
Franz Bacon

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Das Wesentliche des zweiten Theiles in kurzen Sätzen zusammengestellt.

Kurze SätzeBaco giebt sein Organon in Aphorismen, womit er indess nicht sagen will, dass der Inhalt ohne Ordnung und System mitgetheilt werde, sondern das Wort hat hier seinen ursprünglichen Sinn, wonach es kurze und scharf begrenzte Sätze bezeichnet. In Art. 86 erklärt Baco es selbst in diesem Sinne. Indess geht es Baco hier wie Plato mit der dialogischen Form; gegen die Mitte und das Ende ihrer Werke gehen Beide in die natürliche Form einer zusammenhängenden und ausführlichen Darstellung über. über die Erklärung der Natur und die Herrschaft des Menschen.

 

Erstes Buch.

1.

Der Mensch, als Diener und Erklärer der Natur, wirkt und weiss nur so viel, als er von der Ordnung der Natur durch die Sache oder seinen GeistDiese Worte (re vel mente observaverint) sind dunkel; jedenfalls ist das »Oder« bedenklich, denn nach Baco's eigner Lehre kann nur die Verbindung beider (Wahrnehmen und Denken) die Wahrheit erreichen. Baco will wohl nur die induktive Methode hier den Antizipationen entgegenstellen. beobachtet hat; mehr weiss und vermag er nicht.

2.

Weder die blosse Hand noch der sich selbst überlassene Geist vermag Erhebliches; durch Werkzeuge und Hülfsmittel wird das Geschäft vollbracht; man bedarf dieser also für den Verstand wie für die Hand. Und so wie die Werkzeuge die Bewegung der Hände erwecken und leiten, so müssen auch die Werkzeuge des Geistes den Verstand stützen und behüten.

3.

Wissen und Können fällt bei dem Menschen in Eins, weil die Unkenntniss der Ursache die Wirkung verfehlen lässt. Die Natur wird nur durch Gehorsam besiegt; was bei der Betrachtung als Ursache gilt, das gilt bei der Ausführung als Regel.Etwas ist nur Ursache, wenn es ein Anderes als Wirkung regelmässig zur Folge hat. Deshalb fallen Ursache und Regel in dieser Beziehung zusammen.

4.

Für seine Werke vermag der Mensch nichts weiter, als dass er die Naturkörper einander nähert oder sie von einander entfernt; das Uebrige vollzieht die Natur innerlich.Der erste Theil dieses Satzes bildet noch jetzt die Grundanschauung der modernen Naturwissenschaft. Indem sie nur Stoff und Kraft anerkennt, beruht aller Wechsel und aller Unterschied der Dinge nur auf der Stellung der Moleküle oder letzten Elemente zu einander, und alle Veränderung ist deshalb nur das Ergebniss einer Bewegung. Baco erkennt in dem Schlusssatz aber auch eine innerliche Wirksamkeit an, die zweideutig ist, und in Bezug auf welche Baco selbst schwankt, ob sie mehr ist als Bewegung und veränderte Lage der Moleküle, wie sich später zeigen wird.

5.

In die Natur pflegen sich bei ihren Werken der Mechaniker, der Mathematiker, der Arzt, der Alchymist und der Zauberer einzumischen, aber Alle, wie die Sachen jetzt stehen, mit schwachen Mitteln und geringem Erfolge.

6.

Es wäre unsinnig und ein Widerspruch, wenn man meinte, dass das, was bis jetzt nie bewirkt worden, nur auf eine bis jetzt noch niemals versuchte Art bewirkt werden könne.Indem Baco das Wunderbare und Zauberhafte aus der Natur zu entfernen und ihre Vorgänge auf wenige einfache Eigenschaften und deren Verbindung zurückzuführen sucht, folgt von selbst, dass zu einem Neuen keine neuen Eigenschaften oder Vorgänge nöthig sind, sondern dass es schon aus einer veränderten Verbindung der bekannten Elemente hervorgehen kann. Baco will mit diesem Satz dem blinden, nur auf den Zufall hoffenden Experimentiren entgegentreten. Art. 7 sagt dies deutlicher.

7.

Die Erzeugnisse des Geistes und der Hände scheinen nach den Büchern und vorhandenen Arbeiten sehr zahlreich; aber all diese Mannichfaltigkeit entspringt nur aus übergrossen Spitzfindigkeiten und aus Ableitungen von wenigen erkannten Dingen, und nicht aus einer grossen Zahl von Grundsätzen.

8.

Auch die Dinge, die man bis jetzt erfunden hat, verdankt man mehr dem Zufall und der Erfahrung als den Wissenschaften. Denn die jetzt vorhandenen Wissenschaften sind nur eine Zusammenstellung der schon früher entdeckten Dinge, aber keine Weisen, Neues zu erfinden, und keine Anweisungen zu neuen Werken.

9.

Die alleinige Ursache und Wurzel beinah aller Uebel in den Wissenschaften ist, dass man die Kräfte des menschlichen Geistes fälschlich bewundert und erhebt und seine wahren Hülfsmittel nicht aufsucht.Die falsche Bewunderung gilt dem Syllogismus und den Künsten des Disputirens; die wahren Hülfsmittel sind das induktive Verfahren.

10.

Die Feinheit der Natur übersteigt vielfach die Feinheit der Sinne und des Verstandes. Jene schönen Erwägungen, Spekulationen und Begründungen der Menschen sind nichts als ungesundes Zeug; aber Niemand ist da, der es bemerkt.

11.

So wie die jetzigen Wissenschaften für die Erfindung von Werken nutzlos sind, so die jetzige Logik für die Entdeckung von Wissenschaften.Die besonderen Wissenschaften vermitteln durch ihre Regeln und deren Anwendung die Ausführung von Werken; die Logik, als die allgemeine Wissenschaft des Denkens, macht erst jene besonderen Wissenschaften möglich. Sie ist das Organon für die besonderen Wissenschaften, und diese sind das Organon für die Werke.

12.

Die Logik, mit der man jetzt Missbrauch treibt, dient mehr dazu, die in den gewöhnlichen Begriffen steckenden Irrthümer zu befestigen, als die Wahrheit zu erforschen; sie ist deshalb mehr schädlich als nützlich.

13.

Der Syllogismus wird für die Prinzipien der Wissenschaften nicht benutzt und für die Lehrsätze vergeblich benutzt, da er der Feinheit der Natur lange nicht gleichkommt; er legt der Zustimmung, aber nicht der Sache Fesseln an.Der Syllogismus kann logisch richtig sein und zwingt dann zur Beistimmung; aber dass seine Prämissen mit der Sache übereinstimmen, dass sie wahr sind, dafür giebt der Syllogismus keinen Anhalt; deshalb wird die Sache dadurch nicht erkannt, d. h. nicht gefesselt. Man sehe Art. 29.

14.

Der Syllogismus besteht aus Sätzen; die Sätze bestehen aus Worten; die Worte sind die Zeichen der Begriffe. Sind daher die Begriffe, welche die Grundlage der Sache bilden, verworren und voreilig von den Dingen abgenommen, so kann das darauf Errichtete keine Festigkeit haben. Alle Hoffnung ruht deshalb auf der wahren Induktion.

15.

An den Begriffen, sowohl den logischen wie den physikalischen, ist nichts Gesundes; die Substanz, die Qualität, das Handeln, das Leiden, ja selbst das Sein sind keine guten Begriffe; noch viel weniger das Schwere, das Leichte, das Dichte, das Dünne, das Flüssige, das Trockene, die Erzeugung, die Verderbniss, das Anziehn, das Fliehen, die Elemente, der Stoff, die Form und dergleichen; sie sind alle phantastischer Natur und schlecht begrenzt.Baco meint unter den mit diesen Worten bezeichneten Begriffen diejenige Art, welche in den zu seiner Zeit geltenden Wissenschaften herrschte. An sich will er keineswegs diese Begriffe vollständig vertilgen; er will ihnen nur auf dem Wege der Induktion einen festen und scharf begrenzten Inhalt geben. Deshalb macht Baco im Verlauf seines Werkes selbst von diesen Worten in einem berichtigten Sinne vielfach Gebrauch, und deshalb konnte Baco auch zum dritten Theil der Instauratio eine »Historia Densi et Rari« schreiben.

16.

Die Begriffe der untersten ArtenEs sind damit die Substanzen (Οὐσίαι) zweiter Ordnung genannt, nach dem Vorgange von Aristoteles in seiner Schrift über die Kategorien, Kap. 3., wie des Menschen, des Hundes, der Taube, und die unmittelbaren Wahrnehmungen der Sinne, wie des Warmen, des Kalten, des Weissen, des Schwarzen, täuschen nicht sehr, aber sie werden durch den Fluss des Stoffes und die Vermischung der Dinge mitunter verworren; alle anderen, deren sich die Menschen bis jetzt bedient haben, sind Verirrungen und sind nicht in der richtigen Weise von den Gegenständen abgenommen und aufgerichtet.

17.

Die Willkür und der Irrthum ist bei der Aufstellung der Sätze so gross wie bei der Bildung der Begriffe und bei den Prinzipien selbst, welche von der gewöhnlichen Induktion entnommen sind; aber noch weit grösser bei den niederen Sätzen und Aussprüchen, welche durch Syllogismen gewonnen worden sind.

18.

Das bis jetzt in den Wissenschaften Entdeckte ist derart, dass es schon in den gemeinen Begriffen enthalten ist; um aber in das Innere und Tiefere der Natur einzudringen, müssen die Begriffe und die Sätze auf einem gewisseren und zuverlässigeren Wege entlehnt werden und eine durchaus bessere und sicherere Mithülfe des Geistes in Uebung kommen.

19.

Zwei Wege zur Erforschung und Entdeckung der Wahrheit sind möglich. Auf dem einen fliegt man von den Sinnen und dem Einzelnen gleich zu den allgemeinsten Sätzen hinauf und bildet und ermittelt aus diesen obersten Sätzen, als der unerschütterlichen Wahrheit, die mittleren Sätze. Dieser Weg ist jetzt in Gebrauch. Der zweite zieht aus dem Sinnlichen und Einzelnen Sätze, steigt stetig und allmählich in die Höhe und gelangt erst zuletzt zu dem Allgemeinsten. Dies ist der wahre, aber unbetretene Weg.

20.

Jenen ersten Weg betritt der sich selbst überlassene Geist und thut es nach den Regeln der Dialektik. Denn der Geist drängt nach dem Allgemeinsten hinauf, um da auszuruhen, und der Erfahrung wird er in kurzer Zeit überdrüssig. Dieses Uebel hat zuletzt die Dialektik vergrössert, um die Disputationen auszuschmücken.

21.

Bei einem mässigen, ruhigen und ernsten Temperament versucht der sich selbst überlassene Verstand, wenn er namentlich von den hergebrachten Lehren nicht gehemmt wird, ein wenig jenen zweiten Weg, der zwar geradeaus führt, aber nur langsam weiter bringt. Denn der Verstand ist ohne Leitung und Unterstützung ein unbeständiges Ding und unfähig, die Dunkelheit der Gegenstände zu überwinden.

22.

Beide Wege beginnen mit den Sinnen und dem Einzelnen und endigen mit dem Allgemeinsten; aber sie weichen darin von einander ab, dass auf dem einen das Einzelne und die Erfahrung nur in Eile geprüft, auf dem andern aber regelmässig und ordentlich dabei verblieben wird. Ebenso werden auf dem einen gleich im Anfang hohle und nutzlose Allgemeinheiten aufgestellt, während der andere allmählich zu denen aufsteigt, die wirklich der Sache nach die richtigen sind.Dieser Artikel bezeichnet in treffender Weise den Gegensatz der spekulativ-dialektischen und der induktiven Methode; die Schilderung jener passt merkwürdig genau auf das spätere Verfahren Hegel's in seiner Logik. – Der Schluss dieses Artikels lautet im Original: »ad ea (generalia), quae naturae sunt notiora.« Es ist dies eine Anspielung auf den Aristotelischen Ausdruck: τῇ Φύσει γνωριμώτερον. Baco macht anderwärts dazu den Gegensatz der »Homini notiora«. Es liegt dem die dunkle Vorstellung von dem Unterschiede der Beziehungsformen und Seiensbegriffe zu Grunde.

23.

Es ist ein grosser Unterschied zwischen den Götzenbildern des menschlichen Geistes und den Ideen des göttlichen Geistes, d. h. zwischen gewissen leeren Bestimmungen und den wahren Zeichen und Eindrücken, wie sie den geschaffenen Dingen eingeprägt worden.Schon nach der Kirchenlehre hat Gott bei der Schöpfung jedem Dinge sein Zeichen aufgedrückt; dieses Zeichen ist deshalb die Gewähr seiner Wahrheit, während die Zeichen, die der menschliche Geist ihnen auflegt, zur Unwahrheit führen.

24.

Die aus Beweisen abgeleiteten Sätze helfen nicht zur Entdeckung neuer Dinge; denn die Feinheit der Natur übertrifft vielfach die Feinheit der Beweisführung; aber die Sätze, welche von dem Einzelnen richtig und ordentlich abgenommen sind, zeigen und weisen leicht auf neues Einzelne hin und machen so die Wissenschaften thätig.Wenn die syllogistischen Beweise nicht zu Neuem führen, so liegt es eben darin, dass die Konklusion nur den Obersatz für ein besonderes Gebiet oder einen einzelnen Fall wiederholt, der schon in ihm enthalten ist. Der aus der Feinheit der Natur entnommene Grund passt hier nicht, wenn man nicht eben darunter die reiche Mannichfaltigkeit der Natur versteht, die durch die in der Identität sich haltende syllogistische Beweisführung sich nicht erfassen lässt. (B. I. 82.)

25.

Die jetzt gebräuchlichen Sätze sind nur von einer leichten und handgreiflichen Erfahrung aus wenig einzelnen und alltäglichen Fällen abgeleitet, so ziemlich nach deren Maass gebildet und bemessen, und es kann deshalb nicht auffallen, dass sie zu neuem Einzelnen nicht führen. Kommt zufällig ein vorher nicht bemerkter oder erkannter Fall zum Vorschein, so sucht man durch leichtfertige Unterscheidungen den alten Satz zu retten, während es richtiger wäre, ihn zu verbessern.

26.

Die menschliche Auffassung, deren man sich jetzt für die Natur bedient, pflege ich zur Unterscheidung Vorausnahmen aus der Natur zu nennen; denn es sind leichtsinnige und voreilige Annahmen; aber jene Auffassung, welche in richtiger Weise aus den Gegenständen gezogen wird, nenne ich die Erklärung der Natur.

27.

Jene Vorausnahmen sind gut für die Einstimmigkeit; da ja selbst, wenn die Menschen in derselben Weise und gleichmässig toll wären, sie dabei recht wohl einstimmig sein könnten.

28.

Die Vorausnahmen gewinnen viel eher die Zustimmung als die Erklärungen, weil sie von Wenigem und von dem, was am meisten vorkommt, entlehnt sind; deshalb bemächtigen sie sich des Verstandes und erfüllen die Phantasie, während die Erklärungen aus mannichfachen und oft von einander sehr weit abliegenden Fällen zusammengelesen werden müssen, den Verstand nicht gleich für sich einnehmen können, und deren Aussprüche beinah so hart und ungewohnt wie die Mysterien der Religion klingen.So wie ein Satz nicht blos aus bekannten, sondern auch aus fremdartigen Fällen durch Induktion abgeleitet wird, muss das Ergebniss allerdings gegen die gemeine Ansicht verstossen und kann selbst unverständlich klingen. So klang die Lehre des Kopernikus von der Umdrehung der Erde zu damaliger Zeit den Meisten so unverständlich wie die Lehre von der Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl, und so klingt dem heutigen Geschlecht die Zurückführung der Wärme auf eine Wellenbewegung der Atome ähnlich hart und ungewohnt.

29.

In Wissenschaften, die sich auf die Meinung und das Belieben stützen, sind die Vorausnahmen und die Dialektik von gutem Gebrauch, da es hier darauf ankommt, die Zustimmung zu erzwingen, nicht den Gegenstand zu bezwingen.

30.

Auch wenn die geistvollsten Männer aller Zeiten sich verbänden, gemeinsam arbeiteten und Alles sich mittheilten, würde durch die Vorausnahmen kein grosser Fortschritt in den Wissenschaften erlangt werden, weil die radikalen, gleich bei dem Beginn der Arbeit einfliessenden Irrthümer durch die Vortrefflichkeit der späteren Arbeiten und Hülfsmittel nicht wieder gut gemacht werden können.

31.

Durch neue Induktionen und neue Aufbaue auf die alten wird den Wissenschaften kein grosser Zuwachs hinzutreten; vielmehr muss die Erneuerung von dem untersten Grund aus beginnen, wenn man sich nicht immer im Kreise drehen und nur schwächliche und unbedeutende Fortschritte machen will.

32.

Den alten Schriftstellern gebührt ihre Ehre, und zwar ohne Unterschied. Denn ich ziehe hier keinen Vergleich zwischen den Geistern und Talenten, sondern zwischen den Wegen, und ich übernehme nicht das Amt eines Richters, sondern eines Wegweisers.

33.

Ueber meinen Weg und über das auf demselben Entdeckte kann, wie ich offen erkläre, durch Vorausnahmen in der gebräuchlichen Weise kein richtiges Urtheil gefällt werden; denn man kann nicht verlangen, dass mein Verfahren den zum Richter annehme, der selbst vor Gericht gezogen werden soll.

34.

Meine Weise zu lehren und das Vorgebrachte zu erklären ist nicht leicht, da das in sich Neue trotzdem in der Weise des Alten aufgefasst zu werden pflegt.D. h. die deduktiv-syllogistische Methode drängt sich auch in die Induktion ein und vermengt deren reale, aus den Dingen selbst entlehnte Begriffe mit ihren voreilig gebildeten Begriffen und leeren Beziehungsformen.

35.

BorgiaDamit ist der Papst Alexander VI. gemeint. Nardi erzählt den Ausspruch in seinem Leben von Malespini (1597); der Ausdruck wurde zu Baco's Zeit sprichwörtlich gebraucht. sagt von dem Zuge der Franzosen nach Italien, sie wären mit der Kreide in der Hand gekommen, um ihre Ruheplätze zu bezeichnen, und nicht mit Waffen, um Gewalt zu brauchen. Ebenso soll auch meine Lehre in die fähigen und geschickten Geister eintreten; denn Widerlegungen können da nicht angewendet werden, wo man über die Prinzipien und über die Begriffe selbst so wie über das Beweisverfahren nicht einig ist.

36.

So bleibt mir nur die einfache Weise der Belehrung, indem ich die Menschen zu dem Einzelnen, dessen Folge und Ordnung führe, und nur verlange, dass man einstweilen sich von seinen Begriffen befreie, und versuche, mit den Dingen selbst vertraut zu werden.

37.

Der Weg Derer, welche sich alles Urtheils enthielten, und mein Weg stimmen im Beginn überein; aber am Ende sind beide völlig getrennt und entgegengesetzt. Jene behaupten einfach, man könne nichts wissen; ich behaupte, dass man auf dem bisher üblichen Wege nicht viel von der Natur wissen könne; Jene haben dann das Ansehn der Sinne und des Verstandes zerstört; ich dagegen suche und bereite diesen Hülfe.Unter Denen, die sich des Urtheils enthalten (Akatalepsia) sind die alten Skeptiker und die Neu-Platoniker seit Carneades gemeint.

38.

Die Götzenbilder und falschen Begriffe, die von dem menschlichen Geist schon Besitz ergriffen haben und fest in ihm wurzeln, halten den Geist nicht blos so besetzt, dass die Wahrheit nur schwer einen Zutritt findet, sondern dass, selbst wenn dieser Zutritt gewährt und bewilligt worden ist, sie bei der Erneuerung der Wissenschaften immer wiederkehren und belästigen, so lange man nicht sich gegen sie vorsieht und nach Möglichkeit verwahrt.

39.

Es giebt vier Arten von Götzenbildern, welche den menschlichen Geist besetzt halten. Zur leichteren Darstellung habe ich ihnen besondere Namen gegeben; die erste Art nenne ich die Götzenbilder des Stammes; die zweite die der Höhle; die dritte die des Marktes; die vierte die des Theaters.Die Götzenbilder oder Trugbilder (Idole) bezeichnen die falschen Begriffe, welche den Menschen an der Erkenntniss der Wahrheit hindern; die Eintheilung ist nach der Quelle gemacht, von der sie herkommen. Diese sonderbaren Namen, welche zum derben Stil Baco's gehören, erhalten in dem Folgenden ihre Erläuterung.

40.

Die Aufstellung der Begriffe und Sätze vermittelst der wahren Induktion ist sicherlich ein geeignetes Mittel, um die Götzenbilder abzuhalten und zu entfernen; aber auch die Beschreibung der Götzenbilder ist von grossem Nutzen; denn die Lehre von den Götzenbildern verhält sich zur Erklärung der Natur ähnlich wie die Lehre von den scholastischen Künsten zur gewöhnlichen Dialektik.

41.

Die Götzenbilder des Stammes haben ihren Grund in der menschlichen Natur, in dem Stamm oder Geschlecht der Menschen selbst. Denn es ist unrichtig, dass der menschliche Sinn das Maass der Dinge sei; vielmehr geschehen alle Auffassungen der Sinne und des Verstandes nach der Natur des Menschen, nicht nach der Natur des Weltalls. Der menschliche Verstand gleicht einem Spiegel mit unebener Fläche für die Strahlen der Gegenstände, welcher seine Natur mit der der letzteren vermengt, sie entstellt und verunreinigt.In den Artikeln 45-52 werden diese Götzenbilder näher beschrieben. Art. 41 klingt an die Auffassungen Kant's und überhaupt an den Idealismus an. Allein Baco meint es nicht so; für ihn bestehen keine fundamentalen in der Natur des menschlichen Erkennens liegenden Hemmnisse, welche eine unüberwindliche Kluft zwischen Sein und Wissen bildeten; sondern nach Baco sind diese Trugbilder des Stammes nur falsche Angewohnheiten, welche durch die induktive Methode überwunden werden können.

42.

Die Götzenbilder der Höhle sind die Götzenbilder des einzelnen Menschen. Denn jeder Einzelne hat neben den Verirrungen der menschlichen Natur im Allgemeinen eine besondere Höhle oder Grotte, welche das natürliche Licht bricht und verdirbt; theils in Folge der eigenthümlichen und besonderen Natur eines Jeden, theils in Folge der Erziehung und des Verkehrs mit Andern, theils in Folge der Bücher, die er gelesen hat, und der Autoritäten, die er verehrt und bewundert, theils in Folge des Unterschiedes der Eindrücke bei einer voreingenommenen und vorurtheilsvollen Sinnesart gegen eine ruhige und gleichmässige Stimmung, und dergleichen mehr. Der menschliche Geist ist deshalb in seiner Verfassung bei dem Einzelnen ein sehr veränderliches, gestörtes und gleichsam zufälliges Ding. Deshalb sagt Heraklit richtig, dass die Menschen die Wissenschaften in ihren kleinen Welten suchen, aber nicht in der grossen und gemeinsamen.

43.

Es giebt auch Götzenbilder in Folge der gegenseitigen Berührung und Gemeinschaft des menschlichen Geschlechts, welche ich wegen des Verkehrs und der Verbindung der Menschen die Götzenbilder des Marktes nenne. Denn die Menschen gesellen sich zu einander vermittelst der Rede; aber die Worte werden den Dingen nach der Auffassung der Menge beigelegt; deshalb behindert die schlechte und thörichte Beilegung der Namen den Geist in merkwürdiger Weise. Auch die Definitionen und Erklärungen, womit die Gelehrten sich manchmal zu schützen und zu vertheidigen pflegen, bessern die Sache keineswegs. Denn die Worte thun dem Verstande Gewalt an, stören Alles und verleiten die Menschen zu leeren und zahllosen Streitigkeiten und Erdichtungen.

44.

Es giebt endlich Götzenbilder, welche in die Seele der Menschen aus den mancherlei Lehrsätzen der Philosophie und auch aus verkehrten Regeln der Beweise eingedrungen sind, und die ich die Götzenbilder des Theaters nenne; denn so viel wie philosophische Systeme erfunden und angenommen worden sind, so viel Fabeln sind damit vorgebracht und aufgeführt worden, welche aus der Welt eine Dichtung und eine Schaubühne gemacht haben. Ich meine hier nicht blos die schon vorhandenen oder die alten philosophischen Systeme und Sekten, da man ja noch mehr solcher Fabeln ersinnen und zusammensetzen kann; denn trotz der Mannichfaltigkeit des Irrthums ist doch die Ursache desselben überall die gleiche. Ich beziehe das nicht blos auf die allgemeine Philosophie, sondern auch auf manche Prinzipien und Lehrsätze der besonderen Wissenschaften, die durch Herkommen, Leichtgläubigkeit und Nachlässigkeit Geltung erlangt haben.

Indess werde ich über diese einzelnen Arten von Götzenbildern noch ausführlicher und bestimmter sprechen müssen, damit der menschliche Geist dagegen geschützt bleibe.

45.

Der menschliche Geist setzt vermöge seiner Natur leicht eine grössere Regelmässigkeit und Gleichheit in den Dingen voraus, als er später findet. Und obgleich in der Natur Vieles nur einmal vorkommt oder voller Ungleichheiten ist, so legt der Geist doch den Dingen viel Gleichlaufendes, Uebereinstimmendes und Beziehungen bei, die es nicht giebt. Daher jene Erdichtungen, dass die Himmelskörper sich alle in vollkommenen Kreisen bewegen, und dass man alle gewundenen und Drachenlinien bis auf den Namen verworfen hat.Unter »gewundenen und Drachenlinien« hat Baco wahrscheinlich die doppelten Krümmungen und Windungen verstanden, welche man in die Bewegung der Planeten einführen wollte, um ihre Abweichungen in der Ekliptik nach der Breite zu erklären. Die Mondbahn durchschneidet die Ekliptik oder die Ebene der Erdbahn und liegt halb darüber, halb darunter; der Anfang jener wurde der aufsteigende Knoten oder das Haupt des Drachen genannt, der Anfang dieser der absteigende Knoten oder der Schwanz des Drachen. Daher dieses Wort in diesem Artikel. Daher rührt das angebliche Element des Feuers mit seinem Kreise, nur damit im Verein mit den drei anderen Elementen eine Vierzahl zu Stande komme für Alles, was den Sinnen unterliegt.Die Scholastiker setzten die Sphäre (orbis) des Feuers über die Sphäre der Luft, und die vierfache Zahl der Elemente wurde von den vier elementaren Qualitäten, heiss, kalt, feucht und trocken, abgeleitet. Den sogenannten Elementen wird auch beliebig ein zehnfaches gegenseitiges Verhältniss der fortschreitenden Feinheit beigelegt, und was dergleichen Träumereien mehr sind. Solches Spiel wird nicht blos mit den Lehrsätzen getrieben, sondern auch mit den einfachen Begriffen.

46.

