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6. Von dem Riesen, der kein Herz im Leibe hatte

Es war einmal ein König, der hatte sieben Söhne, von denen hielt er so viel, daß er nicht leben konnte ohne sie; einer wenigstens mußte immer um ihn sein. Als die Söhne groß waren, sollten die sechs ältesten ausziehen und sich eine Frau suchen; den jüngsten aber wollte der Vater bei sich zu Hause behalten, und die andern sollten eine Prinzessinn für ihn mitbringen. Der König gab nun den sechs Prinzen die schönsten Kleider, die man sehen konnte, sie waren so schön, daß man den Glanz schon weit in der Ferne sah, und jedem gab er ein Pferd, das kostete viele, viele hundert Thaler, und damit reis'ten sie fort. Als sie nun an vielen Königshöfen gewesen waren und viele Prinzessinnen gesehen hatten, kamen sie endlich auch zu einem König, der sechs Töchter hatte; so schöne Königstöchter aber hatten die Prinzen noch nie gesehen, und jeder frei'te um eine von ihnen und bekam sie zur Braut, und darauf begaben sie sich mit den Prinzessinnen wieder auf den Heimweg zu ihrem Vater; sie waren aber in ihre Bräute so verliebt, daß sie es ganz vergaßen, auch eine Prinzessinn für Aschenbrödel mitzubringen, der zu Hause geblieben war.

Wie sie nun schon eine gute Strecke Weges zurückgelegt hatten, kamen sie an einer steilen Bergwand vorbei, wo ein Riesenschloß war. Der Riese kam heraus, und als er sie sah, verwandelte er sie alle in Stein, sowohl die Prinzen, als die Prinzessinnen. Der König wartete immerfort auf seine Söhne; aber wie lange er auch warten mochte, sie kehrten nicht zurück. Da ward der König sehr betrübt und konnte nimmer wieder froh werden. »Hätte ich nicht Dich noch,« sagte er zu Aschenbrödel: »so möchte ich gar nicht mehr in der Welt leben.« Aschenbrödel aber bat den König, daß er ihm erlauben möchte, fortzureisen, um seine Brüder wieder aufzusuchen. »Nein, das kann ich nicht,« sagte der König: »denn Du kommst nachher auch nicht wieder.« Aber Aschenbrödel wollte durchaus fort und bat seinen Vater so lange, bis er ihn endlich reisen ließ. Nun hatte der König aber kein andres Pferd für Aschenbrödel, als eine alte elende Kracke; denn die sechs andern Königssöhne hatten alle die andern Pferde bekommen. Das kümmerte Aschenbrödel aber wenig; er setzte sich auf seine alte Kracke und reis'te fort. »Lebe wohl, Vater!« sagte er, als er abreis'te: »ich werde schon wiederkommen, und vielleicht bringe ich dann meine Brüder auch mit.«

