Ludovico Ariosto
Rasender Roland, Band 2
Ludovico Ariosto

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Zwanzigster Gesang.

Harpalyce, eine thracische Kriegerin des trojanischen Sagenkreises. Camilla, die vom Virgil erfundene Bundesgenossin des gegen Aeneas kämpfenden Königs Turnus. Corinna, die thebanische Dichterin und Rivalin Pindars.  Der Vorzeit Frauen haben Wunderdinge
In Waffen und im Musendienst vollbracht,
Und ihrer Werke Glanz – es ist als dringe
Er hell und strahlend durch der Zeiten Nacht.
Berühmt ist Harpalice's Lanz' und Klinge,
Camilla glänzt als Führerin der Schlacht,
Corinna, Sappho sind gelehrte Frauen,
Die ewig leuchten und die Nacht nie schauen.
Die Frau'n gelangten zur Vortrefflichkeit
In jeder Kunst, womit sie sich befaßten,
Und wenn ihr der Geschichten kundig seid,
Seht ihr noch ihren Ruhm, den unverblaßten.
Zwar fehlten sie der Welt geraume Zeit,
Doch wird der schwere Bann nicht immer lasten.
Vielleicht verschwieg uns auch ruhmwürd'ge Weiber
Neid oder Unverstand der Bücherschreiber. 216
Mich dünkt, in unsren Tagen sehen wir
Schon hohe Tugend schöner Frau'n erstehen,
Schon Stoff vielleicht für Feder und Papier,
Damit den Glanz auch künft'ge Jahre sehen;
Dann werdet, o gehäss'ge Zungen, ihr
Mit eurem Lästern schmählich untergehen,
Und steigen wird weit höher jener Lob,
Als je der Ruhm Marfisa's sich erhob.
Um fortzufahren, diese tapfre Maid
War jenem Herrn, in dessen Schloß sie kamen,
Auskunft von sich zu geben gern bereit,
Wenn er versprech' ihr darin nachzuahmen.
Sehr bald auch that sie ihre Schuldigkeit,
So brannte sie auf ihres Wirtes Namen:
»Ich bin Marfisa« sagte sie, nur dies;
Denn alle Welt verstand ja, was das hieß.
Der Sieger des Almont ist Roland, Clariel und Mambrin sind Könige, welche Rinald überwunden hatten. – Guidon der Wilde kömmt auch in anderen Ritterromanen vor, wird aber dort als Sohn Rinalds bezeichnet.  Ihr Wirt, als den die Reihe traf, begann
Zu etwas mehr Umschweifen sich zu rüsten.
»Nicht viele, glaub' ich, giebt's (so hob er an)
Die nichts vom Namen meines Stammes wüßten;
Denn nicht nur Spanier, Frank' und Alemann,
Auch Indien und des Pontus kalte Küsten
Sind voll vom Ruhm des Hauses Claramont
Und seines Sohns, des Siegers von Almont, 217
»Und jenes andren auch, durch den Mambrin
Und Clariel ihr Königreich verloren.
Von diesem Blute hat, wo zum Eurin
Der Ister strömt aus zehn flutreichen Thoren,
Dem Herzog Haimon, der als Gast erschien
In ihrem Land, die Mutter mich geboren.
Ein Jahr ist's, seit ich sie in Gram verließ,
Die meinen heimzusuchen in Paris.
»Doch eh ich ihres Anblicks mich erfreute,
Warf mich ein wilder Süd an diesen Strand.
Nun zähl' ich Tag' und Stunden hier, und heute
Sitz' ich zehn volle Mond' in diesem Land.
Guidon den Wilden nannten mich die Leute,
Noch arm an Thaten, wenig noch bekannt.
Hier hab' ich Argilon, Thessaliens Sprossen,
Getödtet und mit ihm die zehn Genossen.
»Die Mädchenprobe hab' ich auch bestanden
Und habe, mich zu trösten, ihrer zehn
Und habe mir dazu aus diesen Landen
Die reizendsten und schönsten ausersehn.
Die dienen mir, und alle, denn sie fanden
Mich würdig ihrem Reiche vorzustehn,
Wie sie das Reich auch jedem andren böten,
Wenn er das Glück hätt' unser zehn zu tödten.« 218
Die Ritter fragten nun, wodurch an Zahl
Das männliche Geschlecht sich so verliere,
Und ob hieselbst die Gattin den Gemal,
Wie anderswo der Mann die Frau regiere.
Da sprach Guidon: »Ich habe manches Mal
Den Grund gehört, seitdem ich hier amtire,
Und will euch gern, wofern es euch willkommen,
Soviel erzählen, als ich selbst vernommen.
10  »Als einst die Griechen heim von Troja kamen
Nach zwanzigjähriger Abwesenheit,
(Zehn Jahre währt' es, eh sie Troja nahmen,
Und Sturm verschlug sie dann auf gleiche Zeit,)
Da fanden sie, daß unterdeß die Damen
Zum Trost in so qualvoller Einsamkeit
Sich jugendliche Freunde zugesellten
Aus Furcht, allein im Bett sich zu erkälten.
11  »Als sie das Haus voll fremder Kinder fanden,
Da kamen alle Griechen überein,
Den Frauen zu vergeben, (sie gestanden,
So lange könne man sich nicht kastei'n,)
Die Bastard' aber fort nach fremden Landen
Zu jagen, fremdem Dienste sich zu weihn,
Weil doch die Gatten nicht gesonnen wären,
Sie noch auf eigne Kosten zu ernähren. 219
12  »Man setzte Kinder aus in Wald und Grotten,
Doch manches auch verbarg der Mutter Hand.
Die größren zogen in verschiednen Rotten
Nach diesem oder jenem fremden Strand,
Verdangen sich zum Kriegsdienst und auf Flotten,
Betrieben Künste, bauten Ackerland,
Dienten an Höfen, hüteten die Herden,
Wie's ihr gefiel, die alles lenkt auf Erden.
13  »Ein Sohn der blut'gen Clytemnestra auch
Mußt' unter andern in die Fremde fahren,
Frisch wie die Lilie oder die vom Strauch
Gepflückte Rose, kaum von achtzehn Jahren.
Der rüstete sein Schiff nach Kriegsgebrauch,
Zu kreuzen als Anführer von Korsaren,
Und hundert Jüngling' aus ganz Griechenland
Desselben Alters hatten es bemannt.
14  »Die Creter hatten damals den Tyrannen
Idomeneus verjagt von seinem Thron,
Und nun zum Schutz des neuen Staats begannen
Sie Rüstungen und warben Volk um Lohn.
Sie boten hohen Sold ihm und gewannen
Phalant (so hieß der Clytemnestra Sohn)
Für ihren Dienst, daß er mit seiner Bande
Die Stadt Dictäa schütz' am Meeresstrande. 220
15  »Vor Creta's hundert blüh'nden Städten war
Dictäa reich und lustig, auf das beste
Geschmückt mit einer schönen Frauenschar
Und früh und spät erfüllt vom Schall der Feste.
Die Fremden zu verhätscheln immerdar
War sie gewohnt, und ehrte diese Gäste,
Daß wenig fehlte, daß die unbedachten
Das junge Volk zum Herrn des Hauses machten.
16  »Denn jung und schön war jeder der Genossen;
Die Blüte Griechenlands kam mit Phalant.
Sie hatten, eh der erste Tag verflossen,
Den schönen Frau'n im Sturm das Herz entwandt,
Und da man sie so schön wie unverdrossen
Und rüstig stets beim Minnespiele fand,
So standen sie so gut dort angeschrieben,
Als gäb' es sonst auf Erden nichts zu lieben.
17  »Als Frieden dann dem Krieg' ein Ende machte,
Für den Phalant in Creta Dienste nahm,
Und weiter keine Frucht den Griechen brachte,
Weil ihre Löhnung nun ins Stocken kam,
Und man daher ans Weiterreisen dachte,
Da gab es bei den Weiblein Weh und Gram
Und mehr Geschluchz und mehr betrübte Mienen,
Als lägen ihre Väter todt vor ihnen. 221
18  »Erst suchten sie durch Flehn und Schmeichelwort
Die Abfahrt der Geliebten zu verhindern;
Am Ende gingen sie mit ihnen fort,
Hinweg von ihren Vätern, Brüdern, Kindern,
Nicht ohne erst noch den Familienhort
Um Edelstein' und vieles Gold zu mindern.
