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Von der Eifersucht (1–7). Zusammentreffen der Söhne Haimons mit ihrem Halbruder Guidon (8–36), mit Aquilant und Grifon und mit Flordelis, welche Rolands Wahnsinn meldet (37–48). Angriff Rinalds und der seinen auf das Mohrenlager (49–59). Brandimart wird von Rodomont gefangen genommen (60–78). Niederlage und Rückzug Agramants nach Arles (79–89). Gradasso's Streit mit Rinald um den Besitz Bajards (90–110).
1 | Wem wär' ein schönres, süßres Loos beschieden Als denen, die ihr Herz der Liebe weihn? Wo gäb' es stillres Glück und tiefren Frieden, Als in dem Joch der Liebe Sklav zu sein, Wenn nicht der Mensch gestachelt würd' hienieden Von jenem bösen Argwohn, jener Pein, Von jener Angst, von jener Sorgenwucht, Von jener Raserei, der Eifersucht. |
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2 | Denn jede andre Bitterkeit, die einer Zu dieser wonnevollsten Süße thut, Ist eine Steigerung, macht Liebe feiner, Macht nur vollkommner noch dies höchste Gut. Das Wasser wird wohlschmeckender und reiner Durch Durst, und Speise wird durch Hunger gut; Den Frieden kennt nur der und wird ihn ehren, Wer sich zuvor vom Kriege läßt belehren. 220 |
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3 | Wenn wir mit unsren Augen das nicht sehn Was unser Herz sieht, das läßt sich verwinden. Die Trennung macht, daß wir das Wiedersehn, Je länger jene, desto süßer finden. Auch ohne Lohn in Dienstbarkeit zu stehn (Wenn nur nicht alle Hoffnungen verschwinden) Erträgt sich; denn getreuer Dienst erreicht Zuletzt sein Ziel, wenn auch erst spät vielleicht. |
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4 | Verschmähung, Sprödigkeit, jedweden Schmerz Und jedes Unheil, das die Liebe stiftet, Verwandelt die Erinnerung in Scherz, Wann ihr erst glücklich in den Hafen schifftet. Wenn aber des Verliebten krankes Herz Die Höllenpest ansteckt, zerfrißt, vergiftet, Und folgt auch Freud' und Jubel hinterdrein, Er schätzt das Glück nicht mehr noch achtet sein. |
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5 | Das ist der böse, gift'ge Wundenbrand, Den keine Säfte heilen, keine Pflaster, Kein Ausschaun nach der Sterne günst'gem Stand, Kein Sprüchemurmeln, kein Gebet der Faster, Nicht alle Kunst, Erfahrung und Verstand Des Vaters der Magie, des Zoroaster, – Die böse Wunde, über allem Schmerz, An der verzweifelnd stirbt das Menschenherz. 221 |
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6 | O hoffnungslose Wunde, über Nacht Aufbrechend in der Brust, die Lieb' empfindet, Auf falschen wie auf richtigen Verdacht! O Wunde, die der Mensch so grausam findet, Daß sie Vernunft und Geist ihm finster macht, Daß sein natürlich Aussehn ganz verschwindet! O arge Eifersucht, wie raubtest du Durch Lügen Bradamante's Trost und Ruh! |
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7 | Nicht das, was sie aus ihres Bruders Munde Und von Hippalca sorgenvoll vernahm, Jetzt mein' ich eine bittre, gift'ge Kunde, Die etwas später ihr zu Ohren kam, Und nichts war jene gegen diese Wunde. Ich sag' euch mehr von diesem neuen Gram, Erst aber meld' ich von Rinalden weiter, Der gen Paris hinführte seine Reiter. |
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8 | Am nächsten Tag begegnet' ihrem Zug Ein Ritter, eine Dam' an seiner Seite, Der schwarzen Schild und schwarze Kleidung trug, Mit weißem Streifen durch des Schildes Breite. Da Richard vorne ritt, mannhaft genug, So forderte der Fremdling ihn zum Streite, Und er, der nie sich lange bitten ließ, Nahm Feld alsbald, wie ihn der andre hieß. 222 |
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9 | Und ohne Frag' und Antwort und Bescheid, Wer sie denn seien, spornten sie die Pferde. Rinald hielt mit den übrigen beiseit, Um zuzusehn, was aus dem Rennen werde. »Renn' ich nach meiner Art ihm fest aufs Kleid, So wird er bald daliegen an der Erde.« So denkend, rannte Richard an den Feind. Ganz anders aber kam's als er gemeint. |
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10 | Denn unter dem Visiere traf so hart Mit solchem Stoß ihn jener fremde Reiter, Daß er vom Sattel fortgeschleudert ward Zwei Lanzenlängen weit, wenn nicht noch weiter. Um ihn zu rächen, nahm sogleich Alard Den Zweikampf auf und lag im Sand als zweiter, Betäubt, schlimm zugerichtet; jener stach Mit solcher Kraft, daß ihm der Schild zerbrach. |
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11 | Als Guiscard sah, wie der zu Boden prallte, Legt' er die Lanze flugs zum Rennen ein, Obwohl Rinald ihm zurief: »Halte, halte! Ich muß sein Mann beim dritten Gange sein.« Denn während noch Rinald am Helme schnallte, Flog Guiscard im Galopp schon querfeldein. Er saß nicht fester als die andren saßen, Und lagen sie, so lag er gleichermaßen. 223 |
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12 | Richard und Vivian und Malagis Wollten nun alle nächster sein und stritten, Bis dann Rinald zur Ruhe sie verwies. In voller Rüstung war er vorgeritten Und sprach: »Wir müssen weiter nach Paris. Ich fürchte, daß wir zu viel Aufschub litten, Wofern ich warten wollte, bis ihr alle Der eine nach dem andren kämt zu Falle.« |
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13 | Er sprach für sich, kein andrer hat's vernommen, Sonst hätt' es sie beleidigt und entehrt. Schon hatten beide Gegner Feld genommen Und machten nun, um loszurennen, Kehrt. Rinald war ohne Fall davongekommen; Er war so viel wie all die andren wert. Die Lanzen sprangen zwar wie Glas in Splitter, Doch keinen Zollbreit bogen sich die Ritter. |
