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3. Ein Feldfrevel.

Im Hause des Landwirts Emil Faber, genannt der Wasserstiefel, war noch alles in lautloser Ruhe, nur die Tauben in ihrem Schlage gurrten nach Freiheit, und der Hahn krähte aus seiner Verborgenheit immer anhaltender. Mit Ausnahme des offenen Schuppens war das Haus noch ganz dasselbe, wie es Luzian verlassen; nur hatte alles eine frischere Farbe, und hieländisch fremde Pflüge und eine große Häckselmaschine zeigten, daß eine junge Kraft hier walte. Das Schlafzimmer der jungen Eheleute war nach dem ruhigen Grasgarten gelegen, wo ein Apfelbaum mit seinen rotbackigen Früchten fast in die Fenster hineinragte. Der lustige Pfiff einer Grasmücke hatte von dort aus den jungen Mann geweckt, der eben im Ankleiden begriffen war, als er das Erwachen seiner Frau wahrnahm.

»Guten Morgen, Pauline,« rief der junge Mann, »es ist noch früh, schlaf noch einmal und freue dich mit mir, heut ist Sonntag.«

»Ja, guter Emil, und heut gehst du mit mir in die Kirche?«

»Auch, aber ich freue mich auch mit dem Sonntag, weil es an diesem schönen Tag neugebackene Bretzeln gibt,« erwiderte der Mann mit kindischem Humor.

Die Frau erzählte, daß sie einen ängstlichen Traum gehabt: die wegen des Zehntpachtes aufrührerischen Bauern hätten das Haus angezündet, und niemand hätte retten und löschen wollen als der Franzseph, der endlich in den Flammen verschwunden sei.

»Ach,« schloß sie klagend, »ich habe mir das Landleben doch anders gedacht, und du bist auch so unnachgiebig und forderst durch den Zehntpacht noch die Tücke dieser rohen Menschen heraus. Du wirst sehen, sie bereiten uns irgendwo ein Verderben.«

»Das ist auch meine Ansicht, und eben darum hab' ich den Zehnt gepachtet. Man muß den Menschen einmal Gelegenheit geben, allen versteckten Groll, den sie in der Seele hegen, loszulassen. Ich bin der kleinen Plänkeleien, Tücken und Beinstellereien müde, sie müssen mir eine offene Schlacht liefern, ich bin darauf gefaßt. Wegen Brandstifterei sei ruhig, sie wagen nichts so Keckes und wissen auch, daß ich gut versichert habe und gern neu bauen möchte. Mit dem Franzseph werde ich aber in diesen Tagen ein ernstes Wort reden; er muß seinen dummen Soldatenstolz abthun.«

Der junge Mann, eine ungewöhnlich große Gestalt mit flachsblondem Haar, trat an das Bett seiner Frau, strich ihr mit der Hand über die Stirn und beruhigte sie durch trauliches Zureden, dann verließ er das Zimmer, ging hinab nach dem Hof, wo ihn der große Kettenhund mit Winseln und Sprüngen begrüßte, er band ihn los und sah nach dem Treiben der Knechte und Mägde, die sich mittlerweile auch aufgemacht hatten und sich zwischen den Tauben hin und her bewegten, die gurrend auf- und niederflatterten. Eben stand Faber bei einem neu eingetretenen Knechte und lehrte ihn die Häckselmaschine besser handhaben, als der Dorfschütz militärisch grüßend in den Hof trat.

»Was gibt's schon so früh?« fragte Faber.

»Euer Hopfenacker ist verruiniert. Soeben berichtet's der Flurwächter. Es steht kein' Stang mehr, und alle Ranken sind zerschnitten.«

Obschon der junge Landwirt soeben noch sich auf Tückisches gefaßt erklärt hatte, so verfinsterten sich dennoch plötzlich seine Mienen; er hätte vielleicht einen persönlichen Angriff leichter ertragen, als diese ruchlose Zerstörung einer mit besonderer Liebe gehegten Pflanzung. Der Hund schaute bald in das Antlitz seines Herrn, bald in das des Botschafters, gewärtig, den Befehl zum Angriff zu vollziehen; brummend und mit aufgesträubten Rückenhaaren umkreiste er den Dorfschütz, bis ihn sein Herr zur Ruhe verwies. Nachdem Faber auf die Frage, ob die Sache bereits amtlich angezeigt sei, bejahende Antwort erhalten, kehrte er zu seiner Frau ins Haus zurück, und bald sah man ihn, mit den hohen Wasserstiefeln angethan, der Hund vorauf, hinaus auf das Feld wandern. Die Kunde von dem Geschehenen hatte sich rasch verbreitet und das Dorf frühzeitig geweckt, denn überall an den Fenstern und vor den Häusern machten Männer und Frauen Zeichen des Mitleides und bezeigten bedauernd ihre Schuldlosigkeit gegen Faber, der ohne Anhalt mit großen Schritten fürbaß ging.