Als er ein Ende geritten war, traf er auf dem Wege einen Raben an, der lag da und schlug mit den Flügeln und konnte vor lauter Hunger und Mattigkeit nicht von der Stelle. »Ach, gieb mir doch ein Wenig zu essen,« sagte der Rabe: »dann will ich Dir auch wieder helfen, wenn Du mal in Noth kommst.« – »Ja, Viel hab' ich eben nicht,« sagte der Königssohn: »und Du siehst auch gar nicht darnach aus, daß Du mir große Hülfe leisten könntest; weil Du es aber so nöthig zu haben scheinst, will ich Dir wohl geben, Was ich vermag,« und darauf öffnete er seinen Ranzen und gab dem Raben zu essen. Wie er nun ein Ende weiter gereis't war, kam er zu einem Bach. Nicht weit davon lag ein großer Lachs, der auf das trockne Land gekommen war, und zappelte und konnte nicht wieder zurück ins Wasser. »Ach hilf mir doch wieder in's Wasser,« sagte der Lachs: »Ich will Dir auch wieder helfen, wenn Du mal in Noth kommst.« – »Ja, Deine Hülfe wird mir wohl nicht viel nützen,« sagte der Königssohn: »aber es wäre ja Sünde, Dich hier umkommen zu lassen,« und damit setzte er den Fisch wieder ins Wasser. Nun reis'te er ein gutes Ende weiter; da traf er auf dem Wege einen Wolf an, der lag da und wand und krümmte sich vor lauter Hunger. »Ach gieb mir doch Dein Pferd zu fressen,« sagte der Wolf: »denn ich bin so hungrig, daß mir der Magen schlottert, weil ich in zwei Jahren Nichts zu essen bekommen habe.« – »Nein,« sagte Aschenbrödel: »das kann ich nicht! Erst kam ich zu einem Raben, dem mußte ich mein Essen geben; darauf kam ich zu einem Lachs, dem mußte ich wieder ins Wasser helfen; und Du willst nun gar mein Pferd haben; das geht nicht, dann weiß ich nicht, wie ich meine Reise fortsetzen soll.« – »Ja, Du musst mir helfen,« sagte der Wolf: »Du kannst nachher auf mir reiten; ich will Dir auch wieder helfen, wenn Du mal in Noth kommst.« – »Ja, Was Du mir helfen kannst, hat wohl nicht Viel zu bedeuten,« sagte der Prinz: »aber nimm das Pferd nur hin, weil Du's doch so nöthig hast.« Als der Wolf das Pferd gefressen hatte, gab Aschenbrödel ihm das Gebiß ins Maul und legte ihm den Sattel auf den Rücken; denn der Wolf war jetzt so stark und so groß geworden von Dem, was er gefressen hatte, weit größer, als ein Pferd. Wie Aschenbrödel sich aufgesetzt hatte, legte der Wolf mit ihm los; aber so schnell hatte Aschenbrödel noch nie geritten. Als sie nun schon einen guten Weg hinter sich hatten, sagte der Wolf: »Wenn wir noch ein kleines Ende weiter gekommen sind, dann werde ich Dir das Riesenschloß zeigen.« Es dauerte nicht lange, so waren sie da. »Hier siehst Du das Schloß,« sagte der Wolf: »und dies hier sind Deine sechs Brüder, die der Riese in Stein verwandelt hat, und das da sind ihre sechs Bräute; dort siehst Du auch die Thür zu dem Schloß, und da musst Du hineingehen.« – »Nein,« sagte der Königssohn: »der Riese bringt mich um.« – »Sei nur ohne Furcht,« versetzte der Wolf: »denn wenn Du hineinkommst, triffst Du dort eine Prinzessinn an, die wird Dir wohl sagen, wie Du es machen musst, um den Riesen zu tödten; und thu dann nur, wie sie Dir sagt.« Aschenbrödel ging darauf hinein, und wie er durch mehre Zimmer gekommen war, saß in dem einen die Prinzessinn; aber eine so schöne Jungfrau hatte er noch nie gesehen. »Ach, Gott steh Dir bei!« sagte sie, als sie ihn erblickte: »Wie bist Du hier hereingekommen? Dein Tod ist Dir gewiß; denn hier wohnt ein Riese, den kann Niemand tödten, weil er kein Herz im Leibe hat.« – »Ich will es aber doch versuchen,« sagte Aschenbrödel: »denn darum bin ich hergekommen; und meine Brüder, welche hier in Stein verwandelt sind, wollte ich auch gern erretten, und Dich dazu, wenn ich könnte.« Wie nun die Prinzessinn ihn durchaus nicht überreden konnte, wieder fortzugehen, sagte sie zu ihm: »Laß uns denn zusehen, wie wir's am besten anfangen: Krieche hier unter dieses Bett, und da musst Du still liegen bleiben und genau zuhören, Was der Riese sagt, wenn ich ihn ausfrage.« Er kroch nun unter's Bett, und kaum war das geschehen, so kam der Riese an. » Hutetu! hier riecht's so nach Menschenfleisch!« rief er. »Ja, es flog hier eine Elster vorbei mit einem Knochen im Schnabel, den ließ sie durch den Schornstein fallen,« sagte die Prinzessinn: »ich habe mich zwar beeilt, ihn hinwegzuschaffen; aber es muß wohl noch der Geruch davon zurückgeblieben sein;« und damit war der Riese zufrieden gestellt. Als es Abend wurde, legten sie sich zu Bett, und wie sie eine Weile gelegen hatten, sagte die Prinzessinn: »Da ist Eins, wonach ich Dich gern fragen wollte, aber Du musst auch nicht böse werden.« – » Was ist denn das?« fragte der Riese. »O,« sagte sie: »ich möchte gern wissen, wo Du Dein Herz hast, weil Du es doch nicht bei Dir trägst.« – » Das ist Etwas, wonach Du nicht zu fragen brauchst,« sagte der Riese: » sonst liegt es dort unter der Thürschwelle.« – »Aha! da wollen wir's schon finden!« dachte Aschenbrödel, der unter dem Bett lag.