Denn weil man diesen Handel schlau verbarg,
So hatt' in Creta niemand dessen Arg.
19  »So günstig war der Wind, die Dunkelheit
So hilfreich, die Phalant zu nutzen wußte,
Daß sie in See schon waren, meilenweit,
Eh Creta Kund' erhielt von dem Verluste.
Dann zwang ein Sturm sie, daß man dies zur Zeit
Noch unbewohnte Land anlaufen mußte.
Hier ruhte man und hier an sichrer Bucht
Genoß man besser seines Raubes Frucht.
20  »Zehn Tage lang ward ihnen eine Rast,
Ganz voll verliebten, zärtlichen Genusses;
Doch wie in Jünglingsherzen immer fast
Abstumpfung folgt als Frucht des Überflusses,
So wünschten alle frei sich von der Last
Der Weiber und der Qual des Überdrusses.
Denn keine Bürd' ist wohl so schwer und hart
Wie eine Frau, wenn sie euch lästig ward. 222
21  »Sie sehnten nach Gewinn und Beute sich
Und gaben ungern selbst, und sie erwogen
Daß man so viele Damen sicherlich
Nicht füttern könne bloß mit Lanz' und Bogen.
So ließen sie die ärmsten dort im Stich,
Und schwer bepackt mit ihrem Raube zogen
Sie nach Apulien, wo sie bald nachher
Die Stadt Tarentum gründeten am Meer.
22  »Wie dann die Weiber die Verräterei
Der Liebsten sahn, auf deren Wort sie bauten,
Da standen sie betäubt wie eine Reih'
Von Statuen, die starr ins Wasser schauten.
Doch weil sie sahn, daß nichts geholfen sei
Mit Thränenströmen und mit Klagelauten,
Fingen sie an zu sorgen und zu sinnen,
Was in der Not am besten zu beginnen.
23  »Sie rieten hin und her, und ein'ge dachten,
Das beste sei, zurück nach Haus zu gehn
Und lieber das Gericht der aufgebrachten
Gemal' und strengen Väter zu bestehn
Als hier in Not und Hunger zu verschmachten
Im wilden Busch und an den öden See'n;
Und andre meinten, ehrenvoller wär' es,
Als dies zu thun, man läg' am Grund des Meeres. 223
24  »Nein, lieber noch als Dirne sich vermieten
Und mit dem Bettelsack die Welt durchziehn,
Als so sich selbst der Strafe darzubieten,
Die man verwirkt durch Raub und durch Entfliehn.
Als so die ärmsten dies und das berieten
Und eins noch schlimmer als das andre schien,
Trat schließlich Orontea vor die Schar,
Ein Mädchen, das vom Stamm des Minos war.
25  »Die jüngste, schönste, klüger als sie alle,
Von mindrer Schuld; sie liebte den Phalant;
Sie kam durch ihn, jungfräulich noch, zu Falle,
Und seinethalb mied sie ihr Vaterland.
Sie zeigt' im Antlitz und im Ton und Schalle
Der Stimm' ein edles Herz von Zorn entbrannt
Und widerlegte all der andern Rat,
Gab ihren dann und macht' ihn auch zur That.
26  »Dies Land zu meiden, hielt sie nicht für gut,
Das fruchtbar sei und gut darin zu leben,
Durchströmt von Flüssen mit krystallner Flut,
Von Wäldern schattig, meistens flach und eben,
Mit Häfen und mit Buchten, die vor Wut
Des stürm'schen Meers Zuflucht dem Schiffer geben,
Der mancherlei zum Leben nöt'ge Dinge
Aus Afrika und aus Aegypten bringe. 224
27  »Sie sind' es gut, man bleib' in diesem Lande
Und strafe das Geschlecht, das sie verriet.
Ein jedes Schiff, das hier am Ufer lande
Und ankern woll' in ihrem Machtgebiet,
Verfalle flugs dem Raub' und Mord' und Brande,
Und alles sterb' an Bord ohn' Unterschied.
Dies ward geraten, dies ward angenommen
Und ward Gesetz und ist in Brauch gekommen.
28  »Wann in den Lüften Sturmeswehn begann,
Gleich liefen an die Bucht die Weiberhorden,
Die zorn'ge Orontea stets voran;
Denn sie war ihre Königin geworden.
Und an dem Bord verschlagner Schiffe dann
Gab's schauderhafte Feuersbrunst und Morden.
Kein Mann blieb leben, daß er diese Dinge
Den Menschen andrer Länder hinterbringe.
29  »So lebten sie hier einsam manches Jahr
Verfeindet mit dem männlichen Geschlechte.
Dann aber sahn sie ein, was für Gefahr
Entstünde, wenn man nicht an Wandel dächte.
Wenn keine Rede von Fortpflanzung war,
So war es bald vorbei mit ihrem Rechte;
Es mußte, statt für ewig festzustehn,
Mit ihrem unfruchtbaren Reich vergehn. 225
30  »Sie setzten also ihrer Streng' ein Ziel
Und suchten sich aus allem Volk, das ihnen
Binnen vier Jahren in die Hände fiel,
Zehn schöne Ritter aus, die tüchtig schienen
Als gute Krieger in dem Minnespiel
Auch gegen hundert ihrerseits zu dienen.
Denn ihrer waren hundert, und nun hatte
Nach Landesrecht zehn Frauen jeder Gatte.
31  »Erst köpften sie noch eine große Zahl,
Die sie zu schwach beim Probekampf erfanden,
Doch jenen zehnen ward nach scharfer Wahl
Antheil an Bett und Herrschaft zugestanden.
Die zehne mußten schwören, jedesmal,
Wenn andre Männer kämen hier zu landen,
Dann alle, die das Meer ans Ufer werfe,
Grausam zu tödten mit des Schwertes Schärfe.
32  »Schwanger zu werden, Kinder zu gebären,
Ward jetzt der Brauch, doch auch die Furcht begann,
Sie möchten schließlich so viel Söhne nähren,
Daß man sich ihrer nicht erwehr', und dann
Die Männer die Gewalt zurückbegehren,
Das Regiment, das man so lieb gewann.
Und so beschloß man durch Gesetz zu hindern,
Daß je Rebellen würden aus den Kindern. 226
33  »Zum Schutze vor der Männer Übermacht
Läßt die verruchte Satzung jedem Weibe
Nur einen Sohn; der Rest wird umgebracht,
Verkauft, vertauscht, damit nur einer bleibe.
Man sendet sie von Ort zu Ort und macht
Dem Führer es zur Pflicht, daß er bei Leibe
Nur Mädchen eintauscht, wenn ein Tausch gelingt,
Sonst lieber bares Geld nach Hause bringt.
34  »Sie schonten wohl auch jenes einen nicht,
Wenn die Erhaltung ihrer Herd' es litte.
Mehr Schonung kennt die arge Satzung nicht,
Auch nur für Landeskinder, nicht für dritte;
Für diese galt das gleiche Blutgericht,
Und nur in einem beugte man die Sitte,
Daß nicht die Frauen mehr in wüstem Schlachten,
Wie Anfangs Brauch war, alles niedermachten.
35  »Wenn fremdes Volk an diesen Strand geriet,
So hielt man sie im Kerker unter Wache,
Und täglich einen, wie das Loos entschied,
Zog man hervor und schleppt' ihn nach dem Dache
Des graus'gen Tempels, den für ihr Gebiet
Einst Orontea hat erbaut der Rache.
Und einer von den zehnen war verdammt,
Sobald das Loos ihn traf zum Henkeramt. 227
36  »Seit jener Zeit war manches Jahr verflossen,
Da kam ein Jüngling in das Mörderland,
Vom Stamm des guten Hercules entsprossen
Und selbst ein tapfrer Held, Elban genannt.
Bevor er sich's versah, war er geschlossen,
Denn sonder Arg betrat er diesen Strand,
Und mit den andern ward er im Gefängniß
Verwahrt für jenes blutige Verhängniß.