Der menschliche Verstand zieht in das, was er einmal als wahr angenommen hat, weil es von Alters her gilt und geglaubt wird, oder weil es gefällt, auch alles Andere hinein, um Jenes zu stützen und mit ihm übereinstimmend zu machen. Und wenn auch die Bedeutung und Anzahl der entgegengesetzten Fälle grösser ist, so bemerkt oder beachtet der Geist sie nicht oder beseitigt und verwirft sie mittelst Unterscheidungen zu seinem grossen Schaden und Verderben, nur damit das Ansehn jener alten fehlerhaften VerbindungenSyllepsis, was hier nur mangelhaft mit: »fehlerhafter Verbindung« hat übersetzt werden können, bezeichnet ungrammatische Verbindungen von Worten; z. B. Demosthenes cum ceteris erant expulsi, wo das »erant« auch auf den Singular (Demosthenes) mit geht. aufrecht erhalten bleibe. Als deshalb jenem Mann im Tempel die aufgehangenen Votivtafeln Derer, welche für ihre Errettung aus dem Schiffbruch Geschenke geweiht hatten, gezeigt wurden, und man ihn mit der Frage bedrängte, ob er nun nicht das Walten der Götter anerkenne, so fragte er mit Recht: Aber wo sind denn Jene verzeichnet, die trotz ihrer ausgesprochenen Gelübde dennoch untergegangen sind?Diese Anekdote erzählt Cicero von Diagoras, und Diogenes von Laërte von dem Cyniker Diogenes. – So verhält es sich mit allem Aberglauben, sowohl in der Astrologie als bei den Träumen, den Vorbedeutungen, den Rachegöttern u. s. w. Man erfreut sich an solchen eitlen Dingen und merkt es sich, wo es eingetroffen ist; die Fälle dagegen, welche fehlgeschlagen haben, werden, obgleich sie zahlreicher sind, nicht beachtet und übergangen. Aber in viel feinerer Weise kriecht dies Uebel in der Philosophie und den Wissenschaften umher, in denen das, was einmal beliebt worden, alles Andere, sei es auch viel fester und sicherer, ansteckt und sich unterwirft. Selbst wenn dabei jene erwähnte Freude und Eitelkeit nicht mitgewirkt hat, haftet doch dem menschlichen Verstande der eigenthümliche Fehler an, stets mehr dem Bejahenden als dem Verneinenden sich zuzuneigen, während er doch nach Recht und Ordnung sich zu beiden gleich verhalten sollte; ja, bei jedem wahrhaft bejahenden Lehrsatze ist sogar die Kraft des verneinenden Falles die stärkere.Weil viele Fälle noch nicht hinreichen, die Allgemeinheit einer von ihnen abgeleiteten Regel zu beweisen; aber ein einziger Fall, der ihr widerspricht, genügt, sie umzustossen.

47.

Der menschliche Geist wird von dem, was die Seele mit einem Male und plötzlich erschüttert und durchdringt, am meisten bewegt, und seine Phantasie pflegt sich damit zu erfüllen und zu erhitzen; alles Andere soll sich in nicht zu begreifender Weise ebenso verhalten wie das Wenige, was die Seele besetzt hält. Der Geist beschafft dazu Voraussetzungen und Erfindungen; aber zu jenen entfernteren und ungleichartigen Fällen, welche den Lehrsätzen erst die Feuerprobe geben, vermag er nicht überzugehen, wenn nicht ein harter Zwang und ein gewaltiges Gebot ihn dazu nöthigen.

48.

Der menschliche Verstand lodert auf, aber er vermag weder zu beharren noch anzuhalten; er treibt vorwärts, aber vergeblich. Deshalb kann man sich kein Ende und kein Aeusserstes der Welt vorstellen, vielmehr ist man genöthigt, immer noch etwas darüber hinaus anzunehmen; ebenso wenig kann man sich vorstellen, wie die Ewigkeit bis zu dem heutigen Tage hat ablaufen können, weil der gebräuchliche Unterschied zwischen dem Unendlichen von Vorn und dem Unendlichen von Rückwärts unbegründet ist; denn es folgte daraus, dass ein Unendliches grösser wäre als das andere, und dass das Unendliche ein Ende nähme und an das Endliche grenzte. Aehnlich verhält es sich mit der unendlichen Theilbarkeit der Linien; das Denken reicht dazu nicht aus.

Aber verderblicher zeigt sich diese Ohnmacht des Geistes bei der Auffassung der Ursachen. Denn das Allgemeinste der Natur muss von bejahendem Inhalte sein und gelten, wie es gefunden worden; es kann nicht wieder aus Ursachen abgeleitet werden. Dennoch verlangt der menschliche Verstand, der nicht ruhen kann, noch nach Höherem; bei solchem Streben nach dem Entfernteren fällt er in das Nähere zurück, nämlich in die Zwecke, die viel mehr dem Menschen angehören als dem Weltall.

Aus diesen Quellen ist die Philosophie in merkwürdiger Weise verdorben worden. Es zeigt aber den unerfahrenen und leichtsinnigen Philosophen, wenn er für das Allgemeinste nach Gründen verlangt, aber für das Untergeordnete und Niedere es nicht thut.Die in diesem Artikel besprochenen Eigenthümlichkeiten des menschlichen Geistes bilden den Gegenstand der berühmten Antinomien Kant's. Baco berührt sie hier nur obenhin. Er leitet sie sämmtlich aus einem immer vorwärts drängenden Triebe der Seele ab; allein die Unendlichkeit des Raums und der Zeit sowohl nach der Vergrösserung, wie nach der Verkleinerung kommt nur davon, dass das Wahrnehmen des Menschen keine Grenze dafür findet; deshalb kann sich die Seele auch keine erdenken, und deshalb misslingt jeder Versuch der Art, was zur Unendlichkeit, als Verneinung der Grenze führt. Dagegen liegt die Unendlichkeit der kausalen Reihe in der leeren, inhaltslosen Natur der Ursächlichkeit, welche als blosse Beziehungsform auf Alles passt, so dass die Wirkung auch wieder als Ursache und die Ursache wieder als Wirkung behandelt werden kann. Dasselbe gilt auch für die Begründung. (B. II. 35. 46; Ph. d. W. 374.)

49.

Der menschliche Geist ist kein reines Licht, sondern erleidet einen Einfluss von dem Willen und den Gefühlen. Dies erzeugt jene »Wissenschaften für Alles, was man will«; denn was man am liebsten als das Wahre haben mag, das glaubt man am leichtesten. Der Geist verwirft deshalb das Schwere, weil ihm die Geduld zur Untersuchung fehlt; desgleichen das Maasshaltende, weil es die Hoffnungen beschränkt; das Höhere in der Natur aus Aberglauben; das Licht der Erfahrung aus Hochmuth und Anmaassung, damit es nicht scheine, als beschäftige sich der Geist mit Niedrigem und Vergänglichem; endlich das sonderbar Klingende wegen der Meinungen der Menge. Auf unzählige und oft unbemerkbare Weise drängt sich das Gefühl in das Denken und steckt es an.Spinoza sagt in einem Briefe an Oldenburg über diesen Artikel: »Von Baco brauche ich nicht viel zu sagen; er behandelt die Frage verworren und erzählt mehr, als dass er bewiese. Alle diese Ursachen des Irrthums kann man auf die eine zurückführen, die Cartesius aufstellt, dass der Wille des Menschen frei ist und weiter geht als seine Erkenntniss; oder wie Baco es unklarer ausspricht: weil das Licht des menschlichen Geistes nicht reines Licht ist, sondern einen Aufguss von dem Willen empfängt.«

50.

Aber das grösste Hemmniss und der grösste Anlass zu Irrthümern kommt dem menschlichen Verstand von dem Staunen, von der Ohnmacht und von den Täuschungen der Sinne; Alles, was die Sinne erschüttert, wird dann über das gestellt, wo dies nicht unmittelbar der Fall ist, wenn auch Letzteres das Mächtigere sein sollte. Deshalb hört die Betrachtung mit dem Sehen auf, und die unsichtbaren Dinge werden wenig oder gar nicht beobachtet. Deshalb bleibt dem Menschen alle Wirksamkeit der in den fühlbaren Körpern eingeschlossenen Geister verborgen und unerkannt.Diese Geister (spiritus) sind ein Fundamentalbegriff in Baco's Philosophie; auch Descartes hat sie noch beibehalten. Es ist darunter nicht ein Geistiges im Gegensatz zu dem Körperlichen zu verstehn, sondern es werden damit nur die feinsten Arten des Körperlichen, etwa wie der Aether der modernen Naturwissenschaft, gemeint. Nach Descartes bilden bei Thieren und Menschen die Geister sich aus dem Blute und vermitteln bei den Menschen die Verbindung zwischen Leib und Seele. Baco selbst kommt in dem zweiten Theile des Organon's ausführlicher auf sie zu sprechen (Th. II. Art. 7). Diese Geister in den Körpern sind ein Begriff, der im ganzen Mittelalter vorherrscht und zur Erklärung aller schwierigen Erscheinungen benutzt wurde. Paracelsus hatte bereits 50 Jahre vor Baco diese Theorie sehr ausgebildet. Auch alle feinere Umgestaltung in den Theilen der gröberen Gegenstände (die man gewöhnlich Veränderung nennt, obgleich es nur eine sehr kleine Bewegung ist) ist in dieser Weise verhüllt. Und doch kann, bevor nicht diese Geister und Umgestaltungen ermittelt und ans Licht gebracht sind, nichts Grosses in der Natur zur Ausführung gebracht werden. Ebenso ist die Natur der gewöhnlichen Luft und der Körper, die noch feiner als die Luft sind, und deren es eine grosse Zahl giebt, beinah unbekannt. Denn der Sinn für sich allein ist schwach und dem Irrthum ausgesetzt; auch helfen die Werkzeuge zur Erweiterung oder Verschärfung der Sinne nicht viel; vielmehr vollzieht sich die wahre Erklärung der Natur nur durch Einzelfälle und passende Versuche, wobei die Sinne nur über den Versuch, aber der Versuch über die Natur und den Gegenstand selbst das Urtheil sprechen.

51.

Der menschliche Verstand drängt seiner Natur nach zu dem Abstrakten, und das Fliessende hält er für ein Beharrliches. Es ist aber besser, die Natur zu zerschneiden als von ihr Abstrakta zu bilden.In B. I. 13. 16 ist dieser Gegensatz: »Theilendes und begriffliches Trennen« genannt und vollständiger dargelegt worden. Das Abstrahiren oder das begriffliche Trennen ist der höchste Vorzug des menschlichen Geistes; wenn Baco es hier tadelt, so meint er nur den damit getriebenen Missbrauch. Unter »Formen« sind hier die voreiligen, aus ungenügender Beobachtung gezogenen scholastischen Begriffe gemeint, die meist auf blosse Beziehungsformen des Denkens hinauslaufen. Im zweiten Theile nimmt Baco das Wort: »Form« in einem andern Sinne und versteht darunter gerade die wirkliche und wahre Gestaltung der Elemente, welche das Wesen der allgemeinen Eigenschaften (des Warmen, des Lichts, des Festen, des Schweren u. s. w.) bildet. Ersteres that die Schule des Demokrit, die deshalb tiefer als die anderen in die Natur eindrang. Der Stoff muss in Betracht genommen werden, seine innere Gestaltung und Umgestaltung, die reine Thätigkeit und das Gesetz dieser Thätigkeit oder Bewegung; denn die Formen sind Erdichtungen der menschlichen Seele, man müsste denn jene Gesetze Formen der Thätigkeit nennen wollen.

52.

Der Art sind also die Götzenbilder, welche ich die des Stammes nenne. Sie entspringen entweder aus der überall gleichen Substanz des menschlichen Geistes, oder aus seinen Vorurtheilen, oder aus seiner beschränkten Natur, oder aus seiner Unruhe, oder aus dem Einfluss der Gefühle, oder aus der Schwäche der Sinne, oder aus der Art der Eindrücke.

53.

Die Götzenbilder der HöhleDiesen sonderbaren Namen hat Baco wahrscheinlich von der Höhle entlehnt, welche Plato im VII. Buche seines Staats beschreibt und als Gleichniss für die philosophische Erkenntniss gegenüber der gemeinen Erkenntniss benutzt. entstehen aus der besondern geistigen und körperlichen Natur des Einzelnen; auch aus der Erziehung, den Gewohnheiten und den Zufälligkeiten des Lebens. Die Fälle dieser Art sind mannichfach und zahlreich; ich will davon nur die erwähnen, welche die meiste Vorsicht erfordern und vorzugsweise die Erkenntniss in ihrer Reinheit beschädigen.

54.

Die Menschen lieben die Wissenschaften und die Betrachtung des Einzelnen, entweder weil sie sich für die Urheber und Erfinder davon halten, oder weil sie sich viel damit bemüht und daran gewöhnt haben. Wenn solche Personen sich zur Betrachtung des Allgemeinen und zur Philosophie wenden, so verdrehen und verderben sie dieselbe in Folge ihrer früheren Einbildungen. Dies zeigt sich vorzüglich bei Aristoteles, welcher seine Naturphilosophie gänzlich seiner Logik unterordnete und ihr damit die Nützlichkeit und Festigkeit benahm. Das Geschlecht der Chemiker erbaut dagegen aus wenigen Versuchen am Ofen eine phantastische und nur auf Weniges sich erstreckende Philosophie. Selbst Gilbert setzte, nachdem er den Magnet mit ausserordentlichem Fleisse beobachtet hatte, sofort eine Philosophie zusammen, wie sie zu diesem für ihn wichtigsten Gegenstande passen sollte.William Gilbert war gegen 1550 zu Colchester in England geboren, studirte Medizin, machte viele Reisen und liess sich zuletzt in London als Arzt nieder. Die Königin Elisabeth ernannte ihn zu ihrem Leibarzt, und auch bei ihrem Nachfolger, König Jakob I., behielt er diese Stelle bis zu seinem am 30. November 1603 erfolgenden Tode. Gilbert ist der Begründer der Lehre über Elektrizität und Magnetismus. Er leitete allen Magnetismus von der Erde ab, die er für einen grossen Magneten erklärte, und womit er auch die richtige Ursache für Deklination und Inklination der Magnetnadel entdeckte. Er war ein sorgsamer Beobachter und gewandter Experimentator. Die meisten seiner Aussprüche über die Natur des Magneten werden noch heute anerkannt. Sein grosses Werk, was seinen Ruhm in Europa begründete, war: De magnete, magnetibusque Corporibus et de magna magnete tellure Philosophia nova und erschien London 1600. Hiernach ist Gilbert nicht blos ein Zeitgenosse Baco's, sondern muss auch durch sein Amt mit Baco viel in persönliche Berührung gekommen sein.

55.

Der grösste und gleichsam Wurzel-Unterschied der Geister in Bezug auf Philosophie und Wissenschaften besteht darin, dass Manche besser und geschickter die Unterschiede der Gegenstände und Andere deren Aehnlichkeiten bemerken. Beharrliche und scharfsinnige Geister können in Betrachtungen verharren und bei jedem feinen Unterschiede anhalten und stehen bleiben; aber erhabene und Alles überblickende Geister erfassen auch die feinsten und allgemeinsten Aehnlichkeiten und stellen sie zusammen. Beide Arten der Geister gerathen leicht in das Uebermaass, indem sie nach Graden und Schatten der Dinge greifen.Unter »Graden« (gradus) versteht Baco wohl jene feinsten Unterschiede oder Aehnlichkeiten, welche ihren Halt nicht mehr in dem Gegenstande haben, sondern aus dem spitzfindigen Denken hervorgehen.

56.

Manche Geister verlieren sich in die Bewunderung des Alterthums, andere in die Liebe und das Studium des Neuen, und nur wenige sind solchen Temperaments, dass sie Maass halten können und weder das von den Alten richtig Festgestellte bestreiten, noch das von den Neuen richtig Vorgebrachte verachten. Denn dergleichen bringt den Wissenschaften und der Philosophie grossen Schaden, da es mehr ein blosses Studium des Alterthums und der Gegenwart, aber kein Urtheilen ist. Die Wahrheit hängt nicht von dem Glück einer bestimmten Zeit ab, was veränderlich ist, sondern ist dem Licht der Natur und der Erfahrung, die unveränderlich sind, zu entnehmen. Deshalb muss man solchen Eifer von sich abhalten, und sorgen, dass der Geist dadurch nicht zur Beistimmung hingerissen werde.

57.

Betrachtungen der Natur und der Körper in ihrer Einfachheit hemmen und schwächen den Verstand; Betrachtungen der Natur und der Körper in ihrer Zusammensetzung betäuben und zersetzen den Geist. Dies zeigt sich am deutlichsten an der Schule des Leucipp und Demokrit,Er war der Begründer der Lehre von den Atomen, welche als Moleküle auch der modernen Naturforschung zu Grunde liegen. im Vergleich mit anderen Systemen. Jene verweilt so viel bei dem Einzelnen der Dinge, dass sie die gemeinsame Wirksamkeit unbeachtet lässt; die übrigen betrachten dagegen diese Wirksamkeit mit solchem Erstaunen, dass sie zur Einfachheit der Natur nicht hindurchdringen. Deshalb muss man mit diesen Betrachtungsweisen wechseln und eine neben der andern gebrauchen; dann wird der Verstand sowohl durchdringend als empfänglich, und die früher erwähnten daraus hervorgehenden Uebel und Götzenbilder werden vermieden.

58.

Solcher Art ist die wissenschaftliche Klugheit bei Abhaltung und Beseitigung der Götzenbilder der Höhle, welche entweder aus Vorurtheilen oder aus Uebertreibungen im Verbinden und Trennen, oder aus einer Vorliebe für bestimmte Zeiten, oder aus der Grösse oder Feinheit der Gegenstände entspringen. Im Allgemeinen muss der Beobachter der Natur gerade dem misstrauen, was seinen Verstand am meisten anspricht und fesselt. Bei solchen Gefühlseinwirkungen ist grosse Vorsicht nöthig, damit der Geist sich unparteiisch und rein erhalte.

59.

Die Götzenbilder des Marktes sind die lästigsten von allen; sie haben durch ein Bündniss der Worte und Namen den Geist für sich eingenommen. Die Menschen glauben, dass ihr Geist dem Worte gebiete; aber oft kehren die Worte ihre Kraft gegen den Geist um; davon sind die Philosophie und die Wissenschaften sophistisch und unthätig geworden. Die Worte werden meist nach der Auffassung der Menge den Dingen beigelegt, und diese trennt sie nach den Richtungen, welche dem gewöhnlichen Sinne am auffallendsten sind. Wenn dann ein schärferer Geist und eine genauere Beobachtung diese Bestimmungen ändern und mit der Natur mehr in Uebereinstimmung bringen will, so widerstehen die Worte, und deshalb endigen die grossen und feierlichen Disputationen der Gelehrten oft im Streit über Worte und Namen, während es nach dem verständigen Vorgange der Mathematiker rathsamer gewesen wäre, mit den Namen anzufangen und sie durch Definitionen ins Reine zu bringen. Doch können selbst solche Definitionen bei natürlichen und stofflichen Gegenständen diese Uebel nicht heilen; denn diese Definitionen bestehen selbst aus Worten, und Worte erzeugen Worte, so dass es also nothwendig wird, auf die einzelnen Fälle, ihre Folge und Ordnung zurückzugehen, wie ich bald zeigen werde, wenn ich zu der Art und Weise, Begriffe und Sätze zu bilden, gelange.

60.

Die Götzenbilder, welche die Worte in den Geist einführen, sind zwiefacher Art. Entweder sind es Namen von Dingen, die es nicht giebt (denn so wie es Dinge giebt, die aus Unachtsamkeit keinen Namen bekommen haben, so giebt es Namen, wo die Philosophie getäuscht hat, und der Gegenstand fehlt), oder es sind zwar Namen von wirklichen Dingen, aber sie sind verworren, schlecht begrenzt, voreilig und ungleich von den Dingen entlehnt. Zur ersten Art gehören z. B. Worte wie: Glück; das erste Bewegliche; die Sphären der Planeten; das Element des Feuers und ähnliche Erdichtungen, die aus eitlen und falschen Lehren hervorgegangen sind.

Diese Art von Götzenbildern kann leicht beseitigt werden; denn durch beharrliche Verleugnung und Beiseitschiebung solcher Lehren kann sie zerstört werden. Dagegen ist die zweite Art verwickelter und tiefer eingewurzelt, da sie aus schlechten und unvorsichtigen Abstraktionen entspringt.

Wir wollen z. B. ein Wort wie Feucht nehmen und sehen, wie sich das mit diesem Worte Bezeichnete verhält; es wird sich dann zeigen, dass dieses Wort: Feucht nur das verworrene Zeichen verschiedener Wirksamkeiten ist, aus denen kein Bestimmtes ausgetrennt werden kann. Denn Feucht bezeichnet das, was in andere Körper sich leicht ergiesst; auch das, was in sich nicht fest und bestimmbar ist; auch das, was überall leicht nachgiebt; auch das, was sich leicht trennt und zerstreut; auch das, was sich leicht verbindet und sammelt; auch das, was leicht fliesst und beweglich ist; auch das, was einem andern Körper leicht anhängt und ihn benetzt; auch das, was leicht flüssig wird oder zusammenfliesst, während es vorher fest war. Man ist daher bei der Bildung und Beilegung dieses Wortes so verfahren, dass in dem Satze: die Flamme ist feucht, der Sinn des Wortes ein andrer ist als in dem Satze: die Luft ist feucht, und wieder ein andrer in dem Satze: der feine Staub ist feucht, und ein andrer in dem Satze: das Glas ist feucht. Hieraus erhellt, dass dieser Begriff nur von dem Wasser und den gewöhnlichen und bekannten Flüssigkeiten ohne die erforderliche Berücksichtigung voreilig entlehnt worden ist.

Die Worte haben ihre Grade der Schlechtigkeit und der Falschheit. Die wenigst fehlerhafte Klasse bilden die für die Substanzen, namentlich für die untersten und gut abgeleiteten Arten; so ist der Begriff der Kreide, des Thones gut; der der Erde aber schlecht. Fehlerhafter ist schon die Klasse für die Vorgänge wie: Erzeugen, Verderben, Verändern. Am fehlerhaftesten ist die Klasse der Eigenschaften (mit Ausnahme der unmittelbar sinnlich wahrnehmbaren), wie: Schwer, leicht, dünn, dicht u. s. w.; wobei natürlich diese einzelnen Begriffe je nach der Menge dessen, was den Sinnen der Menschen sich dargeboten hat, bald besser, bald schlechter ausgefallen sind.

61.

Die Götzenbilder des Theaters sind nicht angeboren, noch heimlich dem Geiste beigebracht, sondern aus den Fabeln der Theorien und den verkehrten Regeln der Beweisführung eingeflösst und aufgenommen. Mit Widerlegungen dagegen aufzutreten, entspricht nicht dem von mir Gesagten; denn wo über die Prinzipien und über die Beweisarten keine Uebereinstimmung besteht, da hört alles Streiten und Widerlegen auf. Dies ist indess ein Glück; denn so verbleibt den Alten ihre Ehre. Diese wird nicht verkleinert, da es sich hier nur um den Weg handelt. Das Sprichwort sagt: Ein Lahmer auf dem Wege überholt einen Läufer ausserhalb des Weges. Auch ist klar, dass, je geschickter und schneller dieser Läufer ausserhalb ist, er um so weiter sich verirren wird.Baco bestreitet nicht den überlegenen Geist der Alten; allein sie hatten nach ihm einen falschen Weg (Methode) eingeschlagen, den Syllogismus statt der Induktion gewählt; deshalb liefen sie ausserhalb des Weges und können deshalb selbst von einem schwächeren Geiste, wenn er auf dem Wege (der Induktion) bleibt, überholt werden.

Meine Weise, die Wissenschaften aufzusuchen, ist so beschaffen, dass der Schärfe und Stärke des Geistes nicht viel übrig gelassen wird; vielmehr stellt sie die Geister und Anlagen einander eher gleich. Denn so wie zur Ziehung einer geraden Linie oder Beschreibung eines vollkommenen Kreises mit der blossen Hand viel Sicherheit und Uebung gehört, aber wenig oder gar keine, wenn das Lineal oder der Zirkel dazu benutzt wird, so verhält es sich auch mit meiner Verfahrungsweise. Wenn nun auch die Widerlegung einzelner Sätze wenig nützt, so will ich doch über die Sekten und die Arten jener Lehren Einiges sagen und dann Einiges über die schlechte Beschaffenheit der äusseren Zeichen und über die Ursachen so vielen Unglücks und eines so langen und gemeinsamen Beharrens im Irrthum beifügen, damit der Zutritt zur Wahrheit leichter werde, und der menschliche Geist bereitwilliger sich reinige und die Götzenbilder von sich weise.

62.

Der Götzenbilder des Theaters oder der Theorien giebt es viele; es können noch mehr entstehen und werden es vielleicht künftig. Denn wären nicht schon durch viele Jahrhunderte die Geister der Menschen mit Religion und Theologie beschäftigt gewesen, und wären die bürgerlichen Verfassungen, namentlich die monarchischen dergleichen Neuerungen, selbst in der Theorie nicht abgeneigt gewesen, so dass die Menschen nur mit Gefahr und Schaden für ihr Vermögen sich ihnen widmen konnten, und dabei nicht blos allen Lohnes entbehren, sondern auch dem Neide und der Verachtung sich aussetzen mussten, so würden unzweifelhaft schon bisher mehr Sekten in der Philosophie und Theorie, gleich denen, welche bei den Griechen in so grosser Mannichfaltigkeit blühten, gebildet worden sein. Denn so wie auf die Erscheinungen des Aethers verschiedene Ansichten über den Himmel gegründet werden können, so können in noch höherem Maasse auf die Erscheinungen der Philosophie verschiedene Lehrsätze gegründet und aufgestellt werden.Hier, wie in anderen Fällen, thut Baco durch die Sucht nach kräftigen Gleichnissen dem Ausdruck und den Gedanken Gewalt an. Es ist schwer, die Phänomene in der Philosophie mit denen in der Natur gleichzustellen; deshalb findet auch keine gleiche Ableitung der Lehrsätze bei beiden statt; vielmehr sind die Phänomene in der Philosophie schon diese falschen Sätze selbst, während die Phänomene der Natur die wahren Folgen wahrer Elemente und Kräfte sind. Aus dieser Neigung Baco's ist auch sein Ausdruck: Idola (Götzenbilder) als Gegensatz zu Ideas hervorgegangen. Diese Fabeln des Theaters haben mit den auf den Dichter-Theatern vorkommenden das gemein, dass sie wie die für die Sinne ausgedachten Erzählungen zusammenhängender, zierlicher und den Wünschen der Zuhörer mehr entsprechend sind als die wahren Erzählungen aus der Geschichte. – Im Allgemeinen wird aber bei der Philosophie entweder Vieles aus Wenigem oder Weniges aus Vielem entnommen, so dass nach beiden Seiten die Philosophie auf einer zu schmalen Grundlage der Erfahrung und Naturkunde errichtet ist und nicht aus so Vielem, als sein sollte, sich entwickelt.

Die auf die Vernunft sich stützende Klasse der Philosophen greift aus der Erfahrung das Nächste und Verschiedenste auf, was weder sicher ermittelt noch genau untersucht und erwogen ist; alles Andere soll durch Ueberlegung und Anstrengung innerhalb des Geistes erlangt werden. – Es gab auch noch eine andere Art von Philosophen, die bei einzelnen Versuchen mit Fleiss und Genauigkeit aushielten, daraus die Philosophie zu entwickeln und zu bilden unternahmen und dabei alles Uebrige mit den sonderbarsten Wendungen von ihr abhielten. – Eine dritte Klasse mischte im Eifer ihres Glaubens und ihrer Gottesverehrung die Theologie und die Ueberlieferung ein; ja, bei Einzelnen ging die Eitelkeit so weit, dass sie die Wissenschaften von den höheren Geistern und Genien holten und ableiteten. So ist das Geschlecht der Irrthümer und der falschen Philosophie ein dreifaches: ein sophistisches, ein empirisches und ein abergläubisches.