Am nächsten Morgen stand der Riese früh auf und streifte nach dem Wald zu. Kaum war er fort, so fingen Aschenbrödel und die Prinzessinn an, unter der Thürschwelle zu suchen; aber was sie auch suchen und graben mochten, so fanden sie doch Nichts. »Diesmal hat er uns angeführt,« sagte die Prinzessinn: »aber wir müssen's noch einmal versuchen.« Darauf pflückte sie die schönsten Blumen, die sie finden konnte, und bestreu'te damit die Thürschwelle, nachdem sie dieselbe vorher wieder in Stand gebracht hatten. Wie es um die Zeit war, daß sie den Riesen zu Hause erwarteten, mußte Aschenbrödel wieder unter's Bett kriechen. » Hutetu! hier riecht's so nach Menschenfleisch!« sagte der Riese, als er eintrat. »O, das ist wohl noch der Knochen von gestern,« sagte die Prinzessinn, und damit war der Riese zufrieden. Nach einer Weile fragte er, Wer denn all die schönen Blumen auf die Thürschwelle gestreu't hätte. »O, das habe ich gethan,« sagte die Prinzessinn. » Und wozu soll das?« fragte der Riese. »Meinst Du denn nicht, daß ich Dich so lieb habe, um die Schwelle mit Blumen zu bestreuen, wenn ich weiß, daß Dein Herz darunter liegt?« sagte die Prinzessinn. » Ah so!« sagte der Riese: » sonst liegt es aber nicht da.«

Als sie sich am Abend zu Bett gelegt hatten, bat die Prinzessinn ihn, er möchte ihr doch sagen, wo sein Herz wäre; denn sie hielt so viel von ihm, sagte sie, und darum möchte sie es so gern wissen. » O, es liegt dort in dem Wandschrank,« sagte der Riese. »Haha!« dachte Aschenbrödel: »da wollen wir's schon finden!« Den nächsten Morgen machte der Riese sich wieder früh auf und streifte nach dem Wald zu. Kaum aber war er gegangen, als Aschenbrödel und die Königstochter den ganzen Schrank durchsuchten, um sein Herz zu finden; aber wie fleißig sie auch suchten, so fanden sie auch diesmal Nichts. »Wir müssen's noch einmal probiren,« sagte die Prinzessinn. Sie schmückte nun den Schrank mit Blumen und mit Kränzen, und gegen Abend mußte Aschenbrödel wieder unter's Bett kriechen. Darauf kam der Riese an. » Hutetu! hier riecht's so nach Menschenfleisch!« sagte er, als er eintrat. »Ach, es ist wohl immer noch der alte Knochen,« sagte die Prinzessinn: »der Geruch will gar nicht wieder fort.« Damit war der Riese zufrieden und sagte weiter Nichts. Wie er aber darauf den Schrank erblickte, der mit Blumen und Kränzen geschmückt war, fragte er die Prinzessinn, Wer das gethan hätte. »Ach, das habe ich gethan,« sagte sie. » Und wozu soll die Thorheit?« fragte er. »Meinst Du denn nicht, daß ich Dich so lieb habe, um den Schrank mit Blumen und Kränzen zu schmücken, wenn ich weiß, daß Dein Herz darin liegt?« sagte sie. » Kannst Du so närrisch sein und das glauben?« sagte der Riese. »Ich muß es ja wohl glauben, wenn Du es sagst,« versetzte die Prinzessinn. » Du bist ein Narr!« sagte der Riese: » wo mein Herz ist, dahin kommst Du nie.« – »Du könntest mir aber doch wohl sagen, wo es ist,« sagte sie. Nun konnte der Riese nicht anders, sondern mußte es ihr sagen. » Weit, weit von hier in einem Wasser,« sagte er: » liegt eine Insel; auf der Insel steht eine Kirche; in der Kirche ist ein Brunnen; in dem Brunnen schwimmt eine Ente; in der Ente ist ein Ei; und in dem Ei – da ist mein Herz.«