37  »Von Antlitz war er lieblich und entzückend,
Sein Anstand fein wie eines edlen Herrn,
Sanft seine Rede und so herzberückend,
Selbst eine Natter, glaub' ich, hört' ihn gern.
So drang denn das Gerücht, mit Lob ihn schmückend,
Gleichwie von einem neuen Wunderstern,
Zu Alexandra, Orontea's Kind,
Die noch am Leben war, steinalt und blind.
38  »Die lebte noch, die letzte, die dem Zug
Phalants gefolgt war; schon war mittlerweile
Die Zahl verzehnfacht, die der Boden trug,
Und Macht und Ansehn wuchs zu gleichem Theile.
Doch auf zehn Schmieden, die doch oft genug
Geschlossen standen, kam nur eine Feile.
Zehn Ritter mußten jetzt noch wie vor Zeiten
Den Fremden schrecklichen Empfang bereiten. 228
39  »Weil nun die Neugier Alexandra trieb
Den Mann zu sehn, der alle Welt bethörte,
Mußt' ihre Mutter endlich ihr zu Lieb
Nachgeben, so daß sie ihn sah und hörte.
Und als sie von ihm scheiden wollte, blieb
Ihr Herz bei ihm, der ihren Frieden störte.
Sie fühlte Ketten, die sie leis' umschlangen,
Und ihr Gefangner nahm sie selbst gefangen.
40  »Da sprach Elban: wenn von Barmherzigkeit
In diesem Reiche Kunde noch bestände,
Die man in jedem andren Reich, soweit
Die liebe Sonne wärmt und leuchtet, fände,
Ich wagt' es, bei der holden Lieblichkeit,
Die jedes edle Herz bald überwände,
Euch anzuflehn, das Leben mir zu gönnen,
Um eurem Dienste dann es weihn zu können.
41  »Weil aber hier man, der Natur zum Hohne,
Das Mitleid aus der Menschenbrust verbannt,
Bitt' ich euch nicht, daß man mein Leben schone,
Denn daß es fruchtlos wär', ist mir bekannt.
Jedoch als Ritter, sei es mit, sei's ohne
Verdienste, stürb' ich gern Schwert in der Hand,
Nicht wie der Dieb stirbt zu verdienter Strafe,
Noch wie ein Opfer gleich dem blöden Schafe. 229
42  »Die sanfte Alexandra, der die Zähre
Des Mitleids aus den schönen Augen rann,
Versetzte: wenn es auch grausamer wäre,
Dies Land, als alle, die man nennen kann,
Daß darum jedes Weib hier zur Megäre
Geworden sei, erkenn' ich nimmer an,
Und wären alle andern es, ich schwöre,
Daß ich zu den Megären nicht gehöre.
43  »Und wär' ich auch bisher so schlimm und schlimmer
Gewesen als so viele hier zu Land,
So kann ich sagen, daß zuvor ich nimmer
Mitleid zu üben einen Anlaß fand.
Ein Tiger müßt' ich aber sein und grimmer,
Als Tiger sind, und hart wie Diamant,
Wenn nicht die Härte schwänd' aus dem Gemüte
Vor deiner Schönheit, Tapferkeit und Güte.
44  »Und hülf' es, dem Gesetz zu widerstreben,
Wonach sie jeden Gast dem Tode weihn,
Ich würde mich nicht scheun mit meinem Leben
Dein viel wertvollres Leben zu befrein.
Jedoch um freien Beistand dir zu geben,
Ist hier die Macht der größesten zu klein,
Und selbst das wenige, was du verlangst,
Wird Mühe kosten, eh du es erlangst. 230
45  »Doch will ich sehn, ob ich's für dich erflehe,
Was diesen Trost im Tode dir verspricht.
Ich fürchte nur, es wird das Todeswehe
Verlängern und verschärfen das Gericht. –
Da sprach Elban: wenn ich in Waffen stehe,
Selbst gegen zehn, so heg' ich Zuversicht,
Die zehn zu tödten und mich selbst zu retten,
Wenn sie auch Leiber ganz von Eisen hätten.
46  »Das Mädchen sagte nichts auf dieses Wort;
Sie seufzte, eilte fort, und im Enteilen
Trug sie der Liebe Wunden mit sich fort,
Die tief im Herzen bluten und nicht heilen.
Sie ging zur Mutter; die versprach zum Mord
Des Ritters den Befehl nicht zu ertheilen,
Wenn ihm die Probe solcher Kraft gelinge,
Daß er allein die zehn ums Leben bringe.
47  »In ihrer Ratsversammlung sprach sodann
Die Königin: es frommt der guten Sache,
Daß stets der beste, den man haben kann,
Für uns die Häfen und den Strand bewache,
Und um zu sehn, wer ist der beste Mann?
Daß man von neuem stets die Probe mache,
Damit nicht uns zum Schaden und Verdruß
Der schlechte herscht, der tapfre sterben muß. 231
48  »Mir scheint, wofern es euch so scheint, man müßte
Verordnen, daß ein Ritter jederzeit,
Den sein Geschick verschlägt an diese Küste,
Eh man im Tempel ihn dem Tode weiht,
Befugt sein solle, falls es ihn gelüste,
Sich zu versuchen mit den zehn im Streit,
Und ist er stärker dann als unsre Fechter,
Sei er mit andren neun des Hafens Wächter.
49  »Man sagt mir, daß hier ein Gefangner sei,
Der zehn besiegen woll' und darauf schwöre.
Wohnt in der That ihm solche Stärke bei,
Verdient er, daß man ihn (bei Gott!) erhöre.
Dagegen blieb' er nicht von Strafe frei,
Wenn er geprahlt hätt' und das Spiel verlöre.« –
So redet' Orontea, und es sagte
Dagegen eine andre hochbetagte:
50  »Der erste Grund, aus dem der Plan entstand,
Den Männern Zutritt in das Reich zu gönnen,
War keineswegs, weil man es nötig fand,
Daß wir durch ihre Hilfe Schutz gewönnen.
Wir haben selbst den Mut und den Verstand,
Um das zu thun, und haben auch das Können,
Wenn wir nur ebenso im Stande wären
Auch ohne sie Nachkommen zu gebären. 232
51  »Weil aber wir allein dies nicht verstehn,
So nahm man sie, doch nicht zu viel', als Gatten,
So daß nicht mehr als einer komm' auf zehn,
Um ihnen nie die Herrschaft zu gestatten.
Um zu empfangen, ließen wir's geschehn,
Nicht weil wir sie zum Schutze nötig hatten;
Dies leist' uns ihre Mannheit, dies allein;
Sonst mögen sie unnütz und feige sein.
52  »Daß solch ein starker Mann Zutritt erlange,
Ist gänzlich wider Absicht und Vertrag.
Wie vielen Weibern hielte der die Stange,
Wenn er allein zehn Männer tödten mag.
Ja, wären unsre zehn von solchem Range,
Sie hätten uns besiegt am ersten Tag.
Das ist der Weg zur Herrschaft nicht, die Waffen
Dem, welcher stärker ist als wir, zu schaffen.
53  »Bedenk' auch dies: wenn ihm in diesem Strauß
Das Glück vergönnt die zehne zu bezwingen,
So werden hundert Weiber, deren Haus
Verwitwet bleibt, wehklagend dich umringen.
Will er sich lösen, such' er bessres aus,
Als uns zehn junge Männer umzubringen.
Ja, wenn er hundert Frauen leisten kann,
Was zehn vermögen, dann verschont den Mann. 233
54  »So sprach Artemia, jedes Mitleids bar,
(Artemia war ihr Nam',) und ihretwegen
Hätt' auch Elban geschlachtet am Altar
Der finstren Götter bald genug gelegen.
Indeß die Mutter Orontea war
Für ihrer Tochter Wunsch und sprach dagegen,
Stets neue Gründ' erfindend, und zuletzt
Ward im Senat ihr Vorschlag durchgesetzt.
55  »Daß man von allen Rittern seiner Zeit
Elban als allerschönsten pries, das that es;
Das schien von großer, hoher Wichtigkeit
Den jüngeren Mitgliedern des Senates.