63.

Ein deutliches Beispiel für das erste Geschlecht liefert Aristoteles, der seine Naturphilosophie durch seine Dialektik verdarb, als er die Welt aus den Kategorien zu Stande brachte, die menschliche Seele, die edelste Substanz, zu den Begriffen zweiter Ordnung ihrer Gattung nach rechnete,Bezieht sich auf den Satz des Aristoteles in seiner Schrift über die Seele II. 1, wo er die Seele definirt, als: ἡ πρώτη ἐντελέχεια σώματος ὀργανικοῦ φυσικοῦ (die erste nach Zwecken wirkende Kraft eines organischen natürlichen Körpers), wobei die scholastischen Kommentatoren die ἐντελέχεια als einen Gattungsbegriff auffassten, unter den die Seele gestellt wird. die Wirkungen des Dichten und Dünnen, vermöge deren die Körper grössere oder kleinere Ausdehnungen oder Räume einnehmen, durch die kühle Unterscheidung von Wirklichkeit und Möglichkeit erledigte, den einzelnen Körpern nur eine einzige und eigenthümliche Bewegung zutheilte, und wenn sie an einer andern Bewegung Theil nahmen, dies von fremden Bewegungen ableitete und vieles Andere nach seinem Belieben der Natur der Dinge auferlegte. Er war in seinen Antworten immer nur darauf bedacht, sich herauszuwinden und den Worten nach etwas Positives zu bieten; aber um die Wahrheit der Sache kümmerte er sich nicht. Dies erhellt am besten aus der Vergleichung seiner Philosophie mit den übrigen bei den Griechen gefeierten Systemen. Die in ihren Bestandtheilen gleichartigen Stoffe des Anaxagoras; die Atome des Leucipp und Demokrit; der Himmel und die Erde des Parmenides; der Streit und die Freundschaft des Empedokles; die Auflösung der Körper in die unterschiedslose Natur des Feuers und ihre Rückkehr zu dem Dichten bei Heraklit haben etwas Naturphilosophisches und schmecken nach der Natur der Dinge, nach Erfahrung und Körpern,Diese Stelle zeigt, dass Baco sich viel mit den griechischen Philosophen beschäftigt hatte, wie oben in seinem Leben erzählt worden ist. Die nähere Erläuterung dieser Stelle würde hier zu weit führen; die Leser können sich aus den Handbüchern der Geschichte der Philosophie, namentlich aus dem von Ueberweg leicht orientiren. Der harte Tadel, den Baco über Aristoteles hier ausspricht, ist auch in neuerer Zeit wiederholt worden. Man meint, dass Aristoteles die Abwege der Scholastik verschuldet und den ersten Anlass dazu gegeben habe; so Düring in seiner Geschichte der Philosophie, Berlin 1869, S. 137. während die Physik des Aristoteles meist nur in dialektischen Ausdrücken sich hören lässt, was sich dann in seiner Metaphysik unter einem feierlichen Namen, als wäre sie mehr real und nicht nominal, wiederholt. Es wird Niemand täuschen, dass er in seinen Büchern über die Thiere und in seinen Problemen und Abhandlungen häufig von Versuchen spricht; denn er hatte seine Grundsätze aufgestellt, ohne die Erfahrung zu deren Bildung richtig benutzt zu haben, und erst nachdem er jene nach seinem Ermessen festgestellt hatte, führte er die Erfahrung wie eine Gefangene mit verrenkten Gliedern um diese Festsetzungen herum. Deshalb verdient er auch härteren Tadel als seine neueren Anhänger, das Geschlecht der scholastischen Philosophen, welche die Erfahrung ganz verlassen haben.

64.

Die empirische Gattung der Philosophie bringt unförmlichere und ungeheuerlichere Festsetzungen als die sophistische und rationale Gattung hervor; denn sie gründet sich nicht auf das Licht der gewöhnlichen Begriffe, das zwar schwach und oberflächlich, aber doch gewissermassen allgemein ist und auf Vieles sich bezieht, sondern auf eine beschränkte Anzahl dunkler Versuche. Deshalb kommt diese Philosophie Denen, welche sich mit diesen Versuchen täglich beschäftigen und dadurch ihre Phantasie verunreinigt haben, wahrscheinlich oder gewiss vor, während sie allen Andern unglaublich oder eitel erscheint. Einen auffallenden Beleg hiezu geben ihre chemischen Lehrsätze, dergleichen man gegenwärtig, mit Ausnahme etwa der Philosophie von Gilbert, sonst nicht weiter findet.Baco bekämpft hier die Naturwissenschaft, welche seit ungefähr hundert Jahren durch die grossen Männer, wie Copernikus, Galilei, Gilbert, Kepler und Andere begründet worden war. Dies ist die schwache Seite von Baco; er konnte sich trotzdem, dass diese Männer nach seiner Methode verfuhren, mit ihren Resultaten, wie z. B. mit der Bewegung der Erde, der Erklärung der Ebbe und Fluth nicht befreunden. Baco stak, wie das Folgende ergeben wird, noch so tief in scholastischen Begriffen, dass er diese Männer tadelt, obgleich sie nur seine Theorie verwirklichten. Dessenungeachtet ist alle Vorsicht gegen die Philosophie geboten, weil ich schon voraussehe und vermuthe, dass wenn man einst in Folge meiner Einwürfe sich endlich zur Erfahrung wenden und den scholastischen Lehren den Abschied geben wird, man in unreifer und übermässiger Eile in Verstandessprüngen und im Fluge zu dem Höchsten und zu den Prinzipien der Dinge sich erheben wird; so dass von dieser Art der Philosophie grosser Schaden droht, und man dem Uebel schon jetzt entgegentreten muss.

65.

Das Verderbniss der Philosophie durch den Aberglauben und die Beimischung der Theologie reicht weit und bringt bald dem ganzen Systeme, bald einzelnen Theilen grossen Schaden. Denn der menschliche Geist ist ebenso dem Einfluss der Phantasie wie der gewöhnlichen Begriffe unterworfen. Die kampflustige und sophistische Philosophie legt dem Geist den Strick um; aber diese phantastische, sich aufblähende, halb dichterische Gattung schwächt den Geist. Denn in dem Menschen steckt ein Ehrgeiz des Wissens, wie des Wollens, namentlich in grossen und bedeutenden Geistern. Ein deutliches Beispiel dazu liefert unter den Griechen Pythagoras, bei dem es indess mit einem gröberen und lästigen Aberglauben verknüpft ist; gefährlicher und feiner zeigt sich aber diese Gattung bei Plato und seiner Schule. Dieser Uebelstand findet sich auch theilweise in den übrigen Systemen da, wo sie abstrakte Formen, Endzwecke und erste Ursachen einführen und dabei immer die mittlern überspringen und dergleichen mehr. Dagegen ist alle Vorsicht nöthig; denn das Schlimmste ist die Vergötterung des Irrthums. Es ist die Pest des Verstandes, wenn das Eitle noch verehrt wird. Dieser Eitelkeit haben aber einige Neuere mit grossem Leichtsinn sich überlassen, so dass sie ihre Naturphilosophie auf das erste Kapitel des ersten Buchs Mosis und auf das Buch Hiob und andere heilige Bücher zu gründen versucht haben. Sie haben das Lebendige unter dem Todten gesucht. Diese Eitelkeit ist umsomehr zu hindern und ihr entgegenzutreten, da aus der ungesunden Vermischung des Göttlichen und Menschlichen nicht blos eine phantastische Philosophie, sondern auch eine ketzerische Religion herauskommt. Es ist deshalb sehr heilsam, wenn mit nüchternem Verstande dem Glauben nur gegeben wird, was des Glaubens ist.Dieser Artikel giebt Baco's Ansicht über die Stellung der Religion zur Wissenschaft. Während in der scholastischen Zeit die Wissenschaft der Religion nur als Magd zu dienen hatte, giebt ihr Baco bereits eine Selbstständigkeit; sie kann in ihrem Gebiete die Wahrheit erreichen; allein sie hat sich streng von dem Gebiete der Religion fern zu halten. Baco hielt eine solche Sonderung der Gebiete und damit den Frieden zwischen Wissenschaft und Religion für ausführbar; allein die ganze Entwicklung der Philosophie nach ihm hat gezeigt, dass dies eine Täuschung ist. Das Weitere ist ausgeführt in der Vorrede zu den Erläuterungen zu Kant's natürlicher Religion. (B. XXI. d. phil. Bibl.)

66.

So viel über diese schlechten Autoritäten philosophischer Systeme, welche auf die gewöhnlichen Begriffe, oder auf wenige Versuche, oder auf den Aberglauben gegründet sind. Es bleibt nun noch der fehlerhafte Stoff der Betrachtung, vorzüglich in der Naturphilosophie, zu untersuchen. Der menschliche Geist wird von dem Anblick der Vorzüge in den mechanischen Künsten angesteckt, wo die Körper durch Verbindung und Trennung zugleich verändert werden; er glaubt, Aehnliches geschehe auch mit den allgemeinen Eigenschaften der Dinge. Daraus sind jene Fabeln von den Elementen und ihrer Verbindung zur Bildung der natürlichen Körper entsprungen.

Wenn umgekehrt der Mensch wieder die Freiheit der Natur betrachtet, so stösst er auf die Gattungen der Dinge, der Thiere, der Pflanzen, der Mineralien, und kommt so leicht auf den Gedanken, in der Natur gewisse Ur-Formen anzunehmen, welche die Natur hervorzubringen strebt; die übrige Mannichfaltigkeit leitet er dann aus Hindernissen und Verirrungen ab, in welche die Natur bei Vollbringung ihres Geschäftes gerathen ist, oder aus dem Kampf verschiedener Arten und aus der Umwandlung der einen in die andere. Dieser erste Gedanke hat uns die elementaren Ur-Qualitäten, der zweite die verborgenen Eigenthümlichkeiten und spezifischen Kräfte gebracht, welche beide zu den nichtigen Abkürzungen der Naturforschung gehören, bei denen der Geist sich beruhigt und von Ernsterem abwendet. Dagegen leisten die Aerzte eine bessere Hülfe bei den zweiten Qualitäten und Wirksamkeiten der Dinge, wie die des Anziehens, des Abstossens, des Verdünnens, des Verdickens, des Ausdehnens, des Zusammenziehens, des Vertheilens, des Reifens u. s. w.Nach dem Vorgange des Aristoteles nahmen die Scholastiker vier elementare Eigenschaften an, nämlich: heiss, kalt, trocken und feucht. Je zwei mit einander verbunden geben die bekannten Elemente des Feuers (heiss und trocken), des Wassers (kühl und feucht) u. s. w. Alle übrigen Eigenschaften der Körper sollen nach dieser Lehre aus Verbindungen jener elementaren oder ersten bestehen und wurden deshalb zweite Eigenschaften genannt, von denen Baco hier einige aufzählt. Wenn Baco hier auch Eigenschaften dritter und vierter Art erwähnt, so sind darunter die noch mehr in das Konkrete und Besondere herabsteigenden Eigenschaften der Dinge zu verstehen. Sie würden weit grössere Fortschritte hier gemacht haben, wenn sie nicht mit jenen beiden erwähnten Abkürzungen, nämlich den elementaren Qualitäten und spezifischen Kräften das übrige Richtige verdorben hätten, indem sie es auf jene ersten Qualitäten und ihre feinen und unmessbaren Mischungen zurückführten und nicht durch längere und fleissigere Beobachtung zu den dritten und vierten Qualitäten fortführten, sondern die Beobachtung zu früh abbrachen. Dergleichen Kräfte, wenigstens ähnliche, wenn auch nicht dieselben, sind nicht blos in den Arzneimitteln für den menschlichen Körper, sondern auch in den Veränderungen der übrigen Naturkörper zu erforschen.

Ein noch viel grösseres Uebel ist es aber, dass man die ruhenden Prinzipien, aus denen die Dinge werden sollen, und nicht die bewegenden Prinzipien, durch welche sie werden, betrachtet und aufsucht. Denn jene beziehen sich auf das Reden, diese auf die Werke. Jene gebräuchlichen Arten der Bewegung, welche man in der Naturphilosophie aufzählt, die Erzeugung, die Verderbniss, die Vermehrung, die Verminderung, die Veränderung, die Ueberführung, sind ohne den geringsten Werth. Man will damit sagen: Wenn ein sonst nicht bewegter Körper dennoch den Ort verändert, so ist dies eine Ueberführung; wenn er an seinem Orte bleibt, aber in der Beschaffenheit wechselt, so ist dies eine Veränderung; bleibt dabei die Masse und Quantität des Körpers nicht dieselbe, so soll dies eine Bewegung der Vermehrung oder Verminderung sein; ändert er aber seine Art und Substanz und wandert in etwas Anderes über, so soll dies eine Erzeugung und ein Untergang sein. Allein dies Alles ist blosses Geschwätz und dringt in die Natur nicht ein; es sind blosse Maasse und Zeiträume der Bewegung, aber keine Arten derselben; denn sie haben das Bishieher aber nicht das Wie und Aus welcher Quelle.Baco's Philosophie ging auf das Praktische, den Nutzen für das Leben, auf die Werke; deshalb strebt er vorzüglich nach Erkenntniss der Kräfte, als den Quellen, aus denen die Dinge hervorgehen und bleibt nicht bei blossen Eintheilungen und Abtheilungen (wie bisher) der Dinge stehen, wobei diese nur als fertige und in ihrer Ruhe betrachtet werden. Deshalb interessiren ihn die einfachsten Elemente und die ersten Eigenschaften nicht, denn diese kann man in der Praxis nie erreichen, sondern die mittleren Eigenschaften und Stoffe, welche schon sinnlich wahrnehmbar und erfassbar sind, und mit denen man operiren kann, sind ihm die Hauptsache. Er nennt sie in Art. 104 die lebendigen. Sie bezeichnen kein Begehren in den Körpern und keinen Vorgang in ihren Theilen, sondern sie entnehmen die Eintheilung nur davon, ob die Bewegung den Gegenstand in grober Weise den Sinnen anders als vorher darstellt. Selbst da, wo sie von den Ursachen der Bewegung etwas andeuten wollen und danach die Eintheilung bestimmen, führen sie mit der grössten Sorglosigkeit den Unterschied der natürlichen und gewaltsamen Bewegung ein,Die Eintheilung der Bewegung in natürliche und gewaltsame ist die wichtigste in der Scholastik. Zu letzterer rechnete man die aus dem Stoss entstehende Bewegung, welche Baco mit Recht auch als eine natürliche behauptet. Im zweiten Theile behandelt Baco die Bewegung sehr ausführlich in Art. 48. der nur den rohesten Begriffen entlehnt ist, weil in Wahrheit jede gewaltsame Bewegung auch eine natürliche ist, wenn nämlich ein fremdes Wirkende eine Eigenschaft auf andere Weise in Wirksamkeit bringt als vorher.

Wenn aber, dies bei Seite gelassen, Jemand z. B. bemerkt, dass den Körpern ein Begehren, sich gegenseitig zu berühren, innewohnt, so dass sie nicht gestatten, dass der Zusammenhang der Natur ganz zerrissen oder durchschnitten werde und ein Leeres entstehe; oder wenn Jemand sagt: es wohne in den Körpern ein Bestreben, sich in ihre natürliche Ausdehnung und Spannung zurück zu versetzen, so dass, wenn sie darüber ausgedehnt oder darunter zusammengedrückt werden, sie sofort streben, ihre frühere Gestalt und Ausdehnung wieder zu gewinnen und herzustellen; oder wenn Jemand sagt, es wohne in den Körpern das Bestreben, sich mit dem ihnen verwandten zu Grösserem zu verbinden, weshalb das Dichte nach dem Umfang der Erde, das Feinere und Leichtere nach dem Umfang des Himmels strebt, so sind dies wahrhaft natürliche Arten der BewegungHier tritt schon die Schwäche der Baconischen Naturphilosophie hervor; diese Begehren nach Stetigkeit, nach Rückkehr in den frühern Zustand, nach Vereinigung mit Verwandtem sind durchaus verfehlte Begriffe. Wenn auch ein solches Begehren ohne Wissen ist, worüber sieh Baco nicht äussert, so ist es doch jene bedenkliche Kategorie der »Kraft ohne Aeusserung«, und noch bedenklicher sind die Begriffe des Zusammenhanges der Rückkehr zum Alten, des Verwandten. Die moderne Naturforschung wurde nur möglich dadurch, dass sie diese Begriffe ganz über Bord warf. Hierauf richten sich auch mit Recht die Angriffe Liebig's gegen Baco. während jene nur logischen und scholastischen Ursprungs sind, wie aus der Vergleichung mit den vorstehenden sich klar ergiebt. Ein anderer Uebelstand ist es, dass bei solchem Philosophiren und Betrachten alle Mühe zur Aufsuchung und Erörterung der Prinzipien der Dinge und der letzten Elemente der Natur verwendet wird, während doch aller Nutzen und alle Macht zu wirken nur in den mittleren liegt. Deshalb hört man nicht auf, die Natur begrifflich zu trennen, bis man jenen möglichen und gestaltlosen Stoff erreicht hat, und man hört nicht auf, die Natur zu zerschneiden, bis man zu jenem Untheilbaren (Atomen) gekommen ist; Bestimmungen, die selbst, wenn sie wahr wären, doch das Heil der Menschen wenig befördern könnten.

67.

Der Geist muss sich vorsehen, solchen Ausschreitungen der Philosophie beizustimmen; er hat da an sich zu halten, denn solche Ausschreitungen erzeugen und verewigen gleichsam die Götzenbilder, welche dann nicht mehr beseitigt werden können. Man überschreitet hier in zwiefacher Weise das rechte Maass; die eine Seite ist mit ihren Aussprüchen schnell fertig; sie macht die Wissenschaften zu einem willkürlichen Werk der Magister; die andere Seite hat das Enthalten von jeder Zustimmung und ein unbestimmtes Untersuchen ohne Ende eingeführt. Die Ersten drücken den Geist nieder, die Andern nehmen ihm die Kraft.

So schlug die Philosophie des Aristoteles zunächst die übrigen Philosophien, wie die Türken ihre Brüder, mit den Faustschlägen der Widerlegung nieder und erliess dann Bestimmungen über das Einzelne. Aristoteles stellte dann selbst wieder willkürliche Fragen auf und endigte damit, dass Alles gewiss und beschlossen sei, wie dies auch bei seinen Nachfolgern gilt und geübt wird.

Die Schule des Plato führte dagegen die Zurückhaltung der Zustimmung ein; Anfangs aus Scherz und Ironie, im Hass gegen die alten Sophisten Protagoras, Hippias und Andere, die nichts so sehr scheuten als den Schein, dass sie über etwas zweifelhaft sein könnten. Die neue Akademie erhob aber die Zurückhaltung der Zustimmung zum Lehrsatz und hielt absichtlich daran fest. Diese Weise ist allerdings anständiger als jene Willkür im Behaupten, sobald man die Untersuchung dadurch nicht verwirren will, sondern wie Pyrrho und die Ephektiker nur nach dem Wahrscheinlichen verlangt und nur nichts als unbedingt wahr gelten lässt. Hat indess der Geist einmal an der Auffindung der Wahrheit verzweifelt, so wird er in Allem schwächlich, und man wendet sich dann lieber zu unterhaltenden Disputationen, bespricht und erörtert Mancherlei, aber hält sich nicht innerhalb der strengen Untersuchung. – Ich habe indess schon im Beginn gesagt und wiederhole es ohne Unterlass: »Den Sinnen und dem Verstande der Menschen und ihrer Schwäche ist nicht der Glaube zu versagen, sondern Hülfe zu gewähren.«Es ist dieses ein beliebter Satz bei Baco; die Frage ist nur, ob solche Hülfe möglich ist. Gerade dies haben die alten Skeptiker geleugnet, und ebenso sagt der Kriticismus Kant's, dass es dem Menschen unmöglich ist, über die Erscheinung hinaus, das Ding-an-sich, d. h. das Seiende zu erkennen.

68.

So viel über die einzelnen Arten der Götzenbilder und deren Zubehör; mit festem und feierlichem Entschluss hat man ihnen zu entsagen; der Geist muss von ihnen befreit und gereinigt werden. Zu dem Reiche des Menschen, was in den Wissenschaften gegründet wird, darf kein anderer Eingang sein, als zu dem Himmelreiche, in welches nur in Kindesgestalt einzutreten gestattet ist.Eine Anspielung auf den bekannten Ausspruch Jesu; Baco meint, dass man mit einer von allem Wahn gereinigten, also gleichsam noch unbefleckten Kindes-Seele an die Wissenschaften herantreten müsse.

69.

Die schlechten Beweisführungen sind gleichsam die Wälle und Hülfstruppen der Götzenbilder und das, was die Dialektik davon bietet, geht nur darauf aus, die Welt dem menschlichen Gedanken und die Gedanken den Worten zu unterwerfen und in deren Gewalt zu geben. Die Beweise sind aber gleichsam die Macht der Philosophie und der Wissenschaften; nachdem jene recht oder schlecht eingerichtet sind, ist es auch die ihnen folgende Philosophie und Betrachtung. Aber alle jene Beweise täuschen und gehören nicht hierher, deren man sich jetzt in dem allgemeinen Uebergang von den Sinnen und Dingen zu den Lehrsätzen und Folgerungen bedient. Dieser Fortgang ist viererlei Art und ebenso vierfach sind seine Mängel. Erstens sind die Eindrücke der Sinne selbst fehlerhaft; denn der Sinn versagt und täuscht; aber für das Versagen muss Anderes an die Stelle gesetzt werden, und gegen die Täuschungen muss die Berichtigung eintreten. Zweitens werden die Begriffe von den Eindrücken der Sinne schlecht abgeleitet; sie sind unbestimmt und verworren, während sie bestimmt und wohl begrenzt sein sollen. Drittens ist die Induktion schlecht, welche mittelst einfacher Aufzählung die Prinzipien der Wissenschaften ableitet, ohne die Ausschliessungen und Lösungen und Absonderungen anzuwenden, die man der Natur schuldig ist. Endlich ist jene Weise des Erfindens und Beweisens, welche zuerst die obersten Prinzipien aufstellt und dann die mittlern Sätze nach ihnen einrichtet und beweist, die Mutter des Irrthums und das Unglück aller Wissenschaften.

Ich werde über das, was ich hier nur obenhin berühre, ausführlicher sprechen, wenn ich den wahren Weg zur Erklärung der Natur aufzeige, nachdem ich die Bussen und Reinigungen des Geistes vollendet haben werde.

70.

Das bei weitem beste Beweismittel ist die Erfahrung, wenn sie bei dem Versuche selbst stehen bleibt. Denn wird sie auf Anderes ausgedehnt, was für ähnlich gehalten wird, so wird sie ein trügerisches Ding, sobald diese Ausdehnung nicht richtig und ordentlich geschieht. Die jetzt gebräuchliche Art der Erfahrung ist blind und thöricht. Man irrt und schweift auf unsichern Wegen, bestimmt gleich nach dem, was man trifft, macht sich an Vieles, bringt aber wenig vorwärts, ist bald ausgelassen, bald zerstreut, und immer bleibt Anlass, weiter zu suchen. So kommt es, dass man leichtsinnig und nur spielend Versuche anstellt, indem man die bekannten Versuche nur wenig verändert, und gelingt es nicht, so wird man der Sache überdrüssig und giebt sie auf. – Wird aber auch ernster, beharrlicher und fleissiger an die Versuche gegangen, so wird doch alle Mühe nur auf die Erörterung eines Versuches verwendet, wie Gilbert es bei dem Magnet und die Chemiker bei dem Golde thun.Die damaligen Chemiker verfolgten nur den einen Zweck: Gold zu machen und den Stein der Weisen zu finden. Dies zeigt also von Unkenntniss wie von Kleinlichkeit, denn Niemand erkennt die Natur eines Gegenstandes aus ihm allein, sondern die Untersuchung muss auf das Gemeinsame mit Andern ausgedehnt werden. Man sucht zwar aus den Versuchen eine Art Wissenschaft und einzelne Lehrsätze zu gewinnen, aber meist wendet man sich in übereiltem Eifer vorzeitig zur Praxis; nicht des Nutzens und der Frucht wegen, sondern um in irgend einem neuen Werke ein Pfand dafür zu gewinnen, dass man auch in dem Uebrigen nicht ohne Nutzen arbeiten werde. Auch bietet man sich Andern feil, um eine bessere Meinung für das, womit man sich beschäftigt, zu erwecken. So kommt es, dass man, wie die Atalanta, vom Weg abgeht, um den goldenen Apfel aufzuheben, damit den Lauf unterbricht und den Sieg den Händen entschlüpfen lässt. Aber in dem rechten Wagen der Erfahrung muss man für dessen Lenkung zu Neuem die göttliche Klugheit und Ordnung zum Muster nehmen. Gott hat am ersten Tage nur das Licht erschaffen, und hat einen ganzen Tag auf dieses Werk verwendet und an diesem Tage nichts Stoffliches erschaffen. Ebenso ist bei jeder Erfahrung zunächst auf die Entdeckung der Ursachen und der wahren Grundsätze auszugehen, und es ist die lichtbringende Erfahrung, aber nicht die fruchtbringende aufzusuchen. Die richtig gefundenen und festgestellten Grundsätze führen zu keiner knappen, sondern zu einer umfangreichen Praxis; sie ziehen Massen und Haufen von Werken nach sich.

Ueber die Wege zu den Versuchen, die ebenso verstopft und verschlossen sind wie die Wege zu dem Urtheilen, werde ich später sprechen. Hier habe ich nur über die gemeine Erfahrung, als ein schlechtes Beweismittel, gehandelt. Die Ordnung fordert aber nun, dass ich über die früher erwähnten Anzeichen des schlechten Zustandes der Philosophie und der Forschung, sowie über die Ursachen dieser auf den ersten Blick so auffallenden und unglaublichen Sache Einiges beifüge. Denn die Kenntniss der Anzeichen bereitet die Zustimmung vor; die Darlegung der Ursachen beseitigt die Wunder; beide nützen für eine leichtere und mildere Beseitigung der Götzenbilder aus der Seele.Unter Anzeichen (signa) versteht Baco in Benutzung des Sprachgebrauchs der Astrologen seiner Zeit die äussern, leicht erkennbaren Bestimmungen, aus denen man auf den innern Zustand und eigentlichen Werth des Gegenstandes schliessen kann; sie bilden den Gegenstand der folgenden Artikel bis 77; von Art. 78 ab untersucht Baco die Ursachen, durch deren Erkenntniss der Erfolg sein Wunderbares verliert.

71.

