Ferdinand Avenarius
Gedichte
Ferdinand Avenarius

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Rolands Horn.

            Der König Karl beim Jubelmahl,
hoch schwang in der Hand er den goldnen Pokal:

»Lang lebe der Sieger, der heut noch fern,
Roland, mein Roland, der Streiter des Herrn!«

Da – bei der Becher Zusammenstoß,
wie Schatten sich's über die Wände goß

und als das jauchzende Hoch verscholl,
ein Dämmern über die Erde schwoll,

und weit, weit her es traurig hallt'
hinklagend über See und Wald...

Und als sie drängten zur Tür mit Macht,
da wuchs das Dunkel zur finstern Nacht,

und angstvoll durch die Luft herbei
rang sich's wie wilder Todesschrei...

Und als sie sich wandten entsetzt zum Thron,
da stöhnte zum drittenmal her ein Ton,

da zittert' es über Wald und See
wie aus verröchelnder Brust ein Weh...

Doch als der König sich bleich erhob,
blaß wieder ein Dämmern die Halle durchwob.

Und als er rief: »Verrat! Zu Roß!«
weiß wieder der Tag die Halle durchfloß.

Wohl jagten sie windschnell querfeldein,
rastlos bei Sonnen- und Sternenschein

hin bis zum Morgen nach Ronceval –
da kreischten die Krähen schon über dem Tal,

da lagen die Helden, die Wunden vorn,
und stumm er, Roland, zerborsten sein Horn.

 


 


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