So schoben sie der ältren Rat beiseit,
Die mit Artemia am Gesetz des Staates
Festhielten, und es fehlte nicht gar viel,
So hatt' Elban schon jetzt gewonnen Spiel.
56  »Kurz man beschloß: er soll das Leben retten,
Wenn's ihm gelingt, die zehne zu bestehn
Und ebenso die Gegner in den Betten,
Und auch nicht hundert, sondern wieder zehn.
Man löste nächsten Tags ihn von den Ketten,
Und so, mit Pferd und Waffen wohlversehn,
Stellt' er allein zehn Kriegern sich entgegen,
Und ihm gelang sie alle zu erlegen. 234
57  »Nackt und allein mußt' er zur Probe dann
Zehn Mädchen zeigen, was er könn' und gelte,
Und so erfolgreich schlug das Wagniß an,
Daß er den ganzen Schwarm zufrieden stellte,
Was Orontea's Gunst ihm so gewann,
Daß sie als Sohn ihn annahm. Sie gesellte
Die Tochter ihm als Weib zu und nicht minder
Die andern neun erprobten schönen Kinder,
58  »Und ließ als Erben ihn und Alexandren
(Nach der die Stadt noch heute wird genannt)
Mit dem Beding, daß sie und alle andren
An dem Gesetz festhalten unverwandt:
Daß, wer das Unglück hat hierher zu wandern
Und wer den Fuß setzt an den Unheilsstrand,
Die Wahl hat, ob er sich zum Opfer geben,
Ob fechten will mit zehnen um sein Leben.
59  »Kann er am Tag die Männer niedermachen,
So weis' er Nachts sich bei den Weibern aus,
Und sollt' auch dann das Glück ihm wieder lachen,
So daß er Sieger bleibt in diesem Strauß,
Soll er als Fürst das Frauenreich bewachen.
Dann wähl' er selbst zehn neue Krieger aus
Und hersche hier, bis sich ein andrer findet,
Der stärker ist und der ihn überwindet. 235
60  »Der arge Brauch, zweitausend Jahre fast
Hat er bestanden und besteht noch heute,
Und kaum vergeht ein Tag, wo nicht ein Gast
Im Tempel stirbt, dem Blutgesetz zur Beute.
Wenn aber ein Elban ein Herz sich faßt
Zu kämpfen, (manchmal kommen solche Leute,)
So fällt er meist im ersten Kampf; zum zweiten
Gelingt es kaum dem tausendsten zu schreiten.
61  »Zwar etlichen gelang es, dann und wann,
Die an den Fingern sich herzählen ließen;
So jenem Argilon, der kaum begann
Mit seinen zehn der Herrschaft zu genießen,
Als ich hierher verschlagen ward, um dann
Die Augen ihm zum ew'gen Schlaf zu schließen.
Wär' ich gestorben, als ich ihn erstach,
Statt daß ich leb', ein Sklav in solcher Schmach!
62  »Denn Liebeslust und Scherz und Spiel und Tanz,
Was alle meines Alters doch begehren,
Der Purpur und der Edelsteine Glanz
Und in der eignen Stadt die höchsten Ehren,
Das hat, bei Gott, noch keinen Menschen ganz
Getröstet, der die Freiheit muß entbehren,
Und ewig so zu bleiben, nimmer frei,
Dünkt mir unleidlich schwere Sklaverei. 236
63  »Die Blütezeit des Lebens hinzubringen
Bei solchem schnöden Werke, das erhält
Die Dornen scharf, die stets ins Herz mir dringen,
Und hat mir den Geschmack des Glücks vergällt.
Der Kriegsruhm meines Hauses spreizt die Schwingen
Gen Himmel und durchfliegt die weite Welt,
Davon auch ich vielleicht mein Theil erstritte,
Wenn ich ins Feld mit meinen Brüdern ritte.
64  »Mich dünkt, daß ich vom Glück betrogen werde,
Das mich erkor zu diesem Knechtsberuf,
Wie man den Gaul zurückschickt zu der Herde,
Den ein Gebrest an Augen oder Huf
Untauglich hat gemacht für die Beschwerde
Des Krieges und zu edlerem Behuf.
Der Tod allein kann mich aus dieser herben
Knechtschaft befrein; drum sehn' ich mich zu sterben.«
65  So sprach der Jüngling und vermaledeite
In seinem Zorn den Tag, der ihm den Sieg
Verliehen hatt' im Kampf und Minnestreite,
Durch dessen Gunst er hier den Thron bestieg.
Astolf inzwischen hatt' an seiner Seite
Ihm zugehört und schaut' ihn an und schwieg,
Bis er durch sichre Zeichen fand, Guidon
Sei wirklich seines Oheims Haimon Sohn. 237
66  Dann sagt' er ihm: »Ich bin Astolf der Britte,
Dein Vetter,« und stand auf in großer Hast
Und küßte zärtlich ihn nach Freundessitte
Und hielt, nicht ohne Thränen, ihn umfaßt.
»Mein lieber Vetter, wenn noch Zweifel litte
Dies Muttermal, das du am Halse hast,
Das Zeugniß deines Schwertes, deines Mutes
Bewiese schon, du seiest unsres Blutes.«
67  Wie freudig würd' ihn jetzt Guidon empfangen,
Könnt es an einem andren Ort geschehn!
Statt deß ließ er den Kopf bekümmert hangen,
Denn schmerzlich war's den Vetter hier zu sehn.
Bleibt er am Leben, bleibt Astolf gefangen,
Und morgen schon soll alles vor sich gehn;
Wird aber jener frei, hat er zu sterben;
Was jenem Heil ist, ist für ihn Verderben.
68  Auch schmerzt es ihn, daß, wenn er triumphirt,
Die andren Sklaven sind für ew'ge Zeiten,
Und daß, wenn er das Leben auch verliert,
Dies nicht genügt das Unheil abzuleiten;
Denn wenn Marfisa einen Sumpf passirt
Und hinterdrein dann stecken bleibt im zweiten,
So schlägt sie ihn umsonst, und immer droht
Den andren Knechtschaft und ihr selbst der Tod. 238
69  Inzwischen hatt' auch seiner Jugend Blüte,
Sein Heldenmut und ritterlicher Sinn
Mitleid und Lieb' erweckt in dem Gemüte
Sowohl der Ritter als der Kriegerin.
Denn daß Marfisa ihre Freiheit hüte
Durch seinen Tod, deucht' ihnen kein Gewinn;
Sie aber, wenn kein andrer Weg sich böte,
Wollt' eher sterben, eh sie diesen tödte.
70  Sie sprach zu ihm: »Du mußt zu uns dich schlagen,
Dann brauchen wir Gewalt, und du entrinnst.«
»Ach (sprach er) jeder Hoffnung woll' entsagen,
Je zu entfliehn, ob ich, ob du gewinnst.«
Sie sagte drauf: »Mein Herz pflegt nie zu fragen,
Kannst du auch endigen, was du beginnst?
Und stets hab' ich gefunden, daß mein Degen
Am sichersten mich führt auf allen Wegen.
71  »Mit dir will ich mich jeder That getrau'n:
So lernt' ich heute dein Vermögen schätzen.
Wenn sich die Rotte morgen um den Zaun
Versammelt hat auf den gestuften Plätzen,
Dann will ich, daß wir alles niederhaun,
Ob sie sich flüchten oder widersetzen,
Dem Fraß der Geier und der Wölf' im Lande
Ihr Fleisch preisgebend und die Stadt dem Brande.« 239
72  Guidon antwortet' ihr: »Ich bin bereit
Zu Kampf und Tod mit dir in dieser Sache;
Nur glaube nicht, daß Kämpfen uns befreit;
Genügen muß uns schon ein wenig Rache.