Unsere Wissenschaften haben wir von den Griechen; was die Römer und Araber und die Neuern hinzugefügt haben, ist nicht viel und erheblich; Alles ist auf der Grundlage des von den Griechen Entdeckten errichtet. Die Weisheit der Griechen war aber eine Professoren-Weisheit, die sich in Disputationen erging, eine Gattung, welche der Erforschung der Wahrheit am meisten abgewendet ist.In Griechenland und im ganzen Alterthum steht die Beobachtung der Natur noch sehr im Hintergrund gegen die Ausbildung und Entwickelung der Gesetze und Kräfte des reinen Denkens. Insbesondere vernachlässigte man die Experimente. Deshalb die damalige vorherrschend spekulative Richtung, die Baco hier tadelt. Deshalb gebührt der Name eines Sophisten, welchen die, welche für Philosophen gelten wollten, verächtlich den alten Rednern vorwarfen und beilegten, wie dem Gorgias, dem Protagoras, dem Hippias, dem Polus, vielmehr der ganzen Gattung, dem Plato, dem Aristoteles, dem Zeno, dem Epikur, dem Theophrast und ihren Nachfolgern, dem Chrysipp, Carneades und allen Uebrigen. Sie unterscheiden sich nur darin, dass Erstere herumzogen und sich bezahlen liessen, die Staaten durchwanderten, mit ihrer Weisheit prahlten und Geld forderten; während die Andern vornehmer und anständiger waren, feste Wohnsitze hatten, Schulen eröffneten und unentgeltlich lehrten. Allein trotzdem waren Beide, wenn gleich sonst verschieden, doch ein handwerksmässiges Geschlecht, bei dem es nur auf das Disputiren abgesehen war. Sie bildeten Sekten und bekämpften die ketzerischen Lehren, so dass ihre Lehre, wie Dionys spöttisch von Plato sagte, nur ein Gerede müssiger Greise an unerfahrene Jünglinge war.Diogenes von Laërte erzählt, dass Dionys, der Tyrann von Syrakus, über Plato, der ihn durch seine Philosophie zur Einrichtung einer freien Staatsverfassung bestimmen wollte, gesagt habe: οἱ λόγοι σοῦ γεροντίωσι. (Deine Reden klingen greisenhaft.)

Von den alten Griechen, von Empedokles, Anaxagoras, Leucipp, Demokrit, Parmenides, Heraklit, Xenophanes, Philolaus und Anderen (den abergläubischen Pythagoras lasse ich bei Seite) sind, so viel wir wissen; keine Schulen gegründet worden; sie wendeten sich mehr schweigend, ernst und einfach, d. h. mit weniger Prahlerei und äusserm Schein an die Erforschung der Wahrheit. Deshalb haben sie sich auch, meines Erachtens, besser benommen. Allein ihre Werke sind von jenen leichtern, die der Fassungskraft und den Neigungen der Menschen mehr entsprachen und ihr mehr gefielen, im Laufe der Zeiten unterdrückt worden; denn die Zeit führt wie ein Strom das Leichte und Aufgeblasene uns zu, aber das Schwere und Feste lässt sie untersinken.Dieses zierliche und witzige Gleichniss kehrt noch öfters bei Baco wieder. Indess waren auch diese von den Fehlern ihres Volkes nicht ganz frei; sie waren ehrgeizig und eitel genug, um Sekten zu bilden und die Volksgunst zu gewinnen. So wie man aber bei Erforschung der Wahrheit sich zu solchen eiteln Schritten verleiten lässt, ist es mit dieser vorbei. Ich erwähne deshalb hier den Ausspruch oder die Weissagung eines ägyptischen Priesters über die Griechen, welcher sagt: »dass sie immer Kinder blieben und weder eine alte Wissenschaft noch eine Wissenschaft der Alten besässen.« Allerdings gleichen sie dem Knaben in ihrer Neigung zum Geschwätz und in ihrer Unfähigkeit, zu erzeugen; ihre Weisheit ist fruchtbar in Worten und unfruchtbar in Werken. Deshalb sind es keine guten Anzeichen für den Werth der herrschenden Philosophie, welche sich aus dem Ursprünge und dem Geschlechte derselben ergeben.

72.

Nicht viel besser als die aus der Natur des Ortes und des Volkes entnommenen Anzeichen sind die, welche sich aus der Natur des Zeitraumes und des Zeitalters ergeben. Die Kenntnisse umfassten der Zeit und der räumlichen Ausdehnung nach in jenem Zeitalter nur einen kleinen Theil der Erde, was der grösste Uebelstand, namentlich für die ist, welche Alles auf die Erfahrung stellen. Man hatte damals eine Geschichte, die sich nicht über tausend Jahre erstreckte und dabei diesen Namen nicht einmal verdiente; denn sie bestand nur aus Fabeln und Sagen der alten Zeit. Von den Erdstrichen und Ländern kannte man nur einen kleinen Theil; alle nördlichen Völker nannte man ohne Unterschied Scythen und alle westlichen Celten. Von Afrika kannte man nichts über die nächsten Theile von Aethiopien hinaus; von Asien nichts über den Ganges hinaus, und die Länder eines neuen Kontinents kannte man nicht einmal von Hörensagen oder aus sichern und bestimmten Mittheilungen. Viele Klimate und Erdstriche, in denen zahllose Völker leben und wohnen, hatte man für unbewohnbar erklärt und man rühmte die Wanderungen des Demokrit, des Plato, des Pythagoras als etwas Grosses, obgleich sie nicht weit reichten und kaum über die Vorstädte hinausgingen. In unserer Zeit sind aber die meisten Theile des neuen Kontinents und die Grenzen des alten vollständig bekannt geworden, und der Vorrath der Erfahrung ist in das Maasslose gewachsen. Will man daher nach Art der Astrologen aus der Zeit der Geburt und Erzeugung ein Anzeichen abnehmen, so können die Anzeichen für jene Philosophien nichts Grosses bedeuten.

73.

Von den Anzeichen ist keines sicherer und bedeutender wie das von den Früchten entlehnte. Denn die Früchte und Entdeckungen sind gleichsam die Bürgen, welche für die Wahrheit einer Philosophie einstehen. Und aus jenen Philosophien der Griechen und deren weiterer Entwickelung zu besondern Wissenschaften kann aus einem Zeitraum von so vielen Jahren kaum ein Versuch beigebracht werden, der sich auf die Erleichterung und Verbesserung des Zustandes der Menschen bezieht und durch die Spekulationen und Lehrsätze der Philosophie gewonnen worden ist. Celsus erkennt dies offen und klüglich an, indem er sagt: »Erst seien die Arzneimittel entdeckt worden, und nachher hätten die Menschen darüber philosophirt und die Ursachen erforscht und angegeben; aber in umgekehrter Weise seien nie aus der Philosophie und der Kenntniss der Ursachen die Mittel entdeckt und entlehnt worden.«Celsus sagt in der Vorrede seines unter Kaiser Tiber erschienenen Werkes: »De artibus«: »Repertis deinde medicinae remediis homines de ratione eorum disserere coepisse; nec post rationem medicinam esse inventam, sed post inventam medicinam rationem esse quaesitam.« Indess irrt Baco, wenn er dies als die eigene Meinung des Celsus angiebt; Celsus berichtet dies nur als die Ansicht der empirischen Schule, deren Gegner er ist. Es kann deshalb nicht auffallen, wenn es bei den Aegyptern, welche Denen, die etwas Neues entdeckten, göttliche Ehren erwiesen, mehr Bilder von unvernünftigen Thieren wie von Menschen gegeben hat; denn jene haben in ihrem natürlichen Instinkt viele Entdeckungen zu Stande gebracht, wo die Menschen mit ihren Reden und Vernunftschlüssen nichts oder nur Unbedeutendes erreicht haben. Auch die Thätigkeit der Chemiker entdeckt Manches, aber mehr zufällig und oberflächlich, und durch einen gewissen Wechsel in den Versuchen, wie er bei den Handwerkern vorkommt, aber nicht in Folge der Kunst oder einer Theorie. Denn das, was sie sich darüber ausgedacht haben, stört die Versuche mehr, als dass es sie unterstüzt. Auch Die, welche sich mit der sogenannten natürlichen Magie beschäftigen, haben Mancherlei entdeckt, was indess wenig Werth hat und mehr nach Betrug schmeckt.

So wie es nun in der Religion heisst, dass man den Glauben an den Werken erkenne, so kann man auch von der Philosophie treffend sagen, dass sie an ihren Früchten erkannt werde, und dass diejenige eitel ist, welche keine Früchte bringt; insbesondere wenn sie anstatt der Weintrauben und Oliven nur die Disteln und Dornen der Disputationen und Kämpfe hervorbringt.

74.

Man kann auch Anzeichen aus dem Zuwachs und dem Fortschritt der Philosophie und den Wissenschaften entnehmen. Denn was auf die Natur sich stützt, wächst und mehrt sich, aber was auf die Meinung sich stützt, wechselt und nimmt nicht zu. Jene Lehren gleichen daher Pflanzen, die von ihrem Stocke abgerissen worden, mit dem Leibe der Natur nicht mehr verbunden sind und von ihm nicht mehr ernährt werden. So ist es gekommen, dass die Wissenschaften während zwei Tausend Jahren, wie wir sehen, an ihren eigenen Spuren hängen geblieben sind und ohne irgend erheblich zu wachsen, in demselben Stande beharren, während sie bei ihrem ersten Begründer am meisten geblüht haben und dann abwärts gegangen sind. In den mechanischen Künsten, welche sich auf die Natur und das Licht der Erfahrung stützen, geschieht, wie wir sehen, das Gegentheil; so lange sie Mode sind, erfüllt sie gleichsam ein Geist, und sie leben und wachsen ohne Unterlass; erst sind sie roh, dann werden sie bequem, nachher verfeinert und fortwährend vermehrt.

75.

Es giebt noch ein anderes Anzeichen, sofern nämlich dieser Name hier passt, da es mehr ein Zeugniss ist, und zwar das stärkste von allen Zeugnissen, nämlich das eigene Bekenntniss jener ersten Begründer, welchen man jetzt nachfolgt. Denn selbst Die, welche so dreist über die Dinge absprechen, lassen doch von Zeit zu Zeit, wenn sie in sich gehen, Klagen über die Feinheit der Natur, über die Dunkelheit der Dinge und über die Schwäche des menschlichen Geistes erschallen. Wenn dies in einfacher Weise geschieht, so würde es vielleicht die Aengstlichen von weiterer Forschung abschrecken und Die, welche kräftigern und hoffnungsvollern Geistes sind, zum weitern Fortschritt antreiben und anreizen; allein Jene begnügen sich nicht damit, dass sie dies von sich selbst bekennen, sondern Alles, was sie oder ihre Lehrer nicht haben erkennen und erreichen können, wird von ihnen ausserhalb des Gebiets des Möglichen gestellt und für unerkennbar oder unausführbar erklärt. In ihrem Stolze und Neide verkehren sie die Schwäche der Erfinder in eine Verleumdung der Natur und in eine Verzweiflung aller Uebrigen.

So kam es, dass die Schule der neuen Akademie, welche die Zurückhaltung der Zustimmung zum Grundsatz erhob, die Menschen zu immerwährender Finsterniss verurtheilte. Daher kommt die Meinung, welche die Formen oder die wahren Unterschiede der Dinge, die in Wahrheit die Gesetze der reinen Thätigkeit sind, für unerfindbar und dem Menschen unerreichbar erklärt. Daher kommen jene Meinungen in dem thätigen und ausübenden Theile der Wissenschaften, wonach die Wärme der Sonne von der des Feuers der ganzen Art nach verschieden sein soll, damit man ja nicht glaube, mit Hülfe des Feuers etwas den Naturerzeugnissen Aehnliches hervorbringen und bilden zu können.Auf diese Frage geht Baco in dem zweiten Theile dieses Werkes sehr ausführlich ein und sucht das Gegentheil durch viele Beispiele darzulegen. Daher jene Meinung, dass der Mensch nur zusammenstellen könne, die Mischung aber nur das Werk der Natur sei, damit man nicht hoffe, durch Kunst eine Erzeugung und Verwandlung der natürlichen Körper bereiten zu können.

Durch diese Anzeichen lassen die Menschen sich leicht bestimmen; sie hüten sich deshalb, ihr Vermögen und ihre Kraft solchen verzweifelten Lehren und Personen anzuvertrauen.

76.

Auch das Anzeichen darf nicht übergangen werden, dass unter den Philosophen sonst so grosse Uneinigkeit geherrscht und eine so grosse Mannichfaltigkeit der Schulen bestanden hat. Dies zeigt, dass der Weg von den Sinnen zu dem Verstande nicht wohl zugerichtet gewesen ist, wenn derselbe Gegenstand der Philosophie, nämlich die Natur der Dinge, in so weit auseinander gehende und vielfache Irrthümer zerrissen und zerstreut werden konnte. Allerdings sind jetzt diese Gegensätze und Unterschiede der Lehrsätze in Bezug auf die Prinzipien und das ganze System meist erloschen; aber in den einzelnen Theilen der Philosophie bestehen unzählige Streitfragen und Uneinigkeiten; dies zeigt, dass es weder in der bisherigen Philosophie selbst, noch in den Arten ihrer Beweisführung etwas Gewisses und Gesundes giebt.

77.

Allerdings meint man jetzt, dass Alle in der Philosophie des Aristoteles übereinstimmen; denn mit dessen Auftreten seien die ältern Systeme erloschen und vergangen, und in den spätern Zeiten sei nichts Besseres entdeckt worden; deshalb sei diese so wohl begründet und gestellt, dass sie die Zeiten vor ihr und nach ihr in sich vereinigt habe.

Allein zunächst ist es falsch, wenn man meint, dass die frühern Systeme nach dem Bekanntwerden der Schriften des Aristoteles erloschen seien, vielmehr erhielten sie sich noch lange nachher bis zu Cicero's Zeit und bis in die folgenden Jahrhunderte. Nur als in der spätern Zeit die Barbaren das römische Reich überschwemmten, und die menschliche Gelehrsamkeit gleichsam Schiffbruch erlitt, hat sich die Philosophie des Aristoteles und Plato in den Fluthen der Zeit gleich Tafeln von leichtem und weniger festem Stoff oben erhalten.

Auch jene angebliche Uebereinstimmung erscheint bei genauerer Prüfung als eine Täuschung. Denn die wahre Uebereinstimmung geht aus der Freiheit des Urtheils hervor, wenn zuvor die Sache erforscht worden ist, und man in derselben zusammentrifft. Allein die Meisten von Denen, welche der Philosophie des Aristoteles zustimmen, haben sich ihr aus Vorurtheil und auf das Ansehen Anderer hin gefügt; es ist deshalb mehr Nachbeterei und blindes Nachtreten als Uebereinstimmung. Hätte aber auch eine wahre und weit verbreitete Uebereinstimmung bestanden, so würde sie doch nicht als eine wahre und zuverlässige Autorität gelten können, vielmehr würde sie eine starke Vermuthung für das Gegentheil abgeben.

Denn das Schlimmste von Allen ist ein Fürwahrhalten, welches sich in Sachen des Geistes auf die Uebereinstimmung stützt; nur die göttlichen und die Staatsangelegenheiten machen hier eine Ausnahme, wo das Recht der Abstimmung gilt. Denn der Menge gefällt nur, was die Phantasie erregt oder den Verstand an die Knoten der gemeinen Begriffe befestigt, wie ich oben gesagt. Deshalb lässt sich der Ausspruch Phocion's von dem Handeln auch auf das Erkennen übertragen, wonach man sofort prüfen solle, ob man nicht geirrt und gefehlt habe, wenn die Menge zustimmt und Beifall klatscht. Dies Anzeichen gehört deshalb zu den widerwärtigsten.

Hiernach steht es schlecht mit dem Anzeichen für die Wahrheit und Gesundheit der jetzt geltenden Philosophie und Wissenschaften, mag man diese Anzeichen von dem Ursprunge der Wissenschaften, oder von ihren Früchten, oder von ihren Fortschritten, oder von den Geständnissen ihrer Begründer oder von der Zustimmung der Uebrigen abnehmen.

78.

Ich habe mich nun zu den Ursachen zu wenden, aus denen die Irrthümer entsprungen sind, und aus denen man so viele Jahrhunderte lang an ihnen festgehalten hat. Es sind dieser Ursachen so viele und mächtige, dass man sich nicht wundern darf, wenn das, was ich hier anführe, so lange den Menschen verborgen geblieben und entgangen ist. Vielmehr ist es wunderbar, wie dies jetzt endlich Einem der Sterblichen hat in den Sinn kommen und seinen Gedanken beschäftigen können. Man verdankt dies meines Erachtens auch mehr dem guten Glück als einer ausgezeichneten Fähigkeit, und es muss mehr für eine Geburt der Zeit als für eine Geburt des Geistes gelten.

Zuerst sinkt die grosse Zahl der Jahrhunderte, wenn man die Sache recht betrachtet, zu einer kleinen Spanne Zeit zusammen. Aus 25 Jahrhunderten, so weit die Erinnerung und das Wissen der Menschen reicht,Baco rechnet nur einen Zeitraum von 1000 Jahren vor Christus noch zur historischen Zeit; darüber hinaus bestehen nach ihm nur Sagen und Fabeln neben dem, was Gott durch die heilige Schrift den Menschen offenbart hat, und was dem Baco als die Wahrheit gilt. kann man kaum sechs Jahrhunderte ausnehmen und ausziehen, welche für die Wissenschaften fruchtbar und für ihr Aufkommen nützlich gewesen sind; denn es giebt in den Zeiten, wie in den Ländern, Wüsten und Einöden. Man kann nur drei Umwälzungen und Perioden für die Wissenschaften annehmen; die eine geschah bei den Griechen, die zweite bei den Römern, die dritte bei uns, d. h. bei den westlichen Völkern Europa's, und keiner dieser Umwälzungen können mehr als zwei Jahrhunderte zugetheilt werden. Die Zwischenzeiten waren für das Emporkommen und Blühen des Wissenschafts-Staats unglücklich. Denn die Araber und Scholastiker verdienen keiner Erwähnung; sie haben in der Zwischenzeit die Wissenschaften durch eine Masse von Abhandlungen eher zertrümmert, als ihr Gewicht vermehrt.

So kann mit Recht als die erste und vornehmste Ursache des geringen Fortschrittes der Wissenschaften die Kürze der für sie zulässigen Zeiten aufgestellt werden.

79.

Als zweite Ursache von grosser und allgemeiner Bedeutung muss gelten, dass selbst in den Zeiten, wo die Geister der Menschen und die Wissenschaften am meisten oder wenigstens massig blühten, auf die Naturphilosophie der kleinste Theil der Arbeit verwendet worden ist, obgleich diese für die grosse Mutter aller Wissenschaften gelten muss, da alle Kräfte und Wissenschaften, wenn sie von diesem Stamm getrennt sind, vielleicht glänzend und bequem werden, aber keine erheblichen Fortschritte machen können. Es ist bekannt, dass nach Annahme und Aufkommen des christlichen Glaubens der grösste Theil der ausgezeichneten Geister sich der Theologie zuwendete; für diesen Gegenstand waren die grössten Belohnungen ausgesetzt, und Hülfsmittel aller Art wurden auf das Reichlichste dafür gewährt. Diese Beschäftigung mit der Theologie hat vorzüglich jenen dritten Theil der Zeit oder jene Periode für das westliche Europa ausgefüllt, und zwar umsomehr, als zu dieser Zeit die Wissenschaften zu blühen und die Streitigkeiten über die Religion sich zu erheben begannen.

Die zweite Periode bei den Römern ist hauptsächlich durch die Untersuchungen und Arbeiten in der Moralphilosophie, welche bei den Heiden die Stelle der Religion vertrat, ausgefüllt und verbracht worden. Die bessern Geister jener Zeit wendeten sich mehr den bürgerlichen Geschäften zu, da die Grösse des Römischen Reiches die Arbeit vieler Menschen erforderte. Jenes Zeitalter aber, wo anscheinend bei den Griechen die Naturphilosophie am meisten geblüht hat, war nur von kurzer Dauer; denn selbst in jenen alten Zeiten haben sich von den sieben sogenannten Weisen Alle mit Ausnahme des Thales der Moralphilosophie und den bürgerlichen Verhältnissen zugewendet. Später, nachdem Sokrates die Philosophie von dem Himmel auf die Erde herabgeholt hatte, wurde die Moralphilosophie noch überwiegender und zog die Geister noch mehr von der Natur ab. Aber selbst jene Zeit, wo man Untersuchungen über die Natur betrieb, wurde durch Streitigkeiten und durch den Ehrgeiz Derer, die mit neuen Lehrsätzen glänzen wollten, verdorben und nutzlos gemacht. Wenn so in jenen drei Perioden die Naturphilosophie in hohem Maasse vernachlässigt und gehemmt gewesen ist, kann ihr geringer Fortschritt, während man sich mit allem Andern beschäftigte, nicht auffallen.

80.

Hierzu kommt, dass die Naturphilosophie selbst bei den Männern, die sich ihr zuwendeten, kaum eine freie und vorurtheilslose Auffassung, namentlich in den neuern Zeiten, gefunden hat. Nur hie und da hat ein Mönch in seiner Zelle oder ein Vornehmer in der Musse seines Landlebens ein gutes Beispiel gegeben. Man hat zuletzt die Naturphilosophie wie eine Ueberfahrt und eine Fähre zu Anderem behandelt. So ist diese grosse Mutter der Wissenschaften in schmählicher Weise zu Mägdediensten herabgedrückt worden; sie muss bei den Aerzten und Mathematikern handlangern, den unreifen Geist der Jugend waschen und zurechtsetzen; sie vertritt nur die erste Flasche Medizin, damit die spätere besser und leichter genommen werde. Aber Niemand darf einen erheblichen Fortschritt in den Wissenschaften, namentlich in ihren praktischen Zweigen, erwarten, so lange die Naturphilosophie nicht bis zu den besondern Wissenschaften fortgeführt worden ist, und so lange nicht umgekehrt diese besondern Wissenschaften sich an die Naturphilosophie anlehnen werden. Deshalb fehlt der Astronomie, der Optik, der Musik, den meisten mechanischen Künsten, selbst der Medizin, und was noch merkwürdiger ist, der Moral- und Rechts-Philosophie und der Wissenschaft der Logik die nöthige Höhe und Tiefe; sie schwanken auf der Oberfläche und wechseln mit den Dingen. Nachdem jene besondern Wissenschaften abgetrennt und gebildet worden waren, wurden sie nicht mehr von der Naturphilosophie ernährt, obgleich sie doch aus den Quellen und aus der Erforschung der wahren Bewegungen, der Strahlen, der Töne, des Gewebes und der innern Gestaltung der Körper, der Gefühle und geistigen Auffassungen ihnen neue Kraft und Zuwachs gewähren konnte. Deshalb ist es kein Wunder, wenn die von ihren Wurzeln abgerissenen Wissenschaften nicht zunahmen.Diese Ueberschätzung der Naturwissenschaften kann weniger auffallen, da Baco auch das Studium der »Gefühle und geistigen Auffassungen« noch zu denselben rechnet. Demnach gehört auch die ganze Psychologie und die Logik, insoweit sie sich mit den natürlichen Gesetzen des Denkens beschäftigt, zu der Naturphilosophie im Sinne Baco's. Es bleiben denn daneben nur die ethischen Wissenschaften und die Aesthetik, von denen aber ganz mit Recht Baco behauptet, dass sie ihren Inhalt und ihren Zuwachs nur aus den Gefühlen des Menschen entnehmen. Der erste Theil der Instauratio enthält darüber vortreffliche Gedanken.

81.

Es zeigt sich noch eine andere bedeutende und grosse Ursache, weshalb die Wissenschaften so wenig vorwärts gekommen sind; sie liegt darin, dass unmöglich der Wagen richtig vorwärts gehen kann, wenn das Ziel selbst fehlt und nicht feststeht. Das wahre und rechte Ziel der Wissenschaften ist aber, das menschliche Leben mit neuen Erfindungen und Mitteln zu bereichern. Der grosse Haufe bekümmert sich indess darum nicht, er arbeitet nur handwerksmässig und auf Lohn. Nur zufällig müht sich mitunter ein Künstler von schärferem und ehrgeizigem Geist um eine neue Erfindung; aber meist auf Kosten seines Vermögens. Dagegen fällt es den Meisten nicht ein, die Masse der Wissenschaften und Künste zu vermehren; sie sind zufrieden, wenn sie nur in dem vorhandenen Vorrath das haben, was zum Handwerk oder Gewinn oder zur Ehre und zu andern Vortheilen verwendet werden kann. Sucht einmal Einer aus dieser Menge die Wissenschaft mit freier Liebe und um ihrer selbst willen, so sucht doch selbst Dieser meist nur nach einem Wechsel in den Betrachtungen und Lehren, aber nicht nach der strengen und rauhen Erforschung der Wahrheit. Aber selbst wo dieses der Fall ist, sucht man doch die Wahrheit nur so, dass sie den Geist und Verstand in der Angabe der Ursachen von Dingen, die längst bekannt sind, befriedige; die Erkenntniss, welche das Pfand für neue Werke ist und das Licht neuer Grundsätze bietet, lässt man bei Seite.Baco's Ziele gingen viel weiter, als blos die zu seiner Zeit bestehenden Methoden in Beschaffung der Mittel für die Menschen zu verbessern; er wollte nicht bei den Methoden der damaligen Produktion, der Schifffahrt, Medizin u. s. w. stehen bleiben und blos bessern; er glaubte, dass wenn er die Formen der einfachen Eigenschaften erst entdeckt haben werde, damit das ganze Leben der Menschen umgestalten zu können; dann werde »ein Haufen von Erfindungen und Werken«, wie er sich ausdrückt, daraus hervorgehen, inbesondere stete Gesundheit und eine Verlängerung des Lebens weit über die bisherigen Grenzen hinaus.

Wenn so das Ziel der Wissenschaften noch von Niemand richtig aufgestellt worden ist, so darf man sich nicht wundern, wenn in dem, was nach diesem Ziele sich richten soll, der Irrthum sich einschleicht.

82.

Aber selbst wenn das so schlecht bei den Menschen abgesteckte Ziel der Wissenschaften auch richtig gestellt wäre, hat man doch einen durchaus irrthümlichen und unbrauchbaren Weg dazu gewählt. Es muss, wenn man dies richtig bedenkt, mit Staunen erfüllen, dass kein Sterblicher es sich hat angelegen sein lassen, dem menschlichen Geist von den Sinnen und der Erfahrung aus einen regelmässigen und gut beschaffenen Weg zu öffnen und zu bahnen, sondern dass man Alles der Finsterniss der Ueberlieferung, oder dem Wirbel und Tumult von Gründen, oder den Wellen und Umwegen des Zufalls und einer wüsten und rohen Erfahrung überlassen hat. Betrachtet man nüchtern und aufmerksam den Weg, der zur Erforschung und Erfindung von den Menschen benutzt worden, so wird man sicherlich zunächst ein vielfaches und kunstloses Verfahren antreffen, wie es den Menschen am natürlichsten ist. Dieses Verfahren besteht nun darin, dass Der, welcher sich an die Entdeckung begiebt und dafür zurecht macht, zuerst fragt und nachschlägt, was Andere darüber gesagt haben; dem fügt er sein eigenes Nachdenken hinzu, und nach vielem Hin- und Herdenken presst er seinen eigenen Geist und ruft ihn gleichsam an, ein Orakel von sich zu geben. Solch Verfahren hat aber keine Grundlage und dreht sich nur in Meinungen herum. Ein Anderer holt die Dialektik herbei, damit sie ihm bei der Erfindung helfe; allein sie gehört nur dem Namen nach hierher; denn die Dialektik erfindet nicht die Prinzipien und die wichtigen Lehrsätze, auf denen die Künste beruhen, sondern führt nur zu Sätzen, welche damit übereinstimmen.Hier ist die Identität, in der sich alles Schliessen bewegt, von Baco deutlich ausgesprochen. Verlangt man mehr zu wissen, drängt man die Dialektik und stellt man in seiner Geschäftigkeit sie über die Beweise und Auffindung der Prinzipien oder obersten Lehrsätze zur Rede, um jeder Kunst die Treue zu bewahren und ihr gleichsam durch einen Eid sich zu verpflichten, so wird man mit längst bekannten Antworten abgefertigt.