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14 | Die Pferde trafen sich mit voller Kraft Und stürzten beid' auf ihre Keulen nieder. Bajard hatt' aber flugs sich aufgerafft, Im nächsten Augenblick lief er schon wieder. Er stieß das andre Pferd so schauderhaft, Daß ihm der Rücken brach und auch die Glieder. Der Ritter, der das Pferd verloren sieht, Springt aus den Bügeln auf den Sand und zieht 224 |
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15 | Und spricht zum Gegner, der schon Kehrt gemacht Und zu ihm kömmt, das Schwert noch in der Scheide: »Dies gute Pferd, Herr, das du umgebracht, Und ich wir waren gute Freunde beide. Die Pflicht des Freundes ließ' ich außer Acht, Erlaubt' ich, daß es ungesühnt verscheide. Komm denn heran und zeig', was du verstehst; Denn wähne nicht, daß du dem Kampf entgehst.« |
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16 | Rinald versetzt: »Wenn nur dein todter Hengst Und weiter nichts uns nötigt uns zu schlagen, Nimm eins von meinen Pferden; du empfängst Kein schlechtres Thier und darfst dich nicht beklagen.« Der andre drauf: »Du irrst dich, wenn du denkst, Ich würde viel nach einem Pferde fragen; Indeß wenn du mein Absehn nicht entdeckst, So will ich klar auslegen meinen Text. |
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17 | »Dies mein' ich: ich verfehle Zweck und Ziel: Wenn wir uns nicht versuchen mit dem Degen, Damit ich weiß, ob du in diesem Spiel Mir gleich bist, schwächer oder überlegen. Ob du zu Roß bist, ob zu Fuß, gleichviel, Wenn du nur nicht verschmähst die Hand zu regen, Sei jeder Vortheil gerne dir gewährt: So brenn' ich dich zu prüfen mit dem Schwert.« 225 |
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18 | Rinald hielt ihn nicht lang mit Worten hin. Er sprach: »Ich bin bereit zu dem Gefechte. Weil aber mein Gefolge deinen Sinn Vielleicht auf Argwohn und Bedenken brächte, Soll es vorangehn, bis ich fertig bin, Und ich allein bleib' hier mit einem Knechte, Mein Pferd zu halten.« So mit kurzem Wort Schickt' er die übrige Gesellschaft fort. |
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19 | Mit großem Lobe ward vom andren Streiter Die Höflichkeit des Ritters anerkannt. Aus seinem Sattel schwang sich Bajards Reiter Und gab dem Knecht die Zügel in die Hand, Und als die Feldstandarte der Begleiter Dann in der Ferne seinem Blick entschwand, Faßt' er den Schild und zog den mächt'gen Degen Und rief dem Gegner zu sich auszulegen. |
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20 | Und eine fürchterliche Schlacht begann. Nie machten zwei das Leben sich so sauer. Erst dachte jeder wohl, der andre Mann Könn' ihm nicht widerstehen auf die Dauer, Doch als die Probe selbst die beiden dann Gleichstellte, gleich vertheilte Freud' und Trauer, Da ließen sie Hoffart und Wut beiseit Und brauchten alle Kunst im heißen Streit. 226 |
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21 | Man hört die Streich' erbarmungslos und wild Rings widerhallen mit graunhaftem Klange. Die Kanten fliegen ab vom dicken Schild, Vom Harnisch fliegen Nägel, Schnall' und Spange. Es gilt zu treffen, aber mehr noch gilt Es zu pariren hier, wenn man die Stange Dem Gegner halten will. Verderben schon Könnt' ihnen hier der erste Fehler drohn. |
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22 | Schon eine Stund' und eine halbe hatten Sie so gekämpft; die Sonne sank ins Meer, Und finster breiteten die Abendschatten Bis an den Horizont sich rings umher; Doch ohne Rast und Ruh und ohn' Ermatten Flogen die wucht'gen Hiebe hin und her Der beiden Krieger, die nicht Zorn und Hassen, Nur Ehre hat zum Schwerte greifen lassen. |
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23 | Inzwischen hat Rinald sich schon gefragt, Wer dieser Fremdling ist, der ihm entgegen Nicht nur das Feld behauptet unverzagt, Nein, nah daran ist oft, ihn zu erlegen, Der ihm so heiß gemacht, so schwer ihn plagt, Daß Zweifel schon am Sieg in ihm sich regen. Wenn er's mit Ehren könnte, hätt' er jetzt Am liebsten dem Gefecht ein Ziel gesetzt. 227 |
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24 | Der fremde Ritter auf der andren Seite, Der gleichfalls noch nicht weiß, wie ihr es wißt, Daß es der Herr von Montalban, der zweite, Wo nicht der erste Ritter Frankreichs ist, Mit dem er nackten Schwertes sich im Streite Um so geringer Feindschaft halber mißt, Er schwört nicht minder, daß kein überlegner, Kein bessrer Kriegsmann lebt als dieser Gegner. |
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25 | Gern säh' er von dem Handel sich befreit, Auf den er einging, um sein Pferd zu rächen, Und könnt' er's ohne Schimpf, wär' er bereit Den allzuscharfen Tanz nun abzubrechen. Die Welt lag schon in solcher Dunkelheit, Daß ganz vergeblich war ihr Hau'n und Stechen. Treffen und gar Pariren war ein Wahn, Da sie das Schwert in ihrer Hand nicht sahn. |
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26 | Der Stern Arcturus beschreibt seiner Polnähe wegen einen kleinen Kreis, bewegt sich also scheinbar langsamer als die dem Pole ferneren Gestirne und heißt deshalb »träge«. | Rinald war's, der zuerst den Antrag stellte, Daß man nicht weiterkämpf' auf dunkler Flur, Und daß viel besser Waffenstillstand gelte, Bis sich gedreht der träge Stern Arctur. Inzwischen mög' er mitgehn nach dem Zelte; Dort find' er volle Sicherheit nicht nur, Sondern auch Willkomm, Ehre, Pfleg' und Labe, Wie er sie jemals nur gefunden habe. 228 |
27 | Lange zu bitten war unnötig hier; Der Fremde willigt' ein mit frohem Mute. Gemeinsam ritten sie zum Nachtquartier, Wo wohlgeschützt Rinalds Gefolge ruhte. Er nahm des Knappen Pferd, ein schönes Thier, Vortrefflich aufgeschirrt, von edlem Blute, Zu Speer und Schwertkampf tüchtig und gelenk, Und gab es seinem Gegner als Geschenk. |