Zehntausend Weiber hab' ich oft zur Zeit
Am Platz gezählt, und dann verbleibt als Wache
Die gleiche Zahl für Stadt und Schloß und Bucht,
Und nirgend wüßt' ich einen Weg zur Flucht.«
73  Da sprach Marfisa: »Mehr laß ihrer sein,
Als Männer einst ums Zelt des Xerxes lagen,
Mehr als der Engel, die zu ew'ger Pein
Vom Himmel sind gestürzt in alten Tagen;
Bist du mit mir, nur nicht in ihren Reih'n,
So will ich all' an einem Tag erschlagen.«
Darauf antwortete Guidon Marfisen:
»Ich kenne keinen Weg des Heils als diesen,
74  »Der jetzt mir in den Sinn kömmt, und auf den
Läßt sich allein ein Plan der Rettung bauen.
Vors Thor und an den salz'gen Strand zu gehn
Ist keinem hier gestattet als den Frauen;
Ich muß daher, soll ein Versuch geschehn,
Mich einem meiner Weiber anvertrauen,
Das seine Liebe mir schon oft bewährt
Durch größren Dienst, als dieser Fall begehrt. 240
75  »Sie wünscht mit mir, dem Joch mög' ich entrinnen,
Wenn sie nur mitgeht; denn die gute macht
Sich Hoffnung, fern von Nebenbuhlerinnen
Allein mich zu besitzen Tag und Nacht.
Die soll im Hafen vor des Tags Beginnen
Ein Schiff bestellen, Kutter oder Jacht,
Daß eure Schiffer auf das erste Zeichen
Absegeln können, wann sie es erreichen.
76  »In einem Zug geschlossen hinter mir,
Ritter und Kaufleut' und die Rudersklaven,
So viel zu meiner Dankverpflichtung hier
Versammelt sind, in meinem Haus zu schlafen, –
Mit kühner Brust Bahn brechen müsset ihr,
Wenn man uns hindert auf dem Weg zum Hafen.
So hoff' ich, und mit Hilfe guter Klingen,
Euch aus der mörderischen Stadt zu bringen.«
77  Marfisa sprach: »Thut ihr, was euch gefällt;
Ich bin gewiß, daß ich hinaus gelange.
Viel eher glaub' ich, daß hier alle Welt
In dieser Stadt von mir den Tod empfange,
Als daß man sehn wird, daß ich feig das Feld
Räum' oder sonst verrate, mir sei bange.
Ich will bei Tag und mit Gewalt vors Thor,
Denn alles andre kömmt mir schimpflich vor. 241
78  »Ich weiß, würd' ich als Mädchen hier erkannt,
Daß dann die Weiber mich willkommen hießen
Und gern mich hier aufnähmen in ihr Land
Und obenan im Rat mich sitzen ließen.
Indeß weil ich mit diesen mich verband,
Will ich vor ihnen keine Gunst genießen.
Schlecht wär's, wenn frei ich bliebe oder frei
Fortging' und ließe sie in Sklaverei.«
79  Wie diese Reden noch ein Weilchen währten,
Bewies Marfisa, daß nur ein Betracht,
Der Hinblick auf das Schicksal der Gefährten
(Die ihre Kühnheit hätt' in Not gebracht)
Sie abhielt von dem hohen, staunenswerten
Wagnisse gegen solche Übermacht.
So überließ sie dem Guidon am Ende
Den Weg zu wählen, den er sichrer fände.
80  Guidon sprach mit Alerien in der Nacht,
Der treusten unter den ihm angefreiten,
Und viele Worte wurden nicht gemacht;
Sie war sofort bereit zum Werk zu schreiten,
Sie ließ ein Schiff ausrüsten, und als Fracht
Vertraute sie ihm ihre Kostbarkeiten
Und schützte vor, daß mit den andren Frau'n
Sie kreuzen wolle gleich nach Tagesgrau'n. 242
81  Auch Schild' und Panzer, Spieß' und Schwerter brachte
Vorsorglich sie zusammen im Palast,
Daß sie die Handelsleute wehrbar machte,
Und Rudrer; denn die waren nackend fast.
Die eine Hälfte schlief, die eine wachte,
Abwechselnd mit der Arbeit und der Rast,
Und spähten oft, in voller Rüstung immer,
Gen Osten nach dem ersten roten Schimmer.
82  Der Enkel des Lycaon ist der unter die Sterne versetzte Arcas, Sohn des Jupiter und der Calisto. Das betreffende Sternbild ist der kleine Bär oder der Pflug, welches bis Tagesanbruch sichtbar bleibt. Erst mit dem Morgen wendet der Pflüger den Pflug, um zu rasten. Nach der Sage hat Arcas den Pflug erfunden.  Noch hatt' Apoll vom starren Angesicht
Der Erde nicht das schwarze Tuch verschoben,
Noch hatte des Lycaon Enkel nicht
Den Pflug gewendet auf dem Felde droben,
Als schon der Weiberschwarm die Bänke dicht
Besetzte, zuzuschaun den Kampfesproben,
Wie Bienenvolk des Baues Schwell' im Lenz
Erfüllt bei Änderung des Regiments.
83  Von Trommeln, Hörnern und Trompetenton
Ließ nun die Menge Erd' und Himmel dröhnen;
So rief sie ihren Fürsten, um das schon
Begonnene Gefecht mit Sieg zu krönen.
In Waffen stand Astolf, stand auch Guidon,
Stand neben Olivers berühmten Söhnen
Marfisa, Samson und der ganze Troß,
Zu Fuß die einen, andre hoch zu Roß. 243
84  Nun konnte man zum Hafen nur gelangen,
Wenn man zuvor den Kampfplatz überschritt;
Sonst gab es weder kurzen Weg noch langen,
So theilt' ihr Wirt und Führer ihnen mit.
Und sie ermunternd nun, nicht zu erbangen,
Setzt' er geräuschlos seinen Zug in Tritt
Und führt' ihn, mehr als hundert, durch die Straßen
Nach jenem Platze, wo die Weiber saßen.
85  Dort trieb er sich zu sputen die Genossen
Und wollte durch die andre Pforte ziehn.
Das Volk jedoch, das immer mit Geschossen
Und andren Waffen auf dem Platz erschien,
Argwöhnte, weil es sah, daß ihm geschlossen
Die andre Schar nachfolgt', er wolle flieh'n,
Und alles griff zum Bogen, und entgegen
Kam ihm der Schwarm, die Straße zu verlegen.
86  Guidon und auch die andren tapfren Ritter
Und die gewalt'ge Kriegerin zumal
Besinnen sich nicht lange: Pfort' und Gitter
Zu stürmen, schwingen sie den blanken Stahl;
Als aber rings umher wie ein Gewitter
Die scharfen Pfeil' in ungemessner Zahl,
Wunden und Tod austheilend, sich entladen,
Befürchten sie, es kömmt zu Schimpf und Schaden. 244
87  Vollkommnen Harnisch trugen diese Streiter,
Sonst hätte größre Sorge sie bedroht.
Des Samson Pferd fiel unter seinem Reiter,
Und auch Marfisa's Schimmelhengst blieb todt.
Jetzt sprach Astolf bei sich: was wart' ich weiter?
Nie half mein Horn mir noch aus größrer Not.
Laßt sehen, da die Schwerter uns nicht nützen,
Ob wir den Marsch nicht mit dem Horn beschützen.
88  Wie er sich stets im allerschlimmen Fall
Zu helfen pflegt, führt er das Horn zum Munde.
Kaum braust hervor der grauenhafte Schall,
So ist's, als ob die Welt erbebt im Grunde.
Vor jähem Schrecken stürzen überall
Die Weiber in der nämlichen Sekunde
Kopfüber, um zu flüchten, von den Bänken,
Der Wache vor dem Thor nicht zu gedenken.
89  So stürzen mit Gefahr für Kopf und Glieder
Aus Fenstern und vom obersten Gemach
Die Hausbewohner, wann sie auf und nieder
Das Feuer lodern sehn, das nach und nach,
Indeß der träge Schlaf die Augenlider
Verschlossen hielt, hinanwuchs bis zum Dach:
So geben jen' ihr Leben preis und drängen
Und flüchten vor den fürchterlichen Klängen. 245
90  Sie drängen hin und her, hinab, hinauf,
Als hätten alle den Verstand verloren,
Treten sich nieder, hemmen sich im Lauf,
Tausend auf einmal wollen aus den Thoren.