So bleibt die blosse Erfahrung übrig, welche, wenn man ihr begegnet, Zufall, und wenn man sie sucht, Versuch genannt wird. Diese Art Erfahrung ist aber nur ein Besen ohne Band und ein blosses Herumtappen, wie es des Nachts geschieht, wo man Alles befühlt, bis man zufällig den rechten Weg getroffen hat, während es sicherer und rathsamer gewesen wäre, den Tag abzuwarten oder ein Licht anzuzünden und dann den Weg zu betreten. Die richtig geordnete Erfahrung zündet erst das Licht an, zeigt dann bei Licht den Weg, beginnt mit der regelrechten und umfassenden Erfahrung, nicht mit der voreiligen und herumtappenden; daraus zieht sie die Lehrsätze, und mit den festgestellten Lehrsätzen verbindet sie neue Versuche; denn auch das göttliche Wort hat den Stoff der Welt nicht ohne Regel behandelt.

Man höre deshalb auf, sich zu verwundern, dass die Laufbahn der Wissenschaften noch nicht beschlossen ist, da man den rechten Weg ganz verfehlt hat; die Erfahrung ist einsam und verlassen, verwirrt sich im Laufen wie in einem Labyrinth in sich selbst, während ein richtig eingerichtetes Verfahren auf sichern Pfaden durch die Wälder der Erfahrung zu den freien Plätzen der Lehrsätze führt.Die Lehrsätze schaffen durch ihre Begriffe und Regeln Ordnung und Licht in dem Wald der einzelnen Erfahrungen und gleichen den Lichtungen im Walde.

83.

In Folge einer alten, aber aufgeblasenen und verderblichen Meinung oder Schätzung, dass die Majestät des menschlichen Geistes Schaden leide, wenn er sich viel und lange mit Versuchen und einzelnen sinnlichen und bestimmten Gegenständen beschäftige, ist dieses Uebel wunderbar gewachsen. Dergleichen Dinge waren zu mühsam zur Untersuchung, zu gemein für das Nachdenken, zu roh für die Darstellung, zu handwerksmässig für die Ausübung, zu zahllos der Menge nach und zu zart der Feinheit nach. So ist es bereits dahin gekommen, dass der rechte Weg nicht blos verlassen, sondern auch verschüttet und abgesperrt ist, und dass die Erfahrung verabscheut, wo nicht verlassen und schlecht geleitet wird.

84.

Die Menschen sind ferner in den Fortschritten bei den Wissenschaften gehemmt, ja gleichsam durch Zauber festgehalten worden, weil sie von Ehrerbietung vor dem Alterthum erfüllt waren, und das Ansehen, sowie zuletzt die einstimmige Meinung der Männer, welche in der Philosophie hochgestellt wurden, überwog. Diese Uebereinstimmung ist oben besprochen worden. Die Meinung aber, welche man über das Alterthum hegt, ist voll Nachlässigkeit und entspricht nicht einmal dem Worte. Denn das Greisen- und grossväterliche Alter der Welt gebührt unserer Zeit und nicht jenem jüngern Weltalter der frühern Zeit. Denn jene Zeit war nur in Rücksicht auf uns entfernt und älter, in Bezug auf die Welt aber neuer und jünger. So wie man nun in Wahrheit von einem erfahrenen Greise grössere Kenntniss der menschlichen Verhältnisse und ein reiferes Urtheil als von einem Jüngling erwartet, da Jener erfahrener ist und Vieles und Mancherlei gesehen, gehört und bedacht hat, so kann man auch von unserer Zeit, wenn sie ihre Kräfte kennte und sie versuchen und anstrengen wollte, viel mehr als von jenen alten Zeiten erwarten; denn unsere Zeit ist für die Welt die ältere, und sie ist um unzählige Versuche und Beobachtungen vermehrt und bereichert.Baco spielt hier mit der Zweideutigkeit der Worte alt und neu oder jung. Durch die längere Dauer wird ein Gegenstand älter, so auch die Welt; allein insofern ihre Zustände im Lauf der Zeit wechseln, sind die frühern Zustände die alten und die spätern die neuen. Dort wird das Alter vom Anfang ab berechnet; hier von dem Ende zurück.

Es ist von grossem Werthe, dass durch die weiten Seefahrten und Wanderungen, die in unserer Zeit so zugenommen haben, Vieles entdeckt und bekannt geworden, was ein neues Licht über die Philosophie verbreiten kann. Es wäre auch eine Schande, wenn, nachdem die Verhältnisse der Erdkugel die Lage der Länder, der Meere, der Gestirne zu unserer Zeit bis an die äussersten Grenzen bekannt und beschrieben worden, die Grenzen der Geisteskugel auf die wenigen alten Entdeckungen beschränkt bleiben sollten. Bei den Autoren zeugt es aber von dem höchsten Kleinmuth, wenn sie den Urhebern Alles zuschreiben, aber dem Urheber der Urheber und folglich aller Autorschaft, d. h. der Zeit, ihr Recht nicht gewähren. Die Wahrheit heisst mit Recht die Tochter der Zeit und nicht der Autoren. Man kann sich deshalb nicht wundern, wenn das Alterthum, die Autoren und die Uebereinstimmung gleich einem Zauberstab die Kraft der Menschen so gefesselt haben, dass sie, gleich einem Verzauberten, mit den Dingen selbst nicht haben vertraut werden können.

85.

Indess liess nicht blos die Bewunderung des Alterthums, der Autoren und der gleichen Ansichten die Erfindungskraft des Menschen sich bei dem bereits Bekannten beruhigen; auch die Bewunderung der Werke selbst, die bis jetzt den Menschen zugänglich gemacht worden sind, hat dazu beigetragen. Betrachtet man die Mannichfaltigkeit der Dinge und die Schönheit der Vorrichtungen, welche die mechanischen Künste für die Kultur des Menschengeschlechts beschafft und eingeführt haben, so wird man mehr geneigt sein, den Reichthum der Menschen zu bewundern, als auf die Schwäche der Sinne zu achten, und man wird kaum bemerken, dass die ersten Beobachtungen der Menschen und Vorgänge der Natur, welche von allem jenem bunten Allerlei die Seele und das erste Bewegende sind, nicht eben zahlreich und weit her sind; das Uebrige betrifft nur eine ausharrende Geduld der Menschen und eine feine und geregelte Bewegung der Hände oder Werkzeuge. So ist z. B. die Anfertigung der Uhren gewiss ein Geschäft voll Feinheit und Sorgfalt, was die Himmelskörper in ihren Umdrehungen und den Pulsschlag der lebenden Wesen in seinen aushaltenden und regelmässigen Schlägen nachahmt; allein diese Sache ist lediglich von ein oder zwei Naturgesetzen bedingt.

Betrachtet man dagegen die Feinheiten in den freien Künsten oder bei der Zubereitung der Naturgegenstände durch mechanische Künste und Aehnliches, wie die Entdeckung der Bewegung der Himmelskörper in der Astronomie, der Harmonie in der Musik, des Buchstaben-Alphabets in der Grammatik, was in dem Chinesischen Reiche noch unbekannt ist, oder im Mechanischen die Werke der Diener des Bacchus und der Ceres, d. h. die Zubereitung des Weines und Bieres, der Bäckerwaaren, der feinen Speisen, destillirten Getränke und Aehnliches, und bedenkt und überlegt man, welche lange Perioden verlaufen, ehe dies Alles, was, mit Ausnahme der Destillation, schon den Alten bekannt war, auf den jetzigen Stand gebracht worden ist, wie wenig dabei das Beispiel der Uhr benutzt und von der Beobachtung und den Gesetzen der Natur Gebrauch gemacht worden ist, und wie leicht dergleichen entdeckt werden konnte, da die Beobachtung und Betrachtung dazu sich gleichsam aufdrängte, so wird man alles Verwundern bei Seite lassen und eher die menschliche Gesellschaft beklagen, dass in so vielen Jahrhunderten nur so Geringes und Unfruchtbares entdeckt worden ist. Aber selbst diese hier erwähnten Erfindungen sind älter als die Philosophie und die Künste des Verstandes, und man kann deshalb mit Recht sagen, dass mit dem Beginn der Vernunft- und dogmatischen Wissenschaften die Entdeckung nützlicher Dinge aufgehört hat.

Wendet sich Jemand von den Werkstätten zu den Bibliotheken, und bewundert er die ungeheure Mannichfaltigkeit der vorhandenen Bücher, so wird sein Staunen sich in das Gegentheil verkehren, wenn er den Gegenstand und Inhalt dieser Bücher untersucht und näher betrachtet. Wenn er da gesehen hat, dass die Wiederholungen kein Ende nehmen, und die Menschen immer dasselbe reden und treiben, so wird seine Bewunderung dieser Mannichfaltigkeit sich umwandeln in ein Verwundern über die Dürftigkeit und Geringfügigkeit dessen, was den Verstand der Menschen bis jetzt gefesselt und beschäftigt hat.

Wendet er sich aber zur Betrachtung dessen, was mehr für merkwürdig als verständig gilt, und betrachtet er die Werke der Alchymisten und Magier von innen, so wird er vielleicht schwanken, ob sie mehr belacht oder beweint zu werden verdienen. Der Alchymist hat ein unverwüstliches Hoffen; gelingt ihm etwas nicht, so ist nur sein Irrthum daran Schuld; er überlegt bei sich, dass er die Ausdrücke der Kunst oder der Autoren nicht recht verstanden; er passt auf die Ueberlieferungen und das Geflüster von Ohrenzeugen; er meint, dass er in den schwierigen Punkten und Theilen seines Verfahrens etwas versehen habe; er widerholt deshalb die Versuche ohne Ende, und geräth er bei diesen Versuchen zufällig auf etwas, was wegen seiner Neuheit oder Nützlichkeit nicht zu verachten ist, so weidet er an solchen Ergebnissen seine Seele, rühmt und preist dies übermässig und vertröstet wegen des Uebrigen auf Hoffnungen. Dennoch kann man nicht leugnen, dass die Alchymisten Manches entdeckt und die Menschheit mit nützlichen Erfindungen beschenkt haben. Aber die Fabel von jenem Greise passt gut auf sie, welcher seinen Söhnen einen, angeblich in seinem Weinberge vergrabenen Schatz vermachte, von dem er nur die Stelle nicht zu wissen vorgab. So gruben die Söhne fleissig in dem Weinberg und fanden zwar keinen Schatz, aber die Weinlese wurde durch diese Bearbeitung reicher.

Dagegen haben Die, welche sich der natürlichen Magie befleissigten und Alles mit der Sympathie der Dinge erreichen wollten, nach müssigen und grundlosen Vermuthungen den Dingen wunderbare Kräfte und Wirksamkeiten beigelegt, und wenn sie einmal etwas zu Stande gebracht haben, so diente es doch mehr dem Staunen und der Neugierde als dem Nutzen und Gebrauche. – Soll ich nun über die abergläubische Magie noch etwas bemerken, so ist es, dass diese geheimen und abergläubischen Künste bei allen Völkern und zu allen Zeiten und in allen Religionen nur in einzelnen Dingen ganz besonderer Natur etwas vermocht haben. Deshalb lasse ich sie bei Seite.

Zur Zeit kann es daher nicht auffallen, dass die Meinung, reich zu sein, die Ursache der Armuth gewesen ist.D. h. die irrige Meinung, schon einen grossen Reichthum in den vorhandenen Wissenschaften und Künsten zu besitzen, hat den Fortschritt beider gehindert.

86.

Das schon an sich einfältige und beinahe kindische Staunen der Menschen über die Künste und Wissenschaften ist durch die List und Schlauheit Derer gesteigert worden, welche die Wissenschaften betrieben und gelehrt haben. Diese fuhren sie in so anspruchsvoller und ehrgeiziger Weise ein und stellen sie derartig gestaltet und gleichsam personifizirt dem Anblicke der Menschen dar, dass man sie nach allen Richtungen hin für vollkommen und vollendet halten möchte. Betrachtet man die Methode und Eintheilungen Jener, so scheint Alles befasst und eingeschlossen zu sein, was auf den fraglichen Gegenstand Bezug haben kann und obgleich diese Glieder schlecht ausgefüllt und gleichsam nur leere Behälter sind, so treten sie doch dem gewöhnlichen Verstande gegenüber in der Gestalt und Weise der vollständigen Wissenschaft auf.

Die ersten und ältesten Forscher nach Wahrheit handelten dagegen offener und ehrlicher; sie pflegten die Erkenntniss, welche sie aus der Betrachtung der Dinge gewonnen hatten und für den Gebrauch zusammenfassen wollten, in Aphorismen, d. h. in einzelnen scharf begrenzten Sätzen auszusprechen und sich aller methodischen Verknüpfung zu enthalten; auch gaben sie sich nicht das Ansehen, als umfassten und lehrten sie die vollständige Kunst. Wie aber jetzt die Sache betrieben wird, kann man sich nicht wundern, dass die Menschen in dem nicht weiter forschen, was als vollendet und in allen seinen Theilen längst abgeschlossen dargestellt wird.

87.

Das Ansehen und Vertrauen auf das Alte ist durch die Eitelkeit und den Leichtsinn Derer erheblich gesteigert worden, die etwas Neues vorbrachten, namentlich in Bezug auf den praktischen Theil der Naturphilosophie. Es fanden sich Schwätzer und Phantasten, welche das menschliche Geschlecht theils durch dessen Leichtgläubigkeit, theils durch ihren Betrug mit Versprechen beluden; sie verhiessen unter grossen Anpreisungen die Verlängerung des Lebens, die Hemmung des Alters, die Erleichterung der Schmerzen, die Ausbesserung natürlicher Mängel und der Täuschungen der Sinne, die Fesselung und die Erweckung der Affekte, die Erleuchtung des Verstandes, die Umwandlung der Substanzen und die beliebige Verstärkung und Vermehrung der verschiedenen Bewegungen, die Mischungen und Veränderungen der Luft, die Ableitungen und Zuleitungen himmlischer Einflüsse, das Errathen zukünftiger Dinge, die Vorführung der Abwesenden, die Offenbarung des Verborgenen und Anderes mehr. Ueber diese Gabenspender ist kein richtigeres Urtheil gefällt worden als jenes, dass in Bezug auf die Lehren der Philosophie ihre eiteln Aussprüche sich von der wahren Kunst ebenso unterscheiden, wie in der Geschichte die Thaten Julius Cäsar's oder Alexander's des Grossen von den Thaten des Amadis von Frankreich und des Arthur von England. Denn jene berühmten Feldherren haben wirklich Grösseres verrichtet, als jene Schattenhelden in der Dichtung vollbracht haben und zwar auf dem Wege und in der Weise wirklichen Handelns, nicht auf dem der Fabeln und Wunder. Es ist daher nicht recht, wenn man den wahren Berichten nicht glauben will, weil sie durch Fabeln mitunter entstellt und verdorben sind.

Aber man kann sich nicht wundern, wenn den neuen Vorschlägen, namentlich in Bezug auf Ausführung von Werken grosser Schaden durch diese Betrüger zugefügt worden ist, welche Aehnliches vorgaben. Noch jetzt hat das Uebermaass solcher Eitelkeit und der Ekel davor jeden grossherzigen Sinn für dergleichen Unternehmen zerstört.

88.

Grösseren Schaden haben die Wissenschaften aber durch den Kleinmuth der Menschen und die Geringfügigkeit und Dürftigkeit der Aufgaben erlitten, welche der menschliche Verstand sich stellte. Und dabei hat sich, was das Schlimmste ist, dieser Kleinmuth mit Anmaassung und Stolz verbunden.

Zunächst zeigt sich in allen Künsten der schon allgemein gebräuchlich gewordene Vorbehalt, wonach die Lehrer die Schwäche ihrer Kunst nur der Natur zur Last legen. Was ihre Kunst nicht vermag, das soll nach ihrer Lehre auch der Natur selbst unmöglich sein. Freilich wird eine Kunst sich nicht verurtheilen, wenn sie selbst das Urtheil spricht. Sogar die jetzt gebräuchliche Philosophie hegt an ihrem Busen Sätze, womit man, genauer besehen, die Menschen bereden will, dass man von der Kunst oder Kraft des Menschen nichts Schwieriges und nichts, was die Natur bezwingen und bewältigen werde, erwarten dürfe; ein Beispiel dazu liefert das, was oben angeführt worden, wonach die Wärme, welche von den Gestirnen und die, welche von dem Feuer kommt, ganz verschieden und deren Mischung unmöglich sein soll. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich dergleichen als eine boshafte Beschränkung der menschlichen Macht und als eine absichtliche und erkünstelte Verzweiflung, welche nicht blos die Voraussetzungen der Hoffnung stört, sondern auch alle Anreize und Nerven der Thätigkeit durchschneidet und selbst die Würfel der Erfahrung wegwirft. Solche Personen sind nur darum besorgt, dass ihre Kunst als vollkommen gelte; sie setzen in der eitelsten und verderblichsten Weise ihre Ehre darin, den Glauben zu verbreiten, dass das, was bis jetzt nicht entdeckt und begriffen worden, auch in der Zukunft nicht entdeckt und begriffen werden könne.

Selbst Die, welche etwas Neues zu entdecken sich mühen, verlangen doch beharrlich, nur Eins zu finden, ohne nach Weiterem zu suchen und zu forschen. Deshalb sind die Natur des Magneten, die Ebbe und Fluth des Meeres, die Verhältnisse am Himmel und Anderes, was etwas Geheimnissvolles an sich hat, bis jetzt mit sehr wenig Glück behandelt worden; denn es ist die grösste Thorheit, die Natur eines Gegenstandes nur in ihm allein zu erforschen, da diese Natur in dem einen oft verhüllt und verborgen, in anderen offenbar und handgreiflich ist und dort Staunen erregt, während hier sie nicht einmal beachtet wird.Dieser Tadel über Kopernikus, Kepler und Galilei, welcher Letztere sich gegen Baco's Erklärung der Ebbe und Fluth aussprach, verkehrt sich freilich für die Gegenwart in einen Tadel Baco's selbst; die Ansichten jener Männer gelten noch heute als die wahren, während Baco's positive Forschungen längst haben bei Seite gestellt werden müssen. So hat man der hier von Baco aufgestellten »Scheu vor Trennung« die Molekularkräfte substituiren müssen.

So geschieht es mit der Eigenschaft des Festen, welches beim Holze und bei den Steinen nicht beachtet wird, sondern mit dem Namen des Dichten abgefertigt wird, ohne dass weiter über diese Scheu vor Trennung und Lösung der Stetigkeit Untersuchungen angestellt werden. Und doch zeigt sich in den Wasserblasen dieselbe feine und merkwürdige Erscheinung, indem diese Blasen sich mit kleinen Häutchen überziehen, die zierlich nach Art von Halbkugeln gebildet sind, um für einen Augenblick dies Zerreissen der Stetigkeit aufzuhalten.

Gerade das, was man für ein Geheimniss hält, zeigt sich in Anderem offenbar und gewöhnlich; es würde nie zum Vorschein kommen, wenn die Versuche und die Beobachtung nur bei jenem stehen blieben.

Im Allgemeinen gilt es in den mechanischen Künsten als etwas Neues, wenn Jemand alte Erfindungen nur glatter und feiner macht, oder glänzend verziert oder mit einander verbindet und zusammenbringt, oder bequemer für den Gebrauch einrichtet, oder den Gegenstand in grösserem oder kleinerem Umfange wie bisher anfertigt u. s. w.

Man kann sich daher nicht wundern, dass edlere und des Menschen würdigere Erfindungen nicht zu Tage kommen, da man mit solchen kleinen und kindischen Aufgaben sich begnügt, daran seine Freude hat und meint, damit etwas Grosses verfolgt und erreicht zu haben.

89.

Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Naturphilosophie zu allen Zeiten einen listigen und zähen Gegner in dem Aberglauben und blinden und maasslosen Religionseifer gehabt hat. Schon bei den Griechen sieht man, wie die, welche zuerst die natürlichen Ursachen des Blitzes und der Stürme den daran nicht gewöhnten Ohren der Menschen predigten, deshalb des Unrechts gegen die Götter beschuldigt worden sind. Nicht viel besser sind von einigen alten christlichen Kirchenvätern Die behandelt worden, welche auf Grund der sichersten Beweise, denen heute kein vernünftiger Mensch sich entgegenstellt, die Erde für eine Kugel erklärt und deshalb Gegenfüssler angenommen haben. Ja, wie die Sachen stehn, ist die Besprechung der Natur durch die Schriften und das Verfahren der scholastischen Theologen jetzt noch schwieriger und gefährlicher geworden. Indem sie die Theologie zur Verstärkung ihrer Macht geordnet und zu einer Wissenschaft gestaltet haben, ist zugleich die kampflustige und dornige Aristotelische Philosophie mit dem religiösen Inhalt mehr als recht vermengt worden. Dahin zielen, wenn auch in andrer Weise, sogar die Arbeiten Derer, welche sich nicht scheuen, die Wahrheit der christlichen Religion aus den Prinzipien und Aussprüchen der Philosophen herzuleiten oder dadurch zu bestätigen. Sie feierten die Hochzeit des Glaubens und der sinnlichen Wahrnehmung als eine rechtmässige mit vieler Pracht und Herrlichkeit und erfreuten die Geister durch ein angenehmes Wechseln in den Gegenständen; aber in Wahrheit vermischten sie Göttliches mit Menschlichem, was sich nicht verträgt. In diesen Mixturen von Theologie und Philosophie wird nur das jetzt in der Philosophie Geltende zugelassen und alles Neue, auch wenn es besser ist, abgewiesen und vertilgt. So zeigt sich, dass der Zugang zu einer verbesserten Philosophie durch die Thorheit einzelner Theologen beinah ganz versperrt worden ist. Andere befürchten in ihrer Einfalt, dass eine tiefere Erforschung der Natur über die erlaubte Grenze der Mässigung hinausgehe; sie beziehen und verdrehen das, was über die göttlichen Mysterien in der heiligen Schrift gegen Die, welche in den göttlichen Geheimnissen wühlen, gesagt ist, auf das Verborgene in der Natur, wofür doch kein Verbot besteht. Andere überlegen und bedenken in pfiffiger Weise, dass, wenn die mittleren Sätze nicht gekannt sind, das Einzelne leichter auf die göttliche Führung und Zucht im vermeintlichen Interesse der Religion zurückgeführt werden könne. Aber das heisst so viel, als Gott durch die Lüge gefällig sein. Andere fürchten das Beispiel, und dass die Bewegungen und Veränderungen in der Philosophie sich auch auf die Religion ausdehnen und erst da enden möchten. Andere endlich besorgen, es möchte bei der Naturforschung etwas entdeckt werden, was die Religion namentlich bei den Ungelehrten umstürzen oder schwächen könnte.

Allein diese beiden letzten Besorgnisse schmecken nach irdischer Weisheit. Man vertraut in den Winkeln seines Geistes und in seinen geheimsten Gedanken nicht der Festigkeit des Glaubens und der Herrschaft der Religion über die Sinne, sondern glaubt und fürchtet, dass durch die Erforschung der Wahrheit in den natürlichen Dingen der Religion Gefahr drohen könne. Wer die Sache aber wohl überlegt, der sieht, dass die Naturphilosophie nächst dem Worte Gottes das beste Mittel gegen den Aberglauben und das erprobteste Stärkungsmittel für den Glauben ist. Deshalb wird sie mit Recht der Religion als ihre treueste Magd beigegeben; jene offenbart den Willen Gottes, diese seine Macht. Denn Jener sprach die Wahrheit, der da sagte: »Ihr irrt, wenn ihr die Schriften und die Macht Gottes nicht kennt.« Er mischte und vereinigte durch ein besonderes Band die Verkündung des Willens und das Nachdenken über die Macht.

Man kann sich deshalb nicht wundern, wenn das Anwachsen der Naturphilosophie ins Stocken kommt, da die Religion, welche das Meiste über die Gemüther der Menschen vermag, durch die Thorheit und den blinden Eifer Einiger auf die Seite der Gegner übergetreten und fortgerissen worden ist.Baco ist noch in dem naiven Glauben befangen, dass Religion und Wissenschaft in keinem Gegensatze stehen, und deshalb beide, wenn man nur ihre Gebiete richtig abgrenze, in Frieden sich vertragen, ja die Wissenschaft sogar die Religion unterstützen könne. Die spätere Zeit hat indess dies nicht bestätigt; schon Spinoza zerstörte dreissig Jahre nach Baco diese naive Meinung, die indess zu Baco's Zeit schon als ein Fortschritt der Wissenschaft und als eine Befreiung aus den Fesseln des Glaubens gelten kann. Das Weitere ist in der Vorrede zu B. XXI. der Phil. Bibl. ausgeführt.

90.

Ferner sind es die Gebräuche und Einrichtungen der Schulen, Akademien, Kollegien und ähnlicher Verbindungen, welche, obgleich zu dem Sitz der Gelehrten und zur Pflege der Gelehrsamkeit bestimmt, doch alle dem Fortschritt der Wissenschaften sich feindlich zeigen. Die Vorlesungen und Uebungen sind da so eingerichtet, dass es Niemand leicht beikommt, etwas Anderes als das Gewohnte zu bedenken und zu betrachten. Unternimmt es einmal Einer oder der Andere, seine Urtheilskraft frei zu gebrauchen, so muss er die Arbeit allein übernehmen, und der Verkehr mit den Anderen nützt ihm nichts. Aber selbst wenn er das erträgt, wird er doch erfahren, dass dieser Eifer und diese Grossherzigkeit ihm schwere Hindernisse für sein Fortkommen bereiten. Denn an diesen Orten ist die wissenschaftliche Ausbildung wie eine Gefangene auf die Schriften einiger Autoren beschränkt, und Der, welcher davon abweicht, wird sofort als ein unruhiger Kopf, der nach Neuerungen strebe, verschrieen.

Allein zwischen den bürgerlichen Wesen und den Wissenschaften besteht ein grosser Unterschied; denn eine neue Volksbewegung und eine neue Wahrheit sind nicht gleich gefährlich. In bürgerlichen Dingen ist selbst eine Veränderung zum Bessern wegen der damit verbundenen Störungen bedenklich. Die bürgerliche Gesellschaft ruht auf der Autorität, der Gemeinsamkeit, dem Ruf und der Meinung, und nicht auf Beweisen;Diese Ansicht über die Grundlage des Rechts und der Moral stimmt genau mit der in B. XI. 146 u. f. dargelegten; Moral und Recht haben auch nach Baco kein sachliches Prinzip, an dem ihre Wahrheit gemessen werden könnte. aber in den Künsten und Wissenschaften soll, wie in den Schmelzhütten, Alles von dem Lärm neuerer Vorrichtungen und weiterer Fortschritte erfüllt sein.