Bald sammelten sich Gruppen Lautredender auf den Straßen, und alle schimpften auf den Feldfrevler, den man entdecken müsse, damit er für den Schaden einstehe und nicht die Gemeinde dafür büßen müsse. Eine lärmende Gruppe hatte sich nicht weit von des Franzsephens Haus bei dem Brunnen gebildet, und hier hörte man vor allem die Stimme des Schultheißen, der unnachsichtliche Strenge verkündigte und alles aufbieten wollte, um den Missethäter zu entdecken. Der Schlägelbauer, der daneben stand, suchte ihn zu beruhigen und die Sache ins Spaßhafte zu ziehen, indem er schadenfroh lächelte; der Schultheiß aber rief:

»Und wenn du's selber than hast, lass' ich dich gleich einsperren.«

Die Mutter Franzsephs, von dem frühen Lärm erschreckt, kam herbei, ging auf die heftig Redenden zu und fragte, was geschehen sei, ob man von ihrem Franzseph etwas wisse, der heute die ganze Nacht nicht heimgekommen sei. Der Schlägelbauer winkte, aber die Mutter verstand ihn nicht, und jetzt schrie alles über den versteckten Faulenzer, an dem nun das Unglück hinausgehen werde, das er über das ganze Dorf bringen wollte. Während noch so alles untereinander tobte, sah man den Franzseph, mit der ungewohnten Pudelkappe auf dem Haupt, vom Berge herabkommen. Der Schultheiß befahl schnell dem Dorfschützen, ihm entgegen zu gehen und ihn gefangen zu nehmen, aber ein Kamerad Franzsephs war rascher als der nur langsam schlendernde alte Soldat, er sprang vorauf und rief Franzseph zu: »Lauf davon, du wirst eingesperrt.«

Franzseph aber schien diesen Zuruf nicht als ihm geltend zu betrachten, er schritt ruhig weiter, und als ihm der Dorfschütz, der jetzt bei ihm angelangt war, seine Verhaftung verkündigte, fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und lächelte ungläubig.

Der Schlägelbauer hatte die Mutter überreden wollen, nach Hause zu gehen und sich auf ihn zu verlassen, aber die Mutter ließ nicht von der Rotte, die sich auf jedem Schritt vergrößerte, den sie dem Franzseph entgegenging. Als sie ihn endlich vor sich hatten, wollte der Schultheiß in laute Schmähungen ausbrechen, aber der Schlägelbauer unterbrach ihn, bat ums Wort, ging auf Franzseph zu, faßte seine Hand, daß er in sich erbebte, und sagte fast ganz ohne Husten:

»Franzseph, ich hab' dir unrecht than, ich schäm' mich nichts und sag's frei vor allen Leuten. Ich hab' gemeint, du seist bloß ein so guter Tralle, der kein' Schneid' hat; jetzt hast du zeigt, daß du die rechte Schneid' hast. Dein' Sach' mag jetzt ausgehen, wie sie will, wenn du wiederkommst, weißt du, wo ich wohn'! Verstanden? Jetzt fürcht' dich nichts und sei standhaft.«

Die Mutter stand weinend neben ihrem Sohn und hielt ihre Hand auf seine Schulter gelegt. Franzseph wußte nicht, wie ihm geschah, ein Frösteln überkam ihn, daß er am ganzen Leib zitterte.

»Gestehst du, was du gethan hast?« fragte der Schultheiß.

»Ich weiß nicht, was es Euch angeht,« entgegnete Franzseph, und der Schlägelbauer trat wieder vor und sagte:

»Mein Franzseph leugnet nichts. Er ist ein Mann, der Courage hat, und versteckt sich nicht hinter der Heck. Gesteh du's nur. Ja, ich sag's für ihn, ja, mein Franzseph hat heut nacht des Wasserstiefels Hopfenacker abgeschnitten und umgestürzt und hat rechtschaffen recht daran gethan. Wir sind Manns genug, für den Schaden aufzukommen, wir brauchen den Gemeindebettel nicht, und die paar Wochen Straf' bringen ihn auch nicht um. Mein Franzseph hat Schneid' und ist kein guter Tralle. Jetzt laß ihn frei, Schultheiß, er entlauft dir nicht.«

Die Brust Franzsephs hob und senkte sich mit schwerem Atem, er drückte sich mit der Hand die Augen zu, als müsse er sich besinnen, ob er nicht träume.

»Du kannst nicht für ihn reden,« entgegnete der Schultheiß, »er wird selber das Maul bei sich haben; red' du selber, Franzseph, du bist immer ein guter Kerle gewesen, ich kann's noch nicht recht glauben.«

»Er ist kein guter Kerle,« unterbrach der Schlägelbauer.

»Ins Teufels Namen, laß ihn selber reden,« kreischte der Schultheiß, »ich will kein Wort mehr von dir.«

Franzseph schaute jetzt mit zusammengepreßten Lippen starren Blickes auf den Schlägelbauer; offenbar hat dieser in seinem Haß den Feldfrevel begangen und verlangt nun, daß sein Schwiegersohn für ihn einstehe. Franzseph war bereit dazu, obgleich er nicht recht wußte, was daraus werden solle, und es ihm tief wehe that, daß er, der allein Fabers Freund war, in dessen Augen als hinterlistiger Heuchler erscheinen müsse. Als aber jetzt auch der Schultheiß auf die Gutmütigkeit anspielte, regte sich ein seltsamer Stolz in Franzseph, und er rief laut: »Ich bin kein guter Kerle, ja, ja, ich hab alles than, was der Vetter Schlägelbauer sagt.« Alles war stumm vor Entsetzen, nur des Schultheißen Klaus, der eben mit einem Landjäger herzugetreten war, lachte laut auf.

Franzseph wurde dem Landjäger übergeben und nach der Amtsstadt abgeführt, der Schlägelbauer geleitete die weinende Mutter tröstend nach Hause.


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