Ein Theil wird umgerannt und steht nicht auf,
Ein Theil springt von den Fenstern und Emporen,
Hier werden Arme, Köpfe dort gebrochen,
Dort giebt es Leichen, hier zerschlagne Knochen.
91  Geschrei und Jammer stieg aus dem Gedränge
Zum Himmel auf und Trümmersturz und Krach.
Entsetzt – soweit man hört die Wunderklänge –
Rennt alles Volk und läßt im Lauf nicht nach.
Wenn ihr vernehmt von der gemeinen Menge,
Daß klein ihr Mut war und die Herzen schwach,
So wundert ihr euch nicht; denn allerwegen
Ist's die Natur des Hasen, Furcht zu hegen.
92  Was sagt ihr aber von dem mutentfachten
Herzen Marfisa's oder von Guidon?
Was von den Zwillingsbrüdern, die in Schlachten
Ihr Haus verherrlichten als Knaben schon?
Sie, die zehntausend sonst für Nullen achten,
Verloren hier die Fassung und entflohn
Wie die Kaninchen, wie erschrockne Tauben,
Wann sie des Feindes Schritt zu hören glauben. 246
93  Die Freunde also wie die Fremden schlug
Der Zauber, der im Horn des Britten hauste.
Samson, Guidon, die Brüder trieb's im Flug
Marfisen nach, der vor Entsetzen grauste.
So weit sie flohn, nie war es weit genug,
Daß nicht ins Ohr der mächt'ge Donner brauste.
Astolf ritt auf und ab die Stadt entlang,
Und immer lauter scholl des Hornes Klang.
94  Zum Meere rannten und zum Berg empor
Und in den Wald, die diesen Schall vernahmen.
Zehn Tage liefen etliche, bevor
Sie nur die Zeit sich, umzublicken, nahmen,
Und ein'ge fuhren dergestalt durchs Thor,
Daß sie ihr Lebelang nicht wiederkamen.
Sie räumten Häuser, Tempel, Markt und Gassen,
Und schließlich war die Stadt fast ganz verlassen.
95  Marfisa und die Zwilling' und Guidon
Und Samson flohen mit verstörten Mienen
Hinab zum Meer, hinab zum Meere flohn
Die Kaufleut' und Matrosen hinter ihnen.
Dort, zwischen den Castellen, harrte schon
Aleria's Schiff, bereit zur Flucht zu dienen,
Und nahm sie schleunig auf, und in die Wogen
Tauchten die Ruder, und die Segel flogen. 247
96  Der Herzog hatt' indeß an allen Ecken
Die Stadt durchstreift bis an den Meeresbord.
Verödet hatt' er all die weiten Strecken;
Versteckt war alles oder auf und fort.
Gar manche stürzte sich in feigem Schrecken
An finstern, wenig saubern Zufluchtsort,
Und manche war vor Angst ins Meer gelaufen
Und schwamm hinaus und mußte drin ersaufen.
97  Jetzt kömmt der Herzog nach dem Hafenrande;
Dort, meint er, müssen die Genossen sein.
Er schaut sich um, er sucht sie auf dem Strande,
Er späht und wartet, – niemand stellt sich ein.
Er hebt die Augen auf, und fern vom Lande
Sieht er die Segel weiß im Sonnenschein.
Was ist zu thun? das Schiff ist abgegangen,
Es gilt auf andre Art heim zu gelangen.
98  Laßt ihn nur gehn und macht euch keine Sorgen,
Weil er allein den weiten Weg durchmißt
Durch wilde Heidenländer fern im Morgen,
Wo niemand seines Lebens sicher ist.
In jeglicher Gefahr ist er geborgen,
Mit seinem Horn, wie ihr ja selber wißt.
Wir schaun uns lieber um nach jenen Rittern,
Die auf die See entflohn mit Angst und Zittern. 248
99  Mit vollen Segeln flüchten sie, dem Bann
Des blut'gen Küstenstriches zu entweichen,
Und als die grauenhaften Töne dann
In hoher See ihr Ohr nicht mehr erreichen,
Fängt ungewohnte Scham zu brennen an,
Bis alle Wangen rotem Feuer gleichen.
Sie wagen nicht einander anzusehn,
Gesenkten Blicks und stumm sieht man sie stehn.
100  Der Schiffer, den sein Herz nach Hause zieht,
Läßt Cypern, Rhodus auf der Seite liegen.
Wohl hundert Inseln fliehn dahin, man sieht
Malea's schlimmes Cap vorüberfliegen,
Und wie die griechische Morea flieht,
Läßt er das Fahrzeug um Sicilien biegen,
Und durchs tyrrhener Meer lenkt er den Gang
Des Schiffs, Italiens schöne Küst' entlang.
101  Und endlich konnt' er dann in Luna landen,
Wo er sein Haus und Weib und Kinder ließ.
Gott dankend, daß er alles überstanden,
Legt' er an des bekannten Ufers Kies.
Da sie daselbst nun einen Schiffer fanden,
Der schnelle Fahrt nach Frankreich gern verhieß,
So segelten sie selb'gen Tags und trafen
Nach kurzem ein in dem Marseiller Hafen. 249
102  Damals war Bradamante nicht am Ort,
Um in Person die Gegend zu regieren,
Sonst zwänge sie gewiß mit holdem Wort
Die Gäste, sich bei ihr einzuquartiren.
Man stieg ans Land, und kaum war man von Bord,
So nahm Marfisa Abschied von den vieren,
Sagt' ihnen und der Frau Guidons Lebwohl
Und zog von dannen aufs Gerathewohl,
103  Weil sie's nicht löblich fand, daß eine Schar
So vieler Ritter mit einander gehe;
In großen Haufen ziehe Taub' und Staar,
Die Thiere, die sich fürchten, Hirsch' und Rehe;
Jedoch der kühne Falk, der stolze Aar,
Deß Hoffnung nicht auf fremde Hilfe stehe,
Zieh' einsam, wie auch Löwen, Tiger, Bären,
Und fürchte nicht, daß andre stärker wären.
104  Die andern dachten anders, und das Scheiden
War nun an ihr, und so durch Wüstenei'n
Und mitten durch die Wälder und die Haiden
Auf wilden Wegen zog sie ganz allein.
Grifon und Aquilant und ihre beiden
Gefährten schlugen offne Straßen ein
Und hielten Tags darauf vor einem Schlosse,
Das freundlich aufnahm sie und ihre Rosse. 250
105  Dem Anschein nach sehr freundlich, will ich sagen,
Denn grade umgekehrt war der Verlauf.
Der Herr des Schlosses, freundliches Betragen
Und Güte heuchelnd, nahm die Ritter auf,
Und Nachts, als arglos sie im Schlafe lagen,
Sperrt' er sie ein und heischt' als Lösekauf,
Daß sie durch Eidschwur sich anheischig machten,
Ein schändliches Gesetz treu zu beachten.
106  Indeß von jener kühnen Amazone
Geb' ich zuvor euch, gnäd'ger Herr, Bericht.
Sie überschritt Durance, Rhone und Saone
Und kam an ein Gebirg voll Sonnenlicht,
Und eine schwarzgekleidete Matrone,
Am Gießbach wandernd, kam ihr zu Gesicht,
Die müd' und matt war von des Weges Dauer,
Mehr aber noch gebeugt von finstrer Trauer.
107  Dies war die Alte, die im Berg' als Magd
Gedient hat bei den räuberischen Wichten,
Bis göttliches Gericht, wie ich gesagt,
Den Grafen sandte, jene zu vernichten.
Die Alte war, von Todesfurcht gejagt,
(Aus Gründen, die ich später will berichten,)
Seit Tagen schon geirrt durch ödes Land,
Vor jedem fliehend, der sie einst gekannt. 251
108  Weil nun Marfisa ihr ein Fremdling schien
Nach dem Geschirr und nach dem Kriegsgewande,
So floh die Alte nicht, wie sie zu fliehn
Gewohnt war vor den Leuten aus dem Lande.
Keck, ohne eine Miene zu verziehn,
Blieb an der Furt sie stehn, am Bachesrande,
Und als Marfisa diese Furt gewann,
Trat jene vor und sprach sie grüßend an
109  Und bat, daß jene aus Barmherzigkeit
Sie durch das Wasser bring' auf ihrem Pferde.