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28 | Dem fremden Ritter ward inzwischen klar, Daß es Rinald sei, der ihn mitgenommen. Zufällig macht' er selbst es offenbar Und nannte sich, eh sie ans Ziel gekommen. Und weil der Fremde nun sein Bruder war, Fühlt' er von süßer Wonne sich beklommen, Vor Rührung schmolz das Herz in seiner Brust; Er weinte schier vor Lieb' und lauter Lust. |
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29 | Der unbekannte nämlich war Guidon, Der mit Marfis' und Samson war gegangen Und auch mit Aquilant und mit Grifon, Wie ich erzählt, nach Frankreich zu gelangen. Gesehen hätt' er längst die seinen schon, Wenn Pinabel ihn nicht durch List gefangen Und festgehalten hätt' in seinem Netz Als Kämpen für sein schändliches Gesetz. 229 |
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30 | Als er vernimmt, Rinald sei dieser Mann, Berühmt vor allen Helden der Geschichte, Nach dem er sich, solang' er denken kann, Gesehnt hat wie ein Blinder nach dem Lichte, Spricht froh er: »O mein Herr, was ficht mich an, Daß gegen euch ich meine Waffen richte, Euch, den ich stets geliebt und lieben werde Und höher ehr' als alles auf der Erde. |
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31 | »Mich hat Constanz' am Strom des fernen Ister Zur Welt geboren; wißt, ich bin Guidon, Aus hohem Heldenstamm; derselbe ist er, Der euch gezeugt, des edlen Haimon Sohn. Um euch zu sehn und Vettern und Geschwister, Kam ich hieher; ich wünschte lang' es schon; Statt aber euch zu ehren, wie ich wollte, Seh' ich, daß ich euch kränkte, ja, euch grollte. |
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32 | »Entschuldigen mag mich in dieser Sache, Daß ich von Angesicht euch niemals sah, Und läßt es sich noch sühnen, sprecht, wie mache Ich's wieder gut? ich sag' im voraus ja.« Nachdem der Zärtlichkeit durch mannichfache Umarmungen ihr volles Recht geschah, Antwortet' ihm Rinald: »Des Kampfes wegen Euch zu entschuld'gen könnt ihr euch entlegen. 230 |
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33 | »Denn um uns darzuthun, daß ihr ein Reis Vom alten Stamme seid, ein wahres, ächtes, Konntet ihr keinen besseren Beweis Beibringen als die Probe des Gefechtes. Wär' eure Art friedfertiger, wer weiß? Wir hielten kaum euch unseres Geschlechtes, Maßen die Hindin keine Löwen säugt, Noch auch die Taube Falk und Adler zeugt.« |
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34 | Ohn' um den Weg auf ihr Gespräch Verzicht Zu leisten, noch um das Gespräch aufs Reiten, Gelangten sie ans Zelt, woselbst Bericht Rinald den andern giebt, die ihn begleiten: Daß dies Guidon sei, den von Angesicht Zu sehn sie oft gewünscht seit langen Zeiten. Und alle zeigen herzliches Vergnügen Und finden ihn dem Vater gleich an Zügen. |
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35 | Ich sage nicht, wie man ihn ehrt' und pries, Wie Richard und Alard ihn anerkannten, Und auch die andren zwei und Malagis Und Vivian, als Bruder und Verwandten, Wie jeder Ritter ihn willkommen hieß, Wie er zu ihnen, sie zu ihm sich wandten; Ich will nur sagen, daß die Sippschaft ihn In ihrer Mitte gern zu sehen schien. 231 |
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36 | Daß sie zu jeder Zeit ihm Willkomm böte Und gern empfinge, das bezweifl' ich nicht, Jetzt aber, in der Zeit so großer Nöte, War ihnen doppelt wert sein Angesicht. Als aus dem Meer, gekrönt mit Morgenröte, Die Sonn' emporstieg mit dem neuen Licht, Zog auch Guidon vereint mit dem Paniere Der Brüder und der Vettern als der ihre. |
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37 | Der erste Tag verfloß und noch ein zweiter, Da war man dem belagerten Paris Bis auf drei Meilen nah, und eh man weiter Vorrückte, da zur guten Stunde stieß Zu ihnen jenes Paar berühmter Streiter, Das man »den weißen und den schwarzen« hieß, Grifon und Aquilant, das Zwillingspaar, Das Frau Gismunde Olivern gebar. |
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38 | Ein junges Fräulein redete mit ihnen, Anscheinend nicht von niedrem Stand und Rang, In seidnen Kleidern, die schneeweiß erschienen, Verbrämt mit Gold den ganzen Saum entlang. Anmutig war sie von Gestalt und Mienen, Obschon verweint und kummervoll und bang, Und wohl verrieten Antlitz und Geberde, Daß wichtiges von ihr verhandelt werde. 232 |
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39 | Die Brüder kennt Guidon, wie sie auch ihn, Denn kürzlich erst war er vereint mit jenen. »Seht diese zwei,« sprach er zum Paladin, »Nicht viele Krieger messen sich mit denen. Wenn die mit uns für Karl zu Felde ziehn, Dann ist kein Bleibens für die Saracenen.« Rinald bestätigt' es und stimmt' ihm bei, Daß dies ein Paar vollkommner Ritter sei. |
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40 | Denn er erkannte sie von ferne schon, Weil stets sie im gewohnten Waffenkleide (Im schwarzen Aquilant, schneeweiß Grifon) Zu gehen pflegten und mit viel Geschmeide. Sie ihrerseits erkannten auch Guidon Und grüßten ihn und allesamt, und beide Umarmten den Rinald voll Zärtlichkeit Und ließen ihren alten Groll beiseit. |
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41 | Die Geschichte von König Truffaldin, um dessen willen die Söhne Olivers sich mit Rinald entzweiten, erzählt Bojardo. | Sie hatten sich entzweit um Truffaldin, Was hier zu weit führt, wenn ich's melden wollte; Doch hier begrüßten sie wie Brüder ihn, Vergessend, daß man einst einander grollte. Als etwas später Samson auch erschien, Da wandte sich Rinald zu ihm und zollte Ihm jede Achtung, welche dem gebürt, Der solch ein Schwert wie dieser tapfre führt. 233 |