So verhält sich die Sache nach der Vernunft; aber man benimmt sich nicht danach, und diese hier beschriebene Verwaltung und Verfassung der Gelehrtenrepublik hat auf die Vermehrung der Wissenschaften hart gedrückt.

91.

Aber wenn auch solcher Neid aufhören sollte, so genügt doch, um den Fortschritt der Wissenschaften aufzuhalten, dass die dahin zielenden Versuche und Anstrengungen der Belohnung entbehren. Die Pflege der Wissenschaften und der Lohn sind nicht beisammen. Die Fortschritte der Wissenschaften gehen von grossen Geistern aus, aber der Lohn und der Preis der Wissenschaften ist bei der Menge oder bei den vornehmsten Personen, deren Gelehrsamkeit selten bedeutend, oder auch nur mittelmässig ist. Solche Fortschritte entbehren nicht blos des Lohnes und der Unterstützung, sondern auch der rühmenden Anerkennung im Volke; denn sie gehen über die Fähigkeiten der Menschen hinaus und werden von dem Winde der öffentlichen Meinung leicht vertrieben und ausgelöscht.

So kann man sich nicht wundern, wenn ein Geschäft nicht vorgeschritten ist, an das keine Ehre sich knüpfte.

92.

Aber das grösste Hinderniss für den Fortschritt der Wissenschaften und für das Aufsuchen neuer Aufgaben und neuer Gebiete liegt in der Muthlosigkeit der Menschen, die zu schnell etwas für unmöglich halten. Selbst kluge und ernste Männer haben bei solchen Dingen durchaus kein Vertrauen; man schützt die Dunkelheit der Natur vor, oder die Kürze des Lebens, oder die Täuschungen der Sinne, oder die Schwäche des Verstandes, oder die Schwierigkeiten der Versuche und Aehnliches. So meint man, für die Wissenschaften beständen Perioden nach den Zeiten und Altern der Welt; eine Ebbe und eine Fluth; zu Zeiten trete ein Wachsthum und eine Blüthe ein, zu andern sänken die Wissenschaften und lägen darnieder, und zwar so, dass wenn sie ein bestimmtes Maass und Höhe erreicht hätten, ein weiterer Fortschritt unmöglich sei. Hofft und verspricht daher Jemand etwas Grosses, so gilt dies für das Zeichen eines schwachen und unreifen Geistes, und für ein Unternehmen, was zwar fröhlich beginne, aber im Fortgang schwer werde und mit Verwirrung ende. Da ernste und verständige Männer solchen Ansichten sich leicht zuneigen, so muss man ernstlich sorgen, dass man nicht aus Liebe für die schönste und beste Sache in Strenge des Urtheils nachlasse, und man muss fleissig schauen, welche Hoffnungen und von welcher Seite sich zeigen. Die Pläne für Unbedeutendes sind bei Seite zu lassen, vielmehr ist das Dauerhafte zu erforschen und zu erwägen. Selbst der Rath der Rechtsgelehrten ist zu hören und zu befolgen, welche die ausdrückliche Vorschrift geben, nicht zu trauen und in menschlichen Dingen das Schlimmere zu vermuthen.

So bleibt noch Einiges über die Hoffnung zu sagen, denn ich mache keine leeren Versprechen und will den menschlichen Verstand nicht vergewaltigen oder überlisten, sondern man soll freiwillig der Führung meiner Hand folgen. Das wirksamste Mittel, die Hoffnung zu erwecken, ist, dass ich die Menschen zu dem Einzelnen heranführe, wie dasselbe insbesondere in meinen Tafeln der Erfindungen vertheilt und geordnet ist (es gehört theils zu dem zweiten, theils zu dem vierten Theile meiner Grossen Erneuerung der Wissenschaften). Dies ist dann schon nicht blos die Hoffnung, sondern auch die Sache selbst. Damit indess Alles allmählich geschehe, fahre ich in meinem Unternehmen auf Vorbereitung der Geister fort, wobei jene Aufzeigung der Hoffnung keinen geringen Theil dieser Vorbereitung bildet. Denn ohne diese Hoffnung bewirkt das Uebrige, anstatt zu erheitern und den Eifer für die Nachforschung zu steigern, eher eine traurige Stimmung; es drückt die Meinung über den Werth des jetzigen Wissens noch tiefer als bisher herab und lässt die unglückliche Lage noch mehr empfinden und erkennen. Deshalb muss man die Gründe darlegen und bekannt machen, weshalb die Erfüllung der Hoffnungen hier mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. So machte es auch Columbus, ehe er seine wunderbare Seereise durch den Atlantischen Ozean antrat; er setzte auseinander, weshalb man neue Länder und Erdtheile ausser den schon bekannten zu treffen mit Sicherheit annehmen könne; anfangs verwarf man seine Gründe, aber nachher hat die Erfahrung sie bestätigt; sie waren der Anfang und die Ursache der grössten Ereignisse.

93.

Den Anfang muss man aber mit Gott machen; denn das, was in dieser Sache unternommen wird, muss wegen seiner ausgezeichnet guten Natur offenbar von Gott kommen, der der Urheber des Guten und der Vater des Lichtes ist. Bei göttlichen Werken hat aber selbst der kleinste Anfang ein glückliches Ende. Und was von dem Geistigen gesagt ist: »Das Reich Gottes kommt nicht von äusserlichen Dingen«, das gilt auch für jedes grössere Werk der göttlichen Vorsehung; Alles schreitet ohne Lärm und Geräusch ruhig vorwärts, und die Sache ist schon in voller Wirksamkeit, ehe die Menschen glauben und merken, dass sie wirkt. Auch ist die Prophezeihung Daniel's über die letzten Zeiten der Welt nicht zu übersehen: »Viele werden vorübergehen, und vielerlei Art wird die Wissenschaft sein.«Die Stelle ist im Alten Testament, Daniel, Kap. 12, Vers 4, enthalten. Sie lehrt und deutet klar an, es sei bestimmt, d. h. von der Vorsehung, dass die Durchwanderung der Welt, die nach so vielen langen Seereisen beinah erreicht ist oder wenigstens nahe bevorsteht, und die Vermehrung der Wissenschaften in dasselbe Zeitalter fallen werden.

94.

Es folgt nun der allerwichtigste Grund, um guten Muthes zu sein; nämlich der Grund, welcher aus den Irrthümern der Vergangenheit und den falschen bis jetzt betretenen Wegen sich ergiebt. Denn jener Ausspruch ist treffend, mit dem Jemand seinen Tadel über die schlechte Verwaltung eines Staates aussprach: »Was für die Vergangenheit sich als das Schlimmste darstellt, muss als das Beste für die Zukunft gelten. Wenn Ihr Alles, was Eure Pflicht erfordert, gethan hättet, und Eure Lage trotz dem nicht besser geworden wäre, so würde keine Hoffnung für eine Besserung übrig bleiben. Allein da Eure Lage nicht durch sich selbst, sondern durch Eure Irrthümer schlecht geworden ist, so ist eine grosse Aenderung zum Bessern zu hoffen, sobald Ihr Eure Irrthümer ablegt und verbessert.«Dies sind die Worte des Demosthenes aus seiner ersten und dritten Rede gegen Philipp von Macedonien. – So wäre unzweifelhaft es eine kühne und verwegene Meinung, dass es besser werden könnte, wenn man in der langen Zeit der Jahre den rechten Weg im Entdecken und im Anbau der Wissenschaften eingehalten gehabt hätte. Hat man dagegen in dem Wege sich geirrt gehabt und die Anstrengungen an dem ungehörigen Ort verwendet, so folgt, dass die Schwierigkeit nicht in den Dingen selbst liegt, die nicht in unserer Gewalt sind, sondern in dem menschlichen Verstande und in dessen Gebrauch und Verwendung, wo Medizin und Hülfsmittel angewendet werden können. Deshalb war es das Beste, gerade diese Irrthümer vor Augen zu stellen; denn so viel als in der Vergangenheit durch diese Irrthümer Hindernisse bestanden haben, so viel sind jetzt Gründe zur Hoffnung auf die Zukunft vorhanden. Wenn auch in dem Bisherigen dies bereits berührt worden, so soll es doch jetzt kurz in einfachen, ungeschminkten Worten dargelegt werden.Nachdem Baco bisher die Anzeigen für die Mängel der bisherigen Wissenschaften, sodann deren Ursachen behandelt hat, geht er nun zu den Umständen über, welche die Hoffnung einer besseren Gestaltung der Wissenschaften gewähren.

95.

Die, welche die Wissenschaften bearbeiteten, waren entweder Empiriker oder Dogmatiker. Jene sammeln und verbrauchen nur, wie die Ameisen; Letztere aber, welche mit der Vernunft beginnen, ziehen wie die Spinnen das Netz aus sich selbst heraus. Das Verfahren der Bienen steht zwischen beiden; diese ziehen den Saft aus den Blumen in Gärten und Feldern, aber behandeln und verdauen ihn durch eigne Kraft. Aehnlich ist das Geschäft der Philosophie; es stützt sich nicht ausschliesslich oder hauptsächlich auf die Kräfte der Seele, und es nimmt den von der Naturkunde und den mechanischen Versuchen gebotenen Stoff nicht unverändert in das Gedächtniss auf, sondern verändert und verarbeitet ihn im Geiste. Deshalb können auf das engere und festere Bündniss beider Vermögen, des versuchenden nämlich und des denkenden, was bis jetzt noch nicht bestanden hat, die besten Hoffnungen gebaut werden.Dieser Artikel legt in einer vortrefflichen Weise den Fundamentalsatz der realistischen Philosophie dar (B. I. 68), wonach die Wahrnehmung den Stoff des Seienden beschafft, und das Denken nur seine Reinigung und die Aussonderung des Allgemeinen vollzieht, und so die Wahrheit aus der Verbindung beider hervorgeht. Die Uebereinstimmung ist beinah wörtlich, obgleich dem Herausgeber bei Abfassung der Lehre vom Wissen in B. I. diese Stelle Baco's noch nicht zu Gesicht gekommen war.

96.

Die Naturphilosophie verfährt zur Zeit noch nicht aufrichtig, sondern ist angesteckt und verderbt, und zwar in der Schule des Aristoteles durch die Logik, in der Schule des Plato durch die natürliche Theologie, in der zweiten Schule des Plato, des Proklus und Anderer durch die Mathematik, die der Naturphilosophie die Grenze setzen,Was Baco unter: »Grenze setzen« (terminare) versteht, bleibt dunkel. Die Mathematik ist in Wahrheit ein Theil der Naturwissenschaft; sie ist die Wissenschaft von den elementaren Gestalten, wie die Physik die Wissenschaft von den elementaren Kräften, Stoffen und Eigenschaften. Die Gestalt ist ebenso eine Bestimmung oder Eigenschaft des Seienden, wie seine Grösse, seine Bewegung, seine Kraft u. s. w. Der Gegenstand der Mathematik gehört daher zu dem Seienden, und die Erkenntniss der in diesem Gebiete der Gestalt herrschenden Gesetze kann ebenso, wie bei den übrigen Bestimmungen, nur durch Beobachtung und Versuche erlangt werden. Die Mathematik ist deshalb keine Erkenntniss a priori im Sinne Kant's. Das Weitere ist ausgeführt B. III. 91. Als Theil der Naturwissenschaft kann sie deshalb die andern Theile weder begrenzen noch erzeugen. Dies gilt zunächst von der Mathematik, als Wissenschaft der Gestalt; soweit sie aber Zahlenlehre ist, treten noch andere Umstände ein, deren Darstellung hier zu weit führen würde (B. I. 82; B. III. 37, 91). Baco giebt in seinen späteren Augmentis scientiarum ausführlichere Erklärungen, die aber zeigen, dass die Mathematik seine schwache Seite war. aber sie nicht hervorbringen und erzeugen soll. Sonach ist von einer reinen und unvermengten Naturphilosophie das Beste zu erwarten.

97.

Bisher ist noch Niemand so festen und strengen Geistes gewesen, dass er sich entschlossen und vorgesetzt hätte, die gemeinen Theorien und Begriffe gänzlich zu vertilgen, und den Verstand, nachdem Alles darin verlöscht und ausgeglichen worden, von Neuem auf das Einzelne zu richten. Deshalb ist das Denken der Menschen, wie es jetzt geübt wird, ein Mischmasch und Gemenge von zu viel Vertrauen und zu viel Zufall und von kindischen, im ersten Beginn gewonnenen Begriffen. Wenn aber Jemand in reifem Alter und mit gesunden Sinnen und gewiegtem Verstande sich von Neuem zur Erfahrung und zu dem Einzelnen wendet, so kann man Besseres erwarten. Und hierbei verspreche ich mir das Glück eines Alexander des Grossen, und Niemand soll mich der Eitelkeit zeihen, ehe er das Ende der Sache gehört hat, was alle Eitelkeit abthun soll. Denn über Alexander und seine Thaten hat Aeschines gesagt:In seiner Rede: De Corona. »Wir leben fürwahr kein sterbliches Leben, sondern sind dazu geboren, dass die Nachwelt das Ungeheuerlichste erzähle und verkünde«, als wenn er die Thaten Alexander's für Wunder gehalten hätte. Aber später hat Titus LiviusIn Buch IX. Kap. 17 seiner Römischen Geschichte. die Sache besser erkannt und durchschaut, indem er von Alexander sagte: »Er habe gut daran gethan, das Eitle muthig zu verachten.« Und ein ähnliches Urtheil, hoffe ich, wird man in späteren Zeiten auch über mich fällen, was dahin lauten wird: »Ich hätte nichts Grosses geleistet, sondern nur das für gross Gehaltene klein gemacht.Indem Baco durch seine neue Methode der Induktion den Weg zeigt, die Erkenntniss der Natur selbst in Dingen, wo man sie bisher für unmöglich gehalten hatte, und zwar auf eine Weise zu gewinnen, welche keine ausserordentlichen Geisteskräfte verlangt, kann er hier mit diesem feinen Wortspiel von sich sagen, dass er das Grosse (bisher für unerreichbar Gehaltene) klein (d. h. leicht erreichbar) gemacht habe. Zur Zeit ruht indess, wie gesagt, alle Hoffnung nur auf der Erneuerung der Wissenschaften, die von der Erfahrung aus regelrecht wieder erweckt und neu aufgerichtet werden müssen, und Niemand hat, wie ich glaube, behauptet, dass dies schon geschehen oder vorgeschlagen worden sei.

98.

Bisher waren die Grundlagen der Erfahrung, zu der ich mich jetzt wenden muss, entweder gar nicht oder nur schwach vorhanden, und die Masse und der Stoff des Einzelnen war weder nach Zahl, noch nach Art, noch nach Gewissheit in passender oder irgend genügender Weise bis jetzt beschafft und gesammelt worden. Vielmehr haben die Gelehrten in ihrer Trägheit und Leichtgläubigkeit blosse Gerüchte über das Vorgekommene und gleichsam das blosse Gerede und Gesäusele zum Aufbau und zur Befestigung ihrer Philosophie verwendet und solchem das Gewicht vollgültiger Zeugnisse beigelegt. Gleich einem Reiche oder Staate, in welchem die Beschlüsse und Geschäfte sich nicht nach den Schreiben und Berichten der Gesandten und glaubwürdiger Geschäftsträger bestimmen, sondern nach dem Stadt- und Strassengeschwätz, herrscht ein solches Treiben ähnlich in der Philosophie in Bezug auf die Erfahrung. In der Naturgeschichte findet man nichts, was richtig untersucht, festgestellt, gezählt, gewogen, gemessen worden, und doch ist alles Unbestimmte und Schwankende bei den Beobachtungen trügerisch und treulos für die Belehrung.

Vielleicht klingt dies sonderbar, und vielleicht scheinen diese Klagen wenig begründet, da ein so grosser und durch die Mittel eines so grossen Königs unterstützter Mann, wie Aristoteles, eine so genaue Geschichte über die Thiere geschrieben hat, und Andere sie mit noch grösserem Fleisse, wenn auch mit weniger Aufsehn vermehrt haben, und wieder Andere zahlreiche Erzählungen und Geschichten über die Pflanzen, die Metalle und Fossilien verfasst haben. Allein man achte und merke auf das, was jetzt geschieht. Es ist ein Unterschied zwischen der Naturgeschichte, die um ihrer selbst willen gefertigt ist,An sich wäre dies gerade das wahre Kennzeichen der Wissenschaft, die ihren Zweck in sich selbst trägt. Baco meint indess hier nur die blosse Sammlung des Einzelnen, was allerdings noch keine Wissenschaft ist, sondern nur ihre Unterlage, und deshalb den Zwecken dieser sich unterordnen muss. und der, welche gesammelt worden, um den Geist richtig zu belehren und die Philosophie zu begründen. Die erste unterscheidet sich von der letzten vorzüglich dadurch, dass sie die Mannichfaltigkeit der natürlichen Arten, aber nicht die Versuche in den mechanischen Künsten enthält. Schon in dem bürgerlichen Leben treten der Verstand und die geheimen Neigungen und Empfindungen der Seele bei Demjenigen, der in das Treiben desselben gestellt ist, besser hervor, als bei Dem, der fern davon steht, und ähnlich offenbaren sich die Geheimnisse der Natur mehr dem Pressen und Drängen der Kunst, als wenn Alles in seinem natürlichen Laufe fortgeht.

Deshalb lässt sich nur dann Gutes für die Naturphilosophie hoffen, wenn die Naturkunde, welche ihre Stütze und Grundlage bildet, in bessern Stand gebracht sein wird; vorher aber nicht.

99.

In der Menge mechanischer Versuche herrscht gerade an solchen grosser Mangel, welche für die Belehrung des Geistes am werthvollsten und förderlichsten sind; denn dem Handwerker liegt es nicht an Erforschung der Wahrheit, und er denkt und rührt seine Hände nur so lange, als es zur Vollendung seiner Arbeit nöthig ist. Aber auf den weiteren Fortschritt der Wissenschaften kann man nur dann mit Recht hoffen, wenn die Naturkunde vorzugsweise solche Versuche aufnimmt und sammelt, die zwar keinen unmittelbaren Nutzen haben, aber zur Entdeckung der Ursachen und der Gesetze dienen. Solche Versuche nenne ich lichtbringende im Gegensatz zu den fruchtbringenden. Jene sind von der vortrefflichen Beschaffenheit, dass sie niemals täuschen, noch die Arbeit vergeblich werden lassen. Da ihr Zweck nicht auf die Herstellung eines Werkes, sondern auf die Entdeckung einer natürlichen Ursache gerichtet ist, so erfüllen sie ihren Zweck, mögen sie ausfallen, wie sie wollen, denn sie entscheiden die Frage.

100.

Es ist aber nicht blos die Zahl der Versuche zu vermehren und die Art derselben gegen die bisherige zu ändern, sondern es muss durch eine andere Methode eine andere Ordnung und Regel bei der Fortsetzung und Beförderung der Erfahrung eingeführt werden. Denn eine unbestimmte, nur sich selbst überlassene Erfahrung ist, wie erwähnt, ein reines Herumtappen und betäubt nur die Menschen, anstatt sie zu belehren; wenn aber die Erfahrung nach einer festen Regel in Ordnung und Zusammenhang vorschreitet, so lässt sich Besseres für die Wissenschaften hoffen.

101.

Wenn der Stoff und Vorrath einer solchen Naturgeschichte und Erfahrung, wie es die Aufgabe des Geistes und der Philosophie verlangt, gesammelt und vorhanden sein wird, so genügt es dann aber nicht, dass der Verstand diesen Stoff beliebig behandelt und in das Gedächtniss einprägt; denn schon die Berechnung der täglichen Ausgaben einer Wirthschaft kann man nicht blos im Kopfe ausführen und merken. Dennoch hat man sich bis jetzt bei Entdeckungen mit dem Nachdenken ohne Aufzeichnung begnügt, und die Versuche sind noch nicht schriftlich befestigt worden, obgleich doch nur Entdeckungen, die auf solchen Dokumenten beruhen, zu beachten sind. Kommt diese Methode in Uebung, so ist von einer solchen schriftlich befestigten Erfahrung Besseres zu erwarten.

102.

Bei der grossen Zahl und Masse des Einzelnen, was durch seine Zerstreuung und Ausbreitung den Geist spaltet und irre führt, ist von einem blossen Anführen und leichten Versuchen und Uebersichten wenig zu erwarten, vielmehr muss das, was zu einem bestimmten Gegenstande gehört, geordnet und mit Hülfe von Tafeln zusammengestellt werden, die zur Entdeckung geeignet sind und in ihrer guten Anordnung lebenden Wesen gleichen. Deshalb muss der Verstand an solche Tafeln, als vorbereiteten und geordneten Hülfsmitteln, sich halten.Auf diese Tafeln legt Baco grossen Werth, und in dem zweiten Theile giebt er Beispiele dazu. Es sind Zusammenstellungen alles Einzelnen oder Besonderen, was in Bezug auf eine gewisse Eigenschaft (natura) übereinstimmt; durch solche Uebersicht soll der Geist vor einseitigen Auffassungen und mangelhaften Induktionen geschützt werden.

103.

Wenn das Einzelne in seinem Reichthum hergerichtet und geordnet gleichsam vor Augen gestellt ist, so darf man dann nicht gleich zu neuem Einzelnen und zur Erfindung neuer Werke übergehen; sollte es geschehen, so darf man wenigstens sich nicht damit begnügen. Denn wenn auch alle Versuche in allen Künsten gesammelt und geordnet sein werden, so dass ein Mensch sie alle kennen und prüfen kann, so wird allerdings schon durch die Uebertragung der Versuche aus der einen Kunst in die andere viel Neues entdeckt werden können, was für Staat und Leben von Nutzen ist, und was ich die gelehrte Erfahrung nenne.Das Wort: Experientia literata braucht Baco in einem zwiefachen Sinne; im Art. 101 bezeichnet es die schriftlich aufgezeichnete Erfahrung; hier die Erfahrung, »wo in den Versuchen eine gewisse Richtung und Ordnung festgehalten wird, gleichsam als wenn sie an der Hand geführt würde.« So definirt nämlich Baco selbst im I. Theile »De Augmentis« v. 2 diesen Ausdruck. Man vergleiche Art. 108. Allein dies wäre immer noch das Geringere; Grösseres ist zu hoffen von dem neuen Licht der aus dem Einzelnen nach festen Regeln und Weisen abgeleiteten Grundsätze, die auf neues Einzelne führen und es andeuten.

Denn das Leben bewegt sich nicht auf der Ebene, sondern bergauf und bergab; erst schreitet man zu den Grundsätzen hinauf und dann zu den Werken hinab.

104.

Es ist aber nicht zulässig, dass der Geist von dem Einzelnen sofort zu den entlegenen und allgemeinsten Grundsätzen, die man die Prinzipien der Künste und Dinge nennt, überspringe und überfliege, wobei dann deren Wahrheit für unveränderlich gilt und die mittleren Grundsätze danach eingerichtet und abgemessen werden. Allerdings lässt sich der Geist durch einen natürlichen Drang dazu verleiten, und er ist durch die syllogistischen Beweisführungen schon lange dazu angeleitet und daran gewöhnt worden. Aber um die Wissenschaften wird es nur dann gut stehn, wenn man auf einer richtigen Leiter von Stufe zu Stufe ohne Unterbrechung und Sprünge von dem Einzelnen zu den unteren Lehrsätzen, dann höher zu den mittleren und nur zuletzt zu den allgemeinsten aufsteigt.Deshalb hat Baco dem vierten Theile seiner Instauratio den Titel: Scala intellectus (die Leiter des Verstandes) gegeben. Denn die untersten Sätze sind wenig von der Erfahrung des Einzelnen verschieden; aber jene ersterwähnten höchsten und allgemeinsten sind nur Ausgeburten des Denkens, inhaltslos und unzuverlässig. Dagegen sind die mittleren Sätze die wahren zuverlässigen und lebendigen, auf denen das Leben und Wohl der Menschen beruht. Ueber diesen stehen endlich auch ganz allgemeine Grundsätze, aber solche, die nicht inhaltslos sind, und die durch jene mittleren Sätze in Schranken gehalten werden.

Sonach soll man dem menschlichen Geist keine Flügel, sondern eher ein Bleigewicht beigeben, was alles Springen und Fliegen hemmt. Bis jetzt ist dies noch nicht geschehen, und wenn es geschehen sollte, kann Besseres von den Wissenschaften gehofft werden.

105.

Für die Feststellung der Lehrsätze ist eine andere als die bisher gebräuchliche Art der Induktion zu bilden; sie soll nicht blos zur Entdeckung und zum Beweis der sogenannten Prinzipien dienen, sondern auch für die mittleren und niederen Sätze, ja überhaupt für Alles. Denn die blos auf die einfache Abzählung sich stützende Induktion ist ein kindisches Ding und führt nur zu unsicheren Schlüssen; sie bleibt der Gefahr entgegengesetzter Fälle ausgesetzt und stützt sich meistens auf die wenigen Fälle, welche gerade zur Hand sind. Dagegen muss die Induktion, welche für die Entdeckung und Beweise der Wissenschaften und Künste nützen soll, die Fälle durch Aussonderung und Zurückweisung, wo es nöthig ist, trennen, und dann, je nachdem die verneinenden Fälle es gestatten, aus den bejahenden ihre Schlüsse ziehen. Dies ist bis jetzt weder geschehen noch versucht worden, Plato ausgenommen, welcher für die Gewinnung seiner Definitionen und Ideen dieser Art der Induktion sich mitunter bedient. Zu einer guten und richtigen Einrichtung solcher Induktionen und Beweise ist Vielerlei nöthig, an das bisher noch Niemand gedacht hat; denn freilich ist dazu mehr Arbeit nöthig, als man bisher auf den Syllogismus verwendet hat. Diese Induktion muss nicht blos zur Entdeckung der Lehrsätze, sondern auch zur Bestimmung der Begriffe benutzt werden.Die Entdeckung der Gesetze (Lehrsätze) kann nie von der Feststellung der Begriffe getrennt werden; denn die termini jedes Urtheils und jedes Gesetzes sind die Begriffe, die zugleich mit dem Gesetz gefunden sind, und die, wenn letzteres wahr ist, ebenfalls wahr sind. Ueberhaupt haben die Begriffe keinen selbstständigen Werth, sondern dienen nur neben der Erleichterung der Mittheilung zum Mittel für den Ausdruck der Gesetze; diese allein haben für den Menschen einen Werth; sie allein erweitern die Erkenntniss und begründen die Macht des Menschen über die Natur. (B. I. 23, 77; Ph. d. W. 117.)

Auf diese Art von Induktion kann man grosse Hoffnung setzen.

106.

Bei der Ableitung der Lehrsätze mittelst solcher Induktion muss auch geprüft und erprobt werden, ob der aufgestellte Satz nur dem Maasse der Einzelfälle, aus denen er abgeleitet ist, angepasst ist, oder ob er von weiterem und grösserem Umfange ist. Im letzteren Falle muss man sehen, ob diese Weite und dieser Umfang durch neue Einzelfälle, die man beachtet, gleich Bürgen bestätigt wird, damit man nicht in den bekannten stecken bleibt oder durch zu weite Fassung in Schatten und inhaltsleere Formen statt in das Feste und Bestimmte gerathe.

Wenn man so verfahren sollte, wird endlich eine sichere Hoffnung erglänzen.

107.