Marfisa, edelmütig allezeit,
Nahm sie hinüber ohne viel Beschwerde
Und ließ sie reiten eine Strecke weit,
Bis sie an bessern Weg gelangen werde,
Aus dem Morast, und während dessen sahn
Die beiden vor sich einen Ritter nahn.
110  Auf schöngezäumtem Roß kam er heran,
In prächt'ger Kleidung und in blanken Schienen.
Ein Fräulein kam mit dem geputzten Mann,
Ein einz'ger Knappe folgte hinter ihnen.
Schön war das Fräulein, wie man sagen kann,
Doch freundlich nicht, von übermüt'gen Mienen,
Voll Hoffart und voll Dünkels ganz und gar,
Des Ritters würdig, der ihr Führer war. 252
111  Der Mainzer war's, der Pinabel sich nannte,
Der hatte sie des Weges mitgebracht,
Derselbe, der vor Monden Bradamante
Hinabstieß in den tiefen Felsenschacht.
All jene Seufzer, heiße, liebentbrannte,
Die Thränen, die beinah ihn blind gemacht,
Sie galten ihr, die heute mit ihm kam
Und die der Zaubrer dazumal ihm nahm.
112  Als aber das verzauberte Gemäuer
Des alten Atlas von dem Berg verschwand
Und dann, durch Bradamante's Abenteuer,
Jeder Gefangne seine Freiheit fand,
Da kehrte sie, die dem verliebten Feuer
Des Pinabel schon erst nicht widerstand,
Zurück zu ihm, und jetzt zog die befreite
Umher von Schloß zu Schloß an seiner Seite.
113  Und weil sie frech war und auf Schmähn erpicht
Und jetzt Marfisa mit der Frau entdeckte,
Bemeisterte sie ihre Zunge nicht,
Daß sie die Alte nicht verhöhnt' und neckte.
Marfisa nun, vor deren Angesicht
Man niemals sonst zu schmähen sich erkeckte,
Erzürnt' und rief dem jungen Fräulein zu:
»Die Alte hier dünkt schöner mir als du. 253
114  »Und deinem Ritter auch will ich es zeigen,
Mit der Bedingung, daß ich dir dein Kleid
Und deinen Zelter nehme, mir zu eigen,
Wenn ich ihn aus dem Sattel heb' im Streit.«
Dazu nun konnte Pinabel nicht schweigen,
Und mit den Waffen gab er ihr Bescheid.
Er warf das Pferd herum, nahm Schild und Lanze
Und kam voll Grimms heran zum Waffentanze.
115  Marfisa zielt' auf Pinabels Visier
Und ritt ihm mit der großen Stang' entgegen
Und warf ihn nieder. Eine Stunde schier
Lag er am Boden ohne sich zu regen.
Marfisa aber siegreich im Turnier,
Befahl dem Fräulein, Kleider abzulegen,
Auch was sie von Geschmeiden trug am Leibe,
Und gab es alles dann dem alten Weibe.
116  Und dem befahl sie, statt der eignen alten
Die jugendlichen Kleider anzuziehn,
Und auch des Fräuleins Zelter zu behalten
Fand sie für gut und gab der andren ihn.
Dann ritt sie ihres Weges mit der Alten,
Die je geputzter desto garst'ger schien.
Drei Tage reisten sie gar viele Meilen
Und thaten nichts, was wert ist mitzutheilen. 254
117  Am vierten sahn sie einen jungen Herrn,
Der kam allein zu Roß in vollem Rennen.
Erführet ihr des Jünglings Namen gern,
So muß ich ihn Zerbin von Schottland nennen,
Der Tugend Muster und der Schönheit Stern,
In dessen Herzen Schmerz und Unmut brennen,
Weil er nicht strafen konnte jenen Wicht,
Der ihn gestört in seiner Ritterpflicht.
118  Vergebens war Zerbin durch Busch und Rohr
Dem Manne nachgefolgt, der ihn so kränkte,
Der aber kam beim Flüchten ihm zuvor,
Und weil er zeitig in das Dickicht schwenkte,
Half das Gebüsch ihm und ein Nebelflor,
Der um die Morgenzeit sich niedersenkte,
Daß er der Hand des Rächers sich entzog,
Bis in des Prinzen Brust der Zorn verflog.
119  Als nun Zerbin auf jene Alte stieß,
Mußt' er trotz allem Zorn von Herzen lachen.
Der jugendliche Putz und Aufzug ließ
Zu sonderbar dem wüsten alten Drachen.
Und als Marfisa nahte, sprach er dies:
»Du bist ein kluger Mann, es so zu machen;
Mit diesem Liebchen kannst du weit und breit
Durchs Land ziehn ohne Furcht vor andrer Neid.« 255
120  Das Weib, wenn man nach Runzeln rechnen kann,
War älter als die älteste Sibille
Und schien in ihrem Putz ein Pavian,
Den man herausstaffirt in lust'ger Grille,
Und garst'ger noch; in ihrem Blick begann
Der Zorn zu funkeln und der böse Wille.
Denn für ein Weib ist härter nichts auf Erden
Als häßlich oder alt genannt zu werden.
121  Darauf, als ob sie die Geduld verlöre,
Sprach die erlauchte, um nicht ihm allein
Den Spaß zu gönnen, zum Zerbin: »Ich schwöre,
Die Dam' ist schöner als du selber fein.
Indeß was ich aus deinem Munde höre,
Kann aus dem Herzen nicht gekommen sein;
Du giebst nur vor, sie nicht so schön zu finden,
Weil du zu feig bist, mit mir anzubinden.
122  »Denn welcher Ritter, wenn er diese hier,
So jung und schön, allein im Walde fände,
Ohn' andere Gesellschaft außer mir, –
Der nicht um sie gern jeden Kampf bestände?« –
»So trefflich (sprach Zerbin) paßt sie zu dir,
Ich möchte nicht, daß man sie dir entwende,
Und ich für mich bin nicht so unbescheiden;
Erfreu' dich nur an ihr; ich werd' es leiden. 256
123  »Verlangst du sonst noch Rechenschaft, so sprich;
Was ich vermag, sollst du sogleich erkennen.
Nur halte nicht für so verblendet mich,
Für diese da auch nur zum Scherz zu rennen.
Ob häßlich oder schön, sie bleibt für dich;
Ich will so holden Freundschaftsbund nicht trennen.
Ihr paßt zusammen, denn zu wetten ist,
Daß, wie die Dame schön, du tapfer bist.«
124  Drauf sprach Marfisa: »Ob du willst, ob nicht,
Du mußt versuchen sie mir abzujagen.
Ich will nicht, daß du solch ein hold Gesicht
Gesehn hast, ohne dich dafür zu schlagen.«
Zerbin versetzt': »Ich kenne keine Pflicht,
Mich abzumartern und den Hals zu wagen
Um einen Sieg, der, wenn man unterliegt,
Gewinn verschafft und Schaden, wenn man siegt.«
125  »Misfällt die Wette dir, will ich noch eine
Vorschlagen, aber die gewährst du mir;
(So sprach Marfisa) höre, wie ich's meine.
Sieg' ich, so schenk' ich sie zwangsweise dir,
Werd' ich von dir besiegt, bleibt sie die meine.
Laß sehn denn, wer sich trennen muß von ihr.
Wenn du verlierst, mußt du zu allen Zeiten
Sie überall, wohin sie will, begleiten.« 257
126  »So soll es sein,« antwortet' ihr Zerbin
Und schwenkt', um Feld zu nehmen. Dann im Bügel
Erhob er sich, bog mit geschlossnen Knien
Im Sattel sich, und mit verhängtem Zügel
Sucht' er den Schild der Jungfrau; doch es schien
Als stoß' er gegen einen Eisenhügel.
Sie aber traf des Gegners Helm so scharf,
Daß sie betäubt ihn aus dem Sattel warf.
127  Gar sehr misfiel's ihm in den Staub zu fliegen;
Das hatt' er nie erlebt, von keinem Mann,
Und tausendmal war's ihm geglückt zu siegen;
Als immerdar beschimpft sah er sich an.