42 | Als nun das Fräulein auch die Blicke wandte, Sah sie Rinald und kannt' ihn auch sofort, Da sie die Paladine sämtlich kannte, Und sprach zu ihm ein gar betrübend Wort. Sie sagte: »Herr, dein Vetter von Anglante, Des hohen Reiches und der Kirche Hort, Roland, der hochgeehrte weise Held, Ist toll geworden und durchirrt die Welt. |
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43 | »Wie solch entsetzlich Unglück mocht' entstehn, Das weiß ich nicht und kann es dir nicht sagen. Sein Schwert und Waffenkleid hab' ich gesehn, Wie sie verstreut auf dem Gefilde lagen, Und einen frommen Ritter sah ich gehn Und alles sammeln und zusammentragen, Um es an einem Bäumchen aufzuhöhn Wie eine Siegstrophäe, stolz und schön. |
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44 | »Desselben Tages aber hat der Sohn Des Agrican das Schwert davongenommen. Bedenke selbst, was für Gefahren drohn Der ganzen Christenheit und allen Frommen, Seit Durindane jetzt, wie einmal schon, In die Gewalt des Heidentums gekommen! Auch Güldenzaum, der los und ledig dort Umherlief, nahm der Heide mit sich fort. 234 |
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45 | »Was Roland selbst angeht, ich sah ihn neulich: Nackt, aller Scham und der Vernunft beraubt, Rannt' er vorbei und schrie und brüllte greulich; Kurz, er ist toll, kein Zweifel ist erlaubt, Und hätten diese Augen nicht getreulich Es mir bezeugt, ich hätt' es nie geglaubt.« Und dann erzählte sie, wie er, umschlungen Von Rodomont, ins Wasser sei gesprungen. |
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46 | »Mit jedem red' ich hievon,« fuhr sie fort, »Wenn ich nicht glaube, daß er Roland hasse, Damit vielleicht, gerührt von meinem Wort, Jemand mit dem Versuche sich befasse, Ob nicht der Graf an einen sichren Ort Sich bringen und sein Hirn sich heilen lasse. Das weiß ich, wüßte Brandimart Bescheid, So wär' ihm keine Müh und Arbeit Leid.« |
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47 | Dies Mädchen war die schöne Flordelis, Der Brandimart so große Liebe weihte, Und ihn zu suchen kam sie nach Paris. Auch wußte sie das neuste von dem Streite, Wie um das Schwert, das Roland liegen ließ, Gradasso sich mit Mandricard entzweite, Und wie das Schwert hernach, als Mandricard Im Kampfe fiel, Gradasso's Beute ward. 235 |
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48 | Fragt nicht, ob bei dem kläglichen Bericht Rinald bestürzt sei und sich gräm' und härme. Das Herz im Leibe schmilzt ihm, anders nicht Als Eis zu schmelzen pflegt vor Sonnenwärme, Und unverbrüchlich macht er's sich zur Pflicht, Roland zu suchen, wo er immer schwärme, Voll Hoffnung, wann er erst gefunden sei, Ihn bald zu heilen von der Raserei. |
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49 | Die »dritte oder vierte Wache« ist eine den Römern entlehnte Zeitbezeichnung. Im römischen Lager hatte die Nacht vier Wachen (vigiliae). | Doch weil die Freund' einmal beisammen waren, (Mocht' es nun Fügung oder Zufall sein,) Wollt' er zuerst die Saracenenscharen Vertreiben und die Stadt Paris befrein. Er riet indeß den Angriff aufzusparen Für nächste Nacht, (der Vortheil sei nicht klein,) Bis um die dritte oder vierte Wache Der Schlaf die Tropfen spreng' aus Lethe's Bache. |
50 | Die Schlangen, Bären, Ziegen u. s. w. sind natürlich Sternbilder. | Er ließ die ganze Schar im Walde liegen Und hielt sie über Tag zurück vom Feld. Als aber Phöbus dann, hinabgestiegen Zur alten Mutter, dunkel ließ die Welt Und man giftlose Schlangen, Bären, Ziegen Und andre Thiere sah am Sternenzelt, Die vor dem größren Licht zu schwinden pflegen, Da ließ er schweigend sich sein Heer bewegen. 236 |
51 | Und Aquilant, Grifon und Vivian, Guidon, Alard und Samson, diese drangen Vor mit Rinald, den übrigen voran, Und suchten leis' ans Lager zu gelangen. Man traf des Königs Feldwacht schlafend an, Schlug alle todt, nahm keinen erst gefangen, Und kam ins Mohrenlager ungestört, Eh einer sie gesehn hatt' und gehört. |
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52 | Im ersten Anlauf warf sich jetzt Rinald Auf die bestürzten ahnungslosen Wachen Und schlug sie und zerschmiß sie dergestalt, Daß keinem Zeit blieb sich davon zu machen. Den Heiden, deren erste Spitze bald Zerbrochen ward, verging dabei das Lachen. Schlaftrunken, waffenlos, voll Angst und Zittern, Schirmten sie sich nur schlecht vor solchen Rittern. |
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53 | Damit das Herz den Saracenen sinke, Ließ jetzt der Paladin zum Überfall Die Kriegstrompete blasen und die Zinke Und seinen Namen schrein mit lautem Schall. Dann spornt' er Bajard, der beim ersten Winke Dahinflog über Palisad' und Wall Und Reiter umwarf, Fußvolk niederkrachte Und Hütten und Gezelt zu Falle brachte. 237 |
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54 | So kühn war in dem Heer kein Veteran, Daß ihm die Haare nicht zu Berge stiegen, Als er den Ruf »Rinald und Montalban!« So furchtbar hörte durch die Lüfte fliegen. Von dannen stob das Heer vor seinem Nahn, Und das Gepäck blieb in der Eile liegen. Nicht warten mochten sie auf jene Wut, Die allen schon bekannt war, nur zu gut. |
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55 | Stets folgt Guidon ihm, der nicht minder schafft, Die Söhne Olivers, sie folgen beide, Richard, Alard, die ganze Brüderschaft. Bahn bricht sich Samson mit des Degens Schneide; Aldigers, Vivians furchtbare Kraft Erprobt zu seinem Schaden mancher Heide. Wer heute mit Rinalds Panier ins Feld Geritten ist, der zeigt sich auch als Held. |