Hier ist auch nochmals an das über die Naturphilosophie und die nach ihr eingerichteten besonderen Wissenschaften Gesagte zu erinnern. Man muss alles Zerschneiden und Verstümmeln der Wissenschaften vermeiden; sonst kann auf den Fortschritt wenig gerechnet werden.In der induktiven Methode Baco's, die auf die allgemeinen Eigenschaften ausgeht, aus deren Verbindung nach ihm das Einzelne besteht, liegt, dass sie sich nicht auf ein bestimmtes Gebiet beschränken kann, sondern dass der Blick auf Alles in der Natur gerichtet werden muss, damit das Ergebniss nicht »unsicher und kindisch, wie bei der blossen enumeratio simplex« (Art. 105) ausfalle.

108.

Dass man nicht verzagen, sondern Muth fassen soll, habe ich schon gesagt. Man muss den Irrthümern früherer Zeiten entweder Lebewohl sagen oder sie berichtigen. Indess ist nachzusehen, ob sonst noch etwas zu Hoffnungen berechtige. Da findet sich, dass man auch ohne zu suchen und in andrer Absicht viel Nützliches gleichsam zufällig und gelegentlich entdeckt hat; unzweifelhaft wird man daher viel mehr entdecken, wenn man darauf absichtlich ausgeht und dabei nicht hastig und abspringend, sondern regelmässig und geradeaus verfährt. Wenn auch Jemand ein oder das andere Mal durch glücklichen Zufall etwas gefunden hat, was dem angestrengt und absichtlich Suchenden entgangen ist, so wird doch Alles in Allem genommen das Entgegengesetzte als Regel gelten. Deshalb kann von einer verständigen und bewussten Leitung und Führung der Menschen mehr und Besseres und mit geringeren Opfern erwartet werden, als wenn man blos nach thierischem Instinkt oder ähnlich verfährt, auf welchem Wege bisher die Entdeckungen gemacht worden sind.

109.

Auch der Umstand erweckt die Hoffnung, dass manche bisherige Erfindungen der Art sind, dass Niemand vorher eine Ahnung davon gehabt, sondern dergleichen als Unmöglichkeiten verächtlich behandelt hat. Denn die Menschen prophezeien gern über Neues nach dem Beispiel des Alten und gemäss ihrer danach gebildeten und verbildeten Phantasie. Diese Art zu urtheilen ist aber höchst trügerisch, da Vieles, was sich aus den Quellen der Dinge schöpfen lässt, nicht in den bekannten Bächen fliesst.

Hätte z. B. Jemand vor Erfindung der Feuerwaffen sie nur nach ihren Wirkungen beschrieben, und gesagt, man habe eine Erfindung gemacht, durch welche die grössten Mauern und Wälle aus weiter Entfernung erschüttert und niedergeworfen werden könnten, so würde man über die Gewalt der vorhandenen Maschinen und Vorrichtungen mannichfach nachgedacht haben, um sie durch Gewichte und Räder, oder durch Vermehrung der Widerstösse und Schläge zu verstärken; aber Niemand würde auf einen feurigen Dampf, der sich plötzlich und gewaltsam ausdehnt und aufbläht, in seiner Phantasie gerathen sein, vielmehr würde man dergleichen gänzlich verworfen haben, weil man nie ein Beispiel davon gesehen habe, und weil Erdbeben und Blitze wegen der Grösse dieser Naturvorgänge von den Menschen nicht nachgemacht werden können.

Hätte in ähnlicher Weise Jemand vor Entdeckung der Seide gesagt, man habe eine Art Fäden entdeckt, die zu Kleidern und Hausrath gebraucht werden könnten und die leinenen und wollenen Fäden in Feinheit und Festigkeit, sowie in Glanz und Weichheit bei Weitem überträfen, so würde man gleich an irgend eine Pflanzenfaser oder an das feine Haar eines Thieres oder an die Federn und den Flaum von Vögeln gedacht haben; aber auf das Gewebe eines kleinen Wurmes, was alljährlich in solcher Menge neugebildet wird, wäre man nicht gekommen, und hätte Jemand ein Wort von solchem Wurm fallen lassen, so würde er als ein Träumer verspottet worden sein, weil er von neuen Werken der Spinnen rede.

Hätte ebenso Jemand vor Erfindung des Kompasses erzählt: Es sei ein Instrument erfunden worden, durch welches die Hauptpunkte des Himmels erkannt und unterschieden werden könnten, so würde man der Verfertigung der feinsten astronomischen Instrumente nachgegangen und in der Hitze der Phantasie Vieles und Mancherlei erörtert haben; aber man würde es nicht geglaubt haben, dass sich etwas auffinden lasse, dessen Bewegung mit der des Himmels so genau stimme und doch nicht zum Himmel gehöre, sondern blos aus einem steinernen und metallischen Stoff bestehe.

Dennoch ist Dies und Anderes, was so lange Zeit den Menschen verborgen war, nicht durch die Philosophie und die Künste der Vernunft, sondern durch Zufall und gelegentlich entdeckt worden, und es gehört zu dem, was, wie erwähnt, von dem bisher Bekannten völlig verschieden war und ihm so fern stand, dass es mittelst blosser Begriffe niemals hätte erreicht werden können.

Deshalb kann man hoffen, dass die Natur in ihrem Busen noch vieles Vortreffliche verborgen halte, was mit dem bisher Erfundenen keine Verwandtschaft und Aehnlichkeit hat, sondern weit ab von den Wegen der Einbildungskraft liegt und noch nicht erfunden ist. Unzweifelhaft wird es im Fortgang und Verlauf der Jahrhunderte zum Vorschein kommen, ebenso wie es mit dem Früheren auch geschehen ist; aber auf dem von mir dargelegten Wege wird dies schneller und entschiedener geschehen, und es kann damit auf einmal erfasst und vorausgenommen werden.Im Original lauten die Worte: possunt repraesentari et anticipari. Das Wort »repraesentari« wurde zu Baco's Zeit viel in dem Sinne gebraucht, wie Cicero es in Epist. ad Famil. 161 nimmt: »neque debemus expectare temporis medicinam, quam repraesentare ratione possimus«, und in seiner Rede Philipp. 2.: »Corpus libenter obtiderim, si repraesentari morte mea libertas civitatis potest.«

110.

Dennoch finden sich andere Entdeckungen dieser Art, welche bestätigen, dass der Mensch selbst an vortrefflichen Entdeckungen, die ihm gleichsam vor den Füssen liegen, vorübergehen und sie übersehen kann. Denn das Schiesspulver, das Seidengespinnst, der Kompass, der Zucker, das Papier und ähnliche Erfindungen scheinen auf gewissen natürlichen Eigenschaften der Dinge zu beruhen; dagegen ist bei der Buchdruckerkunst Alles offen und in die Augen fallend; aber trotzdem hat man nicht bemerkt, dass die Lettern zu setzen zwar mehr Arbeit fordert, als die Buchstaben mit der Hand zu schreiben, aber dass jene, einmal gesetzt, zu zahllosen Abdrücken benutzt werden können, während die von der Hand gezogenen Buchstaben nur zu einer Schrift zureichen. Auch hatte man vielleicht nicht bemerkt, dass die Dinte so verdickt werden kann, dass sie nicht fliesst, sondern nur färbt, namentlich wenn die Buchstaben erhaben sind und darüber hin der Druck erfolgt. So hat man diese vortreffliche Erfindung, die so viel zur Verbreitung der Kenntnisse beiträgt, viele Jahrhunderte entbehrt.

Die menschliche Seele ist indess auf dieser Fahrt nach Erfindungen oft so linkisch und so schlecht vorbereitet, dass sie zuerst verzagt und bald nachher wieder sich selbst verachtet. Zuerst kann sie nicht glauben, dass so etwas erfunden werden kann, und ist es erfunden, so scheint es ihr wieder unglaublich, dass dies den Menschen so lange habe entgehen können. Deshalb kann man auch hier Hoffnungen hegen; es giebt noch eine Masse neuer Erfindungen, die nicht blos aus zu ermittelnden unbekannten Verfahrungsweisen, sondern auch aus der Uebertragung, Verbindung und weiteren Anwendung der bereits bekannten, mittelst der erwähnten schriftlich befestigten Erfahrung abgeleitet werden können.

111.

Ebenso kann es die Hoffnung stärken, wenn man bedenkt, was die Menschen an Scharfsinn, Zeit und Vermögen für Dinge und Arbeiten von weit geringerem Werthe und Nutzen aufgewendet haben. Würde nur ein Theil davon auf das Gesunde und Ernste verwendet, so würden keine Schwierigkeiten bleiben, die nicht zu überwinden wären. Ich musste dies erwähnen, weil nach meiner Ansicht die Sammlung der Naturbeschreibungen und Versuche, wie sie mir vorschwebt und wie sie sein soll, ein grosses, gleichsam königliches Unternehmen von vieler Arbeit und grossen Kosten ist.

112.

Inmittelst braucht Niemand die Menge des Einzelnen zu fürchten, vielmehr kann sie die Hoffnung nur verstärken. Denn die einzelnen Erscheinungen der Natur und der Künste sind nur eine Handvoll gegen die Erdichtungen des Denkens, nachdem man die Gewissheit der Dinge verlassen hat und in dem Abstrakten sich bewegt. Und das Ende dieses Lebens steht fest und ist vielleicht nahe; aber bei dem Andern giebt es kein Aufhören, sondern nur eine Verwickelung ohne Ende.Baco meint, dass das Leben des Menschen für diese endlose, in dem Abstrahiren und Erdichten sich bewegende Methode nicht zureiche; denn jenes habe sein Maass, diese Methode habe aber kein Ende. Denn bisher hat man sich nur wenig bei der Erfahrung aufgehalten und sie nur leicht durchforscht, aber mit den Unterlagen und Erdichtungen des Verstandes hat man unendliche Zeit verschwendet. Wäre nur bei mir Jemand gegenwärtig, der auf die Fragen über die Vorgänge der Natur antwortete,Ist eine Anspielung auf das englische Gerichtsverfahren, wo der Richter und selbst die Advokaten ein Verhör und selbst ein Kreuzverhör über die Thatfragen anstellen, um die Wahrheit an den Tag zu bringen. so würden die Ursachen der Dinge in wenig Jahren entdeckt und alle Wissenschaften zu Stande gebracht sein.

113.

Auch mein eigenes Beispiel kann einige Hoffnung gewähren; und ich sage das des Nutzens wegen, nicht um mich zu rühmen. Wer noch kein Vertrauen hat, schaue auf mich, einen Mann, der unter den Männern gleichen Alters am meisten mit Staatsgeschäften beladen ist, dabei von schwacher Gesundheit ist, der viel Zeit verschwenden muss und hier keinem Beispiel und keiner Spur eines Vorgängers folgen kann, und der mit Keinem der Sterblichen deshalb Rücksprache genommen hat. Dennoch habe ich den rechten Weg beharrlich aufgesucht, und indem ich meinen Geist der Sache unterordnete, glaube ich diese etwas weiter vorwärts gebracht zu haben. Und nun bedenke man, was und wie viel mehr von Männern, die volle Musse haben, und was von gemeinsamer Arbeit in einer längeren Reihe von Jahren erwartet werden kann, nachdem ich den Weg gezeigt habe, und zwar einen Weg, auf dem nicht blos Einzelne Platz haben, wie es bei jenem Wege des reinen Denkens der Fall ist, sondern wo die Arbeiten und Leistungen vorzüglich bei Sammlung von Erfahrungen sich passend vertheilen und dann wieder verbinden lassen. Denn die Menschen werden erst dann ihre Kräfte kennen lernen, wenn nicht unendlich Viele dasselbe, sondern Jeder etwas Besonderes vornehmen wird.

114.

Endlich aber müsste man, wenn auch der Wind der Hoffnung von dem neuen Erdtheil viel schwächer und dunkler herüber wehte, doch den Versuch machen, wenn man nicht ganz verzagten Gemüthes sein will.Peter Aughiera erzählt, dass Columbus durch die zu bestimmten Zeiten im Jahre an den Küsten Portugals wehenden Westwinde auf den Schluss gebracht worden sei, dass im Westen ein grosses Land sich befinden müsse, welches diese Winde erzeuge. Auf diesen Umstand spielt Baco hier an. Denn es ist oft dieselbe Gefahr, ob man eine Sache gar nicht versucht, oder ob sie nicht gelingt; jenes kann zu unermesslichem Guten führen, bei diesem ist höchstens einige Mühe verloren. Und nach Allem, was ich gesagt und noch nicht gesagt habe, scheint genügende Hoffnung für Jeden vorzuliegen, wenn er nur eifrig ist im Versuchen und klug und nüchtern im Glauben.

115.

Soviel zur Beseitigung der Verzweiflung, einer der Ursachen, welche den Fortschritt der Wissenschaften am meisten verzögern und hindern. Auch die Zeichen und Ursachen des Irrthums, der herrschenden Trägheit und Unwissenheit sind besprochen worden, von denen die feineren sich dem Urtheil der Menge und den Sinnen entziehen und das betreffen, was über die Götzenbilder des menschlichen Geistes oben gesagt worden ist.

Hiermit schliesst der niederreissende Theil meiner Erneuerung der Wissenschaften. Er vollzieht sich durch eine dreifache Verwerfung; erstens durch die Verwerfung der menschlichen Vernunft in ihrem natürlichen, sich selbst überlassenen Zustande; zweitens durch die Verwerfung der Beweise; endlich durch die Verwerfung der Theorien oder der hergebrachten Philosophien und Lehren.

Die Widerlegung ist so geschehen, wie sie möglich war, nämlich durch die Zeichen und durch die Beweiskraft der Ursachen; eine andere Widerlegung konnte ich nicht geben, da ich in den Prinzipien und Beweisen meine besonderen Ansichten habe.

So wäre es nun Zeit, dass ich mit der Kunst und Regel der Naturerklärung selbst begänne; indess bleibt noch Etwas, was nicht übergangen werden darf. Da ich nämlich in diesem ersten Buche meiner Aussprüche die Geister auf das Verständniss und die Annahme des Folgenden vorbereiten will, so müssen die Geister, nachdem sie gereinigt, abgeschoren und geglättet worden, in eine gute Stellung und auf einen anziehenden Standpunkt für das, was ich vortragen will, gebracht werden. Denn in neuen Dingen entspringen die Vorurtheile nicht blos aus der Zähigkeit der alten Meinungen, sondern auch aus den falschen Einbildungen und Vorstellungen über das, was kommen wird. Deshalb will ich nach Möglichkeit eine gute Meinung für das, was ich beibringe, zu erwecken suchen, die wenigstens so lange und gleichsam als Zins gelten mag, bis man die Sache selbst kennen wird.

116.

Erstens möge man nicht glauben, dass ich nach dem Beispiel der alten Griechen oder einiger Neueren, wie des Telesius, Patricius, SeverinusBernhard Telesio war 1508 zu Cosenza in Italien geboren, ging 1527 zu seinen Studien nach Padua, wurde dort 1535 Doktor der Philosophie, ging später nach Rom und errichtete dann in Neapel eine Akademie, deren Zweck die Verbreitung und Vertiefung der Naturstudien war. Er war ein Gegner des Aristoteles und gehörte zu den grossen Männern, welche im 16. Jahrhundert der Naturwissenschaft eine ganz neue Bahn eröffneten. In Folge seiner Lehren gerieth er in Streitigkeiten mit der Geistlichkeit, verfiel in Melancholie und starb 1588. Sein grösstes Werk führt den Titel: »De rerum natura juxta propria principia.« Er nahm drei Prinzipien für die Natur an: Wärme, Kälte und Materie; die zwei ersten galten ihm als unkörperlich, das letzte als körperlich. – Franz Patricius stammt aus dem Venetianischen, wurde 1529 geboren, verlebte seine Jugend auf grossen Reisen und ging 1578 nach Padua, wo er seine literarische Thätigkeit begann. Später ernannte ihn der Herzog Alphons zum Lehrer an dem neu begründeten Gymnasium zu Ferrara, wo er am 6. Februar 1597 starb. Er hat über Geschichte und ein sehr geschätztes Werk über das Militairwesen der alten Römer geschrieben. Seine philosophischen Hauptwerke sind: 1) Vier Theile Discussiones Peripateticae, Basel 1581; 2) Nova de Universis Philosophia, Ferrara 1591, von dem 1611 zu London eine dritte Ausgabe erschien. Er galt als einer der bedeutendsten Männer seiner Zeit und war ein heftiger Gegner der damals noch allgemein herrschenden Aristotelischen Lehre und ein Anhänger der Neuplatonischen Schule. – Petrus Severinus war 1542 zu Ripen in Dänemark geboren, wurde mit 20 Jahren Professor in Kopenhagen, machte viele Reisen nach Frankreich und Italien, wo er 1602 an der Pest starb. Er war ein eifriger Anhänger des Paracelsus und brachte dessen Lehre erst in ein System. Sein Hauptwerk ist: »Idea medicinae philosophicae, fundamenta totius doctrinae Paracelsicae, Hippokraticae et Galenae continens« etc. eine neue Sekte für die Philosophie bilden will. Dies ist nicht meine Absicht, auch hätte es für das Glück der Menschen wenig Bedeutung, ob Jemand die oder jene inhaltsleere Ansichten über die Natur und Prinzipien der Dinge aufstellt. Wollte ich dies, so könnte ich unzweifelhaft viel Altes herbeiholen und viel Neues aufstellen; so hat man ja mancherlei Erklärungen für die Himmelserscheinungen aufgestellt, die alle mit denselben stimmen, aber unter einander sich widersprechen. Auf dergleichen nutzloses Spiel des Meinens verwende ich aber keine Mühe; meine Absicht ist, zu versuchen, ob in Wahrheit die Grundlagen der Macht und Grösse des Menschen fester gelegt und deren Grenzen weiter ausgedehnt werden können. Ich habe zwar hier und da in einzelnen Dingen schon Manches richtiger und sicherer als bisher erkannt, was bessere Früchte tragen wird, und was ich in dem fünften Theile meiner Erneuerung der Wissenschaften zusammengestellt habe; aber deshalb werde ich doch keine allgemeine und vollständige Theorie vortragen, da die Zeit noch nicht reif dazu ist. Ich kann nicht einmal auf ein so langes Leben hoffen, dass ich den sechsten Theil der Erneuerung, der für die aus der richtigen Naturerklärung hervorgehende Philosophie bestimmt ist, zu Ende bringen könnte; ich bin zufrieden, wenn ich in den mittleren Jahren nüchtern und mit Nutzen arbeite, einstweilen den Samen der reinen Wahrheit für die Nachwelt ausstreue und wenigstens den Anfang mit den grossen Dingen mache.

117.

So wie ich keine neue Sekte gründen will, so mag ich auch keine neuen Werke vorgeben oder versprechen. Man kann mir allerdings vorhalten, dass ich der Werke so oft erwähne und Alles darauf berechne, mithin selbst ein Pfand für solche Werke gewähren müsse. Allein mein Weg und mein Verfahren ist, wie ich schon oft gesagt habe und hier wiederhole, nicht Werke aus Werken und Versuche aus Versuchen, wie die Empiriker, zu entnehmen, sondern ich entnehme aus den Werken und Versuchen die Ursachen und die Gesetze und aus den Ursachen und Gesetzen wieder neue Werke und Versuche, wie rechte Ausleger der Natur zu thun haben.Die Empiriker entnehmen Werke aus Werken und Versuche aus Versuchen, d. h. sie bleiben bei denselben Verfahrungsarten und suchen nach keinen neuen Gesetzen, sondern variiren nur in ihren Werken fortwährend das schon Bekannte; Baco geht dagegen aus der Praxis und den Experimenten immer wieder auf die Theorie zurück, und er sucht eine Erweiterung der Wissenschaft, nicht eine blosse Vermehrung der bereits bekannten Produkte. In meinen Tafeln der Erfindung, welche den vierten Theil meiner Erneuerung bilden, und in den einzelnen Beispielen, die ich in dem zweiten Theile anführe, sowie in meinen Bemerkungen über Geschichte, welche der dritte Theil bringt, wird Jedermann bei mässigem Scharfsinn und Fleiss überall die Andeutungen und Beschreibungen von manchem bedeutenden Werke finden;Nämlich solchen Werken, die noch unbekannt sind, und deren Konzeption die eigne That von Baco ist. aber trotzdem bekenne ich offen, dass die Naturkunde, welche ich aus den Büchern und eignen Untersuchungen mir erworben habe, noch nicht so vollständig und zuverlässig ist, um für eine richtige Auslegung zu genügen und auszuhelfen. Ist daher Jemand schon durch die blosse Uebung in Versuchen zu mechanischen Arbeiten geschickt und geneigt, und ist er scharfsinnig in Erfindung von Werken, so mag er sich dem ergeben, und er wird aus meiner Geschichte und meinen Tafeln Vieles gleichsam im Vorbeigehen abpflücken und zu seinen Werken benutzen können und so zur Zeit die Zinsen beziehen, bis er das Kapital erlangen kann. Ich habe indess Grösseres in Absicht und verdamme deshalb jeden leichtsinnigen und unzeitigen Aufenthalt in diesen Dingen, die an die oft genannten Aepfel der Atalanta erinnern. Ich verlange nicht kindisch nach den goldenen Aepfeln, sondern setze Alles auf den Sieg im Wettlauf der Kunst mit der Natur, und eile nicht, das Moos oder die grüne Saat vorschnell zu mähen, anstatt die reife Frucht zu ernten.

118.

Sicherlich wird Mancher bei dem Durchlesen meiner Geschichte und meiner Tafeln für die Erfindungen einzelnes Unsichere und Falsche in den Versuchen antreffen und deshalb glauben, dass meine Entdeckungen auf falschen oder schwankenden Grundlagen und Prinzipien ruhen. Allein dies will nichts sagen, und dergleichen ist im Anfange unvermeidlich. Es ist ebenso, als wenn in Schrift und Druck ein oder der andere Buchstabe falsch gestellt oder eingeordnet ist; dies stört den Leser wenig, da der Sinn leicht den Irrthum verbessern lässt. Vielleicht meint man auch, dass in meine Naturgeschichte viele falsche Versuche aufgenommen sein mögen, die dann durch die später entdeckten Ursachen und Gesetze widerlegt und beseitigt werden würden. Allein wenn in der Naturgeschichte und in den Versuchen grosse, zahlreiche und fortgehende Irrthümer sich befänden, so würde der Verstand und die Kunst auch im glücklichsten Falle sie nicht verbessern und berichtigen können. Wenn in meiner Naturgeschichte, wo Alles mit grossem Fleiss, Strenge und mit beinah abergläubischer Vorsicht geprüft und gesammelt worden ist, dennoch im Einzelnen manches Falsche und mancher Irrthum sich findet, was soll man dann von der gewöhnlichen Naturgeschichte erwarten, welche bisher und vor der meinigen mit solcher Nachlässigkeit und Leichtsinn zusammengestellt worden ist, oder von der Philosophie und den Wissenschaften, die auf solchem Sand oder vielmehr auf solchen Untiefen errichtet sind. Deshalb mag sich also Niemand durch dergleichen Bedenken irre machen lassen.

119.

In meiner Geschichte und meinen Versuchen kommt manches Geringe und Gemeine vor; auch manches Niedrige und Rohe; selbst manches Spitzfindige und rein Spekulative und scheinbar Unnütze; dies kann möglicher Weise von dem Studium derselben abwendig machen. Indess möge man in Betreff des sogenannten Gewöhnlichen bedenken, dass man bisher allerdings nur die Ursachen des Seltenen auf das, was häufiger vorkommt, bezogen und letzterem angepasst, aber nach den Ursachen dessen, was häufig geschieht, nicht gefragt hat; vielmehr gilt dies als zugestanden und anerkannt. So fragt man nicht nach der Ursache der Schwere, der Umdrehung der Himmelskörper, der Wärme, der Kälte, des Lichts, des Harten, des Weichen, des Lockern, des Dichten, des Flüssigen, des Festen, des Lebendigen, des Leblosen, des Aehnlichen und des Unähnlichen, selbst nicht nach der Ursache des Organischen, vielmehr wird das Alles für klar und deutlich angesehen; man streitet und urtheilt nur über das, was nicht so häufig vorkommt und nicht so bekannt ist. Ich weiss jedoch, dass man über seltene und auffallende Dinge weder urtheilen noch Neues entdecken kann, wenn man nicht die Ursachen des Gewöhnlichen und die Ursachen dieser Ursachen erforscht und gefunden hat, und deshalb muss ich auch die gewöhnlichsten Dinge in meine Naturgeschichte mit aufnehmen.Es ist dies einer der bedeutendsten Gedanken Baco's, der durch die Geschichte aller Wissenschaften seine Bestätigung erhält. In dem folgenden Artikel wird er ausführlicher dargelegt. Nichts ist der Philosophie hinderlicher gewesen, als dass man bei allen bekannten und häufigen Vorkommnissen sich um deren Betrachtung nicht gekümmert, sondern sie obenhin angenommen hat, ohne nach ihren Ursachen zu fragen. So kommt es, dass die Belehrung über unbekannte Dinge meist nicht so nöthig ist als die Aufmerksamkeit auf bekannte.

120.

Was nun den Nutzen der Dinge anlangt, so gehören hässliche Dinge, für deren Nennung, wie PliniusDie Stelle findet sich im Eingang seiner Naturgeschichte und lautet: Rerum natura, hoc est, vita narratur, et haec sordidissima sua parte, ut plurimarum verum aut rusticis vocabulis, aut externis, imo barbaris, etiam cum honoris praefatione ponendis. sagt, man erst um Erlaubniss bitten muss, ebenso in meine Naturgeschichte wie die schönsten und kostbarsten. Die Naturgeschichte wird davon nicht beschmutzt; die Sonne dringt ebenso in Paläste wie in Kloaken, ohne sich zu beschmutzen, und ich will nicht ein Kapitol oder eine Pyramide dem menschlichen Stolze erbauen und weihen, sondern ich will einen heiligen Tempel nach dem Muster der Welt in dem menschlichen Geiste begründen. Deshalb folge ich auch jedem einzelnen Gegenstande. Was des Seins würdig ist, ist auch des Wissens würdig, denn das Wissen ist das Bild des Seins, und das Gemeine hat Dasein wie das Schöne. So wie selbst aus widrigen Stoffen, aus Moschus und Zibeth oft die schönsten Gerüche entwickelt werden, so bricht mitunter aus niedrigen und schmutzigen Gegenständen Licht und Belehrung in hohem Maasse hervor. Doch genug davon, da diese Art von Widerwillen nur für Kinder und Weiber gehört.

121.

Dagegen verdient es eine sorgfältigere Erklärung, dass in meiner Geschichte der gewöhnlichen Auffassung und dem nur an Gegenwärtiges gewöhnten Verstande Vieles als gesucht oder nutzlos vorkommen wird. Hierbei kann ich vor Allem nur sagen, dass ich von Anfang ab bis jetzt nur lichtbringende, aber nicht fruchtbringende Versuche gemacht habe, nach dem Beispiel der Schöpfung Gottes, welcher, wie gesagt, am ersten Tage nur das Licht erschuf, diesem einen ganzen Tag einräumte und kein stoffliches Werk an diesem Tage einmengte.