Am Morgen früh, als es noch nicht dämmerte, streifte der Riese schon wieder nach dem Wald zu. »Ja, nun muß ich auch fort,« sagte Aschenbrödel: »wenn ich bloß den Weg wüßte.« Er sagte darauf der Prinzessinn Lebewohl, und als er draußen vor's Schloß kam, stand der Wolf noch da und wartete auf ihn. Aschenbrödel erzählte ihm Alles, was ihm im Schloß begegnet war und sagte, nun möchte er gern zu dem Brunnen in der Kirche, wenn er bloß den Weg dahin wüßte. Der Wolf aber sagte, den Weg wollte er schon finden, er sollte sich nur auf seinen Rücken setzen, und darauf ging es fort über Klippen und Hügel, über Berg und Thal, daß es nur so saus'te. Als sie schon manchen lieben Tag gereis't waren, kamen sie endlich zu einem Wasser. Nun wußte der Königssohn nicht, wie er hinüber kommen sollte; aber der Wolf sagte zu ihm, er solle sich bloß nicht fürchten, und dann sprang er in's Wasser und schwamm mit dem Prinzen hinüber zu der Insel. Als sie aber zu der Kirche kamen, hing der Schlüssel ganz oben an der Thurmspitze. Nun wußte der Königssohn wieder nicht, wie er ihn herunterkriegen sollte. »Du musst den Raben zu Hülfe rufen,« sagte der Wolf, und das that der Prinz. Da kam der Rabe geflogen, schwang sich hinauf zu der Thurmspitze und holte den Schlüssel herunter. Nun konnte der Prinz in die Kirche kommen; und als er zu dem Brunnen kam, schwamm die Ente darin auf und ab, so wie der Riese gesagt hatte. Der Prinz fing nun an, sie zu locken, und lockte so lange, bis sie so nahe kam, daß er sie greifen konnte. Wie er sie aber aus dem Wasser hob, ließ sie das Ei in den Brunnen fallen. Nun wußte Aschenbrödel nicht, wie er das Ei wiederbekommen sollte. »Du musst jetzt den Lachs zu Hülfe rufen,« sagte der Wolf. Da rief der Prinz den Lachs, und dieser kam sogleich und holte das Ei herauf. Nun, sagte der Wolf zu dem Prinzen, solle er das Ei in der Hand drücken; und wie der Prinz das that, schrie der Riese laut auf. »Drück noch einmal zu!« sagte der Wolf; und wie der Prinz noch einmal zudrückte, erhob der Riese ein klägliches Gewinsel und bat und fleh'te um sein Leben; er wolle auch Alles thun, was der Königssohn verlangte, wenn er ihm bloß nicht das Herz entzwei drücken wollte, sagte er. »Sage ihm, wenn er Deine sechs Brüder, die er in Stein verwandelt hat, wieder in Prinzen umschafft, und ihre Bräute in Prinzessinnen, dann solle er das Leben behalten,« sagte der Wolf; und das that der Prinz. Ja, dazu war der Troll sogleich bereit: er verwandelte die sechs Brüder wieder in Prinzen, und ihre Bräute wieder in Prinzessinnen. »Drück jetzt das Ei entzwei!« sagte der Wolf. Nun drückte Aschenbrödel das Ei entzwei, und da barst der Riese mitten von einander. Wie sie ihn nun quitt waren, ritt Aschenbrödel wieder zurück nach dem Bergschloß. Da standen alle seine sechs Brüder mit ihren Bräuten frisch und gesund vor ihm, und Aschenbrödel ging in den Berg und holte sich die Prinzessinn, die wurde nun seine Braut, und darauf reis'ten sie alle mit einander zurück nach dem Schloß des Königs. Wie nun der alte König alle seine sieben Söhne mit ihren Bräuten ankommen sah, da freu'te er sich nicht wenig, kannst Du glauben; aber die schönste von allen Prinzessinnen war doch die Braut von Aschenbrödel, und er mußte sich mit ihr bei Tafel oben an setzen. Darauf hielten alle Prinzen Hochzeit mit ihren Bräuten, und es wurde gegastet und gejubelt viele Tage lang, und haben sie nicht ausgejubelt, so jubeln sie wohl noch.

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