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56 | Auf seinen Dörfern und dem Herrensitze Hielt siebenhundert Reiter Haimons Sohn, Jeder des Kriegs gewohnt bei Kält' und Hitze, Nicht schlechter als Achilles' Myrmidon; Die boten, wenn es galt, dem Feind die Spitze, Daß ihrer hundert nicht vor tausend flohn, Und viele fand man unter diesen Leuten, Die mit berühmten den Vergleich nicht scheuten. 238 |
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57 | Und war Rinald an Städten und an Gold Nicht eben reich, so war er doch mit Mienen Und Worten gegen sie stets gut und hold, Und was er hatte, theilt' er auch mit ihnen; Daher kein einziger durch höhern Sold Jemals verlockt ward andren Herrn zu dienen. Rinald entfernte nie dies Aufgebot Von Montalban als nur im Fall der Not. |
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58 | Der Phalanteïsche Galesus ist ein Fluß unweit Tarent, welche Stadt ja, wie in einem früheren Gesange erzählt wurde, der Sohn der Klytemnestra Phalant gegründet haben soll. – Die Ziegenherden am Flusse Cynips in Afrika erwähnt Virgil in den Georgica. | Doch jetzt, damit Paris gerettet werde, Ließ er die eigne Veste schwach besetzt, Und auf die Mohren fiel dies Fähnlein Pferde, Dies Fähnlein, das ich rühmte eben jetzt, Sie hetzend, wie der Wolf die woll'ge Herde Am Phalanteïschen Galesus hetzt Oder der Leu den bärt'gen Schwarm am Strande Des Cynips anfällt im Barbarenlande. |
59 | Dem Kaiser war's durch Boten hinterbracht, Daß Haimons Söhne vor Paris erschienen Und einen Angriff planten für die Nacht. Er stand bereit, um einzuhaun mit ihnen, Und als es Zeit war, führt' er in die Schlacht Die Paladin', und mit den Paladinen Zog auch der Sohn des Monodant ins Feld, Der Freund der Flordelis, der weise Held, 239 |
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60 | Auf den sie Monde lang umsonst geharrt, Den sie gesucht durch Wälder und Gefilde. Jetzt plötzlich sah sie ihren Brandimart Und kannt' ihn schon von fern am Helm und Schilde. Als er der theuren auch ansichtig ward, Verließ er Schlacht und Mord und ward voll Milde Und fiel ihr um den Hals und gab ihr dann Küsse wohl tausend oder nah daran. |
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61 | Man hatte zu den Frau'n und jungen Damen Sehr viel Vertraun in jener alten Zeit. Man ließ allein sie ziehn in Gottes Namen Durch Berg und Thal und Länder noch so weit Und nahm für voll sie, wann sie wiederkamen, Und niemals gab es Argwohn oder Streit. Als Brandimart und Flordelis sich trafen, Hört' er die Kunde von dem tollen Grafen. |
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62 | Brandimart ist durch den Einfluß seiner Geliebten Christ geworden; darum heißt es, er habe ihr »größere Dinge« geglaubt als Rolands Wahnsinn. | Nie hätt' er es geglaubt, Unglück wie dies, Wenn er von andren solche Kund' empfinge, Doch glaubt' er es der schönen Flordelis, Der er schon mehr geglaubt und größre Dinge. Sie sagt, daß sie sich's nicht erzählen ließ, Nein, daß sie selbstgesehnes hinterbringe, Sie, die den Grafen kenn' und oft gesehn, Und sagt ihm, wo und wann das Leid geschehn. 240 |
63 | Und sie erzählt ihm von der schlimmen Brücke, Wo Rodomont den Übergang bewacht, Wie er ein Grabmal mit Trophäen schmücke, Mit der Besiegten Schild und Waffentracht. Sie sagt ihm auch von Rolands tollem Stücke, Das er vor ihren Augen dort vollbracht, Wie er ins Wasser stürzte mit dem Heiden Auf die Gefahr hin selbst den Tod zu leiden. |
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64 | Und Brandimart, der Roland liebte, wie Wir Brüder nur und Söhne lieben können, Beschloß dem Grafen nachzugehn und nie Gefahr zu meiden noch sich Rast zu gönnen, Bis Ärzte oder Meister der Magie Ein Mittel gegen jene Wut ersönnen, Und so geharnischt, wie er ging und stand, Ritt er mit der Geliebten über Land. |
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65 | Sie nahmen ihren Weg nach jenem Thale Wo Roland in den Strom hinunter schoß, Bis sie die Brück' erreichten, jene schmale, Wo Rodomont den Weg den Reitern schloß. Der Wächter blies vom Thurme die Signale, Die Knappen brachten Waffen ihm und Roß, So daß der Heide schon gerüstet harrte, Als Brandimart eintraf vor seiner Warte. 241 |
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66 | Der Heide ruft in seiner trotz'gen Weise, Mit einer Stimme, die voll Drohens ist: »Wer du auch sein magst, der sich dieser Reise Aus Irrtum oder Aberwitz vermißt, Steig ab, entwaffne dich und Ehr' erweise Der hohen Gruft, eh du des Todes bist, Ein Opfer für die Schatten; denn erschlagen Werd' ich dich sonst und keinen Dank dir sagen.« |
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67 | Der Ritter wollte diesem Übermut Nicht Rede stehn als nur mit Lanz' und Degen. Er spornt Batold, sein edles Roß, aufs Blut Und wirft so herzhaft sich dem Feind entgegen, Daß wohl man sieht, ihm ist an kühnem Mut Kein andrer, wer's auch sein mag, überlegen. Auch Rodomont mit eingelegtem Speer Fährt im Galopp auf schmaler Bahn daher. |
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68 | Sein Renner, der die Sache schon verstand, In steter Übung solches Kampfes lebend, Und der schon manchen wegstieß von dem Rand, Lief ohne Bangen, leicht die Füße hebend. Dem andren war die Rennbahn unbekannt; Er kam daher unsicher, scheu und bebend. Auch bebt die Brück', als lösten sich die Bänder, Und nun der schmale Weg und kein Geländer! 242 |
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69 | Die Ritter, beide Meister im Turniere, Mit Lanzen wie die Balken, dick und groß, Wie sie gewachsen sind im Forstreviere, Treffen einander nicht sehr lind und los. Die Stärk' und die Gewandtheit ihrer Thiere Hilft wenig gegen solchen Lanzenstoß; Sie stürzen beide hin im vollen Laufen Und ihre Herren mit, auf einen Haufen. |