Hält man dergleichen für nutzlos, so ist es ebenso, als wenn man das Licht für nutzlos halten wollte, weil es an einem stofflichen und festen Gegenstande fehlt. Eine wohl geprüfte und bestimmte Erkenntniss der einfachen Eigenschaften gleicht aber dem Licht; sie gewährt den Eingang, durch den man zu Allem dringen kann; sie umfasst und zieht mit ihrer Macht ganze Massen und Haufen von Werken und die Quelle für die vornehmsten Lehren nach sich, wenn sie auch an sich selbst von keinem grossen Nutzen ist. So sind auch die Buchstaben für sich und einzeln ohne Bedeutung und Nutzen, und doch sind sie gleich den Urstoffen für die Bildung und Einrichtung einer Rede unentbehrlich. Auch der Samen der Dinge mit seiner starken Kraft ist ausserhalb seines Prozesses zu nichts nütze, selbst die Strahlen des Lichts verbreiten in ihrer Zerstreuung und ohne Zusammentreffen keinen Segen.

Wenn aber Jemand an der spekulativen Spitzfindigkeit Anstoss nimmt, was müsste der von den Scholastikern sagen, die solchen Spitzfindigkeiten im Uebermaass sich überlassen haben. Dabei bewegten sich ihre Spitzfindigkeiten nur in Worten oder, was ebenso viel ist, in bekannten Begriffen, nicht in den Dingen und in der Natur; dergleichen waren nicht blos im Beginn, sondern auch in ihrem Fortgange ohne Nutzen. Ihre Spitzfindigkeiten gleichen nicht den meinigen, die zwar anfangs keinen Nutzen, aber in ihren Folgen einen unendlichen Nutzen zeigen.

Man sei überzeugt, dass aller Scharfsinn im Disputiren und Reden, der den entdeckten Lehrsätzen nur nachfolgt, verspätet und verkehrt ist; die wahre und passende oder wenigstens die vornehmste Zeit für das scharfe, in das Finstere eindringende Denken ist die, wo die Erfahrung erwogen und die Lehrsätze festgestellt werden sollen. Jene scholastischen Spitzfindigkeiten pressen und drücken die Natur, aber sie erfassen und verstehen sie nicht. Der Ausspruch über die Gelegenheit oder das Glück, dass es an der Stirn behaart, aber am Hinterkopfe kahl sei, gilt auch, wenn man ihn auf die Natur überträgt. Wenn man in der Naturgeschichte das Gewöhnliche, Niedrige, sehr Feine und scheinbar Nutzlose verachtet, so gilt dafür der Ausspruch jener Frau, welche, als ein übermüthiger Fürst ihre Bitte nicht erhören wollte, weil der Gegenstand zu werthlos und für seine Majestät zu niedrig sei, ihm gleich einem Orakel sagte: »So höre auf, ein König zu sein!« Wer diesen Dingen wegen ihrer Gemeinheit und Niedrigkeit keine Aufmerksamkeit zuwenden will, der wird sicherlich die Herrschaft über die Natur weder erlangen noch führen können.

122.

Man wird auch vielleicht entgegnen, dass ich etwas Schweres und Wunderbares beginne, wenn ich alle Wissenschaften und alle Lehrer mit einem Schlage beseitige, ohne einen der Alten zur Hülfe und Unterstützung herbeizuholen, und auf meine eigne Kraft allein mich verlasse.

Es würde mir nun allerdings, wenn ich weniger offen verfahren wollte, nicht schwer geworden sein, das, was ich gesagt, auf alte Zeiten, noch vor den Griechen zurückzuführen, in denen die Naturwissenschaften vielleicht in grösserer Blüthe, wenn auch mehr im Verborgenen, standen, da sie noch nicht in die Pfeifen und Hörner der Griechen gerathen waren;Ein bildlicher Ausdruck für die Ruhmredigkeit und das Ausposaunen philosophischer Sätze, welches Baco den Griechen zur Last legt. oder ich hätte Einzelnes selbst auf die Griechen zurückführen und so mir Ehre und Beistimmung verschaffen können, nach der Weise neu aufkommender Männer, die sich aus irgend einem alten Stammbaum durch der Genealogen Gunst einen Adel aufbauen und beilegen. Allein ich habe mich auf die Anschaulichkeit der Dinge verlassen und alle Mittel der Erdichtung und des Betruges gescheut. Auch ist es für meine Aufgabe gleichgültig, ob das, was entdeckt werden soll, schon den Alten bekannt war, und ob es im Wechsel der Dinge und Zeiten zum Aufgehenden oder zum Untergehenden gehört; wie es ja auch keine Sorge machen kann, ob jene Insel Atlantis ein neuer Erdtheil ist, und ob sie den Alten schon bekannt war, oder erst jetzt entdeckt worden ist.Atlantis galt den Griechen als eine Insel, so gross wie Lydien, im Atlantischen Ozean, jenseit der Säulen des Herkules, welche nach glänzenden Zeiten plötzlich in einer Nacht in das Meer versunken sei. Man streitet, ob darunter die kanarischen oder azorischen Inseln oder St. Helena oder das Festland Amerika zu verstehen sei. Baco scheint hier Atlantis auf Amerika zu beziehen. Denn die Entdeckungen hat man in dem Lichte der Natur und nicht in der Finsterniss der alten Zeit zu suchen. Was aber jenen allgemeinen Vorwurf anlangt, so wird Jeder, der sich die Sache recht überlegt, ihn für wahrscheinlicher und bescheidener halten, als wenn er nur gegen Einzelnes erhoben worden wäre. Hätten die Irrthümer nicht die obersten Begriffe betroffen, so hätte manche richtige Erforschung andere schlechte verbessern müssen; allein da der Irrthum die Grundlagen betraf und man dadurch die Dinge mehr vernachlässigte und übersah, als falsch und schlecht beurtheilte, so kann man sich nicht wundern, wenn man da nichts erreicht hat, wo man nichts gethan hatte; wenn man das Ziel nicht erlangt hat, da man sich keines vorgesetzt und aufgestellt hatte, und wenn man auf dem Wege nicht zu Ende gekommen ist, da man ihn nicht betreten und inne gehalten hatte.

Was den Vorwurf der Anmaassung anbetrifft, so wird allerdings, wenn Jemand aus freier Hand und mit blossem Auge eine Linie gerader oder einen Kreis vollkommener ziehen zu können behauptet als ein Anderer, man zu einer Vergleichung der Geschicklichkeiten veranlasst; behauptet aber Jemand, dass er mittelst des Lineals oder des Zirkels eine Linie gerader oder einen Kreis vollkommener, als ein Anderer nach dem blossen Augenmaasse, beschreiben könne, so wird man ihn allerdings für keinen Grosssprecher halten. Möge dies nicht blos für diesen meinen ersten Versuch und Anfang gelten, sondern auch für Die, welche sich der Sache später widmen. Denn meine Art, in den Wissenschaften Entdeckungen zu machen, stellt die Geister gleich und lässt für die Auszeichnung Einzelner wenig Raum, da Alles nach festen Regeln und Beweisen behandelt wird. Was ich geleistet habe, ist deshalb, wie ich bereits zu Oefterem gesagt, mehr das Ergebniss des Glückes als der Geschicklichkeit, mehr die Geburt der Zeit als des Geistes. Denn der Zufall herrscht sicherlich ebenso in dem Denken des Menschen wie in seinen Werken und Thaten.

123.

Deshalb gilt von mir jener die Sache so gut treffende Scherz: »Es ist unmöglich, dass Die, welche Wasser und welche Wein trinken, den gleichen Geschmack empfinden.«Ist die Aeusserung des Atheniensischen Redners Philokrates gegen seinen Gegner, den berühmten Demosthenes. Bisher hat man in alten und neueren Zeiten den rohen Saft von den Wissenschaften gleich dem Wasser getrunken, wie er von selbst aus dem Verstande träufelte oder wie er durch die Dialektik wie aus einem Brunnen mittelst des Rades geschöpft wurde.Kuno Fischer meint, dass Baco unter dem »aquam sponte ex intellectu manantem« die Syllogistik und unter »aquam per dialecticam tanquam per rotas ex puteo haustam« die Erfahrung verstanden habe, die aus wenigen Thatsachen gleich zu den höchsten Axiomen auffliegt. Allein Baco kann es auch umgekehrt gemeint haben; die aqua ex intellectu sponte manans kann auch die gewöhnliche, sich von selbst machende Erfahrung (Induktion) aus wenigen Fällen bedeuten, und die aqua per dialecticam hausta den syllogistischen Kunstbau, der aus diesem schlechten Material roher Erfahrung aufgerichtet ist. Ich aber trinke und setze ein Getränk vor, was aus zahllosen Trauben gezogen ist, die reif und gezeitigt waren, einzeln ausgelesen und abgesucht worden, dann in der Kelter gepresst und zuletzt in den Fässern geklärt und gereinigt worden sind. Es kann deshalb nicht auffallen, wenn ich mit den Anderen nicht übereinstimme.Die zahllosen Trauben sind die einzelnen Fälle, welche bei der induktiven Methode gesammelt und durch die Mittel der Ausschliessung der Fälle und Veränderung der Versuche zu dem reinen Wein allgemeiner Wahrheiten gekeltert und geklärt werden.

124.

Wahrscheinlich wird man mir auch entgegnen, dass ich nicht das wahre und beste Ziel für die Wissenschaften aufgestellt habe, obgleich ich doch dasselbe bei Anderen tadele. Denn die Betrachtung der Wahrheit stehe viel höher und sei werthvoller als alle Nützlichkeit und Grösse der einzelnen Dinge; jenes lange und absichtliche Verharren bei der Erfahrung, bei dem Stoff und den Schwankungen der einzelnen Dinge fessele den Geist gleichsam an den Boden, stürze ihn in eine Hölle voll Verwirrung und Störung und hemme und trenne ihn von der Heiterkeit und Ruhe der reinen Weisheit, welche ein viel götterähnlicherer Zustand sei.

Diesem Vorwurf stimme ich gern bei, denn gerade das, was man dabei im Sinne hat und bezweckt, ist das, was ich vorzugsweise und vor Allem betreibe. Denn ich gründe das Bild der Welt in dem menschlichen Geiste so, wie sie besteht, und nicht, wie sie Jeder aus seinen eigenen Sinnen sich ausgedacht hat. Dies kann aber ohne die sorgfältigste Zerlegung und Zertheilung der Welt nicht geschehen. Deshalb verlange ich die Beseitigung jener thörichten Modelle und Nachäffungen der Welt, welche man in den philosophischen Systemen phantastisch aufgerichtet hat. Man bedenke nur, wie ich schon oft bemerkt, den grossen Unterschied zwischen den Götzenbildern des menschlichen Geistes und den Ideen des göttlichen Geistes. Jene sind nur willkürliche Abstraktionen, diese sind aber die wahren Zeichen des Schöpfers an seinen Geschöpfen, dem Stoffe durch wahre und ausgewählte Linien eingezogen und eingebildet. Deshalb sind gerade die Dinge selbst die Wahrheit und der Nutzen, und die Werke sind höher als Pfänder der Wahrheit zu schätzen, als weil sie die Annehmlichkeiten des Lebens erhöhen.

125.

Man wird mir vielleicht auch entgegnen, ich bleibe nur auf der betretenen Bahn, und schon die Alten hätten denselben Weg wie ich eingeschlagen. Man wird deshalb wahrscheinlich glauben, dass auch ich, nach so viel Vorbereitung und Zurüstung, doch endlich bei einem jener philosophischen Systeme anlangen werde, welche bei den Alten gegolten haben. Denn auch diese hätten, sagt man, im Beginn ihrer Forschungen sich eine grosse Menge wichtiger Beispiele und einzelner Fälle gesammelt und in ihren Schriften nach Titeln und Abtheilungen geordnet und von da aus ihre Systeme und ihre Kunst entwickelt. Erst nachdem sie diese Sachen erkannt, hätten sie darüber Aussprüche gethan und diese mit Beispielen zur Erläuterung und Bestätigung hier und da belegt; dagegen hätten sie es für überflüssig und lästig gehalten, die Bemerkungen über das Einzelne und die Nachträge und Erläuterungen dazu bekannt zu machen; vielmehr hätten sie es wie bei den Bauten gemacht, wo man ebenfalls nach vollendetem Bau die Maschinen und Leitern von dem Platze entferne.

Allerdings muss man annehmen, dass sie so verfahren sind. Wer indess das Frühere noch im Gedächtniss hat, kann auf diesen Einwurf oder vielmehr auf diese Bedenken leicht antworten. Die Art, wie die Alten ihre Forschungen und Erfindungen betrieben, haben sie selbst beschrieben, und sie kann aus ihren Schriften entnommen werden. Man schwang sich dabei von einzelnen Fällen und Beispielen mit Hinzunahme einiger bekannten Begriffe und einiger Sätze aus den herrschenden Meinungen, wie sie am meisten gefielen, gleich zu den allgemeinsten Schlüssen und Prinzipien der Wissenschaften auf. Die Wahrheit dieser Prinzipien galt dann für fest und unerschütterlich, aus ihnen wurden dann die niederen Sätze abgeleitet und bewiesen, und so die Kunst gebildet. Wurden später neue Fälle oder Beispiele gefunden und beigebracht, die mit diesen Annahmen sich nicht vertrugen, so wurden sie durch spitzfindige und künstliche Unterscheidungen und Erklärungen der Regeln darin untergebracht oder auf grobe Weise als Ausnahmen beseitigt. Dagegen wurden die Ursachen der nicht entgegenstehenden Fälle umständlich und mühsam jenen Prinzipien angepasst. Aber ihre Naturgeschichte und Erfahrung war durchaus nicht so, wie sie sein sollte, und jenes sofortige Hinaufschwingen zu dem Allgemeinsten hat Alles verdorben.

126.

Man wird mir vielleicht auch entgegnen, dass ich mit meiner Forderung, nicht sofort abzusprechen und die Prinzipien festzustellen, sondern durch die mittleren Stufen zu dem Allgemeinsten richtig vorzuschreiten, eine Enthaltung des Urtheils vertheidige und so mit den alten Skeptikern zusammentreffe. Allein ich bereite und verlange nicht ein Enthalten, sondern ein Wohlverhalten des Urtheils. Die Sinne verleugne ich nicht, sondern unterstütze sie, und den Verstand verachte ich nicht, sondern leite ihn. Es ist besser, dass man weiss, was die Aufgabe fordert, und nicht schon meint, sie ganz zu wissen, als dass man sie ganz zu wissen meint und doch von dem, was nöthig ist, noch nichts weiss.

127.

Man wird auch, wenn nicht als Einwand, doch als Zweifel hinstellen, ob ich hier blos von der Naturphilosophie spreche, oder auch von den übrigen Wissenschaften, und ob auch die Logik, die Ethik, die Politik auf dem von mir verlangten Wege vollendet werden solle.

Allerdings soll das von mir Gesagte für Alles gelten. So wie schon die gewöhnliche Logik, welche durch den Syllogismus regiert, nicht blos auf die Natur-Wissenschaft, sondern auf alle sich erstreckt, so umfasst auch die meinige, welche durch die Induktion vorschreitet, sie alle. Denn meine Naturgeschichte und meine Tafeln der Erfindung umfassen auch den Zorn, die Furcht, die Schaam und Aehnliches; auch die Fälle des bürgerlichen Lebens. Sie enthalten ebenso die geistigen Vorgänge des Gedächtnisses, des Verbindens, des Trennens, des Urtheilens u. s. w., wie das Warme, das Kalte, das Licht, das Wachsthum und Aehnliches. Allein meine Art zu erklären sieht, nachdem die Geschichte vorbereitet und geordnet ist, nicht blos auf die Bewegungen und Wendungen des Geistes, wie die gewöhnliche Logik, sondern auch auf die Natur der Dinge; ich leite den Verstand so, dass er sich der Natur der Dinge auf alle entsprechende Weise anpassen kann. Deshalb lehre ich bei der Darstellung meiner Kunst der Erklärung Vieles und Mancherlei, was sich auf die Entdeckung der Beschaffenheit des Zustandes und der Art des Gegenstandes, um den es sich handelt, nach irgend einer Seite hin bezieht.Nach diesem Artikel erklärt Baco seine induktive Methode auch auf die Vorgänge in der Seele und auf die Gebiete der Ethik und des Rechts für anwendbar. Dies ist ein sehr bedeutender Gedanke, der nur berechtigt ist, wenn man die Moral und das Recht ebenfalls als ein Natürliches und nach Naturgesetzen Entstandenes auffassen kann. Ob diese zulässig und möglich, und wie es auszuführen ist, dies lässt Baco völlig unerörtert, obgleich es die Hauptsache ist. Auch bleibt die Anwendung seiner Methode auf das Gebiet des Sittlichen in diesem Werke ganz aus. Baco's Gedanke hat gewiss seine Wahrheit, allein zur Begründung gehört die schwierige Ableitung des Soll (Pflicht) aus dem Ist, welche Kant mit grosser Entschiedenheit als unzulässig behauptet, und worin ihm alle ethischen Systeme mit Ausnahme der Hedoniker zustimmen, da sie alle von einem Vernunftprinzip ausgehn, welches den Inhalt des Sittlichen und seine verpflichtende Kraft aus sich entwickeln soll. Ein Versuch, das sittliche Soll aus dem Ist oder dem Seienden nach allen seinen Richtungen abzuleiten und so dem Baconischen Gedanken die feste Stütze und weitere Ausführung zu geben, ist B. XI. der Phil. Bibl. gemacht worden.

128.

Es wäre Unrecht, wenn man meinte, dass ich die Philosophie, die Künste und Wissenschaften, deren man bedarf, zerstören und verwüsten wolle; im Gegentheil liegt deren Anwendung, Anbau und Ehre mir am Herzen. Ich will in keiner Weise hinderlich sein, dass die einmal zur Geltung gekommenen Wissenschaften, welche die Disputationen ernähren und die Reden verzieren, für die bestehenden Lehrämter und zum Besten der bürgerlichen Verhältnisse benutzt werden und in Geltung bleiben und wie gewisse Geldstücke nach dem Uebereinkommen unter den Menschen umlaufen; ja, ich erkläre sogar offen, dass das, was ich beibringe, dazu wenig beitragen wird, weil es dem grossen Haufen nur durch die Wirkungen und Werke begreiflich gemacht werden kann.

Wie aufrichtig ich es meine, wenn ich von meiner Liebe und meinem guten Willen für die hergebrachten Wissenschaften spreche, das erhellt aus meinen in die Oeffentlichkeit gelangten Schriften, vorzüglich aus den Büchern über den Fortschritt der Wissenschaften.Es ist Baco's Buch: »Advancement of learning« gemeint, da dessen lateinische Ueberarbeitung »De augmentis scientiarum« erst drei Jahre nach dem »Organon« erschien. Ich werde deshalb in dieser Hinsicht mit Worten nichts weiter auszuführen suchen. Allein ich behaupte wiederholt und ausdrücklich, dass auf die jetzt übliche Weise keine grossen Fortschritte in den Lehren und in der Betrachtungsweise der Wissenschaften geschehen, und dass sie zu grossen Werken nicht führen werden.

129.

Noch bleibt mir Einiges über die Vortrefflichkeit meines Zieles zu sagen. Hätte ich es eher gethan, so hätte es mehr als ein frommer Wunsch erscheinen können; aber jetzt, wo die Hoffnung begründet und falsche Vorurtheile beseitigt worden sind, wird es grösseres Gewicht haben. Hätte ich selbst schon Alles vollendet und zu Ende gebracht, und müsste ich nicht Andere zur Theilnahme und Gemeinschaft der Arbeit einladen, so würde ich dergleichen vermeiden, da es leicht als eine Anpreisung meiner Verdienste ausgelegt werden kann. Allein da ich die Thätigkeit Anderer zu schärfen und die Geister zu wecken und zu entzünden habe, so ist es nöthig, Einiges hierüber den Menschen vorzuhalten.

Erstens scheint die Einführung bedeutender Erfindungen bei Weitem die erste Stelle unter den menschlichen Handlungen einzunehmen. Schon die alten Zeiten sind dieser Meinung gewesen; denn man erwies den Entdeckern von Neuem göttliche Ehre, während Die, welche sich in bürgerlichen Dingen verdient gemacht hatten, wie die Begründer von Staaten und Reichen, die Gesetzgeber, Die, welche das Vaterland von langen Uebeln befreit oder Tyrannen bekämpft hatten u. s. w., nur die Ehren von Heroen erhielten. Und man wird bei richtiger Vergleichung dies Urtheil der alten Zeiten ganz angemessen finden. Denn die Wohlthaten der Erfinder fallen dem ganzen menschlichen Geschlechte zu, während die bürgerlichen Wohlthaten nur bestimmten Ländern zu Gute kommen. Auch dauern diese nicht über einige Menschenalter hinaus; jene aber in alle Ewigkeit. Auch kann die Verbesserung der bürgerlichen Zustände in der Regel nicht ohne Gewalt und Störung geschehen, aber die Erfindungen beglücken und thun wohl, ohne Jemand zu verletzen oder zu betrüben. Die Erfindungen gleichen neuen Schöpfungen und sind Nachahmungen der göttlichen Werke, wie der Dichter singt:

Den bekümmerten Sterblichen hatte fruchtbringende Saaten
Einst das berühmte Athen, zuerst unter Allen, gegeben;
Dies hat Gesetze gemacht und neues Leben geschaffen.Die Stelle findet sich in Lucrez' Gedicht: »De rerum Natura«, VI. 1-3.

Auch ist es merkwürdig, dass selbst Salomo in der Blüthe seiner Macht, wo Gold, prächtige Bauwerke, Dienerschaft und Mannschaft, eine Flotte, der Ruhm seines Namens und die Bewunderung der Menschen ihm zugehörte, den Ausspruch that: »der Ruhm Gottes sei, die Dinge zu verhüllen; der Ruhm der Könige sei, die Dinge zu erforschen.«Der Ausspruch befindet sich in dem Alten Testament, Sprüchwörter XXV. 2.

Man erwäge auch den grossen Unterschied, der zwischen der Lebensweise in einem gebildeten Lande Europa's und dem in einer wilden und barbarischen Gegend des neuen Indiens besteht. Man wird diesen Unterschied so gross finden, dass man mit Recht sagen kann, der Mensch ist für den Menschen ein Gott, nicht blos wegen der Hülfe und der Wohlthaten, sondern auch für die Lehenszustände überhaupt, und dies bewirken nicht der Himmel, nicht die Körper, sondern allein die Kunst. Auch ist es gut, wenn man die Kraft, die Güte und die Folgen der Erfindungen betrachtet; nirgends tritt dies deutlicher hervor, als bei jenen dreien, die dem Alterthum unbekannt waren, und deren Anfänge, obgleich sie in die neuere Zeit fallen, doch dunkel und ruhmlos sind; nämlich die Buchdruckerkunst, das Schiesspulver und der Kompass. Diese drei haben die Gestalt der Dinge und die menschlichen Zustände auf der Erde verändert; die eine in den Wissenschaften, die andre im Kriegswesen und die dritte in der Schifffahrt. Zahllose Veränderungen sind ihnen gefolgt, und keine Herrschaft, keine Sekte, kein Gestirn scheint je grössere Wirkung und grösseren Einfluss auf die menschlichen Verhältnisse ausgeübt zu haben als diese mechanischen Dinge.

Es lassen sich in Bezug auf die hier behandelten Fragen drei Arten oder Grade des Ehrgeizes bei den Menschen unterscheiden. Bei der ersten Art will man seine eigne Macht in seinem Vaterlande vermehren; das ist die gemeine und niedrige Art; bei der zweiten soll die Macht und Herrschaft des Vaterlandes über das menschliche Geschlecht erhöht werden; diese Art hat grössern Werth, aber auch grössere Begierden. Will dagegen Jemand die Macht und Herrschaft des menschlichen Geschlechts selbst über die Natur erneuern und erweitern, so ist diese Art des Ehrgeizes, wenn man ihn so nennen kann, gesunder und edler als alle anderen. Nun beruht aber die Herrschaft des Menschen über die Dinge blos auf den Künsten und Wissenschaften. Denn man kann der Natur nur gebieten, wenn man ihr gehorcht. Schon der Nutzen einer einzelnen Erfindung hat die Menschen oft so erregt, dass sie den Erfinder, weil er das ganze menschliche Geschlecht sich durch eine Wohlthat verpflichtete, für ein Wesen höherer Art gehalten haben; wie viel erhabener erscheint es da, das zu erfinden, was alle anderen Erfindungen erleichtert?Nämlich die induktive Methode in der neuen Gestalt, die ihr Baco gegeben hat. Demnach muss ich gestehen, dass ich dem Lichte zwar sehr dankbar bin, weil ich dadurch den Weg finden, die Kunst üben, lesen und die Menschen erkennen kann; aber dennoch ist die Betrachtung des Lichtes selbst eine viel vortrefflichere und schönere Sache als sein mannichfacher Nutzen. Ganz ebenso ist auch die blosse Betrachtung der Dinge, wie sie sind, ohne Aberglauben und Betrug, ohne Irrthum und Verwirrung in sich selbst werthvoller als die Früchte aller Erfindungen.Diese wichtige Stelle zeigt, dass Baco nicht überall es blos auf den Nutzen bei Erneuerung der Wissenschaften abgesehen hatte; wenn er anderwärts die Werke und die Praxis betont, so geschieht es nur im Gegensatz gegen das nutzlose Spiel des Disputirens und scholastischer Spitzfindigkeiten.

Wenn endlich Jemand den Verfall der Wissenschaften und Künste der Bosheit, dem Luxus und Aehnlichem zur Last legt, so möge dies Niemand glauben. Denn dies kann man von allen irdischen Gütern sagen; vom Verstand, von der Tapferkeit, den Kräften, der Gestalt, dem Reichthum, selbst von dem Lichte und Anderem. Möge nur das menschliche Geschlecht erst sein Recht über die Natur wieder gewinnen, was ihm nach der göttlichen Verleihung gebührt, und möge es dieses Recht voll ausüben. Den rechten Gebrauch wird dann die gesunde Vernunft und die Religion schon bestimmen.

130.

Es ist nun Zeit, dass ich die Kunst der Naturerklärung selbst darlege. Ich glaube das Nützlichste und Wahrste in ihr vorzutragen; allein deshalb behaupte ich doch nicht, dass sie so unbedingt nothwendig sei, und dass ohne sie nichts vollbracht werden könnte, und dass sie vollkommen sei. Vielmehr würde, wenn man sich die wahre Kunde von der Natur und den Erfahrungen immer gegenwärtig hielte, sich damit vertraut machte und sich zu Zweierlei bequemte, einmal, die angenommenen Vorurtheile abzulegen und dann zur Zeit den Geist von den allgemeinsten und diesen nächsten Grundsätzen noch zurückzuhalten, man durch die eigne, echte Kraft des Geistes allein, ohne weitere künstliche Anleitung, zu meiner Erklärungsweise gelangen. Denn diese Erklärung ist nur die wahre und natürliche That des Geistes, nachdem man die Hindernisse weggeräumt hat. Indess wird durch meine Vorschriften Alles zugänglicher und zuverlässiger werden; aber ich behaupte deshalb nicht, dass ihnen nichts zugesetzt werden könnte; vielmehr muss ich, der ich den Geist nicht in seiner Kraft für sich, sondern in seiner Verbindung mit den Dingen betrachte, anerkennen, dass mit den Erfindungen auch die Kunst des Erfindens wachsen könne.

 


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