Stumm blieb er lange Zeit am Boden liegen,
Und mehr noch schmerzt' ihn, als er sich besann,
Daß er, um sein gegebnes Wort zu halten,
Abziehen müsse mit der garst'gen Alten.
128  Die Siegerin, im Sattel, kam und lachte
Und sprach zum Prinzen: »Diese schenk' ich dir.
Je mehr ich ihre Huld und Schönheit achte,
Je größre Freude macht das Schenken mir.
Bewache sie, wie ich sie erst bewachte,
Und dien' an meiner Statt als Schützer ihr,
Und möge nie dein Schwur im Wind verwehen,
Mit ihr, wohin es ihr beliebt, zu gehen. 258
129  Ohn' Antwort abzuwarten, ließ alsbald
Marfisa ihren Gaul ins Dickicht rennen.
Zerbin, dem sie als junger Ritter galt,
Sprach zu der Alten: »Lehre mich ihn kennen,«
Und die verbarg ihm nicht den Sachverhalt,
Der, wie sie wußt', ihn giften werd' und brennen.
»Der Stoß, (so sprach sie) der dich in den Sand
Gestreckt hat, kam von eines Mädchens Hand.
130  »Denn diese tapfre, wie ihr zukömmt, nahm
Den Schild der Ritter an und Schwert und Stange.
Mit Frankreichs Helden sich zu messen, kam
Von Osten sie und weilt hier noch nicht lange.«
Darob empfand Zerbin so tiefe Scham,
Daß rot sich färbte nicht allein die Wange,
Nein wenig fehlte, daß nicht auch sein ganzer
Anzug errötete mitsamt dem Panzer.
131  Er steigt zu Pferde, grimmig vor Verdruß,
Daß seine Schenkel ihren Schluß verloren.
Die Alte lacht für sich, ihr ist's Genuß,
Den Stachel ihm recht tief ins Fleisch zu bohren.
Sie mahnt ihn, daß er sie begleiten muß,
Und er, des Schwurs gedenkend, senkt die Ohren,
Wie ein besiegter müder Gaul, der vorn
Im Maul den Zaum fühlt und im Bauch den Sporn. 259
132  »Grausames Schicksal,« hob er an zu stöhnen,
»Welch einen schlimmen Tausch verdank' ich dir!
Jene, die schöner war als alle schönen,
Die mich begleiten sollte, nahmst du mir;
Statt ihrer, meine Trauer zu verhöhnen,
Giebst du mir zum Ersatze diese hier!
Viel minder schlimm war's, alles einzubüßen,
Als solch ein Tausch des bittren statt des süßen.
133  »Das schönste Mädchen, das des Himmels Gnade
Je atmen ließ auf diesem Erdenkreis,
Hast du zerschellt am felsigen Gestade,
Giebst du den Fischen und den Vögeln preis,
Und diese, die im Grabe Wurm und Made
Längst füttern müßte, sparst du auf mit Fleiß
Zehn, zwanzig Jahre länger als du solltest,
Weil du mein Leid noch schwerer machen wolltest.«
134  So sprach der Jüngling, und nicht minder herbe
Schien nach den Worten und dem Blick sein Gram
Ob diesem neuen lästigen Erwerbe
Als um den Schatz, den ihm das Schicksal nahm.
Der Alten war von Ansehn Schottlands Erbe
Zwar unbekannt, doch als sie dies vernahm,
Erkannte sie, dies sei der auserwählte,
Von dem ihr Isabella stets erzählte. 260
135  Wenn die Geschicht' euch im Gedächtniß blieb,
So kam die Alte ja von jener Grotte,
Wo Isabella, die Zerbin so lieb
Gehabt hat, weilte bei der Räuberrotte
Und dort der Alten oft genug beschrieb,
Wie sie entführen ließ der edle Schotte,
Und wie sie sich aus Sturm und Meereswelle
Gerettet hatt' am Strand von La Rochelle.
136  Sie hatt' ihr oft vom Scheitel bis zur Zehe
Zerbin geschildert, Antlitz und Gestalt,
So daß die Alte, nun sie in der Nähe
Ihn sehen konnt' und hören, alsobald
Erkannte, daß sie den Geliebten sähe,
Dem Isabellens stete Trauer galt;
Denn ihn nicht sehen schien ihr größrer Jammer
Als das Gefängniß in der Felsenkammer.
137  Wie nun die Alte hörte, was Zerbin
Ausstieß in seinem Schmerz und seinem Grimme,
Da merkte sie, daß er zu glauben schien,
Daß Isabella todt im Meere schwimme.
Sie wußt' es besser zwar, jedoch um ihn
Nicht aufzuheitern, schwieg verstockt die schlimme
Vom tröstlichen und frohen, was sie wußte,
Und sagte nur, was ihn betrüben mußte. 261
138  »Hör' an, (so sprach sie) stolzer Cavalier,
Der du mich so verspottetest und schmähtest,
Wüßtest du, daß ich Kunde hab' von ihr,
Die du beweinst, du schmeicheltest und bätest.
Doch sagen werd' ich nichts, und wenn du mir
Das Herz ausrissest und den Hals umdrehtest.
Ja, wenn du artiger gewesen wärst,
Sagt' ich vielleicht, was jetzt du nie erfährst.«
139  Wie sich der Hofhund, der dem Dieb zu Leibe
Gehn wollte, auf einmal besänftigt, sei's
Weil der ihm Brot reicht oder Käsescheibe,
Sei's weil er einen kräft'gen Zauber weiß,
So wird Zerbin kleinlaut vor diesem Weibe
Und hörte gern den Rest um jeden Preis.
Als sie drauf anspielt, daß sie von dem Leben
Der todtgeglaubten könne Nachricht geben.
140  Zu ihr gekehrt mit holderem Gesicht
Bittet er, fleht er und beschwört die Alte
Bei allen Heil'gen, daß sie ihm das Licht,
Ob Unglück oder Glück, nicht vorenthalte.
»Viel tröstliches erfahren wirst du nicht,«
Antwortet die verstockte, grausamkalte,
»Du glaubst, daß Isabella todt sei? nein,
Sie lebt, doch wär' ihr besser todt zu sein. 262
141  »Sie hat, seit du um ihren Tod dich grämst,
In mehr als zwanzig Händen sich befunden.
Die Hoffnung also, wenn du zu ihr kämst,
Die Erstlingsfrucht zu pflücken, ist verschwunden.«
O Unhold, wie du Lügen schlau verbrämst,
Und weißt doch, daß es Lüg' ist und erfunden!
Wohl fiel sie zwanzig Männern in die Hand,
Doch keiner raubt' ihr ihren Mädchenstand.
142  Wo sie zuletzt gesehen worden, fragt
Zerbin, und wann? Er kann sich heiser sprechen,
Die Alte bleibt bei dem, was sie gesagt,
Und weiter wird sie nicht ihr Schweigen brechen.
Erst giebt er gute Worte, fleht und klagt,
Dann droht er, mit dem Dolch sie zu erstechen;
Jedoch umsonst ist, was er droht und spricht,
Zum Reden bringt er doch die Hexe nicht.
143  Zuletzt ließ er die Zunge stillestehn;
Er sah, daß er mit Worten nichts erränge,
Und wollte schier vor Eifersucht vergehn;
Dem Herzen ward es in der Brust zu enge,
Und auch vor Sehnsucht Isabel zu sehn,
Für die mit Freuden er ins Feuer spränge.
Nur konnt' er sie nicht suchen, wenn's der Alten
Misfiel; denn sein Gelöbniß mußt' er halten. 263
144  Er zog mit ihr durch wilde Oeden fort,
Wohin es ihr gefiel den Weg zu zeigen.
Die beiden tauschten weder Blick noch Wort,
Die Straße mochte fallen oder steigen.
Doch als die Sonne dann dem Mittagsort
Den Rücken wandte, unterbrach dies Schweigen
Ein Mann, dem sie begegneten, ein Reiter.
Im folgenden Gesang erzähl' ich weiter. 264

 


 


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