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70 | Der Eridanus, in welchen Phaeton stürzte, wird bekanntlich mit dem Po identificirt, welchen Ariost als Ferrarese »unsern Fluß« nennt. | Und wie sie hastig sich aufraffen wollen, Wie es der scharfe Sporn im Bauch begehrt, Finden sie nicht, wo sie Fuß fassen sollen, Weil keinen Raum der Brückenweg gewährt, Und beide, durch ein gleich Verhängniß rollen Ins Wasser, daß der Braus gen Himmel fährt, Wie unser Fluß auffuhr, als in die Wogen Des Lichts unkund'ger Lenker kam geflogen. |
71 | Die Pferde sanken unter dem Gewicht Der Reiter, welche beid' im Sattel blieben, Bis auf den Grund und sahn sich um, ob nicht Reizende Nymphen dort umher sich trieben. Der Heide hatte, der verwegne Wicht, Den Sprung ins Wasser, den ich euch beschrieben, Schon öfter ausgeführt mit seinem Hengst, Und wie es unten aussah, wußt' er längst. 243 |
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72 | Er kennt die festen, kennt die weichen Stellen, Weiß, wo das Wasser tief ist oder seicht. Kopf, Brust und Gürtel hebt er aus den Wellen, Und gegen Brandimart hat er es leicht. Der andre wirbelt in des Stromes Schnellen; Im Schlamm, der unter seinen Hufen weicht, Steckt fest der Gaul und droht ganz einzusinken, Und in Gefahr sind beide zu ertrinken. |
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73 | Dann werden sie vom Strom emporgehoben Und über Kopf gestürzt und treiben fort, Der Reiter unten und der Renner oben, Und Flordelis sieht es vom Uferbord Und weint und fleht und jammert nun da droben: »O Rodomont, bei jener Todten dort, Die du verehrst, sein grausam Schicksal wende, Daß solch ein Ritter nicht so schmählich ende! |
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74 | »O edler Herr, wenn je du Lieb' empfandest, – Ich liebe jenen, – so erbarm' dich mein! Mach' zum Gefangnen ihn, wenn du ihn landest, Und zier' mit seinem Wappen jenen Stein. Von den Trophä'n, die andren du entwandest, Wird dies die schönste, ehrenvollste sein.« Und sie verstand ihr Wort so gut zu führen, Daß ihr gelang sein wildes Herz zu rühren. 244 |
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75 | Sie setzt' es durch, daß er den Liebsten rette, Der ganz verdeckt lag unter seinem Pferd Und dort das Leben bald verloren hätte Und Wasser trank, mehr als sein Durst begehrt. Eh aber Rodomont aus feuchtem Bette Ihm aufhalf, nahm er Helm ihm ab und Schwert. Er zog ihn aus dem Fluß halbtodt und stieß Zu vielen andern ihn ins Thurmverlies. |
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76 | Das arme Fräulein wollte schier verzagen, Als in den Thurm ihn schloß der Saracen. Indeß es war doch eher zu ertragen, Als sähe sie im Fluß ihn untergehn. Nicht andre, sich begann sie anzuklagen; Denn sie war Schuld an allem was geschehn, Weil sie erzählte, daß sie hier am Grabe Der Isabel Roland getroffen habe. |
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77 | So ritt sie fort und sann schon nach im Geiste, Wie jemand, sei's Rinald der Paladin, Sei's Samson, sei's Guidon ihr Hilfe leiste, Irgend ein Held vom Hofe des Pipin, Zu Land und Wasser stark, der sich erdreiste Wider den Rodomont ins Feld zu ziehn, Mit bessrem Glück, wenn nicht mit größrer Stärke Als Brandimart, bei diesem schweren Werke. 245 |
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78 | Schon ritt sie weit und traf noch keinen an, Wie sie ihn wünschte, keinen starken Degen, Der hoffen ließ', er werd' aus seinem Bann Den Freund befrein und Rodomont erlegen. Sie suchte lang' umsonst den rechten Mann, Zuletzt jedoch kam einer ihr entgegen; Der trug ein reiches köstliches Gewand, Rings mit Cypressenlaub gestickt am Rand. |
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79 | Ich werd' euch später sagen, wie er hieß; Jetzt aber hab' ich euch erst vorzutragen, Wie in der Schlacht Rinald und Malagis Das Saracenenheer aufs Haupt geschlagen. Wie viele man zum Styx hinunter stieß, Wie viele flohn, vermag ich nicht zu sagen; Obschon Turpin des Zählens sich befliß, Entging die Zahl ihm in der Finsterniß. |
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80 | Der König Agramant schlief im Gezelte Den ersten Schlaf, da weckt' ihn ein Trabant Und sagt' ihm, daß es schnell zu fliehen gelte, Wenn er nicht fallen woll' in Feindes Hand. Der König sah sich um; Verwirrung stellte Dem Blick sich dar; rings ohne Widerstand Flohn seine Leute, nackt und ohne Waffen, Zu eilig, um den Schild nur aufzuraffen. 246 |
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81 | Bestürzt und völlig ratlos ließ der Sohn Trojans den Harnisch um die Brust sich schnallen. Da kamen Balugant und Falsiron, Grandon erschien, und er vernahm von allen, Er werde, wenn er bleibe, nächstens schon Gefangen werden oder hilflos fallen, Und daß von großem Glück zu sagen sei, Wenn er mit heiler Haut entkomm' und frei. |
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82 | So sprach Marsil, so sprach der Greis Sobrin, So sprachen alle wie mit einer Stimme: Ganz nah bedrohe das Verderben ihn, Weil schon Rinald den nächsten Wall erklimme, Und wenn er warte, bis der Paladin Hier sei, mit solchem Volk, mit solchem Grimme, So werd' er selbst und jeder Saracen Gefangen werden oder untergehn. |
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83 | Leicht aber sei es noch sich mit dem Reste Nach Arles, nach Narbonne durchzuhau'n. Man könn' in jener wie in dieser Veste Sich lange halten und dem Glück vertrau'n. Wenn er nur lebe, hofften sie das beste Und einen Tag der Rache noch zu schau'n, Falls man das Heer in Ordnung wieder bringe, Wodurch gewiß der Sieg zuletzt gelinge. 247 |
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84 | Der Rat erschien dem König gut und klug, So hart es war den Rückzug zu beschließen. Es ging nach Arles wie im Sturmesflug Auf Straßen, wo sie nicht auf Feinde stießen. Nächst dieser Führung kam es ihrem Zug Zu statten, daß sie Nachts das Feld verließen. Es war ein Rest von zwanzigtausend Mann, Der so Rinalden aus dem Garn entrann. |
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85 | Die er und seine Brüder umgebracht, Die Olivers zwei Söhne überwanden, Die als furchtbare Gegner in der Schlacht Die siebenhundert des Rinald erfanden, Die Samson niederschlug, die in der Nacht Flüchtend ins Wasser stürzten und verschwanden, – Wer diese zählen kann, der zählt wohl auch Die Blüten im April auf Baum und Strauch. |
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86 | Von ein'gen wird behauptet, Malagis Hab' auch zu diesem Siege beigetragen; Nicht daß mit Blut er Feld und Uferkies Gerötet und viel Schädel eingeschlagen, Wohl aber daß er Geister kommen ließ Durch Zauber, die am Styx gefesselt lagen, Mit mehr Standarten, Schwertern, Lanzen, Spießen, Als sich in zwei Frankreichen finden ließen, 248 |
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87 | Und daß er Lärm vielfältiger Metalle Erschallen ließ und wildes Kriegsgetön Pferdegeschnauf mit dumpfem Trommelschalle Und Lärm von Fußvolk, Stampfen und Gedröhn, Daß meilenweit vom mächt'gen Widerhalle Die Fluren rauschten und die Bergeshöhn. Auf diese Art, sagt man, hab' er die Mohren So sehr erschreckt, daß sie den Kopf verloren. |
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88 | Der König hatt' an Roger wohl gedacht, Der wund im Zelte lag, wo man ihn pflegte. Vorsichtig hob man ihn in jener Nacht Auf einen Zelter, der sich sanft bewegte, Und führt' auf sichrem Weg ihn aus der Schlacht, Bis man zuletzt ihn in ein Fahrzeug legte, Das ihn bequem stromab nach Arles trug, Dem Sammelplatze für den ganzen Zug. |
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89 | Der Rest, der vor Rinald und Karl entrann, (Wohl hunderttausend Mann, wie ich gelesen,) Lief durch Gefild und Berg und Thal und Tann, Um vor dem Schwert der Franken zu genesen, Traf aber meist gesperrte Straßen an Und färbte rot, was grün und weiß gewesen. So macht es nicht der Sericaner Held, Der mehr abseits aufpflanzte sein Gezelt. 249 |
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90 | Vielmehr, als er vernimmt, es sei Rinald Von Montalban, der einbrach in die Schanze, Schwillt ihm das Herz vor Jubel dergestalt, Daß er zu hüpfen anfängt wie beim Tanze. Er preist den Herrn der Welt, sein Dank erschallt, Daß ihm das seltne Glück wird, mit der Lanze Den Bajard zu gewinnen, jenes Pferd, Dem keins auf Erden gleicht an hohem Wert. |
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91 | Der »andre«, der Gradasso's Abenteuer erzählt hat, ist Bojardo, bei welchem ausführlich zu lesen ist, wie der Sericanerkönig mit mächtigem Heere nach Frankreich kam, um Bajard und Durindane zu gewinnen, wie Rinald mit ihm bei Barcelona einen Zweikampf verabredete, und wie Malagis den Zweikampf vereitelte, indem er seinen Vetter auf ein von Geistern bewegtes Schiff lockte, welches ihn nach Asien entführte. | Zwei Dinge wünschte längst der mächt'ge Recke, (Wie euch ein andrer hat erzählt vor mir,) Daß Durindan' in seiner Scheide stecke Und daß er reit' auf diesem edlen Thier. Schon einmal war er ja zu diesem Zwecke Mit hunderttausend Mann im Lande hier Und hatte mit Rinald sich schon vertragen, Um Bajard eine grimme Schlacht zu schlagen, |
92 | Und hatte schon, begierig nach dem Preise, Am Meer gewartet auf den Waffengang; Da störte Malagis ihm seine Kreise, Der seinen Vetter wider Willen zwang Zu Schiff zu gehn auf eine große Reise. Dies zu erzählen währt mir hier zu lang, Gradasso aber hielt seit jenem Tage Den edlen Paladin für feig und zage. 250 |
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93 | Jetzt also hört er es mit frohem Mute, Daß es Rinald ist, der sie überfällt. Er legt den Harnisch an, nimmt seine Stute Und reitet suchend übers dunkle Feld. Wer ihm begegnet, schwimmt gar bald im Blute; Denn im Tumult verwundet er und fällt Was in den Wurf ihm kömmt, Mohr oder Franze; Nicht nach der Herkunft fragt die gute Lanze. |
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94 | Und wie er suchend hin und wider fährt, Läßt er, so laut er kann, den Namen schallen, Und immer dahin leitet er das Pferd, Wo ihm die größte Menge scheint zu fallen. Am Ende trifft er ihn, Schwert wider Schwert; Denn beide Lanzen sind beim Gegenprallen In tausend Splitter bis zum Griff zerkracht Und fliegen bis zum Sternensitz der Nacht. |
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95 | Sobald er seinen Gegner konnt' erkennen, (Und nicht an Schmuck und Farben kannt' er ihn, Nur am gewalt'gen Hieb und Bajards Rennen, Der ganz allein das Feld zu halten schien,) Da säumt' er nicht feldflüchtig ihn zu nennen, Unwürdig seines Rangs als Paladin, Weil damals er nicht auf dem Platz am Meere Zu dem versprochnen Kampf erschienen wäre. 251 |
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96 | »Du mochtest (sagt' er) wohl der Hoffnung leben, Daß, kämest du mir nur aus dem Gesicht, Wir uns nicht wiedersähn in diesem Leben; Jetzt siehst du aber, du entgehst mir nicht. Glaub' mir, wenn ihr bis zu den tiefsten Gräben Des Styx entflöht, zum Himmel selbst entwicht, Ich folgt' euch beiden, dir und deinem Pferde, Bis in den Himmel, bis zum Kern der Erde. |
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97 | »Indeß, wenn du das Kämpfen gern verschiebst Und siehst, daß du umsonst dich widersetzest, Und mehr das Leben als die Ehre liebst, So kannst du's, ohne daß du dich verletzest, Abmachen, wenn du Bajard friedlich giebst, Und leben, wenn du so das Leben schätzest. Nur lebe dann zu Fuß; unwürdig ist Zu reiten, wer die Ritterpflicht vergißt.« |
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98 | Der junge Richard war und auch Guidon War bei Gradasso's Prahlerei zugegen, Und um ihn zu belehren, daß sein Hohn Nicht allzu klug sei, zogen sie den Degen. Jedoch im selben Augenblicke schon Verbot Rinald, Hand an den Feind zu legen, Und sprach: »Bin ich so hilflos, daß ihr denkt, Ich könne den nicht strafen, der mich kränkt?« 252 |
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99 | Dann sprach er zu Gradasso: »Hör' mich an; Ich möchte, wenn es dir gefällig wäre, So klar dir machen, wie ich irgend kann, Daß ich mich einfand zu dem Kampf am Meere, Und mit dem Schwert erhärten werd' ich dann, Daß alles wahr ist, wie ich's dir erkläre, Und jeder, der's von mir behauptet, lügt, Daß ich der Ritterpflicht je nicht genügt. |
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100 | »Nur bitt' ich dich, daß vor dem Kampf du erst Die Gründe, die mich jeder Schuld entschlagen, Vernehmen möchtest, eh du mich entehrst Mit Schmähungen und ungerechten Klagen. Und dann um Bajard, wie du es begehrst, Will ich mich gern mit dir zu Fuße schlagen, Mann wider Mann und in der Einsamkeit, Wie du es festgesetzt hast seiner Zeit.« |
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101 | Gradasso war so höflich und so fein, Wie Heldenmut es meistens in der Art hat; Er will sehr gern Gehör den Gründen leihn, Weshalb Rinald sich jenen Kampf erspart hat. Sie gingen nach dem Flusse, beid' allein, Wo Haimons Sohn mit schlichten Worten darthat, Wie die Geschicht' in Wirklichkeit verlief, Und Gott im Himmel deß zum Zeugen rief. 253 |
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102 | Dann rief er seinen Vetter Malagis, Den Mann, der alles wußt' und aus dem Grunde, Und von dem Zauber, den er wirken ließ, Gab dieser Punkt für Punkt genaue Kunde. Dann sprach Rinald: »Was ich dir jetzt bewies Durch Zeugniß, davon mag zu jeder Stunde, Gleich oder wann es dir beliebt, das Eisen Die Wahrheit dir noch bündiger beweisen.« |
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103 | Gradasso, der nicht gern um diesen zweiten Den ersten Streit aus dem Gesicht verlor, Nahm alles hin und wollt' es nicht bestreiten, Behielt sich aber seine Zweifel vor. Zum Kampfplatz wählte man sich nicht den weiten Strand Barcelona's, den man einst erkor, Vielmehr beschied man sich an eine Stelle Auf morgen früh bei einer nahen Quelle, |
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104 | Wohin Rinald den Bajard mit sich bringe, Ihn aufzustellen zwischen den Partei'n. Wenn dann der König ihn, Rinald, bezwinge, So nenn' er Bajard ohne weitres sein. Wenn es Gradasso aber schlecht erginge, Und litt' er dort des Lebens letzte Pein, Oder er gäb' aus Ohnmacht sich gefangen, Sollte Rinald Schwert Durindan' empfangen. 254 |
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105 | Mit großem Staunen und noch größrem Grame Hatte Rinald, wie euch bereits bekannt, Von Flordelis gehört die wundersame Nachricht, sein Vetter sei nicht bei Verstand. Auch von den Waffen wußt' er durch die Dame Und von dem Streite, der dadurch entstand, Und wie Gradasso jenes Schwert erlangte, Das von unzähl'gen Lorbern Rolands prangte. |
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106 | Nachdem sie sich verständigt hatten, kehrte Zu seinen Leuten heim der Saracen, Obwohl Rinald ihn einlud und begehrte, Er solle mit nach seinem Zelte gehn. Der König greift, sobald es tagt, zum Schwerte, So auch Rinald, und an der Quelle stehn Sich gegenüber die gewalt'gen Männer, Zu kämpfen um das Schwert und um den Renner. |
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107 | Daß mit Gradasso diese Schlacht zu wagen Rinald sich unterfing, Mann wider Mann, Erschreckte seine Freunde so, daß Klagen Und Trauern vor dem Unglück schon begann. Viel Mut, viel Stärke, hohe Kunst im Schlagen Besaß Gradasso schon, und nun gewann Er vollends noch Rolands berühmten Degen; Drum waren alle blaß Rinaldens wegen. 255 |
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108 | Vor allen fürchtete des Vivian Gelehrter Bruder Unheil von dem Streite Und hätt' auch diesmal gern dazu gethan, Daß er dem Kampf ein Hinderniß bereite, Wenn er nur nicht mit dem von Montalban Durch solchen Vorwitz tödtlich sich entzweite; Der grollte noch, weil er die andre Schlacht Vereitelt hatt' und ihn zu Schiff gebracht. |
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109 | Gleichviel ob andre zweifeln, trauern, beben, Getrost und fröhlich kömmt der Paladin. Jetzt hofft er jenen Makel ganz zu heben, Der unverdient war, doch ihm hart erschien, So daß die Mainzer nie in ihrem Leben Den Mund mehr aufthun sollen wider ihn. In kühner Hoffnung kömmt er, ohne Bangen, Die Ehren des Triumphs heut zu erlangen. |
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110 | Als nun die Kämpfer auf dem Platz erschienen, Beinah gleichzeitig, an der klaren Flut, Umarmten beide sich, und ihre Mienen Waren so heiter, freundschaftlich und gut, Als sei ein innig Bündniß zwischen ihnen Geknüpft durch alte Lieb' und nahes Blut. Wie aber dann sie auf einander hieben, Das will ich auf ein ander Mal verschieben